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Cover
Titel
The Buchenwald Child. Truth, Fiction and Propaganda


Autor(en)
Niven, Bill
Reihe
Studies in German Literature, Linguistics and Culture
Erschienen
New York 2007: Camden House
Anzahl Seiten
XII, 244 S.
Preis
€ 22,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornelia Siebeck, Graduiertenkolleg "Interkulturelle Kommunikation - Interkulturelle Kompetenz", Kulturwissenschaftliches Institut Essen/Technische Universität Chemnitz

In diesem Buch erzählt der in Nottingham lehrende Historiker Bill Niven die Geschichte Stefan Jerzy Zweigs, der als „Buchenwaldkind“ in die deutsche Gedächtniskultur eingegangen ist. Mit vier Jahren wurde Zweig 1945 als polnisch-jüdisches Kind im KZ Buchenwald befreit, wo er unter dem Schutz kommunistischer Funktionshäftlinge überlebt hatte. Zur Einweihung der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ erschien in der DDR 1958 der Roman „Nackt unter Wölfen“. Bruno Apitz, ehemals kommunistischer Häftling des Lagers, beschrieb darin die heldenhafte Rettung eines jüdischen Kinds durch kommunistische Widerstandskämpfer unter dem Terrorregime der SS.1 Der Roman und seine berühmte Verfilmung von Frank Beyer (1963) galten als authentische Repräsentationen des Lagers, das als Ort des siegreichen Kampfes des Kommunismus gegen den Faschismus dargestellt wurde.2 „Nackt unter Wölfen“ wurde zur Pflichtlektüre in den Schulen der DDR. Zweig selbst, den man in Israel aufgespürt hatte, folgte 1964 der offiziellen Einladung zum Studium in der DDR und wurde dort als lebender Beweis für die Authentizität des Romans vorgeführt, bis er aufgrund ideologischer Konflikte 1972 das Land verließ.

Im Zuge der Demontage des DDR-Antifaschismus nach 1990, die auch in Auseinandersetzung mit der ideologischen Funktionalisierung Buchenwalds erfolgte3 und unter anderem die partielle Verstrickung der so genannten „roten Kapos von Buchenwald“ in das SS-Regime problematisierte4, wurde auch die Geschichte des „Buchenwaldkindes“ revidiert. Die bis dahin unerwähnt gebliebene Problematik des von einflussreichen politischen Funktionshäftlingen des Lagers praktizierten „Opfertausches“ rückte in den Vordergrund: In einer neu gestalteten Ausstellung der Gedenkstätte wird nun erzählt, dass das „Buchenwaldkind“ nur vor der Deportation nach Auschwitz gerettet werden konnte, indem statt seiner ein 16-jähriger Sinto-Junge auf die Transportliste gesetzt wurde.5 Stefan Jerzy Zweig, der heute in Wien lebt, beschuldigt die Gedenkstätte daher, seine Retter als Kollaborateure und Stalinisten zu diskreditieren, die NS-Verbrechen im Sinne der Totalitarismustheorie zu relativieren und ihn persönlich aus antisemitischen Motiven dafür verantwortlich zu machen, dass statt seiner ein anderes Kind in Auschwitz ermordet wurde.6

Niven beginnt seine chronologisch angelegte Studie mit einem Versuch, die Geschichte der Rettung Zweigs durch kommunistische Häftlinge und des antifaschistischen Widerstands in Buchenwald so „realitätsgetreu wie möglich“ zu rekonstruieren (S. 10). Es folgt ein Kapitel zur Konstruktion des „Buchenwald-Mythos“ in der DDR, das sich unter anderem mit der Entstehung und ideologischen Funktion der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald beschäftigt. Ausführlich widmet sich Niven dem Roman „Nackt unter Wölfen“ und dessen Verfilmung sowie deren Rezeptionsgeschichte. Daraufhin beschreibt er die komplexe Beziehung zwischen der DDR und Stefan Jerzy Zweig, über die bisher wenig bekannt war. In einem ausführlichen Kapitel setzt er sich äußerst kritisch mit der Dekonstruktion der Rettungsgeschichte nach 1990 auseinander. Abschließend diskutiert er die massiven Anschuldigungen Zweigs gegen die Gedenkstätte, die dieser in seinen 2005 publizierten autobiographischen Reflexionen äußert. Niven schließt sich Zweigs Kritik nicht vorbehaltlos an, äußert aber Verständnis für dessen Interpretation und moniert einen signifikanten Mangel an Sensibilität gegenüber einem jüdischen Opfer des Nationalsozialismus (S. 227).

Die Geschichte des „Buchenwaldkindes“ ist in der Tat symptomatisch für den deutsch-deutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit und die Debatte um den DDR-Antifaschismus nach 1990. Niven vertritt diesbezüglich eine klare These: Der DDR-Mythos um die Rettung des „Buchenwaldkindes“ sei nach 1990 in ein „totalitarianist tale about similarities between fascist and communist ideologies and practices“ umgewandelt worden, „overlooking the fact that the communists at Buchenwald were prisoners“ (S. 8) Im vereinten Deutschland herrsche die Einschätzung vor, dass sich kommunistische Funktionshäftlinge in Buchenwald „utterly complicit“ verhalten hätten (ebd.). Die Revision der Geschichte des „Buchenwaldkindes“ habe nicht nur einer kritischen Auseinandersetzung mit dem DDR-Antifaschismus gedient, sondern auch dem Paradigma der Totalitarismustheorie und der Dämonisierung des Kommunismus (S. 213).

Niven führt Beispiele aus dem Mediendiskurs um Buchenwald an, die seine These durchaus zu unterstützen scheinen. Zweifellos bestehen in der offiziellen Gedächtniskultur der „Berliner Republik“ Tendenzen, NS-Verbrechen mit Verweis auf den Kommunismus zu relativieren sowie die beiden deutschen Diktaturen gleichzusetzen. Doch hätte man sich eine differenziertere Darstellung der jeweiligen gedächtniskulturellen Akteure gewünscht: Wer um die geschichtspolitischen Gratwanderungen der Gedenkstättenmitarbeiter in Buchenwald weiß, wird ihnen gewiss keine Propagierung der Totalitarismustheorie oder eine pauschale Verurteilung der kommunistischen Funktionshäftlinge in Buchenwald zum Vorwurf machen.7

Es sind also weniger die oft zugespitzten Thesen, die Nivens Buch zu einer empfehlenswerten Lektüre machen. Vielmehr scheint hier erstmals die Geschichte des Menschen Stefan Jerzy Zweig jenseits seiner gedächtniskulturellen Funktionalisierung auf. Es ist das Phänomen der „Schicksallosigkeit“ (Imre Kertész), das in der Geschichte des „Buchenwaldkindes“ zum Ausdruck kommt und das Niven eindringlich dokumentiert: Zweig wurde als „Jude“ verfolgt und in Buchenwald als „Symbol des Widerstandes gegen Hitler“ gerettet.8 Sowohl seine Verfolgung als auch seine Rettung wurden in der DDR ideologisch vereinnahmt. Aus Nivens Studie geht hervor, dass Zweig seiner Instrumentalisierung durch die DDR kritisch gegenüberstand, sich aber gleichzeitig dem Andenken seiner kommunistischen Retter zutiefst verpflichtet fühlte. Umso mehr rebellierte Zweig jedoch gegen die erneute Revision seiner Rettungsgeschichte zum Zweck der Dekonstruktion des DDR-Antifaschismus. Nicht nur vor, sondern auch nach 1990 diente die Überlebensgeschichte Zweigs, der sich selber kaum an seine Haft in Buchenwald erinnern kann, in erster Linie der Illustration „richtiger“ oder „falscher“ Erinnerung an Buchenwald. Der Mensch Stefan Jerzy Zweig wurde zum Objekt deutscher Gedächtniskultur und ist an dieser Last offensichtlich zerbrochen.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Stein, Harry, „Nackt unter Wölfen“ – literarische Fiktion und Realität einer KZ-Gesellschaft, in: Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Hrsg.), Sehen, Verstehen und Verarbeiten. KZ Buchenwald 1937–1945, KZ Mittelbau-Dora 1943–1945. Materialien für die Vorbereitung von Besuchen in den Gedenkstätten, Bad Berka 2000, S. 27ff.
2 Vgl. Heimann, Thomas, Bilder von Buchenwald, Die Visualisierung des Antifaschismus in der DDR (1945–1990), Köln 2005, S. 71ff.
3 Vgl. Zimmer, Hasko, Der Buchenwald-Konflikt. Zum Streit um Geschichte und Erinnerung im Kontext der deutschen Vereinigung, Münster 1999.
4 Vgl. Niethammer, Lutz (Hrsg.), Der ‚gesäuberte’ Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald. Dokumente, Berlin 1994. Rückblickend zuletzt ders., Buchenwald: KZ und NKWD-Lager. Der Zeithistoriker im Konflikt mit Zeitzeugen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), S. 1039-1053.
5 In einem Interview betonte Volkhard Knigge, der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald: „Wir versuchen, die Geschichte des Konzentrationslagers in all ihrer Komplexität, Widersprüchlichkeit und aufgezwungenen Unmenschlichkeit zu zeigen, indem wir die Geschichte ganz erzählen.“ (Neues Deutschland, 23/24.10.1999)
6 Vgl. die im Selbstverlag erschienene autobiographische Collage: Zweig, Zacharias; Zweig, Stefan Jerzy, Tränen allein genügen nicht, Wien 2005.
7 Vgl. etwa die Rede Volkhard Knigges zur Eröffnung der Ausstellung „Die Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald“ am 24.10.1999, in: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora (Hrsg.), Die Neukonzeption der Gedenkstätte Buchenwald, Weimar 2001, S. 49ff.
8 Vgl. den Bericht seines Vaters Zacharias Zweig, abgedruckt in: Zweig; Zweig, Tränen, S. 53.

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