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Review of: Davidovich, Tal / Lahdo, Ablahad / Lindquist, Torkel (Hg.): From Tur Abdin to Hadramawt

2016, Orientalistische Literaturzeitung

Orientalistische Literaturzeitung 2016; 111(3): 245–254 Semitistik Davidovich, Tal / Lahdo, Ablahad / Lindquist, Torkel (Hg.): From Tur Abdin to Hadramawt. Semitic Studies. Festschrift in Honour of Bo Isaksson on the occasion of his retirement. Wiesbaden: Harrassowitz 2014. 207 S. 8°. Brosch. € 68,00. ISBN 978-3-447-10265-0. Besprochen von Andreas Fink: Heidelberg, E-Mail: Andreas.Fink@ori.uni-heidelberg.de DOI 10.1515/olzg-2016-0107 Anlässlich der Pensionierung von Bo Isaksson haben drei seiner Schüler eine Festschrift mit 16 Beiträgen herausgebracht, deren Titel From Tur Abdin to Hadramawt schon erahnen lässt, wie vielfältig und umfangreich die Arbeiten des Geehrten waren und sind. Noch deutlicher wird dies anhand der kurzen Vorstellung Isakssons im Vorwort (S. 5–61) sowie der Liste seiner Veröffentlichungen (S. 9–12), die eine intensive Beschäftigung mit der arabischen Dialektologie, dem Hebräischen sowie ausgewählten Bereichen der Aramaistik zeigt. In jüngerer Zeit hat sich Bo Isaksson vermehrt mit Circumstancial Qualifiers auseinandergesetzt und sie in verschiedenen semitischen Sprachen und Dialekten beleuchtet. Den Hauptteil des Bandes eröffnet ein Beitrag von Werner Arnold mit dem Titel Il-Lidd in Earlier Times. A Text in the Arabic Dialect of Lydda (Israel) (S. 15–21), in dem erstmals ein Text in diesem Dialekt publiziert wird. Nach einigen kurzen Anmerkungen über die Entstehung der zugrunde liegenden Aufnahme und die Lage des Ortes präsentiert Arnold die Lebensgeschichte des damals 67jährigen Tūma Mnayyer in Transkription und Übersetzung. Auf nähere Ausführungen zu den Besonderheiten des Dialekts verzichtet Arnold unter Hinweis auf eigene Vorarbeiten (vgl. S. 16 Anm. 2). An zweiter Stelle steht mit Presentatives in Comparative View: Biblical Hebrew and Neo-Aramaic (S. 23–37) von Eran Cohen eine vergleichende Studie über Satzdeiktika im Biblisch-Hebräischen und dem NENA-Dialekt von Zakho, in der die Verwendung hinweisender Konstruktionen der Reihe nach in unterschiedlichen Kontexten untersucht wird. Sehr erfreulich ist, dass Cohen syntaktische und morphologische Zusammenhänge durch den Gebrauch von Interlinearglossierung deutlich macht, auch wenn er leider keine echte Morphem-für-Morphem-Korrespondenz hergestellt hat, was aber freilich im gegebenen Kontext auch nicht von größter Wichtigkeit war. 1 Seitenzahlen beziehen sich auf das besprochene Werk. Der Beitrag On Vocalization and Case Endings in Judeo Yemenite (S. 39–48) aus der Feder von Tal Davidovich widmet sich dem Soziolekt der jemenitischen Juden im 17. Jh., der sich durch eine Vermischung hebräischer, aramäischer und arabischer Elemente auszeichnet. Einen Zugang zu dieser untergegangenen Welt schafft Davidovich durch die Untersuchung der in hebräischer Schrift überlieferten Gedichte des gelehrten Rabbi Shalem Shabazi (1619–ca. 1720), in denen er u. a. die Wiedergabe der Kasusendungen, sowie von tāʾ marbūṭa und ʾalif maqṣūra anhand zahlreicher Beispiele erläutert und somit Rückschlüsse auf die Sprache der jemenitischen Juden vor 300 Jahren möglich macht. Lutz Edzard wiederum ist mit dem Artikel The Epexegetical Genitive in Semitic and the Sūra Titles in the Qurʾān (S. 49–58) vertreten. Er behandelt das Problem der Unterscheidung zwischen attributiver Apposition und klassischer Genitivverbindung zunächst im gesamtsemitischen Kontext und wendet sich dann den Titeln der Suren des Korans zu, die er gemeinsam mit der namensgebenden Textstelle auflistet und im Hinblick auf die fragliche Unterscheidung hin untersucht. Der Beitrag von Heléne Kammensjö mit dem Titel Pace and Circumstance in Oral Arabic Narration: On Asyndesis and Verb Chaining in Egyptian Arabic (S. 59–70) untersucht das Spannungsfeld von asyndetisch aneinander gereihten Verben und der Grammatikalisierung einiger solcher Konstruktionen. Nach der Beschreibung verschiedener Anwendungsfälle wendet sich Kammensjö der Entstehung und Weiterentwicklung derartiger Verbalphrasen zu und kommt zu dem Schluss, dass die Grammatikalisierung solcher Konstruktionen ganz neue erzählerische Möglichkeiten schafft und regt an, auch moderne hocharabische Texten auf derartige Innovationen hin zu untersuchen. Einen Ausblick auf seine in Bälde erscheinende Grammatik bietet Geoffrey Khans Artikel Remarks on Infinitives and Verbal Nouns in the Christian Urmi Dialect of NeoAramaic (S. 71–79). Ausgehend von einem kurzen Überblick über die Forschungsliteratur zum neuaramäischen Dialekt von Urmia stellt der Artikel zunächst die Bildung von Verlaufsformen aus der Präposition b- mit dem Infinitiv vor und bietet dann einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten von Infinitiven und Verbalnomina. Illustriert wird dieses komplexe Gebiet durch eine reiche Auswahl an Beispielen. Interessante Einblicke in das ländliche Leben im Tur Abdin eröffnet der Artikel Bequsyone Texts Reflecting Cultural Aspects in Tur Abdin (S. 81–91) von Ablahad Lahdo. Nach einer kurzen Vorstellung des Ortes und seiner Geschichte sowie der Informanten präsentiert Lahdo Erzählungen im neuaramäischen Dialekt von Bequsyone (türk. 246 Semitistik Alagöz, Provinz Mardin) in Transkription und Übersetzung. Die Themen reichen von der Herstellung von Bulgur und Erlebnissen bei der Traubenernte bis hin zur Herstellung von Süßigkeiten auf der Basis von Traubensirup. Torkel Lindquist wendet sich in seinem Artikel Circumstantial Qualifiers in Arabic and Hebrew Political Language (S. 93–101) der „Sprache der Massenmedien“ zu, die er auch als Political Language bezeichnet. Zunächst wird kurz erklärt, was genau unter Circumstantial Qualifiers zu verstehen ist, dann wird anhand eines kleinen Corpus von Zeitungsartikeln, die am 4. September 2013 in den Zeitungen al-Ahrām (Ägypten) und Yediot Aharonot (Israel) erschienen sind, das häufige Auftreten derartiger Konstruktionen mit seinen verschiedenen Nuancen (auch unter Verweis auf die traditionelle arabische Grammatik) in der Sprache der arabischen und neuhebräischen Medien aufgezeigt und anhand von Zitaten aus dem Corpus belegt. Ein ganz anderes Corpus untersucht Stig Norin für seinen Beitrag Hebrew in the Bar Koseva Era Observations in Some Documents from the Second Century AD (S. 103– 115). Ausgehend von Briefen und Verträgen aus dem 2. Jh. stellt er sich die Frage, ob das Hebräische in dieser Zeit – der verbreiteten Meinung zum Trotz – noch eine gesprochene Sprache gewesen sein könnte und untersucht sein Corpus unter orthographischen, lexikalischen und grammatischen Gesichtspunkten, die er in statistischen Tabellen mit anderen Dokumenten aus derselben Epoche (Qumran, Mishna) vergleicht. Auf dieser Grundlage kommt Norin zu dem Schluss, dass es sehr wohl deutliche Indizien dafür gibt, dass das Hebräische zumindest in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten noch im Alltag gesprochen wurde. Der folgende Beitrag Verb Form Switch as a Marker of Discourse Hierarchy in Semitic: a Case Study of Syrian Arabic (S. 117–128) von Maria Persson stellt den Versuch dar, über Bo Isakssons Erkenntnisse bezüglich der Ausdrucksmöglichkeiten von Diskursmarkern und Zustandssätzen hinaus, nachzuweisen, dass entsprechend markierte Einschübe sogar ganze Satzgruppen umfassen können. Zunächst fasst Persson das Konzept des Gram Switching zusammen und erläutert es anhand mehrerer Beispielsätze in hebräischer Sprache sowie in zwei arabischen Dialekten (Golf, Damaskus). Dann führt sie an zahlreichen längeren syrisch-arabischen Belegen vor, dass Abweichungen von der Haupthandlung häufig durch einen Tempuswechsel oder den Wechsel zwischen Nominal- und Verbalsätzen markiert werden und dass es hierbei durchaus zu mehreren untereinander verschachtelten Kommentarebenen kommen kann. Einem oft stiefmütterlich behandelten, besonderen Ausschnitt der Morphologie widmet sich Stephan Procházka in dem Beitrag Feminine and Masculine Plural Pronouns in Modern Arabic Dialects (S. 129–148). Aufbauend auf Vorarbeiten Bo Isakssons wird eine Übersicht über das System der Personalpronomina in der 2. und 3. Person Plural geboten und eine Kategorisierung der verschiedenen Formen nach Unterscheidungsmerkmalen (insbesondere zur Genusmarkierung) vorgenommen. Dann folgt eine interessante Darstellung von allgemeinen Tendenzen in der diachronen Entwicklung dieser Pronomina sowie eine reiche Datensammlung, die endlich die in den vergangenen 20 Jahren reichlich neu gewonnenen Erkenntnisse an einem Ort zusammenführt. Einzigartig unter den vielen linguistischen Beiträgen in dieser Festschrift ist Gail Ramsays ausführlicher literaturwissenschaftlicher Beitrag Breaking the Silence of Nature in an Arabic Novel Nazīf al-ḥajar by Ibrāhim alKawnī (S. 149–172), in dem sie am Beispiel eines arabischen Romans aus dem Jahr 1990 aufzeigt, wie eine dezidiert unromantische arabisch-beduinische Sicht auf den Erhalt des Lebensraums Wüste und seiner Tierwelt aussehen kann und welche Konstellationen, Konflikte und Umwälzungen sich in diesem Zusammenhang ergeben können. Erneut in den Bereich der arabischen Dialektologie gehört der Artikel A Narrative Fragment from the Arabic Dialect of Qəlləf (S. 173–178) aus der Feder von Joseph Saouk. Nach einer kurzen Vorstellung des Ortes, der Forschungsgeschichte und des Informanten Yūsəf Brāhīm bietet Saouk die Erinnerungen an das Leben im Dorf Qəlləf (türk. Dereiçi, Prov. Mardin) in reichlich kommentierter Transkription und Übersetzung. Zu zwei Punkten soll eine alternative Deutung vorgeschlagen werden: In Anmerkung 5 (S. 174) erklärt Saouk das Element lē in der Formulierung ʔ äwwäl lē als Relativpronomen bzw. unterordnende Konjunktion. M.E. handelt es sich jedoch eher um das kurmanci-kurdische Wort ’ewilî „erst; ursprünglich, anfänglich“,2 welches – wie alle kurdischen Adjektive3 – auch adverbiell verwendet werden kann und so u. a. auch im Arabischen von Sine (Prov. Diyarbakır) als awli „früher“ (s.u. S. 185) erscheint. Ebenso ist der Gebrauch der 1. Pers. Plural durch den Informanten, den Saouk in Anmerkung 50 (S. 177), als Pluralis majestatis erklärt, wohl eher als Pluralis modestiae zu verstehen, wie der Autor ja dann in der Folge für den vorhergehenden Satz mit Recht auch selbst vermutet. Sehr interessante Perspektiven eröffnet der Beitrag von Shabo Talay mit dem Titel The Mesopotamian-Levantine 2 Michael L. Chyet: Kurdish–English Dictionary. Ferhenga Kurmancî– Inglîzî. New Haven and London: Yale University Press 2003, S. 182a. 3 Celadet Bedir-Xan / Roger Lescot: Kurdische Grammatik: KurmancîDialekt. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft 1986 (Disputationes linguarum et cultuum orbis Sectio K, Disputationes 1), S. 227. Semitistik Dialect Continuum (S. 179–188). Ausgehend von Gemeinsamkeiten des anatolischen und levantinischen Arabisch wie der Imāla als i-Umlaut, dem Erhalt des /q/ als stimmlosem, uvularem Plosiv sowie den Personalpronomina der 2. und 3. Pers. Plural mit /n/ als Basiskonsonant, wendet sich Talay dem arabischen Dialekt von Sine (Provinz Diyarbakır) zu, den er als Bindeglied zwischen den beiden Dialektgebieten Levante und Mesopotamien sieht und dies anhand zahlreicher Beispiele nachweist. Insbesondere werden in der Folge noch zahlreiche Besonderheiten v.a. im Vokalismus von Sine besprochen, die von der Situation in den anderen arabischen Dialekten in Anatolien deutlich abweichen und eher in Richtung Levante weisen. Aziz Tezel untersucht mit seinem Beitrag An Approach to Qudariliteral Verbal Formations with /ʿ/ as Secondary in Some Arabic Dialects – Discussion of Some Examples (S. 189–197) in der ihm eigenen gründlichen Weise einige vierradikalige Wurzeln auf die Frage hin, ob der Konsonant /ʿ/ sekundär in die Wurzeln eingedrungen ist und welche semantischen und auch etymologischen Konsequenzen sich hieraus ergeben. Tezel zieht für seine Vergleiche insbesondere das syrische und ägyptische Arabisch heran und verweist darüber hinaus auch vielfach auf das Ṭurōyō. Das Ende des abwechslungsreichen Bandes bildet Sina Tezels Artikel The Comparative Method as Applied to the Semitic Cognate Sets with Phonological Correspondences (S. 199–207), in dem sie anhand des recht stabilen Wortfeldes der Körperteile den Prozess der Rekonstruktion protosemitischer Phoneme nachzeichnet und auch die Methoden erläutert, die für die Aussonderung von Lehnwörtern herangezogen werden, um auf diese Weise falschen Ergebnissen vorzubeugen. Alles in allem deckt die stellenweise im Hinblick auf Seitenumbrüche etwas unglücklich redigierte Festschrift ein breites Spektrum semitistischer Forschung ab und bietet Interessantes zwischen Literaturwissenschaft, Komparatistik und Dialektologie. Vor allem die Texte in sonst noch kaum oder gar nicht publizierten arabischen und aramäischen Dialekten (Lydda, Bequsyone, Qəlləf) sowie die gut verständlichen und eingängigen Darstellungen der vor allem durch Bo Isaksson bearbeiteten Gebiete der Circumstantial Qualifiers sowie des Gram Switchings machen den Band zu einer lohnenden Lektüre für all diejenigen, die sich für neuere auch methodologische Entwicklungen im Bereich der semitischen Sprachwissenschaft interessieren. Bo Isaksson hat dieses Geschenk sicherlich mit Freunden und großem Interesse entgegengenommen, zumal die vielen Beiträge seiner Schüler zeigen, welch reiche Frucht seine Lehrtätigkeit getragen hat. 247