Das Buch richtet das Augenmerk auf ein wichtiges Feld der Imperial- und Kolonialgeschichte, das bislang noch nicht hinreichend beachtet worden ist. Es geht um die Dekolonisation im 20. Jahrhundert, doch nicht um die Entwicklung in den Kolonien, sondern um die Dekolonisation der Imperialmächte selbst, konkret um Großbritannien. Dieser Zugang ist auch im Sinne einer postkolonialen Herangehensweise sinnvoll; er scheint zudem geeignet, die jüngeren Erkenntnisse über transkulturelle Rückwirkungen der Kolonialpolitik in den so genannten Mutterländern einzubeziehen.
Gerhard Altmann führt musterhaft vor, wie der Ansatz genutzt werden kann und welche Erträge er bietet. Das Buch ist – abgesehen von einer „Zwischenbetrachtung“ zu den „Rahmenbedingungen der Dekolonisation“ – chronologisch gegliedert. In fünf Zeitabschnitten, die etwas abweichend vom Buchtitel die Jahre 1918 bis 1982 umfassen, durchmisst Altmann den Verlauf der britischen Dekolonisation. Er geht zu Recht davon aus, dass die Dekolonisation für ein Empire von der Größe und Bedeutung des britischen fundamentale Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft haben musste. Allerdings widerspricht diese Hypothese der landläufigen, namentlich in England selbst lange dominierenden Forschungsmeinung, die Großbritannien gerade eine relativ problemlose Verarbeitung des Imperial- und Kolonialverlustes attestiert. Altmann will im Sinne seiner Fragestellung den Kolonialdiskurs neu mustern. Ihm geht es um Argumentationsmuster und Leitideen in den öffentlichen Debatten über den Abschied vom Empire, um die Diskussion über Selbstbehauptung und Niedergang, um die Auswirkungen dieses Diskurses auf Staat und Gesellschaft Großbritanniens.
Im Mittelpunkt stehen die Diskussionen in der Presse, die mit weiteren Befunden aus politischen Debatten, etwa parlamentarischer Art, verglichen werden. Dabei arbeitet Altmann prägnant und klar eine Reihe von Aspekten heraus. So konstatiert er einen schon vor dem Zweiten Weltkrieg angebahnten, nach 1945 durchgesetzten Übergang vom Modell der Treuhandschaft zu einer „Partnerschaft“, die auf der Entwicklung der Kolonie basierte und deren politische Selbständigkeit in Aussicht stellte. Konservative und Labour Party waren sich in dieser Perspektive darüber einig, dass es die Überseegebiete auf die Unabhängigkeit vorzubereiten galt. Zwar sei das Empire aus konservativer Sicht als Hort der Freiheit und des Schutzes britischer Interessen gedeutet worden, gleichzeitig sei aber der eigene Umgang mit der Dekolonisation als vorbildhaft gerühmt worden. Denn um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, habe man den Kolonien auf der Basis der eigenen hochstehenden moralischen Grundsätze die Freiheit zugestanden.
Dabei wurde die Dekolonisation nicht als Untergang des Empire, sondern als Wandel gedeutet. Vor allem in Gestalt des Commonwealth schien ein friedlicher Übergang in eine neue Zeit möglich, in der Großbritanniens Rolle in der Welt nicht geringer, wenn auch anders geworden war. Seit den 1960er-Jahren allerdings, so unterstreicht Altmann, habe sich Großbritannien dezidiert von seinem kolonialen Erbe gelöst und sich somit selbst entkolonialisiert. Insofern könne auch in der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre von postkolonialer Nostalgie und gar einer Hoffnung auf imperiale Wiedergeburt keine Rede sein. In der Öffentlichkeit, sogar bei Wahlkämpfen, trat die Frage des Empire beziehungsweise der Dekolonisation offenbar in den Hintergrund. Der Verlust der abhängigen Gebiete wurde auch in der Presse nicht zu einem wichtigen und kontroversen Thema.
Die Art der Debatten über die Dekolonisation trug daher, so die Schlussthese des Buches, nicht nur dazu bei, den richtigen Weg in die nachkoloniale Welt zu finden, sondern sie war bereits Bestandteil dieses Weges, garantierte sie doch einen friedlichen, von neokolonialen Rückfällen abgesehen von bestimmten Schlüsselereignissen (Falkland) oder Schlüsselfragen (Immigration) freien Übergang in das nachkoloniale Zeitalter. Insofern trifft die zugespitzte Formulierung Altmanns von der in den 1970er-Jahren erlangten Unabhängigkeit Großbritannien einen wesentlichen Aspekt des Dekolonisationsprozesses.
Mit dem Buch von Gerhard Altmann liegt ein substantieller Beitrag zur laufenden Diskussion über die Dekolonisation vor.