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Metropolenzeichen: Atlas zur visuellen Mehrsprachigkeit der Metropole Ruhr

2022

Dieser Atlas zur visuellen Mehrsprachigkeit der Metropole Ruhr präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern, Integrationsforschern und Stadtsoziologen der Universität Duisburg-Essen und der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde. Anhand von ca. 700 Abbildungen (Karten, Fotos und Grafiken) wird gezeigt, mit welchen sichtbaren Zeichen der Mehrsprachigkeit der öffentliche Raum der Metropole Ruhr ausgestattet ist. Angesichts der internationalen Herkunft der Bevölkerung interessiert insbesondere, inwieweit sich die Vielfalt der Bevölkerung in der Vielfalt der Sprachen widerspiegelt, wo und warum welche Sprachen (z. B. Deutsch, Englisch, Polnisch und Türkisch) verwendet werden und wie die Sichtbarkeit der Sprachen von der Bevölkerung bewertet wird. Grundlage ist eine Querschnittsstudie für die Städte Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund.

Evelyn Ziegler Heinz Eickmans Ulrich Schmitz Hacı-Halil Uslucan David H. Gehne Sebastian Kurtenbach Tirza Mühlan-Meyer Irmi Wachendorff METROPOLENZEICHEN Atlas zur visuellen Mehrsprachigkeit der Metropole Ruhr Dortmund Nordstadt Marxloh Hörde Hamme Duisburg Altendorf Essen Bochum Rüttenscheid Innenstadt Langendreer METROPOLENZEICHEN METROPOLENZEICHEN Atlas zur visuellen Mehrsprachigkeit der Metropole Ruhr Evelyn Ziegler Heinz Eickmans Ulrich Schmitz Hacı-Halil Uslucan David H. Gehne Sebastian Kurtenbach Tirza Mühlan-Meyer Irmi Wachendorff Danksagung Der vorliegende Atlas präsentiert die Ergebnisse eines Kooperationsprojekts, das von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern, Integrationsforschern und Stadtsoziologen der Universität Duisburg-Essen und der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Evelyn Ziegler durchgeführt wurde und ohne die großzügige Förderung des Mercator Research Center Ruhr (MERCUR), eine Einrichtung der Stiftung Mercator und der Universitätsallianz Ruhr, nicht möglich gewesen wäre (GZ: Pr-2012-0045, Laufzeit: 01.08.2013 – 31.08.2018). Ein besonders herzlicher Dank geht an Frank Lützenkirchen, Leiter der Digitalen Bibliothek der Universität Duisburg-Essen, der das Herzstück des Projekts, die digitale Bilddatenbank »Metropolenzeichen«, erstellt und mit viel Geduld und Humor unsere Probleme zu seinen Problemen gemacht und passgenaue Lösungen gefunden hat. Danken möchten wir auch der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen, dem Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) und dem Landschaftsverband Rheinland, ohne deren finanzielle Unterstützung der Atlas nicht hätte publiziert werden können. Zu großem Dank sind wir auch Eicke Riggers und Tim Meyersick verpflichtet, die die Grafikproduktion des Bandes übernommen haben. Bedanken möchten wir uns auch bei Dr. Ibrahim Cindark, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter, und vor allen Dingen bei allen Hilfskräften, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Studierenden, die im Projekt mitgearbeitet haben bzw. mit ihren Qualifikationsarbeiten zum Gelingen des Projekts beigetragen haben. Dazu zählen: Vanessa Angenendt, Nilgün Aykut, Alina Görke, Bernhard Hübers, Isabella Marowski, Sebastian Opara, David Passig, Yvette Rode, Sissy Schneider, Jana Wegener, Jonas Weiler, Michael Wentker und – last, not least – Felicitas Clerehugh, die uns mit viel Akribie und Geduld bei der Auswertung der Daten unterstützt und den Text formatiert hat. Nicht nur Menschen haben eine Heimat, sondern auch Bücher. Wir freuen uns sehr, dass unser Atlas im Universitätsverlag Rhein-Ruhr (UVRR) seine Heimat bekommen hat und mit Dr. Sabine Walther und Prof. Dr. Hermann Cölfen Verleger, die weit über das normale Maß hinaus das Buchprojekt gefördert haben. Ihnen ist dieser Atlas gewidmet. Inhaltsverzeichnis Danksagung – 5 Inhaltsverzeichnis – 6 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 Einleitung – 9 Visuelle Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets – 10 Metropole Ruhr – 16 Migrationsgeschichte: Schichten der Vielfalt nach 1945 – 22 Vielfalt und demografischer Wandel – 30 Sprache und Beheimatung – 34 2. 2.1 2.2 2.3 Erhebungsgebiete – 37 Lage, Typ und Funktion der Erhebungsgebiete – 38 Bevölkerung und Vielfalt – 48 Migrationsprägung von Stadtteilen im Zeitvergleich am Beispiel der Stadt Bochum – 52 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 Formen der sichtbaren Mehrsprachigkeit – 55 Die am häufigsten vorkommenden Sprachen – 56 Sichtbarkeit und Verteilung der Sprachen in den Stadtteilen – 62 Formen von Mehrsprachigkeit (mono-, bi-, tri- und multilingual) – 66 Informationsmanagement – 74 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.3 Sichtbare Diskurstypen im öffentlichen Raum – 78 Infrastruktureller und regulatorischer Diskurs – 82 Deutsch und andere Sprachen an vier Bahnhöfen – 86 Deutsch und andere Sprachen an Kitas, Bürgerbüros und Kulturstätten – 88 Kommerzieller Diskurs – 90 Vielfalt der Zeichen und Sprachen im kommerziellen Diskurs – 90 Kommerzielle Zeichen in ausgewählten Stadtteilen – 94 Transgressiver Diskurs – 100 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 Ethnische und sprachliche Diversität – 118 Stadtteilvergleich von Dortmund-Nordstadt und Duisburg-Marxloh – 120 Stadtteilvergleich von Essen-Rüttenscheid und Duisburg-Innenstadt – 124 Stadtteilvergleich von Essen-Altendorf und Bochum-Hamme – 128 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.4.6.1 3.4.6.2 3.4.6.3 Sprachgebrauch und sprachliche Gestaltung – 132 Deutsch in der Metropole Ruhr – 133 Englisch in der Metropole Ruhr – 142 Türkisch in der Metropole Ruhr – 152 Arabisch in der Metropole Ruhr – 156 Polnisch in der Metropole Ruhr – 160 Ruhrdeutsch – 166 Nonstandard-Deutsch in der Linguistic Landscape des Ruhrgebiets – 167 Ruhrdeutsch als Regionalsprache – 170 Ruhrdeutsch und Fußball – 172 3.4.6.4 3.4.6.5 3.4.7 3.4.8 Ruhrdeutsch in der Sprache der jugendlichen Subkultur – 174 Ruhrdeutsch in der Werbung – 176 Code-Switching – 178 Sprachliche Rebellion – 182 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 Namen als Teil der visuellen Sprachlandschaft – 192 Familiennamen – 194 Geschäftsnamen – 198 Gaststätten- und Restaurantnamen – 202 Straßennamen – 206 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 Sprache und Schrift – 212 Schriftsysteme – 213 Schriftarten – 216 Text und Bild in Symbiose – 228 4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 Sprachbewertungen und Einstellungen zu Mehrsprachigkeit – 235 Passantenbefragung – 236 Datenerhebung – 238 Einstellungen zu visueller Mehrsprachigkeit – 240 Einstellungen zu Sprachen – 252 Einstellung zur Funktion visueller Mehrsprachigkeit – 256 Einstellungen zu visueller Mehrsprachigkeit an öffentlichen Institutionen – 260 Strategien der Versprachlichung von Einstellungen zu Mehrsprachigkeit – 266 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 Telefonbefragung – 276 Datenerhebung CATI (Computer-Assisted Telephone Interview) – 277 Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit – 278 Akzeptanz von Mehrsprachigkeit – 282 4.3 4.3.1 4.3.2 Produzentenbefragung – 288 Datenerhebung – 289 Öffentliche Einrichtungen – Bürgerbüros und Hauptbahnhöfe in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund – 290 Handel und Gewerbe – 296 4.3.3 5. 5.1 Zusammenführung der Ergebnisse und Fazit – 305 Andere Zeichen – andere Menschen: Zum Wert und Nutzen sichtbarer Mehrsprachigkeit – 306 6. Anhang – 313 Impressum – 320 1. EINLEITUNG 1. Einleitung 1.1 Visuelle Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets 1. Was springt im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets besonders ins Auge? Jede Passantin und jeder Passant geht und fährt alltäglich durch viele Straßen, über Plätze, durch Bahnhöfe und an Geschäften vorbei. Dabei sieht man sich von einer solchen Fülle von Schildern, Aufschriften, Plakaten, Aufklebern, Graffitis und anderen Zeichen umgeben, dass man höchstens einen Bruchteil davon bewusst wahrnehmen kann. Wir haben uns so daran gewöhnt, uns durch ungeheure Zeichenmassen zu bewegen, dass wir uns kaum Gedanken darüber machen. Dennoch beeinflussen sie, was wir tun, woran wir denken und wie wir handeln. Wenn man sich allerdings den Luxus gönnt und einmal innehält, die tägliche Eile oder gar Hektik unterbricht, sich zum Beispiel in aller Ruhe auf eine Bank mitten in der Stadt setzt, sich aufmerksam umschaut und genau auflistet, was es da alles zu sehen gibt, wird man erstaunt sein und nachdenklich. Genau das haben wir mit Blick auf die sichtbaren Bilder und Texte in vielen Sprachen getan, allerdings mit ganz viel Arbeitszeit und -kraft, theoretischem Hintergrundwissen, wissenschaftlicher Akribie und Systematik. Wie jeder besonnene Alltagspassant entdeckten wir eine Fülle großer und kleiner, wichtiger und scheinbar bedeutungsloser, hilfreicher und ärgerlicher, zurückhaltender und aufdringlicher, schöner und hässlicher Bilder und Texte aller Art: Verkehrszeichen, Wegweiser, technische Informationen, Namen von Straßen, Personen, Geschäften und Restaurants, Reklametafeln, Aufkleber z. B. an Laternenpfählen, Graffitis und andere nicht-autorisierte Inszenierungen und Meinungsäußerungen, Erinnerungen an historische Ereignisse und wer weiß, was sonst noch alles. All das haben wir systematisch gesammelt, sortiert und ausgewertet. An welchen Stellen im Ruhrgebiet sieht man welche Sprachen, welche Art von Zeichen und warum? 10 1. EINLEITUNG Abb. 1.1: Made in Marxloh 1.1 VISUELLE MEHRSPRACHIGKEIT IM ÖFFENTLICHEN RAUM DES RUHRGEBIETS 11 Abb. 1.2: THE NORD STADT Abb. 1.3: SCHALKE ISS HEILBAR 12 1. EINLEITUNG 2. Warum interessiert sich die Wissenschaft dafür? 3. Was heißt »Linguistic Landscapes«? Die Motivation, sichtbare Mehrsprachigkeit in der Metropolregion Ruhrgebiet zu erforschen, entspringt unterschiedlichen Quellen. Zunächst lässt sich festhalten, dass das Thema »Sichtbarkeit« oder »Visibilität« kulturgeschichtlich schon immer eine besondere Rolle gespielt hat: Das Auge als menschliches Organ und dementsprechend Metaphern der Sichtbarkeit prägen spätestens seit der Neuzeit unseren erkenntnistheoretischen Zugang zur Welt; Begriffe wie »Klarheit, Einsicht, Einblick, Überblick« etc. sind nur eine kleine Auswahl davon. Auch im praktischen Alltag orientieren wir uns im Raum über visuelle Zeichen; in modernen Gesellschaften immer mehr über sichtbare Schilder. Wenn diese jedoch nicht nur in der dominanten Sprache des Landes gehalten sind, sondern mehrsprachig, dann sagen sie jenseits ihres denotativen Gehaltes, also ihrer faktischen Bedeutung, auch etwas über die potenziellen und tatsächlichen Benutzer und deren Sprachkompetenzen aus. Sichtbarkeit ist nicht zuletzt auch für die Integrationsforschung eine wichtige Kategorie: Die Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit ethnischer Minderheiten (»[in]visible minorities«) im Alltag sagt etwas über ihre gesellschaftliche Teilhabe aus. Mit der Analyse vor allem auch des Türkischen und des Arabischen haben wir Sprachen von zwei wichtigen und sichtbaren Minderheiten in der Metropole Ruhr analysiert. Leitend war dabei die Erkenntnis, dass Integrationsprozesse von Zugewanderten sich weitestgehend in Städten bzw. Metropolen oder Metropolregionen abspielen. Das gab der Wahl des Titels »Metropolenzeichen« eine weitere Begründung. In der Segregationsforschung, die der Frage nach der Verteilung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in städtischen Räumen nachgeht, gehört die Erforschung der Konzentration bestimmter Gruppen mit Migrationshintergrund zum Standard. Oft werden Stadtviertel von Bewohnern und Besuchern auch etikettiert. Klassische Beispiele dafür sind Chinatown und Little Italy in New York. Bei diesen alltäglichen Zuschreibungsprozessen spielt sichtbare Mehrsprachigkeit eine wichtige Rolle, ohne dass diese bisher häufig systematisch zusammen mit Bevölkerungsdaten erhoben und ausgewertet wurde. In gewisser Weise beansprucht der vorliegende Atlas, die kulturelle Vielfalt in Deutschland auch in der Vielfalt der Forschungsperspektiven und in der konsequenten Interdisziplinarität des Zugriffs – sozusagen als forschungspraktische Entsprechung – abzubilden. Die Linguistic-Landscape-Forschung beschäftigt sich mit der Sichtbarkeit von Texten / Sprachen im öffentlichen Raum und wird deshalb auch als »study of writing on display in the public sphere« (Coulmas 2009: 14) definiert. Unter dem Etikett »linguistic landscape« firmiert diese Forschungsrichtung seit der Arbeit von Landry / Bourhis (1997). Als Forschungsobjekte dienen Hinweisschilder, Straßenschilder, Reklameschilder, Geschäftsschilder, Gedenktafeln, Aufkleber, Plakate, Graffitis u. Ä. Im Zentrum dieses neuen, alltagsweltlichen Zugangs zu Mehrsprachigkeit steht die Frage, in welcher Weise sichtbare Mehrsprachigkeit den öffentlichen Raum prägt und inwieweit sich ethnisch-kulturelle Diversität in sprachlich sichtbarer Diversität niederschlägt. Untersucht werden das Vorkommen, die Verteilung, Ausgestaltung und Funktion sichtbarer Sprachen. Dabei wird das Ziel verfolgt, den Status und die Akzeptanz von Sprachen (z.B. von internationalen Sprachen wie Englisch und Französisch, regionalen Minderheitensprachen wie Baskisch und Katalanisch, Migrantensprachen wie Türkisch, Russisch und Chinesisch) bestimmen zu können, um so Hinweise auf Identitätsmarkierungen, Machtverhältnisse und die Kultur des Zusammenlebens in einer von Diversität geprägten Gesellschaft zu erhalten. Wie die Forschung zeigt, wird das Phänomen der Linguistic Landscape als ein Urbanisierungsphänomen begriffen. Dementsprechend beschäftigen sich die meisten Studien mit Städten, wesentlich seltener mit ländlichen Regionen. Untersuchungen zu offiziell mehrsprachigen Städten liegen zu Jerusalem (Spolsky / Cooper 1991), Lira Town / Uganda (Reh 2004), Brüssel (Wenzel 1998), Donostia-San Sebastián (Gorter et al. 2012) und Luxemburg (Purschke 2017) vor; zu Städten mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit sind die Studien zu Tokio (Backhaus 2007), Washington, D. C. (Lou 2016), Bangkok (Huebner 2006), Rom (Barni / Bagna 2010) und Manchester (Gaiser / Matras 2016) zu nennen. Für den deutschsprachigen Raum wurden die Städte Berlin (Papen 2012), Hamburg (Redder et al. 2013), Kiel und Rostock (Stoltmann 2016) sowie die Innerschweiz (Petkova 2017) und die deutsch-belgische Grenzregion (van Mensel / Darquennes 2012) beforscht. Das Projekt »Metropolenzeichen« unterscheidet sich von all den genannten Untersuchungen darin, dass es interdisziplinär und multiperspektivisch angelegt ist und einen innovativen Mehrmethodenansatz verfolgt. Das Forschungsdesign basiert auf dem Sprachenmanagementansatz von Spolsky (2009). Charakteristisch für diesen Ansatz ist die integrative Erforschung von Sprachverwendungen, metasprachlichen Aktivitäten, d. h. Entscheidungsprozessen, und Wertorientierungen, die die Sprachverwendungen und ihre Rezeption bestimmen. Dementsprechend umfasst die städteübergreifende vergleichende Analyse nicht nur die Vorkommen von visueller Mehrsprachigkeit, sondern auch die Adressaten- und Produzentenperspektive, indem zum einen nach der Wahrnehmung und Bewertung von visueller Mehrsprachigkeit gefragt wird und zum anderen die Motivlagen für die Sprachenwahlen aufgedeckt werden. Als Grundlage dienen große Korpora von Bilddaten, metasprachlichen Daten und kleinräumigen Daten zur multi-ethnischen Bevölkerungsstruktur der Städte, die weit über das hinausgehen, was bisher an Datenmaterial in der Linguistic-Landscape-Forschung verwendet wurde. Die Datensammlungen im »Metropolenzeichen«-Projekt erlauben so quantitative Analysen, um zu allgemeineren Aussagen zu kommen, und qualitative Tiefenanalysen zu Besonderheiten und Einzelphänomenen, um der Vielfalt der Daten Rechnung zu tragen. Beispielsweise gibt es charakteristische Unterschiede zwischen allen einzelnen Untersuchungsgebieten in der Metropole Ruhr, noch auffälliger aber auch zwischen den nördlichen und den südlichen Stadtbezirken insgesamt. Auch unterscheiden sich Art und Ausmaß von Ein- bzw. Mehrsprachigkeit sowie die sprachlichen und gestalterischen Formen überhaupt auf offiziellen Schildern von denen auf kommerziellen und die wiederum von denen auf unerlaubt angebrachten Zeichen. Bemerkenswert sind auch die unterschiedlichen Haltungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Sichtbarkeit nichtdeutscher Sprachen im öffentlichen Raum. 1.1 VISUELLE MEHRSPRACHIGKEIT IM ÖFFENTLICHEN RAUM DES RUHRGEBIETS 13 4. Welche Forschungsfragen sollen beantwortet werden? 5. Worum geht es in unserem Projekt? • Inwieweit spiegelt sich die multi-ethnische Vielfalt in den einzelnen Stadtteilen und deren Funktionsräumen in der Vielfalt und Verortung visueller Mehrsprachigkeit wider? Welche Sprachen sind wo sichtbar, welche nicht und warum? In diesem Atlas zeigen wir, mit welchen sichtbaren Zeichen der öffentliche Raum des Ruhrgebiets (der »Metropole Ruhr«) ausgestattet ist. Angesichts der internationalen Herkunft der Bevölkerung interessiert uns insbesondere, wo welche Sprachen (z.B. Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch) verwendet werden und warum. In welchem Maße und in welcher Weise wird kulturelle Vielfalt (»Diversity«) in Deutschland im öffentlichen Raum sichtbar? Zum öffentlichen Raum zählen alle Straßen, Plätze und Gegenden, die in öffentlichem (z.B. staatlichem) Eigentum stehen. Sichtbare Zeichen befinden sich oft an der Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum, weil private Interessenten sich hier besonders wirksam präsentieren können, also zum Beispiel an Schaufenstern und Hauswänden. Wir berücksichtigen alle Zeichen, die im oder vom öffentlichen Raum aus zu sehen sind, allerdings nur ortsfeste Zeichen und nicht etwa solche an Fahrzeugen oder Personen. Für unser Projekt haben wir innerstädtische Gegenden ausgewählt, die jeweils sehr verschieden und in ihrer Gesamtheit charakteristisch für das Ruhrgebiet sind. Traditionell und bis heute sind die Mieten nördlich der A 40 niedriger und der Anteil an Migranten ist höher als in den südlichen Stadtteilen. Nach bevölkerungssoziologischen Gesichtspunkten haben wir deshalb aus den vier größten Städten je ein eher nördliches und ein eher südliches Gebiet gewählt, nämlich Duisburg-Marxloh, Duisburg-Innenstadt, Essen-Altendorf, Essen-Rüttenscheid, Bochum-Hamme, Bochum-Langendreer, Dortmund-Nordstadt und Dortmund-Hörde. Außerdem haben wir die vier Hauptbahnhöfe, je Stadt eine touristische Attraktion (Landschaftspark Nord, RuhrMuseum, Jahrhunderthalle, U-Turm), ein Bürgerbüro und zwei Kitas einbezogen. Dort überall haben wir sämtliche Beschriftungen und andere Zeichen vollständig fotografiert. Daraus wurde eine Datenbank mit über 25 000 Fotos erstellt. Jedes einzelne Foto wurde mit umfangreichen Informationen versehen und bestimmten Kategorien zugeordnet (s. Infobox). Die vier Städte und die acht Erhebungsgebiete des Projektes wurden mit kleinräumigen amtlichen Daten zur Bevölkerungsstruktur vergleichend beschrieben, um den sozialstrukturellen Kontext der sichtbaren Mehrsprachigkeit in die Analyse einfließen zu lassen. Außerdem haben wir 1000 repräsentativ ausgewählte Personen telefonisch und weitere 120 Personen in persönlichen Gesprächen danach befragt, wie sie sichtbare Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet wahrnehmen und bewerten. Zusätzlich haben wir mit mehr als 60 Personen, z. B. • Welche Funktionen werden mit dem Gebrauch einzelner Sprachen verbunden? Wer wird angesprochen? Wie multilingual sind das offizielle und das private Sprachenmanagement, wie inklusiv oder exklusiv sind die Sprachenwahlen? • Welche sprachlichen Besonderheiten kennzeichnen den Gebrauch einzelner Sprachen wie Deutsch, Englisch, Polnisch, Türkisch, Arabisch, und wo und wie kommt Ruhrdeutsch, die gesprochene Sprache im Ruhrgebiet, vor? • Wie wird sichtbare Mehrsprachigkeit wahrgenommen und bewertet, und inwieweit trägt die Sichtbarkeit von Migrantensprachen zum Gefühl der Beheimatung bei? • Welche Selbst- und Fremdwahrnehmungsmuster sowie Diskursthemen (z.B. Integrations-, Solidaritäts-, Segregations-, Überfremdungs-, Bildungs- und Ökonomiediskurs) dominieren in der Wahrnehmung visueller Mehrsprachigkeit? • Welche Motivlagen sind kennzeichnend für die Sprachenwahlen in öffentlichen Einrichtungen und privater Akteure (Geschäftsinhaber, Restaurantbesitzer etc.)? Folgende Kategorien wurden für die Beschreibung der Bilddaten verwendet (vgl. Scollon / Scollon 2003, Backhaus 2007) Ort: Stadt und Stadtteil Einrichtung: z. B. Bahnhof, Bürgerbüro, Kita Diskurstyp: infrastrukturell, regulatorisch, kommerziell, kommemorativ, transgressiv, künstlerisch Sprache: z. B. Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch, Polnisch Name: Person, Geschäft, Firma, Gastronomie, Institution, Toponym, Verein Informationsmanagement: komplett, teilweise, erweitert Erscheinungsform: z. B. Aufkleber, Schild, gemalt, gesprüht... Semiotische Kodierung: Text, Bild, Text-Bild-Kombination Größe: -1 m2, -10 m2, -100 m2 Typografie: z. B. Arabisch, Latein Anzahl der Sprachen: monolingual, bilingual, trilingual, multilingual 14 1. EINLEITUNG Mitarbeitern von Kommunalen Integrationszentren und Besitzern von Geschäften und Restaurants, vertiefende Interviews geführt, um die Motive für die Sprachwahlentscheidungen aufzudecken. Diese Daten haben wir umfangreich ausgewertet, und zwar in einer Verknüpfung stadtsoziologischer, linguistischer, semiotischer und integrationstheoretischer Gesichtspunkte. Im Vergleich zur bisherigen Linguistic-Landscape-Forschung ist unser Projekt sehr viel stärker interdisziplinär angelegt, es beruht auf einer erheblich umfangreicheren Datenbasis, und es nutzt unterschiedliche Datentypen (Bevölkerungsstatistik, Fotos, Vor-Ort-Interviews, Telefoninterviews). 6. An wen richtet sich dieser Atlas? Mit diesem Atlas präsentieren wir besonders interessante Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojekts, in dem Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler, Migrationsforscher und Soziologen zusammenarbeiteten. Daraus sind zahlreiche wissenschaftliche Vorträge und Veröffentlichungen hervorgegangen, die sich vorrangig an ein akademisches Publikum richten (und am Ende dieses Bandes genannt werden). Wissenschaft ist aber nicht nur für Insider da, sondern dient auch der gesamten Gesellschaft. Deshalb stützt sich dieser Band auf solide wissenschaftliche Forschungen, stellt wichtige Ergebnisse aber auf eine Weise dar, die auch einer breiteren Öffentlichkeit verständlich ist. Sie, unsere Leserinnen und Leser, müssen also keinerlei Vorkenntnisse mitbringen, sondern nur Interesse am Thema. 7. Wie lässt sich dieses Buch nutzen? Die verschiedenen Themen und Unterthemen werden in Kapiteln und Teilkapiteln auf je einer oder manchmal auch mehreren Doppelseiten präsentiert. Dabei verweisen Texte, Bilder, Grafiken, Tabellen und Karten wechselseitig aufeinander. Zwar folgen die Kapitel einer logischen Reihenfolge. Doch steht jedes auch für sich und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. So kann man den Band auch einfach durchblättern, einzelne Doppelseiten betrachten und in beliebiger Auswahl und Reihenfolge lesen und anschauen. Das Inhaltsverzeichnis gibt einen detaillierten Überblick über das Gesamtwerk und ermöglicht einen schnellen Einstieg in alle Kapitel und Teilkapitel. Abb. 1.4: ADANA KEBAP HAUS 1.1 VISUELLE MEHRSPRACHIGKEIT IM ÖFFENTLICHEN RAUM DES RUHRGEBIETS 15 1.2 Metropole Ruhr Die Metropole Ruhr ist mit über 5 Millionen Einwohnern nach der Île-de-France, Moskau, Greater London und Istanbul die fünftgrößte Metropolregion in Europa. Sie liegt im Westen Deutschlands im Zentrum von Nordrhein-Westfalen. Wenn in diesem Atlas von der Metropole Ruhr oder vom Ruhrgebiet die Rede ist, dann sind aus pragmatischen Gründen die Städte und Kreise gemeint, die Mitglied im Regionalverband Ruhr (RVR) sind. Ende des Jahres 2013 war Dortmund mit 575 944 Einwohnern die größte kreisfreie Stadt, die kleinste Bottrop mit 116 055. In den vier Fallstudienstädten des Projektes »Metropolenzeichen« Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund wohnen zusammengenommen etwa 1,99 Millionen Einwohner, das sind knapp 40 Prozent der Einwohner der Metropole Ruhr. Anders als beispielsweise Greater London ist das Ruhrgebiet nicht auf ein Zentrum fokussiert, sondern polyzentrisch strukturiert. Es besteht aus 11 kreisfreien Städten, 4 Kreisen und 42 kreisangehörigen Städten und Gemeinden. Diese kleinteilige Struktur schafft vielschichtige situative Identitäten der Bewohnerinnen und Bewohner des Ruhrgebietes, die von Stadtteilverbundenheit (»Made in Marxloh«), über regionale Absetzungsbewegungen an den Rändern (»Dortmund, die westfälische Metropole«, vgl. Münter / Prossek 2011: 207) bis hin zu einer durch »Historisierung und Ästhetisierung« geprägten Identifikation mit der Industriekultur reichen können (Schneider / Prossek 2009: 35). Zentral im Ruhrgebiet liegen die vier kreisfreien Städte Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund, die Forschungsgegenstand unseres Projektes sind. Sie reihen sich entlang der A 40 bzw. B 1, dem früheren Hellweg, von West nach Ost aneinander. Alle vier Städte wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts von der Entwicklung der Montanindustrie geprägt. Auch wenn die Zechen in diesen Städten schon lange stillgelegt sind (vgl. Strohmeier et al. 2015), wurden diese Städte in ähnlicher Weise von den Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels geprägt (Bogumil et al. 2012). Dazu gehört auch eine starke Prägung der Bevölkerungsstruktur durch Zuwanderung, die schon beim sprunghaften Wachstum der Bevölkerung im 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dortmund Dortmund Bochum Bochum Duisburg Duisburg Essen 0 10 20 30 40 km Abb. 1.2.1: Bevölkerung der kreisfreien Städte und Kreise im RVR (31.12.2013) Fallstudienstädte hervorgehoben. Durchmesser der Kreise proportional zur Einwohnerzahl. Quelle: Daten IT NRW 16 1. EINLEITUNG Essen 0 10 20 30 Anteil der Deutschen Anteil der Nichtdeutschen 40 km Abb. 1.2.2: Anteile Deutsche und Nichtdeutsche der kreisfreien Städte und Kreise im Ruhrgebiet (31.12.2013) Durchmesser der Torten proportional zur Bevölkerungszahl. Quelle: Daten IT NRW 1.2 METROPOLE RUHR 17 Spanien 1,43 % 1,54 % 1,49 % rlande ,8 6 1% n1 % 2, lg 2,6 ar ien % 17 Serbie änie ien 66 % 1,8 tio o Rum sn okk tien era ov Bo Ukraine Niede Mar a Kro d Fö s Ko • Staatsangehörige der Russischen Föderation und der Ukraine. he isc • Staatsangehörige von EU-Mitgliedsländern (Niederlande, Rumänien und Bulgarien) und ss • einige Länder bzw. deren Nachfolgestaaten, die mit der Bundesrepublik Anwerbeabkommen abgeschlossen hatten (z.B. Italien, Griechenland, Marokko, aber auch Serbien, Kosovo oder Mazedonien), Bu o 1, Ab 1995 war bereits die 2013 vorliegende Reihung der Fallstädte des Projektes »Metropolenzeichen« sichtbar: Duisburg ist, gemessen am Anteil der Nichtdeutschen in der Bevölkerung, am stärksten migrationsgeprägt, gefolgt von Dortmund, Essen und Bochum. Hinter der Sammelkategorie »Nichtdeutsche« verbirgt sich aber auch auf Ebene der Metropole Ruhr eine vielfältige Zusammensetzung an Staatsangehörigkeiten aus aller Welt. Darunter befinden sich zum Teil recht große Gruppen wie die türkischen Staatsangehörigen (35,6 % der Nichtdeutschen im RVR-Gebiet, 214 428 Einwohner Ende 2013) oder die polnischen Staatsangehörigen (8,4 % der Nichtdeutschen, 50 378 Einwohner), aber auch Kleinstgruppen mit zwei bis drei Personen aus Ländern wie Papua Neuguinea oder Lesotho. Unter den 15 größten Gruppen finden sich außerdem: Ru Die Anteile der Nichtdeutschen unterscheiden sich stark zwischen den Kommunen im Ruhrgebiet und liegen zwischen 6 und 8 Prozent in Umlandkreisen, 14 und 16 Prozent in den kreisfreien Städten Duisburg und Gelsenkirchen. Bei den Fallstudienstädten im Projekt »Metropolenzeichen« liegt der Anteil der Nichtdeutschen zwischen knapp 9 Prozent in Bochum und knapp über 16 Prozent in Duisburg, so dass die Auswahl gut das Spektrum der Migrationsprägung der kreisfreien Städte des Ruhrgebiets abdeckt. Der Anteil der Nichtdeutschen ist in allen vier Städten 2013 im Vergleich zu 1987 angestiegen. Der Anstieg lag zwischen drei Prozentpunkten in Bochum und knapp sechs in Dortmund. In Duisburg lag der Anteil der Nichtdeutschen allerdings schon 1995 bei 17,41 % der Bevölkerung und ging danach zurück, was sich vermutlich auf einen Rückgang des Anteils der türkischen Bevölkerung zurückführen lässt (vgl. Kap. 1.3). 2, 22 % 0% 35 n2 n 3,47 % ,57 So nst ige ,73 % % Griechenland 3,67 % Kommune Einwohner Staatsangehörigkeiten Deutsche Nichtdeutsche Kreis Recklinghausen 613 878 156 91,9 8,1 Dortmund 575 944 171 86,8 13,2 Essen 569 884 170 88,8 11,2 486 855 160 84,0 16,1 457 033 148 93,3 6,7 Kreis Unna 391 622 141 92,9 7,1 Bochum 361 734 166 91,0 9,0 Ennepe-Ruhr-Kreis 322 731 144 92,4 7,6 Gelsenkirchen 257 850 150 85,3 14,7 Oberhausen 209 097 148 88,5 11,5 8 Hagen 185 996 139 86,9 13,1 Hamm 176 048 135 88,8 11,2 4 Mülheim an der Ruhr 166 640 145 88,6 11,4 Herne 154 417 129 87,4 12,6 Bottrop 116 055 116 91,9 8,1 16 12 0 Duisburg 1995 Essen 2002 2013 Bochum Dortmund Abb. 1.2.3: Entwicklung des Anteils der Nichtdeutschen in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund 1987 – 2013 Quelle: Daten IT NRW (AZR NRW). 18 1. EINLEITUNG len Po 8,3 6% Türkei 1987 2% n 4,7 24,69 % Duisburg Kreis Wesel 20 Italie Abb. 1.2.4: Einwohnerzahl und Anteile Deutsche und Nichtdeutsche der kreisfreien Städte und Kreise im Ruhrgebiet (31.12.2013) Quelle: Daten IT NRW. Fortschreibung Zensus 2011. Abb. 1.2.5: Die 15 größten Gruppen an Nichtdeutschen in der Metropole Ruhr 2013 (in % der Nichtdeutschen) Quelle: Daten IT NRW / AZR NRW. Serbien ohne Kosovo (ab 1.5.2008) 1.2 METROPOLE RUHR 19 In allen Städten und Kreisen im RVR bilden die türkischen Staatsangehörigen die größte Gruppe. Ihr Anteil liegt zwischen gut 2 Prozent der Bevölkerung im Ennepe-Ruhr-Kreis und bis zu knapp 8 Prozent der Bevölkerung in Gelsenkirchen und Duisburg. Die Fallstudienstädte Dortmund, Bochum und Essen haben einen eher mittleren bis niedrigen Anteil an türkischen Staatsangehörigen. Neben der größten Gruppe interessiert uns aber auch die zweitgrößte Gruppe an nichtdeutschen Staatsangehörigen. Überwiegend bilden polnische Staatsangehörige diese Gruppe in den Kommunen. Ihre Bevölkerungsanteile sind in der Regel aber deutlich kleiner als die der türkischen Staatsangehörigen. In Oberhausen, Hagen, dem Ennepe-Ruhr-Kreis und im Kreis Unna bilden italienische Staatsangehörige die zweitgrößte Gruppe. Der Anteilswert der zweitgrößten Gruppe an Nichtdeutschen an der Bevölkerung liegt aber in der Regel deutlich unter dem der türkischen Staatsangehörigen. Dies verweist mit Blick auf die hohe Anzahl an weiteren Nationalitäten auf die große Diversität in der Bevölkerung, auch wenn auf dieser Betrachtungsebene die deutschen Staatsangehörigen immer noch die größte Gruppe stellen. Polen Polen Polen Polen Italiener Polen Polen Polen Polen Italiener Polen Polen Polen 1,5–1,8 % Dortmund 1,3–1,5 % Bochum Duisburg Essen Italiener 6,7–7,8 % 1,1–1,3 % 0,8–1,1 % 4,3–6,7 % 0,6–0,8 % 3,0–4,3 % 2,1–3,0 % 2,1–2,1 % Abb. 1.2.6: Anteil der türkischen Staatsangehörigen an der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen im Ruhrgebiet (31.12.2013) Quelle: IT NRW – AZR. 20 1. EINLEITUNG 0 10 20 30 40 km Abb. 1.2.7: Anteil der zweitgrößten Gruppe an nichtdeutschen Staatsangehörigen in der Bevölkerung der kreisfreien Städte und Kreise im Ruhrgebiet (31.12.2013) Quelle: IT NRW – AZR. 1.2 METROPOLE RUHR 21 1.3 Migrationsgeschichte: Schichten der Vielfalt nach 1945 Entstehung und Wachstum des Ruhrgebietes im 19. Jahrhundert waren stark geprägt worden von zugewanderten Arbeitskräften und deren Familien. In diesem Abschnitt wird die Entwicklung der Vielfalt der Bevölkerung in den vier Fallstudienstädten Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund des Projektes »Metropolenzeichen« fokussiert und deren besonderes Profil, auch im Vergleich untereinander, herausgearbeitet. Die Zusammensetzung der Bevölkerung in den Fallstädten des Projektes »Metropolenzeichen« unterscheidet sich sowohl was den Anteil der Nichtdeutschen angeht (vgl. Kap. 1.2) als auch hinsichtlich der Größe von Gruppen zwischen den Städten. Auf Basis der Daten aus dem Ausländerzentralregister (AZR) lässt sich die Zusammensetzung der Bevölkerung sehr differenziert nach Staatsangehörigkeiten beschreiben, bis zu 214 sind in dieser Datenquelle erfasst. Wie die großen petrolblauen Flächen der Torten zeigen, haben in der Regel etwa vier Fünftel eine deutsche Staatsangehörigkeit. Die größte Gruppe unter den Nichtdeutschen bilden in allen vier Städten die türkischen Staatsangehörigen. Weiterhin gibt es in allen Städten eine relativ große Gruppe an Sonstigen, die eine Vielzahl weiterer Staatsangehörigkeiten umfasst. Das AZR erlaubt aber keine Aussagen über den Migrationshintergrund der Bevölkerung, vor allem nicht über Personen, die »nur« eine deutsche Staatsangehörigkeit haben und trotzdem zugewandert sind. Im Rahmen des Zensus 2011 wurden Daten zum Migrationshintergrund der Bevölkerung erhoben. Einen Migrationshintergrund haben laut Zensus alle zugewanderten und nicht zugewanderten Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und alle nach 1955 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewanderten Deutschen und alle Deutschen mit mindestens einem nach 1955 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewanderten Elternteil. Vergleicht man die Daten des Zensus 2011 im Ruhrgebiet, so liegt der Anteil an Personen, die selbst oder aufgrund ihres familiären Hintergrunds Wanderungserfahrung haben, zwischen etwa einem Fünftel im Kreis Wesel und knapp einem Drittel in Hagen. Wie ist diese Vielfalt entstanden? Welche Gruppen sind in den letzten 70 Jahren zugewandert und haben im Ruhrgebiet ihre Spuren hinterlassen? 20 35 17,83 % 15,55 % 16 25 12,26 % 12 10,19 % 20 Dortmund 15 8 10 Deutsch 4 Türkisch 0 10 20 30 40 km Abb. 1.3.1: Vielfalt der Bevölkerung in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund 2013 Quelle: IT NRW / AZR. 22 1. EINLEITUNG Sonstige Abb. 1.3.2: Ausgewählte Gruppen Nichtdeutscher in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (2013) Quelle: IT NRW (AZR 2013). ag en g H ur sb ui nk se G el D am irc he n m d H un n ne tm er D or H se Es ül he im m M n se oc hu au rh be O B na p Un is is en us tro Kr e Anteil Nichtdeutscher ot Griechenland B Bulgarien r-K re Sonstige uh Italien -R Rumänien pe Spanien ne Polen ha Türkei el Dortmund ng Bochum W es Essen En Rumänisch 0 Duisburg ck li Bulgarisch 0 is Italienisch Re Polnisch 5 Kr e Essen is Duisburg Kr e Bochum 30 Abb. 1.3.3: Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der Metropole Ruhr (Kreise und kreisfreie Städte) Fallstudienstädte hervorgehoben. Quelle: Zensus 2011. 1.3 MIGRATIONSGESCHICHTE: SCHICHTEN DER VIELFALT NACH 1945 23 Nach 1945 lassen sich im Ruhrgebiet verschiedene Zuwanderungsphasen beschreiben, die unter sehr unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sehr verschiedene Gruppen an neuen Einwohnern ins Ruhrgebiet geführt haben. Mit Hilfe von Querschnittsdaten zu verschiedenen Zeitpunkten lassen sich einige dieser Schichten exemplarisch beschreiben, ohne dass sich daraus Aussagen über Verläufe von Wanderungsprozessen (Verbleib oder Abwanderung ganzer Gruppen) oder die Aufenthaltsdauer von Individuen ableiten lassen. Auch gibt es nicht für alle interessierenden Wanderungsbewegungen passende Daten, daher werden die Entwicklungen anhand einzelner Gruppen stellvertretend beschrieben. Gemeinsam ist diesen Phasen von Zuwanderung, dass sie zu ihrer Zeit eine große Herausforderung an die Stadtgesellschaft darstellten und dass die Zuwanderer in irgendeiner Weise vorübergehend oder dauerhaft Spuren in der sprachlichen Landschaft hinterlassen haben, und seien es nur die Nachnamen ihrer assimilierten Nachkommen in den Telefonbüchern des Ruhrgebietes oder die Straßennamen der Neubaugebiete der Nachkriegszeit. Schicht 1: Zuwanderung von Gastarbeitern: Gekommen, um zu bleiben? Ab Mitte der 1950er Jahre wuchs die Arbeitskräftenachfrage und konnte vor allem nach dem Bau der Mauer 1961 auch nicht mehr nur durch DDR-Flüchtlinge gedeckt werden. Schon 1955 wurde daher das erste Anwerbeabkommen Westdeutschlands mit Italien geschlossen, das an die Anwerbepraxis der Zwischenkriegszeit anknüpfte. Danach folgten Abkommen mit Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und mit Jugoslawien (1968). Dies führte zu einem starken Zuzug von Arbeitskräften nach Westdeutschland, allerdings bei einer erheblichen Fluktuation: zwischen 1955 und 1973 kamen etwa 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland, etwa 11 Millionen kehrten wieder zurück in die Herkunftsländer (Oltmer 2013: 38 f.). Die Bundesregierung stoppte 1973 die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte infolge der Ölkrise und der daraus entstandenen Wirtschaftskrise. Der Aufenthalt ausländischer Arbeitskräfte war ursprünglich nicht auf Dauer angelegt, aber vor allem auch türkische Arbeitskräfte kehrten nicht zurück, sondern holten in den darauf folgenden Dekaden ihre Familienmitglieder ins Ruhrgebiet nach. Metropole Ruhr 1955 Anwerbeabkommen u. a. mit Italien 2004 / 2007 EU-Erweiterungsrunden u. a. mit Polen (2004); Rumänien, Bulgarien (2007) Mit Hilfe des Ausländerzentralregisters (AZR) lässt sich die Zusammensetzung der nichtdeutschen Bevölkerung im Zeitraum 1967 – 1970 analysieren. Der Anteil der Nichtdeutschen lag zwischen 4,3 % in Duisburg und 2,9 % in Bochum. In Duisburg bildeten auch schon zu Beginn der 1970er Jahre die türkischen Staatsangehörigen die größte Gruppe, nicht aber in den anderen Städten. In Bochum waren dies die italienischen Staatsangehörigen, in Essen und Dortmund die Jugoslawen. Neben weiteren Staatsangehörigen von Anwerbeländern (Griechenland und Spanien) gab es in Duisburg noch eine relativ große Gruppe an Niederländern, wohl auch wegen der Nähe zur Grenze zum Nachbarland. Die Gruppe der Sonstigen lässt sich nicht weiter differenzieren, auch über die Gesamtzahl der Staatsangehörigkeiten lässt sich mit diesen Daten keine Aussage machen. 15 10 5 0 1970 Duisburg 1995 1987 Essen 2002 Bochum 2013 Dortmund Abb. 1.3.7: Anteil türkischer Staatsangehöriger an der Bevölkerung in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (1970 – 2013) 1970 Gebietsstand vor der Gebietsreform 1976, Bochum und Wattenscheid zusammengefasst. Quelle: AZR 1970 – 2013. 14 14 12 12 10 10 8 8 6 6 13,2 % 9,7 % Sonstige 6,4 % 7,2 % Spanien Griechenland Niederlande 4,3 % 4 3,3 % 3,7 % 2,9 % 2 1961 Anwerbeabkommen mit der Türkei 2011 Beginn des Bürgerkriegs in Syrien Abb. 1.3.4: Schichten der Vielfalt 24 1. EINLEITUNG 0 4 Italien 2 Duisburg Anteil Nichtdeutscher Essen Bochum Dortmund Abb. 1.3.5: Ausgewählte Gruppen Nichtdeutscher in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (1967 – 1970) Quelle: AZR, zusammengefasste Werte 1967 – 1970, Gebietsstand vor der Gebietsreform 1976. Bochum und Wattenscheid zusammengefasst. 0 Jugoslawien Türkei Duisburg Essen Bochum Dortmund Abb. 1.3.6: Ausgewählte Gruppen Nichtdeutscher in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (1987) Quelle: AZR 1987. 1.3 MIGRATIONSGESCHICHTE: SCHICHTEN DER VIELFALT NACH 1945 25 Im Vergleich der Städte wird wieder die besondere Stellung der Stadt Duisburg als Schwerpunkt türkischer Staatsangehöriger deutlich. In allen vier Städten lässt sich bis 1995 eine Zunahme des türkischen Bevölkerungsanteils beobachten, aber auch in diesem Zusammenhang hat Duisburg eine Sonderstellung, denn hier wird der Höchstwert von zehn Prozent der Bevölkerung erreicht. Ab 1995 sinken die Anteile mehr oder weniger deutlich. Die wichtigsten Ursachen dafür dürften zunehmende Einbürgerungen und Rückwanderung von türkischen Staatsangehörigen sein. Die Veränderung des Staatsbürgerschaftsrechts in Deutschland ab dem Jahr 2000 führte zusätzlich dazu, dass die Gruppe nicht weiter wuchs. In Deutschland geborene Kinder nichtdeutscher Eltern erhielten seitdem die deutsche Staatsbürgerschaft und tauchten im AZR im Gegensatz zu ihren Eltern nicht auf. Die türkische Zuwanderungsgeschichte im Ruhrgebiet lässt sich in vier Phasen einteilen (Ulusoy 2013), die ähnlich wahrscheinlich auch bei anderen Gruppen an Arbeitsmigranten beobachtbar waren: • Gastarbeiterphase (1961 – 1973) • Hoffnung-auf-Rückkehr-Phase (1974 – 1985) • Phase des Wurzelschlagens (1986 – 2005) und • Transmigrationsphase (ab 2006). Diese Phasen können nicht exakt voneinander abgegrenzt werden, aber jede wird von einer unterschiedlichen Lebensorientierung und einer unterschiedlichen Dauerhaftigkeit des Migrationsprozesses geprägt (Ulusoy 2013: 67). Die Transmigrationsphase unterscheidet sich von den anderen durch neue Formen zirkulärer Migration nicht nur der Rentner der Gastarbeiter-Generation, die phasenweise in der Türkei oder Deutschland leben, sondern auch der gut ausgebildeten und hochqualifizierten »Deutschtürken«, die abwechselnd in Deutschland und der Türkei leben und arbeiten (Ulusoy 2013: 74). Vergleicht man im selben Zeitraum die Entwicklung der Gruppe der italienischen Staatsangehörigen in den vier Städten, wird noch einmal der deutlich niedrigere Anteil der italienischen Staatsangehörigen an der Bevölkerung sichtbar, der im gesamten Zeitraum in allen Städten unter 1 % lag. In Duisburg und Dortmund stieg der Anteil bis 1987 an, um danach stufenweise zu sinken. In Bochum sank er schon 1987 und 1995 im Vergleich zu 1970 deutlich, um dann auf einem niedrigen Niveau stabil zu bleiben. In Essen waren die Veränderungen im gesamten Zeitraum relativ unbedeutend. Italienische Gastarbeiter hatten bereits ab 1955 die Möglichkeit nach Deutschland zu kommen. Ab 1961 waren Italiener nicht mehr an Anwerbeabkommen gebunden, da die Staatsangehörigen des EWG-Mitglieds Italien ab diesem Jahr Freizügigkeit im Binnenmarkt genossen. Wie auch bei den türkischen Zuwanderern ebbte die Zuwanderung von Arbeitsmigranten ab Mitte der 1970er Jahre ab, und der Familiennachzug nahm zu (Kolb 2013). Die Arbeitsmigranten der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik und ihre Nachkommen prägen bis heute das Bild der Diversität des Ruhrgebietes, insbesondere die türkische Community ist besonders gut sichtbar, was visuelle Mehrsprachigkeit angeht. Viele Angehörige der ersten Gastarbeiter-Generation sind gekommen und geblieben, auch wenn diese Entscheidung bei ihrer ersten Einreise noch nicht so klar gewesen sein dürfte. Schicht 2: Auswirkungen der EU-Erweiterungen 2004 und 2007: Polen, Bulgaren und Rumänen in der Metropole Ruhr 2,0 2,0 1,8 1,8 1,6 1,6 1,4 1,4 1,2 1,2 1,0 1,0 0,8 0,8 0,6 0,6 0,4 0,4 0,2 0,2 0 1970 Duisburg 1995 1987 Essen 2002 Bochum 2013 Dortmund Abb. 1.3.8: Italienische Staatsangehörige in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (1970 – 2013) 1970 Gebietsstand vor der Gebietsreform 1976. Bochum und Wattenscheid zusammengefasst. Quelle: AZR 1970 – 2013. 26 1. EINLEITUNG Neben der vertraglich initiierten Arbeitsmigration waren die Erweiterungen der Europäischen Union nach Osten 2004 (Beitritt von Polen, den baltischen Staaten, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien) und Südosten 2007 (Beitritt von Rumänien und Bulgarien) ein weiterer wichtiger Impuls für die Zuwanderung ins Ruhrgebiet. Auch wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürgerinnen und Bürger der neuen EU-Länder bei beiden Erweiterungsrunden zunächst für einige Jahre beschränkt war, prägen diese Gruppen zunehmend auch das Bild der Vielfalt der Bevölkerung im Ruhrgebiet. Die Zuwanderung der sog. Ruhrpolen war im 19. Jahrhundert ein entscheidender Faktor für Wachstum und Entwicklung des Ruhrgebietes. Wie schon in Kapitel 1.2 gezeigt, stellen die polnischen Staatsangehörigen heute die zweitgrößte Migrantengruppe in der Metropole Ruhr und in den Fallstudienstädten des Projektes »Metropolenzeichen«. Damit sind nicht die vielen Spätaussiedler gemeint, die ab den 1980er Jahren aus Polen nach Deutschland kamen, denn diese bekamen die deutsche Staatsangehörigkeit und tauchen, auch wenn sie zum Teil weiterhin eine polnische Staatsangehörigkeit haben, in unseren Daten nicht auf. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 trat am 17.06.1991 der Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag in Kraft, der eine erste Grundlage für Austausch und Wanderung zwischen beiden Ländern legte. Allerdings nahm erst nach dem EU-Beitritt Polens 2004 die Zuwanderung polnischer Staatsangehöriger nach Deutschland spürbar zu, noch einmal verstärkt nach dem Wegfall aller Freizügigkeitsbeschränkungen ab 2011 (Kilgus 2013). Dies ist auch im Vergleich der vier Fallstädte sichtbar, auch wenn die Erhebungsjahre nicht ganz synchron zu den genannten Eckdaten liegen. 0 1995 2002 Duisburg 2006 2007 Essen 2008 2009 2010 Bochum 2011 2012 2013 Zunächst lag der Anteil polnischer Staatsangehöriger in Duisburg deutlich über dem der anderen Städte, sank dann bis 2002, um bis 2013 wie in den anderen Städten wieder stark zuzunehmen. Den höchsten Anteil polnischer Staatsangehöriger gab es 2014 in Dortmund mit einem Anteil von 1,6 % an der Bevölkerung, den niedrigsten in Bochum mit 0,9 %. Dortmund war lange Zeit eine Art Hochburg polnischer Staatsangehöriger im Vergleich unserer Fallstädte, ab 2012 sinkt aber ihr Anteil an der Bevölkerung und nähert sich wieder den anderen Städten an. 2014 Dortmund Abb. 1.3.9: Polnische Staatsangehörige in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (1995 – 2014) Quelle: AZR 1995 – 2014. 1.3 MIGRATIONSGESCHICHTE: SCHICHTEN DER VIELFALT NACH 1945 27 Die polnischen Staatsangehörigen stellen in allen vier Fallstudienstädten die zweitgrößte Gruppe an Nichtdeutschen, allerdings ohne dass sie hinsichtlich ihrer sprachlichen Präsenz das Bild der visuellen Mehrsprachigkeit besonders prägen würden (vgl. Kap. 3.4.5). Zwei weitere Gruppen an EU-Zuwanderern wachsen in den letzten Jahren deutlich in den untersuchten Städten des Ruhrgebietes. Ein Schwerpunkt der Zuwanderung von Rumänen liegt seit 2012 in Duisburg mit einem Bevölkerungsanteil von 1,2 % 2014. Ab dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2007 steigt der Anteil der Staatsangehörigen zunächst vor allem in Dortmund auf etwa 0,3 % der Bevölkerung, um 2014 nach Erlangung der vollen Freizügigkeit für Rumänen sprunghaft weiter anzusteigen. Dieser Effekt ist im Prinzip bei allen vier Städten zu beobachten, wenn auch von einem jeweils unterschiedlichen Ausgangsniveau aus. Insbesondere in Essen und Bochum ist die Dynamik zunächst gering, ab 2012 war aber auch dort eine stärkere Zuwanderung zu beobachten. Auch bei bulgarischen Staatsangehörigen war Duisburg ein bevorzugtes Zielgebiet für Zuwanderung, stetig stieg seit 2007 der Anteil bis auf 1,3 % der Bevölkerung 2014. Einen deutlich niedrigeren, aber relativ stabilen Anteil bulgarischer Staatsangehöriger (0,3 %) gab es in Dortmund. In Essen und Bochum ist die Entwicklung der Zuwanderung aus Südosteuropa insgesamt aber eher unauffällig. Schicht 3: Globalisierung und Konflikt: Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0 2006 2007 Duisburg 2008 2009 Essen 2010 2011 Bochum 2012 2013 2014 Dortmund Abb. 1.3.10: Rumänische Staatsangehörige in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (2006 – 2014) Quelle: AZR 2006 – 2014. 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0 2006 2007 Duisburg 2008 Essen 2009 2010 2011 Bochum Abb. 1.3.11: Bulgarische Staatsangehörige in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (2006 – 2014) Quelle: AZR 2006 – 2014. 28 1. EINLEITUNG 2012 Dortmund 2013 2014 Infolge von Demonstrationen gegen das Regime brach 2011 der Bürgerkrieg in Syrien aus. Laut Schätzung des UNHCR haben von 22 Millionen Einwohnern des Landes ca. 5,5 Millionen das Land verlassen. Die meisten flüchteten in die Nachbarländer Türkei, Jordanien und Libanon. Nicht erst seit der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen im Jahr 2015 nimmt auch im Ruhrgebiet der Bevölkerungsanteil der Syrer stetig zu. Nachdem die Anteile der syrischen Staatsangehörigen in der Bevölkerung bis 2011 relativ konstant waren, stiegen sie in allen vier Städten danach sprunghaft an. Im Vergleich zu 2014 haben sich die Zahlen der Syrer in den vier Städten 2015 noch einmal verdoppelt (ohne Abbildung), so dass die Gruppe Ende 2015 beispielsweise in Bochum oder Dortmund bereits größer war als die der Rumänen und Bulgaren. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schichten ist Duisburg für die syrischen Staatsangehörigen bisher kein Hauptzielgebiet, sondern eher Dortmund. Die Daten des AZR geben keine Auskunft über den rechtlichen Status der syrischen Staatsangehörigen im Ruhrgebiet. Es ist aber davon auszugehen, dass sich darunter in großer Zahl antragstellende und anerkannte Asylbewerber sowie Personen mit subsidiärem Schutz befinden. Niemand kann zurzeit sagen, ob es noch deutlich mehr werden, ob diese Menschen weiterziehen oder bleiben, um hier zu leben und zu arbeiten. Das Beispiel der Syrer zeigt eindrucksvoll, wie stark und schnell die Vielfalt in der Metropole Ruhr auch von der Dynamik der weltpolitischen Entwicklung beeinflusst wird. Sicher wird diese neue Gruppe auch bald ihre Spuren in der visuellen Mehrsprachigkeit der Städte hinterlassen. Globalisierung und Konflikte in anderen Weltgegenden wirken sich auch im Ruhrgebiet auf die Zusammensetzung der Bevölkerung aus. Aus einer regionalen Perspektive lässt sich diese Zuwanderung nicht kontrollieren oder verhindern. Politische Entscheidungen, die Zuwanderung ermöglichen, werden auf anderen politischen Ebenen getroffen (Bund, Land, EU), Kommunen haben darauf in der Regel keinen Einfluss. Die Ortsgesellschaft im Ruhrgebiet ist wie auch in den letzten 70 Jahren immer wieder in ihrer Fähigkeit zur Integration gefragt. 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0 2006 2007 Duisburg 2008 Essen 2009 2010 2011 Bochum 2012 2013 2014 Dortmund Abb. 1.3.12: Syrische Staatsangehörige in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund (2006 – 2014) Quelle: AZR 2006 – 2014. 1.3 MIGRATIONSGESCHICHTE: SCHICHTEN DER VIELFALT NACH 1945 29 1.4 Vielfalt und demografischer Wandel Der demografische Wandel in der Gesellschaft führt nicht nur zu einer Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung in bestimmten Regionen Deutschlands, sondern in den Ballungsräumen wie der Metropole Ruhr auch zu einer wachsenden Vielfalt der Zusammensetzung besonders der jüngeren Jahrgänge, die aber oft unter Armutsbedingungen aufwachsen (Strohmeier 2008: 492 ff.). Besonders bei Kindern und Jugendlichen wächst in den Großstädten der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund. Der Anteil an Personen in dieser Altersgruppe, die selbst oder aufgrund ihres familiären Hintergrunds Wanderungserfahrung haben, liegt am höchsten in Hagen und am niedrigsten im Kreis Wesel. Im Vergleich der Fallstädte ergibt sich die bekannte Reihenfolge der Migrationsprägung auch bei diesem Merkmal: an der Spitze Duisburg (44,75 %), dann Dortmund (40,5 %) und Essen (38,3 %) und mit einem etwas niedrigeren Anteil Bochum (36,3 %). 50 45 40 35 30 25 20 15 10 Die relativ starke Migrationsprägung der unter 18jährigen in Duisburg lässt sich auch an der Verteilung der Vornamen für in den Jahren 2012 bis 2015 geborene Jungen und Mädchen ablesen. Bei der Namenswahl für Jungen und Mädchen ist das Bild der Gesellschaft vielfältiger geworden. War bis Ende des 20. Jahrhunderts die Entwicklung der Namensgebung von Säkularisierung und Individualisierung geprägt (Gerhards 2010), ist der häufigste Mädchenname in Duisburg der Jahrgänge 2012 bis 2015 Elif. Neben den vielen Mädchen mit Namen wie Mia und Emma, die auch in dieser Zeit geboren wurden, gibt es noch einige Mädchen, die Zeynep, Nisa und Medina heißen. Auch wenn wir aufgrund der Namen der Kinder noch gar nicht sicher wissen, ob die Eltern einen Migrationshintergrund haben, spricht bei bestimmten Vornamen doch vieles dafür. Wer seinen Sohn Emir oder Yussuf oder seine Tochter Elif oder Zeynep nennt, entscheidet sich gegen einen Namen, der in der Aufnahmegesellschaft verbreitet ist wie Maximilian oder Emma, und für einen Namen, der mit der Herkunftsgesellschaft assoziiert ist, und das noch häufiger, wenn Eltern segregiert leben, also in Wohngebieten mit einer ähnlichen Bevölkerungszusammensetzung. Eltern betrachten die Namensgebung ihrer Kinder also eher als Aufrechterhaltung ihrer Herkunft, als dass sie sich an die Ankunftsgesellschaft anpassen würden (Gerhards / Hans 2009: 1124). Gleichzeitig sind auch Namen ein Teil der visuellen Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr, wenn sie auf Schildern stehen (vgl. Kap. 3.5). 5 ag en n nk G el se H ur irc he g m sb ui D am ne er un H H d n tm p se or D Es m tro ot B oc hu rh be O B se n na au Un im is he Kr e en us ül M ha ng Kr e is Re ck li -R pe En ne Kr e is uh W es r-K re is el 0 Abb. 1.4.1: Anteil der unter 18jährigen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Metropole Ruhr Fallstudienstädte hervorgehoben. Quelle: Zensus 2011. 30 1. EINLEITUNG 1.4 VIELFALT UND DEMOGRAFISCHER WANDEL 31 Abb. 1.4.2: Die häufigsten Vornamen für Mädchen und Jungen in Duisburg 2012–2015 Quelle: Angaben der Städte 2012–2015. 32 1. EINLEITUNG 1.4 VIELFALT UND DEMOGRAFISCHER WANDEL 33 1.5 Sprache und Beheimatung Fragen der Integration von Zuwanderern, also der gleichberechtigten Teilhabe an den zentralen gesellschaftlichen Ressourcen, fokussieren häufig den strukturellen Bereich von Integration (d.h. Arbeitsmarkt, Bildung, politische Partizipation); hingegen werden die soziale und kulturelle Integration oft eher vernachlässigt. Auch wenn nicht geleugnet werden kann, dass die strukturelle Dimension die für die Daseinsbewältigung bedeutendste ist, so ist doch festzuhalten, dass die Facetten gesellschaftlicher Integration nicht angemessen verstanden werden können, wenn kulturelle, soziale und identifikatorische Momente zu kurz kommen. Auf die unterschiedlich starken Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Dimensionen ist Hartmut Esser bereits 2001 eingegangen und hat sie anhand von SOEP-Daten (Sozio-ökonomische Panel-Daten) empirisch belegt, so etwa den Zusammenhang von Sprachkenntnissen und Arbeitsmarktbeteiligung. Jedoch widmet sich der Großteil der empirischen Integrationsforschung, die die Mehrsprachigkeit von Zuwanderern untersucht, eher der funktionalen, alltagspragmatischen Dimension der Sprache (Bildungs- und Berufserfolg), weniger aber der ästhetisch expressiven sowie der identifikatorischen Dimension. Und wenn Mehrsprachigkeit thematisiert wird, so konzentriert man sich vorrangig auf den familialen oder den Bildungskontext, weniger aber auf den öffentlichen Raum. Genau auf diese Lücke wollen wir eingehen und zeigen, dass Konzepte wie »Zugehörigkeit« und »Beheimatung« sowie ihre Symbolisierung in und mit Sprache im öffentlichen Raum sowohl inhaltlich bedeutsam sind als auch sinnvoll analysiert werden können. Denn (unterschiedliche) Sprachbeherrschung ist nicht allein für Bildungserfolg zentral; grundlegender noch ist die Einsicht, dass Sprache das bevorzugte Mittel bildet, mit dessen Hilfe sozialisierende Vorgänge eingeleitet und vermittelt sowie soziale Wirklichkeiten konstruiert und in sprachlichen Inhalten internalisiert werden. Insofern spielt die Muttersprache bzw. die Erstsprache bereits eine entscheidende Rolle bei der Identitätsbildung jedes einzelnen Menschen. Der primäre Spracherwerb geschieht zwar stets in einem familialen-kulturellen Umfeld; diese sprachlichen Zeichen sind die ersten, die das Kind hört und sieht, doch erfahren diese in der Regel eine Fortsetzung im öffentlichen Raum. Das Symbolsystem einer Sprache lässt sich nicht ohne die spezifischen Einstellungen des dazugehörigen sozialen Umfeldes übernehmen. Und die Muttersprache bzw. Erstsprache gilt sowohl in der Selbst- wie in der Fremdzuschreibung als ein wichtiges Kennzeichen ethnischer bzw. kultureller Identität. Sie im Laufe der Sozialisation, so etwa in der Kita, in der Schule, im alltäglichen öffentlichen Raum, bewusst abzulehnen, zu leugnen oder »unsichtbar« zu machen, hat negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl: Ein zentraler Aspekt der eigenen Identität erfährt eine Entwertung. Hingegen signalisiert die öffentliche Anerkennung und Sichtbarkeit der Erstsprache auch eine Anerkennung der jeweiligen kulturellen Bezugssysteme und ihrer Träger und erleichtert die Beheimatung und Identifikation mit der Region und der Mehrheitsgesellschaft. Die Person erfährt ihre Umwelt als vertraut und heimisch, kann anknüpfen an biografisch bekannte Muster, erfährt sich als handlungsmächtig und die Umwelt als kontrollierbar; insbesondere für Neuzuwanderer werden dadurch auch die transnationalen Beziehungen (zwischen Herkunfts- und Ankunftskultur) gestärkt. 34 1. EINLEITuNG Vor diesem Hintergrund erweist sich Mehrsprachigkeit nicht als ein Makel (als eine zu vermeidende Andersheit), sondern als eine Ressource, weil sie den Akkulturations-Stress von Minderheiten beträchtlich verringert. Ferner ist eine wertgeschätzte und öffentlich artikulierte Mehrsprachigkeit als ein besonderer Beitrag zur gesellschaftlichen Inklusion zu verstehen; denn mit der Akzeptanz von Mehrsprachigkeit ist auch die kulturelle Praxis und Lebensform der »Anderen« impliziert (Hoffmann 2011). Und umgekehrt zeigt sich: Anerkennungsverweigerung bzw. erfahrene Diskriminierungen senken die Motivation und die Bereitschaft, positive Einstellungen zur Mehrheitskultur zu bilden und die Sprache der Mehrheitskultur zu erwerben. Eine ausgeglichene Haltung zur eigenen wie zur Zweitsprache hat z. B. bei Kindern mit Zuwanderungsgeschichte zugleich positive Auswirkungen auf den Zweitspracherwerb. Eine ablehnende Haltung zur Zweitsprache, aber auch eine die eigene Sprache ablehnende oder eindeutig die Fremdsprache favorisierende Haltung mindert im Schulkontext auch den Lernerfolg in der Zweitsprache bzw. zeigt nicht den erwarteten Lernerfolg (Kuhs 1989). Die Frage der Beheimatung durch die Präsenz der Sprache im öffentlichen Raum stellt sich natürlich auch aus der Sicht der deutschen Muttersprachler als Sprecher der Sprache der Mehrheitskultur. Dabei müssen zwei Kontrastperspektiven unterschieden werden, die der äußeren Mehrsprachigkeit und die der inneren Mehrsprachigkeit. Je nachdem, aus welcher Perspektive wir die Frage betrachten, haben wir es mit einer anderen Form von Heimat zu tun. Aus der Perspektive der äußeren Mehrsprachigkeit steht das Deutsche als Standardsprache in einem Kontrast zu den fremden Sprachen, d. h. Heimat als Bezugsgröße ist Deutschland (gegenüber dem »Ausland« bzw. den »Ausländern« im eigenen Land). Da das Deutsche die sichtbare Sprachlandschaft in nahezu allen Vorkommensbereichen unserer Untersuchung eindeutig dominiert, könnte man von einer sprachlichen »Rundum-Beheimatung« sprechen. In einigen Bereichen allerdings erreichen andere Sprachen – das Englische, das Türkische – einen Anteil, der der Dominanz des Deutschen bedrohlich wird, was aus der Sicht der deutschen Muttersprachler zu einer »Befremdung« führen könnte. Aus der Perspektive der inneren Mehrsprachigkeit steht die deutsche Standardsprache in einem Kontrast zu lokal oder regional gebundenen Varietäten, in unserem Fall konkret zum Ruhrdeutschen, d. h. Heimat als Bezugsgröße ist in diesem Fall das Ruhrgebiet (gegenüber Deutschland als Ganzem). In der Forschung wird vielfach auf die Bedeutung von Dialekten und Regiolekten für eine »sprachlich symbolisierte regionale Identität« (Löffler 1998: 79) als Gegengewicht zu einer nationalstaatlichen oder gar europäischen Identität hingewiesen. Diese Bedeutung kommt aber wohl hauptsächlich der gesprochenen Form dieser Nonstandard-Varietäten zu, deren Hörbarkeit zumindest im Ruhrgebiet mehr zur regionalen Beheimatung beiträgt als ihre Sichtbarkeit, die überraschend gering ist, wie im Kapitel zum Ruhrdeutschen (3.4.6) deutlich wird (vgl. auch Ziegler / Schmitz / Eickmans 2017). 1.5 SPRACHE uND BEHEIMATuNG 35 2. ERHEBUNGS GEBIETE 2.1 Lage, Typ und Funktion der Erhebungsgebiete Im Projekt »Metropolenzeichen« wurden aus vier Großstädten im Ruhrgebiet jeweils zwei Stadtteile als Erhebungsgebiete zur fotografischen Dokumentation visueller Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum ausgesucht. Je ein Stadtteil pro Stadt sollte nördlich, der andere südlich des »Sozialäquators A 40« liegen (zum Begriff vgl. Kersting et al. 2009). In diesem Kapitel werden die acht Erhebungsgebiete vorgestellt. In Kapitel 2.1 geht es um Lage, Typ und Funktion der Stadtteile im Zusammenhang der Stadt, also um die Verortung der Erhebungsgebiete. In Kapitel 2.2 wird die Zusammensetzung der Bevölkerung vorgestellt. Die Vielfalt der Bevölkerung ist ein wesentlicher Faktor für die Struktur sichtbarer Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum. Kapitel 2.3 zeigt am Beispiel der Stadt Bochum, dass Siedlungsstrukturen auch über einen Zeitraum von fast 30 Jahren relativ konstant bleiben. Die Prägung von Stadtteilen durch Zuwanderung hat also eine lange Geschichte, die eng verbunden ist mit dem Auf- und Abstieg der Montanindustrie in diesem Raum. Nordstadt Marxloh Hamme Duisburg Altendorf Langendreer Dortmund Hörde Bochum Innenstadt Rüttenscheid Essen 0 10 20 30 40 km Abb. 2.1.1: Alle Erhebungsgebiete im Überblick 38 2. ERHEBUNGS GEBIETE 2.1 LAGE, TYP UND FUNKTION DER ERHEBUNGSGEBIETE 39 Duisburg-Marxloh Duisburg-Innenstadt Der Stadtteil DU-Marxloh liegt einige Kilometer nördlich des Stadtzentrums und wird durch das Gebiet des Binnenhafens vom Stadtzentrum getrennt. Der Stadtteil grenzt im Westen an das ThyssenKrupp-Werksgelände. Abbildung 2.1.2 zeigt das Erhebungsgebiet der fotografischen Dokumentation von visueller Mehrsprachigkeit in DU-Marxloh. Jeder Punkt steht für ein Foto. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Weseler Straße zwischen Dahlmannstraße im Südosten und der Schmelzerstraße im Nordwesten. Die Weseler Straße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (Beckmann / Stein 2010a). Eine überlokal bekannte Besonderheit ist die hohe Dichte an Geschäften mit Bezug zu türkischen Hochzeiten (Hochzeitsmode, Juweliere, Gastronomie). Der Stadtteil Marxloh erfüllt laut Einzelhandelsplan der Stadt Duisburg zusammen mit dem südöstlich anschließenden Gebiet des Stadtteils Hamborn die Funktion eines zweiten Hauptzentrums neben der Duisburger Innenstadt, d. h. die Geschäftsstruktur zieht Kunden aus ganz Duisburg und regional angrenzenden Kommunen an. Das Erhebungsgebiet Innenstadt liegt im Stadtzentrum von Duisburg und umfasst die Haupteinkaufsstraße Königsstraße im Norden. Das Gebiet wird begrenzt von der Düsseldorfer Straße im Westen, der Mercatorstraße im Osten und der Friedrich-WilhelmStraße im Süden. Das Erhebungsgebiet ist geprägt von der zentralen Fußgängerzone und der sich darum gruppierenden Einzelhandels-, Gewerbe-, Gastronomie- und Dienstleistungsstruktur, die typisch für das Stadtzentrum einer Großstadt ist. Laut dem Einzelhandels- und Zentrumskonzept ist die Innenstadt der größte wie auch funktional bedeutendste Versorgungsbereich (Beckmann / Stein 2010b) in Duisburg. Das Einzugsgebiet bildet die ganze Stadt, ggf. geht es sogar darüber hinaus, da die Innenstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut zu erreichen ist. Lage Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Lage Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Nördlich der Innenstadt altindustriell Einzugsgebiet Gesamtstadt 7,6 15 330 1236 Innenstadt Stadtzentrum Einzugsgebiet Gesamtstadt 2,6 13 821 5624 Willy-Brandt-Ring rb Wa kst ruc raß Lan e dfe rm ann stra ße 59 e traß ors 59 Me rca t Düsse 59 ldorfe r Stra ße Wa rb ruc kst raß e 59 Abb. 2.1.2: Erhebungsgebiet Duisburg-Marxloh – Weseler Straße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 40 2. ERHEBUNGS GEBIETE Abb. 2.1.3: Erhebungsgebiet Duisburg-Innenstadt – Friedrich-Wilhelm-Straße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 2.1 LAGE, TYP UND FUNKTION DER ERHEBUNGSGEBIETE 41 Essen-Altendorf Essen-Rüttenscheid Der Stadtteil Altendorf liegt westlich des Stadtzentrums und wird durch das ehemalige Kruppgelände von der Stadtmitte getrennt. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Altendorfer Straße zwischen Haedenkampstraße im Osten und Wüstenhöferstraße im Westen. Die Altendorfer Straße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (Amt für Stadtplanung und Bauordnung Essen 2011). Die Altendorfer Straße erfüllt laut Masterplan Einzelhandel der Stadt Essen im Wesentlichen eine Versorgungsfunktion für den Stadtbezirk. Das Erhebungsgebiet Rüttenscheid liegt südlich der A 40 und zieht sich entlang der Rüttenscheider Straße von der Bismarckstraße im Norden bis zur Wittekindstraße im Süden. Das Erhebungsgebiet ist geprägt durch eine Mischung von Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen. Durch die Nähe zu wichtigen Kulturinstitutionen wie dem Museum Folkwang oder der Philharmonie sowie dem etwas weiter südlich gelegenen Messegelände finden sich auch Galerien und hochwertige Gastronomie (Cafés, Kneipen, Restaurants). Laut Masterplan Einzelhandel hat Rüttenscheid als sog. »B-Zentrum« stadtbezirksübergreifende bzw. gesamtstädtische Funktionen (Amt für Stadtplanung und Bauordnung Essen 2011). Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Lage Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Westlich der Innenstadt altindustriell Bezirkszentrum 2,5 7026 2100 Südlich der Innenstadt Wohn- und Geschäftsviertel Einzugsgebiet Gesamtstadt 4,5 13 464 6057 Rüttens ße ra ha er st ol Hirtsiefe rstraße Paulinen straße H Hele nen us er st stra Schölerp ße ad 224 cheide r Straße Lage Ob o erd rfs tra ße 224 Abb. 2.1.4: Erhebungsgebiet Essen-Altendorf – Altendorfer Straße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 42 2. ERHEBUNGS GEBIETE Abb. 2.1.5: Erhebungsgebiet Essen-Rüttenscheid – Rüttenscheider Straße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 2.1 LAGE, TYP UND FUNKTION DER ERHEBUNGSGEBIETE 43 Bochum-Hamme Bochum-Langendreer Der Stadtteil Hamme liegt nordwestlich des Bochumer Stadtzentrums. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Dorstener Straße zwischen Zechenstraße im Südosten und Berggate im Nordwesten. Nördlich des Erhebungsgebietes verläuft von Ost nach West die Autobahn A 40. Die Dorstener Straße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (Hagemann / Kruse 2012). Der Bereich liegt am Innenstadtrand, Handel und Dienstleistungen dienen aber in erster Linie der Nahversorgung der Bevölkerung um das Erhebungsgebiet herum. Der Stadtteil Langendreer liegt einige Kilometer östlich des Stadtzentrums an der Stadtgrenze zu Dortmund. Das Erhebungsgebiet Langendreer liegt südlich der A 40 und in der Nähe der S-Bahnstation Bochum-Langendreer West, links und rechts der Alten Bahnhofsstraße zwischen Ümminger Straße im Westen, Lünsender Straße im Osten und Wittenbergstraße im Süden. Es wird geprägt durch einen zusammenhängenden gründerzeitlichen Baubestand. Die Alte Bahnhofsstraße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (Hagemann / Kruse 2012). Die Geschäftsstraße erfüllt laut Masterplan Einzelhandel eher eine Nahversorgungsfunktion für den umliegenden Stadtteil. Lage Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Lage Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Nord-westlich der Innenstadt altindustriell Nahversorgung 4,0 13 172 2007 Östlich der Innenstadt altindustriell Nahversorgung 2,6 5639 1908 40 raße ger min Üm Gahle nsche Straß e Lünsender Straße r St aße iepe Str s Feld Al Abb. 2.1.6: Erhebungsgebiet Bochum-Hamme – Dorstener Straße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 44 2. ERHEBUNGS GEBIETE te Ba hn ho fs st ra ße Abb. 2.1.7: Erhebungsgebiet Bochum-Langendreer – Alte Bahnhofsstraße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 2.1 LAGE, TYP UND FUNKTION DER ERHEBUNGSGEBIETE 45 Dortmund-Nordstadt Dortmund-Hörde Der Stadtteil Nordstadt liegt nördlich des Stadtzentrums, jenseits der Hauptbahnlinie, die eine starke städteräumliche Trennwirkung hat. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Münsterstraße, von der Heiligegartenstraße im Süden bis zur U-Bahnhaltestelle Lortzingstraße im Norden. Der südliche Abschnitt der Münsterstraße bis zur Mallinckrodtstraße ist verkehrsberuhigt und geprägt von einer gemischten Struktur aus Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen. Der nördliche Teil der Münsterstraße ist stark befahren und deutlich aufgelockert, was den Bestand an Geschäften etc. angeht. Der südliche Bereich Münsterstraße wird aufgrund seiner über den Nahraum hinausgehenden Versorgungsfunktion als »Stadtbezirkszentrum Nordstadt« eingestuft. Ethnische Ökonomie hat eine sehr große Bedeutung (Kopischke / Kruse 2013). Das Erhebungsgebiet Hörde liegt südlich der B1 und gehört zum zentralen Einkaufsbereich der Hörder Innenstadt. Es zieht sich entlang der Hermannstraße, Hörder Rathausstraße und der Hörder Semerteichstraße. Westlich des Erhebungsgebietes wurde in den letzten Jahren auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerkes der Phönixsee neu angelegt und mit einer exklusiven Wohnbebauung umgeben, so dass davon auszugehen ist, dass es in den nächsten Jahren im räumlichen Umfeld zu Gentrifizierungsprozessen kommt. Das Erhebungsgebiet ist geprägt durch die zentrale Fußgängerzone mit einer typischen Mischung von Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen. Laut Masterplan Einzelhandel der Stadt Dortmund wird dieser Bereich aufgrund seiner über den Nahraum hinausgehenden Versorgungsfunktion als »Stadtbezirkszentrum Hörde« eingestuft (Kopischke / Kruse 2013). Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Lage Typ Funktion Fläche in km2 Einwohner Bilder Nördlich der Innenstadt altindustriell Bezirkszentrum 3,2 17 182 2847 Süd-östlich der Innenstadt altindustriell Bezirkszentrum 5,9 3567 1415 ß Faßstra ße Schützenstra e Lage Mallin traße Uhlandstra 54 Bornstraße dtstraße ße Mallinckro ts ckrod Hörde Abb. 2.1.8: Erhebungsgebiet Dortmund-Nordstadt – Münsterstraße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 46 2. ERHEBUNGS GEBIETE r Bahn hofsstr aße Abb. 2.1.9: Erhebungsgebiet Dortmund-Hörde – Hermannstraße Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 2.1 LAGE, TYP UND FUNKTION DER ERHEBUNGSGEBIETE 47 2.2 Bevölkerung und Vielfalt Die Zusammensetzung der Bevölkerung der Erhebungsgebiete ist unterschiedlich stark durch Migration und Vielfalt geprägt. Wir gehen davon aus, dass sich unterschiedliche Migrationsprägungen auch in unterschiedlichen Mustern visueller Mehrsprachigkeit widerspiegeln. Wie die folgende Karte zeigt, sind die Erhebungsgebiete nördlich der A 40 / B 1 in allen vier Städten etwas stärker migrationsgeprägt als die Erhebungsgebiete südlich des sog. Sozialäquators. Die kleinen Tortendiagramme neben den Namen zeigen die Zusammensetzung nach Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, Doppelstaatlern, also Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit und einer weiteren Staatsangehörigkeit, und Nichtdeutschen, also Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit. In der unten stehenden Grafik lässt sich die Rangfolge der Erhebungsgebiete noch etwas deutlicher erkennen. Die Erhebungsgebiete sind von links (Rüttenscheid) nach rechts (Marxloh) absteigend nach dem Anteil der deutschen Staatsangehörigen angeordnet. Außerdem ist auf den Balken jeweils die Anzahl der vertretenen Staatsangehörigkeiten notiert. Am niedrigsten ist der Anteil der Deutschen mit 27,2 % in DU-Marxloh, schon deutlich höher in der Dortmunder Nordstadt mit 44,3 %. Diese beiden Erhebungsgebiete unterscheiden sich auch deutlich von den anderen sechs ausgewählten Gebieten hinsichtlich der Zusammensetzung der Staatsangehörigkeiten der Bevölkerung, wie später gezeigt wird. Der Anteil der Deutschen liegt in den anderen Stadtteilen deutlich über DU-Marxloh und der Dortmunder Nordstadt, am höchsten ist er mit 86,1 % im Erhebungsgebiet E-Rüttenscheid, das am wenigsten von Migration geprägt ist. Die Anzahl der Staatsangehörigkeiten schwankt ganz erheblich zwischen den Gebieten. Am höchsten ist sie mit 78 in der Duisburger Innenstadt, am niedrigsten mit 23 in BO-Langendreer. Die Mischung ist in der Regel sehr vielfältig, so dass in fast allen Gebieten alle Kontinente der Welt vertreten sind. Die Zusammensetzung der Bevölkerung mit Blick auf ausgewählte Staatsangehörigkeiten (vgl. Kap. 1.3), die stellvertretend für verschiedene »Schichten der Vielfalt« stehen, unterscheidet sich auch sehr stark zwischen den Gebieten. 100 % 90 78 90 % 80 % DU-Marxloh E-Altendorf 70 65 70 % DO-Nordstadt 57 60 % BO-Hamme 80 55 57 48 60 50 50 % 40 40 % 38 30 30 % Anteil der Deutschen 10 0% 0 10 20 30 40 km h M ar xlo dt N ne or ns ds ta ta dt de ör H In Al te nd or f e m am H ee dr en ng tte Rü 0 r Anteil Doppelstaatler ns E-Rüttenscheid 10 % Anteil der Nichtdeutschen La DO-Hörde id BO-Langendreer 20 23 20 % ch e DU-Innenstadt % Deutsche % Nichtdeutsche % Doppelstaatler Anzahl Staatsangehörigkeiten Abb. 2.2.2: Vergleich der Erhebungsgebiete nach Migrationsprägung 2013 Quelle: Daten der Städte. Abb. 2.2.1: Vergleich der Erhebungsgebiete nach Migrationsprägung 2013 Quelle: Daten der Städte. 48 2. ERHEBUNGS GEBIETE 2.2 BEVÖLKERUNG UND VIELFALT 49 In den Säulen dargestellt ist jeweils der Anteil von fünf ausgewählten Staatsangehörigkeiten an der Bevölkerung des Gebietes. Die größten Gruppen an Nichtdeutschen sind in der Regel die türkischen Staatsangehörigen, mit Ausnahme von E-Rüttenscheid (hier sind es die Italiener) und der Duisburger Innenstadt, wo die Gruppe der Rumänen aber nur unwesentlich größer ist als die der Türken. Die größte türkische Community gibt es in DU-Marxloh, gut ein Fünftel der Bevölkerung hat einen türkischen Pass. In allen Gebieten außer E-Rüttenscheid gibt es eine etwas größere Gruppe polnischer Staatsangehöriger. Ebenso wird sichtbar, dass nicht in allen Erhebungsgebieten in den letzten Jahren verstärkt Rumänen und Bulgaren zugewandert sind, sie sind eher in der Duisburger Innenstadt, in der Dortmunder Nordstadt und in DU-Marxloh zu finden. Bemerkenswert bei allen Erhebungsgebieten ist der hohe Anteil an sonstigen Staatsangehörigkeiten. Dieser liegt mit gut einem Fünftel am höchsten in der Dortmunder Nordstadt, aber auch in der Duisburger Innenstadt, in E-Altendorf und BO-Hamme finden sich höhere Anteile von Personen mit weiteren Staatsangehörigen als den hier präsentierten. Der Diversitäts-Index nach Simpson (Simpson 1949; vgl. auch Peukert 2013) ist eine Maßzahl zur Bestimmung des Ausmaßes der Vielfalt der Bevölkerung von Gebieten. Er gibt uns eine Grundlage für einen Vergleich der Erhebungsgebiete. Der Diversitäts-Index nach Simpson wird berechnet, indem man von »1« die Quadratsumme der Anteilswerte aller Staatsangehörigkeits-Gruppen sowie der Deutschen und der Doppelstaatler abzieht. Der Index-Wert liegt zwischen »0« (keine Diversität) und »1« (maximale Diversität). Eine besonders große Vielfalt der Bevölkerung gibt es mit Blick auf den Diversitätsindex in DU-Marxloh und der Dortmunder Nordstadt, gleichzeitig sind das die Gebiete mit dem höchsten Anteil an Nichtdeutschen. Geringe Vielfalt finden wir in E-Rüttenscheid: Es gibt nur einen niedrigen Anteil an Nichtdeutschen und einen niedrigen Wert des Diversitätsindex. Die restlichen Erhebungsgebiete bilden eine in sich relativ heterogene Mittelgruppe, in der zwar die Indexwerte für Diversität mit dem Anteil der Nichtdeutschen langsam ansteigt, aber die Mischung der Bevölkerung wie gesehen recht unterschiedlich sein kann. 0,8 0,8 0,8 50 50 48,9 0,7 43,4 0,6 40 40 0,6 0,5 0,5 0,5 30 30 0,4 0,4 0,3 20 20 20,4 19,3 17,4 21,5 0,3 0,2 12,2 10 10 0,2 8,7 0,1 Polen Rumänien Italien Bulgarien Sonstige Anteil an Nichtdeutschen h M ar xlo dt ta ds or ns ne H In N ta dt de ör f or nd te Al H am m r en ng La ns tte dr ch e ar M Rü Türkei ee id h xlo dt ds or N In ne ns ta ta dt de ör nd te Al H or f e m am dr en ng La H ee r id ch e ns tte Rü 0 e 0 0 Diversitätsindex Abb. 2.2.4: Vielfalt der Erhebungsgebiete: Anteil der Nichtdeutschen, Anzahl der Staatsangehörigkeiten und Diversitätsindex 2013 Abb. 2.2.3: Zusammensetzung der Bevölkerung der Erhebungsgebiete nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten 2013 Quelle: Daten der Städte. 50 2. ERHEBUNGS GEBIETE 2.2 BEVÖLKERUNG UND VIELFALT 51 2.3 Migrationsprägung von Stadtteilen im Zeitvergleich am Beispiel der Stadt Bochum 1987 lag der Anteil der Nichtdeutschen in Bochum bei 7,2 %, also um gut drei Prozentpunkte niedriger als 2013. Hamme und Langendreer gehörten auch schon 1987 zu den Stadtteilen mit einem überdurchschnittlichen Anteil an Nichtdeutschen. Die Spannweite lag 1987 bei gut 15 Prozentpunkten. Die Migrationsprägung der Stadtteile hat sich in gut 25 Jahren also etwas verstärkt, die Unterschiede zwischen den Stadtteilen sind aber auffallend konstant geblieben. Stadtteile sind aufgrund ihrer Lage und der Struktur des lokalen Wohnungsmarktes mehr oder weniger stark von Migration geprägt (Strohmeier et al. 2015). Die Migrationsprägung von Stadtteilen ist über die Zeit relativ konstant. Migrationsprägung ist also keine Momentaufnahme, sondern hat in manchen Stadtteilen schon eine lange Geschichte, wie in diesem Kapitel anhand der Stadt Bochum im Längsschnittvergleich gezeigt wird. Die folgenden Karten vermitteln einen Eindruck der räumlichen Verteilung der migrationsgeprägten Stadtteile in Bochum 2013 und 1987. Je dunkler die Farbe, desto höher ist der Anteil der Nichtdeutschen. Der Anteil der Nichtdeutschen an der Bevölkerung der Stadt Bochum lag 2013 bei 10,2 % (petrolblauer Balken). Auf der Stadtteilebene ist die Spannweite zwischen dem niedrigsten und höchsten Anteil mit über 20 Prozentpunkten recht groß. In den beiden Erhebungsgebieten Langendreer und Hamme liegt der Anteil der Nichtdeutschen über dem städtischen Anteil. 25 23,3 20 17,4 15 12,2 10,2 10 5 2,4 m am La ng H en dr ee r e 0 Abb. 2.3.3: Anteil der Nichtdeutschen an der Bevölkerung in 30 Stadtteilen in Bochum 2013 Erhebungsgebiete hervorgehoben. Quelle: Daten der Stadt Bochum. 25 Hamme Hamme 20 16,1 Langendreer Langendreer 15 10,3 10 8,8 7,2 Abb. 2.3.1: Anteil der Nichtdeutschen im Stadtteilvergleich in Bochum 1987 52 2. ERHEBUNGS GEBIETE Abb. 2.3.2: Anteil der Nichtdeutschen im Stadtteilvergleich in Bochum 2013 e 7,6 – 2,4 La ng m 4,9 – 1,2 am 12,9 – 7,6 H 8,6 – 4,9 1,2 0 r 18,1 – 12,9 ee 12,3 – 8,6 5 dr 23,3 – 18,1 en 16,1 – 12,3 Abb. 2.3.4: Anteil der Nichtdeutschen an der Bevölkerung in 30 Stadtteilen in Bochum 1987 Quelle: Daten der Volkszählung 1987. 2.3 MIGRATIONSPRÄGUNG VON STADTTEILEN IM ZEITVERGLEICH AM BEISPIEL DER STADT BOCHUM 53 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1 Die am häufigsten vorkommenden Sprachen 11 % 7 Arabisch 185 7% 8 Latein 157 6% 9 Polnisch 143 5% 10 Nonstandard 110 4% 11 Niederländisch 100 4% 12 Chinesisch 77 3% 13 Japanisch 76 3% 14 Russisch 64 2% 15 Griechisch 53 2% Spanisch 1 % 286 Italienisch 1 % Spanisch % 6 sisch 2 15 % Franzö 16 % 379 4% 429 Italienisch isch Französisch Türk 4 6% 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT % 5 Abb. 3.1.1: Die häufigsten Sprachen (Platz 4 bis 15) 56 N re Sprache de Rang Dabei ist daran zu denken, dass allein unter Essener Grundschülern im Jahre 2002 über einhundert Muttersprachen vertreten waren (Baur et al. 2004: 98). Einerseits mag der mit einem Drittel jedenfalls quantitativ recht hohe Anteil nichtdeutscher Textpassagen im öffentlichen Raum überraschen. Andererseits scheint angesichts des mit fast 20 % ebenfalls hohen Anteils englischsprachiger Passagen intuitiv ebenso klar, dass die Herkunftssprachen der Einwohner in der Öffentlichkeit nicht so präsent sind, wie das ihrem Anteil an der Bevölkerung theoretisch entspräche. An Wer durchs Ruhrgebiet geht, sieht Wörter und Texte in zahlreichen Sprachen. Sie geben einen Einblick in die Sprachpraxis und damit in das tatsächliche Sprachenmanagement privater und öffentlicher Akteure. Wenn man das näher untersuchen will, muss man nicht nur die jeweilige Sprachenwahl betrachten, sondern auch die Zwecke und Funktionen, die damit verbunden sind, sowie sprachlich-formale Aspekte. Wir haben In- und Aufschriften in mehr als 50 Sprachen gefunden. Meist handelt es sich um Ellipsen, Fragmente, einzelne Wörter oder Ansammlungen davon. Rund 250 Bilder enthalten auch Textstücke, die wir nicht eindeutig zuordnen konnten, meist Eigennamen, Kunstwörter oder Abkürzungen. Viele der gut 25 500 Fotos in unserer Datenbank zeigen Graffiti-Tags oder keinerlei Sprachanteile, andere mehrere Sprachen (z.B. auf einem mehrsprachigen Schild). Knapp 60 % sind einsprachig, die übrigen (zwei- oder) mehrsprachig. So ergeben sich 27 265 verschiedene Sprachvorkommen (z.B. auf einem zweisprachigen Schild zwei). Die zählen wir nun genau durch. 18 050 (66 %) sind (standard)deutsche Passagen, 5 479 (20 %) englische und 1 122 (4 %) türkische. Französisch ist 429 Mal vertreten (1,6 %), Italienisch 379 Mal (1,4 %), Spanisch 286 Mal (1 %). Alle übrigen Sprachen weisen jeweils Anteile deutlich unter einem Prozent auf (vgl. Abb. 3.1.2). Um den Maßstab für die selten vorkommenden Sprachen zu vergrößern, betrachten wir nun alle Fälle außer den drei häufigsten Sprachen (Deutsch, Englisch und Türkisch) als eigene Gruppe (N = 2 606, also knapp 10 % sämtlicher Fälle). Darin ergibt sich folgende Rangfolge (Platz 4 bis 15; Nonstandard umfasst hauptsächlich regionaloder szenesprachliche Ausdrücke wie »Mudda«): Alle übrigen Sprachen weisen hier Werte unter 2 % (von N = 2 606) auf; das entspricht Anteilen von unter 0,2 % sämtlicher Sprachvorkommen. Die Reihenfolge (Platz 16 bis 26) lautet hier Portugiesisch 44, Koreanisch 42, Persisch 29, Dänisch 26, Tschechisch 22, Kurdisch 10, Hindi 16, Rumänisch 15, Tamil 13, Kroatisch 12, Schwedisch 10. Die übrigen Sprachen (von Albanisch über Hebräisch bis Swahili und Thailändisch) kommen seltener als 10 Mal im öffentlichen Raum der untersuchten Gebiete vor. Englisch 20 % 66 % Deutsch Abb. 3.1.2: Die häufigsten Sprachen 3.1 DIE AM HÄUFIGSTEN VORKOMMENDEN SPRACHEN 57 Abb. 3.1.4: DU-Marxloh, einsprachig Türkisch Abb. 3.1.5: E-Rüttenscheid, Deutsch & Französisch Abb. 3.1.6: DO-Hörde, einsprachig Deutsch Abb. 3.1.7: DU-Marxloh, Deutsch & Türkisch Abb. 3.1.8: DU-Innenstadt, einsprachig Spanisch Abb. 3.1.9: E-Altendorf, einsprachig Arabisch Abb. 3.1.10: DO-Nordstadt, Arabisch, Englisch & Deutsch Abb. 3.1.11: DO-Nordstadt, Russisch und andere Abb. 3.1.3: DU-Marxloh, einsprachig Deutsch 58 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1 DIE AM HÄUFIGSTEN VORKOMMENDEN SPRACHEN 59 Abb. 3.1.12: Die häufigsten Sprachen in der Metropole Ruhr Deutsch Polnisch Englisch Nonstandard Türkisch Niederländisch Französisch Chinesisch Italienisch Japanisch Spanisch Russisch Arabisch Griechisch Latein Zu den Größenverhältnissen: 1mm entspricht 1%. Sprachen mit einem Vorkommen unter oder gleich 1% sind als einheitlich 1mm große Kreise dargestellt. Nordstadt Dortmund Marxloh Duisburg Hamme Altendorf Hörde Essen Langendreer Bochum Rüttenscheid Innenstadt 60 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1 DIE AM HÄUFIGSTEN VORKOMMENDEN SPRACHEN 61 3.1.1 Sichtbarkeit und Verteilung der Sprachen in den Stadtteilen Die acht untersuchten Stadtteile haben unterschiedlichen Charakter und sind auch bevölkerungssoziologisch verschieden geprägt (s. Kap. 2). Schlägt sich diese Verschiedenheit auch in der Beschriftung des öffentlichen Raums nieder? Gesamtmenge alle Stadtteile Marxloh Innenstadt Altendorf Rüttenscheid Hamme Langendreer Nordstadt Hörde Fotos 23 195 1236 5624 2100 6058 2007 1908 2847 1415 Vorkommen 24 799 1615 5453 2489 6784 1961 1719 3273 1505 einsprachig 56,1 50,3 57,5 52,6 55,1 64,9 67,1 48,6 59,9 einsprachig deutsch 47,4 37,9 48,7 47,2 46,1 59,3 59,7 36,2 54,5 einsprachig englisch 6,4 2,3 7,0 3,2 7,3 47 5,3 10,1 4,5 einsprachig türkisch 1,0 1,0 0,4 1,1 0 0,2 0,1 0,9 0,1 Deutsch 66,1 59,6 66,2 66,4 64,8 75,1 74,6 58,0 72,0 Englisch 19,6 10,0 19,6 15,9 22,8 16,7 16,1 24,6 18,2 Türkisch 4,4 25,9 3,2 7,3 0,7 1,6 0,9 6,6 0,9 Französisch 1,5 0,8 2,0 1,1 2,6 0,7 1,1 0,9 1,2 Italienisch 1,5 0,6 1,8 0,7 1,9 1,5 1,3 1,4 1,4 Spanisch 1,1 0,2 1,5 0,4 1,3 0,4 0,5 1,4 1,5 Arabisch 0,7 0,4 0,4 1,6 0,2 0,1 0,2 2,9 0,3 Latein 0,6 0,4 1,0 0 0,5 0,5 0,7 0,6 1,1 Polnisch 0,5 0,4 0,7 0,6 0,5 0,4 0,6 0,4 0,5 Nonstandard 0,4 0,2 0,5 0,1 0,4 0,5 0,5 0,5 0,6 Niederländisch 0,4 0,1 0,5 0,2 0,4 0,2 0,6 0,5 0,1 Chinesisch 0,3 0 0,6 0,4 0,3 0,6 0 0 0 Japanisch 0,3 0,1 0,4 0,3 0,5 0,1 0,1 0,2 0,1 Russisch 0,2 0,5 0,3 0 0,2 0,2 0,5 0,2 0,2 Griechisch 0,2 0,1 0,2 0,4 0,1 0,2 0,3 0,4 0 Mehrsprachigkeiten in % Sprachenanteile in % Die Tabelle in Abb. 3.1.1.1 zeigt in der ersten Zeile die Anzahl der in den acht Stadtvierteln aufgenommenen Fotos, und zwar in der angegebenen (unvorhersehbar ungleichen) Verteilung von West nach Ost in DU-Marxloh, DU-Innenstadt, E-Altendorf, E-Rüttenscheid, BO-Hamme, BO-Langendreer, DO-Nordstadt und DO-Hörde. (Die zusätzlichen 2 309 Fotos von Bahnhöfen etc. werden hier nicht berücksichtigt.) Viele Fotos enthalten keine erkennbaren Texte (sondern z. B. nur Piktogramme, Tags oder nicht entzifferbare Graffitis). Andere zeigen mehrsprachige Texte; hier wird das Vorkommen jeder Sprache einzeln gezählt. So ergeben sich 24 799 Sprachvorkommen in den acht Stadtvierteln. Die entsprechenden Zahlen in der zweiten Tabellenzeile sind die absoluten Bezugswerte (= 100 Prozent) für die relativen Angaben (in Prozent) in allen folgenden Zeilen. Die dritte Zeile von Tabelle 1 nennt die Anteile aller einsprachigen Vorkommen je Spalte, die vierte bis sechste Zeile diejenigen aller einsprachig deutschen, englischen bzw. türkischen. Beispielsweise sind 37,9 % der Sprachvorkommen im untersuchten Gebiet von Marxloh einsprachig deutsch (stehen also nicht zusammen mit anderen Sprachen etwa auf einem Schild). Die 15 restlichen Zeilen führen die Anteile der häufigsten Sprachen am Gesamtvorkommen der jeweiligen Spalte an. Beispielsweise im Marxloher Untersuchungsgebiet sind 59,6 % aller Sprachvorkommen deutschsprachig (können aber auch neben anderen Sprachen auf demselben Schild, Aushang etc. stehen). Marxloh, Altendorf und Nordstadt weisen deutlich weniger einsprachige Vorkommen auf als die übrigen fünf Bezirke, dennoch aber – trotz der niedrigen Zahlen – viel mehr einsprachig türkische. Und Marxloh und Nordstadt haben viel weniger einsprachig deutsche Fälle als die übrigen sechs. Hier schlägt sich die spezifische Bevölkerungsstruktur der Bezirke sichtbar nieder (s. Kap. 2 über Sprachvorkommen und Staatsangehörigkeiten). Ähnliche Tendenzen finden sich beim Vergleich der einzelnen Sprachen im unteren Teil der Tabelle. Deutsch ist insgesamt mit 66,1 % vertreten, ähnlich auch in der Duisburger Innenstadt und den beiden Essener Bezirken (Altendorf und Rüttenscheid). Marxloh und Nordstadt bringen es hier nur auf Werte von 59,6 % bzw. 58,0 %, während die drei übrigen Bezirke zwischen 70 % und 75 % liegen. Englisch ist stark unterrepräsentiert in Marxloh und Altendorf, auffallend überrepräsentiert jedoch in Nordstadt, die von allen Stadtteilen am stärksten multinational geprägt ist. Dass es sich bei Marxloh um einen stark türkisch geprägten Stadtteil handelt, lässt sich schon daran ablesen, dass über ein Viertel (25,9 %) aller öffentlich sichtbaren Sprachvorkommen hier Türkisch gehalten sind. In Altendorf und in Nordstadt sind es immerhin noch jeweils um die 7 %, in allen anderen Stadtteilen erheblich darunter. Die überdurchschnittlich hohen Werte für Französisch, Italienisch und Spanisch in der Duisburger Innenstadt und in Rüttenscheid erklären sich großenteils durch entsprechend zahlreiche Restaurants. Arabisch, mit absolut 183 Sprachvorkommen die siebthäufigste Sprache, fällt durch hohe Anteile in Altendorf und Nordstadt auf; tatsächlich wohnen hier vergleichsweise viele Migranten aus arabischsprachigen Ländern. Abb. 3.1.1.1: Sichtbarkeit der häufigsten Sprachen in den acht Stadtvierteln 62 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1.1 SICHTBARKEIT UND VERTEILUNG DER SPRACHEN IN DEN STADTTEILEN 63 Die Tabelle in Abb. 3.1.1.2 fasst die Werte der vier nördlichen Bezirke (Marxloh, Altendorf, Hamme, Nordstadt) zusammen und ebenso die der vier südlichen Bezirke (Innenstadt, Rüttenscheid, Langendreer, Hörde). In den nördlichen Bezirken gibt es weniger einsprachige, weniger einsprachig deutsche und weniger einsprachig englische, jedoch mehr einsprachig türkische Texte als in den südlichen Bezirken. Im Norden kommen auch Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch seltener vor als im Süden; bei Türkisch und Arabisch hingegen verhält es sich umgekehrt. Schaut man die Diskurstypen und einzelnen Fälle näher an (was hier nicht ausgeführt werden kann), so bestätigt sich eine einfache Tendenz: Junge Migrantensprachen sind im Norden stärker vertreten, Englisch und andere westeuropäische Sprachen im Süden. Natürlich bildet die Autobahn A 40 keine Sprachgrenze. Doch trotz zunehmender Wanderungsbewegungen innerhalb des Ruhrgebiets trennt sie bis heute Gebiete mit durchschnittlich höherem Zuwanderungsanteil im Norden von solchen mit mehr Menschen ohne jüngeren Migrationshintergrund im Süden. Die unterschiedlichen Arten an Internationalität (Migration vs. Hochkultur) zeigen sich im öffentlichen Raum. Dessen völlig unterschiedliche Anmutung etwa in Marxloh und in Rüttenscheid schlägt sich bis in kleine Details unserer Zahlen nieder. Abb. 3.1.1.3: DO-Nordstadt Gesamtmenge alle vier nördlich vier südlich Fotos 23 195 8190 15 005 Vorkommen 24 799 9338 15 461 einsprachig 56,1 53,4 57,7 einsprachig deutsch 47,4 44,3 49,3 einsprachig englisch 6,4 5,8 6,7 einsprachig türkisch 1,0 2,3 2 Deutsch 66,1 64,1 67,1 Englisch 19,6 18,1 20,5 Türkisch 4,4 9,1 1,6 Französisch 1,5 0, 9 1,9 Italienisch 1,5 1,1 1,7 Spanisch 1,1 0,7 1,3 Arabisch 0,7 1,5 0,3 Latein 0,6 0,4 0,7 Polnisch 0,5 0,4 0,6 Nonstandard 0,4 0,3 0,4 Niederländisch 0,4 0,3 0,4 Chinesisch 0,3 0,2 0,3 Japanisch 0,3 0,2 0,4 Russisch 0,2 0,2 0,3 Griechisch 0,2 0,3 0,2 Mehrsprachigkeiten in % Sprachenanteile in % Abb. 3.1.1.2: Sichtbarkeit der Sprachen in den nördlichen und südlichen Stadtvierteln 64 Abb. 3.1.1.4: DO-Nordstadt, mehrsprachig Abb. 3.1.1.5: E-Altendorf, Bulgarisch, Deutsch, Englisch Abb. 3.1.1.6: BO-Hamme, Deutsch Abb. 3.1.1.7: BO-Langendreer, Deutsch Abb. 3.1.1.8: BO-Langendreer, Englisch Abb. 3.1.1.9: DU-Innenstadt, Chinesisch & Deutsch 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1.1 SICHTBARKEIT UND VERTEILUNG DER SPRACHEN IN DEN STADTTEILEN 65 3.1.2 Formen von Mehrsprachigkeit (mono-, bi-, tri- und multilingual) Rang Sprache N % 1 Englisch 5479 61,8 % 2 Türkisch 1122 12,7 % 3 Französisch 429 4,8 % 4 Italienisch 379 4,3 % 5 Spanisch 286 3,2 % 6 Arabisch 185 2,1 % 7 Latein 157 1,8 % 8 Polnisch 143 1,6 % 9 Niederländisch 100 1,1 % 10 Chinesisch 77 0,9 % sonstige 510 5,8 % Gesamt 8867 100,0 % Abb. 3.1.2.1: Anteil Fremdsprachen (Ruhrgebiet gesamt) N % monolingual deutsch 11 760 63,0 % monolingual nichtdeutsch 2055 11,0 % bilingual 3973 21,3 % trilingual 723 3,9 % multilingual 147 0,8 % Gesamt 18 658 100,0 % Abb. 3.1.2.2: Anteil monolingual deutscher, monolingual nichtdeutscher, bi-, tri- und multilingualer Zeichen in den Stadtteilen der Metropole Ruhr (gesamt) Wie mehr- oder einsprachig ist die Metropole Ruhr? Welche Formen der Mehrsprachigkeit lassen sich in der Linguistic Landscape der Metropole Ruhr beobachten, und wie verteilen sich diese Formen auf die einzelnen Stadtteile? Welche Sprachkombinationen dominieren? Inwieweit werden andere Sprachen als Deutsch genutzt, um je spezifische Bevölkerungsgruppen anzusprechen? Die Auswertung aller 25 504 Bilddaten zeigt, dass die Linguistic Landscape des Ruhrgebiets von mehr als 50 Sprachen geprägt wird, darunter Finnisch, Norwegisch, Katalanisch, Lingala und Shona. Die Analyse der Vorkommen der sichtbaren Sprachen gibt zu erkennen, dass die Linguistic Landscape des Ruhrgebiets eine dominant deutsche ist, denn Deutsch und Nonstandard-Deutsch bringen es auf insgesamt 66,5 % aller Belege. Dem stehen 33,5 % fremdsprachige Belege gegenüber. Dieser Befund kann unterschiedlich bewertet werden. Einerseits, so ließe sich schlussfolgern, ist das Ruhrgebiet nach wie vor eine dominant deutsche Sprachlandschaft. Andererseits, so ließe sich hervorheben, wird der öffentliche Raum des Ruhrgebiets durch einen nicht unerheblichen Teil fremdsprachiger Texte, Namen und Aufschriften geprägt. Unter diesen fremdsprachigen Belegen nehmen die englischen Belege mit einem Anteil von 20,1 % aller Vorkommen eine besondere Stellung ein. Um das quantitative Verhältnis der Fremdsprachen zueinander deutlicher zu machen, ist es sinnvoll, die Rechnung auch einmal ohne das Deutsche anzustellen, wie es in der Tabelle in Abb. 3.1.2.1 geschieht. Zusammen genommen bestimmen das Englische und das Türkische die Linguistic Landscape des Ruhrgebiets zu fast drei Vierteln, die Anteile der anderen Sprachen liegen alle jeweils unter 5 %. Es existiert also eine klare Fremdsprachenhierarchie, an deren Spitze Englisch steht und das mit einem deutlichen Abstand zu den Rangplätzen der anderen Fremdsprachen. Daran schließt sich die Frage an, inwieweit die Bevölkerung und die Besucher des Ruhrgebiets von einer monolingual nichtdeutschen, bi-, tri- oder multilingualen Sprachlandschaft umgeben sind. Die Tabelle in Abb. 3.1.2.2 listet die Werte für die acht untersuchten Stadtteile. Es zeigt sich, dass 11 % aller Zeichen monolingual nichtdeutsch, d. h. ausschließlich in einer anderen Sprache als Deutsch verfasst sind. Allerdings führt auch hier mit großem Abstand das Englische, und zwar in allen Stadtteilen mit Ausnahme von DU-Marxloh. Für eine detailliertere und präzisere Diskussion dieses Befundes sei auf die Kapitel zur Stadtteilanalyse (3.3) verwiesen. Monolinguale Zeichen – egal in welcher Sprache – dominieren damit zu drei Vierteln (74 %) die Linguistic Landscape der Metropole Ruhr. Diesem »monolingualen Habitus« (Gogolin 2008) stehen 21,3 % bilinguale Zeichen (Abb. 3.1.2.3), 3,9 % trilinguale Zeichen (Abb. 3.1.2.4) und 0,8 % multilinguale Zeichen (Abb. 3.1.2.5) gegenüber (vgl. Abb. 3.1.2.2). Abb. 3.1.2.3: DO-Nordstadt, bilinguales Zeichen Abb. 3.1.2.4: DU-Hauptbahnhof, trilinguales Zeichen 66 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.1.2.5: DO-Nordstadt, multilinguales Zeichen 3.1.2 FORMEN VON MEHRSPRACHIGKEIT (MONO-, BI-, TRI- UND MULTILINGUAL) 67 Bezogen auf die Verteilung der monolingual deutschen, monolingual nichtdeutschen, bi-, tri- und multilingualen Zeichen in den untersuchten Stadtteilen ergibt sich folgendes Bild (vgl. Abb. 3.1.2.6 bzw. Abb. 3.1.2.8). Wie die Karte in Abb. 3.1.2.8 zeigt, gibt es in den Stadtteilen DO-Nordstadt und DU-Marxloh deutlich weniger einsprachig deutsche Zeichen, dafür aber mehr monolingual nichtdeutsche Zeichen. Der höchste Anteil bilingualer Zeichen findet sich mit 26,4 % (N = 311 Zeichen) in DU-Marxloh, während der Anteil trilingualer Zeichen mit 5,6 % (N = 101 Zeichen) in E-Altendorf am höchsten ist. Multilinguale Zeichen kommen insgesamt selten vor und wenn, dann vor allem in DU-Innenstadt, wo sich ihr Anteil auf 1,0 % (= 42 Zeichen) beläuft. Das bedeutet insgesamt, dass die Bevölkerung am häufigsten in den nördlich gelegenen Stadtteilen zwei-, drei- und mehrsprachig angesprochen wird. Dabei gilt die Regel, dass je vielfältiger die Sprachenauswahl ist, desto mehr der Anteil der entsprechenden Zeichen im öffentlichen Raum abnimmt. Die Auswertung der Sprachenpaare für die (insgesamt 3 973) bilingualen Zeichen liefert die Tabelle in Abb. 3.1.2.7. Berücksichtigt wurden die Sprachenpaare, deren Anteil in mindestens einem Stadtteil bei mindestens 5 % liegt. Zeichen Marxloh Innenstadt Altendorf Rüttenscheid Hamme Langendreer Nordstadt DU-Marxloh Hörde monolingual deutsch 610 51,7 % 2659 64,6 % 1172 64,6 % 3119 61,9 % 1165 73,2 % 1030 73,0 % 1188 50,8 % 817 69,7 % monolingual nichtdeutsch 200 16,9 % 450 10,9 % 119 6,6 % 566 11,2 % 110 6,9 % 124 8,8 % 406 17,4 % 80 6,8 % bilingual 311 26,4 % 790 19,2 % 403 22,2 % 1127 22,4 % 278 17,5 % 226 16,0 % 604 25,9 % 234 20,0 % trilingual 52 4,4 % 175 4,3 % 101 5,6 % 190 3,8 % 33 2,1 % 22 1,6 % 115 4,9 % 35 3,0 % multilingual 7 0,6 % 42 1,0 % 18 0,9 % 38 0,7 % 5 0,3 % 8 0,6 % 23 1,0 % 6 0,5 % Gesamtzahl 1180 100 % 4116 100% 1813 100 % 5040 100 % 1591 100 % 1410 100 % 2336 100% 1172 100% DO-Nordstadt E-Altendorf BO-Hamme DU-Innenstadt Abb. 3.1.2.6: Verteilung von monolingualen, bi-, tri- und multilingualen Zeichen in den Stadtteilen der Metropole Ruhr (N = 18 658) BO-Langendreer E-Rüttenscheid DO-Hörde monolingual deutsch monolingual nichtdeutsch bilingual trilingual Sprachkombination Marxloh Innenstadt Altendorf Rüttenscheid Hamme Langendreer Nordstadt Hörde Deutsch / Arabisch 0,9 % 1,1 % 3,9 % 0,4 % 0,3 % 0,8 % 8,1 % 0,4 % Deutsch / Englisch 19,2 % 57,8 % 46,4 % 71,6 % 67,5 % 70,8 % 56,7 % 71,7 % Deutsch / Französisch 0,9 % 5,0 % 2,4 % 4,9 % 0,7 % 3,1 % 0,6 % 2,5 % Deutsch / Italienisch 1,9 % 5,3 % 1,9 % 3,4 % 5,0 % 5,7 % 1,3 % 5,9 % Deutsch / Latein 0% 4,3 % 0% 1,4 % 2,8 % 3,5 % 1,9 % 5,9 % Deutsch / Türkisch 4,1 % 1,6 % 4,2 % 0% 8,5 % 3,1 % 0,9 % 0,4 % multilingual 0 10 20 30 40 km Abb. 3.1.2.8: Verteilung der monolingual deutschen, monolingual nichtdeutschen, bi-, tri- und multilingualen Zeichen in den untersuchten Stadtteilen der Metropole Ruhr Abb. 3.1.2.7: Bilinguale Sprachkombinationen in den Stadtteilen der Metropole Ruhr (N = 3973) 68 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1.2 FORMEN VON MEHRSPRACHIGKEIT (MONO-, BI-, TRI- UND MULTILINGUAL) 69 Bei den bilingualen Zeichen dominieren solche Sprachkombinationen, die Deutsch enthalten. Von allen Kombinationen, in denen Deutsch vorkommt, sind solche mit Englisch mit Abstand die häufigsten. Allerdings schwanken die Anteile in den Stadtteilen sehr stark: Während in DU-Marxloh bilinguale deutsch / englische Zeichen nur einen Anteil von 19,2 % ausmachen, haben bilinguale deutsch / englische Zeichen in DO-Hörde und in E-Rüttenscheid einen Anteil von 71,7 % bzw. 71,6 % und sind auch in den anderen beiden südlich gelegenen Stadtteilen wesentlich präsenter als im Norden. Erwähnenswert ist des Weiteren das Vorkommen bilingualer deutsch / arabischer Zeichen mit 8,1 % in DO-Nordstadt, wo auch der Anteil der arabischsprachigen Bevölkerung höher ist als in den anderen Stadtteilen. Dagegen sind in DO-Hörde die Vorkommen bilingualer deutsch / italienischer und deutsch / lateinischer Zeichen mit jeweils 5,9 % am höchsten. Deutsch / türkische Zeichen sind – entgegen der Erwartung – nicht etwa in DU-Marxloh, sondern in BO-Hamme mit einem Anteil von 8,5 % am sichtbarsten. Bilinguale Zeichen, die kein Deutsch enthalten, sind dagegen insgesamt selten: Ihr Anteil beträgt gerade einmal 4 % (= 162 Zeichen) und zeigt, dass auch dort, wo primär eine ethnische Gruppe adressiert wird, die deutschsprachige Bevölkerung so gut wie immer mitberücksichtigt wird. Exklusive In-Group-Kommunikation kommt also in der Linguistic Landscape der Metropole Ruhr kaum vor und kann insofern auch als ein Indiz für gelungene Integration gewertet werden. Abb. 3.1.2.9 gibt die Verteilung der Sprachenkombinationen für die trilingualen Zeichen an. Auch hier wurden nur die Sprachenkombinationen berücksichtigt, die in mindestens einem Stadtteil einen Anteil von mindestens 5 % haben. Sprachkombination Marxloh Innenstadt Altendorf Rüttensch. Hamme Langendr. Nordstadt Hörde Deutsch / Englisch / Franzözisch 3,8 % 6,8 % 3,0 % 20,5 % 9,0 % 31,8 % 3,4 % 14,2 % Deutsch / Englisch / Italienisch 0% 2,2 % 3,0 % 12,1 % 12,1 % 0% 18,2 % 5,7 % Deutsch / Englisch / Spanisch 1,9 % 14,8 % 1,0 % 5,7 % 6,0 % 4,5 % 21,7 % 17,1 % Deutsch / Englisch / Türkisch 69,2 % 33,1 % 37,6 % 7,3 % 12,1 % 4,5 % 24,3 % 5,7 % Abb. 3.1.2.9: Trilinguale Sprachkombinationen in den Stadtteilen der Metropole Ruhr (N = 3973) 70 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Bei den dreisprachigen Zeichen dominieren Sprachkombinationen, die Deutsch und Englisch sowie eine weitere Fremdsprache, vorzugsweise Türkisch, enthalten. Die trilinguale Sprachkombination mit Türkisch dominiert in allen Stadtteilen nördlich der A 40. Die Kombination Deutsch / Englisch / Französisch ist dagegen in den südlich gelegenen Stadtteilen – insbesondere in E-Rüttenscheid und BO-Langendreer – häufig, während die Kombination Deutsch / Englisch / Spanisch mit einem Anteil von 21,7 % und die Kombination Deutsch / Englisch / Italienisch mit einem Anteil von 18,2 % in DO-Nordstadt die höchsten Werte aufweisen. Das deutet darauf hin, dass trilinguale Zeichen, die Französisch enthalten, wie auch bilinguale Zeichen mit Französisch und monolingual französische Zeichen, in den nördlich der A 40 gelegenen Stadtteilen im Gegensatz zu mehrsprachigen Zeichen mit den Migrantensprachen Spanisch und Italienisch kaum eine Rolle spielen: weder im Kontext von Ethno-Marketing-Aktivitäten noch im Kontext der Kommodifizierung, d. h. der Verwertung des Sprachprestiges des Französischen. In den acht untersuchten Stadtteilen kommen 147 multilinguale Zeichen (mit mehr als drei Sprachen) vor. Sie enthalten ausnahmslos Deutsch. Insgesamt sind die Sprachkombinationen sehr heterogen und die prozentualen Anteile (alle zwischen 0,3 % und 1 %) so klein, dass sich eine weitere Aufschlüsselung und Diskussion dieser Daten erübrigen würde, wäre da nicht der auffällige Befund, dass Migrantensprachen auf Aushängen an Geschäftsfronten, die potenzielle Einbrecher abschrecken sollen, deutlich überrepräsentiert sind (Abb. 3.1.2.10). Eine ähnliche Tendenz lässt sich auch bei Hinweisschildern zum Verbot von Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachten. Auch hier sind Migrantensprachen überrepräsentiert – während sie auf Hinweisen für die Benutzung von Fahrkartenautomaten deutlich unterrepräsentiert sind (Abb. 3.1.2.11). Abb. 3.1.2.10: E-Rüttenscheid Abb. 3.1.2.11: E-Altendorf 3.1.2 FORMEN VON MEHRSPRACHIGKEIT (MONO-, BI-, TRI- UND MULTILINGUAL) 71 Wie lassen sich die Ergebnisse zusammenfassen und interpretieren? Fünf Befunde sind festzuhalten: • Bilinguale Zeichen kommen häufiger vor als monolingual nichtdeutsche Zeichen. • Bei den zwei-, drei- und mehrsprachigen Zeichen dominieren durchweg Sprachkombinationen mit Deutsch. • Englisch ist in allen Sprachkombinationen die mit Abstand am häufigsten gewählte andere Sprache als Deutsch. • Türkisch ist bei trilingualen Zeichen die mit Abstand am häufigsten gewählte Migrantensprache. • Migrantensprachen sind bei Aushängen mit Diskriminierungspotenzial deutlich überrepräsentiert. Abb. 3.1.2.12: BO-Hamme Bis auf Englisch und Türkisch führen alle anderen Fremdsprachen eine Randexistenz im öffentlichen Raum der untersuchten Stadtteile. Der Gebrauch und damit auch der Status der Sprachen unterscheiden sich auffällig. Insofern ist von zwei Typen sprachlicher Diversität auszugehen: einem dominanten Diversitätstyp, der die Sprachen Deutsch, Englisch und Türkisch umfasst, und einem subordinierten Diversitätstyp, zu dem alle anderen Sprachen gehören – und zwar über sämtliche bi-, tri- und multilingualen Zeichen hinweg. Interpretationswürdig ist auch der Befund, dass bilinguale Zeichen – insbesondere solche mit der Sprachkombination Deutsch / Englisch – häufiger vorkommen als monolinguale nichtdeutsche Zeichen. Eine Erklärung für dieses Ergebnis ist, dass die Anteile von anderen Sprachen als Deutsch (allen voran das Englische) häufig in Form von Namen (z.B. Geschäftsnamen, Namen von Restaurants, Cafés, Vereinen etc.), Ritualia (Begrüßungen, Verabschiedungen) und Claims (Werbesprüche) vorkommen, also nicht für vorrangig informationstragende Textteile verwendet werden. Im Vordergrund dieser Sprachpraxis steht die emblematische, d. h. sozialsymbolische Funktion von Sprache (Androutsopoulos / Ziegler i. Dr.). Dabei ist nicht so wichtig, was gesagt wird, sondern welche Sprache verwendet wird und welche Aspekte assoziativ mit der jeweiligen Sprache verbunden werden. Insofern ist es auch nicht notwendig, dass die Textproduzenten die betreffenden Sprachen kompetent beherrschen, genauso wenig wie es notwendig ist, dass die Leser verstehen müssen, was genau gemeint ist. Es reicht, wenn das kulturelle Stereotyp (z. B. Internationalität, Luxus, Modernität etc.), das mit einem fremdsprachigen Namen, Claim oder auch Ausdruck transportiert werden soll, erkannt wird (vgl. Abb. 3.1.2.12, Abb. 3.1.2.13). Kelly-Holmes (2014) spricht in diesem Zusammenhang, insbesondere im Kontext von Marketing und Werbung, von einem »fetischisierten Sprachgebrauch«, weil die Sprachen bei dieser Sprachpraxis ihren instrumentellen Charakter einbüßen. Was zählt, ist weniger ihr kommunikativer Nutzen als viel mehr ihr symbolischer Wert für die Fremdwahrnehmung. Wie hoch der symbolische Wert des Englischen für den Anschein von Modernismus, Internationalität etc. ist, zeigen die Daten und die festgestellte Sprachenhierarchie eindrücklich. Schließlich ist auch der Befund zu kommentieren, dass Migrantensprachen auf Verbotsschildern u. Ä. überrepräsentiert sind, eine Tendenz, die schon Hinnenkamp (1989) beobachtet. Sie deutet auf spezifische Wahrnehmungsstrukturen und verdeckte Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft und betrifft insbesondere Migrantensprachen und Migranten aus Ost- und Südosteuropa, die auf diese Art und Weise mehr oder weniger subtil diskriminiert werden. Dass diese diskriminierende Haltung in der Geschäftswelt schon recht manifest ist, zeigt sich daran, dass solche Aushänge relativ häufig begegnen und sehr oft dieses spezifische Sprachenspektrum aufweisen. Abb. 3.1.2.13: E-Rüttenscheid 72 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1.2 FORMEN VON MEHRSPRACHIGKEIT (MONO-, BI-, TRI- UND MULTILINGUAL) 73 3.1.3 Informationsmanagement Das Informationsmanagement, als eine Facette des Sprachenmanagements, beschäftigt sich damit, ob auf einem mehrsprachigen Beleg-Bild eine Information komplett oder teilweise übersetzt ist oder ob die Information in Sprache A und Sprache B verschieden ist (= erweitertes Informationsmanagement). Dadurch kann besser verstanden werden, inwieweit Informationen allgemein zugänglich gemacht werden bzw. wer adressiert wird: Sind die Zielgruppe monolingual Deutsche, sind es mehrsprachige Personen, sind es Touristen, sind es Personen mit Migrationshintergrund usw.? Im Rahmen der Verschlagwortung der Bilddaten wurde diese Kategorie fakultativ vergeben, d. h. nur dann, wenn eine komplette, teilweise oder erweiterte Übersetzung der Information des Textes der Ausgangssprache in eine andere Sprache bzw. in andere Sprachen vorlag. In ihrer Systematik lehnt sich die Einteilung an Reh (2004) und Backhaus (2007) an. Von insgesamt 5 305 mehrsprachigen Schildern in unserer Datenbank wurden 1561 Beleg-Bilder mit der Kategorie »Informationsmanagement« verschlagwortet. Von diesen Bildern sind 10 % komplett übersetzt, 21 % teilweise übersetzt, und 69 % enthalten unterschiedliche Informationen in den Sprachen, die auf dem Schild verwendet werden. a) Komplett übersetzte Informationen (160 Fälle) Als komplett übersetzt werden solche Bilder verschlagwortet, die zwei oder mehr Sprachen und in den Sprachen die gleiche Information enthalten. Die rechts stehenden Bilder sind Beispiele für komplette Übersetzungen. So zeigt der Text auf Abb. 3.1.3.2 in den Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch, Italienisch und Griechisch an, dass es sich um ein Büro handelt, in dem Sportwetten angenommen werden. In Abb. 3.1.3.3 wird in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch mitgeteilt, dass an dem Automat Fahrkarten zu kaufen sind. Bei Schildern mit kompletten Übersetzungen handelt es sich meistens um recht kurze Informationen, wie auch unsere Beispiele zeigen. In den meisten Fällen steht Deutsch an erster Stelle – häufiger in einer größeren Schrift, gefolgt von weiteren Sprachen wie Englisch oder Türkisch. Die meisten komplett übersetzten Schilder sind zweisprachig (66 %), 14 % sind dreisprachig, und 20 % enthalten mehr als drei Sprachen. 60 % der komplett übersetzten Schilder kommen im kommerziellen Diskurs vor (Abb. 3.1.3.2, Abb. 3.1.3.4). 30 % der Schilder lassen sich dem infrastrukturellen Bereich zuordnen (Abb. 3.1.3.3). So befinden sich viele dieser Schilder an einem Hauptbahnhof (Abb. 3.1.3.5) oder an kulturellen Einrichtungen (Abb. 3.1.3.6, Abb. 3.1.3.8), wo Informationen für Gäste und Touristen in mehreren Sprachen, meistens Deutsch und Englisch, angezeigt werden. Komplett übersetzte Informationen 160 % bilingual 106 66 Anzahl Sprachen Diskurstypen trilingual 22 14 multilingual 32 20 infrastrukturell 56 34 regulatorisch 7 4 kommerziell 95 57 transgressiv 5 3 künstlerisch 2 1 kommemorativ 2 1 anderer Diskurstyp 0 0 Abb. 3.1.3.2: DO-Nordstadt Abb. 3.1.3.3: E-Hauptbahnhof Abb. 3.1.3.4: DU-Innenstadt Abb. 3.1.3.5: E-Hauptbahnhof Abb. 3.1.3.6: Dortmunder U Abb. 3.1.3.7: DU-Marxloh Abb. 3.1.3.8: E-Zollverein Abb. 3.1.3.1: Anzahl der Sprachen und Diskurstypen bei Schildern mit komplett übersetzten Informationen 74 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.1.3 INFORMATIONSMANAGEMENT 75 b) Teilweise übersetzte Informationen (321 Fälle) Abb. 3.1.3.9: BO-Hamme Abb. 3.1.3.10: E-Hbf Abb. 3.1.3.11: DU-Marxloh Abb. 3.1.3.12: DU-Marxloh Bei den als teilweise übersetzt eingeordneten Bild-Belegen handelt es sich um zwei- oder mehrsprachige Schilder, bei denen nur ein Teil der Information aus Sprache A auch in Sprache B wiedergegeben oder sinngemäß wiederholt wird. Typische Beispiele für teilweise übersetzte Schilder sind die Abb. 3.1.3.9 und Abb. 3.1.3.10 der Deutschen Bahn, die sich an einem Bahnhof befinden. Während die Informationen im Deutschen sehr ausführlich sind, werden im Englischen nur wesentliche Inhalte wie »Non-Smoking Station« oder eine knappe Zusammenfassung des deutschen Inhalts angegeben. Ebenso wird in den anderen Bild-Beispielen die deutsche Information nur zum Teil in die andere Sprache übersetzt oder inhaltlich zusammengefasst. Personen, die kein Deutsch verstehen, sollen durch solche Schilder mindestens den wesentlichen Inhalt der Information erfassen können. Auch bei den teilweise übersetzten Informationen sind die meisten der Belege zweisprachig (68 %), gefolgt von dreisprachigen Belegen (19 %) und solchen, die ihre Inhalte in mehr als drei Sprachen teilweise wiedergeben (13 %). Am häufigsten kommen die Belege im kommerziellen Diskurs vor (63 %; Abb. 3.1.3.11, Abb. 3.1.3.12 und Abb. 3.1.3.13), gefolgt vom infrastrukturellen Diskurs (17 %; z. B. die schon erwähnten Abb. 3.1.3.9 und Abb. 3.1.3.10). c) Erweitert = unterschiedliche Informationen in Sprache A und B (1 080 Fälle) Die mit »erweitert« verschlagworteten Bild-Belege haben auf ihren Schildern zwei oder mehrere Sprachen mit jeweils verschiedenem Informationsgehalt. Auf dem Plakat Abb. 3.1.3.16 wird zu einem Wohltätigkeitsbasar (»Kermes«) eingeladen, und zwar in den Sprachen Türkisch und Deutsch: Während auf Türkisch »Kermesimize hepiniz davetlisiniz« (»Sie sind herzlich auf unsere Kermez eingeladen«) steht, wird auf Deutsch mitgeteilt, dass sich die Veranstalter auf ein unterhaltsames Miteinander freuen. Die Informationen unterscheiden sich also deutlich, indem im Türkischen der Veranstaltungszweck und im Deutschen die kulturelle Begegnung betont wird. Der komplette Text auf dem Plakat kann also nur von Personen verstanden werden, die beide Sprachen beherrschen. Ähnlich verhält es sich bei dem Text auf der Abb. 3.1.3.17, die im Kapitel »Code-Switching« (vgl. Kap. 3.4.7) näher besprochen wird. Die meisten der Bild-Belege mit erweiterter Information sind zweisprachig (79 %), gefolgt von dreisprachigen Schildern (19 %) und solchen, die mehr als drei Sprachen enthalten (2 %). Am häufigsten findet man solche Belege im kommerziellen Bereich (65 %), gefolgt vom transgressiven (35 %) und infrastrukturellen Bereich (2 %). Abb. 3.1.3.13: DO-Nordstadt Teilweise übersetzte Informationen 321 % bilingual 219 68 Diskurstypen Erweiterte Informationen 1080 % bilingual 851 79 Anzahl Sprachen trilingual 62 19 trilingual 204 19 multilingual 40 13 multilingual 25 2 infrastrukturell 54 17 infrastrukturell 17 2 regulatorisch 29 9 regulatorisch 0 0 kommerziell 202 62 kommerziell 698 64 transgressiv 35 11 transgressiv 378 34 künstlerisch 0 0 künstlerisch 1 0,2 kommemorativ 0 0 kommemorativ 3 0,5 anderer Diskurstyp 3 1 anderer Diskurstyp 2 0,3 Abb. 3.1.3.14: Anzahl der Sprachen und Diskurstypen bei Schildern mit teilweise übersetzten Informationen 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.1.3.17: E-Altendorf Abb. 3.1.3.18: E-Rüttenscheid Abb. 3.1.3.19: DO-Nordstadt Abb. 3.1.3.20: DO-Nordstadt Anzahl Sprachen 76 Abb. 3.1.3.16: DO-Nordstadt Diskurstypen Abb. 3.1.3.15: Anzahl der Sprachen und Diskurstypen bei Schildern mit erweiterten Informationen 3.1.3 INFORMATIONSMANAGEMENT 77 3.2 Sichtbare Diskurstypen im öffentlichen Raum Wer durch Straßen einer beliebigen Stadt geht, sieht sich von einer Fülle unterschiedlicher Zeichen umgeben, die gelesen werden wollen. Das Spektrum reicht von Straßenschildern und Firmennamen über Werbeplakate bis zu Aufklebern und Graffitis. Auch wenn viele einzelne davon überall auf der Welt, in Europa oder mindestens in Deutschland zu sehen sind, so prägen sie in ihrer jeweils speziellen Mischung doch das charakteristische Erscheinungsbild einer Straße, eines Platzes oder eines ganzen Viertels – manchmal mindestens so stark wie die Architektur oder die Platzierung der verschiedenen Gebäude. Mit Scollon / Scollon (2003: 167) unterscheiden wir zunächst vier Diskurstypen in öffentlichen Räumen. »Infrastrukturelle« Zeichen informieren über Merkmale und besondere Einrichtungen des öffentlichen Raums. So gibt es z. B. Wegweiser, Schilder für Straßennamen, Namen und Informationen an Haltestellen, Fahrradstationen, Schulen, Behörden und Kirchen. »Regulatorische« Zeichen schreiben vor, wie man sich an den verschiedenen Stellen zu verhalten hat. Dazu zählen insbesondere Verkehrs- und Verbotsschilder. Zu »kommerziellen« Zeichen gehören Eigennamen von Geschäften, Informationen über deren Angebot sowie Werbung. Als »transgressiv« gelten Zeichen, die unautorisiert angebracht wurden, insbesondere Aufkleber und Graffitis aller Art. Den Löwenanteil sämtlicher gut 25 000 dokumentierten Zeichen in unserer Datenbank stellen die kommerziellen (knapp 49 %) und die transgressiven (knapp 39 %). Mit großem Abstand folgen infrastrukturelle (knapp 7 %) und regulatorische Zeichen (knapp 5 %). In unserem Material kommen außerdem noch »kommemorative« (z.B. Gedenktafeln), nicht-transgressive »künstlerische« (z.B. folierte Gedichte an einem Baum) sowie »andere« Botschaften (z.B. Wahlkampf-Plakate) vor; sie machen zusammen weniger als 1 Prozent aus. Infrastrukturelle und regulatorische Zeichen zusammen bilden 11,6 % offizielle Zeichen – gegenüber 48,8 % kommerziellen und 38,7 % transgressiven Zeichen. Auf den ersten Blick könnte so der Eindruck entstehen, dass Privatwirtschaft und Subkultur (mit zusammen sieben Achteln) die Zeichenwelt öffentlicher Räume unter sich aufteilten, während dem Staat gerade einmal ein gutes Neuntel verbleibt. Dieser Eindruck scheint sich mit einem zusätzlich starken Gewicht zugunsten kommerzieller Zeichen zu bestätigen, wenn man die Größe der Zeichen betrachtet: 25 all der 34 Zeichen, die mehr als 10 Quadratmeter Fläche einnehmen, sind kommerziell – gegenüber lediglich 4 offiziellen Zeichen (und 3 transgressiven). Und ganz ähnlich 76 % der gut 1400 Zeichen von über ein bis 10 Quadratmetern Fläche sind kommerziell – gegenüber lediglich 11 % offiziellen Zeichen (und 12 % transgressiven). Allerdings hängen Rezeptionshäufigkeit und -intensität und damit die Wirkung von Zeichen keineswegs allein von ihrer Menge und Größe ab (s. Abb. 3.2.1). Ein vergleichsweise kleines Stoppschild wird sicher öfter und wirkungsvoller wahrgenommen als ein ungleich größeres Namensschild über einem Ladeneingang. Um die Zeichen im Hinblick darauf zu gewichten, wie oft und wie sehr sie ins Auge springen, müsste man einen Auffälligkeitsfaktor einführen, der beispielsweise noch die Relevanz und Frequentierung des Ortes, die Prägnanz der Gestaltung und die tatsächliche Wirkung auf unterschiedliche Personengruppen (z.B. Autofahrer vs. Fußgänger) berücksichtigte. Außerdem spielt die Lebensdauer der Zeichen eine Rolle, also wie fest installiert und wie lange haltbar sie sind (z.B. Ortsschild vs. Wahlplakat). Angesichts teilweise subjektiver Kriterien und des gewaltigen Aufwandes (etwa durch Passantenbefragungen) wäre das für wissenschaftliche Untersuchungen allerdings ein aussichtsloses Unterfangen. Abb. 3.2.1: BO-Hauptbahnhof 78 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2 SICHTBARE DISKURSTYPEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 79 Unterschiedliche regionale Verteilung der Diskurstypen Die untersuchten Bezirke sind unterschiedlich geprägt (vgl. Kap. 2). Zum Teil kann man das auch an der unterschiedlichen regionalen Verteilung der Diskurstypen ablesen (Abb. 3.2.2). In der zusammenfassenden ersten Zeile von Abb. 3.2.2 werden die Werte der beiden folgenden Zeilen aufaddiert. Es liegt auf der Hand, dass in den Hauptbahnhöfen (letzte Spalte) ganz erheblich mehr offizielle, nämlich sowohl orientierende als auch regulierende Zeichen verwendet werden als andernorts. Denn hier geht es ja vorrangig darum, dass sich sehr viele Menschen möglichst effizient von einem Ort zu einem anderen begeben wollen. Dass in Rüttenscheid erheblich mehr infrastrukturelle Zeichen stehen, in der multikulturell geprägten Nordstadt dagegen erheblich weniger als anderswo, könnte darauf schließen lassen, dass in dem bürgerlich geprägten Vorort mehr öffentliche Einrichtungen vorgehalten werden als in der multikulturellen Nordstadt. Das verkehrsintensive Altendorf braucht mehr regulierende Zeichen als das ruhigere Hörde. Besonders interessant wirken Verteilung und Verhältnis der beiden am häufigsten vertretenen Diskurstypen: kommerziell und transgressiv. Beide sind in den verschiedenen Bezirken nämlich sehr unterschiedlich stark vertreten, addieren sich jedoch jeweils zu etwa gleich großen Anteilen: je mehr kommerzielle Zeichen, desto weniger transgressive und umgekehrt. Die Tabelle in Abb. 3.2.3 zeigt das deutlicher. Die erste Zeile von Abb. 3.2.3 addiert die Werte für kommerziellen und transgressiven Diskurs aus Abb. 3.2.2. Die zweite Zeile drückt deren jeweilige Anteile als Quotient »kommerziell durch transgressiv« aus: Insgesamt kommen also 1,3 Mal so viele kommerzielle Zeichen vor wie transgressive. In Marxloh und Altendorf allerdings, zwei Stadtteilen mit überdurchschnittlich vielen Einwohnern ohne deutsche oder mit doppelter Staatsbürgerschaft (s. Kap. 2) und auch entsprechend zahlreichen Geschäften mit nichtdeutschen Aufschriften, gibt es gleich vier bis fünf Mal so viele kommerzielle wie transgressive Zeichen. In Rüttenscheid hingegen kommen sogar mehr transgressive als kommerzielle Zeichen vor – vielleicht deshalb, weil einerseits die eher bürgerlichen Restaurants und Geschäfte dort zurückhaltender beschriftet sind und weil andererseits hier besonders viele Aufkleber um die Aufmerksamkeit des einkaufenden Publikums buhlen. In Nordstadt freilich, von allen Bezirken der multikulturellste, sieht man relativ noch weniger alle Diskurs Mar Inn Alt Rüt Ham Lan Nor Hör HBFs 11,6 % infrastrukturell & regulatorisch 8,4 % 6,6 % 10,3 % 10,0 % 11,8 % 8,1 % 6,8 % 5,8 % 37,0 % 6,6 % infrastrukturell 4,6 % 4,0 % 4,4 % 5,2 % 5,3 % 4,1 % 3,4 % 3,7 % 23,1 % 4,9 % regulatorisch 3,9 % 2,7 % 6,0 % 4,8 % 6,5 % 4,0 % 3,4 % 2,2 % 13,9 % 48,8 % kommerziell 75,2 % 51,9 % 71,8 % 42,3 % 47,3 % 49,1 % 38,1 % 67,5 % 29,7 % 38,7 % transgressiv 15,8 % 41,3 % 17,0 % 45,5 % 40,5 % 42,3 % 54,3 % 26,0 % 33,1 % 0,9 % sonstige 0,5 % 0,1 % 0,9 % 2,2 % 0,4 % 0,5 % 0,8 % 0,6 % 0,2 % 100 % gesamt 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % Abb. 3.2.2: Anteile der Diskurstypen in den verschiedenen Bezirken kommerzielle und noch mehr transgressive Zeichen. Hier liegt das daran, dass der öffentliche Raum noch sehr viel intensiver von Graffitis und Aufklebern in Beschlag genommen wird. Bei den Bahnhöfen wiederum finden sich insgesamt weniger kommerzielle und weniger transgressive Zeichen, und für kommerzielle wird weniger Platz zur Verfügung gestellt als an Straßen. In der folgenden Abb. 3.2.4 lassen wir die Bahnhöfe einmal außer Acht und vergleichen nur die vier nördlichen Bezirke (Marxloh, Altendorf, Hamme, Nordstadt) zusammen mit den vier südlichen (DU-Innenstadt, Rüttenscheid, Langendreer, Hörde). Trotz der beschriebenen Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtteilen fällt auf, dass alle nördlichen zusammen relativ mehr regulatorische und mehr kommerzielle, jedoch weniger transgressive Zeichen aufweisen als die südlichen. Wir vermuten, dass transgressive Zeichen (Graffitis und Aufkleber) vor allem von jungen Deutschen ohne Migrationsbiographie platziert werden, und zwar vorzugsweise in den (eher südlichen) Revieren, in denen sie selbst wohnen und / oder sich am meisten Aufmerksamkeit erhoffen. acht Bezirke vier nördliche vier südliche infrastrukturell & regulatorisch 8,5 % 9,2 % 8,1 % infrastrukturell 4,4 % 4,3 % 4,4 % regulatorisch 4,1 % 4,9 % 3,7 % kommerziell 51,1 % 54,6 % 49,1 % transgressiv 39,5 % 35,6 % 41,7 % sonstige 0,9 % 0,7 % 1,1 % gesamt 100 % 100 % 100 % Abb. 3.2.4: Anteile der Diskurstypen in den nördlichen und südlichen Bezirken alle Diskurs Mar Inn Alt Rüt Ham Lan Nor Hör HBFs 87,5 komm. & transgr. 91,0 93,2 88,8 87,8 87,8 91,4 92,4 93,5 62,8 1,3 komm. / transgr. 4,8 1,3 4,2 0,9 1,2 1,2 0,7 2,6 0,9 Abb. 3.2.3: Kommerziell und transgressiv in den verschiedenen Bezirken 80 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2 SICHTBARE DISKURSTYPEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 81 3.2.1 Infrastruktureller und regulatorischer Diskurs Gut jedes neunte Zeichen in den untersuchten Bezirken des Ruhrgebiets wurde von einer staatlichen Stelle angebracht, hat also »offiziellen« Charakter und gibt damit einen Einblick in das Sprachenmanagement »von oben« (Shohamy / Waksman 2012). Knapp drei Fünftel davon informieren »infrastrukturell« über Merkmale und besondere Einrichtungen des öffentlichen Raums (z.B. Wegweiser). Gut zwei Fünftel schreiben »regulatorisch« vor, wie man sich zu verhalten hat (z.B. Verkehrsschilder). Betrachten wir zunächst die 1708 »infrastrukturellen« Zeichen (s. Tabelle in Abb. 3.2.1.1). 111 davon zeigen nur ein Bild oder Ziffern (z.B. ein Blitz-, Rollstuhl- oder Papierkorb-Icon; Abb. 3.2.1.4 und Abb. 3.2.1.8). Mit einsprachigem Text kommen 1388 Zeichen aus: fast alle in Deutsch (Abb. 3.2.1.7), nur drei in Englisch (»TicketLine«, »P+R«). Zeichen infrastrukturell % regulatorisch % ∑ offiziell % Fotos 1708 100 1265 100 2973 100 davon ohne Text 111 6,5 361 28,5 472 15,9 einsprachig 1597 100 904 100 2501 100 einsprachig Deutsch 1385 86,7 855 94,6 2240 89,6 einsprachig Englisch 3 0,2 1 0,1 4 0,2 Deutsch + Englisch 137 8,6 36 4,0 173 6,9 Deutsch + Türkisch 7 0,4 2 0,2 9 0,4 Deutsch + Französisch 4 0,3 - - 4 0,2 Deutsch + Arabisch 2 0,1 - - 2 0,1 Deutsch + Italienisch 1 - 1 0,1 2 0,1 Deutsch + Spanisch 1 - - - 1 - Deutsch + Niederländ. 1 - - - 1 - Deutsch + Polnisch 1 - - - 1 - Deutsch + Schwedisch 1 - - - 1 - Deutsch + Koreanisch 1 - - - 1 - Dt. + Engl. + Franz. 30 1,9 7 0,8 37 1,5 Dt. + Engl. + Lat. 3 0,2 1 0,1 4 0,2 Dt. + zweite + dritte 8 0,5 - - 8 0,3 mehr als drei Sprachen 12 0,8 1 0,1 13 0,5 Summe (mit Text) 1597 100 904 100 2501 100 Abb. 3.2.1.1: Mehrsprachigkeit im infrastrukturellen und regulatorischen Diskurs 82 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Weitere 156 Belege nutzen außer Deutsch nur eine zweite Sprache: 137 × Englisch, 7 × Türkisch (fünf in der Nordstadt, zwei in Marxloh; Abb. 3.2.1.5), 4 × Französisch, 2 × Arabisch und je einmal Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Polnisch, Schwedisch und Koreanisch. Außer bei Englisch handelt es sich fast immer um Eigennamen. Sodann gibt es 30 Belege mit Deutsch, Englisch und Französisch sowie je einen mit Deutsch und Englisch sowie Niederländisch, Dänisch bzw. Türkisch. 8 weitere zeigen andere Kombinationen dreier Sprachen. Außer bei Englisch und Französisch handelt es sich bei den nichtdeutschen Texten stets um Eigennamen – außer bei zwei Müllcontainern mit deutscher, türkischer und russischer Aufschrift (Abb. 3.2.1.3). Die restlichen 12 Objekte verwenden jeweils mehr als drei Sprachen: manchmal mit Eigennamen, manchmal mit Gebrauchshinweisen für Mülltonnen oder Automaten. Nun zu den 1265 »regulatorischen« Zeichen (s. wieder Tabelle in Abb. 3.2.1.1). 361 davon kommen ganz ohne Text aus. Es sind Verkehrsschilder wie in Abb. 3.2.1.6 oder Abb. 3.2.1.10. Eine einzige Sprache verwenden 856 Belege, und zwar mit einer Ausnahme (»No Smoking«) immer Deutsch (Abb. 3.2.1.11). Zweisprachig deutsch und englisch sind 36 Fälle, drei Mal steht ein türkischer oder italienischer Eigenname bei einem deutschen Text. Ausschließlich an Bahnhöfen gibt es dann sieben kurze deutsch-englisch-französische Hinweise, einen deutsch-englischen samt lateinischem Eigennamen und ein viersprachiges (deutsch-englisch-französisch-italienisches) Schild. Andere Sprachen kommen gar nicht vor. Sprache infrastrukturell % regulatorisch % ∑ offiziell % Deutsch 1589 85,2 903 93,7 2492 88,1 Englisch 183 9,8 46 4,8 229 8,1 Französisch 41 2,2 8 0,8 49 1,7 Türkisch 15 0,8 2 0,2 17 0,6 Italienisch 7 0,4 2 0,2 9 0,3 Niederländisch 5 0,3 - - 5 0,2 Russisch 5 0,3 - - 5 0,2 Arabisch 3 0,2 - - 3 0,1 Koreanisch 3 0,2 - - 3 0,1 Spanisch 3 0,2 - - 3 0,1 Latein 1 0,1 1 - 2 0,1 Sonstige 10 0,5 - - 10 0,3 Summe 1865 100 962 100 2827 100 Alles in allem verwenden also fast alle »offiziellen« Schilder im öffentlichen Raum, die überhaupt Text enthalten, Deutsch und fast 90 % nur Deutsch (s. die letzte Spalte der Tabelle in Abb. 3.2.1.1). Englisch und Französisch treten meist als Übersetzung deutscher Wörter oder kurzer Texte auf demselben Schild in Erscheinung (vor allem an Bahnhöfen und Kultureinrichtungen), während aus anderen Sprachen häufig nur Eigennamen zu sehen sind (Abb. 3.2.1.9). Die fast überwältigende deutsche Einsprachigkeit offizieller (regulatorischer noch mehr als infrastruktureller) Aufund Inschriften zeigt auch die Tabelle in Abb. 3.2.1.2. Hier werden nicht Schilder gezählt wie in der Tabelle in Abb. 3.2.1.1, sondern Sprachvorkommen. Auf einem dreisprachigen Schild wie etwa in Abb. 3.2.1.3 wird hier also jede Sprache einmal gezählt. Deutsche Passagen machen wieder fast neun Zehntel aus, englische und französische zusammen fast ein Zehntel; alle übrigen Sprachen zusammen gerade einmal zwei Prozent. Von nichtdeutschen Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern wird also erwartet, dass sie mindestens kurze deutsche Texte lesen können. Abb. 3.2.1.2: Sprachen im infrastrukturellen und regulatorischen Diskurs 3.2.1 INFRASTRUKTURELLER UND REGULATORISCHER DISKURS 83 Abb. 3.2.1.3: Müllcontainer in BO-Langendreer Abb. 3.2.1.4: Blitz-Icon in BO-Langendreer Abb. 3.2.1.5: Türschild in DU-Marxloh Abb. 3.2.1.7: Wegweiser in DU-Innenstadt Abb. 3.2.1.6: Verkehrsschild in BO-Langendreer Abb. 3.2.1.8: Papierkorb-Icon in BO-Hamme Abb. 3.2.1.10: Verkehrsschild in BO-Hamme Abb. 3.2.1.11: Parkschild in DO-Hörde Abb. 3.2.1.9: Aufkleber in DO-Nordstadt 84 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.1 INFRASTRUKTURELLER UND REGULATORISCHER DISKURS 85 3.2.1.1 Deutsch und andere Sprachen an vier Bahnhöfen Wie sehr ein Ort als international erlebt wird oder werden soll, dürfte an Bahnhöfen besonders gut zu erkennen sein. Denn hier verkehren sehr viele Menschen, zum Teil auch aus aller Welt, kommen an und fahren ab. Welche Sprachen sieht man an Bahnhöfen? Wir lassen kommerzielle und transgressive Zeichen außer Betracht und kümmern uns nur um den offiziellen Diskurs, der also von staatlichen Stellen verantwortet wird. Wie immer haben wir nur öffentlich zugängliche Außenbereiche dokumentiert, keine Innenräume. An den vier Hauptbahnhöfen in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund gibt es 575 offizielle Schilder und Aufkleber mit Text. 469 davon (82 %) sind einsprachig deutsch gehalten (Abb. 3.2.1.1.1 und Abb. 3.2.1.1.2). 67 kommen (partiell) zweisprachig in Deutsch und Englisch vor (Abb. 3.2.1.1.3), 33 weitere dreisprachig in Deutsch, Englisch und Französisch (Abb. 3.2.1.1.4). Vier weitere nutzen außer diesen drei noch eine oder drei weitere Sprachen (Italienisch, Spanisch, Polnisch) (Abb. 3.2.1.1.5) und zwei überhaupt nur Englisch (Abb. 3.2.1.1.6). Andere Sprachen kommen gar nicht vor. 86 Warum wann welche Sprachen neben Deutsch verwendet werden, bleibt unklar. Die unterschiedlichen Sprachkombinationen scheinen von Fall zu Fall zufällig gewählt, jedenfalls nicht systematisch etwa nach bestimmten Orten oder für bestimmte Zwecke. Beispielsweise zeigt Abb. 3.2.1.1.7 einen einsprachigen Hinweis für Notfälle, Abb. 3.2.1.1.8 aber einen viersprachigen. Bei den fremdsprachigen Passagen handelt es sich fast immer um Übersetzungen einzelner Wörter (»Non-Smoking Station; Welcome / Bienvenue; Entrance / Entrée; Pull / Tirez; Tickets / Billets / Biglietti; Waste / Dechets«) oder kurzer Texte (Buy your tickets here / Retirer le billet ici) (Abb. 3.2.1.1.9, Abb. 3.2.1.1.10 bzw. Abb. 3.2.1.1.4). Einige der englischen Passagen richten sich eigentlich nur ein an deutschsprachiges Publikum oder verwenden (mutmaßlich oder tatsächlich) international gebräuchliche Anglizismen wie »Service Point, Off – On« oder »P+R« für »Park and Ride« (Abb. 3.2.1.1.6). Besonders witzig oder wunderlich kommt Abb. 3.2.1.1.11 daher: Der Wortlaut »Kiss & ride frei« muss durch eine Illustration erklärt werden. Oft hat man den Eindruck, dass eher wahllos vereinzelte englische oder französische Wörter deutschen Texten hinzugefügt wurden, um sich wenigstens einen gewissen Anschein von Internationalität zu geben. Besonders funktionslos steht zum Beispiel in Abb. 3.2.1.1.12 rechts oben die Zeile »Münzen / Coins / Monnaies« neben sehr langen ausschließlich deutschen Gebrauchsanweisungen an einem Parkautomaten. Am selben Bahnhof konsequenter lesen wir das knappe »Hier Münzen einwerfen« vollständig in fünf weiteren Sprachen (Abb. 3.2.1.1.5). Ein einziges Mal finden wir einen echten viersprachigen Text vor, nämlich am Nothalt einer Rolltreppe (Abb. 3.2.1.1.8). Wo überhaupt nichtdeutsche Beschriftungen auftauchen, handelt es sich meistens um einzelne Wörter, die an den meisten Bahnhöfen der Welt vorkommen und so einfach sind, dass jedenfalls Touristen auch die deutschen Entsprechungen verstehen. Oft werden diese Texte von international gebräuchlichen stilisierten Bildern (Icons) begleitet, die eigentlich auch die deutsche Fassung entbehrlich machen. Hier geht es wohl mehr darum, ein Image von Internationalität zu erzeugen, als um eine wirkliche Hilfe für Ausländer. Wirklich funktionale mehrsprachige Texte kommen nur sehr selten vor und fast gar nicht in anderen Sprachen als Englisch und Deutsch. Abb. 3.2.1.1.1: Verbot, E-Hauptbahnof Abb. 3.2.1.1.2: Gebot, E-Hauptbahnof Abb. 3.2.1.1.3: Hinweis, E-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.7: Warnung, BO-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.8: Hinweis, E-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.9: Hinweis, BO-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.4: Schild, E-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.5: Hinweis, DO-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.6: Park & Ride, DO-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.10: Hinweis, DO-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.11: Verkehrsschild, E-Hauptbahnhof Abb. 3.2.1.1.12: Parkautomat, DO-Hauptbahnhof 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.1.1 DEUTSCH UND ANDERE SPRACHEN AN VIER BAHNHÖFEN 87 3.2.1.2 Deutsch und andere Sprachen an Kitas, Bürgerbüros und Kulturstätten Abb. 3.2.1.2.1: Information an einer Kita, DO-Nordstadt Abb. 3.2.1.2.2: Schild an einer Kita, DO-Hörde Abb. 3.2.1.2.3: Aufkleber auf dem Briefkasten einer KiTa, Dortmund-Hörde 88 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Kindertagesstätten im Ruhrgebiet werden von Kindern und Eltern mit zahlreichen verschiedenen Muttersprachen genutzt. Diese Vielsprachigkeit schlägt sich allerdings nicht in den Texten an diesen Kitas nieder. In jedem der untersuchten acht Stadtteile haben wir die Texte und andere sichtbaren Zeichen auf dem Gelände einer Kita (nicht innen) ausgewertet. Neben 13 Graffiti-Tags und textlosen Bildern gibt es an allen acht Kitas zusammen 131 In- und Aufschriften. 115 davon (88 %) sind einsprachig deutsch, darunter mit einer einzigen Ausnahme (Abb. 3.2.1.2.4) sämtliche 86 offiziellen. Wenn andere Sprachen vorkommen, dann fast immer nur als englischer, spanischer oder chinesischer Eigenname in sonst deutschsprachigem Kontext. Selbst Informationen und Warnhinweise sind stets nur einsprachig deutsch gehalten (Abb. 3.2.1.2.1 und Abb. 3.2.1.2.2). Der einzige echt zweisprachige Text (in dem also nicht nur ein nichtdeutscher Eigenname vorkommt) steht auf dem gemeinwohlorientierten Aufkleber einer türkischen Bank in DO-Hörde (Abb. 3.2.1.2.3). Die einzigen Aufschriften mit mehr als zwei Sprachen sind Info-Aufkleber an einem Müllcontainer in DO-Hörde (Abb. 3.2.1.2.4) und »Herzlich Willkommen«-Aufkleber an zwei Fenstern einer Kita in E-Altendorf (Abb. 3.2.1.2.5). Konsequent einsprachig deutsch geben sich auch die zentralen Bürgerbüros der vier Städte. An deren Eingangsbereichen finden sich zusammen 88 Schilder oder Aufkleber. 20 davon zeigen nur Bilder (z.B. Rauchverbotszeichen). Von den übrigen 68 mit Text verwenden nur drei wenigstens ein fremdsprachiges Wort: Eines verweist neben deutschen Ämtern auch auf eine Firma mit englischem Namen; ein weiteres erklärt dem deutschsprachigen Publikum die Bedeutung des neu eingeführten Anglizismus »Speed Capture Station« (Abb. 3.2.1.2.6); und nur an einer automatischen Fahrradausleihe, die mit dem Bürgerbüro nichts zu tun hat, gibt es lange Gebrauchshinweise in deutscher und englischer Sprache. Etwas anders verhält es sich bei Kulturstätten als touristischen Attraktionen. Für Duisburg haben wir den Landschaftspark Nord ausgewählt, für Essen das RuhrMuseum auf Zollverein, für Bochum die Jahrhunderthalle und für Dortmund den U-Turm. In den Außenbereichen finden wir hier zusammen 431 Belege. Ohne die 69 reinen Bilder und Graffiti-Tags gibt es 362 Schilder und Aufkleber mit Text. Davon sind 237 (65 %) einsprachig deutsch und 103 (28 %) zweisprachig deutsch und englisch, 19 weitere (5 %) nur englisch. Diese Zahlen müssen etwas genauer betrachtet werden: Konzentrieren wir uns zunächst auf die 227 offiziellen (von staatlichen Stellen verantworteten) Zeichen; das sind 63 % aller Belege, die Text enthalten. 144 (63 %) dieser offiziellen Zeichen sind einsprachig deutsch, 80 (35 %) enthalten außer deutschen auch englische Wörter. Es gibt nur einen rein englischen Text; dafür ist der Anteil der deutsch-englischen Belege höher als bei den nicht offiziellen Zeichen. Der Grund dafür liegt darin, dass hier auch Touristen aus dem Ausland angesprochen werden sollen, wie wir gleich noch sehen werden. Die zweitgrößte Gruppe mit 20 % stellen die 71 kommerziellen Zeichen. 58 davon sind rein deutsch abgefasst, die restlichen 13 enthalten außer deutschen auch englische Wörter. Außerdem gibt es 57 (16 %) transgressive Zeichen mit Text: 29 nur deutsch, 9 deutsch und englisch, 18 nur englisch und ein Aufkleber mit einem türkischen politischen Slogan. Die restlichen 7 Belege sind künstlerischer Art: sechs deutsch, einer deutsch und englisch. Schaut man genauer hin, entpuppen sich über 54 aller 124 englischen Passagen entweder als kurze Einsprengsel (vor allem Eigennamen oder Werktitel) innerhalb deutscher Texte oder aber als englischsprachige Kurzgraffitis wie »2Bad«. Außerdem entdecken wir 19 Mal einen Hinweis auf das »Ruhr.VisitorCenter« (Abb. 3.2.1.2.7) sowie 13 Mal lediglich ganz kurze zweisprachige Aufschriften wie »Entrance« (Abb. 3.2.1.2.8), »Opening Hours«, »Guided Tours« oder »events«. So bleiben an allen vier touristischen Attraktionen zusammen gerade einmal 36 zweisprachige plus zwei mehrsprachige Texte, die mehr als nur ein, zwei oder höchstens fünf Wörter (»International Festival of the Arts«) umfassen. An diesen vier Orten wird Zweisprachigkeit (und nur zwei Mal Mehrsprachigkeit) mehr oder weniger zufällig gepflegt. Ein einheitliches Zwei- oder Mehrsprachigkeits-Konzept wird nicht erkennbar. Besonders hervorzuheben sind allerdings die 15 ausführlichen deutsch-englischen Erklärtexte im Landschaftspark Duisburg; ein weiterer dort ist sogar viersprachig deutsch, englisch, französisch und niederländisch gehalten (Abb. 3.2.1.2.9). Wie angestrengt Zwei- oder Mehrsprachigkeit hier und da angestrebt wird, belegt das einzige fünfsprachige Schild, zugleich das einzige an den vier Kulturstätten mit wenigstens einem türkischen Wort (Abb. 3.2.1.2.10). Abb. 3.2.1.2.11 zeigt, dass geplante Vorgaben vor Ort kaum gelebt werden. Kurzum: Mit im öffentlichen Raum sichtbarer Internationalität ist es in der Metropole Ruhr nicht weit her. Abb. 3.2.1.2.4: Aufkleber an einem Müllcontainer, DO-Hörde Abb. 3.2.1.2.5: Aufkleber an einer Kita, E-Altendorf Abb. 3.2.1.2.6: Plakat am Bürgeramt Gildenhof, Essen Abb. 3.2.1.2.7: : Schild am Dortmunder U-Turm Abb. 3.2.1.2.8: Eingang am Dortmunder U-Turm Abb. 3.2.1.2.9: Viersprachige Infotafel im Landschaftspark Nord, Duisburg Abb. 3.2.1.2.10: Willkommens-Schild am RuhrMuseum, Essen Abb. 3.2.1.2.11: Eingangstür am Dortmunder U-Turm 3.2.1.2 DEUTSCH UND ANDERE SPRACHEN AN KITAS, BÜRGERBÜROS UND KULTURSTÄTTEN 89 3.2.2 Kommerzieller Diskurs 3.2.2.1 Vielfalt der Zeichen und Sprachen im kommerziellen Diskurs Fast die Hälfte (49 %) aller Zeichen in den von uns untersuchten öffentlichen Räumen des Ruhrgebiets erfüllen kommerzielle Zwecke. Dabei handelt es sich um Werbeplakate, Schilder, Aushänge und andere Informationen im Straßenbild, an Geschäften und in Schaufenstern. Teils dienen sie der Werbung für Waren und Dienstleistungen, teils der Information z. B. über Öffnungszeiten; häufig sind beide Funktionen miteinander verbunden, etwa im Ladenschild. Die gesamte Vielfalt wird auch schon in kleinen Räumen sichtbar. Nehmen wir beispielsweise unser Untersuchungsgebiet südlich des Bahnhofs Bochum-Langendreer West. Es umfasst etwa fünf Hektar, nämlich 600 Meter entlang des nördlichen Teils der Alten Bahnhofstraße mit einigen Nebenstraßen. 939 sämtlicher 1908 Zeichen in diesem Bereich sind kommerziell. Das Spektrum reicht von einfachen Logos (Abb. 3.2.2.1.1), Telefonnummern (Abb. 3.2.2.1.2) und Warengattungen (»Mode« Abb. 3.2.2.1.3) über Branchen- oder Geschäftsbezeichnungen ohne (»Grill – Stube – Pizza« Abb. 3.2.2.1.4) und mit Eigennamen (»Blumen Risse« Abb. 3.2.2.1.5) oder auch mit zusätzlich angedeuteter Werbung (»Wulf Optik... wir schaffen Durchblick« Abb. 3.2.2.1.6), weiter dann über kurze Angebote (»Nackenhörnchen 12.90« Abb. 3.2.2.1.7), Preislisten (Abb. 3.2.2.1.8), Öffnungszeiten (Abb. 3.2.2.1.9), Wegweiser (Abb. 3.2.2.1.10) und Warnhinweise »Diese Geschäftsräume sind durch Alarm gesichert!!!« Abb. 3.2.2.1.11) bis zu langen Informationsblättern (Abb. 3.2.2.1.12) sowie kleinen und großen Werbeplakaten (Abb. 3.2.2.1.14, Abb. 3.2.2.1.15). Meist handelt es sich um Aufkleber (34 % im gesamten Material), gedruckte Plakate und Aushänge (33 %) oder um fest montierte Schilder (26 %); es gibt aber auch manuell angefertigte (4 %), gravierte (1 %), elektrische, gesprühte und weitere Zeichen. Die allermeisten davon (91 % im gesamten Material) nehmen weniger als einen Quadratmeter ein, und nur 25 Plakate oder Schilder sind größer als 10 Quadratmeter. 90 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.2.1.1: Einfaches Logo Abb. 3.2.2.1.2: Telefonnummer Abb. 3.2.2.1.3: Warengattung Abb. 3.2.2.1.4: Branchenbezeichnung, ohne Eigenname Abb. 3.2.2.1.5: Branchenbezeichnung, mit Eigenname Abb. 3.2.2.1.6: Branchenbezeichnung, angedeutete Werbung Abb. 3.2.2.1.7: Angebot Abb. 3.2.2.1.8: Preisliste Abb. 3.2.2.1.9: Öffnungszeiten Abb. 3.2.2.1.10: Wegweiser Abb. 3.2.2.1.11: Warnhinweis Abb. 3.2.2.1.12: Informationsblatt 3.2.2 KOMMERZIELLER DISKURS 91 Abb. 3.2.2.1.13: Sprachkombinationen auf den einzelnen Zeichen im kommerziellen Diskurs 92 Zeichen kommerziell % Anzahl 12 556 100,0 davon ohne Text 251 1,7 Belege mit Text 12 305 100,0 einsprachig Deutsch 7838 63,4 einsprachig Englisch 471 3,8 einsprachig andere 338 2,7 Deutsch + Englisch 1607 13,1 Deutsch + Englisch 456 3,7 Deutsch + Italienisch 123 1,0 Deutsch + Französisch 107 0,9 Deutsch + Latein 90 0,7 Deutsch + Arabisch 85 0,7 Deutsch + Polnisch 74 0,6 Deutsch + Spanisch 55 0,4 Deutsch + Niederländ. 30 0,2 Deutsch + Griechisch 29 0,2 Deutsch + Chinesisch 29 0,2 Deutsch + Japanisch 25 0,2 Deutsch + Persisch 19 0,2 Deutsch + Nonstandard 13 0,1 Deutsch + Russisch 13 0,1 Deutsch + Hindi 9 0,1 Deutsch + Tschechisch 8 0,1 Deutsch + Portugiesisch 7 0,1 Deutsch + Kroatisch 6 0,0 0,0 Deutsch + Koreanisch 5 Deutsch + Slowenisch 5 0,0 Deutsch + andere zweite 42 0,3 Englisch + Englisch 49 0,4 Englisch + Italienisch 20 0,2 Englisch + Französisch 12 0,1 Englisch + Spanisch 11 0,1 Englisch + Chinesisch 5 0,0 Englisch + andere zweite 131 1,1 Arabisch + Englisch 1 0,0 Arabisch + Kurdisch 1 0,0 Dt. + Engl. + Frz. 62 0,5 Dt. + Englisch + Latein 21 0,2 Dt. + zweite + dritte 458 3,7 mehr als drei Sprachen 126 1,0 Summe (mit Text) 12 305 100,0 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Wie steht es nun um die Sprachen der meist kurzen Texte auf all diesen kommerziellen Zeichen? Die linke Tabelle (Abb. 3.2.2.1.13) gibt einen Überblick über Sprachkombinationen auf den einzelnen Zeichen im kommerziellen Diskurs (Schildern, Aufklebern usw.). Auf weniger als einem Drittel (29,1 %) dieser Zeichen erscheinen zwei oder mehrere Sprachen nebeneinander, die wir dann als jeweils zwei bzw. entsprechend mehr Sprachvorkommen zählen. So finden wir auf allen kommerziellen Zeichen zusammen 16 869 einzelne Sprachvorkommen. Das sind 61,9 % sämtlicher 27 265 Sprachvorkommen in unserem gesamten Material (vgl. Kap. 3.1.1). Der vergleichsweise hohe Anteil (denn nur knapp die Hälfte aller Zeichen sind kommerziell) erklärt sich vor allem dadurch, dass viele der anderen Zeichen (z.B. Verkehrsschilder, Graffiti, Bildaufkleber) ganz ohne Text auskommen. Die Häufigkeit der Sprachvorkommen auf kommerziellen Zeichen unterscheidet sich nur in wenigen Punkten von der im Gesamtkorpus (s. Kap. 3.1.1). Allerdings findet man Englisch auf kommerziellen Zeichen seltener als sonst: Im Gesamtkorpus ist jedes fünfte Sprachvorkommen englisch (20,1 %), bei den kommerziellen Zeichen nur fast jedes sechste (16,4 %). Dafür ist Deutsch etwas stärker vertreten (67,4 % gegenüber 66,2 %); in absoluten Zahlen gleicht das deutsche Mehr ein Drittel des englischen Weniger aus. Dementsprechend kommen auf kommerziellen Zeichen auch die hinter Deutsch und Englisch 13 nächsthäufigen Sprachen (außer Nonstandard) überdurchschnittlich oft vor, am deutlichsten Türkisch (5,4 % statt 4,1 %), Französisch (1,9 % statt 1,6 %), Italienisch (1,7% statt 1,4 %) und Arabisch (1,0 % statt 0,7 %). Umgekehrt betrachtet erscheint nur die Hälfte (50,3 %) aller englischen Sprachvorkommen auf kommerziellen Zeichen, jedoch 81,3 % aller türkischen Texte. Besonders hoch liegt der Anteil kommerzieller Texte auch beim Arabischen (92 %), Lateinischen (91 %), Polnischen (85 %) und Griechischen (94 %). Vor allem die seltenen Sprachen treten oft nur oder fast nur im kommerziellen Bereich auf: Persisch, Rumänisch, Albanisch, Armenisch, Bulgarisch und Slowenisch zu jeweils 100 % bzw. Tschechisch, Kroatisch und Hindi zu jeweils über 90 %. Alles in allem verwendet der kommerzielle Diskurs also ein leicht ausgewogeneres Sprachenportfolio. Englisch spielt eine etwas geringere Rolle als im Gesamtmaterial, während viele seltene Sprachen hier überhaupt erst zur Geltung kommen. Auch neigt der kommerzielle Diskurs ein wenig mehr zu zwei- und mehrsprachigen Zeichen. Das zeigen die folgenden Zahlen: 69 % aller kommerziellen Zeichen sind einsprachig (darunter 63 % deutsch, 4 % englisch, 1,5 % türkisch) – verglichen mit immerhin 74 % einsprachigen Zeichen im Gesamtkorpus (darunter ebenfalls 63 % deutsch, 8,5 % englisch, 1 % türkisch). 24 % der kommerziellen Zeichen sind zweisprachig (darunter 23 % in Kombination mit Deutsch, und zwar 13 % deutsch & englisch sowie 4 % deutsch & türkisch) – wieder verglichen mit nur 21 % zweisprachigen Zeichen im Gesamtkorpus (darunter 16 % in Kombination mit deutsch, und zwar 11 % deutsch & englisch sowie 2 % deutsch & türkisch). Weitere 4 % kommerzielle Zeichen sind dreisprachig (im Gesamtkorpus nur 3 %) und ein weiteres Prozent multilingual (im Gesamtkorpus 0,6 %). Auch in diesen Verbindungen ist Deutsch fast immer vertreten, danach folgen Englisch und mit ähnlichem Abstand Türkisch. Arg pointiert: Kommerzielle Zeichen nutzen sprachliche Vielfalt etwas mehr als andere Zeichen. Großenteils liegt das an den Herkunftssprachen nichtdeutscher Ladenbesitzer. Abb. 3.2.2.1.14: Kleines Werbeplakat Abb. 3.2.2.1.15: Großes Werbeplakat 3.2.2 KOMMERZIELLER DISKURS 93 3.2.2.2 Kommerzielle Zeichen in ausgewählten Stadtteilen Widmen wir uns nun etwas näher der räumlichen Dichte und sprachlichen Vielfalt kommerzieller Zeichen. Dafür vergleichen wir drei Stadtteile mit besonders prägnanter Charakteristik. DU-Marxloh ist stark türkisch geprägt; außerdem sind ungewöhnlich viele (drei Viertel) der Zeichen in unserem Untersuchungsgebiet dort kommerziell. In DO-Nordstadt wohnen Menschen aus zahlreichen verschiedenen Herkunftsländern; und nur 38 % der Zeichen sind kommerziell. Im Zentrum von E-Rüttenscheid schließlich gibt vor allem ein gehobenes deutsches Publikum sein Geld in Fachgeschäften und Restaurants aus; der Anteil an kommerziellen Zeichen liegt hier mit 42 % ebenfalls unter dem Durchschnitt von 49 %. stra ße 59 raß e Mallin traße dtstraße Uhlandstra ße Wa rb ruc kst Mallinckro ts ckrod 54 Bornstraße uck ße Schützenstra Willy-Brandt-Ring rbr Wa Die Abb. 3.2.2.2.1, Abb. 3.2.2.2.2 und Abb. 3.2.2.2.3 zeigen die Verteilung kommerzieller Zeichen in den drei Untersuchungsgebieten. Jeweils mit kleinen Abstechern in Nebenstraßen findet man in Marxloh entlang der Weseler Straße 936 Zeichen auf einer Strecke von etwa 1,6 km, in Nordstadt entlang der Münsterstraße 1 091 Zeichen auf etwa 1,2 km und in Rüttenscheid entlang der Rüttenscheider Straße 2 612 Zeichen auf etwa 1,7 km. Bei einer durchschnittlichen Schrittlänge von etwa 60 cm trifft man in Marxloh also nach fast jedem dritten Schritt auf ein kommerzielles Zeichen, in Nordstadt nach fast jedem zweiten Schritt und in Rüttenscheid bei jedem Schritt. 59 Abb. 3.2.2.2.1: 936 kommerzielle Zeichen in Marxloh Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 94 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.2.2.2: 1091 kommerzielle Zeichen in der Nordstadt Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 3.2.2.2 KOMMERZIELLE ZEICHEN IN AUSGEWÄHLTEN STADTTEILEN 95 Paulinen straße H ol st er ha us er st ra Rüttens ße 224 cheide r Straße Die Sprachen auf kommerziellen Zeichen sind in den drei Stadtteilen auf charakteristische Weise unterschiedlich verteilt. Die Tabelle in Abb. 3.2.2.2.4 zeigt die relativen Anteile all dieser Sprachvorkommen (drei verschiedene Sprachen auf einem Schild gelten als drei Vorkommen). Auf den ersten Blick fällt auf, dass sowohl Deutsch als auch Englisch in Marxloh seltener vorkommen als in der Nordstadt und dort seltener als in Rüttenscheid, während umgekehrt Türkisch in Marxloh (Abb. 3.2.2.2.5 und Abb. 3.2.2.2.6) mehr als ein Viertel, in der Nordstadt aber nur ein Neuntel aller Sprachvorkommen ausmacht und in Rüttenscheid kaum zu sehen ist. Marxloh ist stark auf diese drei (auch im gesamtem Material) häufigsten Sprachen konzentriert; zusammen machen sie hier 95,8 % aller 224 Abb. 3.2.2.2.3: 2612 kommerzielle Zeichen in Rüttenscheid Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 96 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Sprachvorkommen aus – gegenüber 85,1 % in der Nordstadt und 87,6 % in Rüttenscheid. So gesehen ist Marxloh also der mit drei Hauptsprachen sprachlich homogenste Stadtteil und Nordstadt der vielfältigste. Letzteres hängt zum Teil mit dem außergewöhnlich häufigen Vorkommen arabischer (5,5 %) (3.2.2.2.7), aber auch niederländischer (3.2.2.2.8), griechischer und portugiesischer Texte in Nordstadt zusammen: Zusammen stellen diese vier Sprachen hier 7,6 % aller Sprachvorkommen (gegenüber 0,7 % in Marxloh und 1,0 % in Rüttenscheid). Sodann springt der vergleichsweise hohe Anteil von Französisch, Italienisch und Spanisch in Rüttenscheid ins Auge (3.2.2.2.9). Diese drei westeuropäischen Sprachen genießen in Deutschland als wichtige Bildungs- und Schulsprachen ein hohes Ansehen. Zusammen stellen sie in Rüttenscheid 7,1 % (gegenüber 2,9 % in Nordstadt und lediglich 1,4 % in Marxloh). Man kann das als Symptom gutbürgerlicher Atmosphäre in Rüttenscheid verstehen. Auch als Gastronomie-Sprachen spielen sie in diesem Ausgeh-Vorort eine große Rolle, ähnlich wie Chinesisch und Japanisch (zusammen 0,8 % in Rüttenscheid – gegenüber 0,4 % in der Nordstadt und 0,1 % in Marxloh, wo Chinesisch jeweils überhaupt nicht vertreten ist) (3.2.2.2.10 und 3.2.2.2.11). Auch von den sehr seltenen Sprachen (unter zehn Belege im gesamten Material; s. Kap. 3.1.1) findet sich in Marxloh keine einzige. In der Nordstadt gibt es je zwei albanische, bulgarische und serbische Belege sowie einen bosnischen; in Rüttenscheid je drei hebräische und ungarische sowie je einen serbischen, slowakischen, swahili und thailändischen. Vor allem bei den kleinen Werten (auch in 3.2.2.2.4) sollte allerdings nicht vergessen werden, dass die einzelnen Sprachvorkommen manchmal nur aus einem Wort (z.B. einem Eigennamen) bestehen. Dennoch zeigt ihre Anwesenheit einen gewissen Grad an Internationalität an. Rang Marxloh Nordstadt Rüttensch. Sprache N = 1314 N = 1573 N = 3572 1 Deutsch 59,1 % 62,5 % 67,2 % 2 Englisch 9,4 % 11,5 % 19,6 % 3 Türkisch 27,3 % 11,1 % 0,7 % 4 Französisch 0,8 % 1,1 % 3,0 % 5 Italienisch 0,5 % 1,3 % 2,4 % 6 Spanisch 0,2 % 0,6 % 1,7 % 7 Arabisch 0,5 % 5,5 % 0,3 % 8 Latein 0,5 % 1,1 % 0,9 % 9 Polnisch 0,3 % 0,7 % 0,8 % 10 Nonstandard 0,2 % 0,1 % 0,1 % 11 Niederländisch 0,1 % 0,9 % 0,4 % 12 Chinesisch – – 0,4 % 13 Japanisch 0,1 % 0,4 % 0,4 % 14 Russisch 0,5 % 0,5 % 0,2 % 15 Griechisch 0,1 % 0,7 % 0,1 % 16 Portugiesisch 0,1 % 0,5 % 0,2 % 17 Koreanisch – 0,1 % 0,3 % 18 Persisch – 0,3 % 0,3 % 19 Dänisch – – 0,1 % 20 Tschechisch – 0,1 % 0,2 % 21 Kurdisch 0,2 % 0,2 % – 22 Hindi 0,2 % – 0,0 % 23 Rumänisch – 0,3 % 0,2 % 24 Tamil – – 0,0 % 25 Kroatisch 0,1 % 0,2 % 0,1 % 26 Schwedisch 0,1 % – 0,0 % Abb. 3.2.2.2.4: Anteile der Sprachvorkommen auf kommerziellen Zeichen in drei Stadtteilen (in der Rangfolge sämtlicher Sprachvorkommen im gesamten Material; s. Kap. 3.1) 3.2.2.2 KOMMERZIELLE ZEICHEN IN AUSGEWÄHLTEN STADTTEILEN 97 Der hohe Anteil türkischer Geschäfte und Bevölkerung in Marxloh, die sehr internationale Vielfalt der Läden und Einwohner in der Nordstadt und das gutbürgerlich deutsche Publikum samt entsprechender Gastronomie in Rüttenscheid schlagen sich also spürbar in der sprachlichen Abfassung kommerzieller Zeichen in diesen drei Stadtteilen nieder. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man diese Zeichen auf Ein- und Mehrsprachigkeit hin untersucht (Tabelle in Abb. 3.2.2.2.12).Der Anteil einsprachiger Zeichen steigt von Marxloh über Nordstadt nach Rüttenscheid leicht an, der Anteil einsprachig deutscher Zeichen sogar sehr stark. Erwartungsgemäß finden wir die relativ meisten einsprachig englischen Belege in Rüttenscheid und die meisten einsprachig türkischen in Marxloh (Abb. 3.2.2.2.5). Ein ähnlich umgekehrt proportionales Verhältnis zwischen Englisch in Rüttenscheid und Türkisch in Marxloh sehen wir auch bei den zweisprachigen Schildern; auch bei den dreisprachigen spielt Türkisch in Rüttenscheid keine Rolle. Im Übrigen ist Deutsch, als in jeder Hinsicht die klar dominante Sprache, bei den zweisprachigen Zeichen meistens, bei drei und mehrsprachigen fast immer dabei. Marxloh Nordstadt Rüttensch. N = 936 N = 1091 N = 2612 einsprachig 64,6 % 65,0 % 66,8 % einsprachig deutsch 49,8 % 58,2 % 61,3 % einsprachig englisch 1,4 % 2,5 % 3,6 % einsprachig türkisch 13,0 % 2,2 % 0,1 % zweisprachig 29,6 % 27,8 % 27,5 % zweisprachig D + x 27,9 % 26,6 % 26,6 % zweisprachig E + x 7,1 % 9,6 % 18,8 % zweisprachig T + x 20,7 % 9,3 % 0,5 % dreisprachig 5,2 % 5,6 % 4,7 % dreisprachig D + x + y 5,0 % 5,3 % 4,6 % dreisprachig E + x + y 4,2 % 3,5 % 3,9 % dreisprachig T + x + y 4,4 % 3,5 % 0,2 % mehrsprachig 0,6 % 1,7 % 1,0 % mehrsprachig incl. D 0,6 % 1,7 % 1,0 % Abb. 3.2.2.2.5: Einsprachig türkisches Schaufenster, DU-Marxloh Abb. 3.2.2.2.6: Dreisprachiges Apothekenschild, DU-Marxloh Abb. 3.2.2.2.7: Einsprachig arabischer Aufkleber, DO-Nordstadt Abb. 3.2.2.2.8: Niederl.-engl.-deut.-franz. Schild, DO-Nordstadt Abb. 3.2.2.2.9: Deutsch-italienisches Ladenschild, E-Rüttenscheid Abb. 3.2.2.2.10: Mehrsprachige japanische Gastronomie, E-Rüttenscheid Abb. 3.2.2.2.11: Englisch-chinesisches Firmenschild, E-Rüttenscheid Abb. 3.2.2.2.12: Anteile der ein- und mehrsprachigen kommerziellen Zeichen in drei Stadtteilen 98 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.2.2 KOMMERZIELLE ZEICHEN IN AUSGEWÄHLTEN STADTTEILEN 99 3.2.3 Transgressiver Diskurs a) Menge und Verteilung Fast vier von zehn (39,0 %) aller Zeichen in den von uns untersuchten Gebieten wurden unerlaubt angebracht. In der Forschung zu sprachlichen Landschaften nennt man sie transgressiv (Scollon / Scollon 2003: 167). Dazu zählen insbesondere Aufkleber, Tags (also Signaturkürzel von Writern) und Graffitis. Unsere Untersuchungsgebiete liegen in der Mitte von Stadtvierteln und sind auch nachts vergleichsweise belebt, jedenfalls mehr als Hinterhöfe und Bahndämme. Wer unerlaubt Botschaften anbringen will, hat also wenig Zeit, wenn er nicht erwischt werden will. Vorgefertigte Sticker sind schnell geklebt. Wenn sie leicht entfernt werden können, gelten sie nicht als Sachbeschädigung. Auch einfache Tags brauchen nicht viel Zeit, sind aber grundsätzlich strafbar. Wer Writings oder noch aufwendigere Graffitis malt oder sprüht, geht ein noch größeres Risiko ein. Dementsprechend und erwartungsgemäß sind über die Hälfte (51,7 %) der 9 952 transgressiven Objekte (fast immer industriell gefertigte) Aufkleber, gelegentlich noch von Hand übermalt. Eine knappe weitere Hälfte (47,0 %) sind gemalte oder gesprühte Tags (also Signaturkürzel von Writern). Und nur die restlichen 122 Belege (= 1,2 %) zeigen aufwendigere Graffiti-Pieces (die also über einfache Tags hinausgehen). Transgressiven Zeichen begegnet man vor allem an Stromverteilerkästen, Papierkörben, Laternenpfählen, Verkehrsschildern, Hauswänden, Säulen, freistehenden Mauern, seltener auch an Toren und Türen. Ähnlich wie auch Verkehrsschilder oder kommerzielle Zeichen konzentrieren sie sich oft an bestimmten Stellen. Häufig finden sich mehrere oder zahlreiche unmittelbar neben- oder übereinander, ohne dass sie deswegen in einem thematischen Zusammenhang stünden (vgl. Abb. 3.2.3.1 bis Abb. 3.2.3.4). Da geht es darum, Präsenz zu zeigen, um schriftbildliches Alltagsgeplauder oder um Marktschreierei: Hier bin ich, das meine ich, das sollst du tun! Je nach Standpunkt unterwandern, bereichern oder stören diese Zeichenkobolde mit ihren kleinen Botschaften die legale Zeichenwelt des öffentlichen Raums, der ja sonst vor allem durch Werbung, Geschäftsschilder und Verkehrszeichen geprägt ist. In den acht untersuchten Bezirken (also ohne Hauptbahnhöfe etc.) zusammen sind 39,5 % aller gut 23 000 Zeichen transgressiv. Dabei fallen der mit 54,3 % sehr hohe Anteil transgressiver an sämtlichen Botschaften in DO-Nordstadt ebenso aus dem Rahmen wie die sehr niedrigen Anteile in DU-Marxloh (15,8 %), E-Altendorf (17,0 %) und DO-Hörde (26,0 %). Alles in allem weisen die vier nördlichen Bezirke zusammen etwas weniger transgressive Zeichen auf (35,6 %) als die vier südlichen Bezirke (41,7 %). Abb. 3.2.3.5 visualisiert die absoluten Werte. Hier fallen die Unterschiede noch stärker ins Auge, weil in den jeweils etwa gleich großen Bezirken überhaupt unterschiedlich viele Zeichen gefunden wurden: in Rüttenscheid und in DU-Innenstadt besonders viele, in Hörde und in Marxloh besonders wenige. 100 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.3.1: DO-Nordstadt Abb. 3.2.3.2: E-Rüttenscheid Abb. 3.2.3.3: DO-Nordstadt Abb. 3.2.3.4: DO-Nordstadt 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 101 Abb. 3.2.3.5: Geovisualisierung aller transgressiven Zeichen in absoluten Zahlen Aufkleber – gedruckt (Anzahl: 5150) Graffiti-Tags (Anzahl: 4153) Aufkleber – handbeschrieben (Anzahl: 372) Graffiti-Pieces / Style-Writings (Anzahl: 61) Nordstadt Dortmund Marxloh Verhältnis: 1mm entspricht 1%. Sprachen mit einem Vorkommen unter oder gleich 1% sind als einheitlich 1mm große Kreise dargestellt. Hamme Hörde Duisburg Altendorf Essen Langendreer Bochum Rüttenscheid Innenstadt 102 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 103 Abb. 3.2.3.6: Geovisualisierung der GraffitiPieces und manuell gestalteten Aufkleber Text-Graffitis Nonstandard Graffiti-Pieces + Style-Writings Deutsch Aufkleber, individuell von Hand gestaltet Englisch Bild-Graffitis + Zeichnungen + Characters Dänisch Türkisch Dortmund Nordstadt Marxloh Hamme Duisburg Altendorf Langendreer Hörde Essen Bochum Rüttenscheid Innenstadt 104 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 105 Die Karte in Abb. 3.2.3.6 verdeutlicht die regionale Verteilung der 227 komplexer gestalteten Graffitis samt manuell gestalteten Aufklebern. Offensichtlich ziehen die multikulturelle Dortmunder Nordstadt und das bürgerlich-geschäftige E-Rüttenscheid die fleißigsten Writer an, an dritter Stelle auch BO-Langendreer, hingegen die Fußgängerzone in DO-Hörde und das türkisch geprägte DU-Marxloh gar nicht. Soweit einzelne Sprachen identifiziert werden können (nicht zum Beispiel bei Writings aus Akronymen wie in Abb. 3.2.3.7), überwiegt insgesamt Deutsch, in DO-Nordstadt jedoch Englisch. Andere Sprachen kommen nur sehr vereinzelt vor. Abb. 3.2.3.8 gibt einen lokalen Überblick über die Verwendung sämtlicher Graffiti-Tags und Text-Graffitis in DO-Nordstadt. Abb. 3.2.3.7: Writing mit Tag in Dortmund-Nordstadt 106 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.3.8: Geovisualisierung der Graffiti-Tags und Text-Graffitis in DO-Nordstadt 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 107 b) Merkmale und Untergruppen Die weitaus meisten (über 99 %) der illegitimen Zeichen in unserem Material lassen sich in zehn Gruppen einteilen. 4 289 Exemplare (43 %) zeigen Tags, das sind Signaturkürzel von Writern. Je ungefähr zur Hälfte erscheinen sie entweder (Gruppe 1) als zu Hause in Ruhe vorbereitete Aufkleber. Ihre Verwendung gilt nicht als Sachbeschädigung. Wer sie klebt, zeigt damit seine mehr oder weniger ästhetische Präsenz in einem bestimmten Gebiet. So konkurrieren in E-Rüttenscheid vor allem LEX (vgl. Abb. 3.2.3.9 bis Abb. 3.2.3.14) und EKR (vgl. Abb. 3.2.3.15 bis Abb. 3.2.3.20) in fünfzehn bzw. achtzehn handgefertigten Variationen um Aufmerksamkeit. Abb. 3.2.3.9 Abb. 3.2.3.11 Abb. 3.2.3.13 108 Abb. 3.2.3.10 Abb. 3.2.3.12 Abb. 3.2.3.14 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.3.15 Abb. 3.2.3.17 Abb. 3.2.3.19 Abb. 3.2.3.16 Abb. 3.2.3.18 Oder aber (Gruppe 2) Tags werden direkt an Ort und Stelle gemalt oder gesprüht (Abb. 3.2.3.21). Das kann strafund zivilrechtliche Folgen haben. Deshalb legen Writer ihren Ehrgeiz darein, ihre Tags möglichst schnell und dennoch gewandt zu schreiben. BO-Langendreer ist übersät mit OMSund OMSER-Tags; Y’S markiert in der Duisburger Innenstadt sein (oder ihr?) Revier. Gruppe 3 umfasst 68 Style-Writings, also aufwendig gestaltete Buchstaben-Graffitis mit ähnlicher Funktion wie die einfachen Tags (vgl. Abb. 3.2.3.22 bis Abb. 3.2.3.25). Es sind deshalb so wenig, weil man ungleich mehr Zeit für ihre Herstellung braucht als für Tags und in den von uns dokumentierten, auch nachts nicht ganz unbelebten Gebieten leicht erwischt werden kann. Es gibt nur sieben Graffitis mit politischen Inhalten (Gruppe 4; vgl. aber unten Gruppe 10). Abbildung 3.2.3.26 zeigt einen außergewöhnlich drastischen Fall. Wer dem Boykott-Aufruf lesend folgte, fand das letzte »t« rechts um die Ecke gleich vor dem Eingang in die Bank. Schon am nächsten Tag war die Fassade wieder sauber. Gesprühte, gar geklebte Tags, Writings und politische Graffitis (Gruppen 1 bis 4) findet man fast gar nicht im stark türkisch geprägten DU-Marxloh. Das ist ein Indiz dafür, dass Graffitis (incl. Writings und Tags) aus westlichen Kulturen mit christlicher Geschichte stammen. Manchmal sind die Akteure in kleinen Crews (aus etwa drei bis fünf Sprayern) unterwegs; gelegentlich schließen sie sich auch zu größeren organisierten Urban-Art-Gruppen mit eigener Webseite zusammen – im Rhein-Ruhr-Gebiet z. B. zu 247style (Abb. 3.2.3.27), in Bochum zur A.S.E.K. crew (Abb. 3.2.3.28). Abb. 3.2.3.21 Abb. 3.2.3.22 Abb. 3.2.3.23 Abb. 3.2.3.24 Abb. 3.2.3.25 Abb. 3.2.3.26 Abb. 3.2.3.27 Abb. 3.2.3.28 Abb. 3.2.3.20 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 109 Abb. 3.2.3.29 Abb. 3.2.3.30 Abb. 3.2.3.31 Abb. 3.2.3.32 Abb. 3.2.3.33 Abb. 3.2.3.35 110 Die übrigen 5588 Belege verteilen sich auf sechs Gruppen von jeweils etwa 600 bis 1200 Aufklebern und kleinen Plakaten. Aufkleber bedecken (wie schon in Gruppe 2) meist eine Fläche von etwa zwei Fingern bis zur Größe einer menschlichen Hand; Plakate sind etwa so groß wie DIN A5 oder A4, selten bis höchstens A3. Zunächst (Gruppe 5) sind knapp sechshundert textlose Bildchen zu nennen. Meist kommen sie als gedruckte oder manuell vorbereitete Aufkleber vor (vgl. Abb. 3.2.3.29 bis Abb. 3.2.3.36); selten werden sie auch an Ort und Stelle direkt auf den Untergrund gemalt (Abb. 3.2.3.37). Sodann gibt es (Gruppe 6) Aufkleber, die lediglich einen Eigennamen enthalten (Abb. 3.2.3.38 und Abb. 3.2.3.29), (Gruppe 7) Aufkleber, die nur einen als Logo gestalteten Eigennamen zeigen (z.B. die Musikgruppe »Supakool«) (Abb. 3.2.3.40), sowie (Gruppe 8) Aufkleber, die außer einem Eigennamen noch ein Logo, eine Adresse und / oder einen werbenden Slogan nennen (Abb. 3.2.3.41 und Abb. 3.2.3.42), oft z. B. für einen Fußballclub (Abb. 3.2.3.43 bis Abb. 3.2.3.46). In die neunte Gruppe gehören kleine Werbeplakate (z.B. für ein Restaurant: Abb. 3.2.3.47) und Hinweise auf eine Veranstaltung (z.B. für eine Clubnacht: Abb. 3.2.3.48). Abb. 3.2.3.37 Abb. 3.2.3.38 Abb. 3.2.3.39 Abb. 3.2.3.40 Abb. 3.2.3.41 Abb. 3.2.3.42 Abb. 3.2.3.34 Abb. 3.2.3.43 Abb. 3.2.3.44 Abb. 3.2.3.45 Abb. 3.2.3.36 Abb. 3.2.3.46 Abb. 3.2.3.47 Abb. 3.2.3.48 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 111 Abb. 3.2.3.49 Abb. 3.2.3.51 Abb. 3.2.3.53 Abb. 3.2.3.55 112 Abb. 3.2.3.50 Abb. 3.2.3.52 Abb. 3.2.3.54 Die zehnte und letzte Gruppe schließlich umfasst 597 Aufkleber (selten Aufschriften, sehr selten kleine Plakate) mit politischen Positionierungen oder Forderungen (Abb. 3.2.3.49). Am häufigsten verbreitet sind »No Nazis« und »Gegen Nazis« (Abb. 3.2.3.50). 113 Mal liest man »Antifa« (Abb. 3.2.3.51), »Antifaschistische Aktion«, »Support your local antifa«, »Antifa heißt Angriff!« oder (längst nicht mehr aktuell) »Bundesweites Antifacamp Dortmund 24.08.02.09.2012« (Abb. 3.2.3.52). Acht gleichartige Aufkleber in der Duisburger Innenstadt wollen »Die Verhältnisse zum Tanzen bringen« (Abb. 3.2.3.53). Selten stößt man auf etwas präzisere (und meist dann auch illustrierte) politische Forderungen oder Erklärungen, so etwa zwei Mal »Free Syria from Assad« (Abb. 3.2.3.54) und acht Mal »Good night white pride« (Abb. 3.2.3.55). Sechs Mal (in Altendorf und Rüttenscheid) werden »Refugees welcome« geheißen (Abb. 3.2.3.56). Drei Mal wird in Marxloh gefordert: »Baggert uns ja nich an! Kein Häuserabriss für das FOC. Wir bleiben hier!« (Abb. 3.2.3.57). Zu den wenigen restlichen Fällen zählen etwa Kreideaufschriften auf dem Boden (Abb. 3.2.3.58), ein privates Verkaufsangebot für Zwergkaninchen (Abb. 3.2.3.59), hingekritzelte Kindersprüche (Abb. 3.2.3.60) oder einige der besonders originellen Exemplare, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. Letzten Endes folgen die allermeisten transgressiven Zeichen aber doch wenigen Zwecken und Mustern. So chaotisch sie erscheinen und so subversiv sie sich auch geben mögen – transgressive Zeichen schöpfen fast immer aus einem überschaubaren Repertoire von Buchstabenkombinationen, kurzen Textstücken, Bildern, gestalterischen und technischen Möglichkeiten. Dabei konzentrieren sich gleiche Motive oft auf einen oder zwei eng umzirkelte Gebiete und wurden vermutlich von derselben Person platziert. Ein Beispiel dafür ist die LOL-Katze (Abb. 3.2.3.61): Gleich 27 Mal sieht man diesen Aufkleber, doch nur in Rüttenscheid. Bedenkt man Produktionsweise, Inhalte und örtliche Verteilung der transgressiven Zeichen, so dürften in den von uns untersuchten Gebieten nicht viel mehr als etwa dreihundert (u.a. auch kommerzielle) Urheber und Akteure unterwegs sein. Wo man – jenseits von Tags und Writings – eine Sprache erkennen kann, handelt es sich in der Regel um Deutsch, sehr viel seltener um Englisch. Andere Sprachen kommen fast gar nicht vor. Abb. 3.2.3.57 Abb. 3.2.3.58 Abb. 3.2.3.59 Abb. 3.2.3.60 Abb. 3.2.3.61 Abb. 3.2.3.56 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 113 c) Besonders originelle transgressive Zeichen Selbstreferentielles: Man kann natürlich darüber streiten, welche transgressiven Zeichen am originellsten oder witzigsten sind. Unsere TOP 40 verteilen sich über das gesamte Gebiet, die relativ meisten (11) kommen aus der Dortmunder Nordstadt. Darunter sind hübsche und weniger hübsche Bilder, selbstbezügliche Texte (»Achtung frisch geklebt«), Wortspiele und Witze, ernste und ironische politische Positionierungen, andere Regionalbezüge, Beschimpfungen und sinnarme Kurztexte. Abb. 3.2.3.72 Hübsche und weniger hübsche Bilder: Abb. 3.2.3.62 Abb. 3.2.3.63 Abb. 3.2.3.64 Abb. 3.2.3.65 Abb. 3.2.3.73 Abb. 3.2.3.74 Abb. 3.2.3.75 Abb. 3.2.3.78 Abb. 3.2.3.79 Abb. 3.2.3.80 Abb. 3.2.3.76 Wortspiele: Abb. 3.2.3.66 Abb. 3.2.3.67 Abb. 3.2.3.68 Abb. 3.2.3.69 Abb. 3.2.3.77 Andere Witze: Abb. 3.2.3.70 Abb. 3.2.3.71 Abb. 3.2.3.81 114 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.3.82 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 115 Ernste und ironische politische Positionierungen: Abb. 3.2.3.83 Abb. 3.2.3.84 Sinnarme Kurztexte: Abb. 3.2.3.85 Abb. 3.2.3.86 Abb. 3.2.3.94 Abb. 3.2.3.95 Andere: Abb. 3.2.3.87 Abb. 3.2.3.88 Abb. 3.2.3.89 Beschimpfungen: Abb. 3.2.3.96 Abb. 3.2.3.90 116 Abb. 3.2.3.91 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.2.3.92 Abb. 3.2.3.97 Abb. 3.2.3.98 Abb. 3.2.3.99 Abb. 3.2.3.93 3.2.3 TRANSGRESSIVER DISKURS 117 Die Migrationsforschung hat sich in den letzten Jahren vermehrt mit Fragen der ethnischen und kulturellen Diversität in städtischen Räumen beschäftigt. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass gegenüber den 1970er Jahren die Zuwanderung insgesamt zugenommen und eine graduelle Diversifizierung erfahren hat, indem nicht mehr große Herkunftsgruppen aus bestimmten Regionen einwandern, sondern viele kleine Herkunftsgruppen aus vielen Regionen. Die von Migration bestimmte Diversität ist damit komplexer geworden. Vertovec (2007) bezeichnet dieses Phänomen als »super-diversity«. Diese Entwicklung führt dazu, dass in von Zuwanderung geprägten Städten auch die Diversität der Bevölkerung wächst. Die Diversität der Bevölkerung kann an der Anzahl und der Zusammensetzung der vertretenen Nationalitäten gemessen werden, wie schon in Kapitel 2.2 anhand der Erhebungsgebiete gezeigt wurde. Der ethnische Mix und das Ausmaß der Diversität der Bevölkerung können dabei nicht nur von Stadt zu Stadt variieren, sondern auch zwischen den Stadtteilen einer Stadt. Eine der zentralen forschungsleitenden Fragestellungen des Projektes »Metropolenzeichen« war, ob die Diversität der sichtbaren Mehrsprachigkeit die Diversität der Bevölkerung eines Erhebungsgebietes widerspiegelt. Die Analyse der Daten basiert auf der Annahme, dass die sprachliche Diversität dort hoch ist, wo auch die Diversität der Bevölkerung hoch ist. In der folgenden explorativen Analyse werden nun die Diversität der Bevölkerung und die Diversität der Sprachen in den acht Erhebungsgebieten in Beziehung gesetzt. Dazu wird wie auch schon in Kapitel 2 der Diversitäts-Index nach Simpson (Simpson 1949; vgl. auch Peukert 2013) verwendet. Die Diversität der sichtbaren Sprachen wird analog zur Diversität der Bevölkerung auf Basis der relativen Häufigkeiten aller sichtbaren Sprachen in den Erhebungsgebieten berechnet. Dazu wird vom Wert »1« die Quadratsumme der Anteilswerte aller vorkommenden Sprachen inklusive des Deutschen abgezogen. Der Index-Wert liegt zwischen »0« (keine Diversität) und »1« (maximale Diversität). Erhebungsgebiet Diversität Bevölkerung Diversität sichtbare Sprache DU-Marxloh 0,81 0,56 DO-Nordstadt 0,79 0,59 DU-Innenstadt 0,61 0,51 DO-Hörde 0,48 0,44 E-Altendorf 0,47 0,50 BO-Hamme 0,44 0,39 BO-Langendreer 0,34 0,41 E-Rüttenscheid 0,22 0,51 Abb. 3.3.1: Diversität der Bevölkerung und Diversität der sichtbaren Sprache in den Erhebungsgebieten Quelle: Daten der Städte 118 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Die Diversität der Bevölkerung streut im Vergleich der Erhebungsgebiete zwischen einer geringen Diversität von 0,22 (Rüttenscheid) und einer ausgeprägten Diversität von 0,81 (Marxloh). Die Diversität der sichtbaren Sprachen hat im Vergleich eine deutlich geringere Streuung, die Werte bewegen sich alle im Bereich einer mittleren Diversität. Der niedrigste Wert liegt bei 0,39 (Hamme), der höchste bei 0,59 in der Nordstadt. Im folgenden Streudiagramm werden die beiden Diversitätswerte in Beziehung gesetzt. Auf der waagerechten Achse sind die Werte der Diversität der Bevölkerung abgetragen, auf der senkrechten Achse die der Sprache. Die Punkte repräsentieren die Erhebungsgebiete, ihre räumliche Position steht für die spezifische Kombination der beiden Werte je Erhebungsgebiet und erlaubt einen Vergleich der Erhebungsgebiete untereinander. Die waagerechte und die senkrechte Linie im Diagramm (Fadenkreuz) markieren die beiden Mittelwerte der Diversitätsindices. Auf den ersten Blick ist Rüttenscheid als Ausreißer zu identifizieren. Die Diversität der Sprache ist hier leicht überdurchschnittlich, die Diversität der Bevölkerung dagegen stark unterdurchschnittlich. Alle anderen Erhebungsgebiete sind locker entlang einer gedachten Diagonalen angeordnet. Dies bedeutet, dass für diese sieben Fälle zunächst die Hypothese gelten kann, dass bei einer höheren Diversität der Bevölkerung auch die Diversität der sichtbaren Sprache zunimmt. Aus der Lage der Punkte (Erhebungsgebiete) im Streudiagramm lassen sich für die weiteren Analysen also grob vier Gruppen bilden: • Rüttenscheid als Ausreißer: überdurchschnittliche Diversität sichtbarer Mehrsprachigkeit, unterdurchschnittliche Diversität der Bevölkerung. • Hörde, Langendreer, Hamme: eher unterdurchschnittliche Diversität von Bevölkerung und sichtbarer Mehrsprachigkeit. • Altendorf und Innenstadt: mittlere Diversität von Bevölkerung und sichtbarer Mehrsprachigkeit. • Nordstadt und Marxloh: ausgeprägte Diversität von Bevölkerung und sichtbarer Mehrsprachigkeit. Um diese Zusammenhänge auf Stadtteilebene genauer zu betrachten, sollen im folgenden Kapitel einzelne Stadtteile verglichen werden. Nordstadt 0,6 Marxloh Anzahl der Staatsangehörigkeiten 23 0,6 38 Innenstadt Diversität Sprachen 3.3 Ethnische und sprachliche Diversität Rüttenscheid 48 Altendorf 55 0,5 57 65 0,5 78 Hörde Abb. 3.3.2: Diversität von Bevölkerung und Sprache im Vergleich der Erhebungsgebiete Langendreer Hamme 0,4 0,4 0,2 0,4 0,6 0,8 Diversität Bevölkerung 3.3 ETHNISCHE UND SPRACHLICHE DIVERSITÄT 119 Jug osla Serbien 1,4 % 2,3 % % 2,1 1,7 % als) % 3,4 3,3 al 2,0 hem ien % ,7 nd 4,1 k2 Griec henla ien an g Portu n (e ina It al Ira Sp Ukraine wie ow % 28 rk Tü ,9% ei % % Mazedonien 4,2 % Bulg arien 5,5 % o % So 6,8 % Rumänien e n6 tig Po le ns ,1% ar 5,9 % M o kk ,7 19 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT eg 120 erz Den Auftakt bildet ein Vergleich zwischen den Stadtteilen DO-Nordstadt und DU-Marxloh. Ein solcher Vergleich bietet sich an, da in beiden Erhebungsgebieten der Anteil der deutschen Bevölkerung mit 44,3 % für DO-Nordstadt und 27,2 % für DU-Marxloh am niedrigsten ist. Beide Stadtteile haben dementsprechend eine vergleichsweise stark ausgeprägte Diversität, aber eine andere Zusammensetzung mit Blick auf die ethnische Vielfalt der Bevölkerung (vgl. auch Kapitel 2.2). Der Stadtteil DO-Nordstadt liegt nördlich der B1. Die Hauptbahnlinie durchs Ruhrgebiet trennt DO-Nordstadt vom südlich daran anschließenden Stadtzentrum. Das dicht bewohnte Erhebungsgebiet entlang der Münsterstraße reicht von der Lortzingstraße im Norden bis zur Heiligegartenstraße im Süden; Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen vor allem im verkehrsberuhigten südlichen Teil ziehen auch Kunden und Gäste aus einigen anderen Stadtteilen an (Kopischke / Kruse 2013). Im Vergleich der Erhebungsgebiete weist der Stadtteil Nordstadt mit 44,3 % den zweitniedrigsten Anteil an Einwohnern mit deutscher Staatsangehörigkeit auf (Daten des Statistischen Amtes der Stadt Dortmund, Stand 31.12.2013). Die Diversität der Bevölkerung ist sehr ausgeprägt mit einem Wert des Diversitätsindex von 0,79. Die Zusammensetzung der nichtdeutschen Bevölkerung stellt sich wie folgt dar: Türkische Staatsangehörige bilden mit 28,9 % die größte Gruppe an Nichtdeutschen in der Nordstadt, gefolgt von Personen aus Rumänien (6,8 %), Polen (6,1 %), Marokko (5,9 %), Bulgarien (5,5 %) und Mazedonien (4,2 %). Insgesamt leben Personen aus 57 Ländern in der Nordstadt. dH • E-Altendorf und BO-Hamme un • E-Rüttenscheid und DU-Innenstadt ien • DO-Nordstadt und DU-Marxloh sn Im Folgenden sollen einzelne Stadtteile miteinander verglichen werden, die sich entweder hinsichtlich ihrer Bevölkerungsstruktur und / oder ihrer Funktion ähneln. Unter dieser Perspektive bieten sich sechs Stadtteile für einen Vergleich an: Der Stadtteil DU-Marxloh liegt nördlich des Stadtzentrums und des Gebietes des Binnenhafens, das eine starke stadträumliche Trennwirkung hat. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Weseler Straße zwischen Dahlmannstraße im Südosten und der Schmelzerstraße im Nordwesten. Die Weseler Straße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (vgl. Beckmann / Stein 2010). Eine überlokal bekannte Besonderheit ist die hohe Dichte an Geschäften mit Bezug zu türkischen Hochzeiten (Hochzeitsmode, Juweliere, Gastronomie). Der Stadtteil Marxloh erfüllt laut Einzelhandelsplan der Stadt Duisburg zusammen mit dem südöstlich anschließenden Gebiet des Stadtteils Hamborn die Funktion eines zweiten Hauptzentrums neben der Duisburger Innenstadt. Das Erhebungsgebiet Marxloh weist eine Ausstrahlung auf, die weit über das unmittelbare Umfeld hinausreicht, so dass auch für die Analyse der visuellen Mehrsprachigkeit des Erhebungsgebietes ein weiterer Einzugsbereich angenommen werden kann. Der Anteil der deutschen Staatsbürger in Marxloh liegt nur bei gut einem Viertel, damit ist Marxloh das am stärksten migrationsgeprägte Erhebungsgebiet im Projekt. Der Diversitätsindex für Marxloh liegt bei 0,81, sodass auch von einer sehr ausgeprägten Diversität der Bevölkerung ausgegangen werden kann. Türkische Staatsangehörige bilden mit 44,0 % die größte Gruppe an Nichtdeutschen in Marxloh, gefolgt von Personen aus Bulgarien (16,3 %), Rumänien (13,2 %) und Polen (5,2 %). Die Auswahl der 15 größten Gruppen setzt sich wie auch in den anderen Erhebungsgebieten aus Personen aus früheren Anwerbeländern (v. a. auch Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien) und aus neuen sowie alten EU-Staaten (z.B. Ungarn, Griechenland) zusammen. Insgesamt leben Personen aus 55 Ländern in Marxloh. Inwieweit spiegelt sich diese je spezifische Bevölkerungsstruktur auch in der Linguistic Landscape von DO-Nordstadt und DU-Marxloh wider? Die Auswertung der Bilddaten ergibt folgendes Bild, vgl. Abbildung 3.3.1.3. Obwohl sich die Gesamtzahl der Zeichen und damit auch die der Sprachen in den zwei Stadtteilen stark unterscheiden (vgl. Abb. 3.3.1.3), geben die Daten zum Sprachvorkommen verglichen mit den Anteilen der jeweiligen Bevölkerungsgruppe eine auffällige Übereinstimmung zu Bo 3.3.1 Stadtteilvergleich von Dortmund-Nordstadt und Duisburg-Marxloh Abb. 3.3.1.1: Die fünfzehn größten Gruppen von Nichtdeutschen in DO-Nordstadt in % der Nichtdeutschen Quelle: Daten Stadt Dortmund, Stand 31.12.2013. 3.3.1 STADTTEILVERGLEICH VON DORTMUND-NORDSTADT UND DUISBURG-MARXLOH 121 % 0% % 3, Irak 0,6 % Ungarn 0,6 % 0,8 % Niederlande ,8% nland 0 Grieche lien 0,9 % Ita % vo 1,2 Koso 1,2 % non % 1,3 ko rok 2,0 na Liba Ma n5 wi 2,2 Po le go ien rze rb He ien d Se un on ien zed sn Ma Bo ,2 % 44,0% Türkei Sonstige 6,7% ,2 13 % Bulgarie n 16,3 % m Ru en äni Abb. 3.3.1.2: Die fünfzehn größten Gruppen von Nichtdeutschen in DU-Marxloh in % der Nichtdeutschen Quelle: Daten Stadt Duisburg, Stand 31.12.2013. Sprache Nord. (N = 3277) Sprache Marxloh (N = 1617) Deutsch 1898 (57,9 %) Deutsch 961 (59,4 %) Englisch 804 (24,5 %) Türkisch 420 (26,0 %) Englisch 165 (10,2 %) Türkisch 217 (6,6 %) Arabisch 95 (2,9 %) Französisch 12 (0,7 %) Italienisch 47 (1,4 %) Italienisch 10 (0,6 %) Spanisch 46 (1,4 %) Russisch 8 (0,5 %) Französisch 29 (0,9 %) Arabisch 7 (0,4 %) 141 (4,3 %) Sonstige 34 (2,1 %) Sonstige Abb. 3.3.1.3: Anteil der Sprachen in DO-Nordstadt und DU-Marxloh 122 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT erkennen. So sind die prozentualen Vorkommen des Deutschen in beiden Stadtteilen mit 57,9 % für die Nordstadt und 59,4 % für Marxloh mehr oder weniger identisch. Jedoch ist der Anteil der deutschen Bevölkerung in der Nordstadt deutlich höher als der in Marxloh. Unterschiedliche Tendenzen zeigen sich dagegen mit Blick auf das Türkische. So ist der Anteil des Türkischen in Marxloh – wie zu erwarten – deutlich höher als in der Nordstadt. Dieser Unterschied korrespondiert mit dem jeweiligen Anteil der türkischen Bevölkerung. Dieser ist in Marxloh deutlich höher als in der Nordstadt. Umgekehrt ist das Vorkommen des Arabischen in der Nordstadt höher als in Marxloh, wo es praktisch nicht vorkommt. Auch dieser Unterschied lässt sich mit den unterschiedlichen Anteilen der arabischsprachigen Bevölkerungsgruppe erklären. So ist der Anteil von Bewohnern mit marokkanischer Nationalität in der Nordstadt höher als in Marxloh. Hinzu kommt, dass in der Bevölkerungsstatistik für die Nordstadt in der Kategorie »Sonstige« auch Zuwanderergruppen aus anderen arabischsprachigen Ländern zusammengefasst sind, sodass sich der Anteil der arabischsprachigen Bevölkerung insgesamt noch erhöht. Schließlich zeigt die Tabelle in Abbildung 3.3.1.3, dass sich die Anteile des Englischen in Marxloh und in der Nordstadt deutlich unterscheiden: In der Nordstadt beläuft sich der Anteil auf 24,5 %, in Marxloh dagegen nur auf 10,2 %. Damit liegt das Englische deutlich hinter der Migrantensprache Türkisch auf Platz 3. Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass das Englische oft im transgressiven Diskurs, d. h. auf Stickern und in Graffitis vorkommt. Da diese Zeichen wesentlich häufiger in der Dortmunder Nordstadt (54,3 % aller Zeichen) als in DU-Marxloh (15,8 % aller Zeichen) zu finden sind, erhöht dies auch die Vorkommen des Englischen in der Nordstadt. Beispiele für das Vorkommen von Englisch im transgressiven Diskurs in der Nordstadt sind: »Slayer« (Abb. 3.3.1.5), »I love« (Abb. 3.3.1.6), »Tiger« (Abb. 3.3.1.7), »Still ♥’ing Antifa!« (Abb. 3.3.1.8), »we wrestle nazis« (Abb. 3.3.1.9) sowie »All the time« (Abb. 3.3.1.4). Es entsteht der Eindruck einer bewussten »Raumaneignung« durch die Verwendung von Stickern und Graffitis durch bestimmte Jugendgruppen (Braun et al. 2014). Eine Ursache für die stärkere Verbreitung von Stickern und Graffitis in der Nordstadt könnte darin liegen, dass der Stadtteil in den letzten Jahren durch Gastronomie, Kneipen und ein Programmkino in der Münsterstraße sowie durch die Nähe zur Innenstadt attraktiver für linke und alternative Jugendliche ist als DU-Marxloh. Ein Indiz dafür sind auch die in den transgressiven Zeichen zu findenden eher links-autonomen politischen Botschaften. Abb. 3.3.1.5 Abb. 3.3.1.6 Abb. 3.3.1.4 Abb. 3.3.1.8 Abb. 3.3.1.9 Abb. 3.3.1.7 3.3.1 STADTTEILVERGLEICH VON DORTMUND-NORDSTADT UND DUISBURG-MARXLOH 123 Iran 2,3 % ,3 % 2,3 % n2 % n 4,0 2,7 ,5 % eic h3 lik änie 2 ch ub 2,7 igr ratio rei sisc he F örde Kö n ep U SA Rum ter % 34 ,2 % ,9 % So ns tig e % Polen 4,1 % China 4,2 % n5 ,4 % 8, % n 6,8 ch e rie Kroat ie G n nla lie nd It a 6,8 0% % Sp ie an i Türke 7,8 % 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT tes ,R de 124 Rus inig ea lan Abb. 3.3.2.4 Ös Abb. 3.3.2.3 Ve re er Abb. 3.3.2.2 Ko r ed Abb. 3.3.2.1 Ein Vergleich der Erhebungsgebiete E-Rüttenscheid und DU-Innenstadt bietet sich an, weil beide Stadtteile nah am bzw. im Zentrum liegen und ihr Funktionsprofil aus Einzelhandels-, Gastronomie- und Dienstleistungsstruktur sehr ähnlich ist. Das Erhebungsgebiet Rüttenscheid liegt südlich der A 40 und zieht sich entlang der Rüttenscheider Straße von der Bismarckstraße im Norden bis zur Wittekindstraße im Süden. Das Erhebungsgebiet ist geprägt durch eine Mischung von Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen. Durch die Nähe zu wichtigen Kulturinstitutionen wie dem Museum Folkwang und der Philharmonie finden sich auch Galerien und hochwertige Gastronomie (Cafés, Kneipen, Restaurants). Laut Masterplan Einzelhandel hat Rüttenscheid als sog. »B-Zentrum« stadtbezirksübergreifende bzw. gesamtstädtische Funktionen (Amt für Stadtplanung und Bauordnung Essen 2011). Das Einzugsgebiet für die Analyse visueller Mehrsprachigkeit ist daher auch nicht nur auf den unmittelbaren Bereich des Erhebungsgebiets begrenzt. Der Anteil der Nichtdeutschen (8,7 % der Bevölkerung) liegt im Erhebungsgebiet knapp drei Prozentpunkte unter dem der Gesamtstadt. Der Diversitätsindex in Rüttenscheid liegt bei 0,22, sodass von einer sehr geringen Diversität ausgegangen werden kann. Damit ist Rüttenscheid das am wenigsten migrationsgeprägte Erhebungsgebiet im Projekt. Im Unterschied zu fast allen anderen Gebieten ist die Gruppe der Nichtdeutschen mit türkischer Staatsangehörigkeit (7,8 %) nur knapp nicht die größte, sondern die der Italiener (8,0 %). Insgesamt ist die Zusammensetzung sehr kleinteilig, es gibt keine Gruppe, die mit deutlichem Abstand vor den anderen den Stadtteil dominiert. Auch der Anteil der Sonstigen ist mit knapp 35 % sehr groß. Wie auch in den anderen Erhebungsgebieten finden sich außerdem Personen aus früheren Anwerbeländern (Kroatien, Spanien, Griechenland, neuere (Polen, Rumänien) und ältere EU-Länder (Niederlande, Vereinigtes Königreich, Österreich) sowie Personen aus China, der Russischen Föderation, Südkorea, den USA und dem Iran. Insgesamt leben Personen aus 65 Ländern im Bereich Rüttenscheid. Das Erhebungsgebiet DU-Innenstadt liegt im Stadtzentrum von Duisburg und wird grob begrenzt von der Haupteinkaufsstraße Königsstraße im Norden, der Düsseldorfer Straße im Westen, der Mercatorstraße im Osten und der Friedrich-Wilhelm-Straße im Süden. Das Erhebungsgebiet ist geprägt von der zentralen Fußgängerzone und die sich darum gruppierende Einzelhandels-, Gewerbe-, Gastronomie- und Dienstleistungsstruktur, die typisch für das Stadtzentrum einer Großstadt ist. Laut dem Einzelhandels- und Zentrumskonzept stellt die Innenstadt den größten wie auch funktional bedeutendsten Versorgungsbereich in Duisburg (Beckmann / Stein 2010) dar. Das Einzugsgebiet bildet die ganze Stadt, ggf. sogar darüber hinaus, da die Innenstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut zu erreichen ist. Der Anteil der Nichtdeutschen (21,5 %) liegt im Erhebungsgebiet etwa fünf Prozentpunkte höher als in der Gesamtstadt. Der Diversitätsindex in Innenstadt liegt bei 0,61, sodass von einer ausgeprägten Diversität ausgegangen werden kann. Wie in Rüttenscheid ist die Gruppe der Nichtdeutschen mit türkischer Staatsangehörigkeit (13,3 %) nur sehr knapp nicht die größte, sondern die der Rumänen (13,4 %). Insgesamt ist die Zusammensetzung sehr kleinteilig. Es gibt keine Gruppe, die mit deutlichem Abstand vor den anderen den Stadtteil dominiert. Wie auch in den anderen Erhebungsgebieten finden sich weiterhin Personen aus früheren Anwerbeländern, neueren (Polen, Bulgarien und Rumänien) und älteren EU-Ländern (Niederlande) sowie Personen aus China und der Russischen Föderation. Insgesamt leben Personen aus 78 Ländern im Bereich Innenstadt. Inwieweit spiegeln sich die Ähnlichkeiten (Funktion der Stadtteile) und die Unterschiede (unterschiedlich diverse Bevölkerungsstruktur) in der Linguistic Landscape der Stadtteile E-Rüttenscheid und DU-Innenstadt wider? Die Auswertung der Bilddaten ergibt folgendes Bild für die sieben häufigsten Sprachen, vgl. Abb. 3.3.2.6. Auch bei diesem Stadtteilvergleich zeigen sich deutliche Übereinstimmungen zwischen Sprachenverteilung, Bevölkerungsstruktur und Funktion der Stadtteile. In beiden Stadtteilen dominiert das Deutsche, gefolgt vom Englischen. Die Migrantensprachen Türkisch und Polnisch sind in E-Rüttenscheid kaum sichtbar, in DU-Innenstadt ist das Türkische die Migrantensprache mit den meisten Vorkommen. Die Anteile von Französisch, Italienisch und Spanisch sind in beiden Stadtteilen vergleichbar. Sie begegnen im kommerziellen Diskurs häufig in Form von Geschäftsnamen oder in der Werbung, wo sie als Prestigesprachen fungieren bzw. Prestige symbolisieren sollen. Ni 3.3.2 Stadtteilvergleich von Essen-Rüttenscheid und Duisburg-Innenstadt Abb. 3.3.2.5: Die fünfzehn größten Gruppen von Nichtdeutschen in E-Rüttenscheid in % der Nichtdeutschen Quelle: Daten Stadt Essen, Stand 31.12.2013. Sprache Innenstadt (N = 5461) Sprache Rüttenscheid (N = 6801) Deutsch 3611 (66,1%) Deutsch 4400 (64,7 %) Englisch 1074 (19,7%) Englisch 1564 (23,0 %) Türkisch 172 (3,1 %) Französisch 149 (2,2 %) Französisch 105 (1,9 %) Italienisch 126 (1,9 %) Italienisch 98 (1,8 %) Spanisch 91 (1,3 %) Spanisch 83 (1,5 %) Türkisch 48 (0,7 %) Latein 52 (1,0 %) Polnisch 37 (0,5 %) 266 (4,9 %) Sonstige 386 (5,7 %) Sonstige Abb. 3.3.2.6: Anteil der Sprachen in E-Rüttenscheid und DU-Innenstadt 3.3.2 STADTTEILVERGLEICH VON ESSEN-RÜTTENSCHEID UND DUISBURG-INNENSTADT 125 Rus Bo en He 2,5 ,2 % % a2 n 2,1 % win de n % ie 2, 5% n2 ,6 28 % ,3 % n So st ig e % ,2 % Kroatien 4,2 b Ser n 2,1 go an on nland 4 4,0 ratio rze erl ed Grieche ina rie Kosovo 2,0 % und ed az Ch lga Spanie örde he F sisc sni Ni M Bu ien % 4,7 % 13 ,4 % % Ru mä Po le 13,3 % Türkei n6 ,3 % It al ien 5,5 Abb. 3.3.2.7: Die fünfzehn größten Gruppen von Nichtdeutschen in DU-Innenstadt in % der Nichtdeutschen Quelle: Daten Stadt Duisburg, Stand 31.12.2013. Abb. 3.3.2.8 126 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.3.2.9 nie n Dies gilt insbesondere für das Französische: So nennt sich ein Antiquitäten-Geschäft »Petit Palais« (Abb. 3.3.2.1) und ein Kinderbekleidungsgeschäft »La Petite« (Abb. 3.3.2.2). Eine Sprachschule gibt sich den französischen Namen »école nicole« (Abb. 3.3.2.3), ein Bastelgeschäft nennt sich »Lucy de luxe. Magasin creatif« (Abb. 3.3.2.4) und ein Restaurant wirbt mit der Auszeichnung seines Chefkochs durch die »UNION EUROPEENNE DES CUISINERS« (Abb. 3.3.2.8) für seine Gerichte. Das Spanische begegnet vor allen Dingen in Gastronomienamen wie »Del Prado« (Abb. 3.3.2.9) und »Vetono« (Abb. 3.3.2.10). Das Italienische tritt gleichfalls am häufigsten in Gastronomienamen auf, wie die Belege »Olivia« (Abb. 3.3.2.11), »zucca« (Abb. 3.3.2.12), »Bistecca« (Abb. 3.3.2.13) und »Pizzeria Picco Bello II« (Abb. 3.3.2.14) zeigen. Ebenfalls Italienisch ist der Name des Fanclubs des Fußballvereins Rot-Weiss Essen, der »Fierezza Nostra« / »unser Stolz« (Abb. 3.3.2.15) lautet. Sticker mit italienischen Fanclubnamen sind allerdings sehr selten im Ruhrgebiet zu finden. In welchen Kontexten tritt das Türkische in DU-Innenstadt auf? Die 172 Belege verteilen sich mehrheitlich mit 127 Zeichen auf den kommerziellen und mit 43 Zeichen auf den transgressiven Diskurs. Im kommerziellen Diskurs kommt das Türkische vor allen Dingen auf der Ebene der Namen vor: »Dönmez Tours« (Abb. 3.3.2.16), »Öger Türk Tur« (Abb. 3.3.2.17), »Zahnarztpraxis Dr. med dent. M. Ayna« (Abb. 3.3.2.19), »Ziraat Bank International AG« (Abb. 3.3.2.19), »Erol Keskin Rechtsanwalt« (Abb. 3.3.1.20). Auch in Grußformeln wie »Hoşgeldin in unserer Welt« (Abb. 3.3.2.21) begegnet das Türkische. Im transgressiven Diskurs sind es ebenfalls die Namen, die einen Großteil der Belege ausmachen: »BUCA« (der Name einer Stadt in der türkischen Provinz Izmir, Abb. 3.3.2.22), »Ali ♥Mira ♥Ali« (Abb. 3.3.2.23) und »Seb Hasan 31.03.16« (Abb. 3.3.2.24). Aber auch eine an niemanden adressierte Liebeserklärung »Seni Seviyorum« / »Ich liebe dich« (Abb. 3.3.2.25) findet sich auf einem Schildpfosten in DU-Innenstadt. Insgesamt geben die Vorkommen des Türkischen in DU-Innenstadt einen Einblick in das Unternehmertum von türkeistämmigen Migranten und in die Bandbreite der Dienstleistungen, die für die türkische Community (aber auch für andere Gruppen) angeboten werden. Die große Präsenz des Türkischen in der Innenstadt passt auch zu Duisburg: In Duisburg lebten Ende 2013 36 100 Einwohner mit einer türkischen Staatsangehörigkeit, die in der Innenstadt Dienstleistungen nachfragen. Abb. 3.3.2.10 Abb. 3.3.2.11 Abb. 3.3.2.12 Abb. 3.3.2.13 Abb. 3.3.2.14 Abb. 3.3.2.15 Abb. 3.3.2.16 Abb. 3.3.2.17 Abb. 3.3.2.18 Abb. 3.3.2.19 Abb. 3.3.2.20 Abb. 3.3.2.21 Abb. 3.3.2.22 Abb. 3.3.2.23 Abb. 3.3.2.24 Abb. 3.3.2.25 3.3.2 STADTTEILVERGLEICH VON ESSEN-RÜTTENSCHEID UND DUISBURG-INNENSTADT 127 3.3.3 Stadtteilvergleich von Essen-Altendorf und Bochum-Hamme Der Stadtteilvergleich bietet sich an, weil sich beide Stadtteile durch eine mittlere Diversität der lokalen Bewohner auszeichnen. Darüber hinaus ist für beide Stadtteile charakteristisch, dass sie eine Nahversorgungsfunktion ausüben (Binnenbezug) und keine Ausstrahlung darüber hinaus haben. Der Stadtteil E-Altendorf liegt westlich des Stadtzentrums. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Altendorfer Straße zwischen Haedenkampstraße im Osten und Wüstenhöferstraße im Westen. Die Altendorfer Straße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (Amt für Stadtplanung und Bauordnung Essen 2011). Die Altendorfer Straße erfüllt laut Masterplan Einzelhandel der Stadt Essen im Wesentlichen eine Versorgungsfunktion für den Stadtbezirk. Der Anteil der Nichtdeutschen (19,3 %) lag im Erhebungsgebiet knapp acht Prozentpunkte höher als in der Gesamtstadt. Der Diversitätsindex in Altendorf liegt bei 0,5, so dass auch von einer ausgeprägten Diversität der Bevölkerung ausgegangen werden kann. Türkische Staatsangehörige bilden mit 20,5 % die größte Gruppe an Nichtdeutschen in Altendorf, gefolgt von Personen aus Polen (8,8 %) und China (7,4 %). Die Auswahl der 15 größten Gruppen setzt sich wie auch in anderen Erhebungsgebieten aus Personen aus früheren Anwerbeländern (v. A. auch Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, Italien, Griechenland), neuen EU-Staaten (Rumänien, Bulgarien) sowie Sri Lanka und Ghana zusammen. Insgesamt leben Personen aus 57 Staaten in Altendorf. Der Stadtteil BO-Hamme liegt nordwestlich des Stadtzentrums. Das Erhebungsgebiet zieht sich entlang der Dorstener Straße zwischen Zechenstraße im Südosten und Berggate im Nordwesten. Die Dorstener Straße weist eine gemischte Struktur aus Wohnen, Einzelhandel (kurzfristiger Bedarf ), Gastronomie und Dienstleistungen auf (Hagemann / Kruse 2012: 66). Die Geschäftsstraße erfüllt laut Masterplan Einzelhandel die Nahversorgungsfunktion für den Stadtteil Hamme, hat aber keine Ausstrahlung darüber hinaus, so dass auch für die Analyse der visuellen Mehrsprachigkeit des Erhebungsgebietes von einem Einzugsbereich des Erhebungsgebietes ausgegangen werden kann, das nicht über den Stadtteil hinausreicht. Der Anteil der Nichtdeutschen (17,4 %) liegt im Erhebungsgebiet knapp 5 Prozentpunkte höher als in der Gesamtstadt. Der Diversitätsindex in Hamme liegt bei 0,4. 128 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Türkische Staatsangehörige bilden mit 30,6 % die größte Gruppe an Nichtdeutschen in Hamme, gefolgt von Personen aus Serbien und Montenegro mit gut 9 Prozent. Die Zusammensetzung der 15 größten Gruppen wird bestimmt von Personen aus früheren Anwerbeländern (v. A. auch Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien) und neuen sowie alten EU-Staaten (Bulgarien, Frankreich). Insgesamt leben Personen aus 48 Staaten in Hamme. Inwieweit spiegelt sich die Struktur der Bewohner in den je spezifischen Linguistic Landscape wider, und was sagt die Sichtbarkeit der Sprachen in den untersuchten Stadtteilen über die Bewohner der Stadtteile aus? Die Auswertung der Bilddaten liefert Abb. 3.3.3.1, die die sieben häufigsten Sprachen listet. Der Vergleich der Sprachvorkommen zeigt, dass in BOHamme das Deutsche mit 75,1 % deutlich sichtbarer ist als in E-Altendorf mit 66,3 %. Während das Englische in beiden Stadtteilen etwa gleich hohe Werte aufweist, unterscheiden sich die Vorkommen für die Migrantensprachen deutlich. So sind Türkisch (7,3 %) und Arabisch (1,6 %) die Migrantensprachen mit den höchsten Anteilen in E-Altendorf, gefolgt von Französisch (1,1 %), Italienisch (0,7 %) und Polnisch (0,6 %), wobei die Werte für diese Sprachen insgesamt sehr niedrig liegen. Der Stadtteil BO-Hamme weist eine deutlich geringere migrantensprachliche Prägung auf, da keine Migrantensprache in einem nennenswerten Umfang vorkommt, selbst das Türkische ist nur mit 1,8 % vertreten – und das, obwohl die Bewohner mit türkischer Staatsangehörigkeit fast ein Drittel der ausländischen Bevölkerung in diesem Stadtteil ausmachen. Die »alte« Migrantensprache Polnisch sowie die »neue« Migrantensprache Arabisch sind in Hamme mehr oder weniger unsichtbar. Hamme weist insofern die geringste sprachliche Diversität – insbesondere migrantensprachlich geprägte Diversität – auf. Altendorf ist dagegen der nördlich der A 40 liegende Stadtteil, der neben der Dortmunder Nordstadt am stärksten migrantensprachlich geprägt ist und die deutlichsten sprachlich sichtbaren Hinweise auf die jüngste Zuwandererwelle gibt. Insgesamt zeigt der Vergleich der Stadtteile E-Altendorf und BO-Hamme, dass trotz einer vergleichbaren mittleren Diversität der Bevölkerung die sprachliche Diversität sehr unterschiedlich ausfällt – sowohl mit Blick auf das Sprachenprofil als auch das Vorkommen der einzelnen Sprachen. Sprache Altendorf (N = 2492) Sprache Hamme (N = 1960) Deutsch 1653 (66,3 %) Deutsch 1472 (75,1 %) Englisch 397 (15,9 %) Englisch 326 (16,6 %) Türkisch 182 (7,3 %) Türkisch 35 (1,8 %) Arabisch 41 (1,6 %) Italienisch 26 (1,3 %) Französisch 27 (1,1 %) Französisch 13 (0,7 %) Italienisch 17 (0,7 %) Chinesisch 12 (0,6 %) Polnisch 14 (0,6 %) Sonstige 161 (6,5 %) Latein 12 (0,6 %) Sonstige 64 (3,3 %) Abb. 3.3.3.1: Anteil der Sprachen in E-Altendorf und BO-Hamme 3.3.3 STADTTEILVERGLEICH VON ESSEN-ALTENDORF UND BOCHUM-HAMME 129 Kamerun 1,0 % Ukraine 1,0 % % 1,3 % 3,3 1,4% land h 1,3 kreic che n 3,2 n Kroatie Fran Grie ,6 % ien ien 4% % on 2, ,5 zed % na 30 Ma 1,5 wi % So ns e tig ,8% go o1 rze ov He 4% ina d s Ko un 2, ar Ch ien lg bien sn o Ser Bo Mazedonien 2,1 % ov % d2 Bu 2,4 arien lan 2,5 2,1 % ,2 % ka Bulg iec hen ien ,2 % e2 an Gr rb na 2 rain iL Se It alien Gha Uk Sr Ko s 2, 5% 30 % ,6 % rk Tü ei % 3,8 % Italien 4 ,1 % Rumänien 4,4 % ,5 Polen 6 Irak % 6,0 % C hin a 7,4 % M So rk Tü % % ns ei Abb. 3.3.3.2: Die fünfzehn größten Gruppen von Nichtdeutschen in E-Altendorf in % der Nichtdeutschen Quelle: Daten Stadt Essen, Stand 31.12.2013. 130 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT e Pole n tig 8,8 d ne 2% ,8 % ,5 rb un te 9, 28 20 Se ien on o gr Abb. 3.3.3.3: Die fünfzehn größten Gruppen von Nichtdeutschen in BO-Hamme in % der Nichtdeutschen Quelle: Daten Stadt Bochum, Stand 31.12.2013. 3.3.3 STADTTEILVERGLEICH VON ESSEN-ALTENDORF UND BOCHUM-HAMME 131 3.4 Sprachgebrauch und sprachliche Gestaltung In welchen Formen kommen sichtbare Sprachen im öffentlichen Raum vor? Welche sprachlichen Praktiken sind kennzeichnend für die einzelnen Diskurstypen, und wie unterscheiden sie sich? Da Schilder, Aushänge, Anzeigetafeln, Aufsteller, Werbeflächen, Graffitis und dergleichen immer nur einen begrenzten Raum für die sprachliche Ausgestaltung von Hinweisen, Aufforderungen, Verboten, Botschaften etc. bieten, ist die Frage nach den charakteristischen Merkmalen und Formen »ortsgebundener Schriftlichkeit« (Domke 2013), d. h. von Texten, die durch ihre Medialität und Materialität sowie Anbringung mehr oder weniger fest an ihre Orte (z.B. Rohrpfosten, Wände, Fensterscheiben, Laternenpfähle, Brückenpfeiler und -geländer etc.) gebunden sind, von besonderem Interesse. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Muster, die sich in der öffentlich wahrnehmbaren Schriftlichkeit einzelner Sprachen erkennen lassen. Untersuchungen in diesem Bereich haben gezeigt (vgl. Auer 2010; Huebner 2009; Tophinke 2017), dass diese Verwendungen von Schriftlichkeit häufig – und das gilt vor allen Dingen für den infrastrukturellen und regulatorischen Diskurs – mit sehr wenig Text auskommen, d. h. dem Gebot der sprachlichen Kürze folgen und durch spezifische sprachliche Konstruktionen gekennzeichnet sind. Als »Minitexte« (Schmitz 2016: 240) unterstützen sie so die Wahrnehmung, Lesbarkeit und kognitive Verarbeitung von Handlungsanleitungen und Verboten sowie Hinweisen im öffentlichen Raum. Ihre Semantik ergibt sich dabei aus ihrer räumlichen Kontextgebundenheit. Andererseits begegnen im öffentlichen Raum auch solche schriftsprachlichen Belege, die textlastiger sind und Formen der sprachlichen Kreativität (Sprachspiel, Intertextualität, Abweichungen von der orthografischen Wortgestalt) aufweisen können. Diese Texte finden sich vorrangig im kommerziellen Diskurs, etwa in der Werbung, aber auch im transgressiven Diskurs, d. h. in Graffitis und Aufklebern, und zwar dort, wo Botschaften und Meinungsäußerungen transportiert werden. Die sprachliche Ausgestaltung vieler dieser Werbeinformationen und Botschaften zeigt darüber hinaus, dass die Vorstellung, man könne immer klar zwischen einzelnen Sprachen trennen, der Komplexität des Sprachgebrauchs in vielen Fällen nicht gerecht wird. Oft lässt sich, z. B. bei Sprachspielen (aber nicht nur dort), nicht ohne weiteres bestimmen, ob ein Beleg Sprache A oder Sprache B zuzuordnen ist, da er Formen beider Sprachen aufweist. Des Weiteren lassen sich im kommerziellen und transgressiven Diskurstyp auch solche Formulierungen finden, die typisch für die Mündlichkeit sind. Dies kann einzelne Sprachmerkmale betreffen (vgl. Kap. 3.4.6 zum Ruhrdeutschen), aber auch Kommunikationspraktiken, die für zwei- und mehrsprachige Sprecher typisch sind, wie etwa Code-Switching, d. h. den Wechsel von einer Sprache in eine andere Sprache innerhalb einer Äußerung (vgl. Kap. 3.4.7). Im Folgenden werden in linguistischen Mikroanalysen die schriftsprachlichen Belege für die Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch, Polnisch und Ruhrdeutsch beschrieben. Die Reihenfolge orientiert sich dabei am Vorkommen dieser Sprachen im öffentlichen Raum der Metropole Ruhr. 132 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.1 Deutsch in der Metropole Ruhr Die quantitative Auswertung der in den Untersuchungsstädten sichtbaren Sprachen hat gezeigt, dass Deutsch mit einem Gesamtvorkommen von 66,5 % die mit Abstand am stärksten vertretene Sprache ist. Zwar schwanken die Anteile des Deutschen in den einzelnen Stadtteilen (vgl. Kap. 3.3), doch das Ruhrgebiet ist aufs Ganze gesehen eine dominant deutsche Linguistic Landscape. Welche sprachlichen Praktiken sind in den Vorkommen des Deutschen eingeschrieben? Studien von Auer (2010), Hennig (2010), Wilk (2012) und Schmitz (2017) zeigen, dass für öffentlich sichtbare Schriftlichkeit folgende Vertextungsstrategien typisch sind: Einfachheit (reduzierte syntaktische Strukturen), Formelhaftigkeit (z.B. schematisch abgefasste Texte wie Fahrpläne, Preislisten, Öffnungszeiten) und eine begrenzte Zahl von Propositionen (häufig nur eine einzige Aussage / Information). Diese bestehen oft aus nicht mehr als einem Wort (z. B. »Stopp«, »Eingang«, »Ziehen«), einer Mehr-Wort-Kombination (z.B. »Rettungsweg für Feuerwehr und Krankenwagen freihalten«; »Currywurst mit Pommes nur 4.- €«) oder einem Spruch (z.B. »Boah ey, Boah ey, Borussia geh’ nie vorbei« aus dem gleichnamigen Borussen-Lied: Boah Ey Borussia oder »So geht Bank heute«). Welche Wörter kommen am häufigsten in deutschen Textpassagen auf Schildern vor? Um diese Frage zu beantworten, wurden die Bilddaten für die Vorkommen des Deutschen korpuslinguistisch ausgewertet. Die Auswertung erfolgte mit der Software »Google Cloud Vision API«. Für die softwaregestützte Datenanalyse möchten wir uns ganz herzlich bei Prof. Dr. Peter Gilles (Universität Luxemburg) bedanken. Google Cloud Vision API Die Software ist ein Online Service von Google zur Objekt- und Texterkennung in Bildern (https://cloud. google.com / vision) und eignet sich besonders für die Analyse großer Datenmengen. Die Software bietet folgende Erkennungstypen: Wahrzeichen, Logos, Kennzeichen (dominante Objekte), Farben und Text. Darüber hinaus liefert sie auch Metadaten, d. h. Angaben zum Schildertyp (z. B. Straßenschild, Werbeplakat etc.) und zur Sprache. Um die Bilddaten textlinguistisch auswerten zu können, musste das Bilddatenkorpus bereinigt werden. Dafür wurden alle Bilder, die handgeschriebene Zeichen (dies betrifft vor allen Dingen transgressive Zeichen wie Graffitis und Tags) und Zeichen, die stilisierte und gebrochene Schriften enthalten, aus der Analyse ausgeklammert, da die genannte Software solche Zeichen nicht erkennen kann. Das so reduzierte Bilddatenkorpus umfasst ca. 14.000 Bilddaten und 350.000 Wörter. 3.4.1 DEUTSCH IN DER METROPOLE RUHR 133 1. Uhr (2918) 16. Samstag (361) 2. www (1710) 17. Service (357) 3. Tel. (1067) 18. med. (297) 4. Essen (1022) 19. Apotheke (290) 5. Duisburg (707) 20. Vereinbarung (265) 6. Dortmund (690) 21. Kinder (252) 7. Bochum (642) 22. Bank (251) 8. Dr. (538) 23. Fax (239) 9. bitte (514) 24. Ruhr (237) 10. Freitag (458) 25. Tag (218) 11. GmbH (447) 26. Stadt (214) 12. Montag (444) 27. Mittwoch (209) 13. Telefon (421) 28. AG (208) 14. Euro (393) 29. Donnerstag (208) 15. Öffnungszeiten (380) Abb. 3.4.1.1: Häufigkeit von Inhaltswörtern Abb. 3.4.1.2: BO-Langendreer Abb. 3.4.1.3: BO-Hamme Abb. 3.4.1.4: BO-Hamme Abb. 3.4.1.5: DO-Hauptbahnhof 134 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Die Auswertung der am häufigsten vorkommenden deutschen Inhaltswörter ergibt folgende Rangliste (Abb. 3.4.1.1), die nebenbei auch zeigt, dass nominale Strukturen insgesamt klar dominieren. Platz 1 belegt das Wort »Uhr« mit 2 918 Vorkommen, die Plätze 4 – 7 belegen die Städtenamen Essen, Duisburg, Dortmund, Bochum, und die Höflichkeitspartikel »bitte« belegt mit immerhin 514 Vorkommen Platz 9. Von den Wochentagen weist der Freitag die meisten Belege auf (458 Belege), gefolgt vom Montag (444 Belege), Samstag (361 Belege), Mittwoch (209 Belege) und Donnerstag (208 Belege). Aber auch Abkürzungen wie www (world wide web), Tel. (Telefon), Dr. (Doktor), GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung), med. (medicinae) und AG (Aktiengesellschaft) sind frequent und werden in den Fällen, in denen auch Vollformen vorliegen, gegenüber diesen bevorzugt. So kommt die Abkürzung »Tel.« mit 1067 Belegen wesentlich häufiger im Korpus vor als die entsprechende Vollform »Telefon« mit 421 Belegen. Die Konzentration auf Inhaltswörter und der tendenzielle Verzicht auf Flexionsformen zeigt sich vor allen Dingen im regulatorischen und infrastrukturellen Diskurs (Abb. 3.4.1.2, Abb. 3.4.1.3 und Abb. 3.4.1.4). Zuweilen führt der Verzicht auf Flexionsformen auch zu nicht-autorisierten Korrekturen (Abb. 3.4.1.5). Während viele der Zeichen im regulatorischen und infrastrukturellen Diskurs dadurch bestimmt sind, dass sie als »kommunikative Minimaleinheiten« (Zifonun et al. 1997: 85 – 92) keine vollständigen Sätze aufweisen, begegnen im kommemorativen Diskurs auf Erinnerungstafeln (Abb. 3.4.1.7) und im infrastrukturellen Diskurs im Kontext von Erläuterungen auch solche Texte, die normgrammatisch formuliert sind, d. h. keine Wort- und Flexionsauslassungen sowie Satzzeichenauslassungen aufweisen. Typische Beispiele hierfür sind Schilder mit Hinweisen auf Industriedenkmäler und ihre Geschichte (Abb. 3.4.1.8) oder auch Aushänge, die über Aktivitäten informieren (Abb. 3.4.1.9, Kita-Aushang), und Schilder, die Handlungsaufforderungen begründen (Abb. 3.4.1.10, Aufsteller des Bürgerbüros Bochum Mitte). Um einen Einblick in die bevorzugten Wortfolgen (sogenannte N-Gramme) zu erhalten, wurde eine 4-Gramm-Analyse durchgeführt. Die häufigsten 4-Gramme sind in Abb. 3.4.1.6 dargestellt. Mit 43 Belegen kommt das 4-Gramm »Bank an Ihrer Seite« am häufigsten vor, gefolgt von der Warnung »Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt«, der Angabe von Öffnungszeiten und der Dankeshandlung »vielen Dank für Ihr«. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die häufigsten 4-Gramme vor allen Dingen im kommerziellen und regulatorischen Diskurs begegnen, also in solchen Kontexten, in denen es um Werbung und im weitesten Sinn um Handlungsanweisungen bzw. Handlungsunterlassungen (s. Öffnungszeiten und die Hinweise auf »rauchfreier Bahnhof«) geht. Schilder können unterschiedlichen Funktionen dienen (z.B. benennen, Wege weisen, charakterisieren, Zugehörigkeit markieren und gedenken; vgl. Auer 2010). Oft fordern Schilder im öffentlichen Raum – wie auch die 4-Gramme zeigen – zu Handlungen auf oder verbieten Handlungen. Die Verteilung von Verbotslexemen zeigt die Karte in Abbildung 3.4.1.11. Die Analyse wurde für die Wörter »verboten«, »Polizei« und »beachten« durchgeführt. Auffällig ist, dass in Dortmund der Nord-Süd-Unterschied am größten ist, d. h. dass in der Nordstadt wesentlich mehr Verbotslexeme vorkommen als in Hörde und im restlichen Ruhrgebiet. 1. bank an ihrer seite (43) 2. fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt (40) 3. von x:xx uhr bis x:xx uhr (39) 4. vielen dank für ihr (34) 5. dienstag mittwoch donnerstag freitag (28) 6. wir freuen uns auf (28) 7. bahnhof non smoking station (27) 8. termine nach vereinbarung tel (27) 9. bewohner mit parkausweis museum (25) 10. rauchfreier bahnhof non smoking (25) 11. nutzung ist rechtswidrig und (24) 12. lesbar hinter die windschutzscheibe (23) 13. dank für ihr verständnis (21) Abb. 3.4.1.6: Häufigkeit von Vier-Grammen Abb. 3.4.1.7: BO-Langendreer Abb. 3.4.1.8: BO-Hamme Abb. 3.4.1.9: BO-Hamme Abb. 3.4.1.10: BO-Bürgerbüro 3.4.1 DEUTSCH IN DER METROPOLE RUHR 135 Abb. 3.4.1.11: Verteilung von »verboten«, »Polizei« und »beachten« Verbotslexeme (Anzahl: 216) Verhältnis: 1mm Radius entspricht einem Verbotslexem. Nordstadt Dortmund Marxloh Hamme Hörde Duisburg Altendorf Essen Langendreer Bochum Rüttenscheid Innenstadt 136 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.1 DEUTSCH IN DER METROPOLE RUHR 137 Abb. 3.4.1.12: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.13: DO-Nordstadt Abb. 3.4.1.14: DO-Hörde Abb. 3.4.1.15: DO-Hauptbahnhof Abb. 3.4.1.16: E-Altendorf Abb. 3.4.1.17: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.18: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.19: E-Rüttenscheid 138 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Im regulatorischen Diskurs überwiegen Zeichen mit »deontischen Infinitiven«, d. h. Infinitivkonstruktionen, die ohne die Partikel »zu« gebildet werden (Deppermann 2007), wie in »Ein- u. Ausfahrt freihalten« (Abb. 3.4.1.12), »Parken verboten!« (Abb. 3.4.1.13), »Bei entgegenlaufender Fahrtreppe bitte vor der Ampelsäule warten« (Abb. 3.4.1.14). Deontische Infinitive charakterisieren Handlungen als geboten oder verboten. Sie erlauben es, Handlungsanweisungen und -aufforderungen auf höfliche Art und Weise auszudrücken. Der höfliche Gestus wird durch Höflichkeitsmarker wie »bitte« (Abb. 3.4.1.14) oder »danke« (Abb. 3.4.1.15) unterstrichen. Dadurch wird der imperative Charakter der Handlungsanweisungen bzw. -aufforderungen abgeschwächt. Auch die Ausrufezeichen, die oft fehlen, tragen zur Rahmung als Bitte bei. Charakteristisch für diese Konstruktionen ist auch, dass die syntaktische Kategorie, die sich auf diejenigen bezieht, die den Handlungsanweisungen folgen sollen, nicht realisiert wird. Dies hat den sprachökonomischen Vorteil, dass so prinzipiell alle adressiert werden. Gleichzeitig wird dadurch die Handlung, die das Verb ausdrückt, betont. Völlig untypisch ist das Schild in einer Grünanlage mit der Aufforderung »Diese Wiese darf jeder nutzen. Auch Hunde dürfen hier unangeleint laufen [...]« (Abb. 3.4.1.16). Im kommerziellen Diskurs sind solche Konstruktionen häufig, in denen der Nutznießer einer Dienstleistung oder eines Produktes genannt und auf diese Weise adressiert wird. Dies geschieht häufig in Form von für-Phrasen wie »Wir sind für Sie da!« (Abb. 3.4.1.17) und »Rosenmontag haben wir für Sie von 9.00–12.00 Uhr geöffnet« (Abb. 3.4.1.20). Neben Adressierungen (»Lieber Kunde«, Abb. 3.4.1.18) und Personalisierungen (»Vielen Dank für Ihren Einkauf!«, Abb. 3.4.1.21) sind auch Grußformeln wie »Willkommen« und »Auf Wiedersehen« im kommerziellen Diskurs häufig (vgl. E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.19, Abb. 3.4.1.21). Rhetorisch-stilistische Figuren wie inszenierte Dialogizität (Abb. 3.4.1.22, Abb. 3.4.1.23) bzw. Einladungen zum Dialog (Abb. 3.4.1.24), Alliterationen wie in dem Werbeslogan »Perfektes Paar Perfekter Preis« (Abb. 3.4.1.25) und »Feines von FINE« (Abb. 3.4.1.26) sowie Sprachspiele wie in »Offizielle Rüttenschirm Leihstation« (Abb. 3.4.1.27), »Lieber Lasertherapie als Zahnwars« (Abb. 3.4.1.28), »Wir verändern das Land zum Leckeren« (Abb. 3.4.1.29) sind charakteristisch für den kommerziellen Diskurs. Der Appell auf einem transgressiv angebrachten Abb. 3.4.1.20: BO-Langendreer Abb. 3.4.1.21: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.22: DO-Nordstadt Abb. 3.4.1.23: DO-Hörde Abb. 3.4.1.24: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.25: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.26: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.27: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.28: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.29: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.30: DO-Hamme Abb. 3.4.1.31: DO-Nordstadt 3.4.1 DEUTSCH IN DER METROPOLE RUHR 139 Abb. 3.4.1.32: DO-Hauptbahnhof Abb. 3.4.1.33: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.1.34: BO-Hamme Sticker »Abschiebungen verhindern du musst« (Abb. 3.4.1.30) ist in seiner syntaktischen Konstruktion (Inversion des Subjekts, Verbend- statt Verbzweitstellung) eine Anspielung auf den Sprachgebrauch des Jedi-Ritters Yoda aus dem Film Star Wars. Eine syntaktische Anspielung ist auch die Feststellung »Wir sind Dortmund. Nazis sind es nicht. Nordstadt« (Abb. 3.4.1.31), die in Analogie zu der berühmten Bild-Schlagzeile »Wir sind Papst« zur Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger gebildet wurde. Schreibungen mit Großbuchstaben im Wortinnern stellen absichtliche orthografische Abweichungen, d. h. eine Form der graphischen Variation, dar. Sie sind ein gestalterisches Mittel, das im kommerziellen Diskurs bei Wortzusammensetzungen verwendet wird, die Namen, Dienstleistungen oder Produkte bezeichnen (vgl. Abb. 3.4.1.32 bis 3.4.1.36). Das Hinweisschild »DeutscheFußballRoute« (Abb. 3.4.1.37) ist ein Sonderfall, weil es sich hier um zwei Wörter (»deutsch«, »Fußballroute«) handelt, die zusammengeschrieben sind und nicht durch ein Leerzeichen getrennt werden. Pluralschreibungen wie Croissant’s, Snack’s und Cafe’s sind auch in unserem Korpus belegt (vgl. »Handy’s«, Abb. 3.4.1.38). Diese Schreibungen sind häufig Gegenstand sprachkritischer Äußerungen. Viele Sprachkritiker sehen in diesen Schreibungen ein Indiz für den Verfall der deutschen Sprache. Wie unser Bildmaterial zeigt (und auch andere Untersuchungen belegen), treten diese Pluralschreibungen nicht spontan und willkürlich auf. Vielmehr sind sie in bestimmten Kontexten gebräuchlich, insbesondere in Texten im öffentlichen Raum und hier vorzugsweise im kommerziellen Diskurs in syntaktisch reduzierter Umgebung. In der Regel wird die Pluralapostrophschreibung in Wörtern verwendet, deren Plural mit »s« gebildet wird. Die aktuelle Praxis der Pluralapostrophschreibung ist nicht neu. Sie lässt sich als Renaissance einer alten, schon im 18./19. Jahrhundert ausgebildeten Praxis der Hilfszeichenschreibung begreifen. So stellt der Sprachkundler Heyse in seiner Grammatik 1838 fest: »für solche Wörter, welche ihrer äußeren Gestalt, oder auch ihrer Bedeutung wegen sich in keine regelmäßige deutsche Declination fügen wollen, das s (mit vorangestelltem Apostroph) die einzig angemessene Mehrheitsendung (ist), für welche sich auch der Gebrauch der besten Schriftsteller in solchen Fällen entschieden hat« (Heyse 1838: 467). Abb. 3.4.1.36: DO-Hauptbahnhof Abb. 3.4.1.37: BO-Hauptbahnhof Abb. 3.4.1.38: DU-Innenstadt Abb. 3.4.1.35: BO-Langendreer 140 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.1 DEUTSCH IN DER METROPOLE RUHR 141 3.4.2 Englisch in der Metropole Ruhr Abb. 3.4.2.1: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.2: E-Rüttenscheid Englisch stellt in allen Stadtteilen – außer in dem stark türkisch geprägten DU-Marxloh – die zweithäufigste Sprache nach Deutsch dar. Sieht man sich die Stadtteile genauer an, in denen Englisch relativ betrachtet am häufigsten vorkommt, dann fallen die Stadtteile DO-Nordstadt und E-Rüttenscheid auf, vgl. die Tabelle in Abb. 3.4.2.5. Englisch kommt in DO-Nordstadt vor allem im transgressiven Diskurs vor, also in Graffitis und auf Stickern. Der Anteil des Englischen beträgt hier 76,8 %. Sowohl Graffitis als auch Sticker sind jugendkulturelle Ausdrucksformen, die stark angloamerikanisch geprägt sind und insofern auch häufig in Englisch verfasst oder mit englischsprachigen Versatzstücken versehen sind, wie die selbstreflexiven Botschaften »FIRSTLOVEGRAFFITI« (Abb. 3.4.2.1) und »I ♥ STICKERS!« (Abb. 3.4.2.2) beispielhaft illustrieren. DO-Nordstadt ist bei jungen Erwachsenen besonders beliebt wegen seiner kulturellen Vielfalt, attraktiven Kneipenszene, günstigen Mieten, vielen Altbauten und seiner Nähe zur Innenstadt (vgl. Kapitel 3.3.1). In E-Rüttenscheid ist das Englische außer im transgressiven Diskurs mit einem Anteil von 55,3 % auch im kommerziellen Diskurs mit einem Anteil von 43,3 % dominanter. Viele Gastronomie-, Geschäfts- und Firmennamen sowie Namen von Dienstleistern sind auf Englisch: »SAILOR’S PUB« (Abb. 3.4.2.3), »KALA KUTA SOUL RECORDS« (Abb. 3.4.2.4), »HAIRWORKS« (Abb. 3.4.2.6), »chilli house« (Abb. 3.4.2.7), »happy play« (Abb. 3.4.2.8) und »fresh nails« (Abb. 3.4.2.9). Ebenso häufig werden Dienstleistungen oft auf Englisch angegeben: »Brasilian bodywaxing« (Abb. 3.4.2.10), »Bleaching« (Abb. 3.4.2.11), »Repair-Service« (Abb. 3.4.2.12). Auch Werbeslogans wie »FINEST LIFESTYLE« (Abb. 3.4.2.13) sind vorzugsweise auf Englisch verfasst. Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Gebrauch des Englischen nicht ethnisch motiviert ist (Stichwort: Ethno-Marketing). Es geht hier nicht primär darum, englischsprachige Kundinnen und Kunden anzusprechen (auch wenn 5 % der Bevölkerung in E-Rüttenscheid eine britische oder US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzen). Vielmehr werden das Prestige und der Symbolwert des Englischen genutzt, um ein Produkt, ein Geschäft oder auch eine Kneipe als sexy, cool, jung, modern etc. erscheinen zu lassen. Diese Tendenz gilt auch für andere nicht-englischsprachige Länder: »When English is used in advertising in non-English speaking countries, it rarely is intended to connote an ethno-cultural stereotype and much more often a social stereotype where bilingualism in English and the national language is used to index modern, cosmopolitan, professional and successful identities« (Piller 2011: 108 – 109). In diesem Sinne stellt das Englische eine Ressource dar, deren expressiver Mehrwert ein Produkt in spezifischer Weise aufwertet und sozial konnotiert, sei es durch Benennung oder Bewerbung. Sowohl im transgressiven als auch im kommerziellen Diskurs werden häufig kreative Sprachformen produziert und standardsprachliche Normen unterlaufen. Beide Diskurse bieten Spielräume, in denen die sprachlichen Möglichkeiten und Grenzen ausgelotet werden können. Dies betrifft grundsätzlich alle Sprachebenen, d. h. sowohl den Bereich der Orthographie als auch die Bereiche Grammatik, Semantik und Wortbildung. Abb. 3.4.2.6: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.7: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.8: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.9: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.10: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.11: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.12: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.13: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.3: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.4: E-Rüttenscheid 142 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Stadtteile nördlich der A 40 Stadtteile südlich der A 40 Duisburg-Marxloh 165 (13.3 %) Duisburg-Innenstadt 1074 (19,1 %) Essen-Altendorf 397 (15,9 %) Essen-Rüttenscheid 1564 (23,2 %) Bochum-Hamme 326 (16,2 %) Bochum-Langendreer 276 (14,4 %) Dortmund-Nordstadt 804 (28,2 %) Dortmund-Hörde 277 (19,5 %) Abb. 3.4.2.5: Vorkommen von Englisch in den nördlich und südlich der A 40 gelegenen Stadtteilen 3.4.2 ENGLISCH IN DER METROPOLE RUHR 143 Graphische Variation Abb. 3.4.2.14: E-Hauptbahnhof Abb. 3.4.2.15: DU-Hauptbahnhof Abb. 3.4.2.16: E-RuhrMuseum Schreibungen, die intendierte Abweichungen darstellen, werden in der Linguistik als »Andersschreibungen« (Maas 1992: 360) bezeichnet. Sie sind typisch für die private, interaktive digitale Kommunikation, für Werbung und für Graffitis. Häufig werden Andersschreibungen von Laienlinguisten kritisiert, und es wird dann nicht unterschieden zwischen solchen Bereichen, die sich an den Rechtschreibregeln orientieren müssen (z.B. Schule und Verwaltung), und solchen Bereichen, die sich an den Rechtschreibregeln orientieren können (z. B. Literatur, WhatsApp-Kommunikation, Werbung). Diese Differenzierung bildet die Grundlage des Modells der »orthographic spaces« von Sebba (2007: 43 – 44). Es trägt den je spezifischen Kontexten und sozialen Praktiken in den verschiedenen orthographischen Räumen Rechnung, indem es von einem Kontinuum zwischen »fully regulated spaces« und »unregulated spaces« ausgeht. Zentrale Annahme dabei ist, dass die graphischen Varianten als kreative und unkonventionelle Andersschreibungen der üblichen orthographischen Wortgestalten erkennbar sind und selbst einer Systematik folgen: »While [...] they do not conform to the standard norm, they may nevertheless conform to some norm« (Sebba 2003: 157, Kursivierung im Original). Die von Sebba diagnostizierte »Spelling Rebellion« (2003) ist insofern keine Rebellion im strengen Sinn, sondern eine geordnete Rebellion, da es in den weniger regulierten orthographischen Räumen zur Ausbildung und Fokussierung eigener graphischer Varianten und damit Normen kommt. Diese Fokussierung unterscheidet Andersschreibungen von fehlerhaften Schreibungen wie z. B. dem Auslassen des Genitivapostrophs im Englischen oder Wortzusammenschreibungen, die im Deutschen, nicht aber im Englischen korrekt sind und auch auf offiziellen Schildern und Plakaten wie dem Hinweis auf das Besucherzentrum Ruhr vorkommen. • »IN ORWELLS REALITY« (Abb. 3.4.2.14) • »Livepics«, »Bandpics« (Abb. 3.4.2.15) • »Ruhr.Visitorcenter / Besucherzentrum Ruhr« (Abb. 3.4.2.16) 144 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Nach Tophinke (2002: 171 – 177) können verschiedene Verfahren der Andersschreibung unterschieden werden: Abwandlungen der orthographischen Wortgestalt, Wiedergabe gesprochensprachlicher Formen und Adaptionen aus anderen Genres oder Stilen. Diese Variationen entfalten je nach Kontext unterschiedliche Gebrauchswerte als Identifikationssymbol, Aufmerksamkeits- und Verfremdungssignal. Sie lassen sich nicht nur in den deutschen Textpassagen in unseren Daten feststellen, sondern auch in englischen Textpassagen, wie im Folgenden illustriert wird. Abwandlungen der orthographischen Wortgestalt Im Englischen werden Namen (Personenamen, Geschäftsnamen, Ortsnamen etc.) wie im Deutschen am Wortanfang großgeschrieben. Zur Hervorhebung von Geschäftsnamen und Namen von Restaurants etc. sowie bei Graffitis wird häufig von dieser Regel abgewichen und entweder Versalschrift, d. h. eine Schrift, die nur aus Großbuchstaben besteht (1., 2. Beispiel) oder Kleinschrift (3. Beispiel) verwendet. Eine Mischung von Groß- und Kleinbuchstaben ist ein typisches Merkmal für die Schreibung von Crewnamen (Beispiel 4). Daneben werden auch Verfahren wie die Auszeichnung von Anfangsbuchstaben durch einen größeren Schriftgrad und das Hochstellen von Buchstaben (5. Beispiel) gewählt. Im 6. Beispiel, einer selbstreflexiven Äußerung, die sich auf die Praxis des Anbringens von Graffitis bezieht, werden nicht nur Versalien verwendet, sondern auch die Leerzeichen und Zeilen-Enden zur Markierung einer Wortgrenze ausgelassen, sodass der Verfremdungseffekt verstärkt wird. Abb. 3.4.2.17: BO-Langendreer 1. Bsp.: »CUT« (Abb. 3.4.2.17) 2. Bsp.: »LET’S GO!« (Abb. 3.4.2.18) Abb. 3.4.2.18: BO-Langendreer Abb. 3.4.2.19: BO-Langendreer 3. Bsp.: »chilli house« (Abb. 3.4.2.7) 4. Bsp.: »THE BrEH« (Abb. 3.4.2.19) 5. Bsp.: »SAILOR’s PUB« (Abb. 3.4.2.3) 6. Bsp.: »FIRSTLOVEGRAFFITI« (Abb. 3.4.2.1) 3.4.2 ENGLISCH IN DER METROPOLE RUHR 145 Abb. 3.4.2.20: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.22: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.21: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.23: DO-Hörde Einzelne Buchstaben oder Buchstabenketten können auf verschiedene Art und Weise ersetzt werden, wie die Beispiele 7 und 8 zeigen. Im 7. Beispiel wird das Wort »boys« statt mit »y« mit »i« und statt mit wortfinalem »s« mit »z« geschrieben. Im 8. Beispiel wird der Verbstamm des Verbs »love« durch ein Herz-Symbol ersetzt, das für »Liebe« (eigentlich also ein Substantiv) steht. Dieses Herz-Symbol wurde zum ersten Mal 1977 in einem für New York entwickelten Slogan »I ♥ NY« verwendet. Weitere Varianten der Abwandlung von Wortschreibungen illustrieren die Beispiele 9 bis 11. Im 9. Beispiel wird die Präposition »to« durch die Zahl 2 ersetzt, mit der sie homophon ist. Homophonie ist auch im 10. Beispiel die Grundlage für die Ersetzung der Wortschreibungen für die Präposition »for« und das Personalpronomen »you«. Eine weitere Form der Abwandlung der graphischen Wortgestalt besteht im Auslassen von Buchstaben (11. Beispiel). Diese Verfahren sind aus der Leetspeak bekannt. Unter dem Begriff Leetspeak werden solche Schreibweisen zusammengefasst, bei denen ein Buchstabe, eine Ziffer oder auch ein Sonderzeichen zur Verfremdung einer Wortschreibung oder zur Abkürzung für ein Wort verwendet wird, das gleich oder ähnlich ausgesprochen wird. Leetspeak wurde in den 1980er Jahren als Geheimcode von Hackern entwickelt, um zu verhindern, dass ihre E-Mails oder Online-Dokumente automatisch von Computerprogrammen entziffert werden konnten. Hier dagegen wird Leetspeak eingesetzt, um die Schreibung von Geschäftsnamen, Slogans, Stickerbotschaften etc. zu individualisieren und interessanter, unkonventioneller, cooler oder auch aggressiver wirken zu lassen. 7. Bsp.: »POTT BOIZ« (Abb. 3.4.2.20) 8. Bsp.: »STILL ♥’ING Antifa« (Abb. 3.4.2.21) Abb. 3.4.2.24: DO-Hörde 9. Bsp.: »health2beauty« (Abb. 3.4.2.22) 10. Bsp.: »4U!« (Abb. 3.4.2.23) 11. Bsp.: »FCK CPS« (Abb. 3.4.2.24) Wie einige der diskutierten Beispiele zeigen, wird bei der Abwandlung der orthographischen Wortgestalt häufig nicht nur auf ein Verfahren, sondern auf mehrere Verfahren zurückgegriffen. Ein besonders komplexes Beispiel bietet die Botschaft auf einem Sticker (12. Beispiel). Mit dem Sticker wird eine Tanzschule für Videoclip-Dancing beworben, die sich an Jugendliche bzw. junge Erwachsene richtet. Vier Verfremdungsverfahren kommen hier gleichzeitig zur Anwendung: (a) Versalschrift, (b) Verwendung der Zahl 4 zur Re- 146 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT präsentation der Präposition »for«, mit der sie homophon ist, (c) Gesperrtschreibung des Wortes »C.L.U.B«, wobei (d) die Sperrung nicht durch Leerzeichen, sondern durch Punkte erfolgt. 12. Bsp.:»DANCE 4 FANS C. L.U.B« (Abb. 3.4.2.25) Wiedergabe gesprochensprachlicher Eigenschaften Die Wiedergabe gesprochensprachlicher Eigenschaften findet sich in unserem Material selten. Der Schluss liegt daher nahe, dass sie vermieden wird. Dafür mag es zwei Gründe geben: Entweder verfügen die Textproduzenten, die in den meisten Fällen keine englischen Muttersprachler sind, über keine entsprechenden Sprachkenntnisse, und / oder die Textproduzenten gehen davon aus, dass der damit verbundene Verfremdungseffekt zu stark sein könnte und die Lesbarkeit deshalb gefährdet wäre. Für die Hypothese der fehlenden Sprachkompetenzen bei Nicht-Muttersprachlern würde sprechen, dass auch für die Wiedergabe gesprochensprachlicher Formen des Deutschen bei nichtdeutschen Muttersprachlern Belege fehlen, wie die Analysen zum Vorkommen nonstandardsprachlicher Merkmale zeigen (vgl. Kapitel 3.4.6). Gleichwohl gibt es ein Merkmal, das sich häufiger in unseren Daten beobachten lässt. Dieses Merkmal betrifft die alveolare Realisierung des Nasals [n] in der Endung –ing (= Realisierung mit der Zunge am oberen Zahndamm) anstelle der standardsprachlichen velaren Aussprache [ŋ] (= Realisierung als Verschlusslaut). Die [ŋ]-Aussprachevariante ist ein Merkmal des gesprochenen American English. In der Schriftlichkeit wird diese Aussprachevariante durch das Auslassen des Buchstabens »g« markiert. Wie die Beispiele 13 bis 16 belegen, kommt die Auslassung des Buchstabens »g« vorzugsweise in solchen Kontexten vor, in denen entweder eine Protesthaltung (13., 14. Beispiel) oder ein popkulturelles Genre wie Hip-Hop (15., 16. Beispiel) indexikalisiert werden soll. Abb. 3.4.2.25: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.26: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.27: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.28: DO U-Turm Abb. 3.4.2.29: E-Rüttenscheid 13. Bsp.: »DON’T LIKE THE SOCIETY … IT’S SO FUCKIN STUPID« (Abb. 3.4.2.26) 14. Bsp.: »still ♥’ in vandalism« (Abb. 3.4.2.27) 15. Bsp.: »SOUL TRIPPIN« (Abb. 3.4.2.28) 16. Bsp.: »Body Movin« (Abb. 3.4.2.29) 3.4.2 ENGLISCH IN DER METROPOLE RUHR 147 Die phonetische Schreibung »a« für die Wiedergabe der Vokalisierung von / r / in der Endung -er ist in unserem Material nur zweimal zu finden (17., 18. Beispiel). Die »a« – Graphie (= Schreibweise) stammt aus dem Hip-Hop-Kontext und gilt als »Genreindikator« (Spitzmüller 2013: 393) ähnlich wie die »z« – Schreibung für wortfinales »s« und die Ersetzung von »c« durch »k«. 17. Bsp.: »SUPA KOOL« (Abb. 3.4.2.30) Abb. 3.4.2.30: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.31: DO-Nordstadt 18. Bsp.: »R.D.S. Ruthless Dope Smokaz« (Abb. 3.4.2.31) Adaptionen aus anderen Genres oder Stilen Abb. 3.4.2.32: BO-Langendreer Abb. 3.4.2.34: E-Altendorf Abb. 3.4.2.33: BO-Langendreer Abb. 3.4.2.35: E-Altendorf Die auf die Leetspeak zurückgehende Praxis der Ersetzung von Wörtern durch Zahlen oder Buchstaben oder das Auslassen von Buchstaben illustrieren die Beispiele 9, 10 und 11 (S. 156). Diese Beispiele lassen sich linguistisch als »graphematisches Crossing« (Spitzmüller 2007) fassen. Mit Spitzmüller (2007: 400 – 401) ist darunter die »Verwendung von Zeichen zu verstehen, die nicht zum üblichen Grapheminventar der Sprache, in der geschrieben wird, gezählt werden oder aber in einer spezifischen Verwendung einen mit einer »fremden« Kultur oder sozialen Gruppe assoziierten Zeichengebrauch indizieren«. Das bedeutet, dass eine spezifische graphische Praxis nicht mehr an ihren ursprünglichen Kontext, z. B. die digitale Kommunikation von Hackern, gebunden ist, sondern von anderen sozialen Gruppierungen in anderen Kontexten mit anderen Funktionen verwendet wird. Diese Formen des graphematischen Crossing zeigen sich auch in den Beispielen 19 und 20, in denen einzelne Buchstaben bzw. Silben ersetzt werden. Im 19. Beispiel ersetzt der Großbuchstabe »X« die Silbe »ex« in dem Wort »Expert«. Gleichzeitig wird mit der Binnengroßschreibung die Morphemgrenze gekennzeichnet und die Andersschreibung so doppelt markiert, denn die englische Orthographie kennt keine Kompositaschreibung, d. h. Wortzusammenschreibung. Im 20. Beispiel wird die Hip-Hop-Graphie »z« für wortfinales »s« für den Slogan der Kindernothilfe adaptiert, vermutlich um jünger und cooler und damit adressatenorientierter zu erscheinen. Sprachspiele Sprachspiele stellen »Formen beabsichtigter spielerischer Veränderung oder Kombination sprachlichen Materials« dar (Bußmann 2002: 755 – 756). Zu den bevorzugten Verfahren zählen die Verwendung homophoner und homographer Wörter und Ausdrücke, Veränderungen der lautlichen und graphischen Gestalt sowie rhetorische Figuren (Reime, Anspielungen u. Ä.), die zeigen, wie weit die Regeln der Sprache ausgereizt werden können. Sprachspiele begegnen häufig in der Werbung und in Graffitis. Dabei können auch die Sprachgrenzen überschritten, d. h. Merkmale aus verschiedenen Sprachen miteinander verbunden werden (vgl. Knospe et al. 2017). Bezogen auf die Verwendung der englischen Sprache lassen sich folgende Formen des Sprachspiels in unserem Datenmaterial beobachten. Sie kommen vor allem im Kontext von Geschäftsnamen, Handlungsaufforderungen, Begrüßungen, Einstellungsbekundungen u. Ä. vor. Reim: Abb. 3.4.2.36: E-Hauptbahnhof Abb. 3.4.2.37: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.38: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.39: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.40: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.41: E-Altendorf Abb. 3.4.2.42: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.43: DU-Innenstadt • »Curry in a hurry« (Abb. 3.4.2.34) • »GOOD NIGHT WHITE PRIDE« (Abb. 3.4.2.35) Wortwitz: • »KISS & RIDE FREI« (Abb. 3.4.2.36) Wortspiele, die auf der Homophonie von Englisch und Deutsch beruhen: • »SCHUTING STAR« (Abb. 3.4.2.37) • »YES! VE GAN« (Abb. 3.4.2.38) • »FOURGRUPPE« (Abb. 3.4.2.39) Wortspiele, die auf der Nutzung wortsemantischer Spielräume beruhen: • »you are welcome!« (»Willkommen« statt »gerne geschehen«) (Abb. 3.4.2.40) 19. Bsp.: »colorXpert« (Abb. 3.4.2.32) • »Heart your gender! Fight homophobia« (Abb. 3.4.2.41) 20. Bsp.: »ACTION!KIDZ« (Abb. 3.4.2.33) Spiel mit Graphien • »ACAB« wird zu »a cab« (Abb. 3.4.2.42) • »FUCK YOU« wird zu dem Anagramm »YUCK FOU« (Abb. 3.4.2.43) 148 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.2 ENGLISCH IN DER METROPOLE RUHR 149 Abb. 3.4.2.44: BO-Langendreer Abb. 3.4.2.45: BO-Hauptbahnhof Mit Blick auf die Kontexte fällt auf, dass das Englische überdurchschnittlich häufig in Botschaften verwendet wird, die eine Positionierung gegen rechts – insbesondere gegen Deutschtümelei und Ultra-Kultur im Fußball – ausdrücken. Die Wahl des Englischen dient hier als »Kontextualisierungshinweis« (Auer 1992: 4). Kontextualisierungshinweise sind sprachliche Mittel zum Verständnis einer Äußerung. Sie signalisieren kommunikative Absichten. Prinzipiell können alle (schrift)sprachlichen, non- und paraverbalen Merkmale als Kontextualisierungshinweise fungieren. Ihre Bedeutung hängt vom jeweiligen Kontext und Hintergrundwissen der Interaktanten und Adressaten ab. In den Kontexten, um die es in den folgenden Beispielen geht, wird mit der Wahl der englischen Sprache eine spezifische Haltung, nämlich eine antifaschistische, antirassistische und gelegentlich antideutsche Einstellung kontextualisiert. • »SUPPORT YOUR LOCAL ANTIFA« (Abb. 3.4.2.44) Abb. 3.4.2.46: E-Altendorf Abb. 3.4.2.47: DU-Innenstadt • »MAYBE NEVER STOPPED THE NAZIS« (Abb. 3.4.2.45) • »FOLLOW YOUR LEADER« (Abb. 3.4.2.46) • »IF YOU ARE RACIST, SEXIST, HOMOPHOBIC, OR ANOTHER ASSHOLE DON’T COME IN!« (Abb. 3.4.2.47) • »MUSIC AGAINST RACISM« (Abb. 3.4.2.48) • »LOVE BORUSSIA HATE FASCISM« (Abb. 3.4.2.49) • »DO IT LIKE BOATENG« (Abb. 3.4.2.50) • »KICK RACISM OUT« (Abb. 3.4.2.51) Abb. 3.4.2.48: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.49: DO-Nordstadt • »LOVE FOOTBALL. HATE GERMANY« (Abb. 3.4.2.53) • »STILL NOT ♥’ING GERMANY« (Abb. 3.4.2.54) Abb. 3.4.2.50: DO-Nordstadt Die Analysen zu den Praktiken des Gebrauchs des Englischen im Kontext des kommerziellen und transgressiven Diskurses verdeutlichen insgesamt, dass die Verwendungsweisen je spezifisch motiviert sind. Während im kommerziellen Diskurs vor allen Dingen der expressive Mehrwert des Englischen als Symbol für Internationalität, Modernität, Jugendlichkeit etc. genutzt wird, wird im transgressiven Diskurs das Englische entweder als subkultureller »Genreindikator« (Spitzmüller 2013) oder zur Versprachlichung von Protesthaltungen, insbesondere solchen, die sich gegen rechtspopulistische Tendenzen wenden, eingesetzt. Interessant ist dabei, dass einzelne subkulturelle Graphien wie die Ersetzung von »s« durch »z« oder die Substitution von Wörtern durch Zahlen einen Popularisierungsprozess durchlaufen, im Rahmen dessen sie durch verschiedene Formen der »Rekontextualisierung« (vgl. Linell 1998: 154), d. h. Verwendung in neuen Kontexten, ihre subkulturelle Markierung und damit Exklusivität verlieren und allmählich allgemein gebräuchlich werden. Da die Bedeutung von Zeichen immer auch von ihrem Kontext abhängt, ändern sich folglich auch die Bedeutung und Funktion dieser Graphien, wenn sie nicht mehr in ihrem Ursprungskontext, sondern in neuen Kontexten verwendet werden. So können sich aus subkulturellen Genreindikatoren nach und nach Indikatoren für Unkonventionalität, Individualität oder Modernität entwickeln. Die beschriebenen Verwendungsformen und Tendenzen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Fällen das Englische in unmarkierter Form verwendet wird. So etwa, wenn es rein informative Funktion hat, sei es als »community language« für eine spezifische Nationalitätengruppe (Abb. 3.4.2.55) oder als Lingua franca (Abb. 3.4.2.52) für Adressaten aus unterschiedlichen Ländern. Abb. 3.4.2.52: E RuhrMuseum Abb. 3.4.2.53: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.54: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.2.51: DO-Nordstadt Abb. 3.4.2.55: E-Altendorf 150 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.2 ENGLISCH IN DER METROPOLE RUHR 151 3.4.3 Türkisch in der Metropole Ruhr Insgesamt enthält das Bilddatenkorpus 1122 Zeichen mit türkischen Textpassagen. Davon entfallen 420 Zeichen, also mehr als ein Drittel, auf den Stadtteil DU-Marxloh. Unter diesen 420 Zeichen sind 155 monolingual türkische Zeichen. Der bei weitem größte Teil der türkischen Zeichen – unabhängig davon, ob sie mono-, bi-, trioder multilingual sind – ist dem kommerziellen Diskurs zuzuordnen (insg. gut 350 Zeichen). Insofern ist es sinnvoll, die Analyse der türkischen Belege auf den kommerziellen Diskurstyp in DU-Marxloh zu begrenzen. Im Folgenden sollen einige Beobachtungen vorgestellt werden, die sich mit den Vorkommenskontexten, der standardsprachlichen Normorientierung und der Übersetzungspraxis beschäftigen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass das Türkische – wie Schröder / Simsek (2010: 57) feststellen – in Deutschland einerseits »eine Sprache mit einer lebendigen Schriftlichkeit« ist, die in »Presse- und Druckerzeugnissen, in den Neuen Medien, in der gesellschaftlichen Kommunikation« usw. praktiziert wird. Andererseits wird das Türkische in Deutschland unter anderen Bedingungen als in der Türkei erworben. Dabei sind folgende Spracherwerbsszenarien für den Türkischerwerb zu unterscheiden: »Er geschieht in der Regel parallel zu oder nach dem Erwerb der deutschen Schriftsprache, kann autodidaktisch oder auch im Elternhaus, nicht selten aber auch im schulischen oder außerschulischen Mutter- oder Herkunftssprachenunterricht oder in einem bilingualen Schulprojekt erfolgen.« (Schröder / Simsek 2010: 57) Diese unterschiedlichen Spracherwerbsszenarien spiegeln sich auch in unseren Daten wider, die zeigen, dass die Verfasserinnen und Verfasser der türkischen Textpassagen recht unterschiedliche Türkischkompetenzen besitzen (vgl. Cindark / Ziegler 2016). So fällt bei einigen Bildern auf, dass die standardsprachliche Korrektheit der Angaben und Botschaften je nach Textproduzent und Adressatenkreis variiert. Das betrifft insbesondere die orthografische Ebene. Das Türkeitürkische wird seit der Sprachreform Kemal Atatürks in lateinischer Schrift geschrieben. Im türkeitürkischen Schriftsystem gibt es zwar keine vom Lateinischen abweichenden Buchstaben, jedoch einige Grapheme mit kleinen Zusatzzeichen, sogenannte Diakritika, wie z. B. Häkchen und Punkte. Diese an den Graphemen angebrachten Zeichen dienen dazu, eine von der unmarkierten Form der Schriftzeichen abweichende Aussprache anzuzeigen. Abgesehen von diesen Besonderheiten weist das türkeitürkische Schriftsystem aber eine große Nähe zum deutschen Schriftsystem auf. Schreibungen, die vom Schriftstandard des Türkischen abweichen, zeigen sich beispielsweise auf einem Plakat, das eine Silvesterfeier bewirbt und nur an Türkeistämmige adressiert ist. Gleich zweimal wird die fehlerhafte Schreibung »süpriz« statt »sürpriz« (Überraschung) und »tombala« statt »tombola« (Tombola, wie im Deutschen) (Abb. 3.4.3.1) verwendet. Die Werbung des Versicherungskonzerns Allianz (Abb. 3.4.3.2) ist dagegen durchweg in standardsprachlichem Türkisch gehalten und auch orthografisch korrekt mit den türkischen Buchstaben, die im Deutschen fehlen, geschrieben (z.B. mit einem »i« ohne Punkt in »aynı«): »Merhaba – Allianz sizinle aynı dili konuşuyor.« (wörtlich übersetzt: »Guten Tag – Allianz spricht dieselbe Sprache wie Sie«). Während der Text auf dem Werbeplakat für die Silvesterfeier offensichtlich nicht Korrektur gelesen wurde, zeigt der Werbeslogan der Allianz, dass auf sprachliche Korrektheit sehr viel Wert gelegt wurde, indem für die Textproduktion die Computer-Tastatur auf Türkisch eingestellt wurde. Das Problem, dass das Türkische Schriftzeichen kennt, die auf der deutschen Computer-Tastatur nicht zur Verfügung stehen, zeigt sich in einigen Fällen sehr deutlich: so etwa beim Namensschild des Rechtsanwalts »MIKAIL KARADAS«, auf dem der Nachname orthografisch abweichend mit »S« statt mit »Ş« geschrieben steht (Abb. 3.4.3.3). Am Eingang zur Kanzlei findet sich dagegen die korrekte Namensschreibung »KARADAŞ« (Abb. 3.4.3.4), wobei die wortfinale »Ş« - Schreibung verdeutlichen soll, dass der s-Laut palatal (z.B. wie in dem deutschen Wort »Spiel«) ausgesprochen wird. Die Variation der Namensschreibung kann auch als Hinweis auf die Eindeutschung des türkischen Namens gedeutet werden, eine Tendenz, die im Migrationskontext häufig zu beobachten ist. Konsequent zweisprachig, zweifarbig (grün für Deutsch, rosa für Türkisch) und in vertikaler Reihenfolge (oben deutsch, unten türkisch) verfährt ein Brautwarenladen (Abb. 3.4.3.5). Die Auswertung der Belege für türkische Personennamen zeigt, dass türkische Personennamen auch auf einsprachig deutschen Items vorkommen (z.B. Abb. 3.4.3.6, 3.4.3.7), in DU-Marxloh allerdings wesentlich seltener als in DO-Nordstadt. Abb. 3.4.3.1: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.2: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.3: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.4: DU-Marxloh 152 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.3 TÜRKISCH IN DER METROPOLE RUHR 153 Abb. 3.4.3.5: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.6: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.7: DU-Marxloh 154 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT In einem anderen Fall (Abb. 3.4.3.8) wird der Text zwar konsequent auf Deutsch gehalten »Fahrschule Nazar«, aber die dazugehörige Emblematik, und zwar das »blaue Auge«, dem türkisch / islamischen Kulturraum entnommen. Nazar meint so viel wie neidvoller Blick, der durch einen entsprechenden »Abwehrzauber«, und zwar das »blaue Auge«, abgewendet werden kann. Direkt an Muslime wendet sich Abb. 3.4.3.9. Auf einer Tafel im Innenraum eines Schaufensters stehen handschriftlich und mit Kreide die Gebetszeiten für das Feiertagsgebet (9.10 h) und das Morgengebet (7.30 h). Ein recht eigenwilliges Spiel mit semantischen Überlappungen stellt das Plakat in Abb. 3.4.3.10 dar, mit dem auf eine Veranstaltung eines Clubs namens »Maxat« hingewiesen wird. Das Türkische kennt eigentlich kein »x«; in der Regel wird »x« mit »ks« umschrieben, wie bei »Taksi« für Deutsch »Taxi«. »Maksat« bedeutet jedoch »Intention«, »Absicht«; und der darunter folgende Satz verleiht dann der Werbung die entsprechende Bedeutung: »Maxat eğlence olsun« bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie »Absicht ist, zu vergnügen bzw. Euch zu vergnügen«. Mit Witz und einem verlockendem Angebot bewirbt ein Friseurladen seine Dienste: Die spezifische Brautfrisur kostet 99 €, aber für die Schwiegermutter sind diese Dienste kostenlos »Gelin saci € 99,-«, »Kaynana bedava«. Damit wird auf das im Türkischen recht stark ausgeprägte Konkurrenz- und Spannungsverhältnis zwischen der Braut und der Schwiegermutter (Abb. 3.4.3.11) angespielt. Dass die deutsche Sprache für Türkeistämmige nicht einfach ist, illustriert Abb. 3.4.3.12 recht deutlich: »ÖZFNUNGS ZEITEN« ist auch für Türken nicht auf einen Blick gut lesbar; auch der Hinweis auf den Inhaber mit »IN HABER« entspricht nicht der deutschen Orthographie, sondern der Aussprache. Abschließend ist auf ein politisches Bild einzugehen, das konsequent auf Kurdisch und Deutsch, aber nicht auf Türkisch gehalten ist; denn es wirbt für die Solidarität mit Kurdistan bzw. Kurden und für eine Freilassung des Kurdenführers Abdullah Öcalan. Anzunehmen ist, dass als Adressatenkreis hier nur Deutsche und Kurden in Frage kommen, Türken jedoch explizit ausgeschlossen werden, weil diese in diesem spezifischen politischen Kontext als Gegner / Feinde wahrgenommen werden, von denen keine Solidarität zu erwarten ist (Abb. 3.4.3.13, 3.4.3.14, 3.4.3.15). Abb. 3.4.3.8: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.9: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.10: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.11: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.12: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.13: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.14: DU-Marxloh Abb. 3.4.3.15: DU-Marxloh 3.4.3 TÜRKISCH IN DER METROPOLE RUHR 155 3.4.4 Arabisch in der Metropole Ruhr Abb. 3.4.4.1: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.2: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.3: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.4: DO-Nordstadt 156 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Das Arabische kommt insgesamt auf 185 Aushängen, Aufklebern, Hinweisen etc. vor und belegt damit Rang 7. Die meisten Belege, nämlich 95, finden sich in DO-Nordstadt. Allerdings sind nur 19 dieser Belege monolingual arabisch. Das deutet darauf hin, dass die arabischsprachige Bevölkerungsgruppe als Zieladressat zum Zeitpunkt der Datensammlung im Jahr 2013 noch verhältnismäßig klein gewesen ist. Da die Datensammlung vor der Flüchtlingszuwanderung im Jahr 2015 erfolgte, im Zuge derer sehr viele Geflüchtete aus Syrien und anderen arabischsprachigen Ländern nach Deutschland gekommen sind, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Effekte der Flüchtlingszuwanderung im Jahr 2015 mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch in einer größeren Sichtbarkeit der Sprachen der Zuwanderinnen und Zuwanderer im öffentlichen Raum zeigen werden – was in einer Follow-up-Studie zu untersuchen wäre. Die meisten arabischen Textpassagen finden sich im kommerziellen Diskurs, wesentlich seltener im regulatorischen und transgressiven Diskurs, wie die Beispiele illustrieren. Bemerkenswert ist, dass 79 Belege auf Namen entfallen, d. h. auf Geschäftsnamen (z.B. Abb. 3.4.4.1), Namen von Ärzten (z. B. Abb. 3.4.4.2), Namen von Buchhandlungen (z. B. Abb. 3.4.4.3), Namen von Friseuren (Abb. 3.4.4.4) und Namen von Taggern, die ihre Tags (= Pseudonyme) unautorisiert im Stadtraum anbringen (Abb. 3.4.4.5). Arabisch wird von rechts nach links geschrieben und gelesen. Dies hat zur Folge, dass sich auf bi, tri- und multilingualen Schildern, Aushängen, Aufklebern etc. die Frage nach der Anordnung der verschiedenen Textelemente stellt. In einigen Fällen wird dieses Problem dadurch gelöst, dass die einzelnen Textpassagen in lateinischer und arabischer Schrift zentriert, also nicht rechts- und linksbündig angeordnet werden. Die Zentrierung führt zu einem harmonischeren Gesamteindruck (z.B. Abb. 3.4.4.6, 3.4.4.7). Ähnliche Tendenzen wurden auch von Spolsky / Cooper(1991) und Shohamy (2006) mit Blick auf die Verwendung von Hebräisch, Arabisch und Englisch in der Bottom-up- wie auch Top-down-Beschilderung in Israel festgestellt. Hinweise zur Mülltrennung werden typischerweise durch einen langen und detaillierten deutschsprachigen Text gegeben, der von ikonischen Darstellungen begleitet wird. Darüber hinaus findet sich etwa in Abb. 3.4.4.8 lediglich jeweils ein kurzer einzeiliger Satz in vier anderen Sprachen (Türkisch, Polnisch, Russisch, Arabisch), darunter die letzten beiden offenbar wegen der nicht-lateinischen Schriften in handschriftlicher Form. Damit wird ganz deutlich die Irrelevanz der entsprechenden Adressaten signalisiert. Durchweg sind bei einer Vielzahl von Bildern mit arabischer Beschriftung grammatische und orthografische Fehler, wie etwa fehlende oder überflüssige Buchstaben, zu erkennen. Gelegentlich werden Texte und Ausdrücke direkt übersetzt – so etwa bei »translations« in Abb. 3.4.4.9, obwohl das auf Arabisch nicht im Plural übersetzt werden würde. Dass dies hier von einem Übersetzerbüro gemacht wird, ist besonders pikant. Der Übersetzer lehnt sich dabei eher an Dialekt als an das Hocharabische an. Denkbar ist als Erklärung, dass dadurch die Kundennähe eher gegeben ist; denn solche Büros wenden sich ja nicht explizit an eine hochgebildete arabische Kundschaft, die möglicherweise diese Dienste gar nicht in Anspruch nehmen würde. Manchmal wird das Arabische nur durch eine islamische Kalligraphie angedeutet, die mit dem Inhalt nichts zu tun hat. So heißt etwa ein türkischer Juwelierladen »Altin TUĞRA Kuyumcusu« (Abb. 3.4.4.10). Der Text wird begleitet von arabischen Zeichen, die nur die religiöse Eröffnungsformel »Bismillahirrahmanirrahim« (Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen) wiedergeben. Ebenso bezuglos steht beispielsweise in Abb. 3.4.4.11 unter dem deutschen und türkischen Text »Holzkohlengrill Restaurant – Döner Izgara ve Corba Salonu« (Döner Grill und Suppensalon) ein Schild mit einem Text in arabischen und lateinischen Buchstaben »Layali Al-Scham«. Wörtlich übersetzt heißt das »Damaskus-Nächte«, wird aber rechts und links von einer Fahne des Libanon (!) begleitet. Abb. 3.4.4.5: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.6: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.7: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.8: BO-Langendreer Abb. 3.4.4.9: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.10: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.11: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.12: DO-Nordstadt 3.4.4 ARABISCH IN DER METROPOLE RUHR 157 Abb. 3.4.4.13: DO-Nordstadt Ausgesprochen interessant ist die Ankündigung der »11. Konferenz der Palästinenser in Europa« (Abb. 3.4.4.12). Während die überwiegenden Textpassagen in arabischer Schrift gehalten sind, wird bei »Brüssel - Belgien« der Name der Stadt und des Landes in lateinischen und arabischen Buchstaben geschrieben, das Bundesland NRW aber nur in lateinischen. Möglicherweise könnte die Schreibung in arabischen Buchstaben (und die Ausschreibung in Vollversion) eher verwirren, weil diese Abkürzung auch für Zuwanderer nunmehr als Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs etabliert ist. Höchst problematisch aus religiöser Sicht, ja fast gotteslästerlich, erscheint die Darstellung einer koranischen Sure (in Kufi-Schrift, einem altarabischen kalligrafischen Schrifttyp), und zwar der Eröffnungssure Fatiha in Abb. 3.4.4.13. Hier fehlt ein Buchstabe (der Buchstabe Elif ); für hochreligiöse Personen stellt das eine »große Sünde«, eine Verfälschung des Koran, dar. Gerade Verbote bzw. eindeutige negierende Botschaften müssten eigentlich sehr klar in ihrer Botschaft sein. Schaut man sich jedoch Abb. 3.4.4.14 an (»Kein Bargeldzugriff durch Mitarbeiter möglich«), so gilt das für den arabischen Adressatenkreis offensichtlich nicht. Während auf Deutsch, Türkisch, Russisch, Englisch, Französisch und Polnisch die Aussage durchaus klar ist und piktografisch unterstützt wird, ist der arabische Text völlig unverständlich und grammatisch fehlerhaft; die Verbindungen zwischen den Wörtern sind nicht nachvollziehbar. Hin und wieder erschließen sich Namen von Läden nur für Eingeweihte bzw. Muslime in ihrer Bedeutung. So bezeichnet sich beispielsweise ein marokkanischer Lebensmittelladen als »Zamzam«, was für geweihtes Wasser aus Mekka steht und dem man Heilwirkungen zuschreibt (Abb. 3.4.4.15). Schließlich fällt auf, dass ein Großteil der Bilder mit arabischen Texten auch türkische Texte aufführt. Deutlich wird hier, dass diese Schilder an eine Klientel adressiert sind, die ähnliche Vorlieben und Bedürfnisse (Halal-Lebensmittel, religiöse Orte wie Moscheen) sowie kulturelle Praktiken (Beschneidung etc.) haben. Abb. 3.4.4.15: DO-Nordstadt Abb. 3.4.4.14: DO-Innenstadt 158 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.4 ARABISCH IN DER METROPOLE RUHR 159 3.4.5 Polnisch in der Metropole Ruhr Für das Polnische liegen in der Datenbank insgesamt 143 Items vor (das sind 0,6 % des Korpus). In der Rangliste der 15 häufigsten Sprachen in der Metropole Ruhr steht Polnisch an neunter Stelle. Die doch sehr geringe Menge an polnischsprachigem Bildmaterial in der Datenbank im Vergleich zu der hohen Zahl an polnischen Staatsangehörigen in allen vier Fallstudienstädten hat anfangs sehr überrascht. Die türkischsprachigen Zuwanderer sind im Gegensatz dazu mit 1122 Bilddaten (4,4 % des Korpus) fast zehn Mal so häufig vertreten und prägen das visuelle Bild des Ruhrgebietes vor allem in den nördlichen Stadtteilen umso mehr (vgl. Kap. 3.3.1, 3.3.2 und 3.3.3). Dort wird (allerdings mit einigen Ausnahmen) die These bestätigt, dass je größer eine Migrantengruppe ist, desto sichtbarer auch ihre Sprache in der Öffentlichkeit ist. Die geringe Fallzahl polnischer Texte im öffentlichen Raum deckt sich mit der lang andauernden Migrationsgeschichte der polnischen Zuwanderer und ihrem Ruf als »unsichtbare und unauffällige« (Nagel 2009: 8) Migranten. Nicht ohne Grund wird die Integrationsgeschichte der Ruhrpolen oft als eine »integration success story of the American kind« (Bachem-Rehm 2013: 106) beschrieben. Nagel (2009: 10) sieht »die geografische Nähe Polens, das Fehlen einer intellektuellen Polonia-Elite, die Heterogenität der Polonia wie auch die ökonomische Motivation der Migration nach Deutschland« als Ursachen des Zustands der kaum sichtbaren, jedoch sehr großen Migrationsgruppe der polnischsprachigen Zuwanderer. Der Begriff »Polonia« umfasst in Nagels Studie »sämtliche Auslandspolen, die polnische Diaspora oder Emigration, unter Einbeziehung des gesamten Personenkreises, der sich zur polnischen Kultur bekennt« (Nagel 2009: 14). Die Karte in Abbildung 3.4.5.3 stellt die Verteilung der 143 polnischen Items in den vier Fallstädten visuell dar und zeigt die recht heterogene Verteilung der polnischen Items in den Städten und Stadtteilen. In welchen Diskurstypen, d. h. kommunikativen Zusammenhängen, wird das Polnische im öffentlichen Raum der Ruhrmetropole verwendet? Für den infrastrukturellen Diskurs liegen sechs Items vor, die Polnisch enthalten. Innerhalb der polnischen Daten bildet das einen Anteil von 4 %. Abb. 3.4.5.1 gibt ein Beispiel für den infrastrukturellen Diskurstyp und zeigt die Beschriftung eines Fahrkartenautomaten am Dortmunder Hauptbahnhof. In sechs Sprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch und Polnisch) wird gebeten, die Münzen in den Schlitz einzuwerfen. Polnisch steht dabei an letzter Stelle. Wie so häufig fehlen die diakritischen Zeichen, und auch orthographisch weist die Aufforderung eine Abweichung auf: Das Substantiv müsste »bilon« lauten. Regulatorische und kommemorative Schilder in polnischer Sprache gibt es keine, der künstlerische Diskurs ist mit einem Item vertreten. Häufiger begegnen transgressive Zeichen. Sie bilden mit knapp 10 % den zweitgrößten Bereich innerhalb der mit Polnisch verschlagworteten Items. Als Beispiel mag Abb. 3.4.5.2 dienen. In BO-Hamme bietet eine Frisörin ihre Dienste in einer in polnischer Sprache verfassten Anzeige an. Der Aushang ist transgressiv an einer Straßenlaterne angebracht. Er hat sozialsymbolische Bedeutung, denn die Verfasserin bestimmt durch die Sprachwahl von monolingual Polnisch eine feste Adressatengruppe. Die Anzeige erhält einen informellen Charakter durch die Wahl der Du-Form und die Nennung lediglich des Vornamens Magda zum Abschluss. Diese Elemente können als Ausdruck einer starken Identifikation mit der polnischsprachigen Bevölkerung verstanden werden und auf ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Bevölkerungsgruppe hinweisen. Abb. 3.4.5.1: Infrastrukturelles Zeichen Abb. 3.4.5.2: Transgressives Zeichen 160 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.5 POLNISCH IN DER METROPOLE RUHR 161 Abb. 3.4.5.3: Polnische Zeichen in der Metropole Ruhr kommerziell (122) Polnisch transgressiv (15) Deutsch infrastrukturell (6) Englisch künstlerisch (1) Arabisch Mehrsprachigkeit Dortmund Nordstadt Marxloh Essen Duisburg Innenstadt 162 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Hamme Langendreer Hörde Altendorf Bochum Rüttenscheid 3.4.5 POLNISCH IN DER METROPOLE RUHR 163 Kommerzieller Diskurs Anzahl der Items (N = 122) in % Personennamen 82 67 % Kommerzielle Information (z.B. Werbung) 16 13 % Kommerzielle Infrastruktur 12 10 % Kommerzielle Regulation 11 9% Sonstiges 1 1% Abb. 3.4.5.4: Vorkommenskontexte innerhalb des kommerziellen Diskurses Abb. 3.4.5.5: Kommerzieller Diskurs Abb. 3.4.5.6: Kommerziell-infrastrukturelles Zeichen Abb. 3.4.5.7: Kommerziell-regulatorische Zeichen Abb. 3.4.5.8: Kommerziell-regulatorische Zeichen 164 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Der kommerzielle Diskurstyp ist mit 85 % am stärksten vertreten. Die Tabelle in Abb. 3.4.5.4 zeigt, in welchen Kontexten das Polnische innerhalb des kommerziellen Diskurses in der Öffentlichkeit gebraucht wird. Abb. 3.4.5.4 zeigt, dass zwei Drittel der Belege aus polnischen Personennamen bestehen, die wiederum in unterschiedlichen Kontexten (an Arztpraxen, Anwaltskanzleien usw.) vorkommen. 13 % der Belege entfallen auf den kommerziellen Diskurstyp. Abbildung 3.4.5.5 zeigt ein Werbeplakat der polnischen Biermarke »Tyskie«, aufgenommen in DU-Marxloh, das mit der Schlagzeile: »Schmeckt wie Urlop in der Heimat!« wirbt. Die Schlagzeile spricht – neben inhaltlichen Aspekten – durch die Verwendung des polnischen Substantivs »Urlop« (eine assimilierte Entlehnung aus dem Deutschen) die Adressatengruppe der Polnischsprachigen im Ruhrgebiet an. Sie spielt auf den Heimatbesuch vieler Polenstämmigen in den Ferien an und wirbt mit der Konklusion, dass mit dem Konsum von Tyskie-Bier das Heimatgefühl ins Ruhrgebiet geholt werden könne. Auf diese Weise wird eine »emotionale Gestimmtheit und eine Verbindung des Produkts mit […] positiven Werten« hergestellt (Janich 2013: 145). Ebenso spricht der deutschsprachige Slogan »Polnisch für Kenner« explizit diese (zweisprachige) Konsumentengruppe an. Als Bildelement und wichtiger Blickfang wird die polnische Nationalflagge (weiß, rot) gewählt; invers wurden die Flaggenfarben rot und weiß als Schriftfarbe der Schlagzeile, des Slogans und des Produktnamens verwendet. Die Funktion des Polnischen in dieser Werbung liegt also in erster Linie in kultureller Authentizität sowie einer wirksamen Zielgruppenansprache. Bei den kommerziell-infrastrukturellen Items (10 %) dominieren vor allem Schilder privater Busunternehmen, die Fahrten nach Polen anbieten. Dabei handelt es sich meistens um Fahrplanaushänge, die an den Hauptbahnhöfen angebracht sind (Abb. 3.4.5.6) und durch die Wahl der polnischen Sprache eine explizite Adressatengruppe ansprechen sollen. Unter kommerziell-regulatorischen Schildern (9 %) sind solche Zeichen zu verstehen, die das Handeln im kommerziellen Bereich, wie zum Beispiel in Geschäften, regulieren, z. B. durch Verbotsschilder oder Warnhinweise. Bei unserem polnischen Material besteht dieser Bereich ausschließlich aus Aushängen mit einem mehrsprachigen Warnhinweis für potentielle Einbrecher, wie beispielsweise in Abbildung 3.4.5.7 und 3.4.5.8. Dabei wurde der deutsche Ausgangstext in die anderen Sprachen (u.a. Polnisch) komplett übersetzt. Interessant sind die Auswahl und die Reihenfolge der Sprachen. Neben Englisch (jeweils an zweiter Stelle), Französisch und Spanisch (die hier vermutlich als Brückensprachen fungieren) kommen die Migrantensprachen Polnisch, Türkisch, Tschechisch, Russisch, Ungarisch, Italienisch, Griechisch, Portugiesisch und Rumänisch vor. Die Frage ist, warum gerade diese spezifische Sprachenwahl getroffen wurde und wieso die Sprachen nicht in alphabetischer Reihenfolge genannt werden. Auch Namen sind Teil der visuellen Sprachenlandschaft und Indikatoren für die Mehrsprachigkeit einer Stadt oder Region (vgl. Edelmann 2009). Familiennamen polnischer Herkunft werden wegen der schon seit über einem Jahrhundert andauernden Migrationsgeschichte als eine spezifische Besonderheit des Ruhrgebiets angesehen. Nicht ohne Grund hieß der Duisburger »Tatort«-Kommissar Horst Schimanski. Die Endung mit dem Suffix »ski« gilt im Ruhrgebiet als typisch (Menge 2000: 121). Bekannt ist, dass es bei den Familiennamen polnischer Herkunft recht unterschiedliche Schreibweisen gibt, da manche dieser Namen eingedeutscht oder an die deutsche Sprache angeglichen wurden. So wurde aus »Szymański« beispielsweise »Schimanski«. Einige der Gründe für einen Antrag auf Namensänderung – dazu gehört sowohl der Namenswechsel als auch die bloße Abänderung des bisherigen Namens in Laut oder Schrift – waren neben dem Wunsch nach Integration und Anpassung die Schwierigkeit der deutschen Umgebung mit der Schreibung bzw. Aussprache. Namensänderungen fanden aber auch nicht selten als Reaktion auf die Stigmatisierung und Diskriminierung von Seiten der Umgebung statt. Polnische Familiennamen leiten sich zumeist von Gattungsnamen, Vornamen oder geografischen Namen ab und können sich durch Suffixe von den Ableitungsbasen unterscheiden, z. B. »ic«, »ewicz«, »ski«, »ek« etc. (Rymut 2006). Rund ein Drittel (28 Vorkommen) der in unseren Daten enthaltenen Familiennamen polnischer Herkunft enden mit dem slawischen Suffix »ski« bzw. »sky«, »zky« oder »zki«. Die Familiennamen »Kaminski« und »Kowalski« beispielsweise gehörten zu den fünf häufigsten Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet (Kunze / Nübling 2012). Unsere Datenbank deckt Namen wie »Kopinski«, »Wojciechowski«, »Zurawski«, »Marcinowski« oder »Ratynski« ab. Die Zugehörigkeit bestimmter Namen oder Namentypen zu mehr oder weniger eng begrenzten Regionen kann einen Effekt der Identifikation bewirken. Weitere, häufig auftauchende Suffixe in unserer Datenbank sind »ek« (6 Vorkommen) wie in den Familiennamen »Stanek«, »Motzek« oder »Michalek«, »icz« (5 Vorkommen) wie in den Familiennamen »Jaskiewicz«, »Witkiewicz« oder »Samulewicz« und »zyk« (3 Vorkommen) wie in den Familiennamen »Sniezyk« oder »Marusczyk«. Abb. 3.4.5.9: Familiennamen polnischer Herkunft am Anwaltsbüro Abb. 3.4.5.10: Familiennamen polnischer Herkunft an einer Arztpraxis 3.4.5 POLNISCH IN DER METROPOLE RUHR 165 3.4.6 Ruhrdeutsch Unsere Untersuchung der visuellen Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr beschränkt sich nicht nur auf das Nebeneinander von Deutsch und Fremdsprachen, die so genannte »äußere Mehrsprachigkeit«, sie umfasst auch die »innere Mehrsprachigkeit« (Wandruszka 1975) des Deutschen, d. h. das Vorkommen nicht-standardsprachlicher Varietäten. Hierzu zählen regional gebundene Sprachformen wie Dialekt und Regiolekt, aber auch gruppenspezifische Verwendungsformen wie die Jugend- und Szenesprache (Ziegler / Schmitz / Eickmans 2017). Unser Hauptinteresse gilt in diesem Zusammenhang dem Ruhrdeutschen, das in der Sprachlandschaft des Ruhrgebiets in erster Linie als hörbare – also gesprochene – Sprache lebt, daneben aber auch sichtbar ist, vor allem dort, wo es um Fußball geht, aber auch in der Szenesprache der Ruhrpott-Jugendlichen und, wenn auch in geringerem Maße, in der kommerziellen Werbung. Einleitend sollen zunächst die Grunddaten für die Verbreitung der Nonstandard-Belege in der Linguistic Landscape des Ruhrgebietes kurz veranschaulicht werden. 3.4.6.1 Nonstandard-Deutsch in der Linguistic Landscape des Ruhrgebiets Die Karte (3.4.6.1.1) macht deutlich, dass die insgesamt nur 110 Nonstandard-Belege (= 0,4 %) sehr ungleichmäßig verteilt sind. Das fast völlige Fehlen in DU-Marxloh und E-Altendorf und die Konzentration auf die Stadtviertel südlich der A 40 – einzige Ausnahme ist DO-Nordstadt – spricht dafür, dass geschriebener Nonstandard vorwiegend (oder nur) von deutschen Muttersprachlern eingesetzt wird. Teile der alteingesessenen Ruhrgebietler pflegen augenscheinlich einen selbst-ironisierenden Lokalstolz, indem sie Fragmente aus der Regionalsprache des Ruhrgebiets in spielerischer Weise visuell sichtbar werden lassen. Ähnlich wie die fremdsprachigen Texte ihren Sprecherinnen und Sprechern ein Gefühl der Beheimatung geben, vermitteln auch die Nonstandard-Texte ihren jeweiligen Urhebern und Lesern ein Gefühl, hier zu Hause zu sein. Die relativ starke Präsenz in der Dortmunder Nordstadt widerspricht dem nicht. Sie erklärt sich leicht aus der Tatsache, dass hier rund um den Borsigplatz die Heimat des BVB Borussia ist, dem mehr als die Hälfte der hier zu lokalisierenden Nonstandardbelege thematisch zugeordnet werden können. Der vorwiegend emotional-spielerische Bezug wird auch in der Verteilung der Nonstandardformen nach Diskurstypen deutlich. Wie nicht anders zu erwarten, findet sich die Mehrheit – 86 der 110 Belege – auf Stickern und in Graffitis, d. h. im transgressiven Diskurstyp. Die übrigen Belege entfallen bis auf wenige Ausnahmen auf den kommerziellen Diskurs, da auch die Werbung ihren Figuren gelegentlich gern Ruhrdeutsch in den Mund legt. Auf den ersten Blick mag die niedrige Gesamtzahl überraschen, da zumindest das Ruhrdeutsche gefühlt im Alltag stärker präsent zu sein scheint. Denkt man genauer darüber nach, relativiert sich dieser Eindruck jedoch. Denn Regional- und Gruppensprachen beschränken sich meistens auf den mündlichen Gebrauch, so dass ihr schriftliches Vorkommen im öffentlichen Raum aus dem Rahmen des Erwarteten fällt. Abb. 3.4.6.1: DO-Nordstadt 166 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.6.1 NONSTANDARD-DEUTSCH IN DER LINGUISTIC LANDSCAPE DES RUHRGEBIETS 167 Abb. 3.4.6.1.1: Verteilung nonstandardsprachlicher Formen in der Linguistic Landscape der Metropole Ruhr transgressiv (86) kommerziell (19) infrastrukturell (4) anderer Diskurstyp (1) Dortmund Nordstadt Marxloh Hörde Hamme Duisburg Altendorf Langendreer Essen Bochum Rüttenscheid Innenstadt 168 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.6.1 NONSTANDARD-DEUTSCH IN DER LINGUISTIC LANDSCAPE DES RUHRGEBIETS 169 3.4.6.2 Ruhrdeutsch als Regionalsprache Man begegnet einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Benennungen für die dem Ruhrgebiet eigene Alltagssprache. Während sich der Volksmund gern emotional ansprechender Formen wie »Ruhrdialekt, Ruhrpöttisch oder Revierdeutsch« bedient, gebraucht die Sprachwissenschaft eher die Begriffe »Ruhrdeutsch oder Regionalsprache Ruhr« (Menge 2013). Die »Regionalsprache Ruhr« ist eine regional markierte Form der standardnahen Alltagssprache, ein Regiolekt, der sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf der Basis der alten Dialekte der Region entwickelt und diese inzwischen vollständig verdrängt hat. Als Dialektlandschaft wurde das Ruhrgebiet durch eine markante Sprachgrenze geteilt. Der Westen mit den Städten Duisburg, Oberhausen, Mülheim gehört Niederrheinisch Westfälisch Hamm Recklinghausen Gelsenkirchen Oberhausen Bottrop Herne Dortmund Duisburg Essen Bochum Mülheim a. d. Ruhr Hagen Abb. 3.4.6.2.1: Die dialektgeografische Gliederung des Ruhrgebiets 170 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT zum niederrheinischen (niederfränkischen) Sprachraum, der Osten mit den Städten Essen, Bochum, Dortmund zum westfälischen (niederdeutschen) Sprachraum (vgl. Abb. 3.4.6.2.1). Viele der sprachlichen Besonderheiten, die für die heutige gesprochene Sprache des Reviers charakteristisch sind, lassen sich als Relikte dieser alten Basisdialekte erklären (vgl. Mihm 1997, Becker 2002, Menge 2003). Im Alltag des Ruhrgebiets spielen die ursprünglichen Dialekte heute keine Rolle mehr, weder als gesprochene Sprache noch als Teil der visuellen Sprachlandschaft noch im Bewusstsein der Bevölkerung. »In der jüngeren Generation ist mittlerweile oftmals kein Bewusstsein mehr davon vorhanden, dass im Ruhrgebiet einmal Niederdeutsch gesprochen wurde – »Plattdeutsch« wird als Sprache weit entfernter Küstenregionen angesehen.« (Elmentaler / Rosenberg, 2015: 28) In der Datenbank des Projekts »Metropolenzeichen« findet sich denn auch nur ein Beispiel für die ursprüngliche Mundart der Region, und zwar in Form eines Vereinsnamens, in dem der alte Dialekt gleichsam konserviert wurde: Die 1872 in der Bauernschaft Dilldorf (heute Essen-Kupferdreh) gegründete Karnevalsgesellschaft trägt den Namen »Lot gohn as et geht« (»Lass gehen wie es geht«) (Abb. 3.4.6.2.2). Was für das Nonstandarddeutsche insgesamt gilt, gilt in noch höherem Maße für das Ruhrdeutsche: Im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets tritt es visuell kaum in Erscheinung. Von der Zahl der Belege her ist es kaum vorhanden, von der Größe her kaum wahrnehmbar. Selbst bei großzügiger Auslegung können höchstens 70 der über 25.000 Bildbelege dem Ruhrdeutschen zugeordnet werden, was einem prozentualen Anteil von 0,3 % entspricht. Mehr als zwei Drittel dieser Belege sind Sticker oder andere Aufkleber an Hauswänden oder Laternenpfählen, die im Format zwischen einer Postkarte und einem DIN-A 4 Blatt variieren, also allein wegen ihrer geringen Größe nicht zu den prominent wahrgenommenen visuellen Sprachvorkommen gerechnet werden können. Ausnahmen sind saisonal vorkommende großformatige Werbekampagnen. Die geringe Sichtbarkeit der Regionalsprache drückt sich auch in der Tatsache aus, dass die Einstellung der Ruhrgebietsbewohner zur Sichtbarkeit des Ruhrdeutschen in der Metropole Ruhr nur in zwei der 120 Passantenbefragungen zur Sprache kommt. Auffällig ist zudem, dass diese spontanen Bewertungen ausschließlich von älteren Informanten, d. h. männlichen Informanten, die über 50 Jahre alt sind, stammen. Beide, der eine aus Bochum, der andere aus Essen, assoziieren mit der Sichtbarkeit des Ruhrdeutschen ein Gefühl der Beheimatung. Der Bochumer Informant antwortet auf die Frage, warum er die sichtbare Präsenz des Ruhrdeutschen gut findet: »Ich fühl mich hier als Heimischer, ich bin hier geboren und ich finde das ist eine tolle Heimat.« Der Essener Interviewpartner bemerkt »diesen spielerischen Umgang der Ruhris mit ihrem Dialekt« und verweist als Beispiel auf T-Shirts mit dem Spruch des Bochumer Autors Frank Goosen »Woanders is auch scheiße«. Damit wird eine ambivalente Einstellung zum Ruhrgebiet erkennbar. Im Gegensatz zum ersten Informanten, der eine ungebrochen positive Einstellung zum Ruhrdeutschen und zum Ruhrgebiet zu erkennen gibt, zeigt der Essener Informant eine selbstironische Einstellung gegenüber dem Ruhrdeutschen und dem Ruhrgebiet. Eine ähnlich selbstironische Einstellung offenbart auch der Sticker mit der Aufschrift »THE NORDSTADT Dem Spießer sein Alptraum« (Abb. 3.4.6.2.3). Der Aufkleber spielt auf das Image der Dortmunder Nordstadt als Stadtteil von ausgeprägter Diversität mit einem niedrigen Anteil deutscher Bevölkerung an. In Anlehnung an das Firmenlogo des kalifornischen Sportartikelherstellers »THE NORTH FACE« gibt er sich mit dem englischen Auftakt weltläufig-internationalistisch, um dann mit dem Zusatz » Dem Spießer sein Alptraum« eine gemeinhin als falsches Deutsch stigmatisierte Possessivkonstruktion folgen zu lassen, die als ein typisches – wenn auch nicht exklusives – Merkmal des Ruhrdeutschen gilt. Thematisch lassen sich die meisten Verwendungsbeispiele des Ruhrdeutschen den Bereichen Freizeitkultur – insbesondere Fußball – und Werbung zuordnen. Einen besonderen Aspekt stellt die Verwendung regionalsprachlicher Elemente in der Szenesprache der jugendlichen Subkultur dar. Abb. 3.4.6.2.2: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.6.2.3: DO-Nordstadt 3.4.6.2 RUHRDEUTSCH ALS REGIONALSPRACHE 171 3.4.6.3 Ruhrdeutsch und Fußball Im Bereich der Freizeitkultur spielt neben Musik, Kabarett und ähnlichen Events der Ruhrgebietsfußball eine Hauptrolle. Am stärksten sind dabei die beiden Spitzenclubs des Reviers, Borussia Dortmund und Schalke 04, präsent; aber auch die Fans des VfL Bochum und von Rot Weiß Essen thematisieren sich im transgressiven Diskurs. Die entsprechenden Aufkleber werden einerseits von den Anhängern der Vereine produziert und gehören somit zur Fankultur, andererseits greifen Kabarettisten und Comedians das Thema in ihren Texten und Liedern auf, für die sie mit Aufklebern im transgressiven Bereich geschickt Werbung betreiben. Beispiele für Sticker und Aufschriften von Fangruppen sind die Abbildungen 3.4.6.3.1 bis 3.4.6.3.3, auf denen sich die Ultra-Fangruppen von Borussia Dortmund, VfL Bochum und Schalke 04 zu Wort melden, in allen Fällen mit Einbeziehung der Regionalsprache – sei es durch die Wahl emotional geladener Wörter des Ruhrdeutschen wie »Kumpel und Malocher« (Abb. 3.4.6.3.1 »Kumpel- und Malocherclub Gelsenkirchen«), mit denen die besondere Volksnähe beschworen werden soll, sei es durch die Schreibweise des Wortes »Pott« in MELTING POTT, mit der das Ruhrgebiet (der »Pott«) zu einem ganz besonderen Schmelztiegel wird (3.4.6.3.2 »MELTING POTT ULTRAS VFL«), sei es durch die Ansprache mit der sprechsprachlichen Form »HÖMMA« für »Hör mal« (3.4.6.3.3, »HÖMMA mein Name ist – ULTRAS DO«). Die professionell betriebene Fanpage von RWE lockt schließlich mit einem Sticker (Abb. 3.4.6.3.4) auf ihre Website »www.jawattdenn.de«, wo es weitere Rubriken gibt mit Titeln wie »Ich sach ma, Weißte noch? oder »Jawattlachstedenn?«. Darüber hinaus finden sich vereinsübergreifende Fan-Botschaften an den Laternenpfählen wie die Forderung »Kein Zwanni – Fussball muss bezahlbar« sein, wobei der Ruhrgebietsbezug in diesem Fall noch durch das Bild des Kabarettisten Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier verstärkt wird (Abb. 3.4.6.3.5). Auch aktuell greifen Kabarettisten und Comedians gern beim Thema Fußball zum Ruhrdeutschen. Der in unserer Datenbank vielfach vertretene Sticker mit der Aufschrift »Boah ey, boah ey, Borussia geh‘ nie vorbei!« (Abb. 3.4.6.3.6) gibt den Beginn des Refrains eines inzwischen in die offizielle Liste der BVB-Gesänge aufgenommenen Liedes wieder, das aus der Feder des Kabarettduos »Die zwei vonne Südtribüne« (Lollo und Immi alias Franziska Mense-Moritz und Martin Eickmann) stammt. Der komplette Refrain des vollständig in Ruhrdeutsch abgefassten Liedes lautet: »Boah ey, Boah ey Borussia geh‘ nie vorbei. Datt Schwatte unterm Nagel und datt Gelbe von Ei.« Auch der Aufkleber »SCHALKE ISS HEILBAR« (Abb. 3.4.6.3.7) kommt aus der Dortmunder Kabarettszene. Er wirbt für das gleichnamige Programm des Kabarettisten Bruno »Günna« Knust – und die so beschrifteten Merchandiseartikel. 172 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.4.6.3.1: BO-Hamme Abb. 3.4.6.3.2: BO Hauptbahnhof Abb. 3.4.6.3.3: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.3.4: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.6.3.5: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.3.6: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.3.7: DO-Hörde 3.4.6.3 RUHRDEUTSCH UND FUSSBALL 173 3.4.6.4 Ruhrdeutsch in der Sprache der jugendlichen Subkultur Abb. 3.6.4.1: DO-Hörde Abb. 3.4.6.2: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.3: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.4: DO-Nordstadt 174 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Die Sprache der jugendlichen Subkultur, auch Szenesprache genannt, macht vielfältigen Gebrauch von nichtstandardsprachlichen Elementen (Scholten 1988). Besonders die Regionalsprache spielt dabei eine wichtige Rolle, indem sie den vermittelten Botschaften oft eine emotional-wertende Aussage hinzufügt. Es handelt sich dabei zumeist um kleinformatige Sticker mit Werbebotschaften aus der Musik-, Graffiti- und Tattooszene. In der Musikszene zielen die lokalen Punk- und Hip-Hop-Bands mit ruhrdeutschen Elementen auf eine als positiv wahrgenommene bzw. vermittelte regionale Identität der angesprochenen Jugendlichen. Beispiele sind die Essener Punk-Bands Polly Rocket Shows, die mit der affirmativen Aussage »Punk is datt Geilste« für sich wirbt (Abb. 3.6.4.1), und Pervert People mit dem Songtitel »Deine Mudda« (Abb. 3.6.4.2). Die weit verbreiteten »Deine Mudda«-Sprüche gehen zurück auf Praktiken ritualisierter verbaler Duelle, die ihren Ursprung in der afro-amerikanischen Jugendkultur in den 1960er Jahren haben. Diese Praktik fand in den späten 1990er Jahren über die Hamburger Hip-Hop-Szene Eingang in die deutsche Jugendkultur. Mit dem auf das Niederdeutsche zurückgehenden Ersatz von »t« durch »d« und der Endung -a statt -er fügt sich die Form problemlos in das Ruhrdeutsche ein. Inzwischen haben die »Deine Mudda«-Sprüche den Hip-Hop-Kontext längst verlassen und werden auch in anderen Bereichen benutzt wie etwa in der Werbung. Gerade der Ersatz der Endung »-er« durch »-a« im Schriftbild kann als ein vielfach verwendetes Merkmal für die bewusste Wiedergabe gesprochener Alltagssprache gelten. Weitere Beispiele hierfür sind etwa die Namen der beiden Hip-Hop-Bands »Supakool« aus Essen und »Ligakriega« aus Dortmund (Abb. 3.6.4.3 & 3.6.4.4). Eine Kneipe in der Dortmunder Nordstadt bietet auf ihrem Angebotsschild die in der Region gern getrunkene Mischung aus Altbier und Cola unter dem Namen »KREFELDA« an (Abb. 3.6.4.5). Sticker aus dem Umfeld der Graffiti- und Tattoo-Shops markieren zwei andere Geschäftsbereiche der jugendlichen Subkultur, in denen ruhrdeutsche Elemente häufig für die Schaffung eines emotionalen Bezugs zur Region sorgen. Der Tattoo-Shop »POTT BOIZ« (Abb. 3.6.4.6) spielt mit seinem Namen und der gewählten Wild-West-Schriftform auf das Ruhrgebiet, den »Pott«, als den »Wilden Westen« Deutschlands an. Name und Form beinhalten neben der regionalen auch eine soziale Markierung als »wild« bzw. nonkonformistisch, die durch die Hip-Hop-Grafie »BOIZ« für »boys« noch verstärkt wird. Weit verbreitet sind auch die von verschiedenen Graffiti-Stores vertriebenen Sticker, die die Leser mit den Formeln »HÖMMA mein Name ist« bzw. »Tach mein Name« ist ansprechen und darunter Platz für weitere kreative Aufschriften bieten (Abb. 3.6.4.7 & 3.6.4.8). Die in der Schreibung »Tach« statt »Tag« zum Ausdruck gebrachte Spirantisierung des [g] im Auslaut und kontrahierte Formen wie »HÖMMA« sind (auch) ruhrdeutsche Merkmale, die als regionalsprachliche Adressierungsformen fungieren. Als Alternative zu dem nur im Auftakt ruhrdeutschen »HÖMMA mein Name ist« werden inzwischen auch Sticker mit der vollständig ruhrdeutschen Form »HÖMMA! Dat is« angeboten. Auch für freie Textaufschriften mit ruhrdeutschen Elementen gibt es eine Reihe von Beispielen. Sie sprechen den Leser oft mit der auch über das Ruhrdeutsche hinaus verbreiteten Interjektion »ey« an, die eine unpersönlichen Anrede darstellt: »Ey Bulle mach ma Platz da« oder »Ey wieso is hier `ne Säule« (Abb. 3.6.4.9 & 3.6.4.10). Ein Laden in Bochum, der unter dem Motto »Wir sticken nach IHREN Vorstellungen« Aufnäher anbietet, wirbt in seinem Schaufenster u. a. mit einem Aufnäher »BO EY JAU EY WA EY«, der den inflationären Gebrauch dieses »ey« ironisiert (Abb. 3.6.4.11 und Abb. 3.6.4.12). Abb. 3.4.6.5: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.6: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.7: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.8: BO-Langendreer Abb. 3.4.6.9: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.10: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.11: DO-Nordstadt Abb. 3.4.6.12: DO-Nordstadt 3.4.6.4 RUHRDEUTSCH IN DER SPRACHE DER JUGENDLICHEN SUBKULTUR 175 3.4.6.5 Ruhrdeutsch in der Werbung Abb. 3.4.6.5.1: BO-Hamme Abb. 3.4.6.5.2: BO-Langendreer Abb. 3.4.6.5.3: E-Altendorf 176 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Werbung, die in spezieller Form auf die Region zielt, bedient sich häufig auch der Regionalsprache, um eine positive Identifizierung bei den Rezipienten der Werbung zu bewirken. Nicht selten sind es saisonale Kampagnen, die mit großflächiger Werbung auf die beworbenen Produkte hinweisen. Ein Beispiel aus der Projektdatenbank ist die Plakataktion der Deutschen Bahn: »Mit der Bahn zum Karneval – dat is prima!« (Abb. 3.4.6.5.1), wobei »dat is prima« nicht nur als Ruhrdeutsch, sondern allgemein als nordwestdeutsche Alltagssprache gelten kann. Die eigentlich aus der jugendlichen Subkultur stammenden »Deine Mudda«-Sprüche (siehe oben) werden inzwischen auch in anderen Zusammenhängen verwendet, etwa in der Werbung für Dienstleistungen und in der Parteienwerbung. So warb der Online-Bestelldienst Lieferando mit dem Spruch: »Deine Mudda kocht! Du bestellst online…« (Abb. 3.4.6.5.2). Die Partei Bündnis90 / Die Grünen irritierte im Wahlkampf 2013 mit dem Plakatslogan »Meine Mudda wird Chef«, der »in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Frauenquote zielt«, wie die Partei seinerzeit erläuternd hinzufügte (Abb. 3.4.6.5.3). Spezifischer auf das Ruhrgebiet zielte die – saisonal außerhalb unseres Erhebungszeitraums – über mehrere Jahre von der Ruhr Tourismus GmbH in allen Revierstädten durchgeführte Kampagne für die Ruhr.Topcard, mit der man bei vielen Freizeit- und Kultureinrichtungen freien oder ermäßigten Eintritt bekommt. Den Figuren der großflächigen Plakate wurden dabei ruhrdeutsche Sätze in den Mund gelegt wie »Ker, der Oppa is ’n echten Weichspüler…!« (Abb. 3.4.6.5.4). Vielen Essenern wird auch die gigantische Werbekampagne noch in Erinnerung sein, bei der die Deutsche Telekom dem Kabarettisten Herbert Knebel 2010 ruhrdeutsche Sätze in den Mund legte wie »Boh glaubse Essen, getz gibt’s dat Fernsehen vonne Zukunft mit ohne Aufpreis. Ab nache Telekom!« (Abb. 3.4.6.5.6) Beispiel für eine lokale, mittelständische Werbeaktion ist der Aufsteller eines Duisburger Bäckers für die neue Brotkreation »Ruhrpottler« (Abb. 3.4.6.5.5). Die Schrift, die an alte Schildermalerei erinnert, weckt Assoziationen wie traditionell, heimatlich und handgemacht, wobei die Assoziation »Heimat« durch die Abbildung bekannter Industriedenkmäler des Ruhrgebiets im Hintergrund verstärkt wird. Abb. 3.4.6.5.4: Großflächige Plakatwerbung der Ruhr Tourismus GmbH 2015 Abb. 3.4.6.5.5: DU-Innenstadt Abb. 3.4.6.5.6: Großflächige Plakatwerbung der Deutschen Telekom 2010 3.4.6.5 RUHRDEUTSCH IN DER WERBUNG 177 3.4.7 Code-Switching Mit Code-Switching wird eine Sprachpraxis bezeichnet, bei der innerhalb eines Gesprächs oder auch innerhalb eines Satzes die Sprache gewechselt wird (vgl. Riehl 2016: 25). Es handelt sich dabei um eine alltägliche Praxis von mehrsprachigen Sprecherinnen und Sprechern, die situativ bedingt sein kann, etwa wenn sich die Beteiligtenkonstellation in einem Gespräch ändert, oder kommunikativ-strategisch bedingt ist, etwa wenn ein Modalitätswechsel, d. h. ein Wechsel von der ernsten Kommunikation in die Scherzkommunikation, markiert werden soll. In der Forschung wird Code-Switching in der Regel im gesprochensprachlichen Kontext untersucht (vgl. Blom / Gumperz 1972), da es ein typisches Phänomen der Mündlichkeit ist. Unsere Daten zeigen jedoch, dass der Wechsel zwischen einer Sprache A und einer Sprache B auch in der geschriebenen Sprache vorkommt, zum Beispiel in der Werbung, da diese oft konzeptionell mündlich verfasst ist bzw. die Inszenierung mündlicher Kommunikationspraktiken bewusst einsetzt (vgl. Janich 2013: 40 – 44), um Assoziationen zu einer Bevölkerungsgruppe und ihrem Sprachgebrauch oder auch zu einer spezifischen Region bzw. zu einem spezifischen Land herzustellen. Bei der linguistischen Beschreibung lassen sich verschiedene Arten von Code-Switching unterscheiden. Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt. a) Code-Switching an Satz- oder Teilsatzgrenzen (intersententiales Code-Switching) Typisch für den Sprachwechsel an Teilsatzgrenzen ist die Werbung des Telekommunikationsunternehmens Ay Yildiz, das günstige Handytarife insbesondere für Telefonate in die Türkei anbietet. Das Telekommunikationsunternehmen Ay Yildiz ist in seinem Angebot speziell auf die Zielgruppe der Türkeistämmigen in Deutschland ausgerichtet, indem günstige Tarife in türkische und deutsche Netze beworben werden. Da die Adressatinnen und Adressaten meistens zweisprachig sind, d. h. Deutsch und Türkisch beherrschen, setzt auch die Werbung in Form von Ethnomarketing beide Sprachen ein. Die Werbung können also nur diejenigen verstehen, die Deutsch und Türkisch beherrschen. Der Werbeslogan von Ay Yildiz arbeitet mit beiden Sprachen, indem vom Deutschen ins Türkische gewechselt wird, und zwar an der Teilsatzgrenze. Durch den Wechsel vom Deutschen ins Türkische werden beide Identitätsfacetten – die deutsche und die türkische – markiert. Gleichzeitig wird der für die gruppeninterne Kommunikation der türkeistämmigen Migranten typische bilinguale Sprachgebrauch hervorgehoben (vgl. Cindark 2010, Cindark / Ziegler 2016, Keim 2008). Die Werbeplakate befinden sich in E-Altendorf (Abb. 3.4.7.1) einem Stadtvietel mit einem hohen Anteil türkeistämmiger Bevölkerung, und E-Rüttenscheid (Abb. 3.4.7.2), das als Einkaufs- und Szeneviertel auch viele türkeistämmige Besucher anzieht. Auch die nächsten Beispiele (Abb. 3.4.7.3 bis 3.4.7.7) zeigen intersententiales Code-Switching und sind typische Belege dafür, dass Code-Switching an Satzgrenzen sehr häufig in der Werbung beim Gebrauch englischer Slogans verwendet wird. Die Slogans umfassen meistens englischsprachige Bezeichnungen für Produkteigenschaften und Werte (vgl. Janich a. a.O.: 159). Dabei werden nicht nur Substantive aus dem Englischen übernommen (Entlehnungen, s. u.), sondern ganze Sätze und / oder Teilsätze. Das Englische hat dann die Funktion, Internationalität und Modernität zu vermitteln oder einen Überraschungseffekt zu erzielen (vgl. Janich a. a.O.). Abb. 3.4.7.2: E-Rüttenscheid Übersetzung: »..., kann dich keiner aufhalten« Abb. 3.4.7.3: DO-Hörde Abb. 3.4.7.4: DO-Hörde Abb. 3.4.7.5: DO-Hörde Abb. 3.4.7.6: DU-Innenstadt Abb. 3.4.7.7: DU-Innenstadt Abb. 3.4.7.1: E-Altendorf Übersetzung: »Rede, mit wem du willst, und zwar ausgiebig« 178 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.7 CODE-SWITCHING 179 b) Code-Switching innerhalb eines Satzes (intrasententiales Code-Switching) Abb. 3.4.7.8: DU-Innenstadt Übersetzung: »Willkommen in unserer Welt« Abb. 3.4.7.9: BO-Langendreer Abb. 3.4.7.10: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.7.11: DU-Innenstadt Abb. 3.4.7.12: BO-Hamme Abb. 3.4.7.13: DO-Hörde Code-Switching kann nicht nur an Satz- und Teilsatzgrenzen, sondern auch innerhalb eines Satzes erfolgen. Bei dieser Art von Code-Switching wird mitten im Satz die Sprache gewechselt, wie die Werbung der Telefongesellschaft Al Yidiz zeigt (Abb. 3.4.7.8). Der Wechsel betrifft hier nur ein einziges Wort, und zwar die türkische Begrüßungsform »Hoşgeldin«, die in den ansonsten deutsch formulierten Slogan eingefügt wurde. Intrasententiales Code-Switching liegt auch im Fall des TUI-Werbeslogans vor. Hier werden Elemente aus den Sprachen Deutsch und Englisch verwendet. Der Werbeslogan beginnt auf Deutsch und wechselt an der Stelle von »designed« ins Englische, wobei der Wechsel typografisch durch den Wechsel von der Groß- zur Kleinschreibung und die Änderung der Schriftgröße ausgezeichnet wird: »MEIN URLAUB designed by TUI« (Abb. 3.4.7.9). c) Funktionales Code-Switching Code-Switching in der Schriftlichkeit kann auch funktional motiviert sein. Blom / Gumperz (1972) zufolge hat Code-Switching vor allen Dingen eine Kontextualisierungsfunktion. Danach verwenden Mehrsprachige Code-Switching als eine wichtige Strategie, mit der Interpretationshilfen zum Verständnis einer Äußerung gegeben werden können. Das Werbeplakat der Grünen (Abb. 3.4.7.10) ist ein Beispiel für funktionales Code-Switching: Es soll gezeigt werden, dass das Kind auf dem Plakat nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch beherrscht, indem es den Inhalt der direkten Rede zum Teil auf Englisch, zum Teil auf Deutsch (»Hello Kita«) wiedergibt und dabei die englische Begrüßungsform »hello« verwendet. Der vorangestellte Begleitsatz »Ich sag« und der Fragesatz »Und du?« sind dagegen ausschließlich auf Deutsch realisiert. Mit dem Code-Switching soll das Thema »Mehrsprachigkeit« markiert und deutlich gemacht werden, dass unter der Regierung der Grünen Kinder in der Kita mehrsprachig erzogen werden würden. d) Entlehnungen Abb. 3.4.7.14: BO-Hamme 180 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.4.7.15: DO-Hörde In der Linguistik wird diskutiert, ob es sich bereits um Code-Switching handelt, wenn nur ein Wort aus einer anderen Sprache (= Entlehnung) übernommen wird (vgl. Riehl 2016: 27). Dabei lässt sich zwischen nicht etablierten Entlehnungen (z.B. Abb. 3.4.7.11: englisch »winterwonderland«, Abb. 3.4.7.12: italienisch »rustica«, »Fantastico«) und etablierten bzw. integrierten Entlehnungen (z.B. Abb. 3.4.7.13: »surfen«, Abb. 3.4.7.14: »Stylings«, Abb. 3.4.7.15: »Party«, »Service«, Abb. 3.4.7.16: »Link«, »Newsletter«, »Code«, »Smartphone«, »scannen«) unterscheiden. Häufig wird die lautliche Einpassung der Wörter der einen Sprache in die Äußerung der anderen Sprache als entscheidendes Merkmal herangezogen (vgl. z. B. Grosjean 2008). Wird das betreffende Wort gemäß der Aussprache der Gastsprache ausgesprochen, dann handelt es sich um Code-Switching. Wird es entsprechend der Lautung der Basissprache artikuliert, dann handelt es sich um eine Ad-hoc-Entlehnung. Diese Unterscheidung ist aber oft sehr unklar und bei geschriebener Sprache schwierig. Ein weiterer Unterscheidungsfaktor könnte deshalb sein, ob das betreffende Wort bereits morphologisch in das System der Basissprache integriert ist (z.B. Abb. 3.4.7.13: »surfen«, Abb. 3.4.7.16: »scannen«) oder wie gebräuchlich es bereits in der Basissprache ist (Gebrauchsfrequenz, vgl. Riehl 2004: 31). Bei englischen Übernahmen kann man sich daran orientieren – so hat es unsere Projektgruppe gemacht –, ob das Wort im Duden aufgeführt wird: Wird das Wort im Duden genannt, so handelt es sich um ein bereits in der deutschen Sprache etabliertes Wort, und die Verwendung wird deshalb nicht als Code-Switching aufgefasst (z.B. Abb. 3.4.7.13, Abb. 3.4.7.14, Abb. 3.4.7.15, Abb. 3.4.7.16). Abb. 3.4.7.16: DO-Nordstadt Abb. 3.4.7.17: BO-Langendreer Abb. 3.4.7.18: E-Hauptbahnhof Abb. 3.4.7.19: E-Hauptbahnhof e) Code-Switching im Wort Schließlich gibt es noch den wortinternen Sprachwechsel wie in den Beispielen Abb. 3.4.7.17, Abb. 3.4.7.19 und Abb. 3.4.7.20. Alle Beispiele zeigen die kreative Bildung gemischter Wortformen mit der Funktion, durch Wortspiel mit fremdsprachigem Material originell und ansprechend zu sein, eine Voraussetzung für erfolgreiche Werbung. So fordert beispielsweise ein Friseur in BO-Langendreer seine Gäste zum Eintritt in den Salon mit »Haireinspaziert« auf (Abb. 3.4.7.17). Am Essener Hauptbahnhof wirbt der öffentliche Verkehrsanbieter EVAG mit der deutsch-italienischen Sprachmischung »fahrtissimo« (Abb. 3.4.7.18) und »expresso« (Abb. 3.4.7.19). Abbildung 3.4.7.20 zeigt ein Café in E-Rüttenscheid, das sich (französisch-englisch) »cafélicious« nennt. In der neueren soziolinguistischen Forschung werden solche Fälle sprachlicher Hybridität auch als »polylanguaging« (Jørgensen et al. 2011) bezeichnet, um zu betonen, dass die Kombination sprachlichen Materials auch Sprachgrenzen überschreiten kann, und zwar so, dass sich die neu gebildeten Wortformen – wie die Beispiele zeigen – nicht mehr eindeutig einer Sprache zuordnen lassen. Abb. 3.4.7.20: E-Rüttenscheid 3.4.7 CODE-SWITCHING 181 3.4.8 Sprachliche Rebellion a) Aufkleber auf Verkehrsschildern Urbane öffentliche Räume in westlichen Industriegesellschaften wimmeln nur so von kleinen unerlaubt angebrachten Aufklebern mit Botschaften aller Art. Kaum ein Laternenpfahl, Stromverteilerkasten oder Papierkorb bleibt davon verschont. Vermeintlich unscheinbar, doch allgegenwärtig machen sie aufmerksam auf kleine Läden, Kneipen, Musikbands, Veranstaltungen, Fußballclubs, politische Gruppierungen und Einzelpersonen. In unserem Material gibt es 5 150 solche Aufkleber, das sind 52 % aller transgressiven (= unerlaubt angebrachten) Zeichen und damit ein Fünftel sämtlicher Belege. Wie in Kap. 3.1.6.1 dargestellt finden sich darunter gut 2 000 Tags einzelner Writer (Abb. 3.4.8.1), über 500 textlose Bildchen (Abb. 3.4.8.2) und rund 600 politische Aufkleber (Abb. 3.4.8.3). Die restlichen rund 2 000 Belege verteilen sich zu jeweils etwa einem Drittel auf Aufkleber, die lediglich einen schlichten Eigennamen zeigen (Abb. 3.4.8.4), solche, die nur einen als Logo gestalteten Eigennamen zeigen (Abb. 3.4.8.5), und solche, die außer Eigennamen und Logo noch eine Adresse und / oder einen werbenden Slogan zeigen (Abb. 3.4.8.6). 182 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Die meisten Aufkleber sind kaum handtellergroß oder kleiner und gehen im Zeichengetümmel der Straßen und Plätze unter; sie bilden sozusagen das stets anwesende und deshalb kaum noch wahrgenommene optische Hintergrundrauschen öffentlicher Räume. Ein Teil dieser Aufkleber – so auch die hier abgebildeten – mischt sich aber subversiv in den offiziellen Diskurs der Straßenverkehrsregelung ein und nutzt Verkehrsschilder parasitär, um mehr Aufmerksamkeit zu gewinnen. Unsere Datenbank dokumentiert 569 Aufkleber auf Verkehrsschildern; das sind 11 % aller 5 150 transgressiven Aufkleber. 233 davon (41 %) wurden auf die Vorderseite der Schilder geklebt, der Rest auf die Rückseite. Wo man Sprachen erkennen kann, handelt es sich fast ausschließlich um Deutsch und / oder Englisch. Wie alle transgressiven Zeichen konzentrieren sie sich an bestimmten Stellen: Ein Aufkleber kommt selten allein, sondern zieht andere an. Allein in Rüttenscheid und DUInnenstadt kommen zusammen zwei Drittel aller Aufkleber auf Verkehrsschildern vor. Die dort besonders hohen Anteile an transgressiven Zeichen überhaupt (45,5 % bzw. 41,3 % gegenüber durchschnittlich 38,7 %; s. Kap. 3.1.4) schlagen sich hier auch in besonders hohen Anteilen an Aufklebern auf Verkehrsschildern nieder (28,4 % bzw. 35,2 % gegenüber durchschnittlich 22,8 %). In Nordstadt verhält sich das anders: Dem mit 54,3 % höchsten Anteil an transgressiven Zeichen steht mit 21,1 % ein leicht unterdurchschnittlicher Anteil an Verkehrsschilder-Aufklebern gegenüber. Umgekehrt weisen Marxloh und Altendorf, die besonders wenig transgressive Zeichen haben (15,8 % bzw. 17,0 %), relativ noch sehr viel weniger Aufkleber auf Verkehrsschildern auf (nämlich 2,4 % bzw. 6,2 %). Abb. 3.4.8.1: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.2: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.3: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.8.4: DU-Innenstadt Abb. 3.4.8.5: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.8.6: DU-Innenstadt 3.4.8 SPRACHLICHE REBELLION 183 In den zuletzt genannten drei Bezirken Nordstadt, Marxloh und Altendorf wohnen besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund. Hier greift man offensichtlich sehr viel weniger stark in den offiziellen Diskurs ein als andernorts, inbesondere in Rüttenscheid und DU-Innenstadt, also zwei Bezirken, die stark von bürgerlichen Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants geprägt sind. In Rüttenscheid und DU-Innenstadt konzentrieren sich auch – wie in der ebenfalls überdurchschnittlich verkehrsreichen Dortmunder Nordstadt – besonders viele der 233 Aufkleber, die offensiv auf die Vorderseite von Verkehrsschildern geklebt wurden (Abb. 3.4.8.7). Fast keine findet man in Marxloh und Hörde, wo offenbar wenig für Aufkleber offenes Publikum erwartet wird. Auch Menge und Orte der Aufkleber prägen also das Stadtbild einzelner Bezirke in jeweils charakteristischer Weise. b) Graffiti als subversive Gegenmacht? An den vielen kleinen Aufklebern stören sich Passanten kaum. Es scheint mehr Müll in der Landschaft zu liegen, als dass Aufkleber den Blick überhaupt auf sich zögen. Doch an Graffitis scheiden sich die Geister: Ist das Vandalismus, Kunst oder politische Aktion? Kathrin Schneider (2012: 154 f.) meint, dass Writer sich »klar gegen eine Reglementierung des öffentlichen Raumes« positionieren, um ihn sozusagen wiederzubeleben; und »mit ihren Handlungen stellen sie ein Gefühl der Zugehörigkeit sogar im anonymen, kommerzialisierten Stadtraum her.« So seien Graffitis »nicht nur Raumaneignung im Sinne eines territorialen Anspruches«, sondern sie verändern den Raum (S. 147). Oder, mit den Worten von Doris Tophinke (2016: 411): »Graffiti-Herstellen ist eine urbane Praktik, die die Stadt nicht nur als Aktionsraum nutzt, sondern die zur Konstruktion des städtischen Raumes selbst wesentlich beiträgt.« 184 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.4.8.7: Verortung von 233 Aufklebern auf der Vorderseite von Verkehrsschildern Bilder (Anzahl: 233) Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. Nordstadt Dortmund Marxloh Duisburg Innenstadt Essen Altendorf Hamme Hörde Langendreer Bochum Rüttenscheid 3.4.8 SPRACHLICHE REBELLION 185 Dabei hat sich die Rolle der Graffiti-Kultur geändert. In ihrer frühen Phase (nach den jugendlichen Revolten der 1960er / 70er Jahre) deutet Jean Baudrillard (1978: 25) Graffiti so: »Ein neuer Typ der Intervention in die Stadt, nicht mehr als Ort der ökonomischen und politischen Macht, sondern als Zeit / Raum der terroristischen Macht der Medien, der Zeichen und der herrschenden Kultur.« Graffiti-Buchstaben/-Wörter, meint er damals, bedeuteten nichts, seien nicht einmal Eigennamen, »sondern symbolische Matrikel, gemacht, um das gewöhnliche Benennungssystem aus der Fassung zu bringen« – »als Einwurf, als Anti-Diskurs, als Absage an jede syntaktische, poetische und politische Elaboriertheit, als kleinstes, radikales, durch keinerlei organisierten Diskurs einnehmbares Element« (S. 26). »Es ist diese Leere, die ihre Kraft ausmacht.« (S. 29 f.). »Sie allein sind wild, denn ihre Botschaft ist gleich Null.« (S. 37) »Ihre Revolte ist zugleich Auflehnung gegen bürgerliche Identität und Anonymität.« (S. 38) Zumindest für die jüngere Gegenwart (also die 2010er Jahre) gilt das aber nicht mehr. Vor allem auf der Grundlage von Writer Storys, also schriftlichen Äußerungen von Graffiti-Schreibern, diagnostiziert Tophinke (2016: 425), das Herstellen von Graffiti ziele nicht (wie Baudrillard es sah) »auf eine kämpferische Aneignung des urbanen Raums«, sondern: »Hier dominiert eher das Selbstverständnis einer kreativen, dynamischen urbanen Spaßkultur« (S. 426). Auch wenn sich Hauseigentümer über die Verunzierung ihrer Immobilie ärgern (Abb. 3.4.8.9), dürfte die große Mehrheit der transgressiven Zeichen eher spielerisch und selbstexpressiv als kämpferisch gemeint sein (Abb. 3.4.8.10 – 3.4.8.13). »Das Bild einer aggressiv-destruktiven Graffiti-Kultur, die in gepflegte städtische Zonen einbricht, ist in diesem Sinne überzeichnet.« (Tophinke 2016: 426) Nichtsdestoweniger beanspruchen die Schreiber, Maler, Sprayer und Kleber transgressiver Zeichen eine große Zahl meist kleiner Flächen im öffentlichen Raum für sich, die in ihrer Gesamtheit ein deutliches Gegengewicht gegenüber den noch häufigeren und meist größeren kommerziellen Zeichen bilden. Zumindest die Aufmerksamkeit der Passantinnen und Passanten im öffentlichen Raum wird heftig umkämpft. Manche zahlen für die beanspruchten Flächen, andere nicht. Und ein kleiner Teil der transgressiven Zeichen drückt auch inhaltlich Macht aus, umkämpft sie oder fordert sie ein, wie die übereinander geschriebenen Parolen in Abb. 3.4.8.14 zeigen. 186 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.4.8.7: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.8: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.9: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.10: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.11: E-Rüttenscheid Abb. 3.4.8.12: DU-Innenstadt Abb. 3.4.8.13: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.14: DO-Nordstadt 3.4.8 SPRACHLICHE REBELLION 187 c) Überall ACAB? – Ein Spaziergang durch die Slogan-Landschaft 188 Abb. 3.4.8.15: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.16: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.17 DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.18: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.19: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.20: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.21: DO-Hauptbahnhof Abb. 3.4.8.22: DO-Nordstadt 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Viele Graffitis, Tags und Aufkleber richten sich nur an eine bestimmte Szene und sind für Außenstehende kaum verständlich. Das häufigste Beispiel (und dadurch doch allgemeiner bekannt) ist die Losung »A.C.A.B.« mit oder ohne Abkürzungspunkte für »All Cops Are Bastards«. Dieser Slogan geht möglicherweise auf die britische Gefängniskultur der 1920er Jahre zurück; jedenfalls findet sich die Abkürzung oft in Tätowierungen britischer Gefangener. Seit den späten 1970er Jahren wurde sie von zahlreichen Jugendsubkulturen übernommen, später auch von Neonazis (lt. deutscher und englischer Wikipedia, eingesehen am 31.3.2017). Vielerlei Abwandlungen und Ironisierungen sind üblich, bei jedem zweiten Fall auch in Graffitis und Aufklebern in der Metropole Ruhr. Mal erscheint er mit Frage- oder Ausrufzeichen versehen (z.B. Abb. 3.4.8.15), mal davor und dahinter mit »SS« verstärkt (Abb. 3.4.8.16), mal mit einem Polizeiauto illustriert (z.B. Abb. 3.4.8.17). Oft wird »ACAB« auch in die Ziffernfolge »1.3.1.2« übersetzt (Abb. 3.4.8.18), die wiederum in einen fiktiven Anruf »110? 1312!« eingebaut (z.B. Abb. 3.4.8.19). Mal wird die Abkürzung als »Acht Cola Acht Bier« aufgelöst (Abb. 3.4.8.20), öfter als »a cab« neben gelbem Taxi ironisiert (z.B. Abb. 3.4.8.21). Ein Aufkleber wendet die witzige Auflösung »All Colours Are Beautiful« erneut ins Politische um, indem das zugehörige Foto Polizisten hinter Schutzschilden zeigt, auf die offenbar Farbbeutel geworfen wurden (z.B. Abb. 3.4.8.22). Unsere Untersuchungsgebiete nehmen zusammen gut einen halben Quadratkilometer Fläche ein. »ACAB« finden wir hier genau 87 Mal, rein rechnerisch also drei Mal pro zwei Hektar. Eingeweihte erkennen außerdem 25 Mal die kontextlose Ziffernfolge »1312« und einmal falsch »1213« in diesem Sinne. Fast alle 113 Belege sind recht klein: meist zwischen dem Format eines Smartphones und dem eines Schulheftes, manchmal auch zwischen allerlei anderen Zeichen versteckt; nur einer füllt gut zwei Quadratmeter. Ein normaler Passant muss also eine Weile laufen und die Augen gut aufhalten, um ein »ACAB« zu entdecken. Wenn dieses Akronym dennoch oft als allgegenwärtig empfunden wird, dann wohl deshalb, weil es im öffentlichen Raum die am häufigsten wiederholte illegitime Buchstabenfolge ist. Außerhalb unseres Materials findet man sie oft sehr viel größer und meist gemalt oder gesprüht an Autobahnen, Brücken und Schallschutzwänden. In unseren auch durch Fußgänger stark belebten innerstädtischen Gegenden kleben an Masten, Schildern, Stromverteilerkästen usw. 46 dafür vorgedruckte Aufkleber und 7 mit »ACAB« handbeschriebene Postformulare; die anderen Fälle wurden auf leere oder beschriftete Flächen aller Art gesprüht (7), mit Stift geschrieben (12) oder mit Pinsel gemalt (15) – und zwar meist schwarz, sonst weiß, blau und selten rot. Auffälligerweise konzentrieren sich alle in Dortmund (43) und Bochum (29). Am Dortmunder Hauptbahnhof liest man »ACAB« zwei Mal, in DO-Nordstadt 41 Mal, etwa fünfzehn Kilometer südwestlich davon in BO-Langendreer 15 Mal, weitere acht Kilometer westlich am Bochumer Hauptbahnhof 8 Mal, weitere zwei Kilometer nordwestlich in BO-Hamme 6 Mal. Fünf Fälle finden sich in E-Rüttenscheid, drei in E-Altendorf, zwei in DU-Innenstadt, einer in DU-Hauptbahnhof, keiner in DO-Hörde und DU-Marxloh. Das mag Zufall sein. Vermutlich jedoch ist dieser angelsächsische Slogan unter türkischen Migranten weniger bekannt und kommt deshalb in E-Altendorf und DU-Marxloh, wo es ohnehin ausgesprochen wenige transgressive Zeichen gibt, kaum bzw. gar nicht vor. Vor allem aber: Wenn man erstens bemerkt, dass 20 der 24 eben noch nicht berücksichtigten »1312«-Zeichen an einem einen Kilometer langen Fußweg entlang der Dorstener Straße in BO-Hamme stehen (und zwar fast alle in ähnlicher Schrift handgemalt), und wenn man zweitens berücksichtigt, wie auch andere Zeichen (z.B. Tags) im Raum verteilt sind, dann spricht viel für die Annahme, dass transgressive Zeichen sich epidemisch ausbreiten: Ein Zeichen zieht in der Nähe gleichartige nach sich – sei es, dass ein und derselbe Urheber sein Revier durchstreift, sei es, dass er Konkurrenten oder Nachahmer anregt. Steigen wir einmal am S-Bahnhof BO-Langendreer West aus. Hellrot gesprüht auf dunkelroter Wand leuchtet uns »ACAB« entgegen, versehen mit einem Fragezeichen (Abb. 3.4.15 und Abb. 3.4.23). 120 Meter weiter auf der Ümminger Straße stoßen wir auf ein mit »ACAB« übermaltes Notariatsschild (Abb. 3.4.8.24). Wir gehen ein paar Schritte zurück und biegen rechts in die Alte Bahnhofstraße ein. Nach 70 Metern an der Ecke Leifacker lesen wir auf einem blauweißschwarzen Aufkleber an einem Laternenmast in der oberen Zeile »Gegen Abb. 3.4.8.23: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.24: BO-Langendreer 3.4.8 SPRACHLICHE REBELLION 189 Polizeigewalt«, in der Mitte das Akronym und darunter die Auflösung »All cops are bastards« (Abb. 3.4.8.26). Wiederum jeweils 70 Meter weiter gegenüber den nächsten beiden Straßenecken klebt jeweils der gleiche Zettel auch an solchen Masten (Abb. 3.4.8.27 und Abb. 3.4.8.28). Ein paar Schritte weiter gegenüber bei Hausnummer 188 steht »ACAB« samt Tags auf einem Stromverteilerkasten (Abb. 3.4.8.29). Jeweils 30 Meter weiter folgen dann wiederum an Laternenmasten der vierte und fünfte schon bekannte Aufkleber (Abb. 3.4.8.30 und Abb. 3.4.8.31). Gut 50 Meter weiter bei Hausnummer 177 klebt ein schon etwas verwitterter A.C.A.B.-Aufkleber samt Internet-Adresse, bei der man allerlei antifaschistisches Material kaufen kann (Abb. 3.4.8.32). Am gleichen Platz gegenüber hängen zwei weitere einschlägige Aufkleber (Abb. 3.4.8.33 und Abb. 3.4.8.34). Auf einem 530 Meter langen Fußweg ist uns ACAB also elf Mal begegnet. 150 Meter weiter in der Wittenbergstraße finden wir noch einen ACAB-Aufkleber mit der zusätzlichen Aufschrift »No justice no peace / fight the police« (Abb. 3.4.8.35). Wenn wir jetzt noch einmal links abbiegen, sehen wir in 180 Metern das dreizehnte ACAB in Langendreer, nämlich das zehnte Exemplar des schon bekannten Aufklebers, diesmal auf der Rückseite eines Schildes (Abb. 3.4.8.36), und auf dem Rückweg zum S-Bahnhof dann rechter Hand noch ein nicht vollendetes »ACA« (Abb. 3.4.8.37). Ganz ähnliche ACAB-Spaziergänge könnten wir auch am Bochumer Hauptbahnhof unternehmen oder in Bochum-Hamme (fünf von sechs Belegen auf 300 Metern der Dorstener Straße), reichhaltiger noch in Dortmund-Nordstadt. Allein die 17 gelben »a cab«-Taxis dort (Abb. 3.4.8.38) begleiten einen 600 Meter langen Fußweg an der Münsterstraße. Und 20 der 26 »1312«-Zeichen finden sich in Bochum-Hamme. Kurzum: Ein ACAB kommt selten allein, doch in der Masse innerstädtischer Zeichen geht der Spruch auch schnell unter. Abb. 3.4.8.26: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.27: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.28 BO-Langendreer Abb. 3.4.8.29: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.30: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.31: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.32: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.33: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.34: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.35: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.36 BO-Langendreer Abb. 3.4.8.37: BO-Langendreer Abb. 3.4.8.37 Straß e Abb. 3.4.8.23 nder Abb. 3.4.8.24 Lünse Abb. 3.4.8.26 Abb. 3.4.8.27 Üm min ger Str aße Abb. 3.4.8.36 Abb. 3.4.8.29 Abb. 3.4.8.30 Abb. 3.4.8.28 Abb. 3.4.8.31 Abb. 3.4.8.32 Abb. 3.4.8.33 Abb. 3.4.8.34 Abb. 3.4.8.38: DO-Nordstadt Abb. 3.4.8.35 Witte gs nber traße Al te Ba hn ho fs st ra ße Abb. 3.4.8.25: Weg durch BO-Langendreer 190 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.4.8 SPRACHLICHE REBELLION 191 3.5 Namen als Teil der visuellen Sprachlandschaft Abb. 3.5.1: DO-Nordstadt Abb. 3.5.2: DO-Nordstadt Wer bei einem Gang durch die Stadt einmal bewusst darauf achtet, erkennt schnell, wie groß der Anteil der Eigennamen an der visuellen Sprachlandschaft ist. Namen begegnen uns in der Linguistic Landscape in einer Vielzahl von Typen: »Firmen- und Geschäftsnamen« in den Einkaufszonen informieren über und werben für Waren und Dienstleistungen, »Restaurant- und Gaststättennamen« laden zur Einkehr ein, »Vorund Familiennamen« auf Klingelschildern dienen der Orientierung, sagen aber auch etwas über die Herkunft eines Bewohners oder seiner Vorfahren. »Straßennamen« schließlich orientieren nicht nur, sondern erinnern in den meisten Fällen auch an Personen, Orte oder historische Ereignisse. In ihrer Gesamtheit sind die Eigennamen (lat. »nomina propria«) ein wichtiger Bestandteil unserer Sprache; sie bilden zusammen mit den Appellativen oder Gattungsbezeichnungen (lat. »nomina appellativa«) den substantivischen Wortschatz. Während Appellative wie Mensch, Hund oder Tisch sich auf eine ganze Gattung oder Klasse von Personen, Tieren oder Objekten beziehen, bezeichnen Eigennamen wie »Schimanski, Pizzeria Venezia, Evonik, Willi-Brandt-Platz, Xanten oder Italien« einzelne, individuell existierende Lebewesen, Orte oder Objekte. Zwischen beiden Kategorien gibt es Übergänge. So können Appellativa zu Eigennamen werden wie etwa die Berufsbezeichnungen »Müller, Schneider, Koch,« die zu weit verbreiteten Familiennamen wurden. Umgekehrt können Eigennamen zu Gattungsbezeichnungen werden, wenn etwa die ursprünglichen Produktnamen »Tempo« und »Tesafilm« als allgemeine Bezeichnungen für Papiertaschentücher bzw. Klebestreifen verwendet werden. Institutionsnamen 8,1 % (405) Toponyme 10,6 % (513) Vereinsnamen In der bisherigen Linguistic-Landscape-Forschung ist der Bedeutung der Namen recht wenig Beachtung geschenkt worden. Im Rahmen unseres Projekts zur visuellen Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr haben wir auch den Namen den ihnen gebührenden Platz eingeräumt. Die Datenbank bietet hierzu eine umfangreiche Materialbasis, da alle Bildbelege, die Namen enthalten, mit entsprechenden Schlagworten versehen wurden. In der Summe enthalten 11 702 oder 46 % der 25 504 geokodierten Bilder unseres Korpus Eigennamen. Die Verteilung auf die verschiedenen Namentypen (Abbildung 3.5.3) zeigt, dass die dem kommerziellen Bereich zuzuordnenden Namentypen – Firmennamen, Geschäftsnamen, Gastronomienamen – mit rund 63 % fast zwei Drittel des Gesamtbestands ausmachen. Die verschiedenen Namentypen sind auch wichtige und leicht erkennbare Indikatoren der Mehrsprachigkeit einer Stadt oder Region. Setzen wir die Bilder unserer Datenbank, die Namen enthalten, in Relation zu den Sprachen, so zeigt sich erwartungsgemäß eine große Übereinstimmung mit der Gesamtstatistik der häufigsten Sprachen in der Linguistic Landscape des Ruhrgebiets. Betrachten wir die acht Sprachen mit mehr als 100 Namenbelegen, so ergibt sich die in Abbildung 3.5.6 dargestellte Reihenfolge. Im Folgenden sollen vier Namentypen näher betrachtet werden, deren Präsenz und Wahrnehmung für die Linguistic Landscape unter verschiedenen Gesichtspunkten von besonderem Interesse ist: die Familiennamen, Geschäftsnamen, Gastronomienamen und Straßennamen. Abb. 3.5.5: E-Rüttenscheid Polnisch 1,4 % (101) Arabisch 1,9 % (134) Spanisch 2,1 % (144) 16,7 % (837) Gastronomienamen Französisch 3,1 % (216) Italienisch 4,9 % (243) 18,4 % (919) Geschäftsnamen 42,7 % (2135) 12,7 % (887) Türkisch Personennamen 51,9 % (2596) 85,9 % (4296) 0 1000 2000 3000 Abb. 3.5.3: Häufigkeit der Namentypen in der »Metropolenzeichen«-Datenbank 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 27,6 % (1933) Englisch Firmennamen 192 Abb. 3.5.4: DO-Nordstadtt 4000 5000 89,8 % (6296) Deutsch 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 Abb. 3.5.6: Gesamtzahl der Namen in den abgebildeten Sprachen 3.5 NAMEN ALS TEIL DER VISUELLEN SPRACHLANDSCHAFT 193 3.5.1 Familiennamen Abb. 3.5.1.1: Briefmarke »Klingelschild mit Familiennamen« Abb. 3.5.1.2: DO-Nordstadt Türkischer Name auf Kanzleischild Abb. 3.5.1.3: DO-Nordstadt Arabischer Name auf Praxisschild Abb. 3.5.1.4: E-Rüttenscheid Typischer Familienname für Ruhrgebiet und Münsterland 194 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Kein anderer Namentyp ist in der uns umgebenden, sichtbar wahrnehmbaren Sprachlandschaft so häufig vertreten wie die Familiennamen, keiner verdeutlicht augenfälliger die Vielfalt der Herkunftsländer und die Vielfalt der Sprachen der in Deutschland lebenden Menschen. Diese Tatsache spiegelt auch die 2012 erschienene Briefmarke zum Thema »Vielfalt – In Deutschland zu Hause« wider. Sieger des Motivwettbewerbs wurde der Entwurf mit dem Titel »Klingelschild mit Familiennamen«, der eine unmittelbar einleuchtende Visualisierung der ethnischen Diversität in Deutschland liefert. Familiennamen treten in unterschiedlichen Kontexten und Funktionen auf. Als regulatorischer Hinweis auf Klingelschildern, auf Praxis- und Kanzleischildern von Ärzten und Rechtsanwälten und ähnlichen Berufen (Abb. 3.5.1.2, 3.5.1.3), als Teil von Geschäfts- und Gastronomienamen (Abb. 3.5.1.4, 3.5.1.8, 3.5.1.9) und auf Straßennamenschildern als Wegweiser mit gleichzeitiger Erinnerungsfunktion (vgl. Kap. 3.5.4). Nicht zuletzt aber sind sie auch sichtbarer Ausdruck der Mehrsprachigkeit in einer Stadt oder Region. Denn auf den Geschäftsschildern lesen wir nicht nur deutsche Namen wie »Müller«, »Schneider« oder »Koch«, sondern auch »Kaczmarek«, »Yilmaz« oder »Mahmoud«, also Namen, die die äußere Mehrsprachigkeit der Region dokumentieren, indem sie uns deutlich machen, dass es viele Menschen gibt, die aus anderen Sprach- und Kulturkreisen zugewandert sind. Fremdsprachige Namen leisten einen besonderen Beitrag zur bewussten Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit und können auch stark zum Gefühl einer »Beheimatung« von Allochthonen bzw. einer »Befremdung« von Autochthonen beitragen. Neben der durch fremde Namen sichtbar werdenden äußeren Mehrsprachigkeit sind die Namen auch ein Zeugnis für die innere Mehrsprachigkeit des Deutschen, da viele Familiennamen an bestimmte Regionen gebunden sind und dialektale oder regionalsprachliche Elemente aufweisen, die auch von linguistischen Laien als regionaltypisch erfahren werden. Insofern bewirkt auch die Wahrnehmung regionaltypischer Namen wie »Holtkamp«, oder »Langensiepen«, einen Effekt der Identifikation. Wer von einer größeren Anzahl als vertraut empfundener Namen umgeben ist, fühlt sich eher heimisch. Bevor wir uns den einheimischen und fremden Namentypen im Einzelnen zuwenden, wollen wir einen Blick auf die allgemeine Statistik der Familiennamen werfen, wie sie sich aus unserer Datenbank ergibt. Abbildung 3.5.1.5 zeigt die genaue Anzahl und die prozentuale Verteilung der Familiennamen für die sieben Sprachen mit mehr als 50 Namenbelegen. Diese decken mehr als 95 % aller Familiennamen ab, wobei auf die deutschen Namen 70 % der Belege entfallen. Äußere Mehrsprachigkeit – fremdsprachige Familiennamen Die Gewichtung der fremden Sprachen untereinander wird deutlicher, wenn man sie ohne das Deutsche betrachtet (Abb. 3.5.1.6). Dabei kann man zwei Gruppen von Sprachen unterscheiden: Die Träger der türkischen, arabischen und polnischen Namen sind in der Regel individuelle Repräsentanten einer Migrantengruppe bzw. Nachfahren von Migranten, deren Zuwanderung teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen kann, wie es bei manchen Trägern polnischer Namen im Ruhrgebiet der Fall ist. Mit einem Anteil von über 60 % an der Gesamtheit der fremden Namen dokumentieren diese Migrantennamen die Bedeutung des Ruhrgebiets als Zuwanderungsraum, wobei hier wie zu erwarten das Türkische mit 42 % weit vor allen anderen Sprachen liegt. Die englischen, französischen und auch die italienischen Familiennamen, die uns im Ruhrgebiet sichtbar begegnen, stehen demgegenüber entweder für global agierende Unternehmen, deren Marken- und Geschäftsnamen oft aus dem Namen des Gründers oder der Gründerin bestehen. Dies gilt insbesondere für Modelabels, teure Uhren und vergleichbare Produkte. Als Beispiele aus diesen Geschäftsbereichen seien hier die Modeschöpfer »Tommy Hilfiger« (Abb. 3.5.1.8) und »Calvin Klein« aus den USA, »Giorgio Armani« und »Roberto Cavalli« aus Italien, »Jean Paul Gaultier« aus Frankreich und der Schweizer Luxus-Uhrenproduzent »Maurice Lacroix« (Abb. 3.5.1.9) genannt. Italienisch 2% Französisch 2% Arabisch 2% 3% Polnisch 8% Englisch 13 % Türkisch 70 % Deutsch 0 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Abb. 3.5.1.5: Familiennamen (N = 2786) 6% Italienisch Französisch 7% 9% Arabisch 10 % Polnisch 26 % Englisch 42 % Türkisch 0 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % Abb. 3.5.1.6: Fremdsprachige Familiennamen (N = 844) 3.5.1 FAMILIENNAMEN 195 Abb. 3.5.1.7: Top 10 der deutschen, polnischen und türkischen Familiennamen deutsche Namen polnische Namen türkische Namen 1 Müller 1 Nowak 1 Yilmaz 2 Schmidt 2 Kowalski 2 Kaya 3 Schneider 3 Wisniewski 3 Demir 4 Fischer 4 Wojcik 4 Çelik 5 Weber 5 Kowalczyk 5 Şahin 6 Meyer 6 Kaminski 6 Yildiz 7 Wagner 7 Lewandowski 7 Yildirim 8 Becker 8 Zielinski 8 Öztürk 9 Schulz 9 Szymanski 9 Aydin 10 Hoffmann 10 Wozniak Abb. 3.5.1.8: DU-Innenstadt Englischer Personennamen 10 Özdemir Abb. 3.5.1.9: DU-Innenstadt Französischer Personennamen Abb. 3.5.1.10: DU-Innenstadt 196 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Eine andere Domäne für englische, französische und italienische Namen ist der Bereich der Kultur und Unterhaltung, der in der Linguistic Landscape vor allem durch Filmund Veranstaltungsplakate vertreten ist, die die Namen internationaler Stars auch – und sei es nur vorübergehend – zum Bestandteil der Sprachlandschaft des Ruhrgebiets machen und damit den internationalen Charakter der Unterhaltungskultur dokumentieren. In die Aufnahmezeit unserer Fotobelege fielen etwa Auftritte des britischen Sängers »Joe Cocker« und der amerikanischen Sängerin »Richetta Manager« oder Konzerte des italienischen Dirigenten »Aldo Ceccato« und des Geigers »Marco Rizzi« (Abb. 3.5.1.10). Innere Mehrsprachigkeit – regionaltypische, niederrheinische und westfälische Familiennamen im Ruhrgebiet Auch die Zugehörigkeit bestimmter Namen oder Namentypen zu mehr oder weniger eng begrenzten Regionen kann einen Effekt der Identifikation bewirken. Wer von einer größeren Anzahl vertrauter, als regionaltypisch empfundener Namen umgeben ist, fühlt sich eher heimisch. Die identifikationsstiftende Wirkung von regionaler Sprache und regionaltypischen Namen machen sich Autoren und Drehbuchschreiber (etwa im »Tatort«) regelmäßig zunutze, indem sie Figuren Dialekt reden lassen und indem sie ihnen regionaltypische Namen geben (Eickmans 2010). Was bedeutet »regionaltypisch« für Namen im Ruhrgebiet? Das Ruhrgebiet bildet keine eigene abgrenzbare Namenlandschaft, wie es auch keine eigene abgrenzbare Sprachlandschaft bildet (vgl. Kap. 3.4.6.2). Regionaltypische Namen im Ruhrgebiet sind immer Namen, die in einem Zusammenhang mit dem westfälischen oder niederrheinischen Umfeld zu sehen sind, sich aber in diesem Rahmen deutlich von den übrigen deutschen Sprach- bzw. Namenlandschaften abgrenzen lassen (Heuser / Nübling 2010, Taubken 2010). Viele der deutschen Familiennamen in der »Metropolenzeichen«-Datenbank sind eindeutig regional markiert. Um zu einem identifikationsstiftenden Zeichen zu werden, muss das Regionaltypische eines Namens bewusst oder unbewusst wahrgenommen werden (können). Dies geschieht entweder aufgrund der Bekanntheit bzw. Häufigkeit eines Namens in der Region oder aufgrund des Vorkommens formaler Bestandteile, die regionalsprachlich markiert sind. Diese können lautlicher Art sein (»Niehues vs. Neuhaus«), morphologischer Art (diminutivische Bildungen aus »-ke[n]s« wie in »Kempkes« und »Ripkens«) oder lexikalischer Art (»Siepe« [kleiner Fluss] in »Langensiepen« u. ä.). Beispiele für regionaltypische Namen mit einem Verbreitungsschwerpunkt im Ruhrgebiet sind etwa »Notthoff« und »Siepmann« (Abb. 3.5.1.11, 3.5.1.12). Der Schwerpunkt des niederdeutschen Namens »Notthoff« die hochdeutsche Entsprechung wäre »Nusshof« liegt im nordwestlichen Ruhrgebiet. »Siepmann« ist ein so genannter Wohnstättenname zu westfälisch-niederdeutsch »Siepe« (kleiner Fluss, Bach). Der Verbreitungsschwerpunkt des Namens liegt im mittleren und östlichen Ruhrgebiet. Regionaltypische Namen, die die sprachlichen Verbindungen des Ruhrgebiets mit Westfalen bzw. mit dem Rheinland verdeutlichen, sind etwa die Namen »Schulte« und »Küpper(s)« (Abb. 3.5.1.13, 3.5.1.14). Der niederdeutsche Name Schulte (mittelniederdeutsch »schulthete«), der im Westfälischen die spezielle Bedeutung »Großbauer« hatte, hat seine Verbreitungsschwerpunkte neben dem Emsland und Westmünsterland auch im südöstlichen Westfalen, welches das östliche Ruhrgebiet mit einschließt. Schulte kann als exemplarisch für einen Familiennamen gelten, der den regionalsprachlichen Zusammenhang des östlichen Ruhrgebiets mit dem übrigen Westfalen erkennen lässt. Der Name »Küpper« oder »Küppers« ist eine regionale Berufsbezeichnung für den »Böttcher« oder »Faßbinder«, die auf lat. »cupa, Fass« zurückgeht und im Rheinland und in den Niederlanden (»Kuiper«) verbreitet ist. Verbreitungsschwerpunkt des als typisch rheinisch anzusehenden Namens ist das nördliche Rheinland einschließlich des westlichen Ruhrgebiets (Raum Duisburg und Essen). Küpper kann damit als exemplarisch für einen Familiennamen gelten, der den regionalsprachlichen Zusammenhang des westlichen Ruhrgebiets mit dem Rheinland erkennen lässt. Die hier genannten Beispiele zeigen einen hohen Grad regionaler Gebundenheit von Familiennamen, die damit auch zu einem regionalen sprachlichen Erkennungsmerkmal werden und ebenso wie sonstige regionalsprachliche Schilder oder Aufschriften zum Gefühl der Beheimatung beitragen. Abb. 3.5.1.11: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.1.12: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.1.13: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.1.14: E-Rüttenscheid 3.5.1 FAMILIENNAMEN 197 3.5.2 Geschäftsnamen Geschäftsnamen sind von Unternehmensnamen (Firmennamen) zu unterscheiden. Während letztere rechtlich verbindliche Namensformen sind, wie sie etwa in Handelsregistern oder auf Rechnungsformularen zu finden sind, haben Geschäftsinhaber bei der Festlegung eines Namens für ihr Ladenschild oder Schaufenster jede Freiheit. Eine Reihe von Bildern mit Geschäftsnamen fanden sich schon im vorhergehenden Kapitel über die Familiennamen, da diese häufig als Teil von Geschäftsnamen verwendet werden. Viele folgen noch dem klassischen Bildungstyp [Appellativ (+ Vorname) + Familienname]: »Salon Altmeyer« oder in umgekehrter Reihenfolge [Familienname + Appellativ]: »Rütten Lüftungsbau« (Abb. 3.5.2.1, 3.5.2.2, 3.5.2.3). Der Kreativität sind bei der Erfindung von Geschäftsnamen keine Grenzen gesetzt. Viel vorkommende Namenstypen sind etwa die Verbindung [Vorname + (’)s + Appellativ]: »Rosi’s Haarstübchen« oder »Heidis Tiershop« (Abb. 3.5.2.4, 3.5.2.5). Sprachspielerische Bezüge zur jeweiligen Branche führen zu mehr oder weniger witzigen Geschäftsnamen (Abb. 3.5.2.6, 3.5.2.7, 3.5.2.8). Englische und französische Namen oder Namenbestandteile sollen Modernität und Weltläufigkeit signalisieren. Auch hier sind die Friseure in vorderster Front, wenn es um witzige Namen für ihre Läden geht. Auf der Essener Rüttenscheider Straße etwa machen sich »Headhunter«, »Hairworks« und »Hairdamit« Konkurrenz. Abb. 3.5.2.2: BO-Langendreer Abb. 3.5.2.3: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.2.4: BO-Hammev Abb. 3.5.2.5: BO-Hamme Abb. 3.5.2.6: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.2.7: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.2.8: BO-Hamme Abb. 3.5.2.9: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.2.10: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.2.1: BO-Langendreer 198 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.5.2 GESCHÄFTSNAMEN 199 Niederländisch 1% Französisch 1% Italienisch 1% Arabisch 2% Türkisch 9% Englisch 19 % Deutsch 67 % 0 10 % 20 % 30 % 40 % Abb. 3.5.2.11: Geschäftsnamen (N = 2216) 200 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Die Beteiligung der verschiedenen Sprachen wird in der Grafik 3.5.2.11 sichtbar, die die sieben Sprachen berücksichtigt, die mit mehr als 20 Geschäftsnamen in unserer Datenbank vertreten sind. Geht man von der Gesamtheit der Geschäftsnamen aus, so nimmt das Deutsche zwei Drittel ein, von den übrigen Sprachen haben nur das Englische mit 19 % und das Türkische mit 9 % einen nennenswerten Anteil. Auch hier lohnt sich ein Blick auf die Fremdsprachen ohne das Deutsche (Abb. 3.5.2.12). Dabei wird der globalisierende Faktor englischer Geschäftsnamen sehr deutlich, die bei den Fremdsprachen auf eine deutliche Mehrheit von 57 % kommen. Von den übrigen Sprachen ist es wiederum das Türkische, das mit 27 % aller fremdsprachigen Geschäftsnamen die Bedeutung der Türkeistämmigen als größter und wichtigster Migrantengruppe des Ruhrgebiets unterstreicht. Bemerkenswert ist auch die dritte Position für das Arabische, das seinen Schwerpunkt in der Dortmunder Nordstadt hat. Italienische und französische Geschäftsnamen tragen, wie oben erläutert, oft den Namen des Gründers. Als Beispiele seien hier noch einmal die Modeschöpfer »Giorgio Armani« aus Italien und »Jean Paul Gaultier« aus Frankreich genannt. Das Niederländische schließlich verdankt seine Präsenz in dieser Statistik der grenznahen Expansion einiger Kaufhaus- (»HEMA«, »Zeeman«), Supermarkt- (»Albert Heijn«) und Dienstleistungsunternehmen (»Randstad«), die in den Ruhrgebietsstädten zahlreich vertreten sind. Niederländisch 25 Französisch 26 Italienisch 29 39 Arabisch Türkisch 197 Englisch 411 0 100 200 300 400 500 Abb. 3.5.2.12: Fremdsprachige Geschäftsnamen (N = 727) Abb. 3.5.2.13: Arabische Buchhandlung in DO-Nordstadt Abb. 3.5.2.14: Türkischer Geschäftsname in DU-Marxloh Abb. 3.5.2.15: Französischer Geschäftsname in DU-Innenstadt Abb. 3.5.2.16: Niederländischer Geschäftsname in BO-Langendreer 3.5.2 GESCHÄFTSNAMEN 201 3.5.3 Gaststätten- und Restaurantnamen Griechisch 1% Chinesisch 1% 2% Französisch Abb. 3.5.3.1: DO-Hörde Abb. 3.5.3.2: E-Altendorf Abb. 3.5.3.3: BO-Langendreer Die Position des Deutschen ist bei den Gastronomienamen mit einem Anteil von weniger als 60 % etwas schwächer als bei den vorher behandelten Namenstypen, den Geschäftsnamen (67 %) und den Familiennamen (70 %). Dies ist angesichts der Beliebtheit und Verbreitung von Restaurants fremdländischer Küche kaum verwunderlich. Abb. 3.5.3.9 berücksichtigt die acht Sprachen, die mit mehr als 10 Gaststätten- und Restaurantnamen in unseren Daten vertreten sind. Der relativ starke Anteil des Englischen an den Gastronomienamen geht nur zum Teil auf die bekannten Burger-Bräter McDonalds, Burger King u. ä. zurück; teilweise kommt er auch dadurch zustande, dass Restaurants mit deutscher oder internationaler Küche sich zunehmend englische Namen zulegen, wie z. B. das Japanische Sushi-Restaurant »Red Sun« in Essen. Ansonsten aber spiegelt sich in der Zusammensetzung der Liste der Sprachen mit den meisten Gastronomienamen die kulinarische Landschaft des Ruhrgebiets. Die Liste der deutschen Gaststättennamen zeigt Tradition und Innovation, regionale Verbundenheit einzelner Gaststätten (Abb. 3.5.3.1, 3.5.3.2, 3.5.3.3, 3.5.3.4) ebenso wie die nationale Verbreitung bekannter Restaurantketten (Abb. 3.5.3.5, 3.5.3.6, 3.5.3.7, 3.5.3.8). Um ein besseres Bild vom Verhältnis der fremdsprachigen Gastronomienamen untereinander gewinnen zu können, zeigt Abb. 3.5.3.10 die Verteilung ohne die deutschen Namen. Wie schon erwähnt, stehen hinter den zahlreichen englischen Gastronomienamen nicht die britische Spezialitätenküche, sondern vornehmlich die großen Hamburger-Ketten, aber auch viele deutsche und internationale Restaurants, die sich mit englischen Namen ein internationales Flair geben wollen, während wir es beim »Italiener«, »Spanier«, »Griechen« oder »Chinesen« in der Regel tatsächlich mit landestypischen Spezialitätenrestaurants zu tun haben. Spanisch Abb. 3.5.3.5: DO-Nordstadt 4% 8% Türkisch 11 % Italienisch 14 % Englisch 59 % Deutsch 0 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Abb. 3.5.3.9: Gastronomienamen (N = 937) Abb. 3.5.3.6: DO-Hauptbahnhof Italienisch 3% Französisch 3% Arabisch 6% 9% Polnisch 20 % Englisch Abb. 3.5.3.7: E-Rüttenscheid 26 % Türkisch 33 % Deutsch 0 10 % 20 % 30 % 40 % Abb. 3.5.3.10: Fremdsprachige Gastronomienamen (N = 388) Abb. 3.5.3.4: BO-Langendreer 202 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.5.3.8: E-Altendorf 3.5.3 GASTSTÄTTEN- UND RESTAURANTNAMEN 203 Abb. 3.5.3.11: Die Verteilung türkischer und italienischer Gastronomienamen in Duisburg und Essen italienische Gastronomienamen (Anzahl: 86) türkische Gastronomienamen (Anzahl: 83) Zu den Größenverhältnissen: 0,5mm Radius entspricht einem Gastronomienamen. Marxloh Duisburg Die lokale Verteilung der »Türken« und »Italiener« in Duisburg und Essen Ein Vergleich der beiden Karten zeigt eine beinah komplementäre Nord-Süd-Verteilung der italienischen und türkischen Gastronomie. Die »Italiener« dominieren die beiden südlichen Stadtteile DU-Innenstadt und E-Rüttenscheid. Von den 48 in unserer Datenbank erfassten Essener Belegen liegen 42 in Rüttenscheid und nur 6 in Altendorf. Noch eindeutiger ist das Zahlenverhältnis in Duisburg: 36 in der Innenstadt, nur 2 in Marxloh. Umgekehrtes gilt für die türki- Marxloh Essen Altendorf Duisburg Rüttenscheid Innenstadt 204 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT schen Zahlen, hier herrscht ein eindeutiges Übergewicht in den nördlichen Stadtteilen: 29:8 in Duisburg, 33:13 in Essen. Diese Zahlen sind Ausdruck der Tatsache, dass die Italiener sich schon seit Langem als Lieblingsrestaurants der Deutschen in den Ausgehvierteln der Mehrheitsbevölkerung etabliert haben, während sich die türkischen Restaurants noch mehrheitlich in den hauptsächlichen Wohngebieten eben dieser Migrantengruppe finden. Essen Altendorf Rüttenscheid Innenstadt 3.5.3 GASTSTÄTTEN- UND RESTAURANTNAMEN 205 3.5.4 Straßennamen Abb. 3.5.4.1: Straßennamen in Dortmund-Hörde als Träger der Erinnerungskultur Abb. 3.5.4.2: Primärer Straßenname in Dortmund (Münsterstraße) Straßennamen sind ein allgegenwärtiger, aufgrund ihrer Häufigkeit, Funktionalität und Einheitlichkeit in Größe, Gestaltung und Anbringung eher unaufdringlicher Bestandteil der Linguistic Landscape einer jeden Stadt. Die äußere Unscheinbarkeit steht allerdings im Widerspruch zu ihrer funktionalen und erinnerungspolitischen Bedeutung. Primär haben Straßennamen eine Orientierungsfunktion innerhalb der Stadt, sekundär kommt in den meisten Fällen eine Erinnerungsfunktion hinzu. Der Straßennamenbestand einer Stadt ist ein Spiegel der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und auch sprachlichen Geschichte und damit ein Instrument der Erinnerungskultur und ein Speicherplatz des kollektiven Gedächtnisses einer Stadtgesellschaft (Frese 2012). Das gerade in den letzten Jahrzehnten gewachsene Interesse an diesem Thema manifestiert sich auch in den Ruhrgebietsstädten in umfangreichen Publikationen zur Herkunft und Deutung der Straßennamen (Bochumer Straßennamen 1993; Lehmkuhl 2013; Dickhoff 1986; Wigge o. J.; Wolters 1998). Historisch betrachtet hatten die Straßennamen zunächst immer einen unmittelbaren Bezug zum lokalen Umfeld, indem sie z. B. Ziel oder Richtung angaben (»Münsterstraße«) oder auf die äußere Beschaffenheit (»Alter Steinweg«), die Lage innerhalb des Ortes (»Nordstraße«) oder ein markantes Gebäude (»Kirchstraße«) hinwiesen. Im Gegensatz zu diesen primären Straßennamen entwickelten sich seit dem 18. Jahrhundert zunehmend die heute überwiegenden sekundären Straßennamen, die nicht mehr über einen direkten Ortsbezug verfügen und bei denen statt dessen die Erinnerungsfunktion überwiegt. Straßennamen als Zeugen der Erinnerungskultur Im Vorwort des Bandes »Bochumer Straßennamen« heißt es über die Bedeutung der sekundären Straßennamen aus lokalpolitischer Sicht: »Ein Straßenname ist ein unspektakuläres und einprägsames Denkmal, das das Andenken an eine Person, einen Ort, ein Ereignis gleichsam unterschwellig wie effektiv im öffentlichen Bewusstsein wachhält. Die Benennung als auch die Umbenennung von Straßen sind somit ein aufschlußreiches Zeitdokument, die Straßennamen im Stadtplan ein Spiegel der lokalen Geschichte. Der Stadtplan zeigt auf, welche Traditionslinien heute als unverfänglich betrachtet werden und mit welcher Geschichte Identifikation stattfinden soll.« Das Problem der Umbenennung von Straßen wird immer dann aktuell, wenn es zu einer Neubewertung von Personen oder Ereignissen kommt, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr für würdig erachtet werden, als Namensgeber einer Straße zu fungieren. Dies ist oft nach politischen Umbrüchen der Fall wie etwa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als viele der zur Zeit des Nationalsozialismus erfolgten Neu- und Umbenennungen von Straßen wieder rückgängig gemacht wurden (Weidner o. J.). Bei den sekundären Straßennamen lassen sich unterschiedliche Motiv- oder Benennungsgruppen unterscheiden, etwa zu historisch (lokal oder überlokal) bedeutsamen Personen und Institutionen, geschichtsträchtigen Orten oder Ereignissen. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf Beispiele mit lokalen Bezügen, die sich drei wichtigen Motivgruppen zuordnen lassen: • Straßennamen, die an vor Ort wirkende Persönlichkeiten erinnern, Abb. 3.5.4.3: Primärer Straßenname in Duisburg (Landgerichtsstraße) 206 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT • Straßennamen mit Bezug zum Bergbau, der das Ruhrgebiet nachhaltig geprägt hat, • Straßennamen, die auf alte Hof- und Flurnamen zurückgehen. Straßennamen, die an vor Ort wirkende Persönlichkeiten erinnern Die Zahl der berühmten und verdienten Männern und Frauen gewidmeten Straßen ist in allen Städten sehr groß. Dabei soll es hier nicht um die national und international bekannten Namen von großen Dichtern, Malern oder Komponisten gehen. Eine »Goethe-, Rembrandt- und Mozartstraße« gibt es in allen vier untersuchten Ruhrgebietsstädten. Jede Stadt aber ehrt darüber hinaus zahlreiche Persönlichkeiten, die sich besondere Verdienste im Bereich der lokalen Politik, Wirtschaft und Kultur erworben haben. Die Stadt Duisburg etwa gedenkt mit der »Claubergstraße« und der »Leidenfroststraße« (Abb. 3.5.4.4, 3.5.4.5) zweier Professoren aus der Zeit der alten Universität Duisburg, die von 1654 – 1818 bestand. Der Theologe und Philosoph Johannes Clauberg (1622 – 1665) war Gründungsrektor der damaligen klevischen Landesuniversität, an der rund hundert Jahre später auch der Theologe und Mediziner Johann Gottlob Leidenfrost (1715 – 1794) lehrte. Als »Leidenfrost-Effekt« bezeichnet man noch heute das »Tanzen« der Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte. Viele weitere Straßen auch außerhalb des Erhebungsgebiets unseres Projekts tragen Namen wichtiger Duisburger Gelehrter, Politiker und Gewerkschafter. Ein Unikum unter den nach Personen benannten Straßennamen stellt die »Horst-Schimanski-Gasse« in Duisburg-Ruhrort dar (Abb. 3.5.4.6), die mit dem von Götz George verkörperten legendären Tatort-Kommissar einer fiktiven Person gewidmet ist, die nicht unwesentlich zur Bekanntheit und zum Image Duisburgs und des Ruhrgebiets beigetragen hat. Im Straßennamenbestand der Stadt Essen finden sich die Namen vieler lokaler Unternehmerpersönlichkeiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In den im Rahmen des Projekts »Metropolenzeichen« untersuchten Stadtteilen sind dies etwa die »Heintzmannstraße«, benannt nach dem Leiter des Essen-Werdenschen Bergamtes Heinrich Heintzmann 3.5.4 STRASSENNAMEN 207 Abb. 3.5.4.4: DU-Innenstadt Abb. 3.5.4.5: DU-Innenstadt Abb. 3.5.4.6: Die Horst-Schimanski-Gasse in Duisburg-Ruhrort Abb. 3.5.4.7: E-Altendorf Abb. 3.5.4.8: E-Rüttenscheid Abb. 3.5.4.9: DO Hauptbahnhof Abb. 3.5.4.10: DO-Nordstadt Abb. 3.5.4.11: DO U-Turm 208 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT (1778 – 1858) (Abb. 3.5.4.7), die »Haedenkampstraße«, nach dem Oberingenieur und Prokuristen der Firma Krupp Hermann Haedenkamp (1843 – 1911) oder die »Girardetstraße«, nach Wilhelm Girardet (1838 – 1918), dem Begründer des bedeutenden Verlags- und Druckereiunternehmens gleichen Namens. Auch die Namen wichtiger Essener Politiker haben es zur Ehre eines Straßennamens gebracht: Die »Zweigertstraße« etwa hält die Erinnerung an den ehemaligen Oberbürgermeister und Ehrenbürger der Stadt Essen Erich Zweigert (1849 – 1906) wach (Abb. 3.5.4.8). Straßennamen, die an lokale Persönlichkeiten erinnern, finden sich zahlreich auch in den von uns untersuchten Bochumer Stadtteilen Hamme und Langendreer. Als Beispiele seien genannt die »Darpestraße«, benannt nach dem Gymnasialprofessor Franz Darpe (1842 – 1911), dem Autor der 1894 erschienenen »Geschichte der Stadt Bochum nebst Urkundenbuch« oder die »Dinnendahlstraße«, nach Franz Dinnendahl (1775 – 1826), der 1799 auf der Zeche Vollmond in Langendreer die erste Dampfmaschine im deutschen Bergbau installierte. Erst relativ spät wurden Opfer des Nationalsozialismus durch die Vergabe ihnen gewidmeter Straßennamen geehrt. So erhielt die »Wilhelm-Morfeld-Straße« in BO-Hamme erst 1971 ihren Namen, der an den Sozialdemokraten Wilhelm Morfeld (1886 – 1933) erinnert, einen anerkannten Verfolgten des Naziregimes. In der Dortmunder Nordstadt erinnert die »Paul-Winzen-Straße« an den Gründer der Dortmunder Widerstandsgruppe »Neuer Sozialismus«, Paul Winzen (1911 – 1942), der in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde (Abb. 3.5.4.9). Auch Persönlichkeiten, die das künstlerische und kulturelle Leben der Städte geprägt haben, finden sich als Namensgeber für Straßen. Die »Carl-Holtschneider-Straße« in der Dortmunder Nordstadt ist benannt nach einer der prägenden Persönlichkeiten der Dortmunder Musikgeschichte, Carl Holtschneider (1872 – 1951), der als Organist und Musikdirektor an der Reinoldikirche wirkte (Abb. 3.5.4.10). Der »Emil-Moog-Platz« ehrt den Architekten und Erbauer des Dortmunder U, Emil Moog (1873 – 1954) (Abb. 3.5.4.11). Straßennamen mit Bezug zum Bergbau Ein bedeutendes Straßennamensreservoir für das Ruhrgebiet ist der Bergbau und die damit zusammenhängende Schwerindustrie. So erinnert ein Namenverbund von vier benachbarten Straßen in Bochum an die Zeche Präsident: »Zechenstraße, Präsidentstraße, Schachtstraße und Seilfahrt«. »Zechenstraße und Präsidentstraße« erinnern beide an die ehemalige Bochumer Zeche Präsident, die Mitte des 19. Jahrhundert eine der größten Zechen im Revier war. Der 1871 – 73 abgeteufte Schacht II der Zeche Präsident gab der heutigen »Schachtstraße« ihren Namen, während »Seilfahrt« ein Begriff aus der Fachsprache des Bergbaus ist, mit dem man die Beförderung von Personen mit dem Förderkorb bezeichnet (Abb. 3.5.4.12, 3.5.4.13.) Auch in der Dortmunder Nordstadt finden wir nah beieinander ein Bündel von Straßennamen, die an die große Zeit des Ruhrbergbaus erinnern: »Glückauf-, Steiger-, Schlägel-, Strecken- und Stollenstraße«. Nach dem schon länger zurückliegenden Ende des Kohleabbaus in weiten Teilen des Ruhrgebiets sind diese Namen heutzutage auch für viele Ruhrgebietsbewohner, aber erst recht für Außenstehende erklärungsbedürftig. »Glück auf!« ist der schon seit dem 17. Jahrhundert überlieferte Bergmannsgruß, der sich in den Bergbaugebieten zu einer allgemeinen Grußformel entwickelt hat, die auch heute noch vielfach Verwendung findet. (Abb. 3.5.4.14) Mit »Schlägel« wird der Hammer des Bergmanns bezeichnet, der in vorindustrieller Zeit in Verbindung mit dem Bergeisen zum Abbau der Kohle benutzt wurde. Der Begriff »Steiger«, der eine verantwortliche Aufsichtsperson unter Tage bezeichnet, ist vielen bekannt aus dem populären Bergmannslied »Glück auf, der Steiger kommt«. »Stollen und Strecken« schließlich sind Fachbegriffe aus der Sprache des Bergbaus, die verschiedene Formen unterirdischer Gänge bezeichnen. Abb. 3.5.4.12: BO-Hamme Abb. 3.5.4.13: BO-Hamme Abb. 3.5.4.14: Bergmannsgruß »Glückauf« mit Schlägel und Eisen über dem Eingang des Verwaltungsgebäudes der Zeche Alte Haase in Sprockhövel 3.5.4 STRASSENNAMEN 209 Straßennamen, die auf alte Hof- und Flurnamen zurückgehen Viele Straßennamen gehen auf alte Flur- oder Hofnamen zurück. Da gerade diese Namen oft noch erkennbare Merkmale der ursprünglichen niederrheinisch-niederfränkischen Sprache des westlichen Ruhrgebiets bzw. der westfälisch-niederdeutschen Sprache des östlichen Ruhrgebiets aufweisen, sind sie auch Zeugnisse der inneren Mehrsprachigkeit des Ruhrgebiets. Häufig enthalten solche Straßennamen regionalsprachliche Wörter, die sich von den hochdeutschen Entsprechungen deutlich unterscheiden. Der Straßenname »Am Gröppersweg« in BO-Langendreer enthält niederdeutsch »gröpper, gröper« (=Töpfer). Der niederdeutsche Vogelname Exter in dem Bochumer Flur- und Straßennamen »Externest entspricht der hochdeutschen Elster. Rein niederdeutsch ist auch der Straßenname »Schölerpad« (hochdeutsch Schülerpfad) in E-Altendorf (Abb. 3.5.4.15). Die Straße wurde 1902 nach einer der ältesten Zechen des Ruhrgebiets benannt (vgl. Dickhoff 1986, S. 245). Die Zeche Schölerpad hat ihren Namen im 17. Jahrhundert von der Gründungsgesellschaft, der »Borbecker Gesellschaft am Schölerpad«, erhalten, die sich ihrerseits also nach einem bereits vorhandenen niederdeutschen Straßennamen benannt hatte, der ursprünglich einmal den Weg zu einer Schule bezeichnete. Straßennamen, die auf niederfränkische oder niederdeutsche Flurbezeichnungen im engeren Sinne zurückgehen, sind etwa »Paschacker« (Pasch zu lat. pascuum = Weideland) in Duisburg oder »Braukloh« (Bruchwald), »Am Brauckacker« oder »Lütkenbrauk« (lüt = klein) in Essen. Besonders weit verbreitet sind einige für den niederrheinischwestfälischen Raum typische Grundwörter, die jeweils den zweiten Teil einer Namenszusammensetzung bilden. Zumeist sagen sie etwas über die Grundbeschaffenheit, Lage oder Nutzung der bezeichneten Flurstücke aus. Besonders zahlreich finden sich auch im Ruhrgebiet etwa Straßennamen auf »-kamp« (aus lat. »campus«=Feld), »-beck (zu mnd. »beke« = Bach) oder »-siepe, -siepen« (niederdeutsch »siepe« = enges Tal mit Bachlauf oder eine feuchte, sumpfige Niederung). »Kamp«-Namen gibt es in allen Ruhrgebietsstädten zahlreich. Auch der erste Teil des Namens hat häufig eine niederdeutsche Form: In Bochum gibt es u. a. »Duwenkamp« (Duwe = Taube) und »Peddenkamp« (Pedde = Kröte), Bochum und Dortmund kennen jeweils eine Straße »Am Beisenkamp« (Beise = Binse). In Essen gibt es den »Nottebaumskamp« (Nottebaum = Nussbaum). Duisburger Beispiele sind »Auf dem Flaskamp« (Flas = Flachs), »Elsenkamp« (Else = Erle), »Scheperskamp« (Scheper = Schäfer) und die »Waterkampstraße« (Water = Wasser). Den Bezug zu einem nahegelegenen Bach (niederdeutsch »Beck, Beke«) dokumentieren die Straßennamen »An der Bredenbeck« (bred = breit), »In der Schuttenbeck« in Bochum (Abb. 3.5.4.16), »Appelbecke«, »Dünnebecke« und die »Deipenbeckstraße« (deip = tief ) in Dortmund, der »Deipenbeckstalweg« in Duisburg sowie der »Limbecker Platz« und die »Limbeckerstraße« in Essen, die im 16. Jahrhundert noch »Lyndenbekerstrat« hieß, also auf eine Lindenbeke = Lindenbach zurückgeht. Auch Straßennamen mit dem niederdeutschen Wort »Siepe(n)« finden sich in allen vier Ruhrgebietsstädten. Einige Beispiele: »Am Siepen, Feldsieper Straße« (Abb. 3.5.4.17) und »Kohlensiepen« in Bochum, »Am Langensiepen« und »Bökensiepen« (Böken = Buchen) in Essen, »Am Siepenkothen« in Duisburg und »Am Siepenhohl« und »Düwelssiepen« (Düwel = Teufel) in Dortmund. Straßennamen als Zeugnisse innerer und äußerer Mehrsprachigkeit Abb. 3.5.4.15: E-Altendorf Abb. 3.5.4.16: BO-Langendreer Bei den zuletzt beschriebenen Straßennamen, die auf alte Flurnamen zurückgehen, wurden bewusst Beispiele gewählt, die die ältere sprachliche und dialektale Basis der Sprache im Ruhrgebiet verdeutlichen. In allen Fällen haben wir also Zeugnisse der inneren Mehrsprachigkeit vor uns, die im Ruhrgebiet an die niederfränkische und westfälische Sprachvergangenheit dieser Region erinnern. In den nach Personen benannten Straßen, die einen Familiennamen enthalten, finden sich Zeugnisse äußerer und innerer Mehrsprachigkeit in derselben Weise, wie es oben bei den Familiennamen beschrieben wurde. Aber anders als bei Praxis- und Geschäftsschildern, die ein beredtes Zeugnis aktueller sprachlicher Vielfalt in Form innerer und äußerer Mehrsprachigkeit bieten, finden sich auf Straßenschildern kaum Namen fremder Herkunft. Ausnahmen sind etwa die »Girardetstraße« in Essen, deren Namensgeber aus einer ursprünglich hugenottischen, d. h. französischen Familie stammt, und die »Horst-Schimanski-Gasse« in DU-Ruhrort, die einer fiktiven Persönlichkeit mit einem ursprünglich polnischen Namen gewidmet ist. Da es in der Regel eines größeren zeitlichen Abstands bedarf, bevor eine Person »straßennamenwürdig« wird, wird es wohl noch lange dauern, bis die Migration der letzten Jahrzehnte einen sichtbaren Niederschlag in den Straßennamen findet. Abb. 3.5.4.17: BO-Hamme 210 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.5.4 STRASSENNAMEN 211 Typografie (von griechisch τύπος ›Zeichen, Figur, Muster‹ und γράφειν ›schreiben, ritzen‹) bezeichnet nach heutigem Verständnis nicht nur die Gestaltung von und mit Satzschriften auf Buchseiten, sondern auf allen denkbaren Medien wie Bildschirmen, Innen- und Außenräumen, Gebäudefassaden, Verkehrsschildern, Produktverpackungen, Bekleidung etc. 3.6 Sprache und Schrift 3.6.1 Schriftsysteme Durch Sprechen und Schreiben zeigen Menschen sich, setzen sich mit Anderen in Beziehung und schaffen auf diese Weise soziale Wirklichkeit. In der Öffentlichkeit positionieren, visualisieren und verorten Akteure sich durch Schrift im physischen Stadtraum gleichermaßen wie im sinnbildlichen sozialen Handlungsraum (vgl. Spitzmüller 2013: 1). »Being visible may be as important for minority languages as being heard« (Gorter et al. 2012: 1). Schriftsprachliche Äußerungen sind an eine wahrnehmbare Materialität gebunden, seien dies Druckfarben auf einem Plakat, Lichtimpulse einer Digitalanzeige, Kunststofflettern eines Geschäfts oder die Prägungen in Metall auf einem Hydranten. Sowohl die Erscheinung als auch die Lehre dieser geformten Materialität von Schrift ist die Typografie. Stöckl (2005:15) bezeichnet sie als den »Körper des Textes« und betont damit, dass »Schrift, Layout und grafisches Material überhaupt erst die Voraussetzung eines schriftlich verfassten Textes« sind, seine »unverzichtbare Lebensgrundlage, der Ort und der Stoff seiner Existenz«. Dabei prägen die formalen Ausgestaltungen von Schrift (Zeichenmaterialität, Größe, Farbe und Schriftart) die Erscheinung und Wirkung eines Textes mit (vgl. Spitzmüller 2013: 207). »Die Form spricht mit, unausweichlich. Jede Gestaltung interpretiert, neutrale Typographie gibt es nicht, so wenig wie es neutrales Sprechen geben kann« (Willberg 2000: 51). In der Metropole Ruhr finden sich 52¹ Sprachen und 13 unterschiedliche Schriftsysteme. Am häufigsten ist im »Metropolenzeichen«-Korpus das lateinische Schriftsystem (mit 24 365 Belegen), da die vorkommenden Sprachen in der Mehrzahl in lateinischen Lettern geschrieben werden, gefolgt von den folgenden Schriftsystemen: Arabisch (107 Belege), Chinesisch (44), Kyrillisch (42), Japanisch (28), Koreanisch (14), die indische Schrift Tamil (9), Thai (9), Griechisch (8), Hebräisch (2), die äthiopische Schrift Abugida (2) sowie die indischen Schriften Devanagari (2) und Singhali (1). Schriftsysteme sind Gruppen von Zeichen, die gemeinsam eine Schrift bilden und mit denen meist mehrere Sprachen geschrieben werden können. Schriftsysteme sind in dieser Hinsicht unabhängig von Sprachen. Laut dem Schriftzeichenverzeichnis Unicode gibt es 66 bis heute verwendete Schriftsysteme (www.decodeunicode.org). Das lateinische ist ebenso wie das griechische und kyrillische ein alphabetisches Schriftsystem. Arabisch und Hebräisch hingegen sind Konsonantenschriften und notieren in der Regel keine Vokale. Die japanischen Schriftsysteme Kana (Hiragana und Katakana) sind Silbenschriften. Das chinesische Schriftsystem ist ebenso wie die japanischen Kanji ein logographisches Schriftsystem. Das heißt, es werden nicht wie in Alphabetschriften einzelne Laute grafisch mit Zeichen dargestellt, die erst in ihrer Kombination ein Wort ergeben, sondern ein logographisches System bildet in jedem Zeichen ganze Wörter und Begriffe ab. Um alle Begriffe der Welt in ganzen Zeichen abzubilden, braucht es verständlicherweise eine äußerst hohe Anzahl von Zeichen. Das chinesische Schriftsystem umfasst ca. 87 000. Daraus lässt sich schlussfolgern: Je abstrakter ein Schriftsystem (wie das Lateinische), desto geringer ist die benötigte Zeichenzahl, und je konkreter ein Schriftsystem (wie das Chinesische), desto mehr Zeichen werden gebraucht. In Schriftsystemen wie Abugida werden einzelne Buchstaben zu Silben gruppiert ebenso wie in vielen indischen Schriften, darunter auch Devanagari und Tamil. Mit dem Schriftsystem Devanagari können elf der 122 indischen Sprachen geschrieben werden, unter anderem Hindi und Sanskrit (www.censusindia.gov.in). Es gibt auch Sprachen, die in verschiedenen Schriftsystemen notiert werden, je nachdem, wo sie geschrieben werden. Das Kurdische z. B. wird im Iran und in Irak in arabischen, in Russland in kyrillischen und in der Türkei sowie in der Metropole Ruhr in lateinischen Lettern geschrieben. Das Serbische findet sich im »Metropolenzeichen«-Korpus sowohl in kyrillischen als auch in lateinischen Buchstaben. 1Albanisch, Amharisch, Arabisch, Armenisch, Aserbeidschanisch, Bosnisch, Bulgarisch, Chinesisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Hebräisch, Hindi, Isländisch, Igbo, Indonesisch, Irisch, Italienisch, Japanisch, Katalanisch, Koreanisch, Kroatisch, Kurdisch, Latein, Lingala, Malaiisch, Nepalesisch, Niederländisch, Norwegisch, Persisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, Serbisch, Shona, Singhalesisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Suaheli, Tamilisch, Thailändisch, Tschechisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch Abb. 3.6: BO-Langendreer 212 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.6.1 SCHRIFTSYSTEME 213 Verteilung der Schriftsysteme auf die Diskurstypen Abb. 3.6.1.1: Tamil Schriftzeichen Abb. 3.6.1.2: Lateinische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.3: Japanische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.4: Hebräische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.5: Arabische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.6: Koreanische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.7: Devanagari Schriftzeichen Abb. 3.6.1.8: Chinesische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.9: Thai Schriftzeichen Abb. 3.6.1.10: Singhali Schriftzeichen Abb. 3.6.1.11: Kyrillische Schriftzeichen Abb. 3.6.1.12: Griechische Schriftzeichen Eindrücklich ist die Tatsache, dass 81,5 % aller 287 Belege in nicht-lateinischen Schriftsystemen im »Metropolenzeichen«-Korpus dem kommerziellen Diskurstyp angehören. Damit wird deutlich, dass Schrift sich – wie schon in der Zeit ihrer Entstehung zwischen Mesopotamien und Griechenland – dann verbreitet, wenn sie dem Handel dient. Mittler sind dabei häufig der Lebensmittelhandel und die Gastronomie. Aber auch das Handeln mit Schrift und Sprache selbst ist im Stadtraum ersichtlich – in Übersetzungsbüros oder im Annoncieren der Dienstleistungen von Ärzten, Juristen und Friseuren. Es fällt auf, dass es im künstlerischen ebenso wie im regulatorischen Diskurstyp nicht ein einziges Zeichen im »Metropolenzeichen«-Korpus gibt, das nicht in lateinischen Lettern geschrieben ist. Im infrastrukturellen Diskurstyp beläuft sich das Vorkommen auf gut 1 %. Dabei handelt es sich um drei Aufkleber auf Mülltonnen, die Übersetzungen in arabischen und kyrillischen Lettern anbieten. Ähnlich verhält es sich im kommemorativen Diskurstyp: Hier ist nur die Fassade des Helmholtz-Gymnasiums in DO-Nordstadt mit den drei Schriftsystemen Latein, Arabisch und Kyrillisch gestaltet. Im transgressiven Diskurstyp zeigen sich 16,0 % der Texte in nicht-lateinischen Lettern (in lateinischen Schriften sind es 38,6 %). Bei diesen Items handelt es sich zum einen um Sticker, die zwar unerlaubt (transgressiv) platziert wurden, aber ebenso einen kommerziellen Zweck verfolgen wie die Werbung für ein E-Commerce-Business (Abb. 3.6.1.14) in vielen unterschiedlichen Schriftsystemen. Eine andere Gruppe transgressiver Zeichen, die durch besonders versierte Anbringung und engagierte Multilingualität und Multiskriptualität auffallen, sind großflächige Aufkleber für eine Kampagne von medibueros.org, einer Einrichtung, die medizinische Versorgung für Menschen ohne Papiere anbietet. Bei dieser Platzierung werden runde Straßenschilder offenkundig abgeschraubt, sorgfältig von hinten beklebt und wieder anmontiert. Insgesamt finden sich 11 der 13 Schriftsysteme im »Metropolenzeichen«-Korpus auf diesen Schildern. Einige Sprachen wie Amharisch, Aserbaidschanisch, Estnisch, Igbo, Indonesisch, Lingala, Nepali und Ukrainisch sowie die drei Schriftsysteme Abugida, Devanagari und Hebräisch finden sich ausschließlich auf Aufklebern von medibueros.org (Abb. 3.6.1.4, 3.6.1.7 und 3.6.1.13). In den handschriftlichen transgressiven Zeichen ist fast keine nicht-lateinische Schriftlichkeit auszumachen. Es gibt ein einziges Tag im griechischen sowie eines im arabischen Schriftsystem (Abb. 3.6.1.15). Abb. 3.6.1.13: Abugida Schriftzeichen Abb. 3.6.1.14: Werbung E-Commerce-Business 214 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.6.1.15: Arabisches Tag 3.6.1 SCHRIFTSYSTEME 215 3.6.2 Schriftarten Innerhalb der einzelnen Schriftsysteme gibt es unterschiedliche Arten, dieses eine Schriftsystem formal auszugestalten. Diese sogenannten Schriftarten beruhen zum einen auf verschiedenen historischen Traditionen, in denen mit diversen Schreibwerkzeugen und Drucktechniken gearbeitet wurde. Zum anderen wurden sie für divergierende Anwendungen entworfen und spiegeln Moden und Stile unterschiedlicher Epochen. Dies gilt gleichermaßen für alle Schriftsysteme. Die formale Ausgestaltung einer Schrift trägt dazu bei, dass Buchstaben nicht nur Textinhalte ausdrücken können, sondern auch Gefühlseindrücke und ästhetische Anmutung vermitteln sowie Referenzen zu Zeiten und Kulturen setzen. Hier werden die Vorkommen im lateinischen Schriftsystem betrachtet, und es wird beschrieben, in welchen Diskurstypen und Sprachen welche Schriftarten vorkommen. Abb. 3.6.2.1: Antiqua-Schrift Abb. 3.6.2.2: Grotesk-Schrift Abb. 3.6.2.3: Serifenbetonte Schrift Abb. 3.6.2.4: Skripturale Schrift Abb. 3.6.2.5: Gebrochene Schrift Abb. 3.6.2.6: Dekorschrift Abb. 3.6.2.7: Handschrift Abb. 3.6.2.8: Graffitis Abb. 3.6.2.9: Tags Die Schriftarten im lateinischen Schriftsystem wurden in der »Metropolenzeichen«-Datenbank dem Vorschlag des Deutschen Instituts für Normierung e. V. aus dem Jahre 1998 folgend auf Basis einer reduzierten Form der DIN-Klassifizierung Nr. 16518 von 1964 verschlagwortet und um die Gruppe 6 und 7 erweitert 1. Antiqua-Schriften Römische Serifen-Schriften – mit Strichstärkenvariationen und »Füßchen« (Serifen) an den Stämmen 2. Grotesk-Schriften Lineare serifenlose Schriften – mit geringer 3. Serifenbetonte Schriften Egyptienne – mit geringer Strichstärkenvariation 4. Skripturale Schriften am Computer gezeichnete Schreibschriften, 5. Gebrochene Schriften Schriften mit Bogenbrechungen 6. Dekorschriften Schriften, die bildliche und dekorative Elemente Strichstärkenvariation ohne »Füßchen« und schweren eckigen »Füßchen« die keine Handschriften sind enthalten oder manipuliert wurden und nicht in eine der vorherigen Gruppen passen 7. Handschriften, Graffitis und Tags tatsächlich von Hand im Stadtraum geschriebene Schriften 216 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.6.2 SCHRIFTARTEN 217 Abb. 3.6.2.11: Handschriftliches transgressives Zeichen 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.6.2.12: Dekorschriften auf Stickern im transgressiven Diskurstyp ura le S ch ri fte n1 2,4 % -S 67,4 % Grotesk ften a-Schri 17,4 % en Abb. 3.6.2.15: Skripturale Schrift im kommerziellen Diskurstyp ,G raf fitis un dT ag s2 4,8 % Abb. 3.6.2.14: Ein kommemoratives Zeichen in Gebrochener Schrift Antiqu chriften rift Abb. 3.6.2.10: Verteilung der lateinischen Schriftarten auf die Diskurstypen Die Prozentzahlen geben an, wie viele der Belege eine Schriftart zeigen. Dabei ist zu beachten, dass auf vielen Fotos ein Beleg abgebildet ist, wie beispielsweise ein Sticker, auf dem mehrere verschiedene Schriftarten gemeinsam vorkommen, wie beispielsweise Dekor- und Groteskschriften. ipt sch Schreibschrift skr nd Gebrochen Abb. 3.6.2.13: Gebrochene Schrift auf Sticker im transgressiven Diskurstyp Ha Graffitis & Tags Serifenbetont 3,6 % Dekor transgressiv chriften Grotesk regulatorisch etonte S Antiqua künstlerisch % kommerziell ,7 11 kommemorativ en infrastrukturell rift 0 sch 30 kor 60 De 90 Bei der Verteilung der Schriftarten in den einzelnen Diskurstypen zeigen sich folgende Besonderheiten: Die 1709 infrastrukturellen Zeichen sind zu 99,1 % und die 1264 regulatorischen Zeichen zu 97,8 % in einer Grotesk-Schriftart gesetzt. Die offizielle staatliche Kommunikation, also die Top-down-Kommunikation, verwendet demnach fast nur eine Schriftart: Grotesk – eine Schriftart, die formal zurückhaltend und sachlich wirkt sowie gut lesbar ist. Dies ist ein gleichermaßen eindeutiges Ergebnis wie die Tatsache, dass 99,5 % der infrastrukturellen und 98,0 % der regulatorischen Zeichen die deutsche Sprache verwenden. Im kommerziellen Diskurs, als Bottom-up-Kommunikation, sind im Gegensatz dazu deutlich mehr Mehrsprachigkeit und eine höhere Diversität der unterschiedlichen Schriftarten zu beobachten: Im kommerziellen Diskurstyp finden sich zwar auch immer noch 83,5 % Grotesk-Schriften, aber zudem 26,5 % Antiqua-Schriften, 18,1 % skripturale Schriften, 9,5 % Dekorschriften, 6,7 % handschriftliche Notizen, 2,5 % gebrochene Schriften und 1,9 % serifenbetonte Schriften. Im kommerziellen Diskurs wird im Stadtraum um Kunden geworben, und dieses Werben wird von expressiveren Schriften unterstützt. In Abgrenzung zum benachbarten Konkurrenten ist es hier sinnvoll, Schriften zu wählen, die zwar auch dem Primat guter Lesbarkeit folgen, die sich aber dennoch abheben, die eigene Position unterstützen und gewünschte Konnotationen an den Betrachter transportieren. Im transgressiven Diskurstyp dagegen zeigen sich selbstverständlich vornehmlich handgemachte Buchstaben in Tags und Graffitis mit 39,0 %. Zudem findet sich in diesem Diskurstyp die größte Gruppe an Dekorschriften mit 18,5 %, die auf variantenreichen und vielfältig gestalteten Stickern sichtbar sind. In der urbanen Sticker-Kultur werden Statements unterschiedlicher Gruppierungen (Musik-Szenen, politische Aktivisten, Fußballfans, Sticker-Künstler und Graffiti-Crews) im Stadtraum platziert. Hier haben Kreativität, Variation und Individualität offenbar Vorrang, und gute Lesbarkeit wird nebensächlich (Abb. 3.6.2.12 und 3.6.2.13). Der größte Anteil der gebrochenen Schriften findet sich im kommemorativen Diskurstyp mit 5,1 %. Diese gotische Schriftform blieb in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, in denen sie verwendet wurde, am längsten erhalten – bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts; daher sind gotische Schriftformen häufig auf historischen Gebäuden und auf Gedenktafeln zu finden (Abb. 3.6.2.14). gebrochene Schriften 1,7 % Verteilung der Schriftarten in Diskurstypen 120 218 serifenb 150 Abb. 3.6.2.17: Verteilung der lateinischen Schriftarten bezogen auf das Gesamtkorpus Abb. 3.6.2.16: Regulatorische Typografie in Grotesk-Lettern 3.6.2 SCHRIFTARTEN 219 Kommerzielle Zeichen im Vergleich zu regulatorischen Zeichen in DO-Nordstadt ra ra ße ße Kommerzielle Zeichen im Vergleich zu regulatorischen Zeichen in E-Rüttenscheid er st 224 224 Schreibschrift Antiqua 0,5 % 1,0 % 1,3 % % 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 2,2 % % ,8 % Abb. 3.6.2.18: kommerzielle Zeichen in E-Rüttenscheid (s. Karte) und deren Verteilung auf die Schriftarten Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 220 4,8 5,4 A nt reib sch rift 14,5 % 55,2 % Grotesk 9 6, 20 54 gs r Sch % 55,8 % a iqu hne & Ta ko % 10 ,8 Serifenbetont ffitis De 1,1 % 2,4 % 0,9 % 1,9 % 4,2 % 5,6 ft Gebroce Gra Schreibschrift Antiqua Gebrochen etont Tags r ch ri Serifenb fitis & ko ibs 54 224 Graf De Sc hre Uhlandstra Uhlandstra ße ße Paulinen Paulinen straße straße Ho Ho lst lst er er ha ha us us er st 224 5% Gro Grotesk 98 tes k ,6 16 An Abb. 3.6.2.19: regulatorische Zeichen in E-Rüttenscheid (s. Karte) und deren Verteilung auf die Schriftarten Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. t % ,5 % Gr ote sk a iqu Abb. 3.6.2.20: kommerzielle Zeichen in der Nordstadt (s. Karte) und deren Verteilung auf die Schriftarten Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. Abb. 3.6.2.21: regulatorische Zeichen in der Nordstadt (s. Karte) und deren Verteilung auf die Schriftarten Punkte markieren die Fundorte von Fotos. Je dunkler die Farbe, desto mehr Aufnahmen wurden im jeweiligen Umkreis gemacht. 3.6.2 SCHRIFTARTEN 221 Verteilung der Schriftarten in Sprachen Abb. 3.6.2.22: Restaurant Abb. 3.6.2.23: Zigarrengeschäft Abb. 3.6.2.24: internationale Biermarke Abb. 3.6.2.25: spanische Bank Abb. 3.6.2.26: Telekommunikationsunternehmen Abb. 3.6.2.27: deutsche Biermarke Abb. 3.6.2.28: Musikband Abb. 3.6.2.29: Kleidungslabel Abb. 3.6.2.30: Partyveranstalter Abb. 3.6.2.31: Fußballfanverein Abb. 3.6.2.32: soziale Gruppierungen Abb. 3.6.2.33: Graffiticrew Abb. 3.6.2.34: Restaurant Abb. 3.6.2.35: Café Abb. 3.6.2.36: Friseursalon Abb. 3.6.2.37: Ladengeschäft 222 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Bei der Verteilung der Schriftarten in den zehn Sprachen im lateinischen Schriftsystem mit einem Vorkommen von insgesamt über vierzig Belegen fallen zunächst eine Reihe von Gemeinsamkeiten ins Auge: Die Verwendung von Grotesk-Schriften ist in allen Sprachen recht hoch (von 75 % im Portugiesischen bis zu 97 % in niederländischen Texten), die Verwendung von gebrochenen Schriften hingegen überall gleichermaßen niedrig (zwischen 2,5 % in lateinischen Texten und 0 % Vorkommen im Polnischen und Portugiesischen). Dekorschriften und skripturale Schriften kommen fast ausschließlich im kommerziellen und transgressiven Bereich vor. Vergleicht man das prozentuale Mittelfeld, fallen jedoch ein paar Gewichtungen auf: In der Verteilung der Antiqua-Schriften z. B. wird erkennbar, dass in den Texten in deutscher Sprache mit 20,9 % die wenigsten Antiqua-Schriften gefunden wurden und im Gegensatz dazu im Spanischen mit 43,0 % die meisten. Schaut man in die spanischen Texte im kommerziellen Bereich, so zeigen sich eine Reihe von Restaurants (Abb. 3.6.2.22), ein Zigarrengeschäft (Abb. 3.6.2.23), ein bekanntes spanisches Bier (Abb. 3.6.2.24) und eine spanische Bank (Abb. 3.6.2.25), die im Stadtraum umfänglich mit Antiqua-Schriften werben. Im Gegensatz dazu wirbt keine der vielen deutschsprachigen Banken in unserem Korpus mit einer Antiqua-Schrift im Wortsignet – alle verwenden Grotesk-Schriften. Hingegen wählen aber ein großes deutsches Telekommunikationsunternehmen (Abb. 3.6.2.26) und auch einige deutsche Biermarken (Abb. 3.6.2.27) ebenfalls Antiqua-Schriften. Nur 20 % der Texte in deutscher Sprache in unserem Korpus sind in Antiqua-Schriften gehalten, wohingegen die Texte in den Landessprachen Italienisch, Französisch und Spanisch mit 33–43 % deutlich darüber liegen. Es mag Zufall sein, könnte aber vielleicht auch damit zu tun haben, dass man sich in diesen Ländern seit Beginn des 16. Jahrhunderts zügiger von den schweren gebrochenen Schriften ab- und den leichten, auf antiken Vorbildern beruhenden romanischen Antiqua-Schriften für den Druck zuwendete. In englischen und türkischen Texten zeigen sich mit insgesamt 22,6 % und 19,8 % vergleichsweise viele Dekorschriften. Betrachtet man, wie sich die Dekorschriften in englischen Texten auf die Diskurstypen verteilen, fällt auf, dass sich der kleinere Anteil mit 31,6 % im kommerziellen Diskustyp findet und der wesentlich größere Anteil mit 69,4 % im transgressiven Diskurstyp. Dies liegt daran, dass ein Großteil der urbanen Subkulturen – von Musik- (Abb. 3.6.2.28) und Kleidungslabeln (Abb. 3.6.2.29) über Partyveranstalter (Abb. 3.6.2.30), Fußballfangruppen (Abb. 3.6.2.31) und soziale Gruppierungen mit gesellschaftlichen Anliegen (Abb. 3.6.2.32) bis zu Graffiticrews (Abb. 3.6.2.33) – mit expressiv gestalteten Stickern in Dekorschriften in englischer Sprache agiert. In den türkischsprachigen Texten in Dekorschriften verhält es sich genau umgekehrt: Nur 23,9 % sind im transgressiven Diskurstyp zu finden, 75,2 % hingegen im kommerziellen Diskurstyp. Damit finden sich in türkischsprachigen kommerziellen Texten 26,9 Prozentpunkte mehr Dekorschriften als im Durchschnitt der anderen untersuchten Sprachen. Zum einen liegt dies an einer gehäuften Verwendung von Schriften mit ornamentalen Elementen, die als »orientalisch« interpretiert werden können. Man findet sie in Restaurants (Abb. 3.6.2.34), Cafés (Abb. 3.6.2.35), Friseursalons (Abb. 3.6.2.36) und Ladengeschäften (Abb. 3.6.2.37). Zum anderen zeigt sich eine kulturelle Referenz in Dekorschriften, die in den Formen einzelner Lettern Assoziationen zum arabischen Schriftsystem auslöst. Diese Dekorschriften finden sich an Kleiderläden (Abb. 3.6.2.39) und Arztpraxen (Abb. 3.6.2.40). Darüber hinaus sind viele türkischsprachige Veranstaltungsplakate und Ladenbeschilderungen im Korpus, in denen die Gestalter Mut zu außergewöhnlicher Schriftwahl bewiesen haben (Abb. 3.6.2.38). Abb. 3.6.2.38: außergewöhnliche Schriftwahl bei einem Fotostudio 3.6.2 SCHRIFTARTEN 223 Die skripturalen Schriften sind in allen untersuchten Sprachen im kommerziellen Bereich häufiger als im transgressiven Bereich und kommen in den anderen Diskurstypen kaum vor. Im Polnischen und Türkischen sind die skripturalen Schriften im kommerziellen Diskurstyp mit 93,3 % und 92,0 % am häufigsten. In polnischen Texten handelt es sich dabei hauptsächlich um polnische Namen in skripturalen Schriften an Ladengeschäften (Abb. 3.6.2.41). In türkischen Texten sind es meist variantenreiche Gastronomiebeschilderungen mit unterschiedlichsten skripturalen Schriften (Abb. 3.6.2.42). Viele Texte sind auch in skripturalen Schriften gehalten, die eine gewisse Nähe zu den als Dekorschriften klassifizierten ornamentalen Schriften mit Schlingeln und Schnörkeln zeigen (Abb. 3.6.2.43). Auch bei Texten in italienischer Sprache ist der Anteil im kommerziellen Diskurstyp mit 87,5 % hoch und zeigt sich hier ebenso vornehmlich im Bereich der Gastronomie (Abb. 3.6.2.44). Der gleichfalls im kommerziellen Bereich mit 88,0 % hohe Anteil der französischen Texte zeigt sich anders als im Türkischen und Italienischen weniger in der Gastronomie als vielmehr an Ladengeschäften im Bereich Mode (Abb. 3.6.2.45), Kosmetik (Abb. 3.6.2.46), Pâtisserie (Abb. 3.6.2.47) und Antiquitäten (Abb. 3.6.2.48). Die beiden Sprachen der Fokus-Untersuchung, die nicht ein rund 90-zu-10-Prozent-Verhältnis kommerzieller zu transgressiver skripturaler Schriften aufweisen, sind die Texte in englischer und spanischer Sprache. Hier beträgt das Verhältnis kommerzieller zu transgressiven skripturalen Schriften rund 60 % zu 40 %; damit liegt dort der Anteil unerlaubter Anbringungen deutlich höher. Dafür sind in beiden Sprachen, ähnlich wie zuvor für die Dekorschriften in englischer Sprache, Subkultur-Sticker von Bands (Abb. 3.6.2.49), Initiativen (Abb. 3.6.2.50) und Sticker-Artists (Abb. 3.6.2.52) verantwortlich, die sich der variantenreichen, expressiven, individualistischen Ausdrücke skripturaler Schriften in ihren Public Statements bedienen. Abb. 3.6.2.52: Sticker-Artist 200 160 120 Abb. 3.6.2.39: Kleiderladen Abb. 3.6.2.40: Arztpraxis Abb. 3.6.2.41: Ladengeschäft Abb. 3.6.2.42: Gastronomie 80 40 224 Abb. 3.6.2.48: Antiquitäten-Geschäft 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 3.6.2.49: Musikband Abb. 3.6.2.50: Initiative Grotesk Dekor Graffitis & Tags Gebrochen Schreibschrift ch kis Tü r isc h Sp es gi Po r tu an isc h sc h ni nd rlä de ie N Abb. 3.6.2.47: Konditorei Antiqua Po l isc h in te La sc h ni lie It a sis zö Fr an ts eu D ch 0 isc h Abb. 3.6.2.46: Kosemetiksalon gl Abb. 3.6.2.45: Modegeschäft En Abb. 3.6.2.44: Pizzeria ch Abb. 3.6.2.43: Plakat Serifenbetont Abb. 3.6.2.51: Verteilung der lateinischen Schriftarten auf Sprachen im »Metropolenzeichen«-Korpus Die Prozentzahlen geben an, wie viele der Belege eine Schriftart zeigen. Dabei ist zu beachten, dass auf vielen Fotos ein Beleg abgebildet ist, wie beispielsweise ein Sticker, auf dem mehrere verschiedene Schriftarten gemeinsam vorkommen, wie beispielsweise Dekor- und Groteskschriften. 3.6.2 SCHRIFTARTEN 225 Abb. 3.6.2.53: Apotheken-Zeichen Abb. 3.6.2.54: Tradtionell-deutsche Gastronomie Abb. 3.6.2.55: Biermarke Gebrochene Schriften kommen fast ausschließlich in Texten in deutscher und englischer Sprache vor; im Deutschen mit 82,0 % vornehmlich im deutschen Apotheken-Zeichen (Abb. 3.6.2.53), in den Schildern traditionell-deutscher Gastronomie (Abb. 3.6.2.54), in Biermarken-Logos (Abb. 3.6.2.55) und Fußballstickern (Abb. 3.6.2.56). Im Englischen mit 68,5 % dagegen vornehmlich in Stickern von Subkulturen, die mit der Wahl einer historisch aufgeladenen gebrochenen Schrift, so könnte interpretiert werden, ein rebellisches Anders- und Dagegensein zum Ausdruck bringen (Abb. 3.6.2.57) (vgl. Wachendorff 2017). Formen von Buchstaben entsprechen in gewisser Weise dem Klang der Stimme eines Sprechers. Wie beim Sprechen der gleiche Textinhalt auf unterschiedliche Arten und Weisen gesagt werden kann (laut, schüchtern, streng, verspielt, aggressiv, verführerisch), so können typografische Ressourcen solche zusätzlichen Informationen (wie den »Klang eines Textes«) über Buchstabenformen mittransportieren. Als Beispiele mögen die sehr verschiedenen Formen und Ausdrucksarten dienen, mit denen Autofahrer gebeten werden, nicht vor der eigenen Garage zu parken (Abb. 3.6.2.58 u.ff.). Wie Coupland betont, sorgen alternative Ausdrucksformen eines Inhaltes dafür, dass es sich nicht um den exakt gleichen Inhalt handelt (Coupland 2007: 88). Denn jede Differenz kann als eine Differenz in sozialer Bewertung betrachtet werden (Blommaert 2005: 68). In der Auswahl einer Schriftart sowie einer typografischen Variante wird eine (mehr oder weniger bewusste) Entscheidung einer Schreiberin oder eines Schreibers getroffen – unabhängig davon, ob er oder sie Profi oder Amateurin ist. Durch typografische Variation wird eine Wertzuschreibung vollzogen und ein Bestreben nach Gruppenzugehörigkeit oder -abgrenzung ablesbar. Die Auswahl einer Schriftart ist eine soziale Positionierung und damit als Typografie sozial relevant (vgl. Wachendorff i. Dr.). Abb. 3.6.2.57: Plakat Abb. 3.6.2.58: Garageneinfahrt Abb. 3.6.2.59: Garageneinfahrt Abb. 3.6.2.60: Garageneinfahrt Abb. 3.6.2.56: Fußballsticker 226 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.6.2 SCHRIFTARTEN 227 3.6.3 Text und Bild in Symbiose Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte? Bei den Frisuren in Abb. 3.6.3.1 mag das stimmen. Doch verhält es sich in Abb. 3.6.3.2 nicht genau umgekehrt? Wann eignen sich Bilder besser, wann Texte? Abb. 3.6.3.1: Schaufenster eines Friseursalons in E-Altendorf Passanten und Verkehrsteilnehmer eilen durch öffentliche Räume. Meist wollen sie schnell weg und haben weder Zeit, längere Informationen zu lesen, noch Interesse daran. Doch öffentliche Räume sind überfüllt mit Botschaften aller Art, die wahrgenommen werden wollen (z.B. Werbung) oder müssen (z.B. Verkehrsschilder). Da helfen kurze Zeichen, die ins Auge springen und blitzschnell erfasst werden können. Oft sind die beabsichtigten Informationen aber zu komplex, um sie durch einfache Bilder (z.B. Piktogramme) hinreichend ausdrücken zu können. Und ausformulierte Texte könnten nicht mal eben so im Vorbeigehen gelesen werden. Da können Bild und Text einander helfen wie der Blinde und der Lahme. Betrachten wir Abb. 3.6.3.3 Zwar kommen nur vier Wörter (»und Anlieger frei«, »Einbahnstraße«), zwei Zahlen und ein Abkürzungsbuchstabe (»19 – 6 h«) vor. Doch zusammen mit konventionalisierten (also geläufigen) anderen Zeichen (roter um weißen Kreis, stilisiertes Fahrrad-Abbild, weißer Pfeil auf blauem Grund u. a.) »schreiben« die fünf jeweils gerahmten Schilder von oben nach unten gelesen Folgendes vor: »Fahrzeuge dürfen von 19 Uhr abends bis 6 Uhr morgens nicht in diese Straße fahren. Diese Regelung gilt aber nicht für Fahrräder [ohne Fahrer?] und Anlieger [und Anliegerinnen?]. Außerdem handelt es sich rund um die Uhr [seltsamerweise verstehen wir es jedenfalls so] um eine Einbahnstraße, in die man also nur von dieser Richtung aus hineinfahren darf. Fahrräder allerdings dürfen doch in beide Richtungen fahren.« Stünden diese 54 Wörter oder eine ähnliche Formulierung als fortlaufender Text da, brauchten selbst erfahrene Leserinnen und Leser mindestens eine halbe bis ganze Minute, um das zu verstehen. In der hier präsentierten visuell organisierten Fassung geschieht das aber binnen Sekunden, wobei sich Passanten vermutlich binnen Sekundenbruchteilen lediglich das heraussuchen, was für sie von Belang ist – zum Beispiel für Fußgänger nämlich gar nichts. Darüber hinaus müssten Rezipienten in der Textversion auch der deutschen Sprache deutlich stärker mächtig sein als in der piktographischen bzw. ikonischen Darstellung; mit Blick auf eine mehrsprachige Bevölkerung adressiert also eine ikonische Darstellung die Botschaft an einen größeren Kreis. Wie praktisch es ist, Text und Bild zu verknüpfen, zeigt die Statistik: 61 % aller 25 504 Fotos in unserer Datenbank zeigen Kombinationen aus Bild und Text, knapp 34 % nur Schriftzeichen (wie Abb. 3.6.3.2) und gut 5 % nur ein oder mehrere Bilder (wie Abb. 3.6.3.1). Innerhalb dieser Verteilung fallen zwei Diskurstypen aus guten Gründen aus dem Rahmen. Erstens: Anders als in Abb. 3.6.3.3 meiden regulatorische Zeichen (also z. B. Verkehrszeichen) Text nach Möglichkeit. Der schriftfreie Anteil (z.B. ein Halteverbotsschild) liegt hier mehr als fünf Mal so hoch (28,1 %) wie im Durchschnitt; dementsprechend gibt es nur zwei Drittel (20,7 %) so viele rein textbasierte Zeichen (z.B. »Ausfahrt freihalten!«) und zehn Prozent weniger Text-Bild-Kombinationen (51,1 %) als insgesamt. Denn gerade dieser Zeichentyp muss, vor allem von Autofahrern, möglichst schnell wahrgenommen werden, und das geht mit konventionalisierten Bildern erheblich besser als mit Text. Zweitens: Kommerzielle Zeichen hingegen meiden reine Bilder (1,7 %), denn in der Regel kommt mindestens ein Eigenname vor. In allen anderen Diskurstypen sind Bilder, Texte und Text-Bild-Kombinationen ungefähr gleich stark vertreten wie im gesamten Durchschnitt. Abb. 3.6.3.3: Straßenschilder in DO-Nordstadt Abb. 3.6.3.2: Schaufenster in BO-Langendreer 228 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT 3.6.3 TEXT UND BILD IN SYMBIOSE 229 Abb. 3.6.3.4: Tag an der Jahrhunderthalle Bochum Abb. 3.6.3.5: Werbeschild in BO-Langendreer 230 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Natürlich haben sie jeweils unterschiedliche Funktionen. Tags zum Beispiel, also die Signaturen von Graffiti-Writern (Abb. 3.6.3.4), sind zwar ästhetisch unterschiedlich aufwendig gestaltet, bestehen aber nur aus Buchstaben (reiner Text), deren Sichtbarkeit im öffentlichen Raum die Anwesenheit, Revierhoheit oder das Können des Urhebers beweisen soll, und zwar vorrangig für eine Szene von Insidern. Zeichen im kommerziellen Bereich dagegen enthalten zwar meist Eigennamen, wollen in der Regel aber auch eine breite Öffentlichkeit für damit verbundene Produkte interessieren, und das geht am besten über emotionsgeladene Bilder in Verbindung mit weiteren Textstücken (Abb. 3.6.3.5). Infrastrukturelle Zeichen schließlich (die also sachlich mitteilen, was sich wo befindet oder wie heißt) können je nach Verwendungszweck und Adressaten durchaus Bild (z.B. das Blitz-Piktogramm als Hinweis auf Hochspannung) oder Text (Straßennamen) alleine enthalten. Besonders beliebt jedoch sind Verknüpfungen aus einzelnen Wörtern und allgemein verständlichen einfachen grafischen Zeichen. Abb. 3.6.3.6 zum Beispiel zeigt weithin sicht- und schnell lesbar, was man sprachlich so ausdrücken könnte: »Der Parkscheinautomat befindet sich hier.« Das Subjekt dieses Satzes wird auf das Nomen (ohne Artikel) reduziert und für eilige Sucher sogar auf den stilisiert hervorgehobenen Anfangsbuchstaben. Das darunter stehende weiße Dreieck hingegen vertritt das komplette Prädikat. Es wird konventionell als Pfeil verstanden (obwohl dessen Schaft fehlt) und zeigt auf die gemeinte Position. Das Beispiel führt exemplarisch vor Augen, wie Texte desto mehr auf Grammatik verzichten können, je mehr visuelle Zeichen (einschließlich Typographie und Layout) die Bedeutung der gesamten Botschaft tragen. Besonders interessant sind die Arten und Weisen, wie Text und Bild innerhalb derselben Botschaft zusammenspielen. Auf Zeichen im öffentlichen Raum (anders als zum Beispiel bei irritierenden Kunstwerken oder komplexen Werbespots) unterstützen sie in der Regel einander, weil es ja auf möglichst effiziente (einfache, klare und schnelle) Kommunikation ankommt. In Abb. 3.6.3.3 sorgen die konventionelle Gestaltung der einzelnen Schilder gemäß Straßenverkehrsordnung, die Anbringung der fünf Schilder an demselben Pfahl und die uns geläufige Lektüre von oben nach unten dafür, dass wir die Botschaft verstehen. Mit Text wird nur das formuliert, was bildlich nicht leicht dargestellt werden kann (und in der StVO folglich nicht so vorgesehen ist). Bilder tragen hier also die Hauptlast einer sachlichen Information und sind dementsprechend wenig anschaulich, sondern hoch stilisiert, während Textelemente allein als Notnagel und Lückenbüßer dienen. Ganz anders verhält es sich in Abb. 3.6.3.5. Das Foto dient als Blickfänger. Auf anschauliche Weise wird hier eine Situation dargestellt, die ohne den Text etwas rätselhaft bliebe. Die Schlagzeile »100 Paar Schuhe – und nur 1 Brille?« ist ohne Verb (also elliptisch) formuliert wie in mündlicher Umgangssprache, erklärt das Bild und stellt eine neue Frage, die zusammen mit dem Bild als paradoxes Problem erscheinen soll. Der weiße Text auf dem rosa Balken bietet die Lösung an: »Zusatzbrillen für jede Sehsituation / Wir beraten Sie gerne!« Dieser Text ist etwas länger; und wer sich die Zeit genommen hat, so tief in die gesamte Botschaft vorzudringen, der sollte sich durch einen höflichen vollständigen Satz belohnt und eingeladen fühlen. Abb. 3.6.3.6 wiederum wirbt nicht um Aufmerksamkeit, sondern richtet sich an bereits Suchende. Deshalb kommt es mit einem einzigen Wort aus und für den BlitzBlick sogar mit dessen Abkürzung in der konventionalisierten blau-weißen Darstellung. Künftig wird man statt des Wortes hier das ikonisch-stilisierte Abbild eines Parkscheinautomaten erwarten dürfen: Bilder ersetzen Schriftzeichen dort, wo sie ergonomisch effizienter wirken. Statt des Pfeils hätte früher »hier«, »gegenüber« oder ein ähnlich zeigendes Wort gestanden. Abb. 3.6.3.6: Hinweisschild in BO-Langendreer 3.6.3 TEXT UND BILD IN SYMBIOSE 231 Abb. 3.6.3.7: Zettel in BO-Langendreer Abb. 3.6.3.8: Ladenschild in BO-Hamme 232 3. FORMEN DER SICHTBAREN MEHRSPRACHIGKEIT Eher spielerisch mischt Abb. 3.6.3.7 Wörter und stilisierte Bildchen zu einem einfachen Bilderrätsel. Als Text aufgelöst ergäbe sich etwa »Bitte nicht rauchen, Rollerskate fahren, trinken. Danke!« (Skateboards scheinen erlaubt?) Statt der Überschrift hätte man die drei Bildchen auch einfach durchkreuzen können. Nur für »Danke« gibt es noch kein textfreies Smiley oder anderes Ikon. Auch spielerisch, doch mit umgekehrter Text-BildFunktion, dient in Abb. 3.6.3.8 das Wort der Information und das (informativ überflüssige) Bild der dekorativen Illustration. Manchmal wird Text selbst zum Bild wie beim Apothekenzeichen in Abb. 3.6.3.9 und in vielen Graffiti-Writings (Abb. 3.6.3.10). Vielfach dienen leicht wiedererkennbare, meist stilisierte Bilder dazu, einen Ort oder eine Marke zu erkennen und den Blick auf einen kürzeren oder längeren Text zu lenken, so etwa bei Logos von Firmen oder Institutionen (Abb. 3.6.3.11) Und manchmal unterstützen grafische Darstellungen, die im Gegensatz zu Text ja nicht an eine einzelne Sprache gebunden sind, auch einfach das Verständnis (wie in Abb. 3.6.3.12). (Hier fällt mehrsprachigen Lesern auf, dass die türkische Textfassung deutlich weniger sorgfältig gestaltet ist als die beiden anderen: Sowohl das Komma hinter »Lütfen« als auch die Punkte auf den beiden »i« in »basiniz« müssen entfallen.) Schließlich eignet sich Text mehr für dialogische Kommunikation, im Falle öffentlich angebrachter Zeichen also für Kommentare oder dialogische Umdeutungen. In Abb. 3.6.3.13 beispielsweise wurde ein bekannter Image-Aufkleber mit der Silhouette des Ruhrgebiets und dem Wortlaut »Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland« handschriftlich so ergänzt, dass sich ergibt: »Auf Sicher 2010! Das Ruhrgebiet. ist ohne OB Reiniger Ein starkes Stück Deutschland.« (Dieser Oberbürgermeister wurde 2009 abgewählt.) Je nach Urheber und Zweck können Text und Bild also auf ganz verschiedene Weisen zusammenwirken. Bilder dienen dabei als schnell erkennbare Informationsträger (Abb. 3.6.3.3 und Abb. 3.6.3.11), als attraktive Blickfänger (Abb. 3.6.3.5), unter Verbindung dieser beiden Funktionen drittens als Texteinstieg (Abb. 3.6.3.11), und / oder sie unterstützen spracharme Verständigung (Abb. 3.6.3.12), weil sie unabhängig von Sprachkenntnissen international leicht verständlich sind. Schließlich können sie fünftens der hübschen Dekoration dienen (Abb. 3.6.3.8). Auch Texte können dekorativ oder spielerisch verwendet werden (Abb. 3.6.3.7 und Abb. 3.6.3.10). Meist dienen sie aber der Information (Abb. 3.6.3.3, Abb. 3.6.3.8 und Abb. 3.6.3.11), Bilderläuterung und / oder Werbung (Abb. 3.6.3.5). Und manchmal schreiben BürgerInnen ihre Kommentare auf vorgefundene Zeichen (Abb. 3.6.3.13). Von Fall zu Fall spielen häufig mehrere der genannten Funktionen zusammen, und entsprechend abwechslungsreich fällt die Arbeitsteilung zwischen Text und Bild aus. Im öffentlichen Raum werden Bilder tendenziell bevorzugt, weil sie eher ins Auge fallen und schneller wahrgenommen werden können. Schrift wird meist dann verwendet, wenn die beabsichtigte Information nicht im Bild allein ausgedrückt werden kann (Abb. 3.6.3.3, Abb. 3.6.3.6, Abb. 3.6.3.7 und Abb. 3.6.3.13). Gelegentlich verschmelzen auch beide zu einem Textbild (Abb. 3.6.3.3 und Abb. 3.6.3.10). Abb. 3.6.3.12: Automatenaufschrift in E-Altendorf Abb. 3.6.3.13: Kommentierter Aufkleber in E-Altendorf Abb. 3.6.3.9: Apothekenschild in DU-Innenstadt Abb. 3.6.3.10: Writing in DO-Nordstadt Abb. 3.6.3.11: Transparenter Aufkleber in BO-Langendreer 3.6.3 TEXT UND BILD IN SYMBIOSE 233 4. SPRACHBEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1 Passantenbefragung Um die Sichtbarkeit von Sprachen im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets nicht nur quantitativ-distributiv beschreiben sowie mittels Karten und Bildern darstellen, sondern auch ihre gesellschaftliche Bedeutung erfassen zu können, ist eine integrierte Perspektive auf das Vorkommen, die Bewertung sowie Herstellung visueller Mehrsprachigkeit notwendig. Diese soziokulturelle Perspektive auf Rezeption und Produktion und die sie fundierenden Spracheinstellungen, die für den Sprachenmanagementansatz bestimmend ist, fehlt allerdings in den meisten Untersuchungen im Bereich der Linguistic-Landscape-Forschung. Die wenigen Studien, die Einstellungen im Kontext visueller Mehrsprachigkeit behandeln, widmen sich vorrangig sprachenpolitischen Fragen oder sprachnormativen Aspekten wie korrekte Rechtschreibung und Grammatik. Die methodischen Zugänge reichen von Fragebogenuntersuchungen (Landry / Bourhis 1997) über das Zeichnen von Karten (Lou 2016) bis zu Stadtrundgängen (Garvin 2010) und dem Einsatz von Google-Street-View (Malinowski 2010), um Eindrücke und Reaktionen zu elizitieren. In der Regel basieren diese Studien aber auf relativ kleinen Datensätzen. Im Projekt »Metropolenzeichen« wurde ein zweistufiges Verfahren für die Erhebung der Wahrnehmung und Bewertung sichtbarer Mehrsprachigkeit gewählt, das qualitative und quantitative Methoden kombiniert. In einem ersten Schritt wurden Vor-Ort-Interviews mit Passanten in den einzelnen Stadtteilen durchgeführt, um eine maximale Nähe zum Gegenstand zu erzielen und sozialräumliche Effekte in Bezug auf die Einstellungen zu erfassen. In einem zweiten Schritt wurde eine Telefonbefragung mit 1000 Personen durchgeführt, von denen 500 keinen Migrationshintergrund, 300 einen türkischen Migrationshintergrund und 200 einen italienischen Migrationshintergrund hatten (vgl. Kap. 4.2). 236 4. SPRACH BEWERTuNGEN uND EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT Vielen linguistischen Laien fällt es schwer, über Sprache und Sprachgebrauch und damit auch über visuelle Mehrsprachigkeit zu sprechen, weil es sich hierbei um eine eher seltene Alltagspraxis handelt. Wenn Sprache, d. h. in diesem Fall sichtbare Mehrsprachigkeit, spontan thematisiert wird, dann eher in solchen Fällen, in denen die Texte im öffentlichen Raum auf die eine oder andere Weise auffallen: weil sie originell sind, eine besondere Ästhetik aufweisen oder durch ihre Gestaltung und Anbringung – wie etwa im Fall von Graffitis – auch ein Ärgernis darstellen können. Diese metasprachlichen Aktivitäten lassen sich aber in der Regel nicht systematisch beobachten, sie müssen vielmehr in der Interviewsituation evoziert werden. Auch sind die Kompetenzen, über Sprache, Sprachgebrauch und Sprechergruppen zu reflektieren, unterschiedlich ausgeprägt. Diese Unterschiede und Schwierigkeiten zeigen sich auch in unseren Daten: zum einen darin, dass einige der Befragten es vermeiden, sich für oder gegen visuelle Mehrsprachigkeit zu positionieren, und lieber eine neutrale Werthaltung äußern. Zum anderen lässt sich beobachten, dass Befragte ihre »Spracheinstellungsäußerungen« (Tophinke / Ziegler 2006) modalisieren, d. h. sprachlich abschwächen, etwa dann, wenn sie davon ausgehen, dass sie sozial unerwünschte Einstellungen äußern. Vor diesem Hintergrund interessiert neben der Frage nach den konkreten Einstellungen auch die Frage, welche Versprachlichungsstrategien im Sprechen über visuelle Mehrsprachigkeit dominieren. Unter dieser sprachlich-formalen Perspektive sollen im Folgenden die geäußerten Werturteile, ihre Begründungen und kontextuellen Einbettungen sowie die damit verbundenen sprachlichen Verweise auf die eigene Gruppe und andere Gruppen analysiert werden, um Aussagen darüber treffen zu können, wie konkret oder schematisch, explizit oder implizit die Befragten ihre Spracheinstellungsäußerungen formulieren. Dabei wird in der Analyse auch berücksichtigt, ob die Einstellungsäußerungen als individuelle Werthaltungen oder als sozial geteilte Werthaltungen dargestellt werden und welche sprachlichen Mittel zur Subjektivierung oder Generalisierung sowie zur Abschwächung oder Verstärkung der Sprachwerturteile und anderer sprachbezogener Äußerungen gewählt werden. 4.1 PASSANTENBEFRAGuNG 237 4.1.1 Datenerhebung Transkriptionssystem GAT 2 Die aufgenommenen Interviewdaten wurden nach GAT 2 (Selting et al. 2009) als Gesprächstranskript ohne Satzzeichen und in Kleinschreibung erstellt. Die Transkription erfolgt in literarischer Umschrift und orientiert Aktuelle Studien in der Spracheinstellungsforschung betonen die Bedeutung qualitativer Methoden, insbesondere interaktionaler, gesprächsorientierter Zugänge, um einen detaillierten Einblick in die Äußerung von Spracheinstellungen, d. h. ihre Konstruktion in der Interaktion (z. B. der Interviewsituation) und kontextuelle Einbettung zu erhalten (Bellamy 2016; Liebscher / Dailey O’Cain 2009; König 2014; Tophinke / Ziegler 2014). Dementsprechend wurden Vor-Ort-Interviews durchgeführt, auch um so sichtbare Mehrsprachigkeit und ihre Zusammensetzung besser verstehen, spezifische Bedarfe ermitteln oder auch Ängste, wie etwa Entfremdungsgefühle, aufdecken zu können. Befragt wurden 120 Informantinnen und Informanten, d. h. jeweils 15 Personen pro Stadtteil. Die Vor-Ort-Interviews wurden in allen acht Stadtteilen durchgeführt. Da mehrere Interviewerinnen und Interviewer neben Deutsch und Englisch auch Türkisch sprechen, konnten die Befragten zwischen verschiedenen Interviewsprachen wählen. Die Passanten wurden direkt angesprochen, um sie für die Teilnahme am Projekt zu motivieren. Befragt wurden 65 Männer und 55 Frauen im Alter zwischen 18 und 80 Jahren, davon 49 Personen mit und 71 ohne Migrationshintergrund. Um auch Aussagen über altersspezifische Einstellungsäußerungen machen zu können, wurde zwischen drei Altersgruppen unterschieden: jüngere Befragte (18 bis 30 Jahre), Befragte mittleren Alters (30 bis 60 Jahre) und ältere Befragte (älter als 60 Jahre). Die Interviews wurden mehrheitlich auf Deutsch, einige Interviews wurden auf Türkisch und Englisch geführt. Die Länge der Interviews variiert zwischen 3 und 12 Minuten. Die Interviews wurden auf der Basis eines Interviewleitfadens durchgeführt, der Fragen zu folgenden Themenkomplexen enthielt: Wahrnehmung von visueller Mehrsprachigkeit, Stadtteilgeschichte und Zusammensetzung der Bevölkerung, Bewertung von sichtbarer und gesprochener Mehrsprachigkeit, Funktionen von Mehrsprachigkeit, sichtbare Mehrsprachigkeit an öffentlichen Institutionen, Vorzüge und Nachteile von sichtbarer Mehrsprachigkeit. Die Interviews waren strukturiert, erlaubten aber auch eine gewisse Flexibilität, d. h. spontane Anpassung an die Antworten der Befragten, sodass die konkrete Abfolge der Behandlung der Themenkomplexe in den Interviews variiert. Die Audiodaten der Interviews wurden nach GAT 2 (Selting et al. 2009) als Minimaltranskripte mit dem Partitur-Editor EXMARaLDA transkribiert (s. Infobox) und anschließend für die Auswertung annotiert. Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden alle personenbezogenen Daten anonymisiert. Die Daten der Interviewer und Befragten wurden wie folgt kodiert: INT + Namenskürzel für die Interviewerkennzeichnung, für die Informantenkennzeichnung wurden die Informationen Stadt (z. B. Du für Duisburg) und Stadtteil (z. B. Mar für Marxloh) kodiert sowie die Interviewten als Teilnehmende nummeriert, z. B. DuMar5. Bei den Produzenteninterviews (vgl. Kap. 4.3.3) wurde der Sprecherkennzeichnung noch ein P vorangesetzt, z. B. PBoLan2. 238 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT sich an der Orthografie. Das Transkript wird in einzelne Segmente untergliedert, deren Ende durch einen vertikalen Strich | markiert sind. Folgendes wird im Minimaltransskript markiert: [ ] Überlappungen und Simultansprechen [ ] | Grenzzeichen am Ende eines Segments Ein- und Ausatmen: °h, °hh, °hhh hörbares Einatmen, je nach Länge h°, hh°, hhh° hörbares Ausatmen, je nach Länge Pausen: (.) Mikropause (-), (--), (---) kurze, mittlere, längere Pause (2.0) Pause in Sekunden Verzögerungssignale: äh, öh, ähm sog. »gefüllte Pausen« Para- und nonverbale Handlungen: haha, hehe, hihi silbisches Lachen ((lacht)), ((hustet)) Beschreibung von Handlungen und Ereignissen »»lachend«« Lachpartikeln in der Rede, mit Reichweite Rezeptionssignale: hm, ja, nein, nee einsilbige Signale hm_hm, ja_a, zweisilbige Signale nei_ein, nee_e Sonstige Konventionen: ( ) unverständliche Passage ohne weitere Angaben (xxx), (xxx xxx) ein bzw. zwei unverständliche Silben (solche) vermuteter Wortlaut (also / alo), (solche / welche) nicht mit Sicherheit identifizierbare Laute / Silben ((…)) Auslassung im Transkript 4.1.1 DATENERHEBUNG 239 4.1.2 Einstellungen zu visueller Mehrsprachigkeit Spracheinstellungen werden in der Sprachwissenschaft als Phänomene begriffen, die sich auf einzelne Sprachen und ihre Strukturen, den konkreten Sprachgebrauch sowie die Sprecherinnen und Sprecher beziehen können. In neueren Arbeiten wird betont, dass Spracheinstellungsäußerungen als soziokulturell fundiert und interaktional funktionalisiert zu betrachten sind, d. h. auf den Gesprächs- und damit auch auf den Interviewpartner zugeschnitten werden. Spracheinstellungsäußerungen sind insofern eine Form des sozialen Handelns und geben Strategien der Selbstdarstellung zu erkennen, wie etwa die Inszenierung als weltoffen, heimatverbunden, pragmatisch, dogmatisch oder tolerant. Als Einstiegsfrage diente die Frage, ob mehrsprachige Schilder oder auch Schilder, die in einer anderen Sprache als Deutsch verfasst sind, von den Befragten wahrgenommen werden. Die meisten Befragten geben an, mehr- bzw. anderssprachige Schilder wahrzunehmen (67,5 %). Weitere 17,5 % beantworteten die Frage erst mit einem Ja, nachdem wir auf mehr- bzw. anderssprachige Schilder in der unmittelbaren Umgebung hingewiesen hatten. 15 % der Befragten bekunden, dass ihnen noch keine mehrbzw. anderssprachigen Schilder in dem Stadtteil aufgefallen sind. Dabei zeigen sich klare Unterschiede in der Wahrnehmung von visueller Mehrsprachigkeit, je nachdem ob die Befragung in den nördlichen oder in den südlichen Stadtteilen stattgefunden hat (vgl. Abb. 4.1.2.1). So nehmen die Befragten, die in den Stadtteilen nördlich der A 40 interviewt wurden, visuelle Mehrsprachigkeit deutlich häufiger wahr als die Befragten, die in den Stadtteilen südlich der A 40 interviewt wurden. Offenbar schlägt sich die höhere ethnische Vielfalt in den nördlichen Stadtvierteln in einer bewussteren Wahrnehmung sichtbarer Mehrsprachigkeit nieder. Stadtteile nördlich der A 40 Duisburg-Marxloh 100 % Stadtteile südlich der A 40 Duisburg-Innenstadt 60 % Essen-Altendorf 80 % Essen-Rüttenscheid 53 % Bochum-Hamme 87 % Bochum-Langendreer 47 % Dortmund-Nordstadt 93 % Dortmund-Hörde 67 % Differenziert man die Ergebnisse nach den Variablen Alter und Migrationshintergrund, wird deutlich, dass die Informanten ohne Migrationshintergrund, die ein mittleres oder höheres Alter haben, sichtbare Mehrsprachigkeit wesentlich häufiger wahrnehmen als jüngere Informanten ohne Migrationshintergrund (vgl. Abbildung 4.1.2.2). Bei den Befragten mit Migrationshintergrund ist eine umgekehrte Tendenz festzustellen: Hier sind es vor allen Dingen die jüngeren Informanten und diejenigen, die ein mittleres Alter haben, denen sichtbare Mehrsprachigkeit auffällt (vgl. Abbildung 4.1.2.3). Wie lässt sich dieses Ergebnis deuten? Eine mögliche Erklärung für das Antwortverhalten der jüngeren Befragten ohne Migrationshintergrund mag darin liegen, dass für sie (sichtbare) Mehrsprachigkeit zum Alltag gehört und deshalb auch nicht »so aktiv« (BoHam11) wahrgenommen wird. Das Antwortverhalten der älteren Befragten mit Migrationshintergrund mag eventuell daraus resultieren, dass sie ihre Herkunftssprachen als unmarkierte Sprachen wahrnehmen und deshalb nicht als Teil einer mehrsprachigen Linguistic Landscape assoziieren. Diejenigen Befragten, die angaben, visuelle Mehrsprachigkeit wahrzunehmen, wurden in einer Anschlussfrage gefragt, welche Sprachen ihnen konkret in der Umgebung auffallen. Für die große Mehrheit der Befragten ist Türkisch diejenige nicht-deutsche Sprache, die am meisten wahrgenommen wird (87 Nennungen), gefolgt von Englisch (44 Nennungen), Arabisch (32 Nennungen), Italienisch (16 Nennungen) und Russisch (10 Nennungen). Interessant ist es, dieses Ergebnis in Vergleich zu setzen mit dem tatsächlichen Vorkommen der Sprachen im öffentlichen Raum der Metropole Ruhr (vgl. Kap. 3.1.1). Englisch und Türkisch sind in der Tat die Sprachen, die in dieser Region nach Deutsch am häufigsten vorkommen. Allerdings tritt Englisch mit 20 % bei Weitem öfter auf als Türkisch (4 %). Arabisch wird mit 32 Nennungen sehr stark wahrgenommen, ist aber lediglich mit 0,7 % im Ruhrgebiet öffentlich sichtbar. Es scheint, als ob nicht-europäische Sprachen wie Türkisch und Arabisch mehr Aufmerksamkeit erregen und somit stärker wahrgenommen werden als europäische Sprachen wie Englisch oder Französisch. Im Gegensatz zu Englisch und Französisch haftet Sprachen wie Arabisch oder Russisch eine »visuelle Fremdheit« an, da sie mit anderen Schriftsystemen geschrieben werden und somit stärker auffallen. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass diese Sprachen intensiver wahrgenommen werden als sie tatsächlich vorkommen. 25 20 15 10 5 0 Alt Ja Mittel Nein Jung Ja (mit Hinweis) Abb. 4.1.2.2: Wahrnehmung visueller Mehrsprachigkeit von Befragten ohne Migrationshintergrund differenziert nach Alter 25 20 15 10 5 0 Alt Ja Mittel Nein Jung Ja (mit Hinweis) Abb. 4.1.2.3: Wahrnehmung visueller Mehrsprachigkeit von Befragten mit Migrationshintergrund differenziert nach Alter Abb. 4.1.2.1: Wahrnehmung visueller Mehrsprachigkeit differenziert nach Stadtteilen 240 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.2 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT 241 Differenziert man die Ergebnisse nach Stadtteilen, zeigt sich, dass in den nördlichen Stadtteilen mehr Befragte antworten, dass sie Türkisch am häufigsten wahrnehmen, gefolgt von Arabisch, Englisch, Italienisch, Rumänisch, Polnisch, Chinesisch, Bulgarisch und Spanisch. In den südlichen Stadtteilen geben die Befragten ebenso an, dass sie Türkisch am meisten wahrnehmen (allerdings weniger als im Norden), gefolgt von Englisch, Italienisch, Französisch, Chinesisch, Russisch, Arabisch, Polnisch und Spanisch. Daraus lässt sich schließen, dass die Nord-Süd-Teilung nicht nur zentral für das unterschiedliche Vorkommen von sichtbarer Mehrsprachigkeit in den Stadtteilen ist, sondern dass sich auch die Wahrnehmung der Sprachen durch die Passantinnen und Passanten hier und dort sehr unterscheidet. Im Norden werden wesentlich mehr Migrantensprachen wahrgenommen als im Süden. Wie positionieren sich die Befragten gegenüber visueller Mehrsprachigkeit? Die geäußerten Einstellungen lassen sich global nach positiver und negativer Einstellung sowie neutraler bzw. unentschlossener Haltung zu visueller Mehrsprachigkeit zusammenfassen, vgl. Abb. 4.1.2.4: Deutlich wird, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten eine positive Einstellung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit hat. Ein detaillierter Blick zeigt jedoch, dass sich die Einstellungsprofile der Informantengruppen mit Blick auf die Nord-Süd-Unterteilung unterscheiden und ein komplexes Bild zu erkennen geben. Während die Befragten mit Migrationshintergrund in den nördlichen Stadtteilen insgesamt deutlich positiver gegenüber visueller Mehrsprachigkeit eingestellt sind (66 %) als die Befragen ohne Migrationshintergrund (59 %) und auch weniger häufig angeben, keine dezidierte Einstellung zu diesem Thema zu haben (11 %), zeigen die Einstellungsprofile der Befragten mit und ohne Migrationshintergrund in den südlichen Stadtteilen eine große Übereinstimmung, wobei die positive Einstellung der Befragten mit Migrationshintergrund um 10 % niedriger liegt als die ihrer entsprechenden Vergleichsgruppe im Norden. Das bedeutet, dass der Faktor Migrationshintergrund nur in den nördlichen Stadtteilen einstellungsrelevant ist, in den Stadtteilen südlich des »Sozialäquators A 40« ebnen sich die Unterschiede ein. Eine denkbare Erklärung hierfür könnte in der Assimilationstendenz von sozial aufgestiegenen Zuwanderern liegen. Innerhalb der Interviews greifen die Befragten auf unterschiedliche Argumentationsmuster zurück, um ihre positive oder negative Einstellung gegenüber sichtbarer Mehrsprachigkeit zu begründen. Wir fragten zum Beispiel: »Was ist das für Sie für ein Gefühl, wenn Sie Schilder in Sprachen sehen, die Sie nicht verstehen?« oder »Würden Sie in einem Geschäft einkaufen gehen, das in einer anderen Sprache als Deutsch wirbt? Warum? Warum nicht?«. Durch die Analyse der Interviewdaten konnten neun immer wiederkehrende Argumentationsmuster bestimmt werden, die die Befragten verwenden, um ihre Einstellung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit zu begründen: positiv N = 120 +MH negativ -MH +MH Funktional-pragmatisches Argument Argument der Multikulturalität Dieses Argument beruht auf der Strategie, auf die Konsequenzen und Ziele, d. h. die Funktion von sichtbarer Mehrsprachigkeit zu verweisen. Zentral sind hier Aspekte wie Verständlichkeit, barrierefreie Kommunikation, Information und Orientierung im öffentlichen Raum. Mit dem Argument der Multikulturalität weisen die Befragten auf die vielen verschiedenen Kulturen, Traditionen und Lebensstile im Stadtviertel hin, die durch mehrsprachige Schilder sichtbar werden können. Argument aus der eigenen Erfahrung Mit dem normativen Argument werden bestimmte Forderungen und Rechte im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit erhoben. Sprachlich werden diese häufig durch die Modalverben »sollen« oder »müssen« ausgedrückt. Dieses Argument basiert auf dem Rückbezug auf eigene Erfahrungen in ähnlichen Situationen. Dabei kann sowohl auf individuelle Erfahrungen Bezug genommen werden (»ich«) als auch auf kollektive Erfahrungen (»wir«), um auf die eigene soziale Gruppe oder die Mehrheitsgesellschaft zu verweisen oder die Plausibilität der geäußerten Einstellung zu erhöhen. Der Bezug auf solche schon selbst erlebte Situationen soll die Glaubwürdigkeit der eigenen Einstellung erhöhen. Argument der Faktizität Das Argument der Faktizität stützt sich auf Aussagen, die keine Möglichkeiten für einen anderen Standpunkt zulassen. Die Gegebenheiten werden als unabänderliche Fakten dargestellt. Eine explizite Bewertung wird dadurch vermieden. Argument der Beheimatung Das Argument der Beheimatung betrachtet die öffentliche Sichtbarkeit von Herkunftssprachen als Symbol für Beheimatung. Damit wird eine emotionale Verbindung mit einem bestimmten Stadtteil, einer bestimmten Stadt oder Region ausgedrückt. Das Beheimatungsargument zeigt eine Beziehung zwischen Ort und Identität dadurch an, dass Orten und ihrer (hier: sprachlichen) Ausgestaltung eine affektive Bedeutung zugeschrieben wird. Normatives Argument Integrations-Argument Das Integrationsargument besagt, dass Mehrsprachigkeit, insbesondere der Gebrauch von Herkunftssprachen im öffentlichen Raum, entweder ein Hinderungsgrund oder aber eine Hilfe für erfolgreiche Integration von Zugewanderten bzw. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sein kann. Affektives Argument Affektive Argumente bringen subjektive Empfindungen und Gefühle gegenüber visueller Mehrsprachigkeit zum Ausdruck. Dafür werden häufig Gefühlsverben wie beispielsweise »fühlen« verwendet. Ökonomisches Argument Das ökonomische Argument weist auf die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität von mehrsprachigen Schildern hin bzw. auf das Gegenteil. neutral -MH +MH -MH Norden 66 % 59 % 23 % 23 % 11 % 18 % Süden 56 % 58 % 35 % 36 % 9% 6% Abb. 4.1.2.4: Einstellung der Informanten differenziert nach nördlichen und südlichen Stadtteilen sowie Migrationshintergrund (MH) 242 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.2 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT 243 Abbildung 4.1.2.5 zeigt die Argumente, die am häufigsten für die Befürwortung von visueller Mehrsprachigkeit gebraucht werden, und zwar differenziert nach Befragten mit und ohne Migrationshintergrund (MH). Die Auswertung zeigt Ähnlichkeiten und Unterschiede im Antwortverhalten der beiden Befragtengruppen. So dominiert in beiden Gruppen das funktional-pragmatische Argument, um eine positive Einstellung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit zu begründen. Dabei wird meistens auf den Nutzen (z.B. Orientierungshilfe, Abbau von Sprachbarrieren) hingewiesen, wie die Beispiele 1 bis 3 zeigen: Übersetzung: türkisch ist gut für die, die kein deutsch können| zum beispiel ((…)) unsere alten leute können zum beispiel kein deutsch meistens, unsere mütter und väter können nicht| für die wäre es eigentlich ganz gut| Die Befragten ohne Migrationshintergrund erkennen das Bedürfnis von Migrantinnen und Migranten nach Orientierung und Information an, damit diese im öffentlichen Raum handlungs- und orientierungsfähig sind. Gleichzeitig liegt in diesem Akt der Anerkennung auch die implizite Anerkennung der Sichtbarkeit der Anderen (vgl. Honneth 2003). Das bedeutet jedoch nicht, dass die grundsätzliche Anerkennung der Sichtbarkeit auch schon im Aufmerksamkeitsfokus der Anerkennungsgeber steht. Auch für die Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund steht der Nützlichkeitsbezug visueller Mehrsprachigkeit im Vordergrund. Allerdings wird der Adressatenkreis konkreter gefasst, indem die Gruppe der älteren Migranten explizit miteinbezogen wird. Unsere Daten zeigen außerdem, dass in der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund 76 % der befragten Frauen ihre positive Einstellung mit einem funktional-pragmatischen Argument begründen, während dies nur bei 58 % der befragten Männer der Fall ist. Diese Tendenz lässt sich auch bei den Befragten mit Migrationshintergrund 1. Beispiel: (DoHör10; jung) das (.) find ich ganz gut (--)| ja (0.5)| ja für leute die jetzt neu nach deutschland gekommen sind| dann können die sich vielleicht besser (-) orientieren (0.6)| 2. Beispiel: (BoLan4; mittel) würde ja schon barrierefreiheiten ein bisschen ermöglichen| gerade für ausländische mitbürger vielleicht| 3. Beispiel: (DuMar6; mittel) türk ö almanca bilmeyenler için mesela| ((…)) bizim ihtiyarlar yani mesela bilmiyorlar almancayı (-) coğu|annelerimiz babalarımız bilmiyorlar| onlar için aslında çok iyi olur| Sonstige Argumente Ökonomisches Argument Affektives Argument Affektives Argument Normatives Argument Normatives Argument Argument der Beheimatung Argument der Beheimatung Argument der Multikulturalität Argument der Multikulturalität Argument der Faktizität Argument der Faktizität Argument aus der eigenen Erfahrung Argument aus der eigenen Erfahrung Funktional-pragmatisches Argument Funktional-pragmatisches Argument 0 20 + MH 40 - MH Abb. 4.1.2.5: Häufigkeit der Argumentationsmuster für visuelle Mehrsprachigkeit 244 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 60 80 100 fahrung der Beheimatung an ihre alte Heimat, die Türkei, binden und so das Spannungsverhältnis zwischen alter und neuer Heimat markieren. beobachten. Auch hier greifen mehr Frauen (83 %) als Männer (46 %) auf ein funktional-pragmatisches Argument zurück, um ihre positive Einstellung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit zu begründen. Darüber hinaus geben die Daten altersspezifische Unterschiede zu erkennen. So argumentieren in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund vor allen Dingen die Informanten der mittleren Generation funktional-pragmatisch (39 Nennungen). In der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund sind es hingegen mehrheitlich die Befragten der älteren Generation (36 Nennungen). Ein bedeutendes Ergebnis ist, dass die Befragten mit Migrationshintergrund am zweithäufigsten das BeheimatungsArgument anführen. Interessant ist dabei, dass dieses Argument mehrheitlich in den Interviews genannt wird, die auf Türkisch geführt wurden. Dies lässt sich so deuten, dass sich die Befragten durch die Wahl ihrer Sprache in ihrer Individualität, d. h. in der Besonderheit, eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen, wahrgenommen und anerkannt fühlen. Dies wird umso deutlicher, wenn die Befragten zur Versprachlichung ihrer Argumentation auf ihre Herkunftssprache zurückgreifen, d. h. Türkisch wählen. Eine Verstärkung erfährt das Beheimatungs-Argument dadurch, dass sich die Befragten häufig eines Vergleichs bedienen, d. h. die Er- 0 10 Interview auf Türkisch 4. Beispiel: (DuMar15; mittel) ne hissediyorum| (0.5) türkiye gibi geliyor| Übersetzung: Was ich empfinde| Als ob ich in der Türkei wäre| 5. Beispiel: (DoNor3; mittel) şimdi türkçe gördüğüm bir sokakta| (0.7)| kendimi türkiyede gibi hissediyorum| Übersetzung: Wenn ich in einer Straße türkisch sehe| dann fühle ich mich wie in der Türkei| 6. Beispiel: (BoLan5; mittel) ist ein schönes gefühl| so man sieht man| ich äh fühle mich so wie in (-) äh meine heimat| Den auffälligen Zusammenhang zwischen der Wahl der Sprache des Interviews (Deutsch, Türkisch) und der Wahl des Argumentationsmusters illustriert Abb. 4.1.2.6. Am häufigsten gebrauchen die Befragten mittleren Alters (30 bis 60 Jahre) das Argument der Beheimatung, in dieser Gruppe nennen 14 Befragte das Argument. Bei den Jüngeren (18 bis 30 Jahre) ist dieses Argument mit nur 6 Nennungen kaum relevant, für die Älteren (über 60 20 30 40 50 Interview auf Deutsch Abb. 4.1.2.6: Sprachwahl und Wahl der Argumentationsmuster zur Befürwortung von visueller Mehrsprachigkeit 4.1.2 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT 245 Jahre) spielt es gar keine Rolle (1 Nennung). Offensichtlich verbindet diese Gruppe Gefühle der Beheimatung nicht mit der öffentlichen Sichtbarkeit ihrer Herkunftssprache – oder sie äußert diesen Zusammenhang nicht. In der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund ist das Argument der Beheimatung dagegen ein selten angeführtes Argument. Es wird aber – ähnlich wie von den Befragten mit Migrationshintergrund – im Spannungsverhältnis von »Beheimatung und neuer Heimat« (Uslucan 2014) wahrgenommen (vgl. Beispiel 7). 7. Beispiel: (BoHam11; mittel1,) und ich finde das auch schön dass man irgendwo| auch wenn man in deutschland fuß fasst| und hier auch groß wird und (-)| sich hier verwirklicht trotzdem noch äh| (1.1)| dieses gefühl für die heimat hat| Viele der Befragten sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund (10 % bzw. 8 %) befürworten den Gebrauch mehrsprachiger Schilder auch mit dem Argument aus der eigenen Erfahrung. Dabei stehen solche Kontexte im Vordergrund, die einen Vergleich mit eigenen Erfahrungen von Fremdheit nahelegen (sowohl faktisch als auch im Als-obModus) und zeigen, dass man sich mit den neu angekommenen Migrantinnen und Migranten identifiziert und ihre Bedürfnisse anerkennt. Die Befragten mit Migrationshintergrund verdeutlichen mit diesem Argument gleichzeitig, dass sie selbst bereits erfolgreich sprachlich integriert sind. Am häufigsten wird dieses Argument in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund von denjenigen genannt, die einen hohen Bildungsabschluss (Abitur) besitzen. Der Verweis auf eigene (faktische oder potentielle) Erfahrungen drückt sich sprachlich in der Verwendung des Pronomens der 1. Person Singular (»ich«) aus (vgl. die Beispiele 8 & 9). 8. Beispiel: (EsRüt1; mittel) ja wie gesagt äh| es gibt auch äh leute| wie ich zum beispiel| am anfang (-) konnte ich gar gar kein deutsch sprechen| 9. Beispiel: (DoNor4; jung) wenn ich in einem fremden land bin| bin ich auch immer froh| wenn ich irgendwo (.) schilder (.) in meiner sprache sehe| oder in einer die ich verstehe| Die Befragten ohne Migrationshintergrund versetzen sich also in die Situation, selbst in einem fremden Land zu sein und die Landessprache nicht zu verstehen. Sie untermauern ihre positive und affirmative Einstellung damit, dass sie unter diesen Umständen auch froh wären, Schilder in 246 4. SPRACH BEWERTuNGEN uND EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT ihrer eigenen Sprache vorzufinden. Sie bringen so ihr Verständnis für die Bedürfnisse von Zugewanderten zum Ausdruck und erkennen ihre sprachliche Andersheit an. Ein weiteres von den Befragten ohne Migrationshintergrund häufig verwendetes Argument für die Zustimmung zu mehrsprachigen Schildern ist das Argument der Faktizität, d. h. der Verweis auf bestimmte Umstände, wie etwa, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die nicht Deutsch sprechen. Mit dem Verweis auf die Faktizität bestimmter Sachverhalte lässt sich eine explizite Begründung der positiven Einstellung umgehen. Dieses Argument wird mehrheitlich von älteren Befragten (ab 60 Jahren) gebraucht. verursacht bei diesen Informanten positive Gefühle. Wie die Beispiele 14 und 15 zeigen, tragen mehrsprachige Schilder zu einem Gefühl der Anerkennung und Wertschätzung bei, das psychische Erleichterung auslöst: 14. Beispiel: (DoNor13; mittel) (-) hem almanca hem türkçe bir levha görsem| (0.6)| bize bir| (0.7)| güzellik yapıldığını düşünüyorum| psikolojik olarak da rahatlatıyor bu insanı| (1.0)| Übersetzung: wenn ich ein deutsch-türkisches schild sehe, denke ich, man hat uns was schönes angetan| dadurch fühlt man sich psychisch erleichtert 10. Beispiel: (DoHör1; jung) finde ich völlig in ordnung| (0.5) finde ich sinnvoll| (0.4) ja weil es einfach genug ähm (0.8) bürger gibt| die ähm die eben nicht deutsch sprechen| 15. Beispiel: (DoNor6; jung) kendimi iyi hissediyorum| ((lacht))| (0.9)| ya| türkçe kendimi daha iyi ifade edebildiğim için| Übersetzung: ich fühle mich gut| ja| weil ich mich auf türkisch besser ausdrücken kann| 11. Beispiel: (BoHam4; alt) ja gut ich mein wir haben jetzt auch sehr viele ausländische mitbürger| die müssen ja auch sich irgendwie verständigen können (-)| Mit dem Argument der Multikulturalität betonen die Befragten mit Migrationshintergrund den Vorteil des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen. Einige Befragte (vor allem die mit einem hohen Bildungsabschluss) begründen ihre positive Einschätzung auch mit dem Argument der Multikulturalität, also damit, dass Deutschland immer multikultureller werde. 12. Beispiel: (DoNor7; jung) ist gut| ja das ist dass wir °hh äh (0.7) kann viele viele kultur| viele viele veränderungen von andere land kennenlernen (-)| 13. Beispiel: (EsRüt13; jung) wie nennt man das so| diverser wird| einfach so| das ist äh| (0.7) gibt einfach mehr (1.0) eigentümlichkeiten so| das finde ich eigentlich ganz ganz positiv sogar (1.0)| Diese Befragten erkennen Diversität und kulturelle Vielfalt als Bereicherung an und weisen auf die Chance hin, voneinander zu lernen. Gegenseitige Anerkennung als Grundbedingung für Toleranz bietet die Möglichkeit, dass die verschiedenen Kulturen in einen Austausch treten. Der Befragte in Beispiel 12 nimmt dabei eine Selbstkategorisierung vor und identifiziert sich mit dem Personalpronomen »wir« als Teil einer bestimmten Gruppe, die er von anderen Gruppen abgrenzt (»viele kultur(en)«). Das affektive Argument wird nur von Befragten mit Migrationshintergrund gebraucht, um eine positive Einstellung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit zu begründen. Das Vorhandensein von Schildern in der eigener Sprache 16. Beispiel: (DuMar5; mittel) finde ich okay (--)| nein (--) keine (0.8)| umso mehr sprachen umso mehr beschilderte äh (1.0) schilder (0.9)| eh (---) können nur (1.9) mehrere personen von (--) woanders hierhin bringen (---)| das (.) äh wirde würde keinen schaden bringen (--) weil äh| umso mehr menschen (0.8)| verschiedene menschen (0.4)| das kann nur was gutes bringen (---)| 17. Beispiel: (EsRüt4; mittel) i think eh (1.1)| people are interested in other cultures| so hm_hm (0.5)| Übersetzung: Ich denke| die Menschen interessieren sich für andere Kulturen| Wesentlich seltener wird mit einem normativen Argument eine positive Einstellung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit untermauert. Dabei wird entweder ex negativo argumentiert, wie in Beispiel 18, oder es wird darauf hingewiesen, dass Mehrsprachigkeit die Möglichkeiten der Spracherfahrung in der Alltagswelt erweitert (Beispiel 19): 18. Beispiel: (EsAlt13; jung) yani hani almanyaysa sadece herşey almancadan| (---) gitmiyor| Übersetzung: Nur weil man in Deutschland ist| muss nicht alles auf Deutsch ausgeschildert sein| 4.1.2 EINSTELLuNGEN Zu VISuELLER MEHRSPRACHIGKEIT 247 19. Beispiel: (DuMar10; mittel) bence normal insanları kısıtlamak bir fayda getirmez diye düşünüyorum| Übersetzung: Ich finde das normal; Menschen zu begrenzen, bringt nichts Mit welchen Argumenten sprechen sich die Befragten gegen visuelle Mehrsprachigkeit aus, und wie häufig werden welche Argumentationsmuster verwendet? Abb. 4.1.2.7 fasst die Ergebnisse differenziert nach Befragten mit und ohne Migrationshintergrund zusammen. In beiden Untersuchungsgruppen wird am häufigsten auf normative und funktional-pragmatische Argumente Bezug genommen. In der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund wird sprachliche Integration als eine Muss-Leistung angesehen, die von Migrantinnen und Migranten zu erbringen ist. Es wird gefordert, dass diese »der deutschen Sprache mächtig sein« sollten. Zum Teil wird diese Forderung auch als Bedingung für bestimmte Rechte, wie etwa das Bleiberecht, formuliert (vgl. die Beispiele 20 & 21). 20. Beispiel: (BoLan11; alt) da halte ich eigentlich gar nichts von| ich denke wenn man in deutschland lebt| sollte man auch der deutschen sprache mächtig sein| (-) ne| ((...))| Sonstige Argumente 23. Beispiel: (DuInn15; mittel) wer hier äh »»lachend« nach deutschland kommt«| (-) dann soll er (.) deutsch können| Affektives Argument Normatives Argument Integrationsargument Argument aus der eigenen Erfahrung Funktional-pragmatisches Argument 0 5 + MH 10 15 20 - MH Abb. 4.1.2.7: Häufigkeit der Argumentationsmuster gegen visuelle Mehrsprachigkeit 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT Dabei fällt auf, dass das normative Argument am häufigsten von den ältesten Befragten angeführt wird (15 Nennungen), während es von den Befragten mittleren Alters nur achtmal und von den jüngsten Befragten sogar nur viermal genannt wird. Ähnlich argumentieren auch viele Befragte mit Migrationshintergrund, wenn sie sich gegen visuelle Mehrsprachigkeit aussprechen. Ihre Einstellungsäußerungen verdeutlichen, dass sie sprachliche Integration als eine Leistung verstehen, die von Migrantinnen und Migranten erwartet wird und an der die Integrationsbereitschaft von neu Zugewanderten gemessen wird. Diese Erwartungserwartung äußert sich sprachlich in der Verwendung der Modalverben »müssen« und »sollen«, die unterschiedliche Grade der Notwendigkeit bezeichnen, in die der Sachverhalt – die Integration – eingeordnet wird. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass ausschließlich die männlichen Befragten und in dieser Gruppe wiederum diejenigen mittleren Alters (30 bis 60 Jahre) auf das normative Argument zurückgreifen (18 Nennungen von insg. 25). Eine Erklärung für dieses Argumentationsverhalten könnte sein, dass die männlichen Migranten mittleren Alters, also diejenigen der sog. zweiten Migrantengeneration, die Beherrschung der deutschen Sprache am stärksten als kollektiven Erwartungsdruck erleben – im Beruf und im Alltag. 22. Beispiel: (DuMar12; jung) halt wir leben in deutschland| so wie gesagt habe| (0.4) halt äh| wir müssen uns ja hier anpassen| Ökonomisches Argument 248 21. Beispiel: (BoLan14; alt) wir leben hier in deutschland| entweder lernen sie deutsch| auch lesen (---)| oder sie gehen wieder (0.8)| 25 24. Beispiel: (DoNor11; mittel) 210 DoNor11: weil ich finde die leute die hier hin kommen (--)| 211 sind (-)| 212 die sind ja verpflichtet| 213 in erster linie| 214 die deutsche sprache hier zu lernen| 215 natürlich kann man es ja nicht von (-) von vornherein verlangen| 216 (und sagen)| 217 okay dass sie halt deutsch sprechen (1.1)| 218 219 aber (-)| wenn man es ihnen jetzt so dermaßen vereinfacht| 220 dass sie überall ihre sprache (vorfinden)| 221 dann würden die sich auch gar keine mühe machen diese sprache zu lernen| 222 IntMW: mhm| 223 DoNor11: ich finde es gerade wenn man hier lebt (-)| 224 müsste man sich mit der deutschen sprache auseinandersetzen (--)| 225 deren kultur (--)| 226 der tradition (-)| 227 und deren sitten| 228 IntMW: mhm| 229 DoNor11: und wenn man merkt okay man kann hier leben| 230 dann sollte man| 231 (wenn nicht) dann (.)| 232 bitte (-)| 233 kann ja jeder zurückgehen| Auch funktional-pragmatische Argumente werden zur Ablehnung mehrsprachiger Schilder verwendet. Insbesondere wird auf die »Platzfrage« (BoHam8, alt) und die Unübersichtlichkeit mehrsprachiger Texte (»man verliert die übersicht« (BoLan15, alt) und »also da bisschen durcheinander« (BoLan5, mittel)) hingewiesen. Vergleicht man die funktional-pragmatische Argumentation der Befragten mit und ohne Migrationshintergrund, dann zeigen sich Unterschiede mit Blick auf die Variable Alter. Während in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund vor allen Dingen die jüngere Generation dieses Argument verwendet, sind es in der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund die älteren Informanten. Da die Fallzahlen aber insgesamt sehr klein sind, sind hier weitergehende Untersuchungen mit einem größeren Befragtensample notwendig. Das Integrationsargument im Kontext der Ablehnung von visueller Mehrsprachigkeit besagt, dass Mehrsprachigkeit, insbesondere der Gebrauch von Herkunftssprachen im öffentlichen Raum, ein Hinderungsgrund für erfolgreiche Integration sei. (Visuelle) Mehrsprachigkeit wird damit nicht als ein Gewinn betrachtet, sondern als ein Hindernis, das die Bereitschaft zum Erlernen der Sprache der aufnehmenden Gesellschaft senkt und damit integrationshemmend wirkt: 4.1.2 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT 249 25. Beispiel: (DoNor11; mittel) aber (-)| wenn man es ihnen jetzt so dermaßen vereinfacht| dass sie überall ihre sprache (vorfinden)| dann würden die sich auch gar keine mühe machen diese sprache zu lernen| 29. Beispiel: (DoHör15; alt) wenn wir ins ausland gehen| dann haben wir auch nur die die sprache des landes| ähm (---) ähm (.) müssen wir damit zurecht kommen oder| also| 26. Beispiel: (EsAlt9; mittel) äh (---)| bei mehrsprachiger beschilderung| ähm sehe ich das problem| dass die leute nicht integrieren| 30. Beispiel: (DuInn11; mittel) ich meine wenn man (0.4) aus dem ausland nach deutschland kommt| sollte man schon die äh sprache lernen| genau wenn ich nach frankreich gehen will| dann muss ich französisch lernen| wenn ich nach spanien gehen will| muss ich spanisch können| (xxx) muss ich italienisch lernen| Einige Befragte ohne Migrationshintergrund begründen ihre Ablehnung von mehrsprachigen Schildern mit dem affektiven Argument, d. h. sie sprechen negative Gefühle an, vgl. die Beispiele 27 & 28: 27. Beispiel: (EsRüt5; mittel) da fühlt man sich ja dann schon so ein bisschen (0.8)| ja übergangen| 28. Beispiel: (DoNor11; mittel) ja wie empfinde ich das| ähm (1.0)| es ist schon befremdlich (0.5)| ((…))| äh ist das schon äh beängstigend ehrlich gesagt| Bei vielen Befragten verursacht die Tatsache, die Sprachen auf Schildern nicht lesen und verstehen zu können, ein Gefühl von Angst und Befremdlichkeit. In Beispiel 27 fühlt sich der Informant übergangen; indirekt erhebt er die Forderung, dass auf Schildern in der Öffentlichkeit immer auch Deutsch zu finden sein müsse. Wie die Befürworter sichtbarer Mehrsprachigkeit berufen sich auch die Gegner auf das Argument aus der eigenen (faktischen oder potenziellen) Erfahrung. Auf der sprachlichen Ebene zeigt sich der Wechsel in die Ich-/Wir-Perspektive in der Verwendung des Personalpronomens der 1. Person (Singular und Plural), mit der die Befragten auf sich selbst oder die Mehrheitsgesellschaft referieren. Es werden gesellschaftliche Ansprüche formuliert, erkennbar an dem Gebrauch der Modalverben »müssen« und »sollen« und von »wenn-dann«-Konstruktionen, um so den allgemeinen Fall zu beschreiben und Gesetzmäßigkeiten auszudrücken. Der generische Charakter dieser »wenn-dann«-Konstruktionen wird durch die Verwendung des generalisierenden Indefinitpronomens »man« unterstrichen (vgl. Imo / Ziegler 2018). 250 4. SPRACH BEWERTuNGEN uND EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT Affektive Argumente sind solche Argumente, die subjektive Empfindungen zum Ausdruck bringen, wie etwa die Erfahrung von Fremdheit (vgl. die Beispiele 31 & 32). Dabei geben die folgenden Beispiele auch zu verstehen, dass es bei den abgefragten Sachverhalten nicht nur um die Einstellung zu Sprachen, sondern auch um die Einstellung zu Sprechergruppen geht. So deuten die Äußerungen in den Beispielen 33 und 34 darauf hin, dass auch die Beziehungen unter den Migrantengruppen nicht spannungsfrei sind. 31. Beispiel: (DuInn1; alt) ja da kommt man sich schon fast vor wie ((lacht)) wenn man ausländer wäre| ((lacht))| in anderer in einer in einer anderen welt| 32. Beispiel: (BoLan11; alt) ich mein einerseits (.)| find ich das multikulti ja ganz gut| aber andererseits (.)| fühlt man sich dann auch so ein bisschen wie so ein fremder im eigenen land ne| Ganz selten werden ökonomische Argumente gegen visuelle Mehrsprachigkeit angeführt, indem auf die Kosten verwiesen wird: 35. Beispiel: (BoHam15; jung) die höheren betriebskosten| weil die faulen maler oder beschilderer da mehr zeit dann brauchen| ja um diese sachen da anzubringen| Insgesamt zeigt sich, dass die Befragten mehrheitlich visuelle Mehrsprachigkeit befürworten, insbesondere wenn sie in einem stärker migrationsgeprägten Stadtteil, d. h. nördlich der A 40 leben. Gleichzeitig wurde deutlich, dass sich die Einstellungen der Befragten ohne und mit Migrationshintergrund in den südlich der A 40 gelegenen Stadtteilen angleichen. Die Befragten mit Migrationshintergrund übernehmen hier die Wertvorstellungen und Normen der Mehrheitsgesellschaft, d. h. äußern Bedenken und Vorbehalte gegenüber sichtbarer Mehrsprachigkeit. Die Befürwortung von visueller Mehrsprachigkeit wurde am häufigsten funktional-pragmatisch mit dem Hinweis auf Aspekte wie Orientierung, Verständigung und Abbau von Sprachbarrieren begründet. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Mehrheit der Befragten mit Migrationshintergrund mit der öffentlichen Sichtbarkeit ihrer Herkunftssprachen auch Gefühle der Beheimatung verbindet – ein Aspekt, der bisher in der Diskussion um Integration und Sprache eher vernachlässigt wurde. 33. Beispiel: (DuMar13; mittel) finde ich unfair| die werden bevorzugt behandelt die türken (0.7)| 34. Beispiel: (DoNor3; mittel) ama başka dilde gördüğüm zaman o zaman| (0.5)| kendimi yabancı hissediyorum| (---) äm| äm| rusca| äm| fransızca ingilizce gördüğüm zaman| (1.0)| ( )| o zaman hiç benimsemiyorum yani| (0.8)| hoşuma gitmiyo r| Übersetzung: aber wenn ich in einer anderen sprache als deutsch sehe dann| ich fühle mich fremd| wie ein ausländer| russisch| wenn ich französisch englisch sehe| dann fühle ich mich gar nicht angesprochen also| ich mag es nicht| 4.1.2 EINSTELLuNGEN Zu VISuELLER MEHRSPRACHIGKEIT 251 4.1.3 Einstellungen zu Sprachen Nicht jede Sprache genießt die gleiche Wertschätzung und das gleiche Prestige. Vor diesem Hintergrund wurden die Befragten nicht nur nach ihrer Einstellung zu sichtbarer Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum gefragt, sondern auch nach ihrer Wahrnehmung und Bewertung gesprochener Sprachen. »Gibt es Sprachen, die Sie gerne hören, und Sprachen, die Sie nicht so gerne hören? Welche? Warum?« Die Ergebnisse sind in Abb. 4.1.3.1 bis 4.1.3.4 zusammengefasst. Anzumerken ist dabei, dass viele Befragte das Niederländische umgangssprachlich als »Holländisch« bezeichneten. Polnisch 1 % % isch isch 2 ech Deutsch 2 % Alban Gri 4% r Tü Spanis ed er län 27 % Fr % an zö sis 4 ch ch kis Ni dis ch 5 % ch 10 % (DuInn2; alt) 230 IntYR 231 232 DuInn2: 233 IntYR: 234 DuInn2: 235 236 237 IntTM: 238 IntYR: 239 DuInn2: 240 241 242 IntYR: 243 DuInn2: 244 IntTM: 245 DuInn2: 246 250 IntYR: 251 DuInn2: 252 IntTM: 253 IntYR: 254 DuInn2: 255 256 IntTM: 257 DuInn2: 258 IntTM: 259 IntYR: 260 DuInn2: 261 IntYR: 262 DuInn2: 22 % % It a lie ni g ch lis gibt es denn irgendwelche sprachen die sie gerne hören| oder welche die sie ungerne hören| (0.4) ja gerne höre ich französisch| warum gerade französisch| (0.8) ja das ist| so melodisch| das das finde ich toll| mhm| gibt es noch eine sprache die sie schön finden| das finde ich ganz toll| ja italienisch noch| ja| warum| ja auch weil das| (2.2) mhm (0.4)| (0.5) die sprechen ja unheimlich schnell die italiener ne| °h und das das finde ich toll| [...]| und welche hören sie nicht so gerne| (1.4) russisch| mhm| warum| (--) ja das ist so (-) so hart| das ist so so eine hart ausgesprochene sprache| mhm| also die die gefällt mir nicht| mhm| (0.9) mhm| genau wie das polnische| (1.8) mhm| (--) dass das hört sich sehr ähnlich an für mich| 24 h sc En Am liebsten hören die Befragten Französisch, gefolgt von Italienisch, Englisch und Spanisch. Neben Englisch werden also vor allem die romanischen Sprachen gerne gehört. Ähnliche Bewertungsmuster finden sich auch in anderen Studien (vgl. Bernhard 2013; Gärtig et al. 2010). Differenziert nach Alter zeigt sich, dass die Werte für die positive Beurteilung des Englischen bei den jüngeren Befragten am höchsten ausfallen (Abb. 4.1.3.2). Beispiel 1 gibt Einblick in das ästhetische Sprachempfinden einer älteren Duisburger Informantin. Sie bewertet Französisch und Italienisch positiv als Sprachen, die sie gerne hört und gibt an, dass sie diese Sprachen »toll« finde, weil Französisch »so melodisch« (Z. 235) sei und die Italiener »so unheimlich schnell« (Z. 245) sprächen. Russisch und Polnisch bewertet sie dagegen negativ als Sprachen, die sie nicht so gerne höre, weil das »hart ausgesprochene sprache(n)« (Z. 255) seien. Ihre ästhetischen Urteile beziehen sich also hauptsächlich auf den Klang der Sprachen, die stereotype Zuschreibungen widerspiegeln. Diese Wahrnehmung ist eine höchst selektive. Umgekehrt ließe sich auch fragen, wie unterschiedliche Zuwanderergruppen die deutsche Sprache wahrnehmen und bewerten, beispielsweise ob russische oder polnische Sprecherinnen und Sprecher den Klang des Deutschen als »hart« empfinden. Abb. 4.1.3.1: Sprachen, die die Befragten am liebsten hören 252 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.3 EINSTELLUNGEN ZU SPRACHEN 253 % ab h isc Ru es % isc h 17 % 17 % ss hin ch i rie G Türkisc h h isc C sc h ch kis nd N ie de rlä Sp Tü r isc h isc h an isc h gl ni lie It a En sc h ch sis zö an Fr 31 Ar 22 10 Japanisch 2 % 1. Beispiel: (DuMar4; alt) bulgarisch höre ich nicht so gerne| es klingt nicht gut| und die keifen immer| die schreien so (0.6)| und das klingt dann einfach nicht gut| so über drei ecken| oder wenn ich mich da hinten mit welchen unterhalten will| dann gehe ich hin (---)| und schreie nicht von hier aus (0.7)| und das hört sich dann nicht gut an| 15 4% Abb. 4.1.3.2: Sprachen, die gern gehört werden, differenziert nach dem Alter der Befragten (N = 108) risch alt % mittel h7 isc jung ös 0 nz 5 Fra 10 Arabisch und Russisch sind die Sprachen, die am wenigsten gern gehört werden (vgl. Abb. 4.1.3.3), wobei vorausgesetzt wird, dass die Informanten diese Sprachen auch identifizieren können, was erst noch zu überprüfen wäre. Wie die Auswertung zeigt, äußern sich die Befragten deutlich lieber zu Sprachen, die sie gerne hören (113 Nennungen), als zu Sprachen, die sie ungerne hören (46 Nennungen). Insgesamt vermeiden die Befragten negative Sprachbewertungen, um nicht den Eindruck einer positiven Grundeinstellung zu gefährden. Differenziert nach Alter (Abb. 4.1.3.4) zeigt sich, dass die Befragten mittleren Alters Arabisch, Russisch, Chinesisch und Türkisch durchgehend negativer bewerten als die Befragten der anderen Altersgruppen. Dabei trennen die Befragten nicht immer klar zwischen Urteilen zu sprachlichen Phänomen und Urteilen über die jeweilige Gruppe von Sprecherinnen und Sprechern. Sehr häufig werden die negativen Sprachurteile mit kulturellen Praktiken, d. h. Zuschreibungen wie »keifen«, »schreien«, »streiten« verknüpft oder mit unangenehmen Assoziationen verbunden (Beispiele 2 – 4): Bulga 15 Abb. 4.1.3.3: Sprachen, die die Befragten nicht gern hören 2. Beispiel: (DoNor12; jung) wenn man äh (--)| arabische leute manchmal small talk machen hört| dann dann denkt man die streiten sich wie gott was| so und so| ist halt ne sehr raue sprache| und sie ist vom klang her nicht sehr schön| 5 C jung mittel alt ch kis Tü r hi ne sis ch isc h ss Ru Ar ab isc h 0 3. Beispiel: (BoHam1; alt) bleiben wir nochmal bei den türkischen hehe landsleuten| ist es einfach so| die haben eine sehr laute aussprache| und so durcheinander und so (1.0)| das das mag ich dann nicht so also| ich könnte mich da jetzt nicht lange in gesellschaft aufhalten| Abb. 4.1.3.4: Sprachen, die ungern gehört werden, differenziert nach dem Alter der Befragten (N = 40) 254 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.3 EINSTELLUNGEN ZU SPRACHEN 255 Abbildung 4.1.4.1 zeigt, dass die Mehrheit der Befragten ohne Migrationshintergrund (64 %) mehrsprachige Schilder vor allen Dingen mit Multikulturalität, d. h. mit dem Vorhandensein mehrerer Kulturen in Zusammenhang bringt und damit die sozialsymbolische Funktion als zentral betrachtet. Aus Sicht der Befragten ohne Migrationshintergrund gibt es mehrsprachige Schilder in den Stadtvierteln vor allem aufgrund der vielen Nationen und Kulturen, die dort leben und diese Schilder aufstellen. Dabei wird auch der hohe Grad an Diversität betont (»sehr sehr bunt«, »verschiedenste ethnische Gruppen«, vgl. die Beispiele 1 – 3). g 9% Befragte ohne Migrationshintergrund 1. Beispiel: (EsAlt; alt) hier sind viele nationen vertreten| ((…))| also das ist (--) sehr sehr bunt| rktun Mehrsprachigkeit in Form von Schrift im öffentlichen Raum kann unterschiedlichen Funktionen dienen. Bei den Vor-Ort-Interviews wurde gefragt, welche Funktionen die Befragten mehrsprachigen Schildern zuordnen: »Was denken Sie: Warum gibt es hier mehrsprachige Schilder? Was haben mehrsprachige Schilder hier für eine Funktion?« Die von den Befragten genannten Funktionen lassen sich grundsätzlich in drei Funktionstypen zusammenfassen: Informationsfunktion, sozialsymbolische Funktion (z. B. Symbol für Multikulturalität, Identität und Beheimatung) und Vermarktungsfunktion. Im Folgenden sollen die Äußerungen zu den einzelnen Funktionen vorgestellt werden, und zwar differenziert nach Befragten mit und ohne Migrationshintergrund: a Verm 4.1.4 Einstellung zur Funktion visueller Mehrsprachigkeit 2. Beispiel: (DuInn9; alt) duisburg ist ja °h für mich multikulti| wir haben ja ich glaube hundertvierzig| oder hundertfünfzig verschiedene| äh (--) ne menschen die hier leben| 3. Beispiel: (DoHör6; alt) also wir sind multikulturell eigentlich| kann man wirklich so sagen in hörde aufgestellt| wir haben ganz viele (1.0) verschiedenste ethnische gruppen| Information 27 % Am zweithäufigsten wird die Frage nach der Funktion von visueller Mehrsprachigkeit von den Befragten ohne Migrationshintergrund mit der Informationsfunktion beantwortet (27 %). Es wird also der Nutzen von Mehrsprachigkeit betont. So wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass mehrsprachige Schilder in den Stadtvierteln als Wegweiser und / oder Informationsschilder (etwa für Touristen) fungieren (vgl. die Beispiele 4 & 5). 4. Beispiel: (BoLan3; alt) viele sind ja hier| die könn kein deutsch| sind schon zig jahre deutsch| und für die wird dann natürlich erleichternd sein| wenn die dann eben da| wegweiser oder wie auch immer| (--) solche sachen hätten| 64 % Soz ials ymb ol Abb. 4.1.4.1: Warum gibt es mehrsprachige Schilder? Welche Funktionen haben sie? (Befragte ohne Migrationshintergund) 5. Beispiel: (EsRüt8; jung) ja wahrscheinlich dann um auch den (.)| den touristen einen anhaltspunkt zu geben (-)| die jetzt gerade nicht aus deutschland kommen| und damit sie hier einigermaßen zurecht finden (--)| 256 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.4 EINSTELLUNG ZUR FUNKTION VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT 257 8. Beispiel: (EsRüt11; alt) (1.3) ja es ist zum teil ein teil der werbung| suggeriert irgendwie modernität| fortschritt| 9. Beispiel: (EsRüt13; jung) weiß nicht| ob irgendwas so auf toll neu modern gemacht wird so| dann vielleicht| 10. Beispiel: (BoLan4; mittel) um das attraktiver zu machen| 11. Beispiel: (DuInn2; alt) äh es ist ja heute anscheinend schick all alles in in einer anderen sprache zu machen| äh| (0.8) da meint man manchmal es gäbe nichts deu nichts äh nichts deutsches mehr| 258 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 14. Beispiel: (DuInn6; jung) ich glaube weil hier auch einfach viele (.) verschiedene ethnische gruppen (.)| und kulturen zusammenlaufen| und deswegen einfach (.) mehrsprachigkeit so ein bisschen zum alltag gehört| 15. Beispiel: (DuMar5; mittel) weil äh (-) viele (---) leute kommen von draußen (0.8) äh hierein| also (-) nach marxloh (--)| 16. Beispiel: (DoNor3; mittel) (1.1)| çünkü burası genelde äm| karışık bir sokak yani bütün| (---) yabancıların çok (.) uğradığı bir sokak| o yüzden äm| (1.3)| Übersetzung: weil hier ist hauptsächlich äm| eine gemischte straße also alle| ausländer oft auf dieser straße vorbeikommen| deshalb äm| 17. Beispiel: (BoLan15; alt) ( ) multikulturell hier| % Wie die Beispiele 8 bis 11 zeigen, vermuten viele Befragte, dass mit visueller Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum auch häufig Modernität suggeriert werden solle, um auf diese Weise die Attraktivität der Produkte zu steigern. Mehrsprachigkeit wird somit als zeitgemäß und fortschrittlich bewertet, aber auch als schick und kultiviert. 13. Beispiel: (DuMar13; mittel) was für eine funktion| ist ja klar| die leute sollen sich halt besser auskennen| und äh auch lesen können was da draufsteht (0.5)| auf den schildern| oder (--) generell| 18. Beispiel: (DuMar14; jung) yurtdışından da e| türkler genelikle buraya geldiği için| yani onlar da kendilerini burda yabancı hissetmiyorlar| Übersetzung: weil auch aus dem ausland kommen für gewöhnlich türken hier hin| das heißt sie fühlen sich hier nicht als ausländer| g 10 7. Beispiel: (DuInn8; mittel) oder wirklich gezielt| irgendwie zweisprachige werbung| weiß ich nicht| 12. Beispiel: (DuMar14; jung) yani sırf almanca değil| hepsi (--) anlıyorlar (--)| Übersetzung: deswegen sind die schilder nicht nur auf deutsch| alle leute verstehen sie| Viele Befragte, d. h. 21 % aller Befragten mit Migrationshintergrund, verbinden sichtbare Mehrsprachigkeit auch mit einem Gefühl von Heimat und Beheimatung. Die sichtbare Verwendung von Migrantensprachen in den Stadtvierteln trage dazu bei, dass sich die Befragten nicht als »Ausländer« fühlen (Beispiel 18). Die Präsenz der Herkunftssprache macht es somit leichter, dass sich die Zuwanderer hier zu Hause fühlen und sich mit der Region und der Mehrheitsgesellschaft identifizieren können. Auffällig ist, dass diese Funktion mehrheitlich in den Interviews, die auf Türkisch geführt wurden, genannt wurde (vgl. Kap. 4.1.2). rktun 6. Beispiel: (EsAlt2; alt) ja werbung| für die geschäfte| Befragte mit Mirgrationshintergrund Wie antworten die Befragten mit Migrationshintergrund auf die Frage nach den Funktionen von mehrsprachigen Schildern in den Stadtvierteln? Unterscheiden sich ihre Antworten von denen der Befragten ohne Migrationshintergrund? Auch von den Befragten mit Migrationshintergrund wird die sozialsymbolische Funktion an erster Stelle (63 %), die Informationsfunktion (10 %) an zweiter Stelle und die Vermarktungsfunktion an letzter Stelle genannt. Von den Befragten, die Mehrsprachigkeit mit der sozialsymbolischen Funktion in Zusammenhang bringen, gibt gut die Hälfte an, dass sie sichtbare Mehrsprachigkeit als Symbol für Multikulturalität verstehe, vgl. die Beispiele 12 – 17: a Verm Nur 9 % der Befragten geben an, dass die Werbeindustrie gezielt Mehrsprachigkeit zur Vermarktung ihrer Produkte einsetze. Andere Sprachen als Deutsch würden verwendet, um Assoziationen mit bestimmten Bereichen herzustellen. So wird beispielsweise Englisch für den Bereich der modernen Technik, Französisch für den Mode-Bereich oder Italienisch für kulinarische Spezialitäten gewählt. Auf der anderen Seite können Sprachen in der Werbung auch dazu eingesetzt werden, um gewisse Zielgruppen anzusprechen (Ethno-Marketing). Diese Funktion wird aber in unserer Befragung eher von den Befragten mit Migrationshintergrund angesprochen. Information 27 % 63 % 19. Beispiel: (BoHam11; mittel) in erster linie würde ich natürlich sagen| dass das natürlich (-)| schon von vorteil für das viertel ist| weil das dann halt auch einfach bedeutet| dass sich ähm (-) migranten| beziehungsweise menschen mit migrationshintergrund| in dem viertel auch einfach wohlfühlen| 20. Beispiel: (DoNor13; mittel) birazda böyle| (---) kendini türkiyede hissi veriyor burda insanlara| (0.7)| bu sokakta öyle söyliyeyim| Übersetzung: und ein bisschen gibt es den Leuten das Gefühl sie seien in der Türkei| hier in der Straße, kann man sagen| Soz ials ymb ol Abb. 4.1.4.2: Warum gibt es mehrsprachige Schilder? Welche Funktionen haben sie? (Befragte mit Migrationshintergrund) Insgesamt zeigt der Vergleich, dass die sozialsymbolische Funktion in beiden Befragtengruppen deutlich überwiegt, allerdings unterschiedliche Bedeutungszuweisungen erfährt. Während in der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund visuelle Mehrsprachigkeit oft in den gesellschaftlichen Diskurs über Zuwanderung eingebettet und als Symbol für die Präsenz von Zuwanderern verstanden wird (z.T. auch als Code für Überfremdung gelesen wird), dominiert in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund ein Verständnis, das visuelle Mehrsprachigkeit mit dem symbolischen Ausdruck von Beheimatung verbindet. Als Symbol für Beheimatung bietet sich Sprache in besonderer Weise an, da sie in essenzieller Weise Vertrautheit und damit Beheimatung zu vermitteln vermag. 4.1.4 EINSTELLUNG ZUR FUNKTION VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT 259 2. Beispiel: (BoHam11; mittel) wenn ich jetzt zum beispiel in ein fremdes land gehe| und ich versuche mir da irgendwie eine existenz aufzubauen| wäre ich schon ganz froh| wenn ich mich so mit öffentlichen behördengängen| so ein bisschen weiter behelfen kann| indem ich das auch einfach lesen könnte| 11 % 1. Beispiel: (DoHör2; jung) das ist doch eine gute sache| oder| (0.6) ja| (0.3) kommen hier halt die leute besser zurecht| tral Größtenteils positiv ist die Einstellung zu mehrsprachigen Schildern an öffentlichen Institutionen wie Bahnhöfen, Rathäusern, Museen oder Kindergärten. Auf die Frage, ob mehrsprachige Schilder an öffentlichen Einrichtungen eine gute Idee sind, antworten 63 % der Befragten, dass sie die Idee »gut finden«. 11 % der Befragten sind unentschieden und stehen der mehrsprachigen Beschilderung an offiziellen Institutionen gleichgültig oder unentschlossen gegenüber. Gut ein Viertel der Befragten, nämlich 26 %, findet mehrsprachige Schilder im Kontext von Bahnhöfen, Rathäusern, Museen und Kindergärten nicht gut. Zur Begründung greifen die Befragten auf unterschiedliche Argumentationsmuster zurück (vgl. Kap. 4.1.2). Für die Befürwortung mehrsprachiger Schilder wird am häufigsten ein funktional-pragmatisches Argument angeführt, nämlich auf den Nutzen hingewiesen (z.B. Orientierungshilfe, Abbau von Sprachbarrieren, vgl. Beispiel 1) und durch das Argument aus der eigenen Erfahrung (faktisch oder potenziell) verstärkt (vgl. Beispiel 2). Wie die Befürworter sichtbarer Mehrsprachigkeit berufen sich auch die Gegner auf das Argument der eigenen (faktischen oder potenziellen) Erfahrung. Auf der sprachlichen Ebene zeigt sich der Wechsel in die Ich-/Wir-Perspektive an der Verwendung des Personalpronomens der 1. Person Singular, mit der die Befragten auf sich selbst referieren. neu 4.1.5 Einstellungen zu visueller Mehrsprachigkeit an öffentlichen Institutionen 5. Beispiel: (DuMar13; mittel) na wenn ich nach italien gehe| und ich gehe in ein amt rein ähm (0.5)| ich bin da öfters mal im ausland| da muss ich mich da auch irgendwie durchwurschteln und fragen (0.5)| Oft werden für die Ablehnung mehrsprachiger Schilder an öffentlichen Institutionen auch ökonomische Argumente (Beispiel 6) oder funktional-pragmatische Argumente angeführt, die auf die Kosten oder die Platzfrage und Unübersichtlichkeit der Darstellung abheben (Beispiel 7). nicht gut 26 % 63 % 6. Beispiel: (BoLan15; alt) (0.5) das find ich doch blöd| das ist nur geldverschwendung| gut 7. Beispiel: (EsRüt11; alt) ich finde das sollte auch nicht zu viel sein| das verwirrt nur| Nur selten wird geäußert, dass mehrsprachige Schilder integrationshemmend wirken könnten: 8. Beispiel: (EsAlt9; mittel) das ist keine integration| das ist äh nicht ein miteinander| sondern ein nebeneinander (-)| und das ist äh| eigentlich nicht das was gewollt ist| Einige Befragte greifen auf das Argument aus der Faktizität zurück, d. h. weisen auf den Umstand hin, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die nicht Deutsch sprechen. Im Gegensatz zu den Befragten, die eine positive oder negative Einstellung zu erkennen geben, liefern die Befragten, die eine neutrale bis gleichgültige Einstellung äußern, in der Regel keine weitere Begründung, weder Befragte mit noch ohne Migrationshintergrund (Beispiele 9 – 11). 3. Beispiel: (DoHör13; mittel) finde ich vollkommen in ordnung| ((…))| (--) gehört dazu ne (---)| 9. Beispiel: (DoHör4; alt) wenn die mehrsprachig ausschildert| das wäre mir schnuppe| Auch die negative Haltung wird mit verschiedenen Argumenten begründet. Viele Befragten stützen sich auf ein normatives Argument. Es wird gefordert, dass Migrantinnen und Migranten »der deutschen Sprache mächtig sein sollten« (Befragter BoLan11). Zum Teil wird diese Forderung auch als eine allgemeine Pflicht formuliert (Beispiel 4): 10. Beispiel: (DoNor9; jung) was weiß ich| ich hab nicht äh irgendwelche gefühl dafür| Abb. 4.1.5.1: Mehrsprachige Schilder an öffentlichen Institutionen – eine gute Idee? 11. Beispiel: (BoLan4; mittel) das ist mein alltag| das ist ganz normal für mich (-)| das hat keine positive oder negative deutung| 4. Beispiel: (DuMar2; jung) gefällt mir jetzt nicht so wirklich| weil (-) wenn wir hier schon in deutschland sind| sollte man das auch (-)| meiner meinung nach (-)| in der sprache halten (-)| 260 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.5 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT AN ÖFFENTLICHEN INSTITUTIONEN 261 neutr 0% 73 % Abb. 4.1.5.2: Mehrsprachige Schilder an öffentlichen Institutionen – eine gute Idee? – Nördliche Stadtteile 262 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT gu t 12. Beispiel: (DuInn6; jung) 091 IntYR: die fdp in karlsruhe| 092 fordert mehrsprachige schilder| 093 an öffentlichen institutionen| 094 zum beispiel an rathäusern| 095 (0.3) wie findest du das| 096 DuInn6: (0.4) also ich schätze so an sich| 097 dass es auf englisch (0.4)| 098 zieht als weltsprache| 099 IntTM: mhm| 100 DuInn6: denke ich dass es gut ist| 101 aber ich finde man mu muss jetzt nicht auf jede minderheit| 102 die jetzt vertreten ist (.) eingehen| 103 IntYR: (0.4) wenn wenn du entscheiden könntest| 104 was für sprachen auf so ein plakat abgedruckt werden| 105 was für sprachen kommen denn außer englisch deiner meinung nach noch dadrauf| 106 DuInn6: ähm also ich schätze dass eigentlich deutsch und englisch die einzigen sprachen sind| 107 die da vertreten sein sollten| 108 [oder / weil| ] 109 IntTM: [ja| ] 110 DuInn6: (0.5) wir hier in deutschland sind| 111 und englisch halt dann die internationale version davon wäre| 5% al 1 t2 utr gu ist ca. 20 Jahre alt; ihre Eltern stammen aus Albanien. Gefragt, wie sie zu der Forderung der Karlsruher FDP nach mehrsprachiger Beschilderung an öffentlichen Einrichtungen stehe, antwortet sie, dass für eine mehrsprachige Beschilderung Deutsch und Englisch ausreichend seien. Sie begründet ihre Sprachenwahl damit, dass Englisch eine »weltsprache« (Z. 98) bzw. »eine internationale version von deutsch« sei (Z. 111), also als Lingua franca diene; Deutsch solle verwendet werden, weil »wir hier in deutschland sind« (Z. 110). Daraus geht die implizite Forderung hervor, dass jeder, der in Deutschland lebt, auch die deutsche Sprache beherrschen sollte (normatives Argument). Die Verwendung weiterer Sprachen sei ihrer Meinung nach nicht nötig. Die Berücksichtigung von Migrantensprachen lehnt sie sogar explizit ab, und zwar mit dem Argument, dass nicht auf jede Minderheitensprache eingegangen werden müsse (Z. 101 – 102). Sichtbare Mehrsprachigkeit im Kontext öffentlicher Institutionen wird hier auf die Sprachenkombination Deutsch und Englisch reduziert. ne al 7 % nic ht Interessant ist die Frage, wie sich positive, negative und neutrale Einstellungsäußerungen in den unterschiedlichen Stadtteilen verteilen und ob es Unterschiede zwischen den nördlichen und den südlichen Stadtteilen bezüglich dieser Frage gibt. Tatsächlich zeigen die Interviewdaten, dass in den nördlichen, ethnisch diverseren Stadtteilen die Befürwortung mehrsprachiger Schilder an öffentlichen Institutionen höher ausfällt als in den südlichen Stadtteilen. Insgesamt befürworten 44 Befragte (= 73 %) aus den nördlichen Stadtteilen diese Idee, in den südlichen Stadtteilen stimmen dagegen nur 32 Befragte (53 %) dieser Idee zu. 32 % der Befragten im Süden lehnen den Vorschlag ab und 15 % sind unentschlossen oder zeigen eine neutrale Einstellung. Im Norden sprechen sich lediglich 20 % gegen die Idee aus, 7 % der Befragten zeigen eine neutrale Einstellung bzw. sind unentschlossen. Unabhängig von der Bewertung und Argumentation stellt sich schließlich die Frage, welche Sprachen neben Deutsch auf Schildern von Institutionen sichtbar sein sollten (Abb. 4.1.5.4). Knapp die Hälfte der Befragten (44 %) spricht sich für Englisch aus, wenn es darum geht, neben Deutsch noch eine andere Sprache für die Beschilderung an öffentlichen Institutionen zu wählen. Danach folgen Türkisch, das 35 % der Befragten für ein mehrsprachiges Schild wählen würden, Französisch (15 %) und Arabisch (10 %). Das Antwortverhalten gibt damit deutliche Hinweise auf eine Sprachenhierarchie zu erkennen. An oberster Stelle steht das Englische, gefolgt von der Migrantensprache Türkisch, die vor allen Dingen von türkeistämmigen Befragten genannt wird. Ähnliches gilt auch für die anderen Migrantensprachen. Die Ergebnisse legen insofern eine Tendenz zur Eigengruppenfavorisierung nahe. Das heißt, dass die Sprache der eigenen Gruppe gegenüber den Sprachen der anderen Gruppen bevorzugt wird. Der Grund für die Eigengruppenfavorisierung liegt darin, dass die Befragten ein positives Bild ihrer Gruppe anstreben. Einen Einblick in die Sprachenhierarchie und die unterschiedlichen Selektionskriterien für die Favorisierung bestimmter Sprachen geben die Beispiele 12 und 13, die zeigen, dass nicht nur zwischen den Befragten mit und ohne Migrationshintergrund, sondern auch unter den Befragten mit Migrationshintergrund unterschiedliche Einstellungen existieren. Beispiel 12 gibt die Einstellungsäußerung einer Informantin wieder, die in der Duisburger Innenstadt befragt wurde. Die in Deutschland aufgewachsene Schülerin 53 % gut tg nich ut 3 2% Abb. 4.1.5.3: Mehrsprachige Schilder an öffentlichen Institutionen – eine gute Idee? – Südliche Stadtteile 4.1.5 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT AN ÖFFENTLICHEN INSTITUTIONEN 263 risch 3 ,2 % h4 isc ,3 % Chinesisch 2,5 % Bulga h4 sisc ln Po ,2 % is ch ch 4, It a lie 2% nis ch 5 ,8 % 44 Spa nisc h6 ,2 % En gli h sc ,7 % Arabisch 10 % 2,5 e1 % h isc ös nz rk Tü Fra ,8 % isc h1 5% S tig ons 35 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT rie 264 G (DuMar1; jung) 103 IntNN: die fdp fordert auf (.) mehrsprachige schilder an öffentlichen institutionen| 104 wie rathäuser oder krankenhäuser| 105 DuMar1: ja| 106 IntNN: °h wie findest du das (0.8)| 107 DuMar1: gut eigentlich (--)| 108 IntNN: ja (-)| 109 welche äh (.) sprachen würdest du dann darauf ähm (--)| 110 abdrucken lassen (1.0)| 111 [hm_hm| ] 112 DuMar1: [ja deutsch ist natürlich das beste (1.1)| ] 113 aber äh (.) für die ausländern| 114 wäre es natürlich auch gut wie zum beispiel für türken| 115 IntNN: [ja| ] 116 DuMar1: [türkische sprache (0.9)| ] 117 oder für (.) weiß ich nicht (0.9)| 118 also es wäre natürlich besser| 119 wenn die leuten (--)| 120 die sprachen haben die die auch verstehen (0.6)| 121 IntNN: okay ( -)| 122 [gut| ] 123 DuMar1: [müsste man nachfragen müssen| ] Rus Eine andere Position vetritt eine in DU-Marxloh lebende ca. 20 Jahre alte Informantin, die in Deutschland geboren ist und einen türkischen Migrationshintergrund hat. Sie empfiehlt, neben Deutsch, das sie fraglos für die beste Wahl hält (Z. 112), weitere für »Ausländer« hilfreiche Sprachen zu verwenden (Z. 119 – 120). Als Beispiel führt sie ihre eigene Herkunftssprache, das Türkische, an (Z. 114, 116) und schlägt vor, den Bedarf an weiteren Sprachen zu erfragen (Z. 123). Sichtbare Mehrsprachigkeit an öffentlichen Institutionen umfasst für diese Befagte neben Deutsch auch die Migrantensprachen, Englisch spielt dagegen keine Rolle. Abb. 4.1.5.4: Welche Sprachen sollten auf Schildern sichtbar sein? 4.1.5 EINSTELLUNGEN ZU VISUELLER MEHRSPRACHIGKEIT AN ÖFFENTLICHEN INSTITUTIONEN 265 4.1.6 Strategien der Versprachlichung von Einstellungen zu Mehrsprachigkeit Die Spracheinstellungsforschung interessiert sich erst seit kurzem für die sprachlichen Mittel, die das Sprechen über Sprache(n) prägen (vgl. König 2014; Tophinke / Ziegler 2006, 2014; Imo / Ziegler 2018). Neben den inhaltlichen Aspekten geraten so auch formal-sprachliche Aspekte in den Blick, wie etwa spezifische syntaktische Strukturen, mit denen Erwartungen und Bedingungen oder sozial heikle Einstellungen kommuniziert werden. Die Formulierungsstrategien geben damit auch einen Einblick in die Normalitätserwartungen, die mit der Interviewsituation verbunden und von den Befragten in der Interviewsituation fortlaufend antizipiert und evaluiert werden. Dementsprechend zeichnen sich Spracheinstellungsäußerungen durch Formen des »recipient design« (Sacks et al. 1974: 727), d. h. des Rezipientenzuschnitts aus, die zu erkennen geben, dass sich die Befragten bei der Konstruktion ihrer Einstellungsäußerungen an dem jeweiligen Interviewer bzw. der Interviewerin orientieren. Die zahlreichen konditionalen Satzkonstruktionen bei der Formulierung von normativen Erwartungen fallen besonders auf. So gebrauchen die Befragten ohne Migrationshintergrund beispielsweise besonders häufig »wenn-dann«-Konstruktionen, um ihre Einstellung gegenüber (visueller) Mehrsprachigkeit zu begründen. Dieses sprachliche Verfahren ist typisch für die kommunikative Erzeugung von Werten und Normen (Ayaß 1999; König 2014; Nazarkiewicz 2010). Im »wenn«-Satz formuliert der Befragte eine Bedingung bzw. sachliche Voraussetzung, der im »dann«-Satz die Konsequenz folgt. Solche formelhaften Wendungen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Abstraktion aus und werden von Ayaß (1999) als »kategorische Formulierungen« bezeichnet. Die kategorische Qualität dieses Formats ergibt sich aus der engen Verknüpfung zweier Sachverhalte bzw. Handlungszusammenhänge. Sie wird unterstrichen dadurch, dass nicht konkret auf einzelne Personen, sondern auf Gruppen Bezug genommen wird, und zwar mit dem generalisierenden Indefinitpronomen »man«. So erhält der geäußerte konditionale Zusammenhang den Charakter einer allgemeinen Regel. Die Befragten verwenden kategorische Formulierungen, um ihre Behauptung als legitime Forderung gegenüber anderen Gruppen darzustellen. In vielen Fällen handelt es sich um ein Sprechen über Personen, die in Deutschland leben und »der deutschen Sprache nicht mächtig« sind. Dabei wird im »wenn«-Satz eine Bedingung, wie beispielsweise »wenn man in Deutschland wohnt«, formuliert, der im »dann«-Satz eine Konsequenz folgt, wie beispielsweise »dann sollte man Deutsch sprechen können / in Deutsch ausschildern«. Diese normativen Erwartungen werden oft mit Modalverben, die eine präskriptive Semantik haben, verbunden (vgl. Nazarkiewicz 2010: 123), z. B. mit »sollen« oder »müssen«, die den Verbindlichkeitscharakter der normativen Erwartungen unterstreichen. Dazu ein paar Beispiele: 266 4. SPRACH BEWERTuNGEN uND EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT 1. Beispiel: (DuMar2; alt) weil (-) wenn wir hier schon in deutschland sind| [dann] sollte man das auch (-)| meiner meinung nach (-)| in der sprache halten (-)| 2. Beispiel: (BoLan11; alt) ich denke wenn man in deutschland lebt| [dann] sollte man auch der deutschen sprache mächtig sein| 3. Beispiel: (BoLan13; jung) weil ich find wenn man hier in deutschland wohnt| dann sollte man sich auch an die regeln hier in deutschland so halten wie sie sind| und (--) also nicht dass deutschland sich jetzt den ausländern anpasst| sondern die sollten sich schon dann (.) uns anpassen| 4. Beispiel: (BoLan15; alt) wenn wir in deutschland (.)| dann deutsch (1.0)| 5. Beispiel: (DoNor11; mittel) wenn man es ihnen jetzt so dermaßen vereinfacht| dass sie überall ihre sprache (vorfinden)| dann würden die sich auch gar keine mühe machen diese sprache zu lernen| Charakteristisch für viele Einstellungsäußerungen ist auch der Wechsel zu einer unpersönlichen Beschreibungsebene durch die Verwendung des Indefinitpronomens »man« (vgl. Imo / Ziegler 2018). Nazarkiewicz stellt in diesem Zusammenhang fest: »Diese Generalisierung über das Indefinitpronomen repräsentiert den Verbindlichkeitscharakter der Normen im Alltag und liefert sie zugleich quasi als »Merksätze«« (Nazarkiewicz 2010: 124). Ebenso fällt auf, dass die Befragten oft das inkludierende »wir« verwenden, d. h. sich repräsentativ äußern, um die eigenen Erwartungen als die Erwartungen der aufnehmenden Gesellschaft zu präsentieren und so zu legitimieren und um Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe einerseits und Abgrenzung von »den Anderen« andererseits auszudrücken. Eine weitere, oft gebrauchte Versprachlichungsstrategie der Befragten ohne Migrationshintergrund für die Äußerung von Spracheinstellungen betrifft die Satzkonstruktion mit »solange« (vgl. die Beispiele 6 – 9), die über die rein zeitliche Bedeutung hinaus hier eine konditionale Bedeutung hat. Man stimmt Mehrsprachigkeit zu, solange gewisse Bedingungen – wie etwa die Anerkennung des Status des Deutschen als Landessprache – erfüllt bleiben. Wie so häufig schließen die Befragten dabei von der Sprache auf die Sprecherinnen und Sprecher (vgl. Kap. 4.1.3). 6. Beispiel: (EsRüt8; jung) diesen mehrsprachigen schildern| du hast ja gerade gesagt (--)| ähm solange das deutsche nicht ganz verschwindet| 7. Beispiel: (DuInn13; alt) die stören mich nicht| die ( ) haben wir hier reingeholt| weil wir sie zum arbeiten brauchten| (1.0)| und solange die uns nichts tun| lass sie laufen| (---) der meinung bin ich ne| 8. Beispiel: (DoHör4; alt) das [Mehrsprachigkeit] macht mir gar nicht| solange wie ich nicht angesprochen werde| können sie machen was sie wollen| 9. Beispiel: (BoLan14; alt) ach ich hab nichts dagegen| solange wie sie mit mir deutsch reden| ist das das alles okay| Diese Einstellungsäußerungen zeigen, dass bei einer Vielzahl der Befragten ohne Migrationshintergrund die Überzeugung vorherrscht, dass eine erfolgreiche Integration u. a. von dem Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes abhänge (assimilationistische Einstellung, vgl. Esser 2010). Das pluralistische Modell im Gegensatz dazu unterstützt die Beibehaltung und Pflege eigener Wertesysteme und Sprachen, die das Selbstwertgefühl und die Anerkennung und dadurch die Integration stärken (vgl. Esser 2010). Andere populäre Versprachlichungsstrategien, die die Befragten ohne Migrationshintergrund verwenden, um negative Einstellungen gegenüber visueller Mehrsprachigkeit zu kommunizieren, sind die »ja, aber«-Strategie (Kotthoff 1993) und die »Ich-bin-nicht-X, aber«-Strategie. Beide Strategien geben zu erkennen, dass sich die Befragten in der Interviewsituation an der Interviewerin bzw. dem Interviewer orientieren, d. h. deren Erwartungen antizipieren. Potenziell abweichende bzw. sozial unerwünschte Einstellungsäußerungen werden deshalb von den Befragten so formuliert bzw. so auf die Adressaten zugeschnitten, dass sie auf positive Resonanz stoßen können, indem sie zuerst zustimmen (»ja«), um anschließend einen Widerspruch zu äußern. Den Positionierungserwartungen wird so auf höfliche Art und Weise nicht entsprochen. Gleichzeitig wird damit eine weniger bevorzugte Äußerung, d. h. eine abwertende und / oder offen nationalistische Positionierung ermöglicht und zugleich angezeigt, wie diese von der Interviewerin oder dem Interviewer verstanden werden soll. Die »ja, aber«-Strategie wird also verwendet, um Nichtzustimmung abzuschwächen und weniger konfrontativ zu erscheinen, indem einer nega- 4.1.6 STRATEGIEN DER VERSPRACHLICHuNG VoN EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT 267 tiven Aussage (»aber«) etwas Positives (»ja«) vorangestellt wird. Wie Levinson (2000: 367) bereits feststellt: »Dem Widerspruch geht also eine scheinbare Zustimmung voraus«. Dazu ein paar Beispiele: 10. Beispiel: (BoHam2; alt) multikulti finde ich generell gut| aber äh| (2.7) nicht alle menschen sind immer gut| weder deutsche noch| türkische ( )| noch äh (.) polnische| 11. Beispiel: (BoLan5; mittel) äh (-) ja das ist gut aber äh| man muss nicht so laut sprechen| 12. Beispiel: (BoHam9; jung) joa also (--) eigentlich denk ich ok| das dient dann halt als hilfe| ne ein bisschen als unterstützung| aber ich mein die können sich ja auch nicht ausschließlich darauf verlassen| 13. Beispiel: (DuMar7; alt) ich habe ja nichts (dagegen)| aber dann (äh äh)| also marxloh über (.) ist ein bisschen zu sehr ( )| Auch die »Ich-bin-nicht-X-aber«-Strategie gebrauchen die Befragten, um eine Einstellungsäußerung, die sie als sozial unerwünscht antizipieren, zu rechtfertigen. Mit diesem imagewahrenden Format greifen sie eine mögliche Einschätzung durch das Gegenüber als »rechts« oder »nationalistisch« auf, negieren sie aber zugleich. Das adversative »aber« leitet dann die Meinungsäußerung ein. Modalisierungsstrategien wie diese werden häufig bei solchen subjektiven Wertungen angewendet, die die Interviewten als potenziell problematisch einschätzen. Dazu ein paar Beispiele: 14. Beispiel: (BoLan10; mittel) 206 IntTM: [ja| ] 207 ähm wenn sie das jetzt trotzdem selbst wählen dürften| 208 welche sprachen würden sie außer deutsch dann auf so ein schild (-) noch drucken| […] 243 BoLan10: bitte| 244 [ich bin nicht rechts| ] 245 IntTM: [((lacht))| ] 246 BoLan10: aber (--) das ist so (-) jetzt meine meinung| 247 wo ich denke (--)| 268 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 248 249 250 251 252 253 äh wenn ich auswandern würde (-)| würde ich erst die sprache sprechen| und dann dorthin gehen| wenn das kurzfristig käme| aber innerhalb von einem jahr wüsste ich| die sprache kann ich| 15. Beispiel: (BoLan2; alt) 013 IntTM: (--) genau| 014 ähm und zwar wenn man zum beispiel durch dieses stadtviertel geht| 015 oder auch in anderen stadtvierteln| 016 fällt ja auf dass es viele schilder auch in anderen sprachen gibt| 017 (0.5) also zum beispiel auch türkisch| 018 oder auch hier (.) das ist ja auch ernstings familiy| 019 ist ja englisch (0.6)| 020 BoLan2: [äh (.) ja ich finde das nicht gut| ] 021 IntTM: [ähm wie| ] 022 (0.6) warum| 023 (2.4)| 024 BoLan2: [ich bin kein nationalist| ] 025 IntTM: [mhm| ] 026 BoLan2: ich bin ich bin (echt ein / echter) europäer (---)| 027 aber das finde ich nicht gut| 028 dass (die / wir) hier unsere sprache hier| 029 mit so einer scheiße da vermengen| 030 vor allen dingen das englische| 031 ne| Befragte mit Migrationshintergrund verwenden häufig Formulierungen mit normativem Charakter, um auszudrücken, was von ihnen in Bezug auf sprachliche Integration erwartet wird. Dabei verweisen sie häufig darauf, dass sie »in Deutschland leben«. Daraus leiten sie die Konsequenz ab, dass sie sich »anpassen« bzw. »integrieren« müssen und dass Schilder und Aushänge im öffentlichen Raum in Deutsch sein sollten. Die Erwartungsnormen werden mittels präskriptiver Modalkonstruktionen wie »müssen« oder »sollen« formuliert, wie die Beispiele zeigen: 16. Beispiel: (DuMar12; jung) halt wir leben in deutschland| so wie gesagt habe| (0.4) halt äh| wir müssen uns ja hier anpassen| 17. Beispiel: (DoHör3; alt) wir sind in deutschland| (--) dann muss (-) geschrieben (.) gesprochen werden deutsch| meine ich| ((…)) (0.5) wir sind in deutschland und| (0.3) da soll soll deutsch gezeigt werden| und ende| 18. Beispiel: (DoHör5; mittel) (0.8) ich find wenn man hier in deutschland lebt dann muss man auch deutsch lernen| 19. Beispiel: (DoNor9; jung) nach meiner meinung ne| ich ich denke dass dass äh| wenn die menschen aus dem ausland nach deutschland kommen| die sind bewusst (--)| dass in deutschland muss man deutsch sprechen ne (-)| und die müssen sich kümmern| die deutsche sprache zu sprechen| ((…)) natürlich wenn man lebt hier in deutschland| ((…)) muss man bereit sein auch die sprache zu lernen| ((…)) hier in deutschland| musste ich unbedingt die deutsche sprache lernen (1.2)| 20. Beispiel: (DuInn12; mittel) deutsch mir deutsch reicht [auf Schildern]| (--) weil wir sind in deutschland| ((…)) (2.7) ich finde das ist nicht gut| (-) weil wir sind in deutschland| normalerweise alles steht (.) auf deutsch| 21. Beispiel: (DuInn15; mittel) das finde ich nicht in ordnung| wir sind hier in deutschland| und wir sollten (--)| sollte alles auf deutsch gehalten| ((…)) wer hier äh nach deutschland kommt| (-) dann soll er (.) deutsch können| und wenn nicht (---)| dann soll er woanders (.) leben| Solche Konstruktionen mit Modalverben und Adverbien wie »normalerweise« und »unbedingt« zeigen an, unter welchem Integrationsdruck sich Personen mit Migrationshintergrund sehen und wie sie in den Befragungen den normativen Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen suchen. Für die Formulierung der Erwartungserwartungen werden häufig »wenn-dann« und »wer-der« Konstruktionen genutzt, d. h. kategorische Formulierungen präferiert. 4.1.6 STRATEGIEN DER VERSPRACHLICHUNG VON EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 269 270 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 20 15 10 5 jung mittel e ut di Au e slä Le nd di er e 0 n Argumentative und evaluative Aktivitäten sind geeignete Handlungskontexte, um soziale Kategorisierungen zu untersuchen und danach zu fragen, wie die Befragten auf sich selbst und auf andere verweisen, welche sprachlichen Mittel dabei vorherrschen und was die Wahl der sprachlichen Mittel über die Befragten und die Anderen, über die gesprochen wird, transportiert. Insofern spielen soziale Kategorisierungen eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Identität und Alterität (Sacks 1972; Schlegloff 2007), von Zugehörigkeit und Abgrenzung. Im Kontext des Sprechens über (visuelle) Mehrsprachigkeit und sprachliche Integration sind Verweise auf Zugewanderte und Angehörige einer nationalen oder ethnischen Gruppe soziolinguistisch bedeutsam, weil sie Hinweise darauf liefern können, welche Kategorienbezeichnungen vorrangig verwendet und relevant gesetzt werden und inwieweit in alltagssprachlichen Kontexten neue Ausdrücke zur Fremd- oder Selbstbezeichnung, zur Zuordnung und Ab- und Ausgrenzung gebräuchlich werden. In dem hier interessierenden Kontext betrifft das z. B. den Ausdruck »Migrationshintergrund«, der auf die Migrationspädagogin Boos-Nünning zurückgeht, die ihn im 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung von 1998 verwendete (vgl. Scarvaglieri / Zech 2013). Für die Analyse ist weiterhin von Interesse, welche ethnischen Gruppen als subjektiv wichtig wahrgenommen werden und welche sprachlichen Verfahren der Benennung bevorzugt werden. Dazu zählen u. a. ethnische Kategorienbezeichnungen (z.B. Türken, Italiener und Polen), personale Verweisformen (z.B. Verwendung der Personalpronomen »wir« und »sie«), indefinite und generalisie- Vor-Ort-Interviews von den Befragten ohne Migrationshintergrund sehr häufig auf national oder ethnisch definierte Gruppen Bezug genommen, d. h. nach den »Türken« auf die »Italiener«, »Russen«, »Araber« und »Bulgaren« verwiesen. Andere Formen der sprachlichen Bezugnahme auf die »Anderen« sind die Bezeichnungen »Flüchtlinge«, »Migranten«, »Gastarbeiter«, »Asylanten«, »Aussiedler«, »Zuwanderer« (allesamt gängige Begriffe in der öffentlichen Zuwanderungsdebatte, die den unterschiedlichen rechtlichen Status kennzeichnen). Nicht viel freundlicher klingende Nomen hinter dem ausgrenzenden Adjektiv wie »ausländische Mitbürger« und »ausländische Mitbewohner« sollen durch die Betonung von Gemeinsamkeiten die ausgrenzende Konnotation von »ausländisch« abschwächen, während Bezeichnungen wie »ausländische Leute«, »ausländische Personen« und pleonastische Formulierungen wie »ausländische Migranten« den ausgrenzenden Charakter der Bezeichnungen verstärken. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass im Sprachgebrauch der älteren Befragten ohne Migrationshintergrund die Bezeichnung »Ausländer« vorherrscht. Für die Befragten mittleren Alters und die jüngeren Befragten lässt sich dagegen feststellen, dass hier eine Vielzahl an generalisierenden Bezeichnungen verwendet wird, die auf eine Unsicherheit in der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund bei der sprachlichen Bezugnahme auf »die Anderen« schließen lässt. Häufig werden herkunftsbezogene Bezeichnungen verwendet, d. h. auf konkrete ethnische Gruppen wie die »Türken«, »Italiener«, »Russen«, »Araber« und »Bulgaren« verwiesen. Darüber hinaus wird deutlich, dass sperrige Formulierungen mit dem Kompositum »Migrationshintergrund« bei der Fremdkategorisierung vermieden werden. Wie benennen die Befragten mit Migrationshintergrund Personen »mit Migrationshintergrund«? Welche Bezeichnungen dominieren in dieser Untersuchungsgruppe? Die Analyse, die sich auf insgesamt 145 deutsche und 46 türkische Belege stützt und unterschiedliche Formen der Kategorienbezeichnung zu erkennen gibt, zeigt, dass drei Bezeichnungen in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund bevorzugt werden und dass dieses Set an Bezeichnungen identisch ist mit dem Set, dass die Befragten ohne Migrationshintergrund verwenden. So dominiert auch in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund der Verweis auf »Türken«, gefolgt von der im Deutschen als ke Soziale Kategorisierung rende Verweisformen (z.B. Verwendung von Bezeichnungen wie »die Anderen« und »andere Menschen«), pränominale / postnominale Attribuierungen (z.B. »ausländische [Mit]bürger«, »türkische Mitbürger«, »türkische Bevölkerung« oder »Menschen mit Migrationshintergrund«) und Attributsätze, die die Zuschreibung typischer Handlungen oder Eigenschaften zum Ausdruck bringen (z.B. Relativsätze wie »Bürger, die hierherkommen«; »Bürger, die nicht Deutch sprechen«). Untersucht wird auch, inwieweit sich die Befragten mit Migrationshintergrund von denen ohne Migrationshintergrund dabei unterscheiden und was die je spezifischen sprachlichen Realisierungen und Präferenzen über die gesellschaftlichen Intergruppenbeziehungen zu erkennen geben. Die quantitative Analyse der sprachlichen Verfahren zur Bezugnahme auf Personen »mit Migrationshintergrund« gilt den Kategorienbezeichnungen, die in den Passanteninterviews verwendet wurden. Da einige Interviews auch auf Türkisch geführt wurden, werden auch die türkischen Bezeichnungen in der Analyse mitberücksichtigt. Wie referieren Befragte ohne Migrationshintergrund auf Personen »mit Migrationshintergrund«? Grundlage der Analyse sind 221 Belege, die sich auf verschiedene Formen der Bezeichnung verteilen. Die Auswertung aller Fremdkategorisierungen zeigt (vgl. die Wortwolken in Abb. 4.1.6.2 & 4.1.6.4), dass die am häufigsten verwendete allgemeine Verweisform die Bezeichnung »Ausländer« und die mit Abstand am häufigsten benannte Gruppe die der Türkeistämmigen ist. Auf sie wird mit der ethnisch bestimmten Gruppenbezeichnung »Türken« verwiesen. Auch attributiv erweiterte Nominalphrasen wie »türkische Mitbürger«, »türkische Bevölkerung«, die auf der Bezeichnungsebene sprachlich integrieren sollen, sowie »türkischstämmige Leute« werden verwendet, allerdings zu einem wesentlich geringeren Anteil. Die als zunehmend diskriminierend konnotierte Bezeichnung »Ausländer« weist eine altersspezifische Verteilung auf, indem die Befragten mit einem hohen Alter (ab 60 Jahre) deutlich häufiger diese Bezeichnung wählen als die Befragten der mittleren und jüngeren Altersgruppe (vgl. Abb. 4.1.6.1). Mit deutlichem Abstand folgt die Bezeichnung mit dem Pronomen »die«, das in generalisierender Form gebraucht wird, und die Bezeichnungsform »die Leute«, die beide als scheinbar vage Verweisformen ebenfalls als tendenziell ausgrenzend gelten. Insgesamt wird in den Tü r Diese Tendenz findet ihre Entsprechung bei den Befragten ohne Migrationshintergrund darin, dass sie häufig konditionale Konstruktionen wählen, die zu erkennen geben, dass sich Migrantinnen und Migranten integrieren sollen und dass Integration als ein einseitiger Prozess, d. h. eine Bringschuld der Migrantinnen und Migranten verstanden wird. Auffällig ist insgesamt, dass schematische Formulierungsmuster überwiegen (»wenn-dann«; »wer-der«) und dass häufig individuell geäußerte Einstellungen als sozial geteilte Einstellungen präsentiert (»wir-Perspektive«) und über den Gebrauch des Indefinitpronomens »man« generalisiert werden. alt Abb. 4.1.6.1: Die vier häufigsten Bezeichnungen, die die Befragten ohne Migrationshintergrund für den Verweis auf Menschen »mit Migrationshintergrund« verwenden, differenziert nach Altersgruppe 4.1.6 STRATEGIEN DER VERSPRACHLICHUNG VON EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 271 30 25 20 15 10 5 jung mittel lg a Bu ren lg / ar Au Bu di slä Ya nde ba r nc / ı e 0 Tü Tü rke rk n (le / r) zunehmend diskriminierend bewerteten Bezeichnung »Ausländer« (türkisch: Yabancı = Fremder, ohne diskriminierenden Unterton) und der generalisierenden Bezeichnung mit den Pronomen »die« und »sie«. Daneben fällt auf, dass auch die Befragten mit Migrationshintergrund nach den »Türken« am häufigsten auf »Bulgaren« (türk. Bulgar), »Italiener« und »Araber« verweisen. Begriffe aus dem politischen Diskurs, z. B. die Bezeichnungen »Migranten« und »Asylanten«, werden ebenfalls verwendet, allerdings deutlich seltener als Verweise auf konkrete ethnische Gruppen. Ebenfalls seltener kommen solidarisierende Bezeichnungen wie »wir«, »Landsleute«, »Meinesgleichen«, »Gleichgesinnte« und »arabische / marokkanische Freunde« vor (vgl. die Wortwolke in Abb. 4.1.6.4). Altersspezifische Präferenzen zeigen sich in dieser Befragtengruppe mit Blick auf die Bezeichnung »Türken« (vgl. die Wortwolke in Abb. 4.1.6.4). Diese Bezeichnung findet sich besonders häufig bei den Befragten der jüngeren und mittleren Generation, weniger dagegen bei den Befragten der ältesten Generation. Befragte mit Migrationshintergrund verstehen sich – darauf deuten die verschiedenen Formen der Benennung hin – mehrheitlich als »Inländer« und grenzen sich gegenüber neu Zugewanderten ab: am häufigsten durch die allgemeine Bezeichnung »Ausländer«. Der Vergleich der Bezeichnungspraktiken in den beiden Untersuchungsgruppen zeigt, dass das Repertoire der präferierten Bezeichnungen in beiden Gruppen weitgehend identisch ist und die Befragten mit Migrationshintergrund offensichtlich das Bezeichnungsrepertoire der Mehrheitsgesellschaft übernommen haben. Dies erklärt vermutlich auch, warum solidarisierende Bezeichnungsformen in der Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund kaum vorkommen. alt Abb. 4.1.6.3: Die vier häufigsten Bezeichnungen, die die Befragten mit Migrationshintergrund für den Verweis auf Menschen »mit Migrationshintergrund« verwenden, differenziert nach Altersgruppe Abb. 4.1.6.2: Bezeichnungen, die die Befragten ohne Migrationshintergrund für den Verweis auf Menschen »mit Migrationshintergrund« verwenden (N = 232) 272 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.1.6 STRATEGIEN DER VERSPRACHLICHUNG VON EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 273 Abb. 4.1.6.4: Deutsche Bezeichnungen, die die Befragten mit Migrationshintergrund für den Verweis auf Menschen »mit Migrationshintergrund« verwenden (N = 145) 274 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 4.1.6.5: Bezeichnungen, die die Befragten mit türkischem Hintergrund für den Verweis auf Menschen »mit Migrationshintergrund« verwenden (N = 46) 4.1.6 STRATEGIEN DER VERSPRACHLICHUNG VON EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 275 4.2 Telefonbefragung Das Verhältnis zur eigenen sowie zu anderen Sprachen im unmittelbaren ökologischen Kontext ist nicht nur ein prominenter Gegenstand linguistischer, sondern auch philosophischer und sozialpsychologischer Studien. Als ein Sprechen über das Sprechen stellt diese Aktivität quasi die Metareflexion in Reinform dar. Zuletzt hat das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim eine für Deutschland repräsentative Erhebung hierzu durchgeführt und eine Vielzahl differenzierter Befunde vorgelegt (Gärtig et al. 2010). Doch seitdem hat ein spürbarer gesellschaftlicher Wandel stattgefunden: Insbesondere hat sich durch die jüngste Präsenz des Arabischen im Kontext der Fluchtzuwanderung, aber auch durch das vermehrte Aufkommen des Chinesischen im Rahmen globaler werdender Marktprozesse eine Fortführung und Ausweitung dieser Forschungsfragen aufgedrängt. Wir haben in der eigenen CATI-Studie (Computer-Assisted Telephone Interview) diese Impulse aufgenommen und uns in mehrfacher Hinsicht fokussiert: a) zunächst regional auf NRW, aber auch b) was unsere Informantinnen und Informanten betrifft: So haben wir – neben der Befragung einheimischer Deutscher – mit der italienischen und türkischen zwei unterschiedliche Zuwanderergruppen in den Blick genommen, die neben der polnischen Zuwanderung für das Verständnis von Migrationsprozessen im Ruhrgebiet von eminenter Bedeutung sind. Dabei haben wir den Personen mit Zuwanderungsgeschichte eingeräumt, in der eigenen Sprache ihr Verhältnis zum Deutschen und zu anderen Sprachen kund zu tun. Hatte die IDS-Studie für die gesamte Bundesrepublik ein Sample von N = 2 000 einbezogen, so weist unsere Studie mit einer Stichprobengröße von etwas mehr als 1 000 (1 019 genau) Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf den ersten Blick zwar eine etwas geringere, aber vor dem Hintergrund, dass wir unsere Studie auf NRW begrenzt haben, eine also verhältnismäßig größere Stichprobe auf, was die ermittelten empirischen Werte noch belastbarer macht. 4.2.1 Datenerhebung CATI (Computer-Assisted Telephone Interview) Begründung des methodischen Vorgehens Es ist sicherlich fragwürdig, nach der Sichtbarkeit von Zeichen durch ein Medium zu fragen, das ausschließlich auf das Gehör setzt. In einem Telefongespräch kann man sich visuelle Zeichen allenfalls vor Augen führen. Diese Tatsache zeigt die enge Grenzen einer CATI-Studie. Wir sind uns dieser Schwierigkeit, ja zum Teil Widersprüchlichkeit bewusst gewesen und haben die unterschiedlichen methodologischen Anforderungen (stärkere Gegenstandsnähe vs. hohe Fallzahl) gegeneinander abgewogen und letztendlich dem Kriterium der Stichprobengröße und somit der Belastbarkeit der Daten Vorrang gegeben. Ein gewichtiges Argument dafür (quasi als methodische Triangulation) boten auch die Ergebnisse der vor Ort geführten leitfadengestützten Interviews mit ihrer stärkeren Gegenstandsnähe. Am Telefon wurde der Fragebogen auf Wunsch der Interviewten in der jeweiligen Muttersprache vorgelesen, und sie konnten auch auf Deutsch oder in der Muttersprache antworten. Inhaltlich ging es u. a. um die Sichtbarkeit und Wahrnehmung der visuellen Mehrsprachigkeit, um die Einschätzung ihrer Funktion, um die Akzeptanz und Bewertung sowie um die Dimension der Beheimatung durch Mehrsprachigkeit im lebensweltlichen Kontext. Darüber hinaus wurden die in sozialwissenschaftlichen Erhebungen üblichen soziodemografischen Angaben wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Geburtsland, Erwerbstätigkeit, aber auch Staatsbürgerschaft, Sprachkenntnisse und Wohnort eingeholt. Kennzeichnung und Begründung der Stichprobenrekrutierung Die konkrete Durchführung der Interviews begann am 01.02.2016 und dauerte für die italienische Gruppe bis zum 27.02.2016, für die deutsche Gruppe bis zum 01.03.2016 und für die türkische Gruppe bis zum 03.03.2016, bis die jeweils avisierte Anzahl an Interviews erreicht war. Insgesamt haben 1 019 Personen über 18 Jahren teilgenommen. Rund 55 % der Befragten waren weiblich; etwa die Hälfte der Stich- 276 4. SPRACH BEWERTuNGEN uND EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT probe (N = 504 bzw. 49,5 %) war ohne einen Migrationshintergrund, rund 30 % hatten einen türkischen (N = 304) und etwa 20 % (N = 211) einen italienischen Migrationshintergrund. Der deutlich überwiegende Teil in beiden Zuwanderergruppen lebte schon seit mindestens 20 Jahren in Deutschland (in der italienischen rund 85 %; in der türkeistämmigen etwa 80 %); insofern war damit zu rechnen, dass die Befragten mit den lokalen und regionalen Gegebenheiten in Deutschland vertraut waren. Durchschnittlich waren die Probanden ohne Migrationshintergrund 59 Jahre alt, die mit einem italienischem etwa 56 und die mit einem türkischen Migrationshintergrund knapp 44 Jahre alt, also in allen drei Gruppen etwas älter als die jeweilige Durchschnittsbevölkerung. Die Fokussierung auf diese Gruppen liegt darin begründet, dass mit türkeistämmigen und italienischen Personen mit Zuwanderungsgeschichte zwei Gruppen in den Blick genommen werden, die (neben den Zugewanderten aus Polen) die Migrationsbewegungen im Ruhrgebiet entscheidend geprägt haben, wobei jedoch die soziale und sprachliche Beheimatung, die öffentliche Sichtbarkeit dieser Gruppen sowie die Akzeptanz ihrer Herkunftssprachen unterschiedliche Verläufe und Ausprägungen angenommen haben. Der Einbezug einer weiteren, und zwar der deutschen Stichprobe, hat die Funktion einer Kontrollgruppe und ermöglicht, die gefundenen Effekte angemessener einzuschätzen und die migrationsspezifische Dimension genauer herauszuarbeiten. 4.2.1 DATENERHEBuNG CATI (CoMPuTER-ASSISTED TELEPHoNE INTERVIEW) 277 4.2.2 Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit Zunächst wurden die Personen gefragt, ob ihnen in der Stadt, in der sie leben, Schilder, Plakate und Beschriftungen aufgefallen seien, die in einer anderen Sprache als Deutsch verfasst waren. Die deutlich größere Mehrheit der Befragten verneinte dies, wobei die auffälligsten Unterschiede zwischen den Personen mit und ohne Migrationshintergrund bestanden: Rund 73 % der Deutschen hatten keine nicht-deutsche Beschilderung etc. wahrgenommen, bei den Personen mit einem italienischem oder türkischem Migrationshintergrund betrug diese Rate 63 % bzw. 65 %. Positiv formuliert lässt sich festhalten, dass die spontane Wahrnehmung nicht-deutscher Beschilderung oder Beschriftung im öffentlichen Raum bei Personen mit Migrationshintergrund häufiger erfolgt, sie hierfür also eine höhere Sensibilität aufweisen. Die Frage, ob die mehrsprachigen Schilder und Beschriftungen nicht wahrgenommen werden, weil es sie einfach nicht gibt und deshalb auch nicht wahrnehmbar sind oder ignoriert werden, lässt sich nicht eindeutig klären. Die Voraussetzungen dieser Fragestellung wären kaum einlösbar: Zum einen bräuchte es eine Totalaufnahme der jeweiligen Lebenswelten (zum Abgleich), zum anderen scheitert die Beantwortung dieser Frage an der prinzipiellen Selektivität menschlicher Umgebungswahrnehmung; wir nehmen stets nur einen für uns je individuell relevanten Teil der Umgebung wahr. alle Gruppen hinweg in Kindertagesstätten am wenigsten Mehrsprachigkeit wahrgenommen wird, obwohl gegenwärtig mindestens ein Drittel aller Kinder im Ruhrgebiet einen Migrationshintergrund haben. Nicht zuletzt fällt auf, dass Deutsche in kulturellen Einrichtungen ziemlich selten auf Mehrsprachigkeit stoßen, wobei auch hier nicht eindeutig geklärt werden kann, ob prinzipiell Kultureinrichtungen die Mehrsprachigkeit (ihrer potenziellen Besucher) ignorieren oder die befragten Deutschen ausgewählt monolinguale Kulturveranstaltungen besuchen. Mit Blick auf die Beschaffenheit dieser mehrsprachigen Erzeugnisse wird deutlich, dass über alle Gruppen hinweg Werbung, Ladenbeschriftungen und Plakate genannt werden. Auffällige Unterschiede hingegen bestehen in der Lokalisierung der Mehrsprachigkeit Vor diesem Hintergrund wurden im nächsten Schritt die Teilnehmer gefragt, wie häufig sie mehrsprachigen Beschilderungen oder Beschriftungen in (von uns) ausgewählten öffentlichen Orten begegnen. Deutlich wird zunächst, dass über alle Gruppen hinweg Mehrsprachigkeit den Interviewten am häufigsten an Bahnhöfen, religiösen Einrichtungen sowie im kommerziellen Sektor begegnet. Darüber hinaus sind jedoch auffällige Unterschiede bei der Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit zwischen den Gruppen mit Migrationshintergrund festzustellen: Personen mit einer italienischen Zuwanderungsgeschichte nehmen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Behörden und Krankenhäusern deutlich häufiger Mehrsprachigkeit wahr als türkeistämmige Zuwanderer. Erstaunlich ist, dass über Herkunft O MH IT MH TR MH Insgesamt Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N In oder an Geschäften 2,97 206 2,74 87 2,96 138 2,92 431 In oder an Krankenhäusern oder beim Arzt 3,11 197 2,87 83 3,31 134 3,12 414 In oder an Rathäusern oder öffentlichen Ämtern bzw. Behörden 3,19 170 2,58 78 3,33 125 3,11 373 In oder an öffentlichen Verkehrsmitteln, in oder an Bahnhöfen 2,68 191 2,06 78 3,04 117 2,67 386 Am Arbeitsplatz bzw. in der Schule oder Universität 3,36 146 3,31 78 3,34 113 3,34 337 In oder an Gaststätten/ Restaurants 3,48 199 2,96 81 3,21 134 3,29 414 In oder an Kitas / Kindergärten 3,84 112 3,69 49 3,5 94 3,69 255 In oder an Kirchen, Moscheen, Synagogen 2,95 191 2,56 73 2,66 125 2,79 389 In oder an kulturellen Einrichtungen 3,87 165 3,24 59 2,89 121 3,42 345 Abb. 4.2.2.1: Wie häufig sehen Sie an den folgenden Orten oder Gebäuden mehr- oder anderssprachige Schilder oder Beschriftungen? Mittelwerte auf einer Skala von 1 = Sehr häufig bis 5 = Nie; ohne »Trifft nicht zu«, »Weiß nicht«, und »keine Angabe«. Je niedriger der Mittelwert, desto häufiger werden mehrsprachige Schilder wahrgenommen. 278 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.2.2 WAHRNEHMUNG VON MEHRSPRACHIGKEIT 279 deutlich häufigeren Wahrnehmung von Graffitis seitens Deutscher (M = 3.23), während sowohl italienische (M = 3.77) als auch türkeistämmige Zuwanderer (M = 3.70) davon seltener berichten. Erkennbar ist, dass Mehrsprachigkeit primär über die jeweilige Sprache und die Schriftzeichen identifiziert wird; dann scheinen Geschäftsnamen genauso indikativ zu sein. Symbole, Bilder und Farbgebung sind hingegen über alle Gruppen hinweg kaum hinweisgebend für eine mehrsprachige Beschilderung. Bei der Differenzierung nach Migrationshintergrund fällt jedoch auf, dass sowohl für italienische (M = 2.91) als auch türkeistämmige Zuwanderer (M = 2.92) Symbole deutlich bedeutendere Marker für Mehrsprachigkeit sind als für Deutsche (M = 3.53). Neben der Wahrnehmung waren die unterschiedlichen Funktionen von mehrsprachiger Beschilderung und Beschriftung ein erkenntnisleitendes Interesse der Befragung. Wir wollten explizit wissen, ob Funktionszuschreibungen bei Einheimischen eventuell anders ausfallen als bei Personen mit Migrationshintergrund; in semiotischer Terminologie: ob das Zeichen bei seinem Interpretanten unterschiedliche Deutungen und Reaktionen auslöst. Herkunft O MH IT MH TR MH Insgesamt Herkunft O MH IT MH TR MH Insgesamt Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N …um etwas zu benennen, z. B. Dinge, Orte, Institutionen, Geschäfte, Produkte 2,19 207 2,69 91 2,36 136 2,35 434 …weil besonders viele Menschen diese Sprache sprechen 2,28 207 2,08 88 1,99 137 2,15 432 Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N … um den Gebrauch eines Ortes anzuzeigen, oder Anweisungen und Informationen zu geben 2,41 207 2,65 86 2,20 137 2,39 430 der Sprache der Beschriftung 2,10 207 2,45 89 2,20 138 2,20 434 … um den Weg zu weisen und dadurch Orientierung zu geben 2,48 206 2,90 87 3,10 136 2,76 429 der Schriftform/ Schriftzeichen 2,23 207 2,76 90 2,22 138 2,34 435 …um an etwas zu erinnern 3,22 207 3,09 89 3,21 136 3,19 432 den Bildern 3,68 206 3,30 90 2,91 138 3,36 434 … um multikulturell zu wirken 2,66 207 2,59 88 2,96 138 2,74 433 den Symbolen 3,53 207 2,91 91 2,92 138 3,21 436 … um modern zu wirken 3,05 206 2,96 90 3,29 138 3,11 434 der Farbgebung 4,13 205 3,74 91 3,33 138 3,79 434 … um darauf hinzuweisen, dass bestimmte Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden 2,49 205 2,79 91 2,42 138 2,53 434 Geschäftsnamen oder Namen von Inhabern 2,27 207 3,18 91 2,01 138 2,37 436 …weil besonders viele Menschen dieser Sprachgruppe dort leben 2,28 205 2,15 89 1,72 138 2,08 432 Abb. 4.2.2.2: Wie häufig erkennen Sie eine fremdsprachige Beschilderung an? Mittelwerte auf einer Skala von 1 = Sehr häufig bis 5 = Nie; ohne »Weiß nicht« und »keine Angabe«. Je höher der Mittelwert, desto weniger häufig. 280 Über alle Gruppen hinweg wird die Funktion mehrsprachiger Beschilderung und Beschriftung in dem informativen Charakter der Zeichen gesehen; sie sollen verstanden werden und – insbesondere bei den türkeistämmigen Befragten – an die entsprechende Zielgruppe adressiert sein: Mehrsprachige Beschilderung ist vorhanden, weil besonders viele Menschen in der Nähe leben und diese Sprache sprechen. Als vergleichsweise gering wird ihre kommemorative Funktion (an etwas erinnern) betrachtet. Interessant und kontraintuitiv hierbei ist der Befund, dass Personen ohne Migrationshintergrund eine deutlich stärkere Orientierungsfunktion in mehrsprachigen Zeichen sehen als Personen mit Zuwanderungsgeschichte. 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT Abb. 4.2.2.3: Mehr- oder anderssprachige Schilder und Beschriftungen können eine unterschiedliche Funktion haben. Ich lese Ihnen nun einige Gründe vor, warum solche Schilder angebracht werden. Bitte sagen Sie mir, ob Sie der Meinung sind, diese Gründe treffen sehr häufig, eher häufig, eher selten oder sehr selten zu. Anders- oder mehrsprachige Schilder bzw. Schilder in einer anderen Sprache als Deutsch sind meistens da, ... Mittelwerte auf einer Skala von 1 = Sehr häufig bis 5 = Nie; ohne »Weiß nicht« und »keine Angabe«. Je höher der Mittelwert, desto weniger häufig. 4.2.2 WAHRNEHMUNG VON MEHRSPRACHIGKEIT 281 4.2.3 Akzeptanz von Mehrsprachigkeit Die bisherige Forschung zeigt, dass in Deutschland Fremdsprachen und fremdsprachliche Erzeugnisse ein unterschiedliches Prestige aufweisen und nicht alle dieselbe Wertschätzung erfahren. Vor diesem Hintergrund wollten wir dieser Frage bei Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte nachgehen. Leitend war dabei die Annahme, dass die Akzeptanz mehrsprachiger Beschilderung im öffentlichen Raum sowie die allgemeine Mehrsprachigkeit bei Zuwanderern höher ausfallen als bei »Einheimischen«. Herkunft O MH Ich finde es gut, dass es andersoder mehrsprachige Schilder gibt IT MH TR MH Insgesamt Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N 1,55 499 1,41 201 1,51 301 1,51 1001 Deutlich wird, dass es bei den Befragten eine prinzipielle Offenheit für mehrsprachige Beschilderung gibt und diese im Allgemeinen wertgeschätzt wird. Befragte mit türkischem und italienischem Migrationshintergrund unterstreichen sogar noch etwas stärker als deutsche Befragte, dass mehrsprachige Schilder auch Deutsch enthalten sollten. Hierbei gibt es kaum nennenswerte Unterschiede bei Personen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Hervorgehoben wird vor allem die Orientierungsfunktion, die mehrsprachige Beschilderung bei Personen ohne Deutschkenntnisse hat. Zugleich wird in der Mehrsprachigkeit auch ein Zeichen von Weltoffenheit gesehen. Allenfalls gibt es Unterschiede mit Blick auf die Akzeptanz der Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet, die kontraintuitiv ausfallen: Während einheimische Deutsche hier eine größere Akzeptanz wahrnehmen, wird sie von Personen mit italienischer, und noch mehr mit türkischer Zuwanderungsgeschichte etwas skeptischer beurteilt. Im Anschluss an die Akzeptanz der Beschilderung wurde nach der Wertschätzung der verschiedenen Sprachen gefragt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl bei der Personengruppe mit als auch der ohne Migrationshintergrund – und bei einer geschlechtsspezifischen Analyse ohne Unterschiede innerhalb der Geschlechter – im Allgemeinen eine große Akzeptanz der Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum besteht und diese als eine Bereicherung wahrgenommen wird. Neben dem Deutschen sind Englisch und Französisch Sprachen mit einer recht hohen Akzeptanz, gefolgt vom Italienischen. Kritisch ist jedoch zu konstatieren, dass sowohl gegen das Polnische als auch gegen das Arabische im öffentlichen Raum eher eine Skepsis vorherrscht: Angesichts der Tatsache, dass die eine Sprache eigentlich als eine etablierte Fremdsprache des Ruhrgebiets (Polnisch) und die andere angesichts der jüngsten Flüchtlingszuwanderung als die kommende relevante Fremdsprache (Arabisch) betrachtet werden muss, ist diese Ablehnung ethisch bedenkenswert. Politisch besteht hier dringender spezifischer Handlungsbedarf, um die Akzeptanz der Sprache und ihrer Sprecher zu steigern und soziale Teilhabe zu fördern. Herkunft Schilder sollen immer auch auf Deutsch sein 2,18 501 1,42 201 1,75 302 1,90 1004 Mehrsprachigkeit wird im Ruhrgebiet allgemein akzeptiert 1,56 479 1,86 187 1,96 289 1,74 955 Schilder und Beschriftungen sollten ausschließlich in deutscher Sprache sein, denn Deutsch ist die wichtigste Sprache 2,95 498 2,68 199 2,97 299 2,90 996 In einen Supermarkt mit fremdsprachiger Beschriftung gehe ich nicht 3,50 487 3,22 190 3,78 299 3,53 976 Anders- oder mehrsprachige Schilder oder Beschriftung helfen Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland leben, ein Gefühl der Zugehörigkeit und Heimat zu entwickeln 1,67 484 1,63 199 1,74 298 1,68 981 Ich finde, es ist ein Zeichen von Weltoffenheit, wenn es anders- oder mehrsprachige Schilder gibt 1,47 494 1,70 187 1,52 302 1,53 983 Anders- oder mehrsprachige Schilder helfen den Menschen, die kein oder nur wenig Deutsch können 1,31 501 1,33 199 1,30 300 1,31 1000 Offizielle Hinweis- und Informationsschilder sollten andere Sprachen zusätzlich zu Deutsch enthalten 1,53 496 1,73 197 1,63 296 1,60 989 Abb. 4.2.3.1: Man kann ja unterschiedlicher Meinung dazu sein, dass es mehr- oder anderssprachige Schilder oder Beschriftungen gibt. Ich lese Ihnen nun einige Aussagen vor. Bitte sagen Sie mir, ob Sie diesen Aussagen voll, eher, eher nicht oder gar nicht zustimmen. Mittelwerte auf einer Skala von 1 = Stimme voll zu bis 4 = Stimme gar nicht zu; ohne »Weiß nicht« und »keine Angabe«. Je höher der Mittelwert, desto geringer die Zustimmung. 282 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT O MH IT MH TR MH Insgesamt Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Arabisch 3,38 477 3,36 173 3,58 288 3,44 938 Chinesisch 3,06 469 3,01 173 3,14 272 3,07 914 Deutsch 1,04 501 1,17 195 1,04 302 1,06 998 Englisch 1,11 497 1,23 193 1,16 303 1,15 993 Französisch 1,67 490 1,72 190 1,80 295 1,72 975 Italienisch 1,95 486 1,65 195 2,29 290 1,99 971 Niederländisch 2,10 489 2,63 176 2,93 282 2,44 947 Polnisch 2,65 485 3,01 172 3,07 275 2,84 932 Spanisch 2,09 487 1,86 180 2,34 284 2,12 951 Türkisch 2,31 488 2,84 178 2,72 300 2,53 966 Abb. 4.2.3.2: Verschiedene Sprachen genießen häufig unterschiedliche Wertschätzung. Wie stark werden die folgenden Sprachen Ihrer Meinung nach im Allgemeinen in Deutschland wertgeschätzt: sehr, eher, eher nicht oder gar nicht wertgeschätzt? Mittelwerte auf einer Skala von 1 = Sehr bis 4 = Gar nicht; ohne »Weiß nicht« und »keine Angabe«. Je höher der Mittelwert, desto geringer die Wertschätzung 4.2.3 AKZEPTANZ VON MEHRSPRACHIGKEIT 283 Visuelle (Mutter-)Sprache als Vehikel der Beheimatung und Ortsbindung Herkunft Sehr stark Eher stark Eher wenig Gar nicht Weiß nicht Keine Angabe Gesamt IT MH TR MH Gesamt N 62 116 178 % 29,4 38,2 34,6 N 52 63 115 % 24,6 20,7 22,3 N 29 57 86 % 13,7 18,8 16,7 N 42 64 106 % 19,9 21,1 20,6 N 17 3 20 % 8,1 1,0 3,9 N 9 1 10 % 4,3 0,3 1,9 N 211 304 515 % 100,0 100,0 100,0 Abb. 4.2.3.3: Wie stark gibt Ihnen das Vorhandensein von Schildern in Ihrer Herkunftssprache das Gefühl, in Deutschland zu Hause zu sein? Spaltenprozent 284 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT Zuletzt sind wir der Frage nachgegangen, inwiefern die Existenz von Beschilderungen des öffentlichen Raumes in der Herkunftssprache auch Gefühle der Beheimatung und Zugehörigkeit vermittelt. Hierbei sind zunächst nur Personen mit Zuwanderungsgeschichte befragt worden. Fasst man die Kategorien »sehr stark« und »stark« zusammen, so wird deutlich, dass in beiden Zuwanderergruppen für weit mehr als die Hälfte der Befragten (54 % bis 59 %) die Existenz von Schildern in der Herkunftssprache Gefühle der Zugehörigkeit auslöst; bei den Türkeistämmigen deutlich mehr als bei den Personen mit italienischer Zuwanderungsgeschichte. Wahrnehmung muttersprachlicher Erzeugnisse im öffentlichen Raum bedeutet also, dass diese Sprache und somit auch ihre Sprecher als selbstverständlicher Teil dieser Lebenswelt fungieren. Nur etwa ein Fünftel der Befragten verneint explizit die Aussage, dass eine Beschilderung in der Herkunftssprache mit Dimensionen der Zugehörigkeit zusammen hängen. Sichtbarkeit der eigenen Sprache löst nicht nur genuin bei Zuwanderern angenehme Gefühle und Vertrautheit aus, sondern auch bei Einheimischen, wenn diese selbst in der Minderheitenposition sind. So schätzten es fast 80 % der befragten Deutschen als wohltuend, wenn sie im Ausland deutschsprachiger Beschilderung begegnen. Diese hohen Werte korrespondieren (und erklären möglicherweise eine empathische Haltung) mit der prinzipiell wertschätzenden Einstellung von Deutschen gegenüber Hinweisschildern auch in einer anderen Sprache als Deutsch (vgl. Tabelle zur Einstellung gegenüber mehrsprachigen Schildern). Das Antwortverhalten auf diese Frage verdeutlicht, wie mittels Perspektivübernahme für eine größere Akzeptanz von Mehrsprachigkeit geworben werden kann. Im Folgenden haben wir die Wahrnehmung, Akzeptanz und Bewertung von Mehrsprachigkeit etwas differenzierter betrachtet und sie vor allem mit Blick auf Altersgruppen sowie dem Migrationshintergrund hin ausgewertet. Erkennen / Wahrnehmen von mehrsprachigen Schildern Allgemein werden mehrsprachige Schilder als solche von Einheimischen wie Zugewanderten in ähnlichem Maße erkannt (90,6 % vs. 89,6 %). Innerhalb der Altersgruppen gibt es jedoch interessante Unterschiede bzw. gegenläufige Verläufe: Während bei den Einheimischen in der jüngsten Kohorte (18 – 34 Jahre) nur 4,3 %, in der Kohorte der »mittelalten« (35 bis 54 Jahre) etwa 8 % und in der Kohorte der »alten« (55 Jahre und älter) 15 % angeben, fremdsprachige Schilder nicht zu erkennen, erkennen bei den Zugewanderten 15,8 % der Jüngsten, 10,9 % der »Mittelalten« und 9,2 % der »Alten« keine fremdsprachigen Schilder. Mit Blick auf die Sprachen Englisch und Arabisch fällt auf, dass in beiden Gruppen, mit und ohne Migrationshintergrund (MH), das Englische ziemlich sicher erkannt wird: 82,2 % der Einheimischen und 81,8 % der Zugewanderten können englische Schilder identifizieren; allerdings scheint dies den »alten« Zuwanderern etwas schwerer zu fallen als den jungen. Etwa 22 % der Älteren erkennen diese nicht; bei den Jüngeren liegt dieser Anteil nur bei 12,5 %. Auffällige Altersunterschiede sind dagegen bei den Einheimischen nicht zu beobachten. Denkbar ist, dass dies bei den »älteren« Zuwanderern auf ihre Bildungssozialisation in ihren Herkunftsländern geschuldet ist, in der kaum anspruchsvolles Englisch an Schulen gelehrt wurde. Bei dem Arabischen haben jedoch beide Gruppen in gleichem Maße Schwierigkeiten, diese als mehrsprachige Schilder zu erkennen: 60,4 % der Einheimischen und 61,3 % der Zugewanderten geben an, arabischsprachige Schilder nicht zu erkennen. Hier fällt jedoch auf, dass in beiden Gruppen dieser Anteil in der ältesten Gruppe ziemlich groß ist, während bei den jüngeren Gruppen, insbesondere aber bei der jüngsten Gruppe der Zuwanderer, das Arabisch am sichersten erkannt wird (50 %). Anzunehmen ist, dass insbesondere die Gruppe der jungen türkeistämmigen Zuwanderer auch am meisten Kontakt zu arabischen Personen in ihrem Umfeld hat, mit arabischen Personen eine gemeinsame schulische Sozialisation durchlaufen hat und deshalb arabische Schriftzeichen gut identifizieren kann. Herkunft O MH Sehr gut Eher gut Eher nicht gut Gar nicht gut Kann man nicht generell sagen, kommt darauf an Weiß nicht Keine Angabe Gesamt N 315 % 62,5 N 84 % 16,7 N 40 % 7,9 N 17 % 3,4 N 40 % 7,9 N 6 % 1,2 N 2 % 0,4 N 504 % 100,0 Abb. 4.2.3.4: Beheimatung auch für Deutsche: Inwieweit gefällt es Ihnen, wenn Sie im Ausland Schilder und Beschriftungen in Deutsch sehen? Spaltenprozent 4.2.3 AKZEPTANZ VON MEHRSPRACHIGKEIT 285 Auf die Frage, inwieweit von ihnen in den letzten fünf Jahren eine Zunahme der mehrsprachigen Schilder beobachtet wurde, sind von den Befragten folgende Antworten gegeben worden (Abb. 4.2.3.6). Deutlich wird zunächst, dass in beiden Gruppen, sowohl bei den befragten Personen mit als auch ohne Zuwanderungsgeschichte, der Eindruck vorherrscht, dass in den letzten 5 Jahren der öffentliche Raum häufiger in den Sprachen der Zuwanderer beschriftet worden sei. Tendenziell ist dieser Eindruck bei den älteren Befragten größer; am stärksten ist er jedoch bei der Gruppe der über 55-jährigen Einheimischen, von denen über drei Viertel dieser Aussage zustimmen. Akzeptanz der Mehrsprachigkeit Während zunächst nur nach der Wahrnehmung mehrsprachiger Schilder gefragt wurde, ist im zweiten Schritt auch nach deren Akzeptanz gefragt worden. Die konkrete Aussage, zu der die Haltung der Befragten eingeholt wurde, lautete: Ich finde es gut, dass es anders- oder mehrsprachige Schilder gibt (Abb. 4.2.3.7). Auch hier wird deutlich, dass Personen beider Gruppen eine grundsätzlich positive und wertschätzende Haltung gegenüber mehrsprachiger Beschilderung haben. In beiden Gruppen liegen die Zustimmungsraten weit über 80 %. Allenfalls in der ältesten Kohorte scheint in beiden Gruppen eine kleine Skepsis vorhanden zu sein; etwa 13 % bis 17 % von ihnen stimmten dieser Aussage nicht zu. Mehrsprachige Beschilderung stößt also explizit auf eine Akzeptanz und wird nicht, wie eventuell die vorangegangenen Daten zu ihrer wahrgenommenen Zunahme in den letzten fünf Jahren nahelegen könnten, als ein Gefühl steigender Fremdheit in Deutschland gewertet. Gestützt wird diese Deutung bei der weiterführenden Frage, inwieweit Mehrsprachigkeit eine Normalität im Ruhrgebiet darstellt: Hier äußern über 90 % der befragten jüngeren, über 80 % der »mittelalten« und etwa zwei Drittel Einheimische jung der älteren Einheimischen, dass sie dies für eine Normalität halten. Interessanterweise ist diese »Normalitätsannahme« bei den Zuwanderern jedoch in der jüngeren und der »mittelalten« Gruppe etwas schwächer ausgeprägt, bei den älteren jedoch mit 76,7 % etwas stärker ausgeprägt. Beheimatung Nach Wahrnehmung und Akzeptanz wurde untersucht, inwieweit die Existenz von mehrsprachigen Schildern den Befragten, hier explizit Türkeistämmigen und Menschen mit italienischen Wurzeln, auch ein Gefühl der Beheimatung vermittelt. Die einzuschätzende konkrete Frage lautete: Wie stark gibt Ihnen das Vorhandensein von Schildern in Ihrer Herkunftssprache das Gefühl, in Deutschland zu Hause zu sein? Für etwas mehr als die Hälfte der Befragten in allen drei Altersgruppen scheint die Existenz von Schildern in ihrer Herkunftssprache eine Funktion der Beheimatung zu haben. Am stärksten ist dies in der Gruppe der 35- bis 54-jährigen ausgeprägt. Hingegen können etwa 20 % explizit in einer herkunftssprachlichen Beschilderung keinen identifikatorischen Mehrwert sehen. Knapp neun Prozent der älteren Zuwanderer können dieser Frage kaum einen Sinn abgewinnen (»weiß nicht« oder »keine Angabe« als Antwortverhalten). Analog hierzu wurden dann auch Deutsche befragt, inwiefern es ihnen gefällt, wenn sie im Ausland auf deutschsprachige Beschilderung stoßen. Hier wird deutlich, dass es den befragten Deutschen außerordentlich gut gefällt, wenn sie ihrerseits im Ausland auf deutschsprachige Beschilderung stoßen. Die Zustimmungswerte variieren zwischen 70 % bis 80 %; am stärksten sind diese bei der ältesten Gruppe ausgeprägt, wobei die Vermutung nahe liegt, dass die Fremdsprachenkenntnisse dieser Kohorte geringer ausgeprägt sind und die Wahrnehmung deutschsprachiger Beschilderung deshalb ihnen deutlich mehr das Gefühl der Vertrautheit und der Umweltkontrolle vermittelt. Sehr gut Eher gut Eher nicht gut Gar nicht gut Kann man nicht generell sagen; kommt drauf an Weiß nicht Keine Angabe 48,6 % 21,6 % 18,9 % 2,7 % 8,1 % 0% 0% mittelalt 58,6 % 21,1 % 11,3 % 3,8 % 5,3 % 0% 0% alt 66,2 % 14,2 % 4,7 % 3,5 % 8,8 % 1,9 % 0,6 % Stimme voll zu Einheimische Zuwanderer Stimme eher zu Stimme eher nicht zu Stimme gar nicht zu Weiß nicht Keine Angabe jung 22,2 % 27,8 % 27,8 % 5,6 % 11,1 % 5,6 % mittelalt 46,5 % 25,6 % 14 % 9,3 % 4,7 % 0% alt 45,5 % 31,8 % 4,5 % 4,5 % 9,1 % 4,5 % jung 28,6 % 14,3 % 42,9 % 14,3 % 0% 0% mittelalt 43,8 % 31,3 % 15,6 % 9,4 % 0% 0% alt 41,9 % 18,6 % 14 % 18,6 % 7% 0% Abb. 4.2.3.6: Aussage: Es wurde in den letzten fünf Jahren häufiger in den Sprachen der Zuwanderer beschriftet. Einheimische Zuwanderer Stimme voll zu Stimme eher zu Stimme eher nicht zu Stimme gar nicht zu Weiß nicht Keine Angabe jung 71,8 % 21,2 % 4,7 % 2,4 % 0% 0% mittelalt 69,2 % 16 % 8% 5,5 % 1,3 % 0% alt 64,9 % 17,5 % 6,4 % 6,4 % 3,5 % 0% junge 64,9 % 27 % 5,4 % 2,7 % 0% 0% mittelalt 68,4 % 20,3 % 6,8 % 4,5 % 0% 0% alt 68,1 % 13,2 % 6,9 % 10,1 % 1,3 % 0,3 % Abb. 4.2.3.7: Die konkrete Aussage, zu der die Haltung der Befragten eingeholt wurde, lautete: Ich finde es gut, dass es anders- oder mehrsprachige Schilder gibt. Zuwanderer Sehr stark Eher stark Eher wenig Gar nicht Weiß nicht Keine Angabe jung 38,8 % 15,3 % 25,9 % 17,6 % 2,4 % 0% mittelalt 40,1 % 21,5 % 14,8 % 20,3 % 2,1 % 1,3 % alt 26,9 % 25,7 % 15,2 % 23,4 % 5,8 % 2,9 % Abb. 4.2.3.8: Wie stark gibt Ihnen das Vorhandensein von Schildern in Ihrer Herkunftssprache das Gefühl, in Deutschland zu Hause zu sein? Abb. 4.2.3.5: Inwieweit gefällt es Ihnen, wenn sie im Ausland Schilder und Beschriftungen in Deutsch sehen? 286 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.2.3 AKZEPTANZ VON MEHRSPRACHIGKEIT 287 288 4.3 Produzentenbefragung 4.3.1 Datenerhebung Will man die öffentlich sichtbare Sprachpraxis in der Metropole Ruhr nicht nur beschreiben, sondern auch erklären, ist eine Befragung der betreffenden Akteure notwendig. Neben der Beschreibung der Sichtbarkeit von Sprachen im öffentlichen Raum der Metropole Ruhr mittels Bildern und Karten (Kap. 3) und der Erfassung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Bewertung visueller Mehrsprachigkeit mittels Passantenbefragungen (vgl. Kap. 4.1) und Telefoninterviews (vgl. Kap. 4.2) interessierte deshalb auch die Perspektive der Produzentinnen und Produzenten von Schildern und Aushängen. Um die Interessenlagen der privaten und öffentlichen Akteure aufdecken und typisieren zu können, wurden Interviews durchgeführt. Im Mittelpunkt dieser Interviews standen die Handlungsmotive und die unterschiedlich komplexen Entscheidungswege, die Widerstände und Herausforderungen, mit denen sich die Akteure konfrontiert sehen sowie die Unterschiede zwischen den Sprachenmanagemententscheidungen »von oben«, d. h. der Stadtverwaltungen und Verkehrsbetriebe, und den Sprachenmanagemententscheidungen »von unten«, d. h. der Besitzer von Geschäften, Restaurants und Cafés. Nur wenige Studien im Bereich der Linguistic-Landscape-Forschung beschäftigen sich mit dem konkreten Sprachhandeln öffentlicher und privater Akteure und untersuchen Szenarien von Sprachwahlentscheidungen, d. h. die zugrundeliegenden Interessen und Motive. Ausnahmen bilden Papen (2012), die in ihrem Zugang Ladenbesitzer, Aktivisten und Straßenkünstler interviewt, um Prozesse und Entwicklungen in der Sprachlandschaft des Prenzlauer Bergs in Berlin eruieren zu können, und Lou (2016), die Stadtplaner und Mitglieder der Kommunalverwaltung befragt und Dokumente zur Stadtteilpolitik analysiert, um die Entwicklung und Gestaltung der Linguistic Landscape des Stadtviertels Chinatown in Washington, D. C. nachzuzeichnen. Die Untersuchung der Sprachwahlentscheidungen der privaten Akteure betrifft dabei nicht nur die Frage, welche Zielgruppe(n) mit welchen Sprachen angesprochen werden sollen, sondern auch die Frage, mit welchen Sprachen die Textproduzentinnen und -produzenten identifiziert werden möchten (vgl. Spolsky / Cooper 1991). Sprachwahlen können also auch Auskunft geben über das Prestige und den Status von Sprachen in einer Sprachgemeinschaft sowie über die gesellschaftliche Anerkennung von ethnischen Gruppen. Bei öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsunternehmen wie der Deutschen Bahn stellt sich die Frage, nach welchen Regeln Beschilderungen gestaltet sind und welche normativen Grundentscheidungen dabei handlungsleitend sind, d. h. welche Leitvorschriften dem Sprachenmanagement zugrunde liegen (Schweitzer 2009). Aktuelle Untersuchungen deuten darauf hin (vgl. auch Kap. 3.1 und 3.2), dass sich die öffentlichen Akteure noch stark am nationalsprachlichen Modell orientieren, während die privaten Akteure mehr zu sprachlicher Vielfalt neigen. Quer dazu gibt es Anzeichen dafür, dass Englisch immer weniger als Fremdsprache, dafür umso mehr als eine »Nebensprache« betrachtet wird (Maas 2008: 74). Für die Erhebung und Analyse der Sprachwahlentscheidungen der privaten Akteure wurden in jedem Stadtteil 6 – 8 leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Das Korpus umfasst 58 Interviews, davon wurden 42 Interviews im Rahmen des Projekts und 16 Interviews im Rahmen einer Bachelorarbeit (vgl. Angenendt 2017) erhoben. In der Regel wurden Einzelpersonen befragt. In Ausnahmefällen fanden die Interviews auch mit mehreren Personen statt. Befragt wurden insgesamt 61 Personen: 18 Frauen und 43 Männer. Von den weiblichen Befragten hatten 7 einen Migrationshintergrund (= 39 %), von den männlichen Befragten hatten 34 (= 79 %) einen Migrationshintergrund. Der überwiegende Teil der Befragten war zwischen 40 und 60 Jahren alt. Rund zwei Drittel der Befragten gaben an, dass ihre Erstsprache eine andere Sprache als Deutsch ist. Grundlage der Interviews mit den privaten Akteuren war ein Interviewleitfaden, der folgende Themenblöcke umfasst: Begründung der Sprach(en)wahl, Gestaltung und Produktion der Schilder, Einstellung gegenüber der eigenen Beschilderung und Vorstellungen über die Zielgruppe. Zentrale Fragen waren beispielsweise »Warum haben Sie sich für ein zwei-/mehrsprachiges / englisches / türkisches etc. Schild entschieden?«, »Warum haben Sie gerade diese Sprache(n) gewählt?«, »Haben Sie festgelegt, wie das Schild / Plakat oder der Aushang aussehen soll oder haben Sie sich an einer Vorlage orientiert?«, »Wie sind Sie auf den Namen des Geschäfts, Restaurants, Bistros etc. gekommen?«, »Wen wollen Sie mit der Beschilderung insbesondere ansprechen?«, »Wenn Ihr Laden in einem anderen Stadtviertel wäre, hätten Sie dann die Beschilderung genauso gemacht?«, »Gefällt Ihnen Ihr Schild und was gefällt Ihnen daran besonders gut?«. Insgesamt wurden 44 Interviews auf Deutsch geführt, 12 auf Türkisch und 2 auf Französisch. Die Interviews wurden für die Analyse gesprächsanalytisch transkribiert und inhaltsanalytisch verschlagwortet. Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden alle personenbezogenen Daten anonymisiert, d. h. alle Hinweise auf Personen und Geschäfte pseudonymisiert. In den Fällen, in denen der Geschäftsname ein zentraler Gegenstand des Interviews war, wurde der Geschäftsname so verändert, dass er im Kontext des Interviews seine Bedeutung und Relevanz behielt. Für die Sprachwahlentscheidungen der öffentlichen Akteure wurden insgesamt neun leitfadengestützte Telefoninterviews mit Vertretern der vier Stadtverwaltungen, der Verkehrsbetriebe aus drei Fallstudienstädten, dem regionalen Verkehrsverbund sowie der Deutschen Bahn, die für die Beschilderung der Bahnhöfe zuständig ist, geführt. Zentrale Fragen des Interviewleitfadens waren beispielsweise: »Welche Sprachen werden auf Plakaten, Aufklebern, Beschilderungen und anderen Medien verwendet?« und »Wie werden diese Sprachen ausgewählt?«. Weitere Fragen widmeten sich den dafür anzuwendenden Regeln und Entscheidungsstrukturen bzw. Entscheidungsträgern und inwieweit sich die Sprachverwendung in den letzten Jahren verändert habe. 4. SPRACH BEWERTuNGEN uND EINSTELLuNGEN Zu MEHRSPRACHIGKEIT 4.3.1 DATENERHEBuNG 289 4.3.2 Öffentliche Einrichtungen – Bürgerbüros und Hauptbahnhöfe in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund Abb. 4.3.2.1: Beschilderung Bürgerbüro Duisburg Abb. 4.3.2.2: Beschilderung Bürgeramt Essen In den vier Fallstudienstädten wurde im Rahmen der fotografischen Erhebung 2013 die außen an den Gebäuden sichtbare Beschilderung der Bürgerbüros dokumentiert und in der Datenbank verschlagwortet. Insgesamt sind 88 Fotos den vier Bürgerbüros räumlich zugeordnet. Wie bereits beschrieben, ist die offizielle Beschilderung in den vier Städten überwiegend einsprachig deutsch beschriftet (vgl. Kap 3.2.1.1). Ähnlich wie im Projektteil zu privaten Sprachwahlentscheidungen und Einstellungen wurden in den vier Städten vertiefende Interviews zu den Sprachwahlentscheidungen bei offiziellen Beschilderungen und weiteren schriftlichen Objekten wie Plakaten oder Formularen durchgeführt. Der Befragung wurde eine Dokumentenanalyse der Integrationskonzepte der Städte vorgeschaltet, da wir davon ausgingen, dass sich dort Aussagen zur Bedeutung mehrsprachiger Kommunikation und entsprechende Regeln zum Sprachenmanagement finden würden. Im Zeitraum Oktober und November 2015 wurde jeweils ein Vertreter bzw. eine Vertreterin der Kommunalen Integrationszentren (im Weiteren KI) zum Sprachenmanagement befragt. Zentrale Fragen waren beispielsweise »Welche Sprachen werden auf Plakaten, Aufklebern, Beschilderungen und anderen Medien verwendet?« und »Wie werden diese Sprachen ausgewählt?«. Weitere Fragen widmeten sich den dafür anzuwendenden Regeln und Entscheidungsstrukturen bzw. Entscheidungsträgern. Die Frage, ob sich die Sprachverwendung verändert habe, erwies sich als besonders ergiebig für das Verständnis des Sprachenmanagements in Zeiten der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen. Abb. 4.3.2.3: Beschilderung Bürgerbüro Bochum Abb. 4.3.2.4: Beschilderung Bürgerbüro Dortmund 290 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT »Die Amtssprache ist Deutsch«: Sprachenmanagement der Bürgerbüros / Stadtverwaltung »von oben« Wandel des Sprachenmanagements »von unten« jenseits der Amtssprache Deutsch Die offizielle Leitlinie des Sprachenmanagements »von oben« der Städte orientiert sich immer noch weitgehend an der »Ideologie der einsprachigen Kommune« (Schweitzer 2009: 431), oder wie es im Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen in § 23 Absatz 1 knapp formuliert ist: »Die Amtssprache ist Deutsch.« Das gilt im Wesentlichen auch für die offizielle Beschilderung der Bürgerbüros, wie die Auswertung des Bildmaterials im vorangegangenen Absatz zeigt. Wie die Analyse der offiziellen Integrationskonzepte der Städte ergab, wächst gleichzeitig aber zunehmend die Bedeutung von Mehrsprachigkeit als Ressource der Bevölkerung. Diese enthalten an verschiedenen Stellen Aussagen zur Mehrsprachigkeit der Bevölkerung: Das Postulat der Amtssprache Deutsch spielt in allen Interviews eine Rolle, seine Bedeutung wird aber relativiert und differenziert. So führt eine Gesprächspartnerin aus, dass die Amtssprache Deutsch für die gesamte Verwaltung gelte (KI Interview 4, 02.20), aber vor allem für den Schriftverkehr wichtig sei (KI Interview 4, 10:10), da offizielle Angelegenheiten auf Deutsch kommuniziert werden müssten. In der Praxis würde aber darauf geachtet, dass in den Bürgerbüros und Ämtern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, die auch andere Sprachen sprechen (KI Interview 4, 13:22) und so die Vielfalt der Stadtgesellschaft widerspiegeln (KI Interview 4, 16:06). Ein anderer Interviewpartner betonte, dass die Orientierung an der Amtssprache Deutsch zwar vorherrschend sei, die deutsche monolinguale Verwaltung aber an ihre Grenzen käme (KI Interview 2, 05:13) und daher Regelung und Sprachpraxis unterschieden werden müssten. Ein weiterer Interviewpartner betont auch die Bedeutung der Amtssprache und dass es einen ungeregelten Ablauf von amtlichen Vorgängen nicht geben dürfe (KI Interview 3, 21:58). Selbst wenn ein Mitarbeiter des Bürgerbüros die Sprache beherrsche, müsse bei bestimmten Vorgängen ein Dolmetscher eingesetzt werden (KI Interview 3, 09:02). Nicht selten würden Mitarbeitende diese Vorgabe unterlaufen und ihre sprachliche Kompetenz einbringen, ohne dass die Vorgesetzten dies merken. In allen Interviews wird ausgeführt, dass zunehmend schriftliche Informationen der Städte mehrsprachig angeboten würden. Man orientiere sich an unterschiedlichen Zielgruppen, so würden für Touristen Informationen eher auf Englisch angeboten, für Flüchtlinge zunehmend auf Arabisch oder auch Türkisch (KI Interview 2, 00:39). In einem Teil der Städte gibt es Besonderheiten mit Blick auf die Zusammensetzung der Bevölkerung. Rumänisch und Bulgarisch werden eher in Städten mit höherem Bevölkerungsanteil dieser Gruppen genannt, Niederländisch spielt eher in Grenznähe zum Nachbarland eine größere Rolle. Die Sprachverwendung ist in letzter Zeit vielfältiger geworden. Das Sprachenmanagement im Alltag der Verwaltung findet in einem Spannungsfeld zwischen der »Ideologie der einsprachigen Kommune« und der Amtssprachlichkeit sowie den täglich über die Ebene der Sachbearbeiter in den Ämtern gemeldete Nachfrage nach mehrsprachigen Informationen und Dolmetscherdiensten statt. Gerade auch mit der wachsenden Zuwanderung von Flüchtlingen wächst die • als generelle Qualität und Zeichen von Weltoffenheit: Beispiel: »Duisburg fördert und pflegt die Vielfalt der Sprachen.« (Referat für Integration Duisburg 2010: 10). • zum Spracherwerb, zur Integration oder als individuelle Ressource: Beispiel Essen: »Der Erwerb der deutschen Sprache für Kinder und Eltern ist gesichert und eine Erziehung zur Zwei-(Mehr-)sprachigkeit wird unterstützt.« (Kommunales Integrationszentrum Essen 2013: 33). Beispiel Dortmund: »Weiterhin sind dabei Aspekte wie eine durchgängige Sprachbildung, Mehrsprachigkeit und die Förderung von Kompetenzen und Potenzialen von Migrantenjugendlichen zu berücksichtigen (Stadt Dortmund 2013: 18). Mehrsprachige Kommunikation der Verwaltung mit der Bevölkerung spielt aber keine große Rolle und wird explizit nur in einer Stadt erwähnt, und zwar in relativ allgemeiner Form: Beispiel Bochum: »Mehrsprachigkeit vor allem in publikumsintensiven Bereichen wird ermöglicht.« (Integrationsbüro Bochum 2013: 30). Diese in der Regel vom Rat der Stadt verabschiedeten Konzepte berücksichtigen die gewachsene Vielfalt der Stadtbevölkerung zwar deutlich stärker als das Verwaltungsverfahrensgesetz, formulieren aber deshalb nicht zwingend verbindliche Regeln für eine stärker an der Mehrsprachigkeit der Bevölkerung ausgerichtete schriftliche Kommunikation der Stadtverwaltung. Deutlich vielfältiger wird das Bild des Sprachmanagements, wenn man die Experteninterviews in die Analyse einbezieht. 4.3.2 ÖFFENTLICHE EINRICHTUNGEN – BÜRGERBÜROS UND HAUPTBAHNHÖFE IN DUISBURG, ESSEN, BOCHUM UND DORTMUND 291 Abb. 4.3.2.5: Beispiel für zunehmende Mehrsprachigkeit Quelle: Stadt Bochum eiser Abb. 4.3.2.6: Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Quelle: Stadt Dortmund 2015 Abb. 4.3.2.7: Beschilderung Hauptbahnhof Duisburg Vielfalt der sichtbaren Sprachen weiter. Die Anpassung des Sprachenmanagements findet also eher »von unten« statt, d. h. über die Veränderung der Sprachpraxis durch die Verwaltungsmitarbeiter. Die Mitarbeiter verhalten sich dabei eher pragmatisch, weniger strukturiert. Dabei hat das Sprachenmanagement »von oben« auf der Ebene der Regeln und Konzepte bisher nicht auf den Wandel »von unten« reagiert, so dass die Erweiterung der verwendeten Sprachen unterhalb des Radars der Entscheidungsstrukturen der Kommunen stattfindet. Hauptbahnhöfe in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund Hauptbahnhöfe zählen zu den öffentlichen Orten, die Personen zu Fuß durchqueren, um einen Zug zu erreichen, einzukaufen oder auch um nur den kürzesten Weg zu einem Ziel hinter dem Bahnhof zu benutzen. Dort werden sie mit einer für diesen Ort typischen »öffentlichen Textwelt« konfrontiert (Domke 2014: 16). Im Rahmen der fotografischen Erhebung 2013 wurde ein Ausschnitt dieser Textwelt, nämlich die außen an den Gebäuden sichtbare Beschilderung von Hauptbahnhöfen und die Beschilderung um die Hauptbahnhöfe herum dokumentiert und in der Datenbank verschlagwortet. Insgesamt gibt es an den vier Hauptbahnhöfen 575 Fotos von offiziellen Schildern und Aufklebern der Deutschen Bahn und der Haltestellen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), die im Rahmen dieses Abschnitts Grundlage der Analyse des Sprachenmanagements der Verkehrsbetriebe und der Deutschen Bahn sind. Diese Objekte sind überwiegend deutsch beschriftet, weitere Sprachen sind nur selten zu finden (vgl. Kap. 3.2.1.1), wie auf den folgenden Abbildungen zu sehen ist. Wie im Projektteil zu Bürgerbüros konnten vertiefende Interviews zu den Sprachwahlentscheidungen bei Beschilderungen der Hauptbahnhöfe und in drei Städten des ÖPNVs geführt werden. Darüber hinaus wurde der regionale Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) einbezogen, da dieser zum Teil auch eine Servicefunktion für die Verkehrsbetriebe erfüllt. Ein Verkehrsunternehmen sah sich leider nicht in der Lage, an der Studie teilzunehmen. Im Zeitraum Oktober und November 2015 wurde jeweils ein Vertreter / eine Vertreterin von drei Verkehrsbetrieben (Essener Verkehrs-AG, BOGESTRA, DSW21), dem Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) und der Deutsche Bahn AG zum Sprachenmanagement befragt. Zentrale Fragen waren beispielsweise »Welche Sprachen werden auf Plakaten, Aufklebern, Beschilderungen und anderen Medien verwendet?« und »Wie werden diese Sprachen ausgewählt?«. Weitere Fragen widmeten sich den dafür anzuwendenden Regeln und Entscheidungsstrukturen und ob sich die Sprachverwendung verändert habe. Sprachenmanagement der Deutschen Bahn und der Verkehrsbetriebe Die Bedeutung von Regeln für die Sprachverwendung stellte sich in den Interviews sehr unterschiedlich dar. Die Deutsche Bahn AG, die für die Beschilderung der Hauptbahnhöfe zuständig ist, regelt sehr detailliert die Sprachverwendung in Bahnhöfen. Relevant für die Beschilderung ist das »Ausführungshandbuch 81393 (Design Manual) Wegeleitund Informationssystem« der Deutschen Bahn AG. Die Sprachverwendung wird weiter in der Richtlinie 8130305, Artikel 2 »Sprachen in der Wegeleitung« zum Ausführungshandbuch 81393 festgelegt: »Die Wegeleitung ist immer in deutscher Sprache in einheitlicher Begrifflichkeit analog zum Ausführungshandbuch 81393 (Design Manual) auszuführen. Soweit möglich sind Begriffe und Darstellungsformen zu wählen, die sprachneutral sind, z. B. mit Piktogrammen. Informationen, die in den Sprachen gleich sind, z. B. bei Öffnungszeiten, sollten nur einmal aufgeführt werden. An den Bahnhöfen der Kategorien 1 und 2 sowie optional an den nachfolgenden gelisteten Bahnhöfen werden Informationen auch in englischer und optional in einer weiteren Sprache ergänzt: 1. Fernverkehrshalte, 2. Messebahnhöfe, 3. Flughafenbahnhöfe, 4. Fährhäfen, 5. touristische Bahnhöfe, 6. Grenzbahnhöfe, also Personenbahnhöfe mit Fremdsprachen. Die dritte Sprache richtet sich nach der örtlichen Situation, z. B. benachbarte Landessprachen bei Grenzbahnhöfen oder geltenden Vertragsgrundlagen. Vokabular und Schreibweisen siehe Ausführungshandbuch 81393.« (DB Interview 06:40). Neben Deutsch und Englisch kann also eine weitere Sprache verwendet werden. Die Hauptbahnhöfe der Fallstudienstädte Duisburg, Essen und Dortmund sind der Kategorie 1, der Hauptbahnhof in Bochum der Kategorie 2 zuzuordnen. Die Kategorien geben Auskunft über die Bedeutung der Hauptbahnhöfe im Fernverkehr, wobei 1 die höchste Kategorie darstellt und 2 aber ebenfalls noch Halt im Fernverkehr ist, aber mit weniger Verbindungen. In Bahnhöfen der Kategorie 1 gibt es deutlich mehr Geschäfte als in Bahnhöfen der Kategorie 2. Die Sprachwahl der Beschilderung entspricht also weitgehend dem zitierten Ausführungshandbuch. Darüber hinaus wird versucht, wo möglich, auf »sprachneutrale Darstellungsformen«, also Piktogramme, auszuweichen. Diese sind jedoch nicht immer interkulturell verständlich. Derartige offizielle Leitlinien der Sprachverwendung gibt es bei den Verkehrsbetrieben in der Regel nicht. Wie die Interviews ergaben, ist Mehrsprachigkeit auch nicht Gegenstand der allgemeinen Gestaltungsvorschriften für Plakate, Flugblätter und Ähnliches, d. h. es ist nicht explizit geregelt, in welchen Einsatzbereichen andere Sprachen als Deutsch verwendet werden müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Mehrsprachigkeit bei der Beschilderung von Haltestellen, Fahrkartenautomaten und in Fahrzeugen sowie bei der Gestaltung von Broschüren keine Rolle spielen würde. Insbesondere nach der verstärkten Zuwanderung geflüchteter Personen im Jahr 2015 wurde versucht, auf die sprachlichen Kompetenzen dieses Personenkreises mit entsprechenden Angeboten zu reagieren (ÖPNV 3 Interview 02:58). Grundsätzlich wird auch in den Verkehrsbetrieben auf Deutsch kommuniziert. Aber auch andere Sprachen als Deutsch spielen eine Rolle: etwa an bestimmten Orten, bei bestimmten Anlässen oder auch als Standard bei Broschüren oder Aushängen: • Am Hauptbahnhof, an der Messe (ÖPNV 3 Interview 00:21) und am Flughafen (ÖPNV 1 Interview 00:40) wird neben Deutsch auch Englisch verwendet. • Bei Fußballländerspielen mit Beteiligung anderssprachiger Nationen oder bei Veranstaltungen, die überwiegend von Personen mit türkischem Migrationshintergrund besucht werden (ÖPNV 1 Interview 11:27), werden Angebote in anderen Sprachen gemacht, auch indem mehrsprachige Mitarbeitende eingesetzt werden. Abb. 4.3.2.8: Aufkleber Bogestra: Hinweise im Störungsfall 292 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.3.2 ÖFFENTLICHE EINRICHTUNGEN – BÜRGERBÜROS UND HAUPTBAHNHÖFE IN DUISBURG, ESSEN, BOCHUM UND DORTMUND 293 • Informationen zu bestimmten Produkten werden zunehmend mehrsprachig zur Verfügung gestellt (z.B. »Schoko Ticket« für Schülerinnen und Schüler, Information »Mein Fahrschein«) Bei den Beispielen in Abbildung 4.3.2.10 und 4.3.2.11 wird auch deutlich, dass der VRR hinsichtlich mehrsprachiger Umsetzungen eine beratende und unterstützende Rolle für die Verkehrsbetriebe hat (ÖPNV 2 Interview 04:02). Als Begründung für das Angebot von mehrsprachigen Produkten werden funktional-pragmatische Motive angegeben. Zum einen helfen diese Produkte den Beschäftigten (z.B. Kontrolleure, Fahrerinnen und Fahrer, die auch Fahrscheine verkaufen) im Alltag mit den neuen Kunden zu kommunizieren und ihnen die Abläufe beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel nahezubringen. Diese sind, wie beispielsweise das Tarifsystem, nicht unbedingt selbsterklärend (VRR Interview 22:53). Wenn dies gelingt, werden im Alltag Konflikte mit den Kunden vermieden. Zum anderen geht es bei Verkehrsbetrieben natürlich darum, Tickets zu verkaufen und Geld zu verdienen. Dazu werden informierte Kunden gebraucht, die wenn notwendig auch mit mehrsprachigen Produkten erreicht werden sollen (ÖPNV 2 Interview 13:22). 2018 SchokoTicket SchokoTicket SchokoTicket, sadece abonelikte ve 25 yaşını aşmamış öğrenciler için alınabilir. Bilet özellikleri Faaliyet alanı genelinde her saat geçerli Faaliyet alanı genelinde geçerli ✓ SchokoTicket ✓ ✓ SchokoTicket kişisel bir bilettir ve sadece fotoğraflı bir kimlik belgesi ile birlikte geçerlidir. Fiyat kategorisi SchokoTicket D Aylık 36,00 Günlük* 1,18 *Yıllık abonelikteki bir SchokoTicket fiyatını baz alan ortalama değer. Euro olarak fiyat bilgileri D fiyat kategorisine genel bakış Sayfa 4 ila 5‘da SchokoTicket‘ini şu şekilde alabilirsin: Okula giderken ve boş zamanlarında otobüs ve metro ile seyahat etmek istiyorsan, o zaman kendine SchokoTicket al. Sadece abonelik başvuru formunu doldur, okuluna imzalatıp mühürlet. Doldurduğun başvuru formunu ister şahsen Müşteri Hizmetleri Merkezinde, ister posta yolu ile ulaştırma şirketine teslim etmelisin. Bunun ardından SchokoTicket posta yolu ile sana gönderilecektir. Abonman başvurusu Bu broşürde! SchokoTicket Öğrenciler için abonman bilet SchokoTicket ‘i alabilmen için, okulun yerel toplu taşıma şirketi ile sözleşmesi bulunması gerekmektedir. Zaten 15 yaşından büyük müsün? O zaman senden her yıl bir öğrenci belgesi getirmeni istiyoruz. 2 Abb. 4.3.2.10: Beispiel: Broschüre Schoko-Ticket auf Türkisch Quelle: Verkehrsbetriebe Bochum Nach den Allgemeinen Beförderungsbedingungen, § 7.5, müssen wir ein erhöhtes Beförderungsentgelt von € 60,00 erheben, wenn Sie öffentliche Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrausweis benutzen. Eine Verfolgung im Strafoder Bußgeldverfahren bleibt unberührt. Bitte ersparen Sie uns und sich selbst den damit verbundenen Ärger. 60 EURO Ohne gültigen Fahrausweis Şayet geçerli bir biletiniz olmadan kamu taşımacılığına ait bir araçta yolculuk ederseniz, genel tasimacilik hükümleri § 7.5 uyarınca sizden 60,00 € tahsil edilir. Ayrıca hakkınızda cezai takibatta bulunulur. Lütfen kendinizi ve bizi bu hoş olmayan duruma sokmayın. Zgodnie z § 7.5 ogólnych warunków transportu jesteśmy zobowiązani pobierać podwyższoną opłatę za transport w wysokości 60,00 € w przypadku korzystania z publicznych środków transportu bez ważnego biletu. Nie wpływa to na ściganie w postępowaniu karnym lub w sprawach zagrożonych karą grzywny. Prosimy zaoszczędzić nam i sobie związanych z tym nieprzyjemności. Şayet geçerli bir biletiniz olmadan Bez ważnego biletu According to the General Terms of Transportation, § 7.5 we must charge an increased fare of € 60.00, if you make use of public transport without a valid ticket. Prosecution in criminal proceedings or for imposition of an administrative fine shall remain unaffected. Please save us and yourself the trouble involved. Without a valid ticket По общим правилам перевозки пассажиров, § 7.5, за проезд в общественном транспорте взимается повышенная плата € 60,00. Не исключается возбуждение уголовного дела или наложение штрафа. Пожалуйста, избегайте связанных с этим неприятностей. без действительного билета In base alle Disposizioni generali di trasporto, § 7.5, dobbiamo applicare una tariffa maggiorata di € 60,00, qualora utilizate i mezzi pubblici sprovvisti di un valido titolo di viaggio. Rimane invariata la possibilità di perseguire l’infrazione mediante un procedimento penale o con una sanzione amministrativa. Per favore evitate a noi e a Voi stessi i problemi che ne potrebbero derivare. Sprovvisti di un valido titolo di viaggio Con ello no estará afectada una persecución en proceso penal o la imposición de una multa. Conformément aux termes du § 7.5 de la réglementation des transports en commun, tous les passagers voyageant sans titre de transport valable seront passibles d’une amende de € 60,00, sans qu’il soit dérogé au droit d’engagement de poursuites judiciaires ou de procédure légale en versement d’une amende. Por favor, ahórrenos a nosotros y a usted mismo contrariedades que de ello se deriven. Il y va de votre intérêt et du nôtre que ces procédures ne soient jamais engagées. Sin billete válido Sans titre de transport valable Ségun las Disposiciones Generales para el Transporte, § 7.5, tendremos que cobrar una tasa aumentada del billete de viaje de € 60,00, si usted utiliza los medios de transporte sin billete válido. Σύμφωνα με τις γενικές προϋποθέσεις μεταφοράς, § 7.5, πρέπει να επιβάλλουμε μια αυξημένη τιμή εισιτηρίου ύψους € 60,00 σε περίπτωση που χρησιμοποιείτε δημόσια μέσα μεταφοράς. Από το παραπάνω δεν θίγεται η ποινική δίωξη και η διαδικασία επιβολής προστίμου. Σας παρακαλούμε μην δημιουργείτε προβλήματα σε εσάς τους ίδιους, αλλά και σε εμάς, τα οποία θα προκύψουν από το ανωτέρω γεγονός. χωρίς έγκυρο εισιτήριο Volgens de algemene transportvoorwaarden, § 7.5, dienen wij een verhoogd tarief van € 60,00 aan te rekenen wanner u van het openbaar vervoer gebruik maakt zonder geldig vervoerbewijs. Strafrechtelijke vervolging of boetes blijven mogelijk. Bespaar uzelf en ons de hiermee gepaard gaande moeillijkheden. Zonder geldig vervoerbewijs Abb. 4.3.2.9: Aufkleber: Erhöhtes Beförderungsentgelt bei Fahren ohne gültigen Fahrausweis in zehn Sprachen Quelle: Verkehrsbetriebe MobilitätsCenter Bochum Hbf KundenCenter Gelsenkirchen KundenCenter Witten Verteilerebene 44787 Bochum Mo–Fr: 07.00–19.00 Uhr Sa: 07.00–16.00 Uhr Bahnhofsvorplatz 5 (ZOB) 45879 Gelsenkirchen Mo–Fr: 07.00–19.00 Uhr Sa: 08.00–15.00 Uhr Bahnhofstraße 1–3 58452 Witten Mo–Fr: 08.00–18.00 Uhr Sa: 08.00–15.00 Uhr KundenCenter Hattingen KundenCenter GE-Buer im Reschop Carré (Ausgang ZOB) 45525 Hattingen Mo–Fr: 08.00–18.00 Uhr Sa: 08.00–15.00 Uhr Goldbergstraße 1 45894 Gelsenkirchen Mo–Fr: 08.00–18.00 Uhr Sa: 08.00–14.30 Uhr KundenCenter Universitätsstraße Universitätsstraße 58 44789 Bochum Mo–Do: 09.00–17.00 Uhr Fr: 09.00–16.00 Uhr Abb. 4.3.2.11: Informationsbroschüre »Sozialticket« in arabischer Sprache (Bochum) Quelle: Verkehrsbetriebe 294 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.3.2 ÖFFENTLICHE EINRICHTUNGEN – BÜRGERBÜROS UND HAUPTBAHNHÖFE IN DUISBURG, ESSEN, BOCHUM UND DORTMUND 295 4.3.3 Handel und Gewerbe Eine notwendige Bedingung für jede Form von Sprachenmanagement ist die Sprach(en)kompetenz, über die die Akteure, seien es Individuen, Firmen oder Institutionen, verfügen (Spolsky / Cooper 1991). Denn die Entscheidung, in welcher Sprache bzw. in welchen Sprachen ein Geschäft, ein Restaurant, ein Betrieb oder auch eine Institution ausgeschildert sein soll, hängt vor allen Dingen davon ab, welche Sprache(n) die jeweiligen Akteure beherrschen. Aus diesem Grunde wurde auch nach der Erstsprache der Informanten gefragt (vgl. auch Angenendt 2017: 12). Gut ein Drittel der befragten Geschäftsinhaber und Restaurantbesitzer gibt Deutsch als Erstsprache an, 23,3 % der Befragten nennen Türkisch, jeweils 6,7 % geben Kurdisch, Arabisch oder Italienisch an (Abb. 4.3.3.1). Aus Abbildung 4.3.3.2 geht hervor, welche Sprachen die Befragten gewählt haben, um ihr Geschäft, Restaurant etc. auszuschildern. Die Geschäftssparten sind weit gefächert. Am stärksten vertreten sind gastronomische Betriebe (insg. 15), gefolgt von Einzelhandelsgeschäften, insbesondere Lebensmittelgeschäften (insg. 8), Dienstleistungen wie Friseure und Reisebüros (insg. 7), Bekleidungsgeschäfte (insg. 5) und sonstige (insg. 4). Für die 58 Ladenbeschilderungen werden insgesamt 18 Sprachen verwendet. Auch hier zeigt sich wieder, dass Deutsch (42,9 %), Englisch (14, 3 %) und Türkisch (11,1 %) die dominierenden Sprachen sind (vgl. Kap. 3.1), gefolgt von Arabisch (6,3 %), Italienisch (6,3 %) und Französisch (4,7 %). Der Vergleich zwischen den Angaben zur Erstsprache und den Angaben zur Sprachpraxis bestätigt die Annahme, dass die Sprachkompetenz eine notwendige Voraussetzung für das Sprachenmanagement ist. Allerdings wird dieser Zusammenhang von den Befragten kaum thematisiert. Die Mehrheit der Geschäfte der Befragten ist mehrsprachig beschildert (74,1 %), ein geringerer Teil (25,9 %) einsprachig. Dieses Verhältnis entspricht allerdings nicht der Gesamttendenz für die Sprachenwahl bei kommerziellen Einrichtungen in der Metropole Ruhr. Die Gründe für die Diskrepanz liegen darin, dass sich grundsätzlich mehr Informanten mit Migrationshintergrund als ohne für die Befragung zur Verfügung gestellt haben und in dieser Befragtengruppe eine deutliche Präferenz für eine mehrsprachige Beschilderung besteht. Welche Motive bedingen die Sprachwahl der Produzentinnen und Produzenten? Warum entscheiden sich Geschäftsinhaber für eine mehr- oder einsprachige Beschilderung? Mit welchen Funktionen werden die jeweiligen Sprachenwahlen verbunden? In einer weitergehenden, d. h. anerkennungstheoretischen Perspektive ist zu fragen, wie inklusiv oder exklusiv die Sprachwahlpräferenzen sind, inwieweit die Motivlagen gesellschaftliche Anerkennungsordnungen zu erkennen geben und ob die Akte der Anerkennung normativer und / oder (nur) strategischer Natur sind, d. h. ethisch oder ökonomisch motiviert sind. Damit sind auch solche Aspekte des Sprachgebrauchs angesprochen, die gesellschaftliche Wertschätzung, Solidarität und Zugehörigkeit vermitteln. Die Ausgangsfrage lautete: »Warum haben Sie sich für ein mehrsprachiges / einsprachiges Schild entschieden? Warum haben Sie gerade diese Sprache(n) gewählt?« Die Auswertung der 58 Interviews lässt deutlich werden, dass trotz der Heterogenität der Antworten bestimmte Motivlagen auf die eine oder andere Weise immer wieder genannt werden und zu abstrakteren Motivmustern zusammengefasst werden können. Dazu zählen: das funktional-pragmatische Motiv, das sozialsymbolische Motiv, das normative Motiv und das Motiv der Sprachkompetenz. Die Auswertung der Interviews, in denen die Befragten ihre Motive für eine mehrsprachige Beschilderung ihrer Geschäfte, Restaurants etc. erläuterten, zeigt, dass von diesen vier Motiven zwei Motive besonders häufig genannt werden. Dies betrifft das funktional-pragmatische Motiv und das sozialsymbolische Motiv. Diese Motive ergeben in der Summe mehr als 85 % aller Nennungen. Wesentlich seltener wird ein normativ orientiertes Motiv genannt, indem auf Vorgaben Dritter verwiesen wird oder die eigene Sprachkompetenz als Motiv für die Sprach(en)wahl angeführt wird. Da die Befragten häufig nicht nur ein Motiv, sondern mehrere Motive nannten, ist die Summe der Motive der Sprachwahlen höher als die Gesamtzahl der Befragten. Insgesamt zeigt sich, dass 88 % der Befragten mit Migrationshintergrund, aber nur 30 % der Befragten ohne Migrationshintergrund ihr Geschäft, Restaurant etc. mehrsprachig ausschildern. Abbildung 4.3.3.3 fasst die Ergebnisse der Analyse der Motive für mehrsprachige Beschilderungen zusammen, und zwar für beide Untersuchungsgruppen. Funktional-pragmatisches Motiv Das funktional-pragmatische Motiv wird von Produzentinnen und Produzenten mehrsprachiger Beschilderung gebraucht, um auf die Absichten und Zwecke zu verweisen. Dieses Motiv dominiert sowohl bei den Befragten mit als auch ohne Migrationshintergrund. Im Vordergrund stehen das Informationsmanagement und die Zielgruppenorientierung, um, wie es ein Befragter auf den Punkt bringt, »mehr Kunden anzulocken« (PEsRüt4; +MH) bzw. mit Blick auf das Englische »die breite Masse« (PEsRüt4, +MH) zu erreichen. Es gilt die Regel, ein Schild in der Sprache zu verfassen, von der der Produzent annimmt, dass der potentielle Kunde sie versteht (»presumed reader’s conditon«, Spolsky / Cooper 1991: 83), wie die folgenden Beispiele (Beispiele 1 – 3) illustrieren. Sprache Vorkommen % Deutsch 21 35,0 Türkisch 14 23,3 Arabisch 4 6,7 Italienisch 4 6,7 Kurdisch 4 6,7 Albanisch 2 3,3 Kroatisch 2 3,3 Vietnamesisch 2 3,3 Bulgarisch 1 1,7 Chinesisch 1 1,7 Fulfulde 1 1,7 Polnisch 1 1,7 Russisch 1 1,7 Spanisch 1 1,7 Tamil 1 1,7 Gesamt 60 100 % Sprache Vorkommen % Deutsch 54 42,9 Englisch 18 14,3 Türkisch 14 11,1 Arabisch 8 6,3 Abb. 4.3.3.1: Erstsprache der Befragten Italienisch 8 6,3 Französisch 6 4,7 Kurdisch 4 3,2 Griechisch 2 1,6 Spanisch 2 1,6 Vietnamesisch 2 1,6 Bulgarisch 1 0,8 Chinesisch 1 0,8 Kroatisch 1 0,8 Niederländisch 1 0,8 Polnisch 1 0,8 Russisch 1 0,8 Tamil 1 0,8 Zazaisch 1 0,8 Gesamt 126 100 % Abb. 4.3.3.2: Sprachenwahl bei den Ladenbeschilderungen von 58 Befragten 296 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 4.3.3 HANDEL UND GEWERBE 297 80 1. Beispiel: (PDuMar4; +MH) bulgarca yazıyor bulgar dükkanı burası| bulgar kiosk| [var| ] yeni bulgarlar hani| anlamıyor bu dili| (--) okuma yazma yok almancasini| bi (.) bir kere de bulgarca aıaııda (.) bulgarca yazdık| onlar da bilsin hani bulgar dükkanı| bir kere de almanca kiosk hani almancası| Übersetzung: auf bulgarisch steht dass hier ein bulgarisches geschäft ist| bulgarischer kiosk| steht| also die neu angekommenen bulgaren| verstehen die sprache nicht (deutsch)| die können die sprache weder schreiben noch lesen| wir haben einmal unten auf bulgarisch geschrieben| damit die leute wissen dass hier ein bulgarisches geschäft ist| und auch einmal hat man auf deutsch geschrieben| 60 40 20 nz iv te at pe rm om no ch k ra Sp fu nk tio so na zia l-p ra lsy m gm bo at lis ch isc h 0 Befragte +MH Befragte -MH Abb. 4.3.3.3: Häufigkeit der von den privaten Produzenten genannten Motive für eine mehrsprachige Beschilderung 2. Beispiel: (PEsRüt6; +MH) wir haben da die sprachen (--) hm (-) mehr oder weniger den möglichkeiten angepasst die wir haben| und ähm (0.6)| mit englisch (---)| italienisch (-)| kommt man eigentlich sehr weit (--)| in der gastronomie| 3. Beispiel: PDueMar1; +MH) außerdem| ähm obwohl es wenig ist| haben wir auch deutsche kunden| aus diesem grund haben wir uns auch für die deutsche sprache entschieden| Einige Befragte erklären, dass die Sprachenwahl auch zur Markierung eines maximal inklusiven Sprachgebrauchs diene, »um jeden einbeziehen zu können«. Damit wird ein aktueller Leitwert des öffentlichen Diskurses um Migration und Integration zitiert und der instrumentellen Perspektive eine ethisch-normative Perspektive vorangestellt, indem auf die Notwendigkeit einer mehrsprachigen Beschriftung hingewiesen wird, vgl. Beispiel 4: Abb. 4.3.3.4: E-Rüttenscheid Abb. 4.3.3.5: DO-Nordstadt 4. Beispiel: (PBoLan1; +MH) weil es nötig ist| also so ist es um jeden einbeziehen zu können| damit jeder es versteht| deshalb| also es gibt auf arabisch türkisch eh kurdisch| auf englisch gibt es auch| auf französisch aus (...) gibt es auch| damit jeder es versteht ist es in jeder art und weise dargestellt| Beispiel 5 gibt zu erkennen, dass sich die Geschäftsinhaber nicht nur an den Nationalitäten und Sprachkenntnissen ihrer Kunden orientieren, sondern auch das Alter der Kunden als einen relevanten Faktor für ihre Sprachenwahl betrachten. So wird z. B. das Englische u. a. auch deshalb gewählt, weil damit eine gewisse Jugendlichkeit indexikalisiert und so eine jugendliche Klientel angesprochen werden kann, von der angenommen wird, dass sie eine hohe Affinität zur angloamerikanischen Kultur und damit zum Englischen besitzt. 298 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 5. Beispiel: (PDuInn6; +MH) 021 IntMW: und sie verwenden dann hier zum beispiel auch deutsch und englisch| 022 gemischt| 023 vegetarisch and vegan food (1.5)| 024 PDuInn6: ja äh| 025 für die jugendlichen eher (-) ja| Sozialsymbolisches Motiv Das sozialsymbolische Motiv (»symbolic value condition«, Spolsky / Cooper 1991: 84) wird von den Produzentinnen und Produzenten mehrsprachiger Schilder verwendet, um deutlich zu machen, womit sie identifiziert werden möchten und wogegen bzw. gegen wen sie sich abgrenzen möchten. Dazu zählt die Identifikation mit einer bestimmten Sprache, einem bestimmten Herkunftsland, einer Herkunftsregion oder einem Herkunftsort, um ein Gefühl von Heimat auszudrücken bzw. bei den Adressaten herzustellen: »zum beispiel ich auch so (-) wenn andere stadt gehen| dieser buchstabe dann okay| ah das ist unsere| dann einmal reingehen« (PEsAlt1; +MH). Dieses Heimatgefühl wird an ein Gefühl des Wohlbehagens gekoppelt: »wenn es ein türkischer Markt ist| fühlen die sich wohl| von begrüßung bis zum essen| bewegen sie sich wohlfühlend« (PBoLan1; +MH). Dabei identifizieren sich die Befragten mit den Kunden (»das ist unsere« PEsAlt1; +MH, »fühlen die sich wohl« PBoLan1; +MH) und drücken so Zugehörigkeit und Solidarität aus. Darüber hinaus wird das sozialsymbolische Motiv auch genannt, wenn es darum geht, Authentizität zu vermitteln oder auf die Einhaltung religiöser Speisevorschriften zu verweisen (»das halal zeichen| das zeugt davon| von muslimische äh (--)| dass es ein halal geschlachtetes fleisch ist« (PDuMar3; -MH). Mit dem Motiv der Authentizität begründet auch ein italienstämmiger Befragter seine Sprachwahl. Sein Geschäft ist auf Italienisch und Deutsch beschriftet. Die Verwendung des Italienischen hat für den Befragten eine besondere Bedeutung, da er damit potenzielle Gäste darauf hinweisen kann (»nach außen strahlen«; Z. 43), dass in seinem Café »wirklich italiener« arbeiten (Z. 45) und original italienische Produkte angeboten bzw. mit italienischen Produkten italienische Speisen zubereitet werden. Dies ist ihm vor allem in Abgrenzung zu jenen Gastronomiebetrieben wichtig, die sich als »Italiener« bezeichnen, aber keine »echten Italiener« sind, d. h. nicht von Italienern betrieben werden (Z. 39 – 40). 6. Beispiel: (PDuInn1; +MH) 038 PDuInn1: ähm für mich war (.) dass das italienische auch hier (1.1)| 039 heutzutage muss man sagen gibt es viele italienische geschäfte angeblich (0.8)| 040 wo (-) drinnen (.) überhaupt keine italiener sind ne| 041 IntMW: [mhm| ] 042 IntTM: [mhm| ] 043 PDuInn1: ich wollte das (-) so direkt wie möglich schr ähm (1.0) nach außen strahlen| 044 ne| 045 dass wir wirklich italiener sind| 046 (1.0)| Ein wichtiges, allerdings sehr selten genanntes Motiv, ist das Motiv des Spracherhalts, wie Beispiel 7 illustriert. Befragt wurde ein Geschäftsinhaber in DO-Hörde, der sein Geschäft in Zazaisch, einer Sprache, die im Osten der Türkei gesprochen wird, beschildert hat. Auf die Frage, wer sich den zazaischen Namen des Geschäfts ausgedacht hat, reagiert er zunächst mit einer gesichtswahrenden Selbstbewertung ex negativo (»ich bin kein nationalist«), um anzuzeigen, wie er seine Antwort nicht verstanden wissen möchte. Im Anschluss führt der Befragte aus, dass seine Sprachwahl aus einem generellen Interesse am Fortbestehen seiner Muttersprache Zazaisch resultiere, er mit dieser Sprachwahl aber auch den willkommenen Nebeneffekt des Exotischen nutzen möchte (»es kann neugier aufwecken«). Da der überwiegende Teil der Zaza Kurden sind, ist hier sicherlich auch ein Motiv, sich exklusiv an einen kurdischen Kundenkreis wenden zu wollen. Mit dieser gezielten Kundenansprache ist eine sehr differenzierte Form des Distinktionsgewinns verbunden. Dieser Distinktionsgewinn bestimmt sich dadurch, eine Minderheit in der Minderheit in der Minderheit zu sein, d. h. nicht-türkisch, nicht (allgemein) kurdisch, sondern ein Zaza-Kurde zu sein. 7. Beispiel: (PDoHör3; +MH) ben milliyetci değilim| o anlamda ama yine de zazaca dili ähm| (-) dünyada yok olmak üzere dillerden biri| çok az konuşuluyor ähm ve| bu gidişle de bir zaman sonra tamamen kaybolacak| (---) ya o dili bilenlerden biri de benim| az insan var o dili konuşan| bilen biri de benim onun için de| yani ähm|en azından bir merak uyandırıyor bazı insanlar soruyor hani| bu ne diye| senin söylediğin gibi italyanca geçiyor ama kimisi gerçekten soruyor bu ne diye| 4.3.3 HANDEL UND GEWERBE 299 Übersetzung: ich bin kein nationalist| aber trotzdem zazaisch| ist eine sprache die in der welt verloren geht| man spricht sie kaum heutzutage und| wenn es so weiter geht wird sie in zukunft gar nicht mehr gesprochen| einer der menschen der diese sprache noch reden kann bin ich| ganz wenige leute reden diese sprachen noch| jemand der noch redet bin ich aus dem grund| also| es kann neugier aufwecken manche leute fragen| was ist das| so wie du sagst klingt das italienisch aber jemand fragt wirklich, was das sei| Abb. 4.3.3.6: DU-Innenstadt Abb. 4.3.3.7: DU-Innenstadt Abb. 4.3.3.8: E-Altendorf Abb. 4.3.3.9: E-Rüttenscheid 300 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT Insbesondere für die Befragten ohne Migrationshintergrund spielen bei der Wahl von anderen Sprachen als Deutsch auch Prestigegründe eine Rolle. In diesen Fällen wird die Fremdsprache, in der Regel Französisch oder Englisch, zu emblematischen Zwecken eingesetzt. Das bedeutet, dass die entsprechenden Textteile nicht primär informationstragend eingesetzt werden, sondern für Namen (z.B. Geschäftsnamen, Restaurantnamen), Claims (Werbesprüche) oder auch Ritualia (Begrüßungen, Verabschiedungen) verwendet werden (vgl. Kelly-Holmes 2005, Reershemius 2011), die spezifische kulturelle Stereotype transportieren sollen. Vertiefte Sprachkenntnisse sind für diese Art der Verwendung von Fremdsprachen nicht nötig. Vielmehr geht es darum, das kulturelle Kapital der Sprachen zu nutzen und zu verwerten und über die Sprachwahl Modernität, Weltgewandtheit, Kultiviertheit, Jugendlichkeit, Elitismus oder auch Traditionalität zu konnotieren. Beispiel 8 gibt einen Einblick in diese Motivlage. Befragt wurde die Inhaberin eines Antiquitätengeschäfts, die ihr Antiquariat in Anlehnung an ein berühmtes Kunstmuseum in Paris benannt hat. 8. Beispiel: (PEsRüt5; -MH) 071 IntTM: ähm können sie das kurz nochmal beschreiben| 072 warum (.) sie das| 073 ähm [NN frz.] genannt haben| 074 ihren laden (--)| 075 PEsRüt5: ja [NN in deutscher Übersetzung] 076 wie gesagt| 077 viel kunst| 078 viel schöne dinge| 079 auf ganz kleinem raum °h| 080 und in anlehnung an das äh (-)| 081 im (-)| 082 sehr anmaßend von mir| 083 [NN frz.] in paris| ] 084 IntTM: [mhm| ] 085 PEsRüt5: das berühmte museum| 086 ist ja auch von der jahrhundertwende| 087 088 IntTM: 089 PEsRüt5: 090 091 092 [diese schönen (-) alten glaskästen| ] [hm_hm| ] diese alten treibhäuser °hh| und (drüben) stehen sowieso spezialitäten| und da dachte ich| das passt so| meine Normatives Sprachwahlmotiv Das normative Sprachwahlmotiv wird ausschließlich von Befragten mit Migrationshintergrund verwendet. Sie verweisen damit auf faktisch bestehende Normen bzw. auf die Erfüllung unterstellter gesellschaftlicher Erwartungen. Zur Versprachlichung wird dabei häufig auf das Modalverb »müssen« zurückgegriffen, das den hohen Grad der sozialen Erwartung und Notwendigkeit ausdrücken soll. Wie die Beispiele 9 und 10 zeigen, geht es dabei nicht um die ausschließliche Verwendung der deutschen Sprache, sondern darum, neben der eigenen Sprache auch das Deutsche als Sprache der Mehrheitsgesellschaft mit zu berücksichtigen. 9. Beispiel: (PEsAlt3; +MH) nein nein nein nein| polnisch und deutsch (--)| deutsch muss alles kennen ja| 10. Beispiel: (PBoLan4; +MH) (--) ya ama almanyada yaşıyoruz sonuçta| ähm (.) almanyada (.) şey yaşadığımız için| reklamı mecbur almanca olması lazım| yani türkiyede yaşasan türkçe yazıyorsun| Übersetzung: ja aber wir leben in deutschland| da wir in deutschland leben| muss die werbung auch auf deutsch sein| also würde man in der türkei leben dann würde man es auf türkisch schreiben| Ähnlich argumentiert der Inhaber eines Geschäftes in DO-Nordstadt, in dem religiöse Bücher sowie orientalische Bekleidung und Produkte angeboten werden (Beispiel 11). Das Geschäft ist in lateinischer und arabischer Schrift betextet. Der Geschäftsinhaber begründet diese Schriftsystemwahl damit, dass die Beschriftung sowohl von Deutschen (lateinische Schrift) als auch von Arabischsprachigen (arabische Schrift) gelesen werden kann. Sich selbst ordnet er der Gruppe der »Araber« zu, indem er das Personalpronomen »wir« zur Selbstkategorisierung wählt (Z. 57: »wir sind araber«), die in Deutschland leben (Z. 59). Unter Verwendung des Modalverbs »müssen« stellt er sich der normativen Erwartung der Gesellschaft (»wir leben in deutschland«; Z. 59, 66) und erklärt, dass die Sprach- bzw. Schriftsystemwahl für beide Gruppen (»araber« und »deutsche«) »passen müsse« (Z. 60). 11. Beispiel: (PDoNor3a; +MH) 055 IntMW: warum haben sie genau diese sprachen gewählt (-)| 056 PDoNor3a: warum warum| 057 wir sind araber| 058 IntMW: ja (-)| 059 PDoNor3a: und (-) wir leben in deutschland (-)| 060 das muss für beide (-) passen (--)| 061 ich kann nicht| 062 zum beispiel andere (-)| 063 fremde (1.3) äh| 064 [sprachen nehmen| ] 065 IntNA: [sprachen| ] 066 PDoNor3a: und ich lebe in deutschland (-)| 067 (das muss man) (--)| 068 die sprache die| 069 ist muttersprache zuhause habe ich| 070 wo wo ich lebe| 071 [ich bin in deutschland| ] 072 IntMW: [hm_hm| ] 073 PDoNor3a: da muss es für beide passen| zwei Sprachkompetenz als Sprachwahlmotiv Während das funktional-pragmatische Motiv die Sprachkompetenzen der Adressaten in den Blick nimmt, bezieht sich das Kompetenzmotiv auf die sprachlichen Fähigkeiten der Produzenten. Mit Spolsky / Cooper (1991: 81) kann davon ausgegangen werden, dass ein Textproduzent dazu neigt, ein Schild in der Sprache zu verfassen, die er beherrscht (»sign-writer’s skill condition«). So antwortet der Inhaber eines türkischen Restaurants auf die Frage, warum er die Sprachen Deutsch, Türkisch und Arabisch zur Beschilderung seines Ladens verwende, dass er diese drei Sprachen »gut sprechen kann« (Z. 150): 12. Beispiel: (PEsAlt2; +MH) 148 IntTM: warum sind es gerade diese drei sprachen| 149 (0.5) dann die sie gewählt haben| 150 PEsAlt2: [(0.8) weil ich die drei sprachen äh also (.) gut sprechen kann| Welche Motive leiten die Befragten, die ihre Geschäfte, Restaurants einsprachig beschildern? Wie erklären sie ihre Ablehnung gegenüber visueller Mehrsprachigkeit? Abbildung 4.3.3.10 zeigt, dass sowohl bei den Befragten mit als auch ohne Migrationshintergrund das funktional-pragmatische Motiv dominiert, in der Gruppe der Befragten ohne Migrationshintergrund sogar in über 70 % der Fälle. 4.3.3 HANDEL UND GEWERBE 301 14. Beispiel: (PDueMar3; -MH) wie sollte ich mich denn hier präsentieren| in welchen sprachen (0.5)| ich müsste ja hier zwölf sprachen| nach außen me äh äh transportieren (---)| ist ja gar nicht möglich (0.4)| Am zweithäufigsten werden in dieser Befragtengruppe normative Motive angeführt (vgl. Beispiel 15), indem auf das Deutsche als Nationalsprache verwiesen wird. 15. Beispiel: (PDoNor6; -MH) 002 IntVA: welche sprachen verwenden sie denn hier| 003 vor allem auf ähm auf schildern| 004 und ähm plakaten| 005 PDoNor6: deutsche sprache| 006 IntVA: und wieso gerade deutsch| 007 PDoNor6: (0.9)| 008 weil ich denke| 009 wir sind nun mal hier in deutschland| 010 dass wir dann auch die deutsche sprache verwenden müssen| 302 4. SPRACH BEWERTUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZU MEHRSPRACHIGKEIT 17. Beispiel: (PDoHör5; +MH) 317 IntTM: hatten sie da irgendwie vorbilder| 318 oder inspiration| 319 wo sie das mal so gesehen haben| 320 PDoHör5: (1.5) das hab ich einfach im kopf getroffen| 321 weil ich (-) ich (-)| 322 sag ich ja so| 323 ich war also in frankreich| 324 und (---) da hört sich so an| 325 (weißt du auf die kunden)| 326 ich wollte nicht so weißt du türkische namen| 327 will ich nicht| 328 oder arabisch zu schreiben| 329 also will ich schon so laden wie hier| 30 25 20 15 10 5 nz te pe rm om no bo ra Sp so na zia ch k lsy m at ch lis isc h at gm ra l-p iv 0 tio 16. Beispiel: (PEsRüt8; +MH) 008 IntVA: und ähm| 009 wieso gerade deutsch| 010 und nicht noch eine andere sprache| 011 PEsRüt8: ja weil eben halt hier| 012 IntVA: oder| 013 PEsRüt8: deutsch gesprochen wird| ... 021 IntVA: und ähm haben sie (-) also [...] hätten sie sich auch vielleicht| 022 also könnten sie sich auch denken dass sie das irgendwie in kroatisch einbinden| 023 oder °h einfach nur deutsch weil| 024 PEsRüt8: einfach nur deutsch| 025 weil dass ist ja| 026 wir sind hier in deutschland| 027 und äh da soll es so bleiben| 028 IntVA: [hm_m| ] 029 PEsRüt8: [ne| ] 030 ich meine was nützt das wenn ich irgendwas auf kroatisch schreibe| 031 und kein mensch kann es lesen| 032 außer die paar kroaten| 033 IntVA: hm_m| 034 PEsRüt8: die hier mal vorbei kommen| 035 äh das ist denke ich mal nicht sinn der sache| Insgesamt gibt die Befragung zum Sprachenmanagement »von unten« und damit zu den Sprachwahlentscheidungen der privaten Akteure deutliche Unterschiede in den Befragtengruppen zu erkennen. Diese lassen sich auf unterschiedliche Sprachkenntnisse, Kundenorientierungen und Identitätsmarkierungen zurückführen, die nicht zuletzt auch sprachideologisch fundiert sind. Diese sprachideologische Komponente betrifft den Umgang und die Anerkennung von Migrantensprachen – und zwar in beiden Befragtengruppen. Sie wird zum einen dort deutlich, wo Befragte mit Migrationshintergrund andere Migrantensprachen als ihre eigene marginalisieren, und zum anderen dort, wo Befragte ohne Migrationshintergrund visuelle Mehrsprachigkeit mit dem Verweis auf das Deutsche als Nationalsprache ablehnen, d. h. Einsprachigkeit zur Norm erheben. Inwieweit die Befragten damit auch fehlende Sprachkompetenzen in den Migrantensprachen verschleiern möchten und / oder ihre Angst vor einer zunehmenden Diversifizierung der Bevölkerung zum Ausdruck bringen, kann nur gemutmaßt werden. Erkennbar wird jedoch, inwieweit Annahmen über Identität, Kultur, Kommunikation und Sprache(n) ideologisch gerahmt sind. nk 13. Beispiel: (PDuMar5; -MH) 007 PDuMar5: also wir werben über (-) ähm (1.1) überwiegend in deutsch| 008 wir haben äh nur deutsche kunden| 009 °hh fremdsprache| 010 werben wir nicht| 011 weil wir auch diese werbung| 012 die wir in den schaufenstern haben| 013 so auch vom veranstalter geschickt bekommen| 014 IntVA: hm_m| 015 PDuMar5: und (-) wir brauchen nichts anderes werben| 016 weil wir halt auch nur deutsche kunden haben| Von den Befragten mit Migrationshintergrund votieren fünf Befragte für eine monolinguale, und zwar einsprachig deutsche Beschilderung. Dabei werden am häufigsten funktional-pragmatische und normative Motivlagen (Beispiel 16), seltener sozialsymbolische Motivlagen (Beispiel 17) genannt. fu Von den Befragten ohne Migrationshintergrund erklärt eine deutliche Mehrheit, dass sie ihr Geschäft, Restaurant etc. bewusst einsprachig deutsch beschildert, eine mehrsprachige Beschilderung also ablehnt. Am häufigsten werden funktional-pragmatische Motive genannt (71,8 %) und dabei auf die ausschließlich deutsche Kundschaft verwiesen oder angegeben, dass die Wahl der Sprachen insgesamt schwierig sei, wie die Beispiele 13 und 14 illustrieren. Befragte +MH Befragte -MH Abb. 4.3.3.10: Häufigkeit der von den privaten Produzenten genannten Motive für eine einsprachige Beschilderung Abb. 4.3.3.11: DU-Innenstadt Abb. 4.3.3.12: DU-Marxloh 4.3.3 HANDEL UND GEWERBE 303 5. ZUSAMMENFÜHRUNG DER ERGEBNISSE UND FAZIT 5.1 Andere Zeichen – andere Menschen: Zum Wert und Nutzen sichtbarer Mehrsprachigkeit Die mehrsprachige Umgebung und Beschilderung des öffentlichen Raums ist sowohl Ausdruck als auch künftiges Programm der immer vielfältiger werdenden Metropole Ruhr. Unsere Daten haben deutlich gemacht: Nach dem Deutschen und dem Englischen, das vielfach als Lingua franca fungiert, kommen im Ruhrgebiet am häufigsten türkische Schilder und Aufschriften vor. So wird eine demografische Tatsache auch semiotisch adäquat abgebildet: Türkeistämmige bilden die größte ethnische Gruppe nichtdeutscher Herkunft. Allerdings: Diese Regel gilt nicht uneingeschränkt. Denn einige Gruppen, wie etwa die Polenstämmigen, sind so gut wie unsichtbar; andere wie etwa die Zuwanderer aus Bulgarien, Rumänien und Syrien sind noch kaum mit ihren Sprachen im öffentlichen Raum vertreten. Mit Blick auf die in Deutschland lebenden sogenannten »Ruhrpolen« kann gesagt werden, dass diese historisch als eher assimilationsorientiert galten; diejenigen, die sich aber in Deutschland eher unwohl gefühlt haben, sind mit der Entstehung des Nationalstaates Polen nach dem Ersten Weltkrieg ausgewandert. Insofern kann von einer positiven Selektion gesprochen werden. Ein Passant auf der Weseler Straße in DU-Marxloh oder der Rüttenscheider Straße in Essen hinterfragt in der Regel nicht, wer all die Schilder aufgehängt hat und was denjenigen dabei bewegte. Für ihn ist der öffentliche Raum ein gegebener Rahmen für sein Handeln. Neben der Bebauung und den Menschen, die ihn nutzen, ist es aber auch die sichtbare Mehrsprachigkeit, die dazu führt, dass er erkennt, welche Funktion ein Raum hat. Einkaufsstraßen wie die Rüttenscheider Straße in Essen oder die Weseler Straße in Marxloh haben, wie wir im Projekt analysieren konnten, jeweils eine ganz typische Mischung von Gastronomie, Nahversorgung und hochwertigem Konsum zu bieten. Diese typische Mischung bringt auch eine besondere sichtbare Mehrsprachigkeit mit sich, in der neben Deutsch bestimmte andere Sprachen prägend sind, beispielsweise Türkisch in Marxloh oder Englisch und Französisch in Rüttenscheid. Diese charakteristische Mehrsprachigkeit wird aber nicht ausschließlich von der ansässigen Bevölkerung geprägt, sondern etwa im kommerziellen Bereich auch von Kunden, die auch aus anderen Quartieren oder Städten kommen. Auch der Inhaber eines Geschäfts oder Restaurants als Produzent sichtbarer Mehrsprachigkeit muss nicht unbedingt ein Bewohner des Stadtviertels sein. Doch in der Regel macht er Kunden Kommunikationsangebote, die diese verstehen müssen, wenn sie etwas kaufen oder konsumieren sollen. Dadurch prägen Produzenten öffentliche Räume und tragen zum Teil auch zu ihrer ethnischen Etikettierung bei. Bestimmte Ladeninhaber siedeln sich auch nicht zufällig in Stadtteilen an, sondern sie sind abhängig von Rahmenbedingungen wie etwa der Miethöhe von Gewerbeobjekten und der Verfügbarkeit von Immobilien für bestimmte kommerzielle Angebote. Gerade Pioniere, d. h. Gruppen, die relativ neu zugewandert waren wie zur Zeit unseres Projektes die Bulgaren in Marxloh, brauchen günstige Gewerbeimmobilien, um ohne großen Aufwand ein Lebensmittelgeschäft oder einen Kiosk zu eröffnen. Oft sind diese Geschäfte durch die Sprachwahl und die Symbolik als Anlaufpunkte für bestimmte Bewohnergruppen erkennbar und bieten spezielle Produkte (z.B. Lebensmittel) oder Dienstleistungen (z.B. Geldtransfer oder günstige Telefontarife) an. Wenn aber wie im Erhebungsgebiet Marxloh aufgrund der boomenden türkischen Hochzeitsmeile nur wenige preiswerte Immobilien zur Verfügung stehen und kaum Leerstände zu finden sind, kann die Situation auf dem Markt für Gewerbeimmobilien dazu führen, dass etwa Bulgarisch in der sichtbaren Mehrsprachigkeit des Erhebungsgebietes wenig präsent ist, obwohl wir aus den Bewohnerdaten schließen können, dass viele bulgarische Staatsangehörige im Stadtteil leben. Spannende Tendenzen konnten entlang des »Sozialäquators A 40« beobachtet werden. So wurde nicht nur die Hypothese bestätigt, dass die Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit in den nördlichen Stadtteilen höher und deren Zusammensetzung anders ist als in den südlichen Stadtteilen. Sondern es konnte auch analog gezeigt werden, dass die A 40 für die Einstellung gegenüber sichtbarer Mehrsprachigkeit von besonderer Relevanz ist, und zwar in zweifacher Hinsicht. Abgesehen davon, dass visuelle Mehrsprachigkeit grundsätzlich positiv bewertet wird, zeigt sich zum einen, dass die Akzeptanz von anderen Sprachen als Deutsch, insbesondere Migrantensprachen, in den nördlichen Stadtteilen etwas höher ausfällt, und zum anderen, dass sich die Einstellungsprofile der Befragtengruppen in den südlichen Stadtteilen annähern, indem arrivierte Migranten die Einstellungsmuster der monolingual Deutschen übernehmen. Die Befragten mit und ohne Migrationshintergrund äußerten in gleichem Maße eine gewisse Skepsis gegenüber visueller Mehrsprachigkeit. Die Ablehnung wurde vor allen Dingen mit normativen Argumenten, also dem Hinweis auf die Anerkennung der deutschen Sprache als kultureller Norm untermauert, die als eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration gesehen wurde. Abb. 5.1: BO-Hauptbahnhof 306 5. ZUSAMMENFÜHRUNG DER ERGEBNISSE UND FAZIT 5.1 ANDERE ZEICHEN – ANDERE MENSCHEN: ZUM WERT UND NUTZEN SICHTBARER MEHRSPRACHIGKEIT 307 Damit konform fielen auch die Ergebnisse der telefonischen Befragung aus, bei der Interviewte mit türkischem und italienischem Migrationshintergrund sogar noch stärker als Deutsche dafür optiert haben, dass mehrsprachige Schilder auch Deutsch enthalten sollten. Die Befragten hoben insbesondere die Orientierungsfunktion hervor, die mehrsprachige Beschilderung für Personen ohne Deutschkenntnisse hat. Damit können (mehrsprachige) Schilder also ein Vehikel sein, sich (in Deutschland) zuhause zu fühlen. Die Ergebnisse der Rezipientenbefragung stehen allerdings in einem interessanten Spannungsverhältnis zur Befragung der Produzenten und ihrem Sprachenmanagement »von unten«. So zeigt sich bei den privaten Akteuren (d.h. den Geschäftsinhabern und Restaurantbesitzern) mit Migrationshintergrund eine klare Tendenz, neben der eigenen Herkunftssprache und kulturell benachbarten Sprachen auch die Sprache der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu wählen, während die Befragten ohne Migrationshintergrund im Wesentlichen nur dann offen sind für eine mehrsprachige Beschilderung ihrer Geschäfte und Restaurants, wenn es sich um eine internationale Verständigungssprache, wie z. B. Englisch, handelt, mit der viele Kunden und Gäste erreicht werden können, oder um eine prestigereiche Fremdsprache, mit der die eigenen Produkte und Dienstleistungen aufgewertet werden können. In komparativer Sicht dominiert zwar bei allen privaten Akteuren mit positiver Einstellung gegenüber einer mehrsprachigen Beschriftung der ökonomische Wert der Mehrsprachigkeit. Allerdings existieren in den Befragtengruppen unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Sprachen ökonomisch wertvoll sind und welche nicht. Letztlich kann, in kommerzieller Hinsicht, auch die Bevorzugung einer »marginalisierten Sprache« sinnvoll sein, wenn die eigenen Produkte an eine spezifische Kundschaft adressiert sind, wie etwa das arabische Halal-Zeichen bei Nahrungsmitteln, das zwar in erster Linie an arabische Muslime gerichtet ist (arabische Schriftzeichen), aber auch von fast allen Türkeistämmigen verstanden wird, weil es als ein feststehendes ikonisches Zeichen wahrgenommen wird. Im Vergleich zu Geschäftsinhabern üben öffentliche Institutionen wie Stadtverwaltungen Sprachenmanagemententscheidungen »von oben« aus, indem normativ festgelegt wird, welche Sprachen für offizielle Beschilderungen zu verwenden sind. Die Beschriftungen sind einsprachig deutsch aufgrund der Festlegung auf die Amtssprache Deutsch. Dahinter verbirgt sich die Ideologie sprachlicher Assimilation, die voraussetzt, dass alle Bürgerinnen und Bürger zumindest so gut Deutsch beherrschen, dass sie kurze Texte lesen und verstehen können. Migrantensprachen spielen in diesem Kontext kaum eine Rolle, sie werden vernachlässigt und können insofern als »hidden multilingualism« (Vogl 2012) bezeichnet werden. Im Verwaltungsalltag gibt es aber trotzdem (visuelle) Mehrsprachigkeit, und zwar bei Formularen, Aushängen und Broschüren, also eher bei solchen Medien, die unkomplizierter und kostengünstiger anzupassen sind als Schilder im öffentlichen Raum. Hier dominieren funktional-pragmatische Motive, da die Beschäftigten in den Bürgerbüros und an anderen Stellen mit Kontakt zur Einwohnerschaft alltäglichen Kommunikationsanforderungen in einer vielfältiger werdenden Stadtgesellschaft gerecht werden müssen. So entsteht (visuelle) Mehrsprachigkeit im Schatten des »monolingualen Habitus« (Gogolin 2008). Es wird interessant sein zu beobachten, inwieweit sich die explizite Sprachpolitik »von oben« in Zukunft der schon jetzt stärker funktional-pragmatisch motivierten Mehrsprachigkeitspraxis anpassen wird. Abb. 5.2: DU-Hochfeld Abb. 5.3: DO-Nordstadt 308 5. ZUSAMMENFÜHRUNG DER ERGEBNISSE UND FAZIT 5.1 ANDERE ZEICHEN – ANDERE MENSCHEN: ZUM WERT UND NUTZEN SICHTBARER MEHRSPRACHIGKEIT 309 Abb. 5.4: DU-Hochfeld 310 5. ZUSAMMENFÜHRUNG DER ERGEBNISSE UND FAZIT Die Verkehrsbetriebe im Ruhrgebiet sind in ihrem Sprachenmanagement »von oben« weniger stark normativ geprägt als die öffentliche Verwaltung. Es gibt zwar Vorschriften zum Corporate Design als normatives Element; die Sprachverwendung ist dort aber nicht explizit geregelt. Auch hier wird Mehrsprachigkeit eher funktional-pragmatisch begründet und gehandhabt, da sonst die Kundenorientierung und die ökonomischen Interessen leiden würden. Die Deutsche Bahn stellt in dieser Hinsicht jedoch eine Ausnahme dar. Sie ist unter den Verkehrsbetrieben am stärksten normativ geprägt; der Normenkatalog umfasst aber im Gegensatz zu den anderen Verkehrsbetrieben auch Regeln zur Mehrsprachigkeit. Die Sichtbarkeit der »Schilder mit Migrationshintergrund« ist ein klares Signal der öffentlichen Anerkennung der jeweiligen kulturellen Bezugssysteme und ihrer Träger; denn die Akzeptanz von Mehrsprachigkeit impliziert die Wertschätzung der kulturellen Praxis und Lebensform der »Anderen«. Und das wiederum erleichtert Zuwanderern die Beheimatung und Identifikation mit der jeweiligen Region. Gegenseitige Achtung und Toleranz sind aber auch Indikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität von Städten und ziehen insbesondere Kreative an (Florida 2010) – Faktoren, die für die Zukunftsfähigkeit und das Gelingen des Strukturwandels in der Metropole Ruhr von großer Bedeutung sind. Unser Projekt gibt eine Momentaufnahme, die auf einem Messzeitpunkt basiert und insofern nur Aussagen über die sprachliche Situation zu diesem Zeitpunkt treffen kann. Um Veränderungsprozesse zu dokumentieren, sind Follow-up-Studien notwendig, auch in historischer Tiefe, um die Geschichte und Entwicklung visueller Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet aufzudecken. Die Prozesse der Entstehung von Sichtbarkeit bestimmter Sprachen und damit Bevölkerungsgruppen und der Wandel von sichtbarer Mehrsprachigkeit in den Stadtteilen kann nur mit Hilfe von »Tiefenbohrungen« in einzelnen Gebieten verstanden werden, die helfen, ein genaueres Bild der Migrationsgeschichte von Städten und der Prägung von Stadtteilen durch Wanderungsprozesse zu zeichnen. Unsere Untersuchung mag hierfür als Grundlage bzw. als Modell dienen, um zukünftige Zuwanderungsprozesse (z. B. aus Afrika) zu verstehen. Denn die Diversität wird weiter zunehmen (Stichwort »super-diversity«, Vertovec 2007); d. h. große Herkunftsgruppen werden abnehmen und viele kleine Herkunftsgruppen zunehmen. Das bedeutet auch, sich intensiver, als wir es getan haben, mit den einzelnen Gruppen auseinanderzusetzen. Das würde bedeuten, die Perspektive weniger auf Räume als auf Gruppen zu richten und beispielsweise die regionalen, oft auch religiösen Treffpunkte von Bevölkerungsgruppen, die sich in ihrem Umfeld eher in einer Diaspora-Situation befinden, nach sichtbarer Sprache und Symbolik zu analysieren. Nicht zuletzt könnte eine historische bzw. längsschnittliche Betrachtung auch Auskunft darüber geben, nicht nur welche Sprachen neue Dominanz gewinnen, sondern auch welche Formen und Typen von Beschilderungen künftig den öffentlichen Raum »schmücken« werden (Hologramme bzw. nicht mehr an feste Materie gebundene Lichtzeichen etc.) und dadurch der Visualität, der Sichtbarkeit zu ihrer originären Voraussetzung (Licht) verhelfen. Abb. 5.5: E-Innenstadt 5.1 ANDERE ZEICHEN – ANDERE MENSCHEN: ZUM WERT UND NUTZEN SICHTBARER MEHRSPRACHIGKEIT 311 6. ANHANG Literaturverzeichnis Amt für Stadtplanung und Bauordnung Essen (2011): Masterplan Einzelhandel. o. o. o. V. Androutsopoulos, J. / Ziegler, E. (i. Dr.): Medien und areale Sprachvariation des Deutschen. In: Schmidt, J. E. / Herrgen, J. (Hg.): Sprache und Raum – Ein internationales Handbuch der Sprachvariation. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 30.4). Berlin: De Gruyter. Angenendt, V. 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Dr. Ulrich Schmitz universität Duisburg-Essen Institut für Germanistik Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan universität Duisburg-Essen Institut für Turkistik & Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) Dr. David H. Gehne Ruhr-universität Bochum Zentrum für Interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) Dr. Sebastian Kurtenbach Hochschule Münster Fachbereich Sozialwesen Dr. Tirza Mühlan-Meyer universität Würzburg Institut für Deutsche Philologie Irmi Wachendorff (MA; Dipl. Designerin) universität Duisburg-Essen Institut für Germanistik Ziegler, E. / Schmitz, U. / Uslucan, H.-H. (i.Dr.): Attitudes towards visual multilingualism in the linguistic landscape of the Ruhr Area. In: Pütz, M. / Mundt, N. (Hg.): Expanding the linguistic landscape: Multilingualism, language policy and the use of space as a semiotic resource. Bristol, uK: Multilingual Matters. Ziegler, E. (2013): Metropolenzeichen: Visuelle Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr. 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ANHANG 319 Impressum Das Forschungsprojekt und die Publikat ion w urden unt erst üt zt durch: © 2022 die Aut orinnen und Aut oren Alle Rechte an den Fotografien liegen bei den Autorinnen und Autoren. In abw eichenden Fällen findet sich ein ent sprechender Hinw eis in der Bildunt erschrift . Alle Recht e an den Grafiken und Geovisualisierungen liegen bei den Aut orinnen und Aut oren. In abw eichenden Fällen findet sich ein ent sprechender Hinw eis unt er den Abbildungen. © der den Kart en zu Grunde liegenden Dat ensät ze: HERE, Esri Grafisches Konzept : Irmi Wachendorff Art direkt ion: Eicke Riggers, Drees + Riggers Layout und Sat z: Tim M eyersick, Drees + Riggers Kart ografie: Drees + Riggers, Irmi Wachendorff Verw endet e Schrift en: Bert hold Akzidenz Grot esk Pro, Adobe Garamond Unverändert e Neuauflage 2022 des im Jahr 2018 beim Universit ät sverlag Rhein-Ruhr (UVRR) erschienenen Werkes (ISBN 978-3-95605-038-1 [Print ]). Veröffent lichende Inst it ut ion: Universit ät Duisburg-Essen Universit ät sbibliot hek, DuEPublico Universit ät sst raße 9-11 45141 Essen ht t ps:/ / duepublico2.uni-due.de Online frei zugänglich auf DuEPublico: DOI 10.17185/ duepublico/ 75242 Dieses Werk ist lizenziert unt er einer Creat ive Commons Namensnennung - Nicht kommerziell Keine Bearbeit ungen 4.0 Int ernat ional Lizenz. Karten und Abbildungen sind von der genannten Lizenz ausgenommen. Jegliche Nachnut zung ist nur mit Erlaubnis der Aut orinnen und Aut oren möglich (Kont akt :evelyn.ziegler@uni-due.de). Dieser ATLAS ZUR VISUELLEN MEHRSPRACHIGKEIT DER METROPOLE RUHR präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern, Integrationsforschern und Stadtsoziologen der Universität Duisburg-Essen und der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde. Anhand von ca. 700 Abbildungen ( Karten, Fotos und Grafiken ) wird gezeigt, mit welchen sichtbaren Zeichen der Mehrsprachigkeit der öffentliche Raum der Metropole Ruhr ausgestattet ist. Angesichts der internationalen Herkunft der Bevölkerung interessiert insbesondere, inwieweit sich die Vielfalt der Bevölkerung in der Vielfalt der Sprachen widerspiegelt, wo und warum welche Sprachen ( z. B. Deutsch, Englisch, Polnisch und Türkisch ) verwendet werden und wie die Sichtbarkeit der Sprachen von der Bevölkerung bewertet wird. Grundlage ist eine Querschnittsstudie für die Städte Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund. Dieser Text wird via DuEPublico, dem Dokumenten- und Publikationsserver der Universität Duisburg-Essen, zur Verfügung gestellt. Die hier veröffentlichte Version der E-Publikation kann von einer eventuell ebenfalls veröffentlichten Verlagsversion abweichen. DOI: URN: 10.17185/duepublico/75242 urn:nbn:de:hbz:464-20220124-144219-7 Unveränderte Neuauflage 2022 des im Jahr 2018 beim Universitätsverlag Rhein-Ruhr (UVRR) erschienenen Werkes (ISBN 978-3-95605-038-1 [Print]). Dieses Werk kann unter einer Creative Commons Namensnennung Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 Lizenz (CC BY-NCND 4.0) genutzt werden. Karten und Abbildungen sind von der genannten Lizenz ausgenommen. Jegliche Nachnutzung ist nur mit Erlaubnis der Autorinnen und Autoren möglich (Kontakt: evelyn.ziegler@uni-due.de).