Arbeitskräfteplanung und -lenkung gehörten zum Kern der Planwirtschaft in der SBZ/DDR. Sie waren auch bedeutende Elemente ihrer Krise. Schon die Systemlogik zentraladministrativer Wirtschaftssteuerung beinhaltete die Absage an den freien Arbeitsmarkt; die ideologische Aufwertung der Arbeit und die Verbindung des – in der Verfassung der DDR verankerten – Rechts auf Arbeit mit faktischer Arbeitspflicht machten Lenkung dann fast unausweichlich. Zentrale Funktionsmechanismen, auch die Rahmenbedingungen und Akteure der Tarifpartnerschaft, fehlten deshalb von Anfang an oder wurden früh beseitigt: die Sowjetische Militärregierung (SMAD) führte den Lohnstop des „Dritten Reiches“ fort. Die Wiedergründung von Arbeitgeberorganisationen wurde verhindert, den Gewerkschaften war die Rolle eines Transmissionsriemens staatlicher Wirtschaftspolitik zugewiesen.
Wurden mit der Bodenreform, der Sequestrierung und der Überführung der Schwerindustrie in die Hand des Staates die Weichen auch früh gestellt, so war doch der Weg in die Planwirtschaft keineswegs geradlinig. Von konsequenter Sowjetisierung läßt sich nur bedingt sprechen: die neuen Strukturen in der SBZ konnten schon aufgrund krass unterschiedlicher Entwicklungsniveaus nicht simple Kopie der sowjetischen sein. Auch waren, wie Hoffmann mit Nachdruck konstatiert, Handlungsspielräume auf deutscher Seite durchaus vorhanden. Erst im Laufe der fünfziger Jahre bildete sich in einem mühsamen trial and error-Prozeß die Zentralverwaltungswirtschaft und mit ihr das Instrumentarium der Arbeitskräftelenkung heraus. Auch jetzt aber war die Planwirtschaft, anders als eine naive Totalitarismustheorie unterstellt, nicht ein monolithischer, säuberlich hierarchisch gegliederter, gut geschmiert dahinschnurrender Apparat, sondern eher ein chaotisches In- und Gegeneinander multipler Instanzen und Akteure: eine Maschinerie, deren Betreiber auch im fortgeschrittenen Stadium auf Elemente marktlicher Steuerung nicht verzichten wollten noch konnten.
Soweit die zentrale These. Dierk Hoffmann entfaltet sie vornehmlich am Beispiel der Grundstoff- und Schwerindustrie für die Zeit zwischen dem Kriegsende und dem Beginn der Ulbrichtschen Reformen 1963. Die eigentliche Zäsur ist bereits das Jahr 1961: der Mauerbau schob der Westflucht im großen Maßstab einen Riegel vor. Er verhinderte das gänzliche Austrocknen des Arbeitskräftepools und beseitigte ein kardinales Hindernis vorausschauender Planung. Die Wiederankurbelung der Wirtschaft nach Kriegsende setzte die Erfassung, Mobilisierung und Steuerung der arbeitsfähigen Bevölkerung voraus. Sie bediente sich bürokratisch-kriegswirtschaftlicher Methoden; die Indienstnahme zentraler Lenkungsinstrumente des „Dritten Reichs“ – Arbeitsbuch und Arbeitseinweisung auf Befehl – stellte diese, wie Hoffmann nachdrücklich geltend macht, allerdings in einen neuen Kontext.
Der Staatssozialismus war also nicht einfach eine Fortsetzung des Nationalsozialismus mit ähnlichen Mitteln. Soweit die knappen finanziellen Ressourcen dies erlaubten, nahm die zügig rekonstruierte Arbeitsverwaltung die typischen Nachkriegs-Problemlagen in Angriff: So wurden etwa die Kriegsheimkehrer durch Umschulungs- und Beschäftigungsprogramme eingegliedert. Der zwischen- und überbezirkliche Arbeitskräfteausgleich baute die im Zuge kriegs- und nachkriegsbedingter Massenwanderungen entstandenen regionalen Disparitäten ab, soweit die lückenhaften Übersichten über Soll und Haben und das allgegenwärtige Wohnungsproblem dies zuließen. Die gruppenspezifische Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge und Vertriebene hingegen gelangte über Ansätze nicht hinaus: „Sonderbewußtsein“ sollte nicht gefördert werden. Willkürliche, unkoordinierte und kurzfristige, oft durch nachgeordnete Dienststellen rüde verfügte Arbeitskräfteanforderungen der sowjetischen Besatzungsmacht engten den Aktionsradius der deutschen Arbeitsverwaltung ein; solche „Abschöpfungen“ bedienten die Demontagen, den Personalbedarf der Sowjetischen Aktiengesellschaften und des Uranbergbaus. Weil Zwangsrekrutierungen die Volksstimmung gegen „die Russen“ und die „Russenpartei SED“ schürten und der Erhöhung der Arbeitsproduktivität kaum dienlich waren, verschoben sich die Gewichte bald von Brachialmaßnahmen hin zu einem Gefüge differenzierter, von Verbesserungen der medizinischen und der Lebensmittelversorgung flankierter Leistungslöhne.
Aus deutschlandpolitischen Rücksichten hatte die Sowjetunion den Systemwechsel in den frühen Nachkriegsjahren gebremst. Mit der Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission (1947), mit dem Zweijahresplan (1949/50) und dem ersten Fünfjahrplan (1951-1955) wurde der Weg von der ad-hoc- zur zentraladministrativen Arbeitskräftelenkung beschritten. Die Bewältigung der Kriegsfolgelasten und die Bedienung der sowjetischen Anforderungen traten nun in den Hintergrund; mit dem forcierten Aufbau der Schwerindustrie ab Anfang der fünfziger Jahre wurde der Facharbeitermangel – „Flaschenhals“ der stalinistischen Industrialisierung – zur zentralen Herausforderung. Arbeitskräfte wurden nun in erster Linie an die neuen schwerindustriellen Standorte gelenkt; Leicht- und Konsumgüterindustrien und der Privatsektor waren nachrangig. Die Gründung der Staatlichen Plankommission zentralisierte den Lenkungsapparat weiter.
Sand in diesem Getriebe waren die jetzt – nach sowjetischem Vorbild – in erster Linie für die Arbeitskräftelenkung zuständigen Industrieministerien; ihre Arbeitskräfteanforderungen waren häufig nicht mit den zentralen Planungen in Einklang zu bringen. Die Auflösung der Arbeitsämter markierte 1951 das Ende der traditionellen deutschen öffentlichen Arbeitsverwaltung. Im Folgejahr verschwanden mit den Ländern die Landesarbeitsministerien; die Bezirksverwaltungen waren handzahmer, als Vertreter regionaler Belange aber nicht gänzlich ohne eigenen Willen. Institutionelle Friktionen, die Westflucht, die permanente zwischenbetriebliche Fluktuation, Eigenmächtigkeiten der Betriebe, die häufig ihren Arbeitskräftebedarf deckten, ohne sich um zentrale Anweisungen zu scheren – alle diese Umstände ließen die Bemühungen um die umfassende und langfristige Planung und Steuerung des Arbeitspotentials über weite Strecken als hilflos erscheinen.
Vor dem Hintergrund bedingter Brauchbarkeit dirigistischer Instrumente wird der Bedeutungszuwachs produktivitätsorientierter Leistungslohnpolitik in den fünfziger Jahren verständlich. „Marktorientierte Lohnformen“ bedienten in erster Linie die schwerindustriellen Prioritäten, sie orientierten sich aber auch flexibel an den unterschiedlichen Anforderungen anderer „Arbeitsmarktsegmente“. Mit der Überarbeitung des Lohngefüges manövrierte sich die SED allerdings in das Dilemma zwischen – sozialpolitisch induzierter – Anhebung der unteren Lohngruppen einerseits und Lohndifferenzierung nach Leistung andererseits. Alle Weiterentwicklungen und Raffinierungen der Lenkungsinstrumente blieben letztlich eine Kollektion disparater Maßnahmen. Von einem geschlossenen, durchdachten Konzept konnte nicht die Rede sein; die Kinderkrankheiten des „sozialistischen Aufbaus“ setzten sich nahtlos in den systemisch produzierten Problemen administrativer Wirtschaftssteuerung fort; insbesondere konnte diese die planwirtschaftstypische Hortung von Arbeitskräften nie unterbinden.
Der Apparat brachte weder eine praktikable Bilanzierung der Potentiale noch eine leidlich bedarfsgerechte Allokation zuwege. Der Arbeitskräfteknappheit – sie war nach Ausschöpfung der Potentiale ab Mitte der fünfziger Jahre das beherrschende Problem – konnten Bedarfsplanung und langfristig angelegte Berufsbildung nur unzureichend beikommen. Machte das Massenphänomen „Republikflucht“ langfristiges Disponieren auch zur fast unlösbaren Aufgabe, so war für die massiven Ungleichgewichte der Arbeitskräfteversorgung doch in erster Linie der Voluntarismus einer Staatspartei, die alle Vernunft für sich reklamierte, verantwortlich. Überlegungen zur Reaktivierung der Zwangseinweisung, in den späteren fünfziger Jahren von der enormen zwischenbetrieblichen Fluktuation noch einmal in Gang gesetzt, blieben ohne praktische Konsequenzen; Hoffmann wertet sie aber zu Recht als Indiz für die Ratlosigkeit des Apparats.
Die Architektur dieser im Überlappungsbereich von Politik-, Wirtschafts-, Verwaltungs- und Rechtsgeschichte angesiedelten Studie ist überzeugend. Ihr Stil ist angenehm unprätentiös, der rote Faden trotz zuzeiten erbarmungsloser Akribie jederzeit erkennbar. Der analytischen Klarheit dienlich ist die konsequente Unterscheidung systemischer und kontingenter Entwicklungsdeterminanten. Trotzdem hätte man sich insgesamt ein deutlicheres Bemühen um die theoretische Einordnung der Befunde gewünscht: Janos Kornáis überaus fruchtbare Analysekategorien werden sporadisch angetippt, aber eben nicht durchgängig dienstbar gemacht. Egal – dieses Buch erschließt ein für die Wirtschaftsplanung im „Aufbau des Sozialismus“ ungemein wichtiges Teilgebiet auf imponierend reichhaltiger Quellenbasis fast völlig neu. Auf dem Weg von den eher ordnungstheoretisch-statischen Abhandlungen der Vorwendezeit zu einer empirischen Wirtschaftsgeschichte der frühen DDR bringt es die Forschung einen großen Schritt voran.