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Schuld und Schulden. Globaler Finanzmarktkapitalismus, Momente der Empörung und die Transformation von Wohnraum im Spanien der (Nach-)Krisenjahre.

2021

Dieser Text thematisiert die politischen Nachwirkungen der europäischen Schuldenkrise anhand eines empirischen Fallbeispiels in der südostspanischen Stadt Murcia. Basierend auf ethnographischem Material von 2013-2015 werden jene ökonomischen und sozialen Bedingungen rekonstruiert, die zu einer politischen Mobilisierung der Gesellschaft im Spanien der (Nach-)Krisenjahre führten. Der Text arbeitet beispielhaft heraus, wie die Logik eines digitalisierten Finanzmarktkapitalismus lokalen Wohnraum in ein global handelbares Spekulationsobjekt transformierte und dadurch jene sozialen Verwerfungen heraufbeschwor, auf die Neue Soziale Bewegungen (NSBs) europaweit mit massiven Protesten reagierten. Auf der Mikroebene der Akteure direkt empirisch beobachtbar wird der unmittelbare, verheerende Zusammenhang von moralischer Schuld und ökonomischen Schulden, wie er von David Graeber beschrieben wurde. Die Argumentation entfaltet sich in einem Dreischritt. (1) Zunächst benennt der Text die Ursachen sowie die „Verursachenden“ der Finanzkrise in Spanien. (2) Im Anschluss verdeutlicht er das enorme Ausmaß dieser Krise, indem einige ihre unzähligen menschlichen Tragödien beschrieben werden. (3) Schließlich wird der beschwerliche Weg illustriert, den viele Menschen in Spanien zu gehen hatten, bis ihre politischen Forderungen in einer breiten Öffentlichkeit ankamen. Auf theoretischer Ebene wird dabei detailliert auf das soziologische Konzept der Sichtbarkeit eingegangen, das für alle Forschungskontexte interessant sein könnte, in denen (medial-)politische Aushandlungskämpfe untersucht werden.

Dr. Daniel Kunzelmann Training | Research | Digital Media Originaltitel des Kapitels: Aus dem Schatten der Krise. Finanzkapitalismus, Momente der Empörung und die Transformation von Wohnraum (Kap. 6), S. 175-209 Vorgeschlagene Zitierweise: Kunzelmann, Daniel (2021): Zwischen den Menschen – das Medium: eine Ethnographie über die Digitalisierung zivilgesellschaftlicher Protestformen im Spanien der (Nach-)Krisenjahre. Murcia, 2013-2015. Dissertation, LMU München: Fakultät für Kulturwissenschaften, DOI: 10.5282/edoc.28236 URN: urn:nbn:de:bvb:19-282364 Keywords: Protestforschung, Ethnographie, Neue Soziale Bewegungen, Europäische Finanz- und Schuldenkrise, 15-M, Podemos, Spanien, Wohnraum, Kommodifizierung, Finanzialisierung, Schulden, Symbolische Gewalt, Aktivismus, Sichtbarkeit, Digitalisierung, Finanzkapitalismus, Hochfrequenzhandel Abstract: Dieser Text thematisiert die politischen Nachwirkungen der europäischen Schuldenkrise anhand eines empirischen Fallbeispiels in der südostspanischen Stadt Murcia. Basierend auf ethnographischem Material von 2013-2015 werden jene ökonomischen und sozialen Bedingungen rekonstruiert, die zu einer politischen Mobilisierung der Gesellschaft im Spanien der (Nach-)Krisenjahre führten. Der Text arbeitet beispielhaft heraus, wie die Logik eines digitalisierten Finanzmarktkapitalismus lokalen Wohnraum in ein global handelbares Spekulationsobjekt transformierte und dadurch jene sozialen Verwerfungen heraufbeschwor, auf die Neue Soziale Bewegungen (NSBs) europaweit mit massiven Protesten reagierten. Auf der Mikroebene der Akteure direkt empirisch beobachtbar wird der unmittelbare, verheerende Zusammenhang von moralischer Schuld und ökonomischen Schulden, wie er von David Graeber beschrieben wurde. Die Argumentation entfaltet sich in einem Dreischritt. (1) Zunächst benennt der Text die Ursachen sowie die „Verursachenden“ der Finanzkrise in Spanien. (2) Im Anschluss verdeutlicht er das enorme Ausmaß dieser Krise, indem einige ihre unzähligen menschlichen Tragödien beschrieben werden. (3) Schließlich wird der beschwerliche Weg illustriert, den viele Menschen in Spanien zu gehen hatten, bis ihre politischen Forderungen in einer breiten Öffentlichkeit ankamen. Auf theoretischer Ebene wird dabei detailliert auf das soziologische Konzept der Sichtbarkeit eingegangen, das für alle Forschungskontexte interessant sein könnte, in denen (medial-)politische Aushandlungskämpfe untersucht werden. Lesehinweis: Das vorliegende Kapitel ist Teil einer Monographie (vgl. vorgeschlagene Zitierweise). Zwar steht es für sich, allerdings fehlt bei einer separaten Lektüre unter Umständen etwas an Kontext. Auch enthält der Text zahlreiche Querverweise auf weitere Kapitel. Am Ende dieses PDFs finden Sie den Abstract der Monographie, dessen Inhaltsverzeichnis sowie eine Kurzbeschreibung des Autors. Bei Interesse finden Sie die vollständige Monographie hier: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/28236/. Dort befindet sich auch das Literaturverzeichnis und die Einleitung. | 175 Schuld und Schulden Globaler Finanzmarktkapitalismus, Momente der Empörung und die Transformation von Wohnraum im Spanien der (Nach-)Krisenjahre. “What is a debt, anyway? A debt is just the perversion of a promise. It is a promise corrupted by both math and violence.” (Graeber 2011: 391) Er sei überrascht, so beschrieb Marko Ramius am 7. Mai 2014 die Zwangsräumung des Zuhauses von Antonio und Loli in Javalí Nuevo (vgl. Kapitel 1), dass es nach wie vor Leute gebe, die ihn „einmal auf Twitter, ein andermal auf der Straße“ fragen würden, was denn daran „ungerecht“ sei, eine Person, die nicht bezahle, aus ihrer Wohnung auszuweisen, schließlich – so das Argument dieser Leute – „bezahlen wir übrigen auch alle“. 162 Der Lokaljournalist, der während meiner Feldforschungen unter anderem für den spanischen Radiosender Cadena SER regelmäßig über solche gerichtlich verordneten Zwangsmaßnahmen in der Region Murcia berichtete, veröffentlichte diese Aussagen im Rahmen einer Reportage auf seinem persönlichen Blog. Seine Überraschung, die im weiteren Verlauf des Beitrags mehr und mehr in Wut überging, speiste sich aus einem empirischen Widerspruch: Obwohl ein Großteil der Banken in Spanien ihre Schulden eben gerade nicht zurückzahlte und für diesen Umstand auch nicht bestraft wurde, existierte gleichzeitig weiterhin die durchaus verbreitete Ansicht, dass es für jeden, der von der Hypothekenkrise betroffen war, genau zwei Möglichkeiten gäbe: entweder die Schulden „wie jeder andere auch“ zu begleichen oder aber „gerechterweise“ bestraft zu 162 Im Original: „Hay algo que siempre me ha sorprendido. Es esa gente que, […] me preguntan -a veces por twitter, otras en la calle- cuando cuento estos casos que qué hay de injusto en desahuciar a una persona que no paga si todos los demás pagamos.” Bei dem Namen „Marko Ramius“ handelt es sich um ein Pseudonym. Vgl.: https://web.archive.org/web/20140602024714/https://diariodemarkoramius.wordpress.com/2014/05/07/graciaspah/ (Stand 20.10.2018). 176 | Zwischen den Menschen – das Medium werden. Auf solch ein Auseinanderklaffen zwischen Sein und Sollen in Bezug auf die Rückzahlung eines Kredites verweist auch David Graeber in „Debt: The First 5,000 Years“ (2011). Das Prinzip, auf das sich Menschen in diesem Zusammenhang immer wieder berufen, fasst der Wirtschaftsanthropologe dabei wie folgt zusammen: „[T]hey'd borrowed the money! Surely one has to pay one’s debts.” (ebd.: 2). Es treffe stets aufs Neue und bis heute auf breite Zustimmung, obwohl sich dessen Gültigkeit empirisch de facto immer wieder widerlegen lässt. Er selbst führt zahlreiche, historische Beispiele für diese Widersprüchlichkeit an und fasst die kulturgeschichtliche Beweisführung am Ende seines Werkes nochmals in aller Klarheit zusammen: „At this point, … the principle has been exposed as a flagrant lie. As it turns out, we don't ‘all’ have to pay our debts. Only some of us do.” (ebd.: 391). Entsprechende Aussagen über Pflichten, die sich aus der Aufnahme von Schulden ergeben, und wie sie Marko Ramius für den von mir untersuchten Kontext in seiner Reportage wiedergab, stehen im diskursiven Zentrum eines seit Jahrtausenden andauernden „Kampfes zwischen Arm und Reich“ (Graeber 2011: 8). Damit meint der Wirtschaftsanthropologe einen wiederkehrenden Konflikt um die Verteilung materieller Ressourcen, der jeweils vorwiegend die Form einer Auseinandersetzung zwischen „creditors and debtors“ annehme, d. h. zwischen Gläubigern und ihren Schuldnern, und der sich sukzessive in der zeitgenössischen Sprache niedergeschlagen habe, etwa in Begrifflichkeiten wie „redemption“, „reckoning“ oder „guilt“ (ebd.). 163 Schuld und Schulden, so lässt sich das Argument zusammenfassen, das David Graeber im Verlauf seiner detailreichen Abhandlung über die Geschichte der Schulden macht, haben einen gemeinsamen historischen Ursprung, der beide Phänomene bis heute auf vielfache Weise miteinander verknüpft. Dieses Argument, dass das ökonomische Denken nicht unabhängig von bestimmten religiösen Vorstellungen entstanden ist, erklärt dann auch, warum ein Prinzip wie „one has to pay one’s debts“ trotz gegensätzlicher empirischer Faktenlage bis heute – auch in Murcia – eine solche Wirkmächtigkeit entfalten kann: Es handle sich hierbei eben nicht um den sprachlichen Ausdruck einer objektiven ökonomischen Gesetzmäßigkeit, d. h. nicht um eine wirtschaftliche Tatsache, welche die ihr korrespondierenden Wissenschaften unumstößlich bewiesen haben, sondern um ein „moralisches Statement“ mit politischen Implikationen (ebd.: 4). Das Prinzip ist Teil einer moralisierenden Sprache der Macht. 163 Die beiden Begriffe „redemption“ („Berechnung“ bzw. „Rechenschaft“) und „reckoning“ („Tilgung“ bzw. „Erlösung“) haben dabei auch explizit jeweils sowohl eine ökonomische als auch eine moralische Konnotation. Aus dem Schatten der Krise | 177 Die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel werden zeigen, dass diese Sprache in Murcia den ideologischen Überbau eines Wirtschaftssystems repräsentierte, dem es unter Rückgriff auf Vorstellungen vom richtigen und guten Handeln möglich wurde, auch auf der kognitiven Ebene ungeheure Macht über Menschen auszuüben. In Spanien blieben die Auswirkungen solcher Machteffekte zu Beginn der Krise noch im Verborgenen. Widerstand formierte sich nur langsam. Gegen wen auch? Schließlich – so redete man es sich gegenseitig ein – war man ja selbst derjenige, der über seine Verhältnisse gelebt hatte. Um diesen Zusammenhang aus Schuld und Schulden herauszuarbeiten, soll zunächst ein empirisches Beispiel angeführt werden, das die Gewalt entsprechender Moralisierungen ethnographisch spürbar werden lässt, bevor dann im weiteren Verlauf des Kapitels die Kernkategorie „Sichtbarkeit“ konzeptualisiert sowie der Kontext der Krise im Detail beschrieben wird. Beides erscheint essentiell, um die politischen Kämpfe der Aktivisten und Aktivistinnen in meinem Feld empirisch wie analytisch einordnen zu können. „Dann bricht alles aus dir heraus…“ – über Gewalt Moral war die andere, nicht weniger brutale Seite jenes „man with a gun“ (ebd.: 364), der auch in Murcia – z. B. in Gestalt der zentralstaatlichen Exekutive – im Zweifel die Rückzahlung eines individuellen Kredites zu garantieren oder die entsprechende Rücknahme des kreditfinanzierten Objektes zu vollziehen suchte. Gewalt beschränkte sich folglich keineswegs auf den konfrontativen Moment der Räumung eines Gebäudes, sondern sie war dem gesamten Prozess der Zwangsvollstreckung auf vielfache Weise eingeschrieben, wie die spanische Kulturanthropologin Encarnación Contreras Jiménez in ihrer Ethnographie herausgearbeitet hat (2017). „Gewalt“ bezieht sich im Hinblick auf mein Feld sowohl auf physische als auch symbolische Formen der Machtausübung bzw. Ohnmachtserfahrung (vgl. Bourdieu 1998: 50f.). Im Kontext der privaten Verschuldung beschreibt der Begriff unter anderem: „a) violence exerted by the financial entities that formalize the payment; b) violence inherent in the judicial process; c) violence by police in executing the sentence; d) violence derived from a legislation which allocates houses at 50 or 60% of the assessed value; and finally, e) violence that emanates from the risk of losing custody of children when there is no income or alternative housing when the eviction takes place.” (Durán Villa/Piñeira Mantiñán 2016: 83) Der nachfolgende Eintrag aus meinem Feldtagebuch, der einige alltägliche Auswirkungen der Krise ethnographisch veranschaulicht, macht deutlich, inwiefern Ausübung und Erfahrung von 178 | Zwischen den Menschen – das Medium Gewalt in Murcia über das Physische hinausgehen konnten. Aus der Perspektive eines Betroffenen zeigt er dabei, wie sehr (objektiv kalkulierte) Schulden und (subjektiv gefühlte) Schuld miteinander zusammenhingen. Bevor der Ausschnitt wiedergegeben werden kann, bedarf es allerdings einer kurzen inhaltlichen Einordnung der entsprechenden Situation. Im Anschluss an die „marcha de mareas“ Protestkundgebung, auf der ich die Aktivistin Raquel kennenlernte, lud diese mich zum nächsten regulären Treffen der PAH ein: zur sogenannten „grupo de apoyo”. Wie ich wenige Tage später erfahren sollte, handelte es sich hierbei um eine Art „Unterstützergruppe“ der Plattform, welche die Aktivisten und Aktivistinnen seit 2011 wöchentlich für jene Menschen in der Region organisierten, die z. B. fürchten mussten, demnächst die Zinsen für ihr Bankdarlehen nicht mehr bedienen zu können, oder die gar unmittelbar vom Verlust ihrer Wohnung bedroht waren. Die Funktionsweise der „grupo de apoyo” erinnerte an eine Art Selbsthilfegruppe, die den Betroffenen ein Forum bereitstellte, um – nicht selten zum ersten Mal – vor anderen Menschen über das eigene Schicksal zu sprechen. Dies konnte dann wie folgt ablaufen: 20. März 2013. Für Tamara würde es ebenfalls das erste Treffen einer „grupo de apoyo” werden. Im Anschluss an die Demo am Samstag hatte sie angeboten, mir gegebenenfalls bei der Übersetzung zu helfen. Da der spanische Dialekt in der Region Murcia bisweilen so schwer verständlich ist wie ein tiefes Niederbayerisch für einen Zugereisten, nahm ich ihr Angebot dankend an. Wir hatten eine Weile gebraucht, bis wir die entsprechenden Räumlichkeiten fanden, denn der Eingang zum Gebäude, in dem das Unterstützertreffen der PAH heute stattfinden sollte, befand sich etwas versteckt im Hinterhof einer Seitenstraße. Doch nun sitze ich gemeinsam mit der Deutschlehrerin in einem mäßig beleuchteten Zimmer im Untergeschoss des lokalen Rotkreuzgebäudes. Die Luft ist schlecht und der kleine Raum so voll, dass einige Zuspätkommende im Flur stehen müssen. Ich zähle 38 Personen. Raquel hat den Anwesenden soeben das Prozedere erklärt und darauf hingewiesen, dass jede und jeder sich zunächst mit Namen präsentieren, die kreditgebende Bank benennen und schließlich die eigene Situation in aller Kürze schildern solle, da nimmt die Vorstellungsrunde auch schon ihren Lauf. Ich notiere: „Ángel, Santander, drohende Zwangsenteignung; Rosa, Deutsche Bank, Termin für Gerichtsvollzieher erhalten; Inma, CaixaBank, zahlungsunfähig“. Dazu jede Menge verstörende Details: Eine alleinerziehende Mutter erzählt, dass sie gemeinsam mit ihren zwei kleinen Kindern seit beinahe einem Jahr ohne Strom und Wasser lebt. Ein älterer Herr droht damit, sich eine Waffe zu kaufen, um damit erst den verantwortlichen Richter und dann sich selbst zu erschießen. Ein Mann, den ich auf Mitte Vierzig schätze, ergreift das Wort: „Hola! Soy…”, setzt er an, doch bevor er auch nur seinen Namen herausbringt, fängt er an zu weinen. Zwar war die Atmosphäre bis zu diesem Zeitpunkt auch so schon düster und depressiv, doch immerhin wurde rege geflüstert oder betroffen nachgefragt. Jetzt aber sind alle mucksmäuschenstill. Allein ein Schluchzen ist zu hören. Und es kommt noch schlimmer: Der Mann bricht vollends in einen Weinkrampf aus und hat plötzlich sichtlich Aus dem Schatten der Krise | 179 Atemnot. Ein Gefühl der Beklemmung macht sich in mir breit und ich sehe, dass Tamara ebenfalls den Tränen nahe ist. Selbst die erfahrenen Aktivistinnen, welche die heutige Sitzung moderieren, scheinen für einen Moment überfordert. Da durchbricht Raquel die kollektive Lähmung, geht auf den Mann zu und legt ihre Hand auf seinen Oberschenkel. „Tranquilo“, beruhigt sie ihn. Eine zweite Frau, die ihn zu kennen scheint, nimmt ihn in den Arm: „Langsam, Alvaro, es ist alles okay, wir sind da. Atmen, langsam atmen.” Umgehend schaltet sich auch Laura ein: „Wasser! Frische Luft! Lasst uns vor die Tür gehen!“ Gemeinsam bringen sie den völlig aufgelösten Mann nach draußen. (FT 20.3.2013) Im Anschluss an den offiziellen Teil des Treffens erkundigte ich mich bei Raquel über Alvaros Zustand. Ihm gehe es wieder besser, ließ sie mich wissen: „Es war nur der Druck, der plötzlich von ihm abfiel.“ Dann beschrieb die Aktivistin die persönlichen Umstände, die zu dem von mir beobachteten Zusammenbruch geführt hatten. Ihre Erklärung, die explizit den Zusammenhang aus Moral und Ökonomie thematisierte, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Alvaro, der selbst zwei Kinder hatte, verlor zunächst seine Arbeit. Als er im Anschluss die Schulden für sein Heim nicht mehr bezahlen konnte, schlug ihm die Bank vor, die Hypothek seiner Eltern als Sicherheit für das eigene Darlehen zu hinterlegen. Doch nachdem die Rückzahlungsraten aufgrund des vertraglich festgelegten, variablen Zinssatzes explodierten, geriet irgendwann die gesamte Familie in Zahlungsnot. Schließlich beantragte der Gläubiger, d. h. in diesem Fall seine Hausbank, nicht nur die Pfändung seiner Wohnung, sondern auch die der Eltern. Ihre weitgehend nüchterne und sachliche Erklärung schloss Raquel schließlich ab, indem sie nochmals Bezug auf den zuvor erlebten, beklemmenden Moment nahm und diesen in den Kontext der alltäglichen politischen Arbeit der PAH stellte: „Das passiert häufiger bei uns. Er fühlte sich schuldig. Und wenn dir plötzlich bewusst wird, dass Menschen dir zuhören, dann bricht alles aus dir heraus. Wir zeigen ihm dann, dass er eben nicht alleine ist, dass es nicht seine Schuld ist.“ (ebd.) Alvaro war nicht nur ein „Schuldner“ im Sinne der Bank. Sein vertragsrechtlich definierter Status verband sich mit einem Gefühl, auch der „Schuldige“ zu sein: in seinem Fall verantwortlich für die Zerstörung zweier Existenzen. Seine Interpretation der Zusammenhänge, die in der Folge eine immense Macht über ihn ausübte und deren traurige Konsequenzen ich im März 2013 in Murcia beobachte, entsprang einer moralisierenden Sichtweise in Hinblick auf die Natur, das Wesen und die Funktion seines Kredites, welche das einzelne Individuum ins Zentrum der Verantwortung rückte: 180 | Zwischen den Menschen – das Medium „[C]itizens are taught to think of themselves as sinners, seeking some kind of purely individual redemption […]. All these moral dramas start from the assumption that personal debt is ultimately a matter of selfindulgence, a sin against one's loved ones-and therefore, that redemption must necessarily be a matter of purging and restoration of ascetic self-denial.” (Graeber 2011: 379f.) Solche Schicksale und menschliche Tragödien, wie sie in der Feldnotiz zuvor zum Ausdruck kamen, sind alles andere als bedauernswerte Einzelfälle, sie stehen vielmehr für ein flächendeckendes Krisensymptom Spaniens, das spätestens seit 15-M auch in Murcia zunehmend ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit drängte. Für die PAH bedeutete „Sichtbarkeit schaffen“ in diesem Kontext, dass sie die entsprechenden Verschränkungen aus Ökonomie und Moral aufbrach. Konkret ging es den Aktivisten und Aktivistinnen darum, jenes finanzkapitalistische Wertesystem in Frage zu stellen, das im Vorfeld der Krise zunächst „Liebe in Schulden“ verwandelt hatte (ebd.: 386), indem es kreditbasiertes „discretionary spending“ ideologisch befeuerte (ebd.: 379), und das anschließend, wie etwa im Fall von Alvaro, finanzielles Scheitern zur individuellen Schuld verklärte (vgl. Sennett 1998: 159–186). 164 In einem grundsätzlichen Sinne beruhte die entsprechende politische Arbeit der PAH darauf, es den Betroffenen der Hypothekenkrise zu ermöglichen, aus ihrer individuellen Unsichtbarkeit zu treten, d. h. ein Gefühl zu vermitteln, dass man „eben nicht alleine ist“, wie dies Raquel zuvor ausgedrückt hatte. Darüber hinaus hatte ihre aktivistische Arbeit aber auch das Ziel, die Einzelschicksale in eine soziale Wahrnehmbarkeit zu überführen, d. h. in eine Form des Gesehen-werdens, die über die lokale Sichtbarkeit im Rahmen einer konkreten „grupo de apoyo” hinausging. Bevor im nächsten Kapitel gezeigt wird, wie es den Aktivisten und Aktivistinnen der PAH gemeinsam mit anderen Akteuren der spanischen Zivilgesellschaft und unter Rückgriff digitaler Medien gelang, eine entsprechend kollektive Handlungsmacht zu erzeugen, widmet sich dieses Kapitel nun zunächst ausführlich dem Entstehungskontext der Krise. Folgende Frage gilt es zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen, dass in der Region 164 Der Begriff des „discretionary spending“ kommt aus den Wirtschaftswissenschaften und bezieht sich unter anderem auf das Verhalten von Konsumenten. Konkret meint er Ausgaben, die nicht unmittelbar der Existenzsicherung dienen, d. h. Dinge jenseits von z. B. Nahrung und Kleidung. David Graeber greift den Begriff auf und kritisiert gleichzeitig das in den Wirtschaftswissenschaften dahinterliegende Menschenbild, indem er hervorhebt, dass die Bedürfnisse, nach denen Menschen ihr „discretionary spending“ ausrichten, keineswegs plumpe Konsumwünsche darstellen. Vielmehr würden auch Dinge, die im Rahmen dieser Ausgaben erworben werden, eine elementar menschliche Funktion erfüllen: „to be able to build and maintain relations with other human beings that are based on something other than sheer material calculation“ (2011: 379). Aus dem Schatten der Krise | 181 Murcia massenhaft Häuser leer standen, während der spanische Staat weiterhin Menschen in großer Zahl aus ihren Wohnungen entfernte? Nicht nur die empirischen Dimensionen der Paradoxie, die sich in dieser Frage widerspiegelt, sollen in der Folge dargestellt werden, sondern es gilt auch, jene treibenden Kräfte sichtbar zu machen, die den Zustand umfassenden Leerstands und allgegenwärtiger Verschuldung in Spanien mit hervorgerufen haben. Gemeint ist jene Verschränkung aus globalen Tendenzen (Finanzkapitalismus) und nationalen Besonderheiten (Immobilienmarkt), die zu unmittelbar spürbaren Konsequenzen im Lokalen führte (Zwangsräumungen). Im Gravitationszentrum dieser Verschränkung befanden sich abermals digitale Technologien sowie ein ideologisch getriebenes Verständnis von lokalem Raum, welches diesen von einem „Heim“ in einen global handelbaren „justiziablen Wert“ zu transformieren suchte. Die ethnographischen Ausschnitte, die das gegenwärtige Kapitel wiedergibt, sollen die Ursachen der Krise allerdings nicht nur im Sinne einer Hintergrundinformation beschreiben, sondern diese Ausschnitte bzw. die Situationen, auf die sie sich beziehen, lassen sich auch analytisch deuten: als Bruchstücke innerhalb eines Prozesses der Bewusstwerdung, der für die Akteure in meinem Feld letztlich Bedingung dafür war, dass Widerstand überhaupt gedacht werden konnte. Nach und nach, so könnte man es ausdrücken, dämmerte es den Menschen in Murcia, dass sie Opfer, und in gewisser Weise auch Mittäter, in einer finanzkapitalistischen Tragödie geworden waren, deren Drehbuch sie zwar nicht gänzlich verstanden, in deren Plot sie sich aber plötzlich wiederfanden – zur Improvisation gezwungen. Ihre Momente der Empörung spiegeln eine Art Wendepunkt der Politisierung in Spanien wider: eine der wesentlichen emotionalen Voraussetzungen für das „imaginative redeployment of the classical agon of political exchange“ (Corsín Jiménez 2017: 493). Da „Sichtbarkeit“ in diesem Zusammenhang eine Kernkategorie darstellt, die sich noch dazu im weiteren Verlauf der Arbeit insgesamt als zentral erweisen wird, ist es sinnvoll, zunächst die entsprechende Konzeptualisierung dieser Analysekategorie vorzustellen. Mit ihr wurde es möglich, die empirisch untersuchten Phänomene in meinem Feld als komplexes Zusammenspiel aus individueller Wahrnehmung, medialer Vermittlung und kollektiver Mobilisierung verstehbar zu machen. 182 | Zwischen den Menschen – das Medium Exkurs: Das Management von Sichtbarkeit „Sehen“ und „Sichtbarkeit“ werden in den Kultur- und Sozialwissenschaften ausführlich thematisiert (vgl. Flyverbom 2016 et al.; Foucault 2013; Vonderau 2013; Bröckling/Hempel/Krasmann 2011; Bowker/Star 1999). Andrea Mubi Brighenti, auf dessen Arbeiten hier vorrangig zurückgegriffen wird, verortet „visibility“ – im weiteren Verlauf mit „Sichtbarkeit“ übersetzt – an der Schnittstelle zwischen Ästhetik und Politik (2010: 52). Auf der Ebene der Individuen thematisiert seine Konzeptualisierung „Relationen von Wahrnehmungen“, während sie auf der Ebene des Sozialen auf „Machtverhältnisse“ verweist (ebd.). Im Kontext der eigenen Forschung ist hierbei entscheidend, dass „Sichtbarkeit“ dort als eine kultur- und sozialwissenschaftliche Analysekategorie gedacht wird, für die Technologie auf beiden Ebenen eine zentrale Rolle spielt (vgl. 2010: 52): Einerseits ist unsere individuelle Wahrnehmung zu einem großen Teil technologisch vermittelt, und andererseits bringen Technologien immer auch soziale Machteffekte mit sich (ebd.). 165 Licht – so sein Beispiel – sei eben nicht nur als physikalisches Phänomen visuell wahrnehmbar, sondern als religiöses Symbol z. B. auch „heilig“ (2007: 324). Vergegenwärtigt man sich – um im Beispiel zu bleiben – das „Beleuchtungskonzept“ während einer Heiligen Messe, so wird deutlich, inwiefern beides miteinander zusammenhängt: Die Struktur des Kirchenraumes und dessen religiöse Symboliken sind jeweils aufeinander bezogen, und die daraus resultierende, spezifische Verteilung, Lenkung und Begrenzung von Licht kann dementsprechend in einem doppelten Sinne „gesehen“ werden, z. B. als andächtiger Kerzenschein oder als ein den Unterschied vermittelndes Element zwischen Priester und der Allgemeinheit der Laien. Sehen ist folglich eine körperliche Fähigkeit des Auges und gleichzeitig erfüllt es eine Funktion innerhalb sozialer Räume. Politiken der Ästhetik Anhand des Lichtbeispiels des italienischen Soziologen zeigt sich, dass sein Verständnis von Technologie wesentlich auf deren symbolisch-materielle Eigenschaft der Vermittlung abzielt. Auch sein Konzept ist somit anschlussfähig an den kulturtechnischen Begriff von Medien, wie er im Verlauf dieser Arbeit skizziert wurde. Dies wird an anderer Stelle explizit deutlich, z. B. wenn er unter Verweis auf Marshall McLuhan (1964) die medialen „Umwelten“ innerhalb 165 Andrea Mubi Brighenti verweist an dieser Stelle auf Michel Foucault (2005). Aus dem Schatten der Krise | 183 heutiger demokratischer Systeme als durch und durch umkämpfte, dynamische Felder beschreibt, in denen „neue“ wie „alte“ Medien eine entscheidende, aber begrenzte Ressource darstellen, um Sichtbarkeit zu regulieren: „Every time the mass media and new communication technologies enlarge or reshape the field of the socially visible, visibility turns into a supply-and-demand market. At any change in the field, the question arises of what is being seen, and at what price—along with the normative question of what should and should not be seen. These questions are never simply a technical matter: they are inherently practical and political. This means that, at every change in the field, […] the specific … dynamics of visibility are renegotiated.” (Brighenti 2010: 61f.) Bereits zu diesem Zeitpunkt dürfte deutlich geworden sein, dass es dem hier vorgestellten Konzept der Sichtbarkeit nicht alleine um das Phänomen der „Ästhetisierung der Politik“ geht, wie sie etwa Walter Benjamin am Beispiel des Faschismus schon früh beschrieben hat (1963), sondern darüber hinaus auch um die „Politiken der Ästhetik“ selbst, d. h. um die Möglichkeitsbedingung der Wahrnehmung in einem konkreten Raum des Politischen (vgl. Rancière 2004). 166 Der Begriff der „Ästhetik“, wie er hier verstanden wird, geht über dessen enge Verwendung im Rahmen einer Theorie der Kunst hinaus und verweist allgemein auf jene ordnenden Kategorien sozialer Ab-, Be- und Umgrenzung, auf die unsere sinnliche Erfahrung im Alltag Bezug nimmt. 167 Das folgende Zitat von Jacques Rancière veranschaulicht den politischen Charakter eines solch weitgefassten Verständnisses von Ästhetik: „[Aesthetics] is a delimitation of spaces and times, of the visible and the invisible, of speech and noise, that simultaneously determines the place and the stakes of politics as a form of experience. Politics revolves around what is seen and what can be said about it, around who has the ability to see and the talent to speak, around the properties of spaces and the possibilities of time.” (ebd.: 13) Für Nicholas Mirzoeff (2011), der wie Andrea Mubi Brighenti ebenfalls auf die Arbeiten des französischen Philosophen zurückgreift und sich dabei vor allem auf die Wirkmacht des Visuellen konzentriert, findet soziale Wahrnehmbarkeit stets in – durchaus widerständiger – Bezugnahme auf ein mehr oder minder stabiles und (temporär) dominantes Ordnungssystem 166 Johanna Rolshoven gibt einen ausgezeichneten Überblick hinsichtlich einer begrifflichen Unterscheidung zwischen der „Politik“ und dem „Politischen“ (vgl. 2018: 16–24). 167 Der ebenfalls von Walter Benjamin geprägte Begriff der „Politisierung der Ästhetik“ weist in eine ähnliche Richtung, beschränkt sich allerdings zu sehr auf die Bereiche der Kunst, d. h. auf „Ästhetik“ im engeren Sinne. 184 | Zwischen den Menschen – das Medium von Sichtbarkeit statt, welches sowohl den gelebten Raum als auch die gelebte Zeit spezifisch strukturiert. Solche hegemonialen „complexes of visuality“, wie der Kunsthistoriker diese Systeme selbst nennt (vgl. Mirzoeff 2011: 473–496), sind zwar durchaus dynamisch und somit veränderbar, sie definieren aber nichtsdestotrotz immer einen gewissen Rahmen für die Wahrnehmung vor, innerhalb dessen gesehen – und es ließe sich ergänzen – gehört, gerochen, geschmeckt oder berührt werden kann, soll und darf. 168 Sichtbarkeitskomplexe Die „Ästhetisierung“, d. h. der spezifische Akt der (künstlerischen) Gestaltung von etwas Wahrnehmbaren, ist nur ein Aspekt eines hegemonialen Ordnungssystems von Sichtbarkeit. Insgesamt übt jeder Komplex drei miteinander zusammenhängende Funktionen aus: “[I]t classifies by naming, categorizing, and defining […] [, it] separates the groups so classified as a means of social organization […] [, and] it makes this separated classification seem right and hence aesthetic [— ] the aesthetics of the proper, of duty, of what is felt to be right and hence pleasing, ultimately even beautiful.” (ebd.: 476) Auch wenn alle in diesem Unterkapitel zitierten Autoren der Frage der Macht im Hinblick auf solche Komplexe eine bedeutende Stellung einräumen, muss betont werden, dass Macht nicht mit Sichtbarkeit gleichzusetzen ist. Empirisch wirkt „sichtbar sein“ weder per se ermächtigend noch wird es generell als erstrebenswertes Ziel wahrgenommen: „[It] does not constitute anything inherently liberating, nor, conversely, does it necessarily imply oppression” (Brighenti 2007: 340). Als Kategorie der Analyse verweist „Sichtbarkeit“ vielmehr auf ein dynamisches Spannungsfeld zwischen den beiden Polen „Kontrolle“ und „Anerkennung“ (ebd.: 328), innerhalb dessen ihre konkreten Modi, z. B. „gesehen werden“, „ungesehen bleiben“, „sichtbar machen“ oder „unsichtbar belassen“, je nach Kontext unterschiedliche Machteffekte mit sich bringen und jeweils strategisch wie taktisch genutzt werden können (vgl. Hackl 2018). „Power“, so lässt sich dieser Sachverhalt im Anschluss an das Machtverständnis von Michel Foucault zusammenfassen (vgl. 2003; 2005; 2013): 168 Um nur ein Beispiel zu nennen, das die Plausibilität dieses Konzeptes empirisch verdeutlicht: Man denke etwa an die Vorschriften und Tabus, die religiöse Gemeinschaften ihren Mitgliedern in Bezug auf den Verzehr und Verzicht von bestimmten Klassen von Nahrungsmitteln auferlegen (vgl. Harris 1995). Aus dem Schatten der Krise | 185 „…does not rest univocally with seeing or with being seen. Rather, it is the style in which seeing and being seen take place that carries the most important consequences. The exercise of power is always an exercise in activating selective in SLASH visibilities.” (Brighenti 2007: 339) Im Hinblick auf die eigene Forschung wurde politische Macht dementsprechend als ein Potenzial zum selektiven Aktivieren von Un/Sichtbarkeit verstanden. Auf diese Weise eröffnete sich mir ein höchst produktiver Blick auf diverse Schnittstellen des Politischen zwischen (sozial wirksamer) Macht und (individuell gefühlter) Wahrnehmung. In meinem Feld fand ich dort, d. h. zwischen den Menschen, die Interfaces: von Mobiltelefonen über soziale Medien bis hin zu öffentlichen Plätzen. Ihre Verwendung als Unterscheidungs- und Vermittlungsräume stand – im Großen wie im Kleinen – im Zentrum eines alltäglichen „Managements von Sichtbarkeit“ (vgl. 2010: 61f.). 169 Um diesen Zusammenhang im weiteren Verlauf der Arbeit empirisch herausarbeiten zu können, bedarf es einer letzten konzeptionellen Präzisierung, die zuvor nur angedeutet wurde. Sehbar – sichtbar – unsichtbar Auch wenn „Sehen“ häufig mit einem visuellen Vorgang in Verbindung gebracht wird, weist der Begriff über jene Sinnesfähigkeit hinaus, die es uns ermöglicht, mit den Augen wahrzunehmen. Er bezieht sich auf mehr als nur auf die Visualisierung und meint „anything visible, any form of ‘noticing and managing attention’” (ebd.: 52). In meinem Feld etwa verweist „Sehen“ somit auch auf das Wahrnehmen von Protestgesängen durch einen Radiosender, auf die Anwesenheit digitaler Medientechnologien, die sich tönend und vibrierend bemerkbar machten und dadurch die sozialen Dynamiken innerhalb physischer Räume veränderten, oder auf den Programmcode einer Software wie Facebook, der „unter dem seichten Schimmer pulsierender Bildschirme“ (Shah 2017: 246) konstant im Hintergrund ausgeführt wurde und dadurch Sichtbarkeit auf den Bildschirmen der Aktivisten und Aktivistinnen spezifisch strukturierte. Das Beispiel eines programmierten Algorithmus war es dann auch, anhand dessen jene dritte Dimension empirisch beschreibbar wurde (vgl. Kapitel 9), 169 Der hier skizzierten Konzeptualisierung geht es folglich nicht um die empirische Analyse zeitgenössischer „Sichtbarkeitsregime“, wie sie beispielweise Ulrich Bröckling, Leon Hempel und Susanne Krasmann (2011) vorschwebt, sondern darum, die „ethnographische/mikropolitische Ebene“ entsprechend begrifflich zu erschließen, d. h. „die Sphäre des gelebten Lebens“ (Ege 2015: 65). 186 | Zwischen den Menschen – das Medium auf die uns der Begriff des Sehens neben (1) dem Sehbaren und (2) dem Sichtbaren aufmerksam macht: (3) auf das Unsichtbare. „Unsichtbar“ meint hier nicht etwa „paranormal“, „unheimlich“ oder „verschwörerisch“, sondern – ganz im Gegenteil – das Adjektiv verweist in seinem analytischen Gebrauch gerade auf das Normale und Alltägliche, d. h. auf jene Phänomene, die uns einfach deshalb nicht auffallen, weil sie (noch) „unmarked, unnoticed, unthematized, [or] untheorized” sind, wie Andrea Mubi Brighenti dies überzeugend ausführt (2007: 326). Die Rede von der „Unsichtbarkeit eines Phänomens“ thematisiert somit die Tatsache, dass in einer konkreten Situation etwas für jemanden der bewussten Aufmerksamkeit entzogen ist. Durch die Referenznahme auf ihr Antonym entfaltet sich die eigentliche Stärke der hier dargelegten Konzeptualisierung von „Sichtbarkeit“. Durchaus im Widerspruch zur empirisch vorgefundenen „Allgegenwärtigkeit des Visuellen“ (vgl. Kapitel 1) sensibilisierte sie die eigene Forschung für das nicht weniger machtvoll wirkende, aber zunächst nicht unmittelbar Wahrnehmbare. Im Hinblick auf das Potenzial von Handlungsmacht wiederum ließ sich „being visible” als ein Zustand verstehen, in dem ein Akteur oder eine Sache das „object in the domain of action” darstellte (ebd.: 328). Oder negativ formuliert: In dem Maße, in dem jemand oder etwas unsichtbar war, blieb er, sie oder es solange der Sphäre der Handlung entzogen, bis eine entsprechende Markierung, Notierung, Thematisierung oder Theoretisierung erfolgte. Das politische Ziel der Aktivisten und Aktivistinnen in Murcia wird aus einem solchen Verständnis heraus wie folgt beschreibbar: Es galt für sie, nicht mehr nur ein fremdbestimmtes Objekt zu sein, dessen Leben von anderen verhandelt bzw. gar „gehandelt“ wurde, sondern sich selbst zum Subjekt innerhalb des sozialen Handlungsraumes zu erheben, d. h. als politischer Akteur sichtbar zu werden, selbstbestimmt Themen zu setzen und eigene Forderungen umzusetzen. In einem ersten Schritt bedeutete dies, bisher Unsichtbares in das Licht zu rücken. Häuser ohne Menschen – Menschen ohne Häuser „Den Bescheid der Zwangsräumung auf dem Wohnzimmertisch in deinem Zuhause, und dein Sohn blickt dich von einem Foto aus an. Kannst du dir das vorstellen?“170 Dass die hier beschriebene Vorstellung absolut real war, sollte ein digitales Foto verdeutlichen, das der zuvor 170 Im Original: „La orden de desahucio encima de la mesa del comedor de tu casa, y la foto de tu hijo mirándote. ¿Te lo imaginas? Esta foto es de hoy mismo en casa de Loli.“ Vgl.: https://web.archive.org/web/20140602024 714/https://diariodemarkoramius.wordpress.com/2014/05/07/gracias-pah/ (Stand: 20.10.2018). Aus dem Schatten der Krise | 187 zitierte Autor des Blogbeitrags, Marko Ramius, über seinen Text setzte. Es bildete den Wohnzimmertisch der Familie von Antonio und Loli ab, sowie jene beiden sich darauf befindlichen Gegenstände, die er zuvor textlich zueinander in Beziehung gesetzt hatte: Zum einen sah man den unteren Teil eines Bilderrahmens samt dem Portraitfoto eines Jungen. Zum anderen zeigte der Bildausschnitt den oberen Teil eines offiziellen „Dienstvermerks“ der Justizverwaltung, der sich, unmittelbar vor dem gerahmten Portrait des Kindes liegend, ebenfalls auf dem Tisch befand. Auf dem sozialen Medium abgelichtet wurde nicht der gesamte Inhalt dieses Vermerks, sondern lediglich dessen Deckblatt. Allerdings reichten die darauf fett gedruckten Wörter vollkommen aus, um den Lesenden den Kontext des Briefes unmissverständlich vor Augen zu führen: „Gerichtsgeschäftsstelle, Abteilung Gerichtliche Schriftstücke und Rechtshilfe, Zwangsräumung 2032/11“. Ebenfalls gut lesbar war das Datum, für das die Exekution des Verwaltungsaktes angesetzt wurde: der „7. Mai 2014“ – der Tag der Erstveröffentlichung des Blogbeitrages. 171 Neu-Kadrierung! „Modificar los marcos discursivos”, d. h. „den Diskursrahmen verändern“, so lautete das selbstgesteckte Ziel in einem Leitfaden von Podemos, der den Mitgliedern in Murcia via Dropbox zur Verfügung gestellte wurde und der ausführlich über den Sinn und Zweck der eigenen Pressearbeit aufklären wollte (APX: 57). Auch wenn der Blogger Marko Ramius dieser neuen Partei wohl nicht angehörte, machte er im Kontext der Zwangsräumung von Javalí Nuevo genau das: Er modifizierte den Rahmen, innerhalb dessen gesprochen werden sollte. Sein Foto repräsentierte zwei Prinzipien der Wohnraumnutzung. Einerseits stellte das Foto diesen Raum selbst als ein „Heim“ dar, in dem Familien leben, es Wohnzimmertische gibt und man das Portraitfoto des eigenen Sohnes aufstellt. Andererseits deutete der von ihm ins Bild gesetzte Räumungsbescheid an, dass derselbe Wohnraum auch als etwas Anderes vorgestellt werden konnte: als ein „justiziabler Wert“, den man berechnen, besitzen, beschlagnahmen und in letzter Konsequenz jemand anderem als Eigentum überschreiben kann. Dieser diskursive Rahmen, den der Blogbeitrag in der visuellen Repräsentation der beiden Prinzipien setzte, war nicht zufällig 171 Bei der Gerichtsgeschäftsstelle („Oficina Judicial“), die der Justizverwaltung („Administración de Justicia“) untersteht, handelt es sich um eine Behörde, welche die Arbeit der Gerichte unterstützen soll. Sie ist kein rechtssprechendes, sondern ein exekutives Organ. Die Unterabteilung, welche die „Nota de Servicio“ postalisch an die Familie von Antonio und Loli versandt hatte, war die „Servicio Común General“ bzw. die „Sección 2: Actos de comunicación y Auxilio Judicial“. In Deutschland wäre der entsprechende Zwangsräumungsbescheid vom Amtsgericht versendet worden – konkret: vom Gerichtsvollzieher bzw. der Gerichtsvollzieherin. 188 | Zwischen den Menschen – das Medium gewählt. Im Gegenteil: Die spezifische Kadrierung des Bildes machte unmissverständlich deutlich, dass die Konzepte „Heim“ und „justiziabler Wert“ in einem empirischen Konflikt zueinander standen. 172 Dass dieser Konflikt über die Wahl des Bildausschnittes bewusst sichtbar gemacht werden sollte, spiegelte sich auf der Textebene wider. Hier wurde der Lokaljournalist explizit, indem er den allgemeinen Kontext der Krise mit dem konkreten Fall vom 7. Mai 2014 in einen Zusammenhang setzte und dabei sowohl die Amoralität von Finanzwirtschaft, Politik und Gerichtsbarkeit als auch die mahnenden Worte der Aktivisten und Aktivistinnen der PAH thematisierte: 173 „Als das alles anfing (die Krise, die Zwangsräumungen…) warnten viele von ihnen sofort öffentlich vor der Schamlosigkeit dieses Systems: der Wucher, die Misswirtschaft der Banken, die Hyperentwicklungsökonomie, das ‚da du ja ohnehin 100.000 Euro beantragst, beantrage gleich 50.000 Euro mehr, das ist kein Problem‘. Sie täuschten sich nicht. […] Und am Ende waren es einfache Leute wie Antonio und Loli, die den Brief mit dem Zwangsräumungsbescheid in ihrem Heim entgegennahmen. […] Was ich sage, ist keine Demagogie. Es ist die Wahrheit. Ein ‚Kreditvermittler‘ überließ Loli und Antonio 15.000 Euro. Fragt mich nicht wie […], aber nach und nach erreichten die ‚Schulden‘ … die Summe von 180.000 Euro und zerstörten eine gesamte Familie. […] Es ist schwierig zu erklären, warum man versucht, eine arbeitslose Familie mit drei Kindern … zwangszuräumen, Fußballvereinen aber beispielsweise Steuerschulden in Millionenhöhe erlässt. Bezahlen wir wirklich alle den gleichen Preis für die Krise?“ Nachdem der Lokaljournalist die Tatsache angesprochen hatte, dass im Verlauf der Krise keineswegs jeder Schuldner gleichbehandelt wurde, erklärte er seinen Lesern und Leserinnen, warum es seiner Meinung nach überhaupt dazu kommen konnte, dass Familien wie die von Antonio und Loli um ihr Heim bangen mussten: 172 Vor dem Hintergrund eines durch und durch visualisierten Feldes verdeutlicht das filmwissenschaftliche Konzept der Kadrierung (auf Englisch: „framing“), welches beschreibt wie Objekte und Subjekte z. B. auf einer Leinwand oder auf dem Titelbild eines Magazins zueinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Kühnel 2008: 87– 155), dass „Rahmen“ hier nicht nur metaphorisch im Sinne der Diskursanalyse zu verstehen ist. Neben einer symbolisch Grenzen setzenden Darstellungsweise, d. h. der ästhetisierenden Rahmung eines Sachverhaltes, verweist der Begriff zusätzlich auf die Tatsache, dass die Fläche bzw. Räumlichkeit eines Interface, auf dem spezifisch dargestellt wird, selbst ebenfalls begrenzt ist bzw. reguliert wird. Das Konzept der Kadrierung veranschaulicht somit abermals, dass Sichtbarkeit zwangsläufig eine Auswahl erfordert. 173 Die folgenden Originale der Zitate finden sich hier: Vgl.: https://web.archive.org/web/20140602024 714/https://diariodemarkoramius.wordpress.com/2014/05/07/gracias-pah/ (Stand: 20.10.2018). Aus dem Schatten der Krise | 189 „Ich habe kein Rezept, um aus dieser Krise herauszukommen, aber ja, ich war einer von denen, die, bevor das alles passierte, ihren Bekannten erklärten, dass es nicht sein konnte, dass ein Schreiner einen BMW besitzt und ein Haus mit drei Stockwerken. Ich sage nicht, dass er sich das nicht verdient hätte. Darum geht es nicht. JEDER auf der Welt hat das Recht Geld und Wohneigentum zu besitzen. Das wäre richtig. Was ich allerdings sage ist: Wären nicht Millionen von Menschen – durch die Augenwischerei eines unendlichen Wachstums, welches von vielen feierlich verkündet wurde – von dem Konstruktionskoloss auf tönernen Füßen angezogen worden, ginge es uns nicht so, wie es uns jetzt geht.“ Mit dem Bild des biblischen Scheinriesens, das in Spanien als Redensart für ein „Imperium ohne Substanz“ steht, deutet der Blogger jenen Komplex aus globalem Kapitalmarkt, nationalem Bauboom und lokaler Kreditvergabepraxis an, den Manuel Aalbers bereits unmittelbar nach Ausbruch der Krise als „growth machine“ bezeichnet hatte: einen gigantisch wachsenden „sekundären Hypothekenmarkt“, der zwar für viele verlockend, für die meisten aber von Anfang an auf Scheitern programmiert worden war (2008: 161). 174 Den Moment ihrer Implosion andeutend beschrieb der Soziologe und Humangeograph die Funktionsweise der Wachstumsmaschine damals wie folgt: „By simultaneously expanding the mortgage market, by means of granting bigger loans (as a percentage of income and as a percentage of home value), and by giving access to more households (so-called ‘underserved populations’), the growth machine kept on working smoothly for a while. Yet, every … accumulation regime needs to keep on growing to function smoothly and it seems that the current mortgage crisis has announced the beginning of the end of ever-expanding mortgage markets.” (ebd.) In der Folge erscheint es angebracht, einige Zahlen anzuführen, um sich die Dimensionen dieses Akkumulationsregimes zu vergegenwärtigen, das – dem Geschäftsmodell eines Schneeballsystems nicht unähnlich – auch in Spanien gemäß dem Prinzip „höhere Darlehen für immer mehr Menschen“ operierte. Die entsprechenden Statistiken sowie die daran anknüpfenden Ausführungen werden deutlich machen, dass das Ausmaß der privaten Schuldenlast von Antonio und Loli, deren anfängliches Hypothekendarlehen sich in wenigen Jahren um das Zwölffache erhöht hatte, nicht auf einem individuellen Versagen beruhte, sondern systemisch bedingt war. Darüber hinaus lassen die Zahlen erahnen, warum die 174 Manuel Aalbers hat die Immobilienfinanzierung im Kontext der globalen Finanzkrise in den USA und Europa aus sozialwissenschaftlicher Perspektive umfassend erforscht (2011; 2012; 2017). 190 | Zwischen den Menschen – das Medium Menschen in meinem Feld ihre Wut auf die „políticos y banqueros“ so massiv zum Ausdruck brachten. Abb. 5: Abschlussveranstaltung der „marcha de mareas“ Demo in Murcia, 16. März 2013. 175 Dimensionen einer Paradoxie Nicht nur über die Straße, auch via soziale Medien bahnte sich die Empörung in Murcia ihren Weg. Um hierfür nur eines von zahllosen empirischen Beispielen anzuführen, das zwar der Form nach harmlos wirken mag, dessen Aussage sich allerdings auf ein Ereignis bezog, das sich dafür als umso dramatischer herausstellte: „Ob es Rechnungen geben wird, die wir dieser Regierung der Banker zukommen lassen können?“, fragte ein Kommentar auf Facebook in die virtuelle Runde, nachdem mehrere Personen aus meinem Feld – darunter Raquel – einen Artikel über den Selbstmord eines Aktivisten geteilt hatten (FT 27.7.2014). Darin wurde informiert, dass sich der 37-jährige Gustavo zehn Tage nach dem Erhalt eines Schreibens seiner Bank das Leben genommen habe: ein „seit 4 Jahren arbeitsloser Vater zweier Kinder“, der „ca. 120.000 Euro Schulden hatte“ und dem „die Zwangsräumung drohte“. Postalisch, so präzisiert der Artikel den Hintergrund der Tragödie, sei der Aktivist von der Banco Mare Nostrum darüber 175 Lesbare Spruchbänder von links nach rechts auf Deutsch: „Schluss mit Prekarität“; „Regierung, Banker, Mörder“; „Genug Kürzungen“; „Stoppt Zwangsräumungen“. Quelle: Eigenes Foto. Aus dem Schatten der Krise | 191 in Kenntnis gesetzt worden, dass man seinen Antrag auf eine 5-jährige Karenzzeit, d. h. auf die Aussetzung seiner Tilgungsleistungen, ablehne. Gustavo selbst kommt in der Berichterstattung ebenfalls nochmals zu Wort und gibt über das Motiv seiner Selbsttötung Auskunft: „Ich ertrug den Druck nicht.“ 176 Das kurze Zitat, das vermutlich aus Gustavos Abschiedsbrief stammt, offenbart einmal mehr den gewalttätigen Charakter des Zwangsräumungsprozesses. Es gibt dem zuvor skizzierten Zusammenbruch von Alvaro während der „grupo de apoyo“ nicht nur eine gewisse empirische Schwere, sondern verdeutlicht auch, wie relevant die ehrenamtliche Arbeit von Psychologen und Psychologinnen im Umfeld der PAH war. In meinem Feld wurden entsprechende Meldungen über Selbstmorde aufgrund von Verschuldung und Zwangsräumung immer wieder mit einer Mischung aus Trauer und Wut über soziale Medien geteilt. Tatsächlich kam es im Verlauf der Krise zu einem signifikanten Anstieg an Selbsttötungen in Spanien. Das Instituto Nacional de Estadística (INE) verzeichnete von 2011 bis 2014 eine Zunahme an Suiziden um 22,96 %. 177 Während des Höhepunktes der Krise nahmen sich damit jährlich mehrere Hundert Menschen mehr das Leben als zuvor. In Bezug auf die mediale Wahrnehmung war es für die Aktivisten und Aktivistinnen letztlich unerheblich, dass es sich bei solchen Zahlen streng genommen lediglich um Korrelationen handelt. Für sie war offensichtlich: „Die Krise ruiniert und tötet.“ 178 Ihre Auffassung ist weder gänzlich von der Hand zu weisen, noch stellt der Anstieg an Selbsttötungen den einzigen Indikator dar, der soziale Verwerfungen im Umfeld der Zwangsräumungen messbar macht. Francisco R. Durán Villa und María José Piñeira Mantiñán etwa, die zwischen 2008 und 2014 zahlreiche öffentlich zugängliche Daten ausgewertet haben, diagnostizieren einen direkten Zusammenhang aus Armut, Verschuldung und Enteignung, der gerade in Murcia besonders dramatisch hervortrat: „[T]here are thousands of families that due to unemployment, lack of income and the reduced capacity of savings are immersed in a situation of poverty at a rate of 29.2%, and more than 40% in some cities of … Murcia. 1 in every 3 households are unable to pay their mortgage loans – which represent 40% of their income – and are mired in processes of eviction.” (2016: 82) 176 Vgl.: http://www.elplural.com/2014/07/27/un-activista-de-stop-deshacucios-se-suicida-por-su-deuda-con-unbanco/ (Stand 8.11.2018). 177 178 Vgl.: http://www.ine.es/jaxiT3/Tabla.htm?t=7947. (Stand 8.11.2018). Im Original: „La crisis arruina y mata.“ So formulierte dies ein in meinem Feld häufig gelesener Blog. Vgl.: https://web.archive.org/web/20150111225644/https://iniciativadebate.org/2014/05/28/incremento-del-numerode-suicidios-en-espana-motivados-por-la-crisis-y-silenciados-por-los-medios/ (Stand 3.7.2021). 192 | Zwischen den Menschen – das Medium Im Rahmen solcher Prozesse kam es in dem von ihnen untersuchten Zeitraum zu 578 546 Zwangsversteigerungen sowie zu 378 693 Zwangsräumungen in Spanien. Im Jahr 2012, auf dem Höhepunkt der Krise, verordnete der Staat im Schnitt 280 solcher Räumungen pro Tag. Territorial erfolgte der größte Anstieg abermals in Murcia, wo die absoluten Zahlen um beinahe 1500 % anwuchsen: von 93 gemeldeten Räumungen im Jahr 2008 auf 1388 Zwangsmaßnahmen in 2014 (ebd.). Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überraschend, dass die lokalen Unterstützergruppen der PAH während meines Feldaufenthaltes entsprechend gut besucht waren. 179 Ähnliche Untersuchungen aus dem Umfeld der Humangeographie deuten außerdem an, dass besonders jene Stadtviertel von den staatlich verordneten Zwangsmaßnahmen betroffen waren, in denen die Einkommen ohnehin schon am Niedrigsten und die Arbeitslosenraten am Höchsten waren (vgl. González Pérez/Lois González/Piñeira Mantiñán 2016). Es traf also die sozial Schwächsten. Gerade sie waren es, die im Verlauf der Krise überproportional häufig gezwungen waren bzw. genötigt wurden, ihren Wohnraum aufzugeben. Gleichzeitig investierte der spanische Staat zwischen 2006 und 2016 insgesamt 181,1 Mrd. Euro in den eigenen Finanzsektor, um verschuldete Banken finanziell zu unterstützen oder gar gänzlich von ihren Verbindlichkeiten zu befreien (vgl. European Commission 2017: 40f.). 180 Bereits diese zahlenmäßige Gegenüberstellung würde die Wut erklären, die große Teile der spanischen Zivilgesellschaft sowohl auf die etablierten Parteien als auch auf die beteiligten Finanzinstitute hatten. Aus Sicht meines Feldes stellte sich der Sachverhalt allerdings noch weit unverfrorener dar: Nicht nur, dass man die Banken mit Steuermitteln „rettete“, während die öffentlichen Ausgaben drastisch gekürzt wurden (vgl. Einleitung), auch die enteigneten Wohnungen selbst gingen am Ende größtenteils in den Besitz dieser Banken über und blieben von nun an 179 Einige Autoren und Autorinnen weisen darauf hin, dass es schwierig ist, die Anzahl der Zwangsräumungen zu bestimmen bzw. dass entsprechende Daten variieren (vgl. González Pérez/Rullan, Onofre/Vives-Miró 2017: 5). Sie selbst gehen von insgesamt ca. 400 000 „ejecuciones hipotecarias“ seit Beginn der Krise aus. 180 Die Europäische Kommission, von der diese Zahl stammt, teilt das Kapital, das die Nationalstaaten ihren Finanzinstituten bereitstellten, in vier Posten ein: (1) Direkte Mittel für die „Rekapitalisierung“ von Banken: 61,9 Mrd. Euro; (2) „Entlastung für Risikoaktiva“: 32,9 Mrd.; (3) „Garantien“: 72 Mrd.; (4) „Andere Liqiditätsmaßnahmen“: 19,3 Mrd. Wie es in einem entsprechenden „Amtsblatt der Europäischen Union“ heißt, handelt es sich im Bereich „Risikoaktiva“ um Hilfen für jene Vermögenswerte in den Bilanzen von Banken, bei denen eine gewisse „Unsicherheit über die Bewertung“ existiere bzw. bei denen sich grundsätzlich die Frage stelle, inwiefern „noch weitere Problemaktiva vorhanden“ seien. Der entsprechende Posten bezog sich vor allem auf jene komplexen Schuldtitel und Derivate, deren realer Wert z. B. nicht bestimmt werden konnte, da schlicht kein Markt mehr für sie existierte. Auch die „Garantien“ konnten von den Banken für die Abschreibung von Risikoaktiva abgerufen werden, wenn diese ehemals lukrativen Kapitalanlagen nun nachweislich als nicht mehr liquide galten. Vgl.: http://ec.europa.eu/competition/state_aid/legislation/impaired_assets.pdf (Stand 2.11.2018). Aus dem Schatten der Krise | 193 leerstehend. 181 Dadurch entstand eine Situation, die von einigen Autoren und Autorinnen als „ziemlich paradox” beschrieben wird: Während hunderttausende Menschen wie Antonio, Loli oder Alvaro vom Verlust ihrer Wohnung betroffen oder bedroht waren, existierte landesweit „ein Vorrat an 563 908 neuen unverkauften Eigenheimen“ (Durán Villa/Piñeira Mantiñán 2016: 82). 182 Der Leitspruch der PAH – „Weder Häuser ohne Menschen, noch Menschen ohne Häuser“ – bezog sich ebenfalls auf diese Paradoxie. 183 Allerdings ist die Situation nur auf den ersten Blick widersprüchlich, nämlich dann, wenn Wohnraum ausschließlich als das „Heim“ einer Familie gesehen wird, obwohl er doch ebenso einen „justiziablen Wert” darstellen kann, der sich nicht nur staatlich garantieren, sondern auch nach den Regeln eines Marktes monetarisieren lässt. Im Kontext der spanischen Krise spielte letztere Auffassung eine entscheidende Rolle. Die Kommodifizierung der Schulden Sowohl der Ursprung als auch die Dynamik der spanischen Krise lassen sich auf eine spezifische Verschränkung zwischen Immobilien- und Finanzsektor zurückführen, wobei deren Herbeiführung von staatlichen Institutionen und kommunalpolitischen Akteuren maßgeblich mitgetragen wurde (vgl. Esteban/Altuzarra 2016; Burriel de Orueta 2008). 184 Im Zuge dieser 181 Um ein empirisches Beispiel anzuführen, das diese Ungleichbehandlung der Schuldner veranschaulicht, sei an dieser Stelle auf den Bauträger Polaris World verwiesen, der in Murcia tätig war und im Verlauf der Krise nach einem fehlgeleiteten Bauexzess teilweise Insolvenz anmelden musste. Während die kreditgebenden Banken am Ende mit Steuermitteln von ihren Verbindlichkeiten befreit wurden und die durch sie finanzierten Gebäude per Gerichtsbescheid überschrieben bekamen, blieben die privaten Käufer der Immobilien auf ihren Forderungen sitzen. Vgl.: https://www.theguardian.com/world/2012/may/25/spanish-property-polaris-homes-crash (Stand 27.10.2018). Über die Region schreibt die britische Zeitung The Guardian in diesem Zusamenhang: „Welcome to Murcia, the very heart of Spain’s property boom and bust, where repossessions are sweeping the region”. 182 In Madrid und Barcelona gehörte ein beträchtlicher Teil dieses Leerstands national oder global operierenden Finanzinstitutionen und Immobilienunternehmen (vgl. González Pérez/Lois González/Piñeira Mantiñán 2016: 166). Dabei ist nicht ganz klar, ob z. B. eine enteignete Wohnung, die bereits einmal verkauft worden war und in der Folge erneut in den Besitz einer Bank überging, im Rahmen der zuvor zitierten Statistik überhaupt als „unverkauftes Eigenheim“ gilt. Falls nicht wäre der Leerstand in Spanien sogar noch um einiges höher. 183 184 Im Original: „Ni casas sin gente, ni gente sin casas.“ Auch wenn in der Folge nur bedingt auf die Rolle der lokalen Politik im Vorfeld der Krise eingegangen wird, soll an dieser Stelle zumindest nicht unerwähnt bleiben, dass es Ende der 1990er-Jahre gerade Kommunal- und Regionalpolitiker gewesen waren, die mit der Einführung des Planungsmodells einer „grenzenlosen Urbanisierung“ jenen Grundstein dafür gelegt hatten, dass sich die Spekulation und Korruption im Rahmen des Immobilienbooms nach der Jahrtausendwende in ganz Spanien so rasant ausbreiten konnten. In Bezug auf die Korruption etwa kommen die beiden Ökonominnen Marisol Esteban und Amaia Altuzarra unter Verweis auf eine entsprechende Studie der Stiftung Fundación Alternativas zu folgender Feststellung: „[C]orruption in urban development is a widespread practice in Spain. […] Between January 1996 and November 2009, politicians in 814 municipalities were engaged in allegedly corrupt acts. Before 1999, this number was small but it started to rise as the housing boom intensified” (2016: 112). Natürlich verschränkte sich der globale Finanzmarkt auch in anderen 194 | Zwischen den Menschen – das Medium Verschränkung besaßen nicht mehr nur Wohnungen und Häuser einen Tauschwert und konnten auf einem entsprechenden Markt gehandelt werden, sondern gleiches galt auch für jene Verbindlichkeiten, die sich aus den Kreditverträgen ergaben, welche zuvor zum Zwecke der Finanzierung des Wohnraums abgeschlossen worden waren, d. h. für Zins und Tilgung. Teilen der Finanzwirtschaft war es gelungen, neuartige, genuin virtuelle Waren zu erzeugen, mit denen es möglich wurde, Schulden in großem Stil zu kommodifizieren. In meinem Feld kam dieser komplexe Sachverhalt durchaus zur Sprache, wie das nachfolgende Zitat zeigt. Es stammt von Fran, mit dem ich mich im Anschluss an ein Treffen der „grupo de apoyo“ unterhielt. Der von der Hypothekenkrise Betroffene führte mir gegenüber ein solch neues, virtuelles Finanzprodukt als Beispiel dafür an, dass er seine Verbindlichkeiten bei der Bank nicht in den Griff bekommen konnte – das Derivat „Credit Default Swap“ (CDS): „2007 verkaufte uns die Banco de Valencia [ab 2013 Teil der Caixabank; DK] einen Swap für unser Darlehen, da die Zinsen anstiegen. Anfang 2009 wollten wir diese Versicherung aber wieder kündigen. Die Zinsen waren gefallen. Unser Kundenberater meinte, wir sollten noch warten, da wir so etwas Geld zurückbekommen. Er weiß, wovon er redet – dachten wir. Also haben wir ihm vertraut und ein paar Monate gewartet. Als wir im Juni 2009 schließlich kündigten, hofften wir, dass sie uns vielleicht ein paar Euro gutschreiben. Stattdessen teilte uns die Bank in einem Schreiben mit, dass wir ihnen 12.000 Euro aus dem Swap schulden würden. Wie kann das sein? Die Zinsen waren am Boden. Wir hatten uns doch gegen steigende Zinsen versichert. Wofür war denn die Versicherung jetzt da?“ (FT 20.05.2014) Wie viele andere auch war Fran, der das Finanzprodukt in unserem Gespräch zu meiner Überraschung mit dem englischen Wort „swap“ betitelte, Opfer eines Kreditderivates geworden, das es erlaubte, Ausfallrisiken von Hypothekendarlehen zu handeln. Das von ihm geäußerte Unverständnis in Bezug auf die Funktionsweise eines Produktes, das ihm von seiner Bank vertrauensvoll als „Versicherung“ verkauft worden war und das seinen Darlehensvertrag in der Folge ergänzte, ist einmal mehr keiner persönlichen Unkenntnis über ökonomische Zusammenhänge geschuldet, sondern liegt in der Tatsache begründet, dass die Risiken solcher Produkte schlicht unkalkulierbar waren. Im Grunde handelt es sich bei CDSs und ähnlichen Derivaten weniger um Versicherungen, sondern um „Wetten“, die auf dem Finanzmarkt Ländern mit den jeweiligen nationalen Immobilienmärkten und produziert dort ähnliche Leerstände. Für Irland etwa sprechen Humangeographen von „ghost estates“, welche die Krise im Land hinterlassen habe (Kitchin/Gleeson/Dodge 2013: 480). Aus dem Schatten der Krise | 195 platziert werden. Die Wirtschaftsjuristin Claire Hill etwa nennt sie im Kontext der USHypothekenkrise „side bets on the performance of the mortgages and securities“ (2010: 327). Wie die Aussagen von Alvaro andeuten, mussten sich die Aktivisten und Aktivistinnen der PAH in ihren alltäglichen Auseinandersetzungen mit Banken und Gerichten zwangsläufig mit solch vermeintlich innovativen Finanztechnologien und entsprechend hochkomplexen Hypothekenverträgen auseinandersetzen. Da die Kommodifizierung von Schulden sich nicht nur in der politischen Arbeit der PAH widerspiegelte, sondern für ein tieferes Verständnis der Krise insgesamt unerlässlich ist, soll der entsprechende Nexus aus „secondary mortgage markets“ und der „financialization of home“ nun ausführlich erläutert werden (vgl. Aalbers 2008). Aus diesen Ausführungen wird nicht nur hervorgehen, warum sich der politische Widerstand in meinem Feld entzünden konnte, sondern auch gegen wen bzw. welches Denken er sich in der Folge richtete. Die Logik der finanzkapitalistischen Verwertung David Graeber hat in seiner Definition von Schulden einige grundlegende Bedingungen für die Entstehung von Märkten herausarbeitet, auf denen dann z. B. auch Hypotheken gehandelt werden können. In deren Zentrum steht stets die Quantifizierbarkeit von Verbindlichkeit: „[A] debt, unlike any other form of obligation, can be precisely quantified. This allows debts to become simple, cold, and impersonal—which, in turn, allows them to be transferable. If one owes a favor, or one's life, to another human being—it is owed to that person specifically. But if one owes forty thousand dollars at 12-percent interest, it doesn't really matter who the creditor is; neither does either of the two parties have to think much about what the other party needs, wants, is capable of doing—as they certainly would if what was owed was a favor, or respect, or gratitude. One does not need to calculate the human effects; one need only calculate principal, balances, penalties, and rates of interest.” (2011: 14) Der finanztechnologische Nukleus der Krisen in den USA und Europa im Allgemeinen sowie in Spanien im Speziellen lag nun in einer neuen Form der Quantifizierbarkeit von Schulden. Im Jargon des internationalen Finanzmarktes wird diese als „securitization“ bezeichnet: ein Prozess der Verbriefung von Hypotheken, durch den finanzielle Verbindlichkeiten von z. B. Wohnungseigentum in handelbare Wertpapiere oder Derivate umgewandelt werden. Der virtuelle Ort, an dem solche Produkte in der Folge kursieren, wird „sekundärer 196 | Zwischen den Menschen – das Medium Hypothekenmarkt“ genannt. 185 Dessen Unterschied zum herkömmlichen Markt der Immobilienfinanzierung lässt sich idealtypisch wie folgt beschreiben: „In a primary mortgage market, mortgages are closed between the borrower and the lender; in a secondary mortgage market, investors can buy mortgage portfolios from lenders. […] This process, called securitization, […] assists the flow of capital from surplus areas to deficit areas; and it decreases the geographical spread in interest rates and allows for portfolio diversification because risks are spread geographically […]. Securitization requires not only a vastly expanding market, but also the deregulation and internationalization of domestic financial markets. […] Because securitization increasingly connects the mortgage market to the stock market, securitization embodies the financialization of the mortgage market. It increases the volatility of the mortgage market […] because stock markets by their very nature are volatile markets.” (Aalbers 2008: 154f.) 186 Alle Parteien, die an der Verbriefung von Hypotheken beteiligt sind, „erkaufen“ sich somit die Vor- und Nachteile des Finanzmarktes. In letzter Konsequenz erhält der Käufer einer „securitization“, z. B. ein Rentenfonds oder eine Investmentbank, zwar den Status eines Gläubigers, allerdings verliert er nicht nur die direkte Beziehung zum ursprünglichen Schuldner, sondern auch zum finanzierten Wohnraum. Beide sind nur noch abstrakte Werte in einem virtuellen Bewertungssystem. 185 An anderer Stelle macht David Graeber deutlich, dass die Handelbarkeit solcher Verbindlichkeiten im Kontext eines globalen Finanzsystems nicht nur eine arithmetische Standardisierung erfordert, sondern zwangsläufig auch eine Dekontextualisierung der Schulden und damit letztlich auch eine Dehumanisierung der Schuldner mit sich bringt: „Calculation demands equivalence. And such equivalence […] only seems to occur when people have been forcibly severed from their contexts, so much so that they can be treated as identical to something else.” (2011: 386). Die Vorläufer der Verbriefungen entstanden in den 1970er Jahren (Hill 2010: 328). Und obwohl die Virtualisierung des Geldes schon vor mindestens 5000 Jahren existierte (vgl. Graeber 2011: 17f.), muss betont werden, dass der finanzkapitalistische Kontext, innerhalb dessen eine entsprechende Kommodifizierung von Schulden heute – weitgehend virtuell – stattfindet, der Anfang von etwas grundlegend Neuem ist (ebd.: 361–392). Wie der weitere Verlauf dieses Kapitels noch zeigen wird, spielt die Digitalisierung auch im Hinblick auf diese Entwicklungen eine gewichtige Rolle. 186 Auch wenn sich das Zitat vorrangig auf den Kontext der Hypothekenkrise in den USA bezieht, können diese Aussagen nahezu ausnahmslos für Spanien übernommen werden. Autoren und Autorinnen sind sich nicht nur weitgehend einig, dass die Krisen in Europa einen gemeinsamen, transatlantischen Ursprung hatten (vgl. Dreger/Kholodilin 2013; Erber 2011; Reinhart/Rogoff 2009: 240–248; Aalbers 2008: 152), sondern auch darüber, dass die massenhafte „securitization“ von sogenannten „Subprime-Krediten“, d. h. von Schuldtiteln, welche von den Ratingagenturen zunächst mit niedriger Bonität eingestuft und in der Folge zu neuen komplexen Finanzprodukten zusammengeschnürt wurden, wesentlich dafür verantwortlich war, dass die Krisen von London über Frankfurt bis Madrid entsprechend heftig ausfielen (vgl. Otero González et al. 2015). Aus dem Schatten der Krise | 197 „An outside world that speaks a language you don’t understand…” In der Theorie erscheint die Idee, die z. B. hinter dem Konzept hypothekenbesicherter Wertpapiere steht, denkbar einfach: Indem man Risiken aus bestehenden Verbindlichkeiten aufsplittet, diversifiziert und auf diverse Märkte verteilt, werden Schulden nicht nur handelbar, sondern im Sinne eines „risk-spreading“ auch beherrschbar (Erber 2011: 3f.). Gleichzeitig soll der neu geschaffene, globale Markt für solche Finanzprodukte den Zugang zu Kapital sowohl für die (künftigen) Wohnungseigentümer als auch für die kreditgebenden Institute erleichtern (vgl. Hill 2010: 328–331). Die Praxis jedoch stellte sich völlig anders dar. Im Hinblick auf die Volatilität der Finanzmärkte etwa erwies sich die entsprechende Entwicklung als fatal. Da 91 % der Hypothekenverträge in Spanien einen variablen Zinssatz für die Tilgungsraten festgelegt hatten und damit den Schwankungen von Marktpreisen und Zinssätzen unterworfen waren, traf die Dynamik der Krise die Menschen dort entsprechend heftig (vgl. Dreger/Kholodilin 2013: 4–6). Was ebenso problematisch war: Anders als es ihre mathematischen Berechnungen behaupteten, konnten die Marktakteure überhaupt nicht vorhersagen, wie sich der Handel mit diesen virtuellen Finanzprodukten entwickeln würde (vgl. Graeber 2011: 362; Erber 2011: 5f.; Hill 2010), d. h. wie es z. B. dazu kommen konnte, dass aus einer Zinsversicherung plötzlich 12.000 Euro an neuen Verbindlichkeiten entstanden oder ein Hypothekendarlehen von 15.000 Euro auf 180.000 Euro anwuchs. Obwohl die Kundenberater, Anwälte, und Analysten der Banken, Investmentfonds und Ratingagenturen die von ihnen entworfenen, gehandelten und bewerteten Produkte nicht verstanden, wurden sukzessive weiter Verbriefungen auf den Markt gebracht bzw. tauchten immer neue, noch komplexere Spielarten von ihnen auf (vgl. Otero González et al. 2015: 312f.). Unabhängig davon, ob man den Grund dafür in einer „kolossalen Lüge“ sieht (Graeber 2011: 15) oder als eine Art kollektive Selbsttäuschung der beteiligten Akteure begreift (vgl. Hill 2010), Fakt ist, dass die Verkäufer solcher Produkte sowohl den Schuldnern, welche die handelbaren Verbindlichkeiten mit ihren Darlehensaufnahmen erzeugten, d. h. Menschen wie Alvaro oder Gustavo, die dann zu den Unterstützertreffen der PAH kamen, als auch den Investoren, welche die entsprechenden Titel in der Folge erwarben, bis zum Schluss eine ebenso einfache wie falsche Botschaft vermittelten: „[L]eave these things to the professionals. You couldn't possibly get your minds around this” (Graeber 2011: 15). 187 187 „These new derivative markets”, so beschreibt es etwa David Graeber, „were so incredibly sophisticated, that– –according to one persistent story––a prominent investment house had to employ astrophysicists to run trading programs so complex that even the financiers couldn't begin to understand them” (2011: 15). Wie der Wirtschaftsanthropologe weiter ausführt, glaubten selbst Teile der Sozialwissenschaft an das verheißungsvolle 198 | Zwischen den Menschen – das Medium Von einem solchen Narrativ zeugen auch zahlreiche Berichte, die ich während der „grupos de apoyo“ immer wieder hörte und bei denen oftmals das „blinde Vertrauen“ in die „Institution Bank“ zur Sprache kam (FT 24.06.2014). Man habe, so lässt sich der Vorwurf der Betroffenen zusammenfassen, der Einschätzung des Beraters oder der Beraterin eben geglaubt, da man davon ausging, dass die entsprechende Empfehlung in ihrem Interesse erfolgen werde, d. h. als Kunde der Bank. Dabei habe einem die beratende Person gleichzeitig das Gefühl vermittelt, die komplexen Sachverhalte voller Klauseln und Kleingedrucktem zu durchdringen. Erhellend ist in diesem Zusammenhang ein ethnographischer Ausschnitt von Alberto Corsín Jiménez (2017), der eine Madrider Familie während der Aufnahme ihres Hypothekendarlehens begleitete. Nachdem Antonio, einer der Protagonisten der Fallstudie, erfahren hatte, dass er von seiner Immobilienfirma nachweislich belogen worden war (ebd.: 500), berichtete er dem spanischen Kulturanthropologen nicht nur sachlich über seine Erfahrungen im Umgang mit Bank und Bauträger, sondern gab ihm gegenüber außerdem zu erkennen, dass er sich in einem größeren Zusammenhang gefangen sah, den er zwar durchaus wahrnahm, den er aber weder verstehen noch beeinflussen konnte: „You suddenly realise there is a world out there that not only you don’t understand, but that it organises itself so you cannot understand it. You find out that your local savings bank branch director is close friends with the property developing firm’s management director; they talk about you and your mortgage behind your back; you wonder whether they might be delaying your paperwork so that the three-month period goes by and, should you desire to set the mortgage with another bank, you run out of time to do so. So you find yourself locked into a mortgage scenario, like it or not. If you want to buy the flat – and you don’t want to lose the instalment you have already deposited – you are therefore locked into accepting their financial conditions. Your own capacity to reason through all this has a limit. There is a point at which you bump into a wall […]: an outside world that speaks a language you don’t understand, that is well above you, and Potenzial der neuen Finanzprodukte: „Even a lot of academics fell for it. I well remember going to conferences in 2006 and 2007 where trendy social theorists presented papers arguing that these new forms of securitization, linked to new information technologies, heralded a looming transformation in the very nature of time, possibility-reality itself” (ebd.). Eine Forschergruppe aus den Bereichen Mathematik und Finanzwissenschaften, welche die Finanzkrise und das systemische Versagen wissenschaftlicher Institutionen untersuchte, kommt in diesem Zusammenhang zu folgendem Ergebnis: Statt diese Derivate bzw. die entsprechenden Modellierungen als Instrumente zu betrachten, die dabei helfen, Risiken zu minimieren, müsse man sie selbst als Risikoquellen begreifen (Colander et al. 2011: 429–431). Zu behaupten, dass sie positive Effekte für die Finanzwirtschaft mit sich bringen würden, sei schon deshalb ungerechtfertigt gewesen, weil es zu jener Zeit überhaupt keine entsprechenden Forschungen dazu gegeben habe (ebd.: 432). Entsprechend eindeutig ihre Konklusion: „[T]he claimed real-world efficiency gains from derivatives are not justified by true science”. Das ökonomische Argument beruhe auf „persuasion rather than evidence” und habe „important negative effects” vollkommen vernachlässigt (ebd.). Auch wenn die Studie nicht so weit geht, dies explizit „Ideologie“ zu nennen, spricht vieles dafür, dass es genau das war: die Proklamation von Ideen mit politischer und wirtschaftlicher Zielsetzung. Aus dem Schatten der Krise | 199 that leaves you feeling utterly vulnerable. This is a lot of money we are talking about – your money!! – and it suddenly creeps on you the realisation that these people can corner you, they can bound you and do with your money whatever they please.” (ebd.: 502) Die enormen Summen an Schuldverschreibungen, die „diese Leute“ in der „Außenwelt“ in Umlauf brachten, lassen erahnen, wie groß der Anreiz war, die Geschäfte mit Hypotheken solange wie möglich am Laufen zu halten, bevor, wie dies etwa der „Senior Analytical Manager“ einer Ratingagentur in einer internen Email ausdrückte, das „house of cards“ in sich zusammenfalle (Hill 2010: 339). Zwischen Kalkulation und Berechnung Laut Auswertungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) lassen sich die entsprechenden Verbriefungsbestände für das 1. Quartal 2011 in Spanien auf 301 Mrd. Euro beziffern (Erber 2011: 6). Davon entfielen 188,7 Mrd. Euro auf die Produktpalette der sogenannten „Residential Mortgage Backed Securities“ (RMBS), d. h. auf jene handelbaren Verbriefungen, die grundpfandrechtlich durch Wohnimmobilien besichert waren (ebd.: 10), sowie 2,1 Mrd. auf genuin spanische „Colletarilized Debt Obligations“ (CDOs), zu denen etwa auch die zuvor von Alvaro erwähnten Zinsversicherungen von Hypothekendarlehen zählen. 188 Besonders bemerkenswert ist, dass spanische Finanzdienstleister zwischen 2008 und 2010, d. h. nach Beginn der Krise, nicht weniger, sondern mehr hypothekenbesicherte Wertpapiere auf den Markt brachten als in den Jahren davor (vgl. Carbó-Valverde/Marqués-Ibáñez/RodríguezFernández 2011: 24). Auch hier deckt sich der zahlenmäßig belegte Umstand mit dem subjektiven Empfinden in meinem Feld. Auf den Unterstützertreffen der PAH in Murcia etwa wurde immer wieder verärgert darüber berichtet, dass Banken den Betroffenen selbst dann noch etwas hätten verkaufen wollen, als den verantwortlichen Personen der Finanzinstitute bereits klar gewesen sei, dass „die Blase platzt“ (FT 13.05.2014). Aber nicht nur, dass ökonomische Akteure die Kommodifizierung der Schulden weiter vorantrieben als die Krise bereits nicht 188 Die Rede vom „globalen Markt“ ist in diesem Zusammenhang keine Metapher. Zusätzlich zu den zuvor erwähnten Summen, die zusammen in etwa so hoch waren wie die Hilfen, die der spanische Staat dem eigenen Bankensektor bis 2016 gewährte, existierte außerdem ein „gesamteuropäischer Graubereich“ an CDOs im Wert von weiteren 231,6 Mrd. Euro. Dort spielten Schuldverschreibungen spanischen Ursprungs ebenfalls eine gewichtige Rolle. Allerdings ist die Schätzung der nationalen Anteile für diesen Posten nur bedingt möglich, da sich ein Großteil der entsprechenden Finanzprodukte eben aus einem innereuropäischen oder gar internationalen Pool diverser Verbindlichkeiten zusammensetzt. Legt man z. B. den Anteil Spaniens am gesamten europäischen Verbriefungsmarkt zugrunde, der im angeführten Quartal bei 14,5 % lag, ließe sich der entsprechende nationale Anteil an den gesamteuropäischen CDOs mit weiteren 33,5 Mrd. Euro beziffern (vgl. Erber 2011: 6). 200 | Zwischen den Menschen – das Medium mehr zu negieren war, sie verkauften auch von Anfang an Kredite, die überhaupt nicht erwünscht waren oder benötigt wurden. Erneut sei auf die ethnographische Arbeit von Alberto Corsín Jiménez verwiesen bzw. auf den darin vorkommenden Protagonisten Antonio. Dessen Bank hatte dem freischaffenden Schriftsteller zwar eine vollständige Finanzierung seiner Wunschimmobilie in Aussicht gestellt, allerdings musste dieser sich das „Angebot“ mit einer zusätzlichen Schuldenaufnahme letztlich selbst erkaufen: „For a couple of days, the bank’s branch director had ‘gently’ suggested Antonio that their request for a full 100% mortgage might be eased if they ‘expressed indications of their fidelity’ to the bank, such as by further contracting a variety of financial products, including a house and life insurance and a couple of credit cards.” (2017: 501) An dieser Stelle einmal mehr auf die Empörung der Betroffenen zu verweisen, die das Gefühl hatten, von den Banken „behutsam“ manipuliert worden zu sein, hat nicht das Ziel, diejenigen Menschen gänzlich von ihrer Verantwortung freizusprechen, die einen Kredit aufnahmen, obwohl ihre privaten Situationen oder die Konditionen der entsprechenden Verträge offensichtlich gegen eine solche Aufnahme gesprochen hatten (vgl. Hill 2010: 336). Abgesehen davon, dass – wie bereits gezeigt – ein Großteil dieser Menschen sich durchaus selbst in der Verantwortung sah und entsprechend schuldig fühlte, geht es hier um etwas Anderes: um das Nachzeichnen eines Perspektivwechsels, der sich in Spanien sukzessive vollzog und so neue Sichtbarkeiten ermöglichte. Momente, in denen z. B. Betroffene das berechnende Verhalten ihrer Kundenberater wütend verurteilten, repräsentieren Stationen in einem politischen Bewusstwerdungsprozess, in dessen Verlauf den Menschen vor Ort deutlich wurde, dass sie Objekte in einer für sie unsichtbaren Handlungsdomäne gewesen waren: einem globalen „Raum der Ströme“ (vgl. Castells 2003: 466–484), den sie zwar nicht als solchen bezeichneten, dessen Auswirkungen sie aber nichtsdestotrotz plötzlich und mit aller Wucht in ihrem gelebten Alltag wahrnahmen. Bewusst wurde ihnen diese Fremdbestimmung immer dann, wenn ihre Bank (oder der Staat) Sichtbarkeit selektiv aktivierte und ihnen – meist in der Form eines Briefes – die eigene Ohnmacht entsprechend vor Augen führte, sei es durch eine „Mahnung“ aufgrund versäumter Ratenzahlungen, über einen „Hinweis“ zur Aktualisierung der Tilgungsraten in Folge „regulärer“ Zinsanpassungen oder per „Bescheid“, der sie über ihre anstehende Zwangsräumung informierte. Aus dem Schatten der Krise | 201 Virtuelle Finanzströme Indem in meinem Feld jener „Horizont eines vernetzten, a-historischen Raumes“ immer wieder aufblitzte, der „seine Logik den verstreuten, segmentierten Orten“ in ganz Spanien aufgezwungen hatte, wurde die Organisation kollektiven Widerstandes überhaupt erst denkbar (Castells 2003: 484). Über die gemeinsam gefühlten Momente der Empörung, z. B. in der Umdeutung von Schuld oder im Erfahren von Solidarität während eines Unterstützertreffens der PAH, formierte sich nicht nur ein politisches „Wir“, durch die Artikulation dieser Empörung wurden auch die Konturen eines zu bekämpfenden „Gegenübers“ sichtbar, dessen Logik man sich nicht mehr länger fügen wollte. Julio etwa erwähnte die entsprechende Logik bereits während meiner ersten Woche im Feld, als er im Rahmen seines kapitalismuskritischen Vortrags in einer Schulklasse für nachhaltiges Unternehmertum warb und in diesem Zusammenhang das „Profitdenken“ der Banken verantwortlich für die Krise machte (FT 20.3.2013). Auch wenn ein solches Denken keineswegs nur auf die klassischen ökonomischen Akteure beschränkt blieb, so enthält der Hinweis des Aktivisten dennoch eine wesentliche Einsicht: Erst die Anbindung des nationalen Immobilienmarktes an das ökonomische Verwertungsmuster der internationalen Finanzströme, d. h. an deren Logik der Vermarktung, hatte die Transformation von Wohnraum in ein Spekulationsobjekt ermöglicht. Verantwortlich dafür, dass Menschen in Spanien ihre Häuser und Wohnungen verlassen mussten, obwohl Gebäude im ganzen Land leer standen, war ein im wörtlichen Sinne „berechnendes“ Denken, das sich empirisch im Umfeld einer spezifischen Kapitalsorte manifestiert hatte: dem Finanzkapital (Castells 2003: 530): „[Dessen] Kapitalakkumulation erfolgt zunehmend auf den globalen Finanzmärkten und wird von Netzwerken im zeitlosen Raum der Finanzströme ins Werk gesetzt, und genauso wird auch ihre Wertschöpfung angetrieben. Von diesem Netzwerk aus wird Kapital global in die unterschiedlichsten Sektoren investiert.” (ebd.) „Global“ meint hier einmal mehr keineswegs, dass die Logik dieser Kapitalsorte de facto auf der gesamten Welt wirkt oder sich im Sinne einer teleologischen Geschichtsauffassung unweigerlich selbst entfaltet, sondern dass das universale Prinzip des Binärcodes, das auf den vernetzten Computern der Finanzmarktakteure operiert, potenziell überall und jederzeit anwendbar ist. Dieses technologisch bedingte, universale Potenzial dürfte eine der wesentlichen kulturtechnischen Voraussetzungen für dessen globale Dominanz sein, auf die Manuel Castells 202 | Zwischen den Menschen – das Medium in seiner Arbeit immer wieder hinweist. Abgesehen davon, dass der spanische Soziologe neben der „Informationsindustrie“ und dem „Mediengeschäft“ explizit „Immobilien“ als Beispiele für jene Sektoren anführt, die zunehmend von der finanzkapitalistischen Verwertungslogik durchdrungen werden (ebd.), erscheint es im Kontext des eigenen Forschungsschwerpunktes als besonders relevant, dass seine Ausführungen zur Netzwerkgesellschaft erneut nicht nur die Transformation des Raumes, sondern auch die der Zeit thematisieren. Durchaus im Einklang zu den bisherigen Ergebnissen dieser Arbeit (vgl. Kapitel 4) identifiziert er die digitalen „Informationstechnologien in Lichtgeschwindigkeit“ (ebd.: 528) dabei explizit nicht nur als neutrale Medien der Vermittlung, welche die von ihm beschriebenen Netzwerke des Finanzkapitals in einem bloß technischen Sinne erzeugen helfen, sondern als wirkmächtige Taktgeber, die den angeschlossenen Räumen eine besondere Dynamik verleihen (ebd.: 521– 566; vgl. auch Lefebvre 2010: 27–37; Appadurai 2005: 34f.; French/Thrift 2002). 189 Technologie und Ideologie In der Tat stand die Digitalisierung nicht nur im Zentrum der von mir beobachten politischen Entwicklungen, sondern sie prägte als „Metaprozess“ (vgl. Krotz 2007) auch jene ökonomische Dynamik, welche die sozialen Verwerfungen zunächst produzieren half, auf die die Aktivisten und Aktivistinnen in Murcia anschließend reagierten. Von der beliebigen Programmierbarkeit neuer Finanzprodukte, wie z. B. die gepoolte Verbriefung von Hypotheken, über die enorme Menge an kalkulationsrelevanten Informationen, die auf den entsprechenden Märkten benötigt und verarbeitet wurden, bis hin zum Datenbank-basierten Einteilen, Zuordnen und Ausschließen von Schulden und Schuldnern in Klassen, welches Ratingagenturen unter Zuhilfenahme von Algorithmen und mathematischen Modellen durchführten (vgl. Kapitel 2) – 189 Ähnlich wie die Aktivisten und Aktivistinnen in meinem Feld klagten im Kontext der Hypothekenkrise ironischerweise auch Investmentbanker über eine Art „information overload“. Allerdings machten sie nicht die sozialen Medien oder Mailinglisten für das enorme Datenvolumen verantwortlich, das täglich auf ihren Bildschirmen aufflackerte, sondern die Mengen an komplexen Verbriefungen, die auf „ihrem“ Markt gehandelt wurden (vgl. Hill 2010: 341–343). Analog zu Kapitel 4 ist anzunehmen, dass die Ursache hierfür letztlich in der Taktung ihres Feldes liegt, d. h. in der spezifischen „pace“, welche die Digitalisierung dem Hochfrequenzhandel vorgibt. Der Finanzwissenschaftler Jakob Arnoldi zeigt anhand dreier Fallstudien, welche Geschwindigkeiten gemeint sind, wenn man in diesem Zusammenhang von „high frequency“ spricht (2015: 37–46). In 2 von 3 Fällen, die er untersuchte, wurden automatisch hunderte Handelsaktivitäten in „maximal 19 hundertstel Sekunden“ getätigt (ebd.: 37). Es würde an dieser Stelle zu weit führen, im Detail zu skizzieren, wie tiefgreifend die Digitalisierung im Allgemeinen sowie der Hochfrequenzhandel und das „algorithmic trading“ im Speziellen sowohl die Praxis als auch die Organisation des Finanzhandels umgestaltet haben (vgl. Wansleben 2012). Nur so viel: Schätzungen nach können 50-70 % der Tauschgeschäfte an US-amerikanischen sowie 30-50 % an europäischen Börsen als Hochfrequenzhandel bezeichnet werden (vgl. Arnoldi 2015: 36). Ein beträchtlicher Teil davon wiederum findet in algorithmisierter und damit oftmals automatisierter Form statt (vgl. Lenglet 2011). Aus dem Schatten der Krise | 203 ohne digitale Technologien wäre die Kommodifizierung von Schulden so undenkbar gewesen. 190 Der Widerstand in meinem Feld richtete sich allerdings weder gegen den Prozess der Digitalisierung des Finanzmarktes noch gegen die Virtualisierung des Geldes per se, sondern gegen die entsprechende Ideologie, die mit dieser Transformation einherging (vgl. Graeber 2011: 361–392). Nicht die Dematerialisierung der Euro- oder Dollarscheine „into blips of electronic information“ (ebd.: 17f.) war für die Aktivisten und Aktivistinnen das Problem, sondern die Tatsache, dass im Zuge dieser Entwicklung die „neoliberale“ Logik der Vermarktung in ihren Alltag eingedrungen war (vgl. ebd.: 376f.; auch Davies 2014: 314–317; Aalbers 2008: 149f.). Die Digitalisierung, so ließe sich das Gesagte zusammenfassen, war zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die hier skizzierte Ökonomisierung von Wohnraum. Neben der Deregulierung der entsprechenden (digitalen) Märkte und der Entwicklung neuer (digitaler) Technologien benötigte es auch eine finanzkapitalistische Durchdringung der Menschen selbst, d. h. „not just homes but also homeowners” mussten als „financially exploitable” konzipiert werden (Aalbers 2008: 152). 191 Letzteres beschreibt eine Form der Finanzialisierung, die das Ziel hat, nicht nur den Alltag, sondern eben auch den Alltagsverstand gemäß einer entsprechenden Verwertungslogik zu formen. Sie stellt einen wesentlichen ideologischen Baustein innerhalb einer umfassenderen Entwicklung dar, die als „democratization of finance“ bezeichnet wird (Graeber 2011: 388). Damit ist im Kontext dieser Arbeit nicht etwa gemeint, dass die spanische Politik in den Jahren vor der Krise einen Versuch unternommen hätte, die in Murcia ansässigen Finanzinstitutionen und deren Geschäftspraxen durch demokratische Mechanismen entsprechend zu kontrollieren. Im Gegenteil: Es waren vielmehr die Banken, die versucht hatten, den Demos, d. h. so viele Murcianer und Murcianerinnen wie möglich, dazu 190 Auch wenn es in dieser Arbeit in erster Linie um das politische Ermächtigungspotenzial digitaler Technologien geht, kann deren disruptives Potenzial im ökonomischen Bereich nicht gänzlich unerwähnt bleiben (vgl. Dell'Ariccia/Igan/Laeven 2011; MacKenzie 2011), noch dazu, wenn die Auswirkungen der Digitalisierung des Finanzmarktes in letzter Konsequenz bis nach Murcia reichten. Über die Rolle der drei großen Ratingagenturen z. B. lässt sich konstatieren, dass Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings nicht nur mitverantwortlich für die Legitimierung virtueller Finanzprodukte waren (vgl. Reiss 2011: 195f.), sondern dass sich ihre zur Bewertung dieser Produkte verwendeten „computer-based risk modells“ schlicht als „technological failures“ erwiesen (vgl. Gerding 2011: 296f.; vgl. auch Dowd 2009: 145–149). 191 Einen Einblick über das Ausmaß der Deregulierung bzw. der von Anfang an fehlenden Regulierung jener Märkte, auf denen die neuen Finanzprodukte in der Folge gehandelt wurden, geben die Aussagen, die der US-Rechtwissenschaftler Michael Greenberger als geladener Experte vor der „Financial Crisis Inquiry Commission“ gab. Die Kommission wurde vom amerikanischen Kongress eingesetzt und sollte aufklären, welche Rolle Kreditderivate bei der Verursachung der Hypothekenkrise in den USA gespielt hatten (vgl. 2010: 1–10; auch Beale 2013: 359–365). 204 | Zwischen den Menschen – das Medium zu bringen, sich selbst als Kapitalanleger oder Investorinnen zu verstehen – „encouraged to buy a piece of capitalism“ (vgl. Graeber 2011: 376; auch Corsín Jiménez 2017: 5–9). 192 Für die Kommodifizierung der Schulden brauchte es also nicht nur einen neuen Markt in einem technischen Sinne, sondern auch neue Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die anfingen, den dort handelbaren Gegenstand gemäß der entsprechenden Logik neu zu denken: „to see acquiring a house not just as a home, as a place to live, but as an investment, as something to put equity into and take equity from“ (Aalbers 2008: 152). Kapitalextraktion In der Tat wurde „Kaufen, Bauen, Investieren!“ in Spanien zwischen 1996 und 2006 zum Imperativ der Dekade (vgl. Burriel de Orueta 2008), dem Menschen häufig sogar dann folgten, wenn sie selbst überhaupt keine nennenswerten Kapitalmengen besaßen (vgl. Martin 2002: 12). 193 Auf eben diese Gier im Kleinen wie im Großen, welche die Akteure der Finanzwirtschaft in den Jahren vor der Krise angefacht hatten, bezog sich auch der Blogger Marko Ramius in seiner zuvor zitierten Veröffentlichung. In der Retrospektive bezeichnete er die damals ausufernde Kreditvergabe darin wörtlich als „los años de bonanza“: als Jahre des wilden Wohlstands, in denen jede/r glaubte, an der Ausbeutung einer Goldader teilhaben zu können. Diesen Irrglauben, so seine Schlussfolgerung mit Blick auf die Zwangsräumung der Wohnung von Antonio und Loli, würden „nun ausschließlich die Schwächsten“ bezahlen. 194 Für die Angemessenheit seiner Analyse spricht ein weiterer Eintrag aus meinem Feldtagebuch. Gemeinsam mit Uriel hatte ich mich auf den Weg zu einer organisierten Umzugshilfe gemacht. Auch solche Aktionen, bei denen die Aktivisten und Aktivistinnen bei den Betroffenen selbst mitanpackten, waren Teil der alltäglichen Arbeit der PAH. Im konkreten Fall ging es darum, Mía bei deren Umzug unter die Arme zu greifen, nachdem man ihr zuvor bereits dabei geholfen 192 Autoren sprechen in dem Zusammenhang auch von der „Finanzialisierung des Alltagslebens“ (Martin 2002). 193 Verlässliche Zahlen hierzu sind nur schwerlich zu bekommen. Wie spanische Finanzwissenschaftler zeigen, liegt dies allerdings in der Natur der Sache, d. h. in der Intransparenz der Finanzprodukte sowie einer ihr korrespondierenden Kreditvergabepraxis, bei der Banken schlicht auf die Klassifikation ihrer „underlying assets” verzichteten, aus der man im Nachhinein Rückschlüsse über die ursprüngliche Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner hätte ziehen können (vgl. Otero González et al. 2015: 6301). Die Autoren selbst entwickeln ein Modell, das eine Einschätzung des Anteils an „subprime securitizations“ möglich macht, d. h. für jene Verbriefungen, die sich Bankkunden mit eingeschränkter Bonität zuordnen lassen. In der Folge kommen auch die Finanzwissenschaftler zu dem Schluss, dass es in Spanien in den Jahren vor der Krise zu einer „relaxation of lending standards“ gekommen sei (ebd.: 6315; vgl. auch Carbó-Valverde/Marqués-Ibáñez/Rodríguez-Fernández 2011: 5). 194 Vgl.: https://web.archive.org/web/20140602024714/https://diariodemarkoramius.wordpress.com/2014/05/07/gracias-pah/ (Stand 9.11.2018). Aus dem Schatten der Krise | 205 hatte, eine Sozialwohnung zu erhalten. Als wir am frühen Morgen bei der alleinerziehenden Mutter ankamen, deutete allerdings nichts auf den unmittelbar bevorstehenden Umzug hin – nicht die einzige Überraschung, wie sich herausstellen sollte: Keine gepackten Kisten. Alle Schubladen und Schränke voll und verschlossen. Uriel schaut mich verdutzt an: „Da ist ja überhaupt nichts vorbereitet. Wie soll das denn funktionieren?“ Als er eine der Zimmertüren öffnen will, winkt ihm Germán wild zu. „Nein, die schlafen noch. Die wissen von nichts“, flüstert er. „Wer weiß von nichts?“ entgegnet ihm Uriel in Zimmerlautstärke sichtlich überrascht. Dann erklärt uns Germán die Situation: Mía habe einem ecuadorianischen Ehepaar, das zuvor auf der Straße lebte, vor ein paar Tagen erlaubt, bei ihr zu wohnen. Und die beiden würden jetzt eben noch schlafen. „Und die wissen nicht, dass Mía heute aus der Wohnung muss?“, frage auch ich ungläubig nach. Ich wusste, dass Mía „ein schwieriger Fall“ war, wie es Raquel mir gegenüber im Vorfeld der Aktion ausgedrückt hatte. Wiederholt wurde sie von einer der Psychologinnen der PAH betreut. Aber damit hatte ich definitiv nicht gerechnet. Und nicht nur ich. Über ihre schlafenden Mitbewohner herrscht allgemein Verwunderung. Die Runde der ca. 15 Umzugshelfenden bespricht sich kurz und beschließt dann, auf der Straße zu warten, bis Mía dem Ehepaar die Situation erklärt hat. Draußen bemerke ich, dass Manuel sichtlich verärgert ist. Allerdings regt er sich nicht etwa darüber auf, dass der Umzug völlig unvorbereitet ist. Seine Wut gilt den spanischen Banken. „Wie kann es sein“, platzt es aus ihm heraus, „dass man jemanden wie Mía in so eine Situation bringt? Sie hat keine Einkünfte, ist seit Jahren arbeitslos und braucht psychologische Hilfe. Warum hat man der einen Kredit gegeben?” (FT 14.05.2014) Angesichts solcher Erfahrungen fällt es schwer, das Kreditvergabemodell, das hinter der Finanzialisierung von Mensch und Wohnraum stand, nicht als Form des „predatory lending“ zu interpretieren (vgl. Reiss 2011; Aalbers 2008: 158–160). Mit Blick auf die Hypothekenkrise in den USA beschreibt David Graeber diese Vergabepraxis als ein Modell, das den Zahlungsausfall von vereinbarten Zins- und Tilgungsraten nicht nur in Kauf nahm, sondern in großem Stil bewusst vorantrieb – wohlkalkulierend, dass der Staat am Ende einspringen würde: „[It] consisted of operations like selling poor families mortgages crafted in such a way as to make eventual default inevitable; taking bets on how long it would take the holders to default; packaging mortgage and bet together and selling them to institutional investors (representing, perhaps, the mortgage-holders' retirement accounts) claiming that it would make money no matter what happened, and allow said investors to pass such packages around as if they were money; turning over responsibility for paying off the bet to a giant insurance conglomerate that, were it to sink beneath the weight of its resultant debt (which certainly would happen), would then have to be bailed out by taxpayers (as such conglomerates were indeed bailed out).” (2011: 15f.) 206 | Zwischen den Menschen – das Medium Auch in Murcia war die Kreditvergabe durch die Finanzinstitute von Anfang überhaupt nicht darauf ausgelegt, Wohneigentum zu demokratisieren, d. h. Menschen wie Mía, denen dies zuvor nicht möglich gewesen war, dabei zu helfen, ein „Heim“ für sich zu erbauen (vgl. Aalbers 2008: 160). Das versprochene Investment blieb ebenfalls aus. Mehr noch: Statt wie von vielen erhofft, allgemeinen Wohlstand zu generieren, indem es das Kapital der neuen Immobilienbesitzenden vermehren half, sorgte das neuartige Finanzierungsmodell der Banken für das genaue Gegenteil: „[It] led to the extraction of capital from homeowners to financial investors“ (ebd.: 152). 195 Der Hauptgrund dafür, dass diese Kapitalextraktion in Spanien besonders drastisch vollzogen werden konnte, liegt in einem Detail des dort wirksamen Rechtssystems. Es existiert eine besonders strikte Form der Privatinsolvenz, die – vereinfacht gesprochen – weniger auf den Schutz der Schuldner ausgelegt ist und dabei die Ansprüche der Gläubiger in einem viel stärkeren Maß berücksichtigt wie etwa in Deutschland. Die entsprechende Rechtsprechung spanischer Gerichte führte bis weit in meine Feldforschungen hinein vielfach zu der absurden Situation, dass ein Darlehensnehmer seine Verpflichtungen aus einem Hypothekenvertrag weiter bedienen musste, obwohl er die Immobilie überhaupt nicht mehr besaß, auf deren Finanzierung sich seine Zins- und Tilgungsraten ursprünglich bezogen hatten. Von der Hypothekenkrise Betroffene wie Alvaro, Gustavo, Antonio und Loli zahlten also ihre Kredite in der Regel selbst dann noch ab, wenn sie bereits aus ihrem Wohnraum geklagt worden waren. Wie mir auf den Unterstützertreffen der PAH unzählige Male berichtet wurde, entfaltete sich das entsprechende Kalkül der Banken, das der Kapitalextraktion in Spanien zugrunde lag, im Detail wie folgt: In Zeiten rapide zunehmender Arbeitslosigkeit blieb es keine Seltenheit, dass ein privater Schuldner zwar verzweifelt, aber doch vergeblich darum kämpfte, die Raten für seinen Kredit irgendwie zu bedienen. Sobald dieser Kreditnehmer dann seinen Verpflichtungen dreimalig 195 Die Tatsache, dass die spanischen Banken im Verlauf der Krise anfingen, die Verluste aus den von ihnen gehandelten Verbriefungen von Hypotheken in ihren Bilanzen zu belassen, spricht dafür, dass auch diese Finanzinstitute bewusst auf die staatliche Hilfe durch Steuermittel spekulierten. Dazu passt folgender Strategiewechsel: Um zu gewährleisten, dass sie im Falle einer Hilfe weiterhin einen Rechtsanspruch auf die entsprechenden Immobilien hatten, gingen sie ab einem bestimmten Punkt dazu über, sogenannte synthetische CDOs auf den Markt zu bringen. Hierbei handelte es sich um ein Finanzprodukt, bei dem zwar weiterhin die Verbindlichkeiten gehandelt wurden (Zins und Tilgung), welches das Grundpfandrecht auf den Wohnraum aber nicht an die Investoren übertrug, sondern bei den Banken beließ (vgl. Jortzik 2006: 13–23). Als der spanische Staat in der Folge tatsächlich die Verbindlichkeiten der Banken ausgleichen half, wurden diese so nicht nur auf einen Schlag teilweise ihre Schulden los, sondern hatten außerdem sichergestellt, dass sie weiterhin im Besitz der Immobilien waren (vgl. Carbo Valverde/Marques Ibanez/Rodriguez Fernandez 2011: 24). Aus dem Schatten der Krise | 207 nicht nachkam, leitete die Bank umgehend ein sogenanntes „juicio de desahucio“ ein. Dabei handelte es sich um ein Zwangsräumungsverfahren, an dessen Ende die Gerichte häufig den Wohnraum an den ursprünglichen Kreditgeber überschrieben – an die Bank. Hatte das entsprechende Finanzinstitut ihrem Kunden zuvor glauben gemacht, dass dieser im schlimmsten Fall immer noch das eigene Haus oder die Wohnung verkaufen könne, um sich seiner Schulden zu entledigen, setzte das Implodieren der Wachstumsmaschine eine fatale Dynamik in Gang, die auch dieses Versprechen ad absurdum führte. Aufgrund der Volatilität des entsprechenden Marktes brach der Wert der Immobilien ein, so dass die Bank sich genötigt fühlte, eine entsprechende Neubewertung des von ihr finanzierten Wohnraumes durchzuführen. Hatte sie seine Wohnung vor der Krise z. B. noch mit 200.000 Euro bewertet, war dieselbe Immobilie in der Folge oftmals nur noch die Hälfte wert. Zeitgleich schlug die ursprüngliche Schuldenlast bei dem Kreditnehmer aber weiterhin in vollem Umfang zu Buche. Selbst wenn es im Verlauf einer „juicio de desahucio“ also zu einer Zwangsversteigerung der Immobilie kam, blieb er auf Restschulden sitzen, die um ein vielfaches höher war, als es ihm die Bank zuvor für den schlimmsten aller Fälle prognostiziert hatte. Kamen vermeintliche Kreditausfallversicherungen wie die von Fran erwähnten „swaps“ dazu, konnte die Summe der verbleibenden Schulden sogar nochmals höher ausfallen. Trotz Zwangsräumung mussten solche Verbindlichkeiten – darauf pochte die Bank – weiterhin bedient werden. Im Sinne der finanzkapitalistischen Logik war ihre Forderung nur konsequent, denn sie hatte ihr Recht auf Zins und Tilgung in der Zwischenzeit durch den Verkauf einer „securitization“ an neue Gläubiger verbrieft, d. h. sie stand selbst in der Schuld bei ihren Kapitalgebern. Diese Forderungen bestanden, waren quantifiziert, wurden auf einem globalen Markt gehandelt und hatten einen legalen Charakter – auf welcher Grundlage hätte jemand die Menschen in Murcia von ihrer privaten Schuldenlast befreien sollen? Lokale Abkopplung, globaler Anschluss – Wohnraum als „justiziabler Wert“ Alle im vorherigen Abschnitt beschriebenen Akteure sind Objekte innerhalb einer ökonomischen Verwertungslogik, die jedem verbindlich das seine zugewiesen hat: Die Banken bekamen die Häuser und Wohnungen, die man ihnen (vertraglich) als Sicherheit hinterlegt hatte. Die Investoren erhielten die Rendite aus Zins und Tilgung, die man ihnen (vertraglich) beim Erwerb der Verbriefungen zugesagt hatte. Die ehemaligen Hausbesitzenden behielten ihre Verbindlichkeiten, zu denen sie sich (vertraglich) verpflichtet hatten. Bevor im nächsten 208 | Zwischen den Menschen – das Medium Kapitel gezeigt wird, wie sich gegen diesen scheinbar alternativlosen Zusammenhang in Spanien erfolgreich Widerstand formierte, soll abschließend nochmals auf die am Kapitelanfang weitgehend intuitive Konzeptualisierung von Wohnraum als „justiziabler Wert” eingegangen werden. Daraus ergibt sich nicht nur die Quintessenz dieses Kapitels, sondern es wird auch ersichtlich, gegen welche sozialen Akteure sich der politische Protest in meinem Feld richtete. Das Konzept „justiziabler Wert” verweist auf eine spezifische und umfassende Verschränkung von Markt und Staat, welche den Raum, in dem die Menschen in Spanien ihren Alltag verbrachten, wahrnehmbar transformierte. Nicht nur die Aktivisten und Aktivistinnen in meinem Feld teilten das Gefühl, dass solche Transformationen zu ihrem Nachteil verliefen. Beispielhaft hierfür steht der im Rahmen des gegenwärtigen Kapitels skizzierte Prozess, durch den der globale Finanzkapitalmarkt den Sektor des „local housing” in ein „electronic instrument” umgewandelt hatte (vgl. Sassen 2012). Das Besondere dieses Prozesses: Durch ein neu geschaffenes, virtuelles Marktsegment wurde das Investment in Immobilien im Sinne eines „capital switching“ von einem konkreten Ort „entkoppelt“ (vgl. Gotham 2006). 196 Damit ist nicht gesagt, dass die neuen finanztechnologischen Instrumente, die im Rahmen der entsprechenden Verwertung zum Einsatz kamen, keine materiellen Effekte vor Ort produzierten. Ganz im Gegenteil: Zwischen 1996 und 2006 wurden in Spanien 5 636 231 neue Wohneinheiten geschaffen und dabei insgesamt 140 906 Hektar Land bebaut. Während sich die „Wohneinheiten pro 1000 Einwohner“ in diesem Zeitraum landesweit mehr als verdoppelten, lag Murcia einmal mehr weit über dem Trend. In der Region vervierfachte sich die Zahl der Häuser und Wohnungen gar. In absoluten Zahlen gemessen entstanden dort 244 542 neue Wohneinheiten auf einer Gesamtfläche von 6114 Hektar (vgl. Burriel de Orueta 2008: 21). Der Handel mit Verbriefungen transformierte den Raum somit definitiv auch im physischen Sinne. „Abkoppeln“ meint in diesem Zusammenhang also nicht, dass der Anschluss an den globalen 196 „Capital switching“ beschreibt einen Prozess, durch den überakkumuliertes Kapital eine räumliche und zeitliche Verschiebung erfährt und in einen neuen Kreislauf eintritt, um z. B. höhere Gewinnmargen zu erzielen oder einen drohenden Wertverlust zu verhindern (vgl. Harvey 1985). Der Begriff des „Kapitalkreislaufs“ geht auf Henri Lefebvre zurück (1972). Im Hinblick auf den „sekundären Hypothekenmarkt“ spricht Manuel Aalbers von einer Kapitalverschiebung in einen „quarternary circuit“ (Aalbers 2008: 149). Damit meint er die Entstehung einer neuen Art von Akkumulationsmuster: „the rise of financial markets for their own good; that is, the rise of financial markets not for the facilitation of other markets but for the trade in money, credit, securities, etc.” (ebd.). An anderer Stelle beschreibt er diese Entwicklung auch als „financialization of finance“ (ebd.: 154). Folgt man seinem Argument, spiegelt der Markt für die in diesem Kapitel erwähnten Verbriefungen letztlich eine Tendenz des zeitgenössischen Kapitalismus wider: Gewinne sollen über genuin finanzwirtschaftliche Kanäle erzielt werden, statt im Rahmen von realwirtschaftlichen Dienstleistungen oder der Warenproduktion (vgl. Castells 2003: 532). Aus dem Schatten der Krise | 209 Raum virtueller Finanzströme das Bauen in Spanien nur simuliert hätte, sondern vielmehr dass dieses Bauen nun ein neues Ziel verfolgte, nach dem es schlicht völlig unerheblich war, wer wo in welchen Gebäuden lebte: Häuser und Wohnungen stellten nicht mehr vornehmlich ein „Heim“ dar, das von Menschen in Murcia, Alicante oder Cartagena bewohnt wurde, sondern eine nummerische Repräsentation, deren Wert sich maximieren ließ. Auch im Rahmen dieser ortsunabhängigen Investitionsstrategie bedeutete die Tatsache, dass in Spanien Wohnraum leer stand und weiter geräumt wurde, folglich ein Fehlen – allerdings nicht von Bewohnern, sondern von Rendite. Folgt man dieser finanzkapitalistischen Verwertungslogik, dann war dieser Leerstand rechtens. Diese Bezugnahme auf die Legalität des zuvor beschriebenen Akkumulationsmodells wiederum, die von Seiten der ökonomischen Akteure in Spanien stets erfolgte, verdeutlicht, dass es nicht der Markt alleine war, der dieses Modell aufrechterhielt. Letztlich garantierte es der Staat. Seine Institutionen waren es, die es einer Bank ermöglichten, konsequent folgendem Kalkül gemäß zu handeln: Schulden verbriefen, Kapital extrahieren, Immobilie akquirieren und am Ende die eigene Bilanz durch Steuermittel ausgleichen. Wohnraum als „justiziablen Wert” zu verstehen, beschreibt diesen Zusammenhang aus Recht und Ökonomie im Kontext eines globalisierten und digitalisierten Finanzmarktes, d. h. die Handelbarkeit von Wohnraum gemäß einem Denken, das einerseits nur die eigenen Regeln der Quantifizierung als Referenz akzeptiert, und das andererseits den moralischen Anspruch erhebt, dass diese abstrakten Regeln durch Rechtsprechung auch konkret durchgesetzt werden sollten – „they'd borrowed the money! Surely one has to pay one’s debts.” (Graeber 2011: 2; vgl. auch Binder 2018). Während der Begriff „Wert“ den Umstand beschreibt, dass der gebaute Raum in Spanien als ein Tauschwert im ökonomischen Sinne gedacht wurde, der entsprechend beziffert, umgerechnet und gehandelt werden konnte, soll das Adjektiv „justiziabel“ darauf verweisen, dass sowohl die virtuellen Werte (Darlehen, Zinsen, etc.) als auch der Besitz des physischen Gebäudes staatlich garantiert wurden. „Justiziabler Wert” betont somit explizit das Zusammenspiel aus Staat und Markt im von mir untersuchten Feld, statt – wie dies oftmals fälschlicherweise geschieht – beide Entitäten als einen Gegensatz zu konzipieren (vgl. Graeber 2011: 383). Empirisch war dieses Zusammenspiel ohnehin unübersehbar. Im Vorfeld der Krise und bis weit in selbige hinein wurde die finanzkapitalistische Logik der Verwertung von Wohnraum unter maßgeblicher Mithilfe staatlicher Akteure „vollzogen“: durch Richter, Gerichtsvollzieher und die Polizei. Aber nicht nur, dass sich der Staat dabei weitestgehend teilnahmslos in Bezug auf die menschlichen Tragödien zeigte, die diese Logik bzw. deren 210 | Zwischen den Menschen – das Medium Vollzug hervorbrachte (vgl. Durán Villa/Piñeira Mantiñán 2016: 82), die etablierten politischen Parteien verschärften die entsprechende Gesetzgebung sogar weiter, statt gängiges Recht zu ändern (vgl. Fields 2015). 197 Blick man aus der Perspektive dieser Arbeit auf die unmittelbaren Folgen der Kommodifizierung von Schulden, die im Zentrum der hier skizzierten Transformation von Wohnraum stand, lässt sich feststellen, dass dieser Prozess nicht nur monetäre Verpflichtungen in handelbare Einheiten aufgesplittet, sondern auch vereinzelte Individuen produziert hatte, die sich – vom Staat im Stich gelassen – zunächst moralisch schuldig und politisch ohnmächtig fühlten. Am Anfang ihrer Ohnmacht stand ein Brief der Bank. Am Ende kamen die „antidisturbios“. Dazwischen lagen nicht nur jene Momente der Empörung, wie sie in diesem Kapitel beschrieben wurden, sondern auch die Medien des Widerstands: Netz und Straße. 197 Die Humangeographin Desiree Fields verweist z. B. darauf, dass ab 2013 zunehmend auch der Mietmarkt in Spanien von der Logik des Finanzkapitalismus durchdrungen werden konnte. Diese Entwicklungen fasst sie wie folgt zusammen: „Legislative changes making it easier for landlords to evict tenants and allowing the transfer of officially protected housing to real estate investment funds have made Spain’s rental market more favorable to international investors” (2015: 19). Abstract Diese empirische Studie widmet sich der Frage, wie digitalisierte Kommunikation gemeinschaftsbildende Prozesse beeinflusst und die politische Kultur verändert. Von 2013 bis 2015 wurden hierfür in der südostspanischen Stadt Murcia protestierende Menschen aus dem Umfeld der Bewegung 15-M bei deren Bestreben beforscht, ihr demokratisches Zusammenleben unter Rückgriff auf digitale Technologien neu zu gestalten. Den historischen Kontext der Studie bilden die politischen Nachwirkungen der internationalen Finanzkrise von 2008 sowie eine parallel hierzu einsetzende, umfassende Digitalisierung des Alltags in Spanien. Aufbauend auf einer kulturwissenschaftlichen Konzeptionalisierung sozialer Mediennutzung wird gezeigt, durch welche kulturellen Prozesse sich die Logik des Digitalen im untersuchten Forschungsfeld entfaltet und wie sich spezifische Algorithmen, Bilder, Emotionalisierungen und Interfaces auf das menschliche Miteinander auswirken. Die „Big Data Science“ kritisierend werden dabei auch wesentliche forschungsethische und datenpraktische Probleme reflektiert, vor welche die Echtzeitregime und Partizipationsimperative sozialer Medien die Wissenschaften stellen. Im Zentrum der Ethnographie steht aber der politische Kampf einer transversalen Allianz von Aktivisten und Aktivistinnen. Im Detail wird nachgezeichnet, wie zahlreiche Individuen, Gruppierungen und Parteien in Spanien soziale Missstände populistisch thematisierten und gemeinsam Widerstände im Netz und auf der Straße organisierten, um sich gegen die Auswirkungen eines digitalisierten Finanzmarktkapitalismus zur Wehr zu setzen, der ihren lokalen Wohnraum zuvor in global handelbare Spekulationsobjekte transformiert hatte. Hier arbeitet die empirische Analyse einen wirkmächtigen Widerspruch heraus: Das inkludierende Gemeinschaftsideal, das die beforschten Akteure umzusetzen suchten, und die individualisierende Funktionslogik der Kommunikationstechnologie Facebook, die sie zu eben dieser Umsetzung bevorzugt nutzten, standen sich diametral entgegen. Das Egomedium Facebook erzeugte im untersuchten Sample fragmentierte, polarisierende Formen von Öffentlichkeit und muss als Amplifikator bestehender sozialer Beziehungen verstanden werden, der destruktive zwischenmenschliche Dynamiken potenzieren kann. Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 „Zwischen-den-Menschen“ – Leitmotiv und Fragestellung dieser Arbeit 2 Politische Transformationsprozesse 5 Technologische Transformationsprozesse 14 Kapitelübersicht 20 1. Murcia digital Texturen des Politischen 27 Bilder, Bilder, Bilder (Textur I) 28 Zur Dominanz eines Sinnes 29 Die Macht des Sichtbarmachens 31 Emotionalisierung durch Visualisierung 32 Die Materialität der Hypermobilität (Textur II) 34 In Bewegung 36 Auf Abruf 39 Zur Vermittlung 44 Interfaces (Textur III) 45 Gefangenengedichte und Grenztechnologien 47 „Interface“ als politisches Konzept 50 Vernetzung / Entgrenzung 56 2. Neue Medien für eine neue Demokratie? Technopolitik: Narrative in Theorie und Praxis 63 66 Technologieoptimismus – das Fallbeispiel Reddit 68 Technologiepessimismus und Alltag 70 Plädoyer für ein analytisches Verständnis von Technopolitik 71 Was ist Digitalisierung? 73 Eine kulturtechnische Annäherung an das Digitale 73 Kulturanthropologische Perspektivierungen: Kontext – Aneignung – Agency 77 Sechs Merkmale für ein Verständnis digitaler Kulturen 80 Was sind soziale Medien? 82 Eine junge Technologie im Wandel 83 Einige kulturtechnische Implikationen sozialer Medienpraxis 86 Zwischen „Freunden“ und ungebetenen Gästen – das Fallbeispiel Facebook 90 „A conundrum of visibility“ 98 3. Online/Offline Die Operationalisierung der Schnittstelle 103 Feldzugang und -dynamiken. Forschen als Prozess 106 Adaptionen. Die Konzeptualisierung des Digitalen 110 Zur Relevanz und Persistenz einer Metapher (Präzisierung I) 111 Begriffliche Schärfungen (Präzisierung II) 113 „Raum“ als kulturwissenschaftliche Analysekategorie 115 In Re-Kombination. Das Methodenreservoir dieser Arbeit 118 (Soziale) Medien als Archiv 119 Architekturen auslesen 120 Suchen, Teilnehmen, Folgen – Bildschirme im Alltag 121 Herzstück Forschungstagebuch 122 Praxisforschung revised 123 4. Reflexive Medienethnographie Zur Logik des Digitalen in Feld und Forschung Medientechnologien im Spiegel des Selbst 125 126 Dialogisches, offenes und reflektiertes Feldforschen 127 Positionierungen 129 Methodische, theoretische und ethische Herausforderungen 130 Die Krux mit der Information – Overload 131 Übertaktung? Das Zeitregime sozialer Medien 135 „Push technologies“ 135 Echtzeiten und Taktgeber 136 Das „Globale“ und die Produktion von Lokalität 140 Programmierte Partizipation – Gegenstrategien 141 Zwischen Nähe und Distanz 142 Die Angst vor der Abwesenheit (des Feldes) 143 Mitmachen! Zur Ideologie einer neuen Ökonomie 144 Out of the box. Transdisziplinarität und Grounded Theory 146 Black Boxes, Komplexität und Fachliteratur 146 „All is data—but not all data is relevant“ 150 Im Zentrum die Kernkategorie – „Sichtbarkeit“ 151 5. Forschungsethik im Kontext 157 Die Maßstäbe der Kulturanthropologie 159 Macht und Hypertext 161 Der „case-based approach“ dieser Arbeit 163 „Doing ethics“ – Bewertungskriterien 169 Über die Stärke ethnographischer Zugänge 173 6. Aus dem Schatten der Krise Finanzkapitalismus, Momente der Empörung und die Transformation von Wohnraum 175 „Dann bricht alles aus dir heraus…“ – über Gewalt 177 Exkurs: Das Management von Sichtbarkeit 182 Politiken der Ästhetik 182 Sichtbarkeitskomplexe 184 Sehbar – sichtbar – unsichtbar 185 Häuser ohne Menschen – Menschen ohne Häuser 186 Neu-Kadrierung! 187 Dimensionen einer Paradoxie 190 Die Kommodifizierung der Schulden 193 Die Logik der finanzkapitalistischen Verwertung 195 „An outside world that speaks a language you don’t understand…” 197 Zwischen Kalkulation und Berechnung 199 Virtuelle Finanzströme 201 Technologie und Ideologie 202 Kapitalextraktion 204 Lokale Abkopplung, globaler Anschluss – Wohnraum als „justiziabler Wert“ 207 7. Gegensichtbarkeit Körper – Bilder – Allianzen 211 Aktivismus als Herstellen einer „countervisuality“ 212 Präludium – von globalen Ursachen zum lokalen Widerstand 215 Die Zwangsräumung 216 Die Bilder der Zwangsräumung 218 Protestforschung 220 „Schau dir das an!“ (Projektionsflächen) 222 Geschichte 223 Farben 225 Strömungen 226 Kein Ort wie jeder andere (Raumaneignung) 228 Gegen Konservatismus und Klientelismus 228 Sich Öffentlichkeit nehmen 232 Für ein Recht auf Stadt 234 Die transversale Allianz von Murcia 239 8. „Constructing a people” Der Populismus von Podemos Identitätsfragmente – zur Verortung von „Löwen und Löwinnen“ 245 248 Republikanismus (Fragment I) 248 Regionalismus (Fragment II) 250 Feminismus (Fragment III) 251 Die Stiftung politischer Gemeinschaft 252 „Wir“ vs. „Sie“ 253 Sprache als Schlüssel 256 Akademie und Aktivismus 258 „Populismus“ zwischen Analysekategorie und politischer Praxis Eine postmarxistische und postoperaistische Diagnose 260 263 Podemos als sozialer Agent 265 Die Strukturprinzipien des Populismus nach Ernesto Laclau 268 Populistische Operationen 271 In der Tradition von 15-M 273 Symbolische Arbeit am Diskurs 276 Der Frame – gesetzt, aber nicht gelogen 280 Medien-Strategien 282 Ins Bewusstsein 283 Die Planung der Formation 286 Gegen den Egozentrismus? 289 9. Gemeinschaftsideale und Egomedien Der Kommunalwahlkampf 2015 Aufbruchsstimmung 293 296 Gemeinsam „ohne Siegel“ 296 Soziale Medien als Amplifikatoren 300 Der Einzug in die Institutionen – aber… 302 Eine Community in Scherben 304 Der Bruch meines Feldes 305 Basisargument vs. Pluralitätsargument 307 Kampf der Avatare 309 Die Öffentlichkeit von Facebook 312 Das Ego in Zentrum 313 Algorithmen und Nudges 318 Fragmentierung und Echokammern 325 Verantwortlichkeit 330 Fazit 333 Die Mobilisierung des Protests 335 Die neue Asynchronität des Symbolischen 339 Kulturtechnologieforschung 348 Literaturverzeichnis 353 Dr. Daniel Kunzelmann Training | Research | Digital Media Dr. Daniel Kunzelmann ist Kulturwissenschaftler und ausgebildeter Trainer für digitale Medien. Seit 2013 forscht und lehrt er zum Schwerpunkt «Digitalisierung im Alltag» an den Universitäten Basel und München (LMU). Im Rahmen einer bi-nationalen «Cotutelle de thèse« schloss er dort 2019 seine Dissertation zu neuen Medientechnologien und politischen Protestformen mit «summa cum laude« ab. Im selben Jahr absolvierte er eine Weiterbildung im Münchner TrainerInnenNetzwerk «Sprachraum». Gegenwärtig untersucht er mit einem anwendungsbasierten Forschungsprojekt an der Universität Basel die sich neu konstituierenden Arbeitsrhythmen im mobilen (Home-)Office. Ziel ist es, die Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten nicht nur in Schriftform wiederzugeben, sondern diese auch via Trainings in berufliche Praxisfelder zurückzuführen: als angewandte Formen einer kritischen Mediendidaktik des Digitalen. Kontakt: Dr. Daniel Kunzelmann Universität Basel, Seminar für Kulturwissenschaft Raum: 305 Postanschrift: Rheinsprung 9/11 4051 Basel Schweiz web * research * training fon: +41 (0) 61 207 13 48 fon: +49 (0) 177 89 79 281 mail: daniel.kunzelmann@unibas.ch