Der Einstieg in diese Biografie ist gewinnend. Vier auf einer Seite angeordnete Fotografien stimmen den Leser auf den „Helden“ dieser Studie ein. Sie zeigen den Prähistoriker Herbert Jankuhn als jungen Mann in zivil, zweimal in mittleren Jahren in Uniformen der SA und der SS sowie als alten Mann im Anzug. Er lächelt auf keiner dieser Aufnahmen, sondern blickt ernst, fast scheu in die Kamera. Allein beim Altersporträt scheint ein herausfordernder, ja spöttischer Zug seine Augen zu umspielen. Da konnte er freilich auch schon auf eine so bewegte wie erfolgreiche Karriere zurücksehen. Jankuhn zählt bis heute zu den Großen seines Faches, als einer, der die seinerzeit noch junge Disziplin der Vor- und Frühgeschichte methodisch prägte und entscheidend professionalisieren half.
Die Prähistorie begann ihren Siegeszug an den Universitäten in den späten 1920er-Jahren und setzte ihn nach 1933 mit starker Unterstützung der Nationalsozialisten beschleunigt fort. Aber auch mit der vermeintlichen Stunde Null riss der Erfolg nicht ab. Ähnlich wie in der Rechts- und Verfassungsgeschichte oder in der Landesgeschichte blieb das Interesse an der Vor- und Frühgeschichte bis in die zweite Nachkriegszeit hinein erhalten. Die personelle Kontinuität nach 1945 war hoch, und die alten Deutungsmodelle standen noch lange im Kurs. Erst spät setzte die Beschäftigung mit der Fachgeschichte ein, deren „dunkle Seiten“ zum Teil bis heute nicht vollkommen ausgeleuchtet wurden: Der „Fall Jankuhn“, so strahlend sein Bild als innovativer Forscher erscheint, ist ein Beispiel dafür.
Diese noch am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen bei Hartmut Lehmann begonnene und an der dortigen Universität 2009 vorgelegte Dissertation hat sich zum Ziel gesetzt, Jankuhn in seiner Funktion als Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator darzustellen und zu analysieren. Gefragt wird nach der Struktur seines personalen Netzwerks und der Art seiner Zusammenarbeit mit verschiedenen politischen und militärischen Stellen der Zeit. Damit fällt das Hauptgewicht der Untersuchung in die Zeit des Dritten Reichs. Schließlich geht es Mahrsarski um nichts Geringeres als um die Klärung der Frage, wie sich wissenschaftliche Objektivität und nationalsozialistische Ideologie im Werk Jankuhns zueinander verhalten. Oder anders formuliert: Kann Jankuhn als „gläubiger Nationalsozialist“ (S. 73), wie er sich selbst einmal bezeichnete, ein guter Wissenschaftler gewesen sein? Lassen sich Wissenschaft und Weltanschauung im Denken eines Menschen voneinander trennen? Zur Klärung zieht Mahrsarski verschiedene Methoden heran, bemüht einen vergleichend-biographischen Ansatz zur Untersuchung des kollegialen Umfelds Jankuhns und greift bei der Werkanalyse sowie bei der Betrachtung der allgemeinen Fachgeschichte auf die bewährte Paradigmentheorie von Thomas S. Kuhn zurück.
Die chronologisch-systematisch gegliederte Studie beginnt mit einem längeren Abschnitt zur Fachgeschichte. Mahrsarski geht zurück bis in jene Zeit, als die Beschäftigung mit der Vorgeschichte noch eine vornehmlich von Pfarrern und Lehrern laienhaft gepflegte Passion war und beschreibt den Prozess ihrer allmählichen Verwissenschaftlichung im 19. Jahrhundert zuletzt unter dem Einfluss Rudolf Virchows. Es folgt ein Kapitel mit biographischen Angaben zu Jankuhn, der 1905 im ostpreußischen Angerburg als Sohn eines Seminarlehrers geboren wurde. Im Hause Jankuhn bekannte man sich stolz zum Deutschtum und wählte der Vater wie selbstverständlich deutschnational. Sein ältester Sohn absolvierte einen schnurgeraden Bildungsweg, der ihn nach dem Abitur zum Studium unter anderem der Geschichte, Vorgeschichte, Germanistik und Philosophie an verschiedene deutsche Universitäten führte und 1932 mit der Promotion zum Dr. phil. abgeschlossen wurde. Der junge Doktor nahm danach eine Assistentenstelle im „Museum für vaterländische Alterthümer“ in Kiel an, ließ sich aber bald beurlauben, um mit den Mitteln eines Reisestipendiums eine ausgedehnte Studienfahrt in den östlichen Mittelmeerraum anzutreten. Während dieser Zeit übernahmen die Nationalsozialisten im Deutschen Reich die Regierung, und damit wuchs das staatliche Interesse an der Vor- und Frühgeschichte. Als Jankuhn von seiner Forschungsreise nach Kiel zurückkehrte, boten sich ihm ungeahnte Perspektiven.
Jankuhn trat im November 1933 in die SA ein und engagierte sich auch sonst in den für sein Fach relevanten Gliederungen der Partei. Er arbeitete in der „Fachgruppe Vorgeschichte“ beim Kampfbund für deutsche Kultur mit und leitete seit 1934 eine Arbeitsgruppe im NS-Studentenbund der Universität Kiel. Ob er damit schon ein „überdurchschnittliches“ Soll an politischer Aktivität erfüllte (S. 70), erscheint beim Blick auf die Anpassungsleistungen anderer Nachwuchswissenschaftler freilich übertrieben. 1935 habilitierte er sich und erhielt eine Dozentur für „Europäische Vorgeschichte“. Jankuhns Geschichtsbild war völkisch geprägt und basierte auf der Annahme, dass sich Geschichte wesentlich in der Entwicklung von Völkern erforschen und beurteilen lasse. Er ging von der sogenannten germanischen Kontinuitätsthese aus, wonach sich „die“ Germanen von der Steinzeit bis in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte fortwährend entwickelt und dabei eine beachtliche Kulturhöhe erklommen hätten. Statt Schriftquellen dienten Ausgrabungsfunde zur Untermauerung des Forschungsparadigmas, das Jankuhn mit einem interdisziplinär aufgestockten Methodeninstrumentarium auszufüllen suchte. Der Erfolg kam mit Haithabu. Seit 1931 leitete er die Ausgrabungen und stieg in den Jahren des Dritten Reichs zum führenden Interpreten dieser Siedlungsstätte auf, deren Geschichte er einer breiten Öffentlichkeit anschaulich zu vermitteln wusste.
Auf Haithabu beruhte auch der Kontakt zu Heinrich Himmler, dessen obskure Germanenschwärmerei hier reichlich Nahrung fand. Es ist also davon auszugehen, dass sich Jankuhn von einer Karriere in der SS Unterstützung durch Himmler versprach und dass ihn dies 1936 bewog, einen Aufnahmeantrag zu stellen. Tatsächlich steckte der Reichsführer ab 1938 erhebliche Summen in das Projekt. Ein großer Teil des Geländes wurde aufgekauft, so dass die freigelegten Siedlungsreste dauerhaft konserviert werden konnten. Gleichzeitig fand der Ausbau des „Ahnenerbes“ zu einer ambitionierten Forschungseinrichtung statt, in der Jankuhn die Stellung eines stellvertretenden Abteilungsleiters im Bereich „Lehr- und Forschungsstätte Ausgrabungen und germanische Heiligtümer“ übernahm. Während des Krieges setzte sich sein Aufstieg in den Reihen der SS fort. So wurde 1942 ein „Sonderkommando Jankuhn“ in der 5. SS-Division „Wiking“ zur Beschlagnahmung von prähistorischem Material in den besetzten Ostgebieten eingerichtet. Es war dies derselbe Zeitraum, in dem die Massenmorde an der dortigen Zivilbevölkerung verübt wurden. Mahrsarski schließt daraus, dass Jankuhn „Seite an Seite mit den Mordkommandos der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD“ arbeitete und somit „Zeuge der Massenmorde geworden“ sein müsse (S. 283). Beweisen kann er seine These aber nicht.
Nach Kriegsgefangenschaft und Internierung setzte Jankuhn seine Karriere fort und konnte sie mit der Ernennung zum Ordinarius in Göttingen krönen. Es verwundert nicht, dass er die Umstände seines wissenschaftlichen Aufstiegs im Dritten Reich, die Unterstützung Himmlers zumal, verschwieg und auch im Interview mit dem Historiker Michael Kater im Jahr 1970 nicht die ganze Wahrheit preisgab. Immerhin bekannte er, vom Nationalsozialismus zutiefst überzeugt gewesen zu sein – was schon weit mehr war, als die meisten seiner Kollegen einzugestehen bereit waren. Zugleich pflegte er ein hohes Selbstbild als Wissenschaftler. Seine politische Haltung habe die Deutung der Forschungsergebnisse nicht tangiert, behauptete er, und wurde darin von seinen Schülern nachdrücklich unterstützt. Mahrsarski hingegen hält eine Trennung der beiden Sphären Wissenschaft und Weltanschauung für künstlich, vielmehr sei beides im Falle Jankuhns unlösbar miteinander verbunden. So zieht er im Fazit seiner Studie den Schluss, der Prähistoriker sei nicht nur ein politischer Opportunist, sondern seine wissenschaftlichen Deutungen selbst seien ideologieförmig gewesen und hätten zur Verbreitung der nationalsozialistischen Weltanschauung beigetragen.
Dirk Mahrsarski hat eine thesenfreudige Untersuchung zu einem der letzten echten Forschungsdesiderate in der Historiographiegeschichte vorgelegt. Darin finden sich viele neue Befunde zur Take-off-Phase der Prähistorie im Dritten Reich und der Rolle, die Herbert Jankuhn darin spielte. Freilich wirkt Mahrsarskis Bemühen, ihn als ein herausragendes Beispiel „brauner“ Wissenschaft zu entlarven, angestrengt. Hier rächt sich die mangelnde Rezeption der neueren Untersuchungen zur Erforschung von Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und Deutscher Forschungsgemeinschaft. In vielen dieser Studien sticht als besonders bemerkenswert die Mobilisierungskraft des Nationalsozialismus hervor. Ungefragt fertigten Wissenschaftler aller Disziplinen weitreichende Expertisen an und stellten darin sich und ihre Forschungen den Machthabern zur Verfügung. Aus dem breiten Fundus an Angeboten wählten die Nationalsozialisten dann das aus, was der Ideologie am nächsten kam. Schließlich ging es um knappe Ressourcen: Je jünger eine Disziplin, desto nachdrücklicher diente man sich an. Und je größer die ideologische Nähe einer Disziplin zum Nationalsozialismus war, desto leichter kam der Geldfluss in Gang. Jankuhn war in den 1930er-Jahren ein Meister in Sachen Ressourcenmobilisierung und schaffte es damit an die Spitze seines Faches. Die Studie bringt viele Belege dafür, ohne die Denkfigur der gegenseitigen Vorteilsnahme fruchtbar zu machen. Stattdessen beharrt Mahrsarski auf dem Beweis der vermeintlich „untrennbaren Einheit“ von Wissenschaft und nationalsozialistischer Weltanschauung im Denken Jankuhns. Dann stellt sich aber doch die Frage nach der Güte seiner Wissenschaft und dem, was davon über 1945 hinaus Bestand hatte. Offensichtlich war das eine ganze Menge. Während die „germanische Kontinuitätsthese“ sang- und klanglos unterging, blieb der von Jankuhn forcierte Methodenpluralismus in der Prähistorie erhalten und wurde weiter ausgebaut. Das Fach feierte ihn als Star. Gutes „networking“ allein reicht als Erklärung für seinen Nachkriegserfolg sicherlich nicht aus. Vielmehr deutet sein Beispiel auf die hohe Transformationsfähigkeit von Wissenschaft hin, die ohne großen Aufwand von einem weltanschaulichen Bezugsrahmen zum anderen wechseln kann.
Abschließend ist ein Wort zur äußeren Textgestalt unerlässlich. Die Studie liest sich wie an einem Zettelkasten entlang geschrieben. Einzelne Sätze werden zu Absätzen, manche Kapitel bestehen aus nur einem Satz. Lange unkommentierte Zitate ermüden den Leser und tragen zur Thesenführung wenig bei. Und 1528 Anmerkungen auf 323 Textseiten dürften rekordverdächtig sein! Die vielen unbekannten Aufnahmen machen das Buch attraktiv, vermögen diese Monita aber nicht aufzuwiegen. Es wäre Aufgabe der Betreuer und des Verlags gewesen, korrigierend einzugreifen. So wird die Rezeption eines wichtigen Themas empfindlich gestört.