Hémecht
Hémecht 1/2017
28.04 – 15.10.2017
Josy Birsens
Die Bruderschaft der Trösterin der Betrübten in Luxemburg:
Entstehung und Entwicklung (1652-1795)
Heike Mauer und Thomas Kolnberger
Ausweisungspraxis und Moraldiskurs in Luxemburg.
Das Beispiel der Prostitution als Gefährdung öffentlicher
Ordnung und Sicherheit in den Akten der grossherzoglichen
Behörden (1880-1940)
Albert Schaack
L’ Abwehr et l’invasion allemande du Grand-Duché
de Luxembourg
Forschungsberichte / Rapports de recherche
Comptes rendus / Buchbesprechungen
Abstracts
Jg. 69
2017
Heft 1
Hemecht_01_2017_cover.indd 1
Revue d’Histoire luxembourgeoise
transnationale, locale, interdisciplinaire
Zeitschrift für Luxemburger Geschichte
transnational, lokal, interdisziplinär
10/03/17 13:18
Marc Thill /
Dan Schank
JOHANN
DER BLINDE
KARL IV.
DAS ZEITALTER
DER LUXEMBURGER
In Buch und DVD
untersuchen die
Autoren „Mythos
und Realität“ dieser
beiden herausragenden
Gestalten aus dem Hause
Luxemburg. So gerät
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ISBN 978-99959-2-007-4
24 €
Hémecht erscheint vierteljährlich
La revue paraît quatre fois par an
Der Abonnementspreis für das Jahr 2017
beträgt 45 €
Abonnement Studenten: 23 €
Preis der Nummer 1/2017: 20 €
Le prix de l’abonnement pour l’année 2017
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Abonnement étudiant: 23 €
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Saint-Paul-Gruppe Luxemburg
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Redaktion Hémecht
Maison des Sciences humaines
11, Porte des Sciences
L-4366 Esch-Belval
Email: hemecht@pt.lu
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© Editions Saint-Paul / Saint-Paul Luxembourg – 2017
ISSN 0018-0270
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ABSTRACTS
Josy Birsens SJ, Die Bruderschaft der Trösterin der Betrübten in Luxemburg:
Entstehung und Entwicklung (1652-1795) [The brotherhood of Our Lady of
Consolation in Luxembourg: formation and development (1652-1795)]
The register of the brotherhood of Our Lady of Consolation documents its demographic composition and evolution between 1652 and 1795. The recruitment was
ongoing for almost 150 years; after its initial popularity, recruitment fell to more
modest levels. The trend persisted until 1720, after which it picked up again until
1795. The women represented a significant proportion of the membership relative
to men and children. The members largely lived in the countryside and the towns of
the Duchy of Luxembourg, particularly the southern parishes (samples from 165255 and 1744-45), but a minority came from further away. The membership was
made up in a small part of nobility and clerics but the majority seemed to have been
composed of simple countryfolk. However, the deficiencies or incompleteness of
the register clearly prohibit more rigorous analysis.
Heike Mauer, Thomas Kolnberger, Ausweisungspraxis und Moraldiskurs
in Luxemburg. Das Beispiel Prostitution als Gefährdung öffentlicher Ordnung und Sicherheit in den Akten großherzoglicher Behörden (1880-1940)
[Practices of expulsion and moral discourse in Luxembourg. Prostitution as a
threat to public order and safety according to the records of the grand-ducal
administrative bodies (1880-1940)]
Disciplinary and regulatory governmental proceedings intersect, for instance when
disciplinary rules and judiciary norms operate on the basis of suspicion and therefore just happen to disenfranchise certain groups of people. The case study of
Luxembourg’s practice of expulsion before the Second World War offers insights
into the administration of ‘undesirable foreigners’ which was based on identifying
women who supposedly infringed bourgeois moral gender order. Women from
abroad of dubious reputation could become a double threat to bourgeois norms
and values. Based on extensive research on archival funds, this article seeks to shed
light on the intersecting quality of gendering foreigners and ethnicizing prostitutes
in a self-reinforcing bureaucratic procedure leading to deportation.
Albert Schaack, L’Abwehr et l’invasion allemande au Grand-Duché de
Luxembourg [The Abwehr and the German invasion in the Grand Duchy of
Luxembourg]
As part of the preparation for the attack against the Benelux Countries and France
on 10th May 1940, the German Wehrmacht had created a certain number of special
taskforces in order to prevent any destructions of infrastructure (tunnels, bridges,
dykes, telephone and electrical centers, etc.) that could have slowed the advance of
their troops. Several of these taskforces, all coming from Bau-und Lehr-Bataillon
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HISTOIRE GÉNÉRALE / ALLGEMEINE GESCHICHTE
Heike Mauer, Thomas Kolnberger
Ausweisungspraxis und Moraldiskurs
in Luxemburg
Das Beispiel Prostitution als Gefährdung öffentlicher Ordnung
und Sicherheit in den Akten großherzoglicher Behörden (1880-1940)
Einleitung
Die Ausweisungsdebatte hat gezeigt, daß die Regierung keinen willkürlichen Gebrauch von der Expulsions-Gewalt macht und daß der Betroffene Mittel genug
zur Verfügung hat, um die Gründe vorzubringen, die er gegebenenfalls zugunsten
der Rückgängigmachung des Ausweisungsbefehls geltend machen kann. […] Die
Expulsion ist keine Strafmaßnahme, sondern eine Verwaltungsmaßnahme. Sie beruht nicht unmittelbar auf strafbaren Handlungen des Betroffenen, sondern auf der
Pflicht der Staatsgewalt, die öffentliche Sicherheit und Moralität zu schützen. Es ist
deshalb eine Verirrung, bei Ausweisungen die hemmenden Formalitäten anwenden
zu wollen, die in Strafprozessen als Garantie für ordnungsgemäßes Verfahren zu
gelten haben.1
Im September 1920 wurde in der Luxemburger Abgeordnetenkammer über einen Gesetzesvorschlag diskutiert, der den Zuzug und Aufenthalt von ausländischen Personen im Großherzogtum weiter einschränken sollte. In der dazu vom
Luxemburger Wort veröffentlichten Presserundschau zur Parlamentsdebatte über
das Projet de loi destiné à endiguer l’affluence exagérée d’étrangers sur le territoire du Grand-Duché2 werden die entscheidenden Kriterien der herrschenden
Ausweisungspraxis hervorgehoben. Aufgrund fehlender Einspruchsrechte sowie
der Möglichkeit, eine Ausweisung bzw. Abschiebung auch ohne Vorliegen von
1
2
N. N., Kammer=Revue, in: Luxemburger Wort (für Wahrheit und Recht, Abend=Ausgabe) 41
(25.9.1920), S. 1.
Frei übersetzt: ‚Gesetzesentwurf zur Eindämmung des übermäßigen Ausländerandrangs ins
Luxemburger Hoheitsgebiet‘. Die Debatte fand vom 20. bis zum 24. September 1920 statt, vgl.: Compte
rendu des séances de la Chambre des Députés du Grand-Duché de Luxembourg (CDD) 1919-1920,
S. 4674-4729. Eine Minderheit, die sich um die sozialistischen Abgeordneten, darunter Marguerite
Thomas und René Blum, gruppierte, kritisierte – erfolglos – die Intransparenz der Ausweisung aufgrund
der formalrechtlich fehlenden Einspruchsmöglichkeiten. Vgl. Debatte in: CDD 1919-1920, S. 4698ff.
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Straftatbeständen und allein aufgrund von polizeilichen Ermittlungsergebnissen
aussprechen zu können, entfernte sich die Außerlandesschaffung zunehmend von
einem rechtsstaatlichen Verfahren. Die Praxis der Ausweisung – d. h. die einseitige
Beendigung des Aufenthalts von der Staatsseite her, die auch ein Wiedereinreiseverbot statuierte – entwickelte sich zu einer reinen Polizeimaßnahme. Seit 1880
institutionalisierte das Fremdenpolizeirecht die Ausweisung als einen Regierungsakt, und nicht mehr als einen königlich-großherzoglichen Beschluss.3 Das obige
Zitat aus dem Parlament von 1920 weist darauf hin, dass Staatsanwaltschaft und
Polizei als Verwaltungsbehörden die Beschlussfreiheit eingeräumt wurde, sogenannte ‚unwesentliche‘ Entscheidungen, also die Frage von Abschiebung oder Entzug der Aufenthaltserlaubnis, aufgrund der Aktenlage selbst zu treffen, und das als
letztinstanzlicher Entscheid ohne formale Revisionsmöglichkeit.
Diese Entwicklung betraf nicht Luxemburg allein, sondern stand in einem größeren
transnationalen Kontext. Fast zeitgleich brachte der bekannte, aus Trier stammende
Jurist und preußische Oberverwaltungsgerichtsrat Ernst Isay (1880-1943), ein Experte für Internationales und Öffentliches Recht, die Situation in der Weimarer Republik auf den Punkt: Im Recht der Ausweisung hat sich ein Stück Polizeistaat bis
auf den heutigen Tag erhalten.4 Auch beim anderen großen Nachbarn Luxemburgs,
Frankreich, war die Handhabung ‚unerwünschter Ausländer‘ (étrangers indésirables) nicht anders.5 Im Grunde blieben in Luxemburg, wie anderswo in Europa, bis zur
‚Revolutionierung‘ nationalisierter Staatszugehörigkeit im Rahmen des Prozesses
der „Europäischen Integration“ – Ende des 20., Anfang 21. Jahrhundert – solche
‚obrigkeitsstaatlichen‘ Maßnahmen die gültige Rechtspraxis. Mit den sogenannten
„Vier Freiheiten der EU“6 wurde dann lediglich ein neuer, erweiterter Binnenraum
juristisch-ökonomischer Gleichstellung definiert – ‚harte‘ Außengrenzen sozusagen nur in eine neue Peripherie verschoben. Mit Hilfe eines rigiden Grenzregimes
und einer verstärkten Überwachung der EU-Außengrenzen versucht sich dieser
neue, supranationale Raum weiterhin gegenüber ‚unerwünschten Drittstaatenangehörigen‘ abzuschotten. Allerdings steht auch der erweiterte Binnenraum – dies
zeigen die Debatten im Zuge von Terrorbekämpfung und Flüchtlingsbewegungen
3
4
5
6
Vgl. Scuto, Denis, La nationalité luxembourgeoise (XIXe-XXIe siècles), Brüssel 2012, S. 146.
Die Zuständigkeit lag bei Einführung des Gesetzes über die Fremdenpolizei vom 10. März 1880
gemäß Artikel 3 zunächst beim Generaldirektor für Justiz, welcher die Regierung zu konsultieren
hatte. Seit Einführung des Gesetzes nahm diese Funktion Paul Eyschen wahr. Das Gesetz vom 30.
Dezember 1893 transferierte die Zuständigkeit für die Niederlassungsverweigerung auf die Regierung
in ihrer Gesamtheit. Zuständig für die Ausweisungen ist fortan das für die Polizei zuständige
Regierungsmitglied, welches sich allerdings mit der Regierung beraten muss (Artikel 9). Faktisch lag
die Zuständigkeit damit weiterhin bei Paul Eyschen, da in seiner Regierungszeit erst 1915 mit Victor
Thorn wieder ein Generaldirektor für Justiz ernannt wurde und Eyschen als Staatsminister zugleich
für die Ausländerpolizei zuständig war. Vgl. zur Entwicklung der Regierungsämter Thewes, Guy, Les
Gouvernements du Grand-Duché de Luxembourg depuis 1848, Luxembourg 20062, S. 44ff.
Isay, Ernst, Das deutsche Fremdenrecht. Ausländer und Polizei, Berlin 1923; vgl.: Gosewinkel,
Dietmar, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen
Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001.
Zeitgenössische juristische Analysen und Stellungnahmen bei: Darut, Joseph André, De l’expulsion
des étrangers: principe général – applications en France, Aix[-en-Provence] 1903; Martini, Alexis/
LePoittevin, Alfred Léon, L’expulsion des étrangers: études de droit comparé, Paris 1909.
Freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr.
30
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und die damit verbundene teilweise Wiedereinführung von Grenzkontrollen – mittlerweile erneut unter einem Legitimationsvorbehalt.
Im Lichte der aktuellen Diskussion erscheint dann die Auseinandersetzung mit
der Ausweisungspraxis des Großherzogtums Luxemburg im Zeitraum von 1880
bis 1940 nicht nur historisch, sondern auch für Gegenwartsfragen von Relevanz
zu sein.
Kontext und Fragestellung
Warum soll hier der Frage des Landesverweises unter dem Blickwinkel von Prostitution nachgegangen werden? Juristisch handelte es sich auch bei der Reglementierung und Überwachung von Prostitution um feststellende und befehlende Behördenakte: Fremdenpolizeiliche wie sittenpolizeiliche Maßnahmen fielen beide
in die Sphäre der öffentlichen Verwaltung und rechtselastischen Praxis. In beiden
Bereichen ist den Behörden ein hohes Maß an Interpretationsspielraum eingeräumt
worden, oder, anders formuliert, weil Prostituierte und „abschubverdächtige Personen“ außerhalb des normalen Justizsystems standen, waren beide Gruppen behördlicher Willkür ausgeliefert. Malte König weist in seiner vergleichenden Studie
deutlich auf den silence législatif, dieses Ausschweigen der Justiz hin.7 Dieser aus
einer rechtlichen Grauzone entstandenen Schnittmenge von unerwünschten Personen der Gesellschaft nachzugehen, schien lohnenswert zu sein. Der vorliegende
Beitrag beleuchtet die Anwendung des Landesverweises der luxemburgischen Behörden und untersucht den Zusammenhang zwischen der Ausweisung und den damals geführten Moraldiskursen. Wir liefern dabei einerseits statistisches Material,
um die Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern, insbesondere diejenige,
die mit dem Verweis auf Ausübung und Förderung der Prostitution erfolgte, zu kontextualisieren. Andererseits geben wir – anekdotisch und fragmentarisch – anhand
von Ausweisungsanträgen und zugehörigen Begleitdokumenten erste Einblicke in
die behördliche (Begründungs-)Praxis der Ausweisungen, um die Verbindungen
zwischen Ausweisung, Moral und Geschlechterverhältnis darstellen zu können.
Dabei erscheint die polizeiliche Zwangsmaßnahme, einst wie heute, auf entscheidende Weise von persönlichem Ermessen abhängig zu sein. Dies soll im Folgenden
exemplarisch anhand der Frage der öffentlichen Sicherheit und Moral illustriert
werden. Denn insbesondere bei Ausländerinnen und Ausländern wurden Verstöße
gegen die Guten Sitten in den Zusammenhang mit ‚staatsgefährdender‘ Aktivität
gebracht.
Auch in Luxemburg wurden die Gefahrenquellen für die öffentliche Sicherheit
und Ordnung weit gefasst. Das Gesetz vom 18. Juli 1913 präzisierte, dass darunter insbesondere die Ausübung oder Förderung der Prostitution zu verstehen
sei, die somit explizit für Personen ohne Luxemburger Staatsbürgerschaft einen
Landesverweis begründete. Das Fremdenpolizeigesetz lehnte sich dabei an das
Strafgesetz an und erklärte sowohl die Ausübung der Prostitution als auch deren
Erleichterung (d. h. Zuhälterei) zu Aktivitäten, die – quasi automatisch – eine
7
König, Malte, Der Staat als Zuhälter. Die Abschaffung der reglementierten Prostitution in Deutschland,
Frankreich und Italien im 20. Jahrhundert, Berlin-Boston 2016, S. 15 u. 24f.
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Aufenthaltsbeendigung nach sich zogen.8 Freilich war die Ausweisung wegen
Prostitution auch zuvor bereits möglich gewesen. Allerdings bestand der Luxemburger Staatsminister als Regierungschef zunächst darauf, dass der Ausweisung
wegen Prostitution eine rechtskräftige Verurteilung voranzugehen hatte.9 Dennoch
erhielten die örtlichen Polizeibehörden mit dem neuen Fremdenpolizeigesetz einen
erheblichen Interpretationsspielraum für die Begründung zugestanden, der zügig
dazu führte, dass schon allein der Prostitutionsverdacht für eine Ausweisung der
Betroffenen genügte.10 Bereits im September 1914 schwenkte die Staatsanwaltschaft auf die Position ein, dass es für eine Ausweisung wegen Prostitution genüge
que les faits fussent suffisamment établis, au point de vue administratif, par les constatations des agents […] par toutes les circonstances propres à entraîner la conviction de l’autorité supérieure.11 Moral, Politik und Geschlechterordnung wurden
damit im Kontext der Fremdenpolizeigesetzgebung und der Außerlandesschaffung
untrennbar miteinander verwoben. Das heißt aber auch, dass, aus institutioneller
Perspektive gesehen, gerade der Behördenweg als Institution des Rechtsstaats erheblich zur Hervorbringung der Geschlechterordnung und des damit verknüpften
Sexualitätsregimes beitrug. Prostitutionsverdacht und Ausweisungspraxis wurden
Teil des stetigen Prozesses der ‚Vergeschlechtlichung‘ (doing gender), was sich
insbesondere bei der Selbstverständlichkeit der Zuordnung („informationelle Redundanz“) von Kategorien im Amtsverkehr zeigte. Anders formuliert: Zweifellos
gab es Prostituierte, aber sie wurden nach den Vorstellungen einer bürgerlichen
Männlichkeit im Behördenweg und angesichts der Polizei und des Verwaltungsapparates als Männerdomäne erst ‚gemacht‘.12 Dabei repräsentierte die Prostituierte
das Gegenteil des normativen Ideals bürgerlicher, luxemburgischer Weiblichkeit,
indem sie in ungeordneten persönlichen Verhältnissen lebte und – wie die häufige
Identifizierung von Kellnerinnen und Dienstmädchen als Prostituierte zeigt – einer
außerhäuslichen Beschäftigung nachging, d. h. in Männerdomänen wie dem Wirtshaus öffentlich sichtbar war. Zudem wurde vor allem Ausländerinnen unterstellt, in
8
9
10
11
12
Neufassung des Artikels 7 gemäß dem Gesetz vom 13. Juli 1913 über die Fremdenpolizei. In: Memorial
des Großherzogtums Luxemburg, Nr. 49 vom 23. Juli 1913.
Vgl. Scuto, Denis, Staatsbildung und Staatsangehörigkeitsrecht in Luxemburg: Zwischen Inklusion
und Exklusion (1804-1940), in: Franz, Norbert/Lehners, Jean-Paul (Hg.), Nationenbildung und
Demokratie. Europäische Entwicklungen gesellschaftlicher Partizipation (Luxemburg-Studien 2),
Frankfurt am Main, 2013, S. 249–80, hier S. 267.
Vgl. Mauer, Heike, Intersektionalität und Gouvernementalität. Die Problematisierung der Prostitution
in Luxemburg um 1900 bis zum Ende der Zwischenkriegszeit, PhD, Universität Luxemburg, 2015. URL:
http://orbilu.uni.lu/handle/10993/22375 (Stand: 14.1.2016), S. 274f., sowie Mauer, Heike, Ausweisung
und Moralisierung als Intersektionale Regierungsweisen von Prostitution, in: Femina Politica 1 (2016),
S. 103-111, und vgl. zur Widerspruchspraxis dies., „Sie möchten mir doch bitte die Erlaubnis geben nur
einen kleinen Besuch zu machen nach Luxemburg“ – Prostitution und Migration in Luxemburg (19001939), in: Eigenmann, Philipp/Geisen, Thomas/Studer, Tobias (Hg.), Migration und Minderheiten
in der Demokratie: Politische Formen und soziale Grundlagen von Partizipation, Wiesbaden 2015,
S. 329-348.
Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft an den Staatsminister vom 4. September 1914. Zitiert nach
Mauer, Intersektionalität und Gouvernementalität (Anm.1), S. 279.
Vgl. König, Der Staat als Zuhälter (Anm. 8), S. 322ff.
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Luxemburg die Prostitution auszuüben. Insofern lag auch der Rückgriff auf fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Prostitutionsbekämpfung nahe.13
Die Ausweisungspraxis in Luxemburg und ihre rechtlichen Grundlagen14
Das Gesetz über die Ausländerpolizei vom 30. Dezember 1893 regelte in Artikel
7 die Wegweisung (ordre de renvoi) und die Ausweisung (expulsion) von Ausländern, die im Großherzogtum nicht länger geduldet wurden.15 Gründe für diese
Maßnahmen lagen in der Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Ordnung durch
die „Aufführung [eines] im Großherzogthum wohnende[n] Ausländer[s]“, etwa
wegen einer Verurteilung oder wegen der Verfolgung wegen einer Gesetzesübertretung im Ausland.16
Das Fremdenpolizeigesetz von 1913 spezifizierte den Artikel 7 und legte fest, dass
eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit insbesondere dann angenommen werden musste, wenn „er [der im Lande ansässige Ausländer, sic] die
Prostitution ausübt oder irgendwie fördert“.17 Die Durchsetzung der bürgerlichen
Moral- und Geschlechterordnung wurde also im Falle der Ausländer zur Bedingung für ihren Aufenthalt im Großherzogtum gemacht. Im Kern dieser bürgerlichen Ordnung standen das Ehepaar und die damit verbundene vergeschlechtlichte
Arbeitsteilung, der zufolge die Ehefrau für die Haushaltsführung und die Kindererziehung zuständig ist und lediglich im Privaten wirkt, während der Ehemann
beruflich tätig ist und in der Öffentlichkeit steht. Ebenfalls konnte seit 1913 der
Aufenthalt im Großherzogtum beendet werden, sobald ausländische Personen
keine rechtmäßigen Mittel für ihren Lebensunterhalt nachzuweisen vermochten
oder wenn sie ihre gesetzlichen Pflichten gegenüber ihrer Familie verletzten.18
Letzteres betraf eine Vielzahl von Ausweisungen ausländischer Männer, die ihren
13
14
15
16
17
18
Für eine ausführliche Darstellung der Prostituierten als eines ‚intersektionalen‘ Gegenentwurfs zu
bürgerlicher Weiblichkeit vgl. Mauer, Heike, Intersektionalität operationalisieren! Theoretische und
methodische Überlegungen für die Analyse des Prostitutionsdiskurses in Luxemburg um 1900, in:
Helfert, Veronika/Richter, Jessica/Semanek, Brigitte/Bumbaris, Alexia und Sigmund, Karolina
(Hg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte un-/diszipliniert? Aktuelle Beiträge aus der jungen
Forschung, Innsbruck 2016, S. 119-142.
Dieser Abschnitt orientiert sich an Mauer, Intersektionalität und Gouvernementalität (Anm.10), S.
270ff.
Gesetz vom 30. Dezember 1893, die Fremdenpolizei betreffend, in Mémorial A, Nr. 1, 4. Januar 1894.
Zuvor hatte das Gesetz vom 10. März 1880 über die Fremdenpolizei die gesetzliche Grundlage für die
Ausweisungen dargestellt (Mémorial A, Nr. 19 vom 16. März 1880), welches die Ausweisung als einen
Regierungsakt und nicht mehr wie zuvor als königlich-großherzoglichen Beschluss institutionalisierte;
vgl.: Scuto, Nationalité (Anm. 3), S. 146.
Es bleibt in den Gesetzestexten unklar, worin sich Weg- und Ausweisung (renvoi und expulsion)
juristisch genau unterschieden. Aus der Quellenanalyse lässt sich schließen, dass die Wegweisung
(ordre de renvoi) die weniger drastische Maßnahme gewesen ist und diese oftmals unter der Androhung
ausgesprochen wurde, dass im Falle ihrer Nichtbefolgung durch Fortsetzung des Aufenthaltes die
Ausweisung (expulsion) erlassen wurde. Doch auch nach einem Ausweisungsbeschluss erfolgte
nicht automatisch eine physische Zwangsmaßnahme. Zunächst wurden die Betroffenen durch den
Gerichtsvollzieher zur ‚freiwilligen‘ Ausreise bis zu einem bestimmten Stichtag aufgefordert.
Gesetz vom 18. Juli 1913 über die Fremdenpolizei (Anm. 7).
In der entsprechenden Parlamentsdebatte wurde jedoch betont, dass die im Gesetz ausdrücklich
genannten Ausweisungsgründe lediglich illustrativ und nicht als exklusive Definition der Gefährdung
der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verstehen seien, vgl.: Mauer, Intersektionalität und
Gouvernementalität (Anm. 10), S. 270.
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Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkamen. Davon zeugen Begründungen wie a
abandonné sa famille, abandonné ses enfants, néglige ses devoirs de père, néglige
ses devoirs alimentaires, usw.19
Neben Aus- und Wegweisungen konnte seit 1893 zudem ein Niederlassungsverbot
(refus d’établissement) ausgesprochen werden, sofern sich erwies, dass die betreffende Person die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdete.20 Einen solchen
Nachweis der Gefährlichkeit für die öffentliche Ordnung und Sicherheit suchten
die Behörden vor allem durch den Nachweis vorangehender Verurteilungen im
Ausland zu erbringen. Gegen diese fremdenpolizeilichen Maßnahmen war gemäß
Artikel 9 der Gesetze von 1893 und 1913 keine formale Beschwerde oder Berufung
möglich, da sie nicht auf einem Gerichtsbeschluss beruhten, sondern einen Verwaltungsakt darstellten.21 Dies ist ein erster Indikator für den polizeilichen Charakter
der Fremdenpolizeigesetzgebung – im Unterschied zu den formalen und rechtlichen Prozeduren eines juridischen Strafsystems.
Im Folgenden soll ein etwas genauerer Blick auf die praktische Durchführung von
Landesverweisen geworfen werden. Wie gestaltete sie sich im Zeitverlauf, und wer
war aufgrund welcher Begründung von einem Ausweisungsbeschluss betroffen?
Bislang lag kein zusammenhängendes statistisches Material über die Anzahl der
Ausweisungsvorgänge seit der Einführung des Ausländerregisters 1880 bis zum
Ende der Zwischenkriegszeit vor. Dies ist umso erstaunlicher, als für den Untersuchungszeitraum ein geschlossener Quellenkorpus in Form von Akten der Luxemburger Generalstaatsanwaltschaft (Parquet général) über die erlassenen Ausweisungen zwischen 1880 bis 1940 vorliegt, die im Nationalarchiv aufbewahrt sind.22
Dieser Quellenkorpus beinhaltet nach Jahren systematisch geordnete Fälle
von Ausweisungen (expulsions), Abschiebungsanordnungen (ordres de renvoi) und Verweigerung/Nichtausstellung einer Aufenthaltsgenehmigung (refus
d’établissement bzw. interdiction de séjour)23, deren Umfang von einzelnen Verweiszetteln mit Namen (dessen Verweisstelle in der Folge nicht auffindbar blieb)
bis hin zu umfassenden Falldokumentationen reicht und den Behördenweg dokumentiert. In den verschiedenen Beilagen (v. a. die Polizeiberichte, Gesuche
und Selbstzeugnisse der vom Ausweisungsverfahren Betroffenen, Bittbriefe oder
19
20
21
22
23
Diese Formulierungen sind den Begründungen von Ausweisungen aus dem Bestand der Archives
nationales du Luxembourg (ANLux) J[ustice]71 – Police des étrangers – expulsions et renvois,
interdiction (1881-1940) entnommen. Teilweise wurde auch Frauen die ‚Verletzung ihrer mütterlichen
Pflichten‘ (néglige ses devoirs de mère) vorgeworfen. Allerdings wurde dies nicht in erster Linie als
finanzielle Pflicht verstanden, so wie bei den Vätern.
Auch dies wurde erstmals im Artikel 5 des Gesetzes vom 30. Dezember 1893 über die Fremdenpolizei
eingeführt. Es wurde u. a. erlassen, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung
und Sicherheit darstellte oder ihr die erforderlichen Existenzmittel zu ihrem eigenen Unterhalt oder dem
ihrer Familie fehlten, vgl.: Mémorial A, Nr. 1, 4. Januar 1894.
Das Einreichen von Widersprüchen war jedoch gängige Praxis, und auch die Generalstaatsanwaltschaft
prüfte die Eingaben zumindest formal. Vgl. zur Widerspruchspraxis ausführlich Mauer, Erlaubnis
(Anm. 10).
ANLux, J71, 1-85, 1880-1940. So geben etwa Polizeistatistiken lediglich für den Zeitraum von 18851912 Auskunft über alle erlassenen Ausweisungen und Niederlassungsverbote; vgl.: Scuto, Nationalité
(Anm. 3), S. 149.
Oder des Einzugs bzw. der Nicht-Verlängerung des Fremdenausweises (carte d’étranger).
34
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Eingaben von Angehörigen, Anwälten, Abgeordneten, Gewerkschaften und von
anderen Interessenvertretungen) bekommen Individuen Profil.
Kanzleisprache und Amtsstil im Ausweisungsverfahren als diskursive Praxis
Diese Akten sind als Quelle höchst interessant für den Sprachgebrauch in Luxemburger Behörden der Zeit. Die traditionelle Juristensprache des Landes ist
Französisch, während die zum Teil voluminösen Polizeiberichte und Protokolle in
Deutsch verfasst sind. Das ‚Juristen-Französisch‘ ist geschliffen und wird – ähnlich
moderner Textverarbeitung – in Modulen juristischer Versatzstücke wie Gesetzeszitierung und Bescheidbegründungen je nach Bedarf und Fall zusammengesetzt,
während das Deutsch der Polizeiorgane oft holprig und im umgangssprachlichen
Tonfall gehalten ist. Nichtsdestotrotz finden auch in diesem ‚zwischensprachlichen‘ Amtsverkehr Austausch und Angleichung im Sprachgebrauch und ‚in der
Sache‘ statt, etwa wenn griffige Formulierungen aus dem Deutschen ins Französische übernommen werden: s’engager comme ‚Dienstmädchen‘, elle abuse de cette
autorisation en faisant le métier de ‚Animierdame‘ dans le cabaret, heißt es im Fall
der unter diesen Verdacht geratenen Anne S. aus Deutschland.24
An dieser Stelle muss nochmals auf die interne Dynamik des Amtsverkehrs bei
Eigen- und Fremdzuschreibungen hingewiesen werden, denn offensichtlich wurden auf einer Zwischenebene in der Generalstaatsanwaltschaft von ‚anonymen‘
Bürokraten inhaltliche Zusammenfassungen (auf Französisch) geleistet und so insbesondere umfangreiche und komplizierte Fälle für die weitere Entscheidung aufbereitet. Aufgrund der handschriftlichen Anmerkungen – oft mit Buntstiften – und
der Platzierung von Randnotizen scheint es plausibel, dass sich die Entscheidung
der Regierung oft nur auf diese Zusammenfassungen bezog.25
Der Korpus ist somit auch ein ‚Monument‘ für die zunehmende Routine-Entwicklung bei der Fallbehandlung. Mit der formalen Gestaltung der Akten (Formblätter und Vordrucke) einher ging auch eine Standardisierung der Delikte, die
einen Ausländer oder eine Ausländerin in Luxemburg zu einer ‚unerwünschten‘
und ‚lästigen‘ Person machten. Fanden sich solche normierten Stichwörter wie
„Animierdame“, „desolate Wohnverhältnisse“, „illegitimes Kind“, „Scheidung“,
„Kommunist“ u. a., war der Tatbestand erfüllt, dessen Zuweisung auf eine Person
aber im subjektiven Ermessen der Verwaltung lag. Das Verfahren wurde zur ‚Tatsachenentscheidung‘, nämlich ohne hemmende Formalitäten eines Strafprozesses,
gegen die formal Einspruch eingelegt werden konnte. Bei Pauline M. reichte dann
auf dem Übersichtsblatt zu ihrem Fall nur der lakonische handschriftliche Vermerk,
um den Sachverhalt klarzumachen: aveu: Modernes Mädel: enceinte, dann expulsion, dann, weiter abgerückt in derselben Zeile, die Abschiebefrist: 24 heures.26
Von besonderem Interesse für uns ist also dieser andere, graue Diskurs: ‚grau‘, weil
er in unveröffentlichten Verwaltungsdokumenten stattfand und im Behördenweg
24
25
26
ANLux, J71, 55-57, 1930-34, [Buchstaben] RSSch, S-0065 (Hinweis: S für Buchstabe u. vierstellige
Ziffer für die gestempelte Paginierung der losen Blätter und Bögen).
Unterlagen mancher Fälle sind intensiv bearbeitet, etwa mit Farbmarkierungen, Marginalien; andere
gar nicht und scheinen nur zur Weiterleitung (und Exekution der Ausweisung) flüchtig abgezeichnet
worden zu sein.
ANLux, J71, 74-76, 1935-39, MNO, keine Paginierung.
35
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festlegte, wer von den fremden Staatsangehörigen als ‚unerwünscht‘ und ‚lästig‘
galt. Damit ist diese diskursive Formation performativ mit der Ausweisungspraxis und den damit verbundenen ‚juristischen Tatsachenentscheidungen‘ verknüpft:
Behörden wurden zu Schiedsrichtern bezüglich einer moralisch-richtigen Lebensführung und über die Verhaltensweisen von Ausländern und Ausländerinnen, die
von einem unterstellten Selbstverständnis Luxemburger ‚Lebensart‘ divergierten.
Solche diskursiven Formationen, wie sie der Amtsverkehr hervorgebracht hat, sind
keineswegs nur als eine Menge von toten Texten oder Textfragmenten zu verstehen, sondern bezeichnen im Sinne von Michel Foucault vielmehr die lebendige
Funktion einer „Herstellung von Beziehungen, die die diskursive Praxis selbst
charakterisiert“.27 Das ist kein Paradox, sondern verweist auf eine Emergenz: In
anderen Worten ist dieses „sprachliche Handeln“ die eigentliche Herstellung von
Wahrheit und Bedeutung. Bei unserem Fallbeispiel unterstreicht gerade die Performativität der Klassifizierung, die in den Akten vorgenommen wurde, deren Kraft,
das Subjekt oder die Handlung, die sie bezeichnet, in und durch diesen schriftlichen
Äußerungsakt erst mit hervorzubringen. Damit eine „performative Äußerung“,
wie die von uns analysierten fremdenpolizeilichen Tatsachenentscheidungen, aber
gelingen konnte, musste diese – zumindest für die Behörde – als zitathaft und
in routinierter Form in einem System gesellschaftlich anerkannter Konventionen
eingebettet und erkennbar gewesen sein.28 Dieses ‚doing bad gender‘ zeigte sich
auch in der Praxis: Der Senatspräsident eines königlich-preußischen Oberlandesgerichts merkte 1911 an, dass er in seiner Laufbahn als Richter mehrfach konfrontiert wurde, „wie Frauen, die gegen die Zwangsunterstellung revoltierten, und
nun wegen Zuwiderhandelns gegen die ihnen gemachten Vorschriften vorgeführt
wurden, erst nach und nach in Kleidung und Frisur, in Blick, Haltung und Sprache
den Charakter einer Prostituierten annahmen“.29
Anhand eines speziellen Diskurses um Prostitution kann die behördliche Vorgehensweise auch statistisch fundiert offengelegt werden. Hinter diesen diskursiven
Formationen und Zahlen als „Positivitäten“ (historische Feststellungen im Sinne
Foucaults30) stehen aber Menschen und ihre Schicksale. Mit Anekdoten – in der
Wortbedeutung des Altgriechischen für „nicht herausgegeben“ verstanden – werden hier erstmals Auszüge von charakteristischen, zumal kuriosen Fällen geboten,
denn in der Tragik vieler Aktenzeichen findet sich mitunter nicht nur unfreiwillig
Komisches, sondern auch für das Verständnis der Materie Förderliches.
Zunächst eine erste Gesamtübersicht zu den Ausweisungen im Betrachtungszeitraum.
27
28
29
30
Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973, S. 126 u. 151.
Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. v. Gert Ueding, Darmstadt 1992ff. (Bd. 10, 2011),
S. 839-862 (Performanz, Performativität). Ursprünglich geht der Begriff der Performanz auf die
Sprechakttheorie von Austin zurück, der sich die Frage stellt, wie mit Worten Dinge getan werden
können. Vgl. Austin, John Langshaw. How to Do Things with Words, Oxford 1962.
Zitiert nach König, Der Staat als Zuhälter (Anm. 7), S. 31.
Foucault, Archäologie (Anm. 27), S. 182.
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Abbildung 1: Erteilte Ausweisungsbescheide (inklusive Wegweisungen und Niederlassungsverbote) (Datenquelle: ANLux J-071, Erhebung und Darstellung Heike Mauer)
Anhand der Grafik (Abb. 1) wird deutlich, dass mit den Verschärfungen des Gesetzes über die Fremdenpolizei 1893 und 1913 die beschlossenen Ausweisungen
zunächst deutlich anstiegen (von 176 im Jahr 1893 auf 431 im Jahr 1898; von 285
im Jahr 1912 auf 549 im Jahr 1913 und 513 im Jahr 1914, obgleich sie ab 1915,
zunächst kriegsbedingt, gegen Null tendierten).
Die gegenüber Frauen getroffenen Maßnahmen folgten diesen generellen Trends,
wenngleich auf einem deutlich niedrigeren Niveau. So zeigen die Kurven, dass
im Verlauf von 1880-1940 die zwangsweise Außerlandesschaffung deutlich öfter
gegenüber Männern als gegenüber Frauen angewandt wurde.
Von 1880 bis 1940 wurden insgesamt 13.092 Aus-, Wegweisungsbescheide und
Niederlassungsverbote ausgesprochen. Im Durchschnitt richteten sich jedoch nur
17,7 % (2.321 Fälle) dieser fremdenpolizeilichen Maßnahmen gegen Frauen. Es
ist zu vermuten, dass sich in diesem ungleichen Geschlechterverhältnis zu einem
Teil das männlich geprägte Einwanderungsmuster Luxemburgs widerspiegelt. Allerdings lag der Frauenanteil an der ausländischen Bevölkerung laut Bevölkerungszensus selbst zu Hochzeiten der industriell geprägten Migration um 1900 immer
über 30 %.31
31
Vgl. STATEC, Population totale, luxembourgeoise et étrangère, de résidence habituelle au Luxembourg
selon le sexe 1821-2014, 2015; http://www.statistiques.public.lu/stat/TableViewer/tableViewHTML.
aspx?ReportId=383&IF_Language=fra&MainTheme=2&FldrName=1 (Stand: 13.5.2015).
37
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Zunächst lässt sich jedenfalls festhalten, dass das Erlassen von Ausweisungsbeschlüssen eine stark vergeschlechtlichte Praxis ist, die sich in mehr als vier von fünf
Fällen gegen ausländische Männer und nicht gegen ausländische Frauen richtete.32
Allerdings wird bei der folgenden Darstellung des Zusammenhangs zwischen
Ausweisung und Prostitution eine weitere Dimension der Vergeschlechtlichung
der Ausweisungspraxis deutlich. Das zeigt auch ein Vergleich mit der Situation
in Deutschland: „Analysing the reasons that were officially given in order to
justify expulsions reveals the predominant need to expel criminals, paupers and
prostitutes“.33
Männer wurden also insbesondere ausweisungsfällig, wenn sie ihrer zugedachten Rolle als ‚Ernährer und moralischem wie praktischem Oberhaupt der Familie‘
nicht nachkamen; Frauen, wenn sie eines liederlichen Umgangs und Lebenswandels verdächtigt wurden oder ihre Mutterrolle vernachlässigten. Um diese ‚Dyade
der Unmoral‘ greifbar zu machen, werden wir zunächst den Umgang mit Prostitution in der bürgerlichen Gesellschaft etwas genauer beleuchten.
Prostitutionswesen zwischen Regulierung und Verbot:
ein Überblick zur Situation in Frankreich und Deutschland
Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Prostitution zunehmend
von einer Straftat zu einem ordnungspolizeilichen Vergehen.34 Dementsprechend
war die Prostitution in den Nachbarländern Luxemburgs behördlich ähnlich geregelt und kontrolliert. Dies ist auf die gemeinsame Verwaltung des damaligen Wälderdepartements und der linksrheinischen Gebiete unter französischer Herrschaft
bis 1815 zurückzuführen. Luxemburg stellte hierbei jedoch eine Ausnahme dar, da
die Prostitution im (späteren) Großherzogtum faktisch verboten war, obwohl gesetzlich die Einrichtung von Bordellen vorgesehen war. In Frankreich lässt sich der
behördliche Umgang mit Prostitution mit den Prinzipien tolérance und surveillance
charakterisieren: als sittenwidrige ‚Gewerbsunzucht‘ sollte Prostitution geduldet,
gleichzeitig aber unter strenge staatliche Aufsicht gestellt werden.35 In Paris wurde
dazu 1802 ein Bureau des Mœurs gegründet; im ganzen Kaiserreich wurden der
Sittenpolizei auf Präfekturebene (Commission de la Police des mœurs), also auch
im Département des Forêts (1795-1815), weitgehende Befugnisse eingeräumt. Die
Duldung gewerblicher Prostitution war mit offiziell regulierten Bordellen (maisons
de tolérance oder maisons closes) verbunden, die teilweise in besonderen Sperr32
33
34
35
Es wäre fruchtbar, bei einer weiterführenden Untersuchung für diesen Befund an die Überlegungen der
historischen Kriminalitätsforschung und der Geschlechtergeschichte anzuknüpfen, die sich intensiv
mit der vergeschlechtlichten Konstruktion von Kriminalität auseinandergesetzt hat, vgl. zu dieser
Problematik einführend Schwerhoff, Gerd, Historische Kriminalitätsforschung, Frankfurt am Main
2011, S. 27f.
Reinecke, Christiane, Policing Foreign Men and Women: Gendered Patterns of Expulsion and
Migration Control in Christian Germany, 1880-1914, in: Schrover, Marlou u.a. (Hg.), Illegal Migration
and Gender in a Global and Historical Perspective, Amsterdam 2008, S. 57-81, hier S. 59.
Kontos, Silvia, Öffnung der Sperrbezirke – Zum Wandel von Theorien und Politik der Prostitution,
Königstein 19942 [1979], S. 260; vgl. König, Der Staat als Zuhälter (Anm. 7).
Frank, Susanne, Stadtplanung im Geschlechterkampf: Stadt und Geschlecht in der Großstadtentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts, Opladen 2003, S. 151 ; vgl.: Corbin, Alain, Les Filles de
noces. Misère sexuelle et prostitution (XIXe siècle), Paris 1978.
38
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bezirken lagen. Diese Praxis, das système français, wurde erst nach dem Zweiten
Weltkrieg per Gesetz abgeschafft.36
Ziel dieses Systems war es gewesen, die Existenz der Prostitution zugleich vor der
breiten Öffentlichkeit möglichst unsichtbar wie für die Obrigkeit transparent zu
machen. Die Kontrolle der Prostitution sollte mit Hilfe sittenpolizeilicher Registrierung (filles à numéro oder filles en carte) erreicht werden, die zwischen einer
prostitution tolérée (unabhängige bzw. Bordell-Prostitution) und der illegalisierten,
heimlichen prostitution clandestine unterschied. Letztere entzog sich der behördlichen Kontrolle, die ja der eigentlich innovative Teil der neuen Regelung war, indem
sie die Duldung der Prostitution zwangsweise mit sittenpolizeilichem Meldewesen
und medizinischer Überwachung verknüpfte. Das entsprach auch vollständig dem
Trend medizin- und sozialhygienischer Maßnahmen dieser Epoche.37 Der Staat des
19. Jahrhunderts ergriff dabei auch an den Rändern der ehrenwerten Gesellschaft
immer zielsicherer Maßnahmen gegen seine Untertanen. Gerade angesichts des
soziodemografischen Wandels von einer ländlich-agrarischen Gesellschaft hin zu
einer urban-industriellen erschien das angebracht, denn Prostitution wurde in erster
Linie als ein städtisches Phänomen wahrgenommen. Während die Möglichkeit für
unsittliches Verhalten als Gewerbe – sei es als Gelegenheitsprostituierte oder auf
Dauer – auf dem Land, in Dorf und Kleinstadt durch die rigide soziale Kontrolle
stark eingeschränkt war, wurde das Städtewachstum im 19. Jahrhundert zu einer
besonderen Herausforderung bürgerlicher Moralvorstellungen.38 Für Luxemburg
sind es vor allem das entstehende Industrierevier im Süden des Landes und die
Hauptstadt, wo insbesondere alleinstehende Frauen zu Zielpersonen moralischer
Kontrolle wurden.
Zugleich verweist die einseitige Fixierung des Kontrollsystems auf die Prostituierte auf das vergeschlechtlichte Verständnis von Staatsbürgerschaft und Nation im
Allgemeinen. So bilanziert Silvia Kontos, dass „die Ungeniertheit, mit der das Pariser System die Überwachung der Prostituierten systematisierte und ausbaute, den
geschlechterpolitischen Grundlinien des Code Napoléon von 1804 [entspricht], die
die gerade erklärte Gleichheit (vor dem Gesetz) und Freiheit (gegenüber dem Staat)
auf den männlichen, besitzenden, verheirateten Bürger zuschnitten“.39
Im benachbarten Deutschen Reich stellte sich die Situation aufgrund seiner föderalen Struktur etwas differenzierter dar. Seit 1871 drohte § 361, Absatz 6
Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) Prostituierten mit Haft, wenn sie die geltenden
36
37
38
39
Als Überblick, speziell für die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Berlière,
Jean-Marc, La Police des mœurs sous la IIIe République, Paris 1992 bzw. Corbin, Les Filles de noces
(Anm. 35).
Frankreich nahm seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Vorreiterrolle ein und hatte mit dem 1894
gegründeten Musée social einen richtungsweisenden think-tank vorzuweisen, vgl.: Chambelland,
Colette (Hg.), Le Musée social en son temps, Paris 1998.
Allerdings weist Regina Schulte darauf hin, dass sich die Hegemonie bürgerlicher Moralvorstellungen
erst in Abgrenzung sowohl zwischen Bürgertum und Adel als auch zwischen Bürgertum und Proletariat
herausbildete. Aufgrund der unterschiedlichen materiellen Verhältnisse – etwa auf dem Land oder in
der Arbeiterklasse geht sie von einer gleichzeitigen Existenz bürgerlicher, archaisch-traditionalistischer
und proletarischer Sexualvorstellungen aus. Vgl. Schulte, Regina, Sperrbezirke. Tugendhaftigkeit und
Prostitution und Moral in der bürgerlichen Welt, Frankfurt am Main 19942 [1979], S. 114f.
Kontos, Öffnung der Sperrbezirke (Anm. 34), 2009, S. 261.
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sittenpolizeilichen Bestimmungen nicht einhielten, und bestrafte gleichermaßen
die Frauen, die, ohne unter sittenpolizeilicher Aufsicht zu stehen, der gewerbsmäßigen Unzucht nachgingen. Damit verwies das RStGB auf die jeweiligen landesrechtlichen und lokalen Polizeiverordnungen.40 Sybille Krafft unterscheidet
idealtypisch vier unterschiedliche Formen der Reglementierung: „eine freiwillige
Einschreibung mit Bordellen (Stuttgart) und ohne Bordelle (München) sowie eine
Zwangseinschreibung mit Bordellen (Hamburg) und ohne Bordelle (Berlin)“.41
Dabei ist hier, ebenso wie im französischen System, anzunehmen, dass die medizinisch-hygienischen Schutzfunktionen, insbesondere die Eindämmung der
Geschlechtskrankheiten, für die verschiedenen ordnungspolizeilichen Kontrollpraxen, vermittels derer dieser Schutz erreicht werden sollte, eine legitimierende
Rolle einnahmen. Zugleich gelangen über die Einbindung von BordellwirtInnen
und ZimmervermieterInnen, in deren Verantwortung die Einhaltung bestimmter
sittenpolizeilicher Bestimmungen durch die Prostituierten lag, zugleich auch eine
(Teil-)Privatisierung und ein (Teil-)Rückzug des Staates aus dem Feld der Sexualund Geschlechterpolitik.42
Prägender als die lokal unterschiedliche Handhabung der Reglementierung der
Prostitution war jedoch das widersprüchliche Verhältnis zwischen § 361 Absatz 6
und § 180 RStGB, der die Kuppelei unter Strafe stellte. Obwohl die Prostitution
unter gewissen Umständen nicht strafbar war, wurden mit diesem Paragrafen all
diejenigen in den Blick genommen, die ihr „Vorschub leisten“, indem sie vermittelnd auftreten, Gelegenheit schaffen oder deren Ausübung durch andere schlicht
hinnehmen. Dementsprechend waren ZimmervermieterInnen und BordellwirtInnen beständig von Kriminalisierung bedroht. Nicht zuletzt deshalb waren diese
letztlich geneigt, zu Lasten der Prostituierten mit den Polizeibehörden zu kooperieren – eine Kooperation, die oftmals auch ohne formelle Konzessionierung aufrechterhalten blieb und „gerade mit ihrem informellen und unkalkulierbaren Charakter
dazu bei[trug], die Prostituierten durch die Unüberschaubarkeit und Unsicherheit
der Prostitutionsszene zu disziplinieren und das Milieu in einer Grauzone von Duldung und Kriminalisierung zu stabilisieren“.43
Zugleich offenbarte sich in dieser widersprüchlichen Rechtssituation ein moralisches Dilemma. Die Legitimation der staatlichen Lizenzierung der Prostitution, in
der ihre Ausübung zugleich als nicht erlaubt, aber (unter bestimmten Umständen)
geduldet, als moralisch verwerflich, aber gesellschaftlich notwendig erscheinen
konnte, erodierte nicht zuletzt, da sie eines ihrer zentralen Versprechen und Ziele
nicht einhalten konnte: Die Eindämmung von Prostitution und Geschlechtskrankheiten erwies sich trotz Reglementierung zunehmend als Chimäre, während die
heimliche Prostitution anstieg, da sich viele Frauen, gerade aufgrund der harschen
40
41
42
43
Götting, Dirk, Das Aufbegehren der bürgerlichen Frauenbewegung gegen die Sittenpolizei des
Kaiserreichs und der erste Versuch weiblicher Polizeiarbeit in Deutschland (1875-1914) (Schriftenreihe
der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte e.V., 9), s.l. 2010, S. 19f; vgl. auch Kontos, Öffnung
der Sperrbezirke (Anm. 34), S. 171f.
Krafft, Sybille, Zucht und Unzucht. Prostitution und Sittenpolizei im München der Jahrhundertwende
(Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt München, 2), München 1996, S. 30f.
Kontos, Öffnung der Sperrbezirke (Anm. 34), S. 260f.
Kontos, Öffnung der Sperrbezirke (Anm. 34), S. 273-275, hier S. 275.
40
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Kontrollen, der Lizenzierung entzogen und sich eine Rückkehr in bürgerliche Verhältnisse offenhalten wollten.44
Bereits 1927 erfolgte mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
ein Politikwechsel, der offiziell von einer disziplinarischen Kontrolle der Prostituierten abrückte. Die medizinisch-fürsorgerische Behandlung von Geschlechtskrankheiten entkoppelte zumindest oberflächlich Prostitution und Moral, indem
sich das Gesetz an „Geschlechtskranke“ richtete und nicht an Prostituierte. Die
Einseitigkeit des früheren Regimes, welches die moralische Schuld und die Gesundheitsgefährdung allein der Prostituierten zugeschoben hatte, wurde nun zumindest formal aufgehoben, und die Freier und Prostitutionskunden wurden in
die Prävention und auch in die medizinischen Zwangsbehandlungen einbezogen.
Faktisch wurden jedoch immer noch vor allem Prostituierte – also Frauen – als
„Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ identifiziert.45
Das Prostitutionsregime in Luxemburg
Auch das Großherzogtum stellte Prostitution nur dann unter Strafe, wenn „den
Beschlüssen der Regierung in Bezug auf liederliche Häuser und öffentliche Dirnen
zuwider[ge]handelt“ wird.46 Diesbezüglich erließ Justizminister Wurth-Paquet am
5. Juni 185547 Ausführungsbestimmungen, in denen das Recht, die Errichtung eines Ortes gewerbsmäßiger Unzucht zu genehmigen, auf die kommunale Ebene und
in die Zuständigkeit der Bürgermeister und Schöffen übertragen wurde (Art.1).48
Der Justizminister nahm lediglich Kenntnis ihrer Beschlüsse (Art. 11). Die Prostituierten sollten demzufolge der Registrierung als öffentliche Dirnen unterliegen,
was – ähnlich wie im deutschen Kaiserreich und in Frankreich – zugleich Auflagen
bezüglich ihrer Mobilität und ihres Verhaltens in der Öffentlichkeit beinhaltete:
Das Reglement verbot den Verkauf von Getränken oder Speisen in den öffentlichen
Häusern, und auch die freie Wohnungswahl war den registrierten Frauen untersagt;
sie mussten ein öffentliches Haus bewohnen (Art. 5) und durften Gaststätten und
Schankwirtschaften nicht betreten (Art. 6). In der Öffentlichkeit durften sie sich
weder auf bemerkbare Weise sehen lassen noch Kontakt zu Männern aufnehmen
(Art. 6). Bei Zuwiderhandlungen drohten Gefängnisstrafen. Zugleich war unregistrierten und geschlechtskranken Frauen der Aufenthalt in einem Hause der Unzucht
untersagt (Art. 7). Ortspolizei und Gendarmerie waren beauftragt, die Einhaltung
dieser Bestimmungen zu kontrollieren (Art. 10).
44
45
46
47
48
Kontos, Öffnung der Sperrbezirke (Anm. 34), S. 269-282.
Kontos, Öffnung der Sperrbezirke (Anm. 34), S. 282-293.
Loi du 25 novembre 1854 modifiant les articles 330 à 335 du Code pénal. Art. 2, Abs. 2, in: Mémorial
A, Nr. 65 vom 9.12.1854, S. 110-112. Seit der Strafgesetzreform vom 18. Juni 1879 findet sich die
entsprechende Regelung in Artikel 385 des Strafgesetzbuches: Mémorial A Nr. 58 vom 30.8.1879.
Arrêté royal grand-ducal du 14 mai 1855 et règlement du 5 juin suivant, concernant les maisons de
débauche et les personnes qui se livrent à la prostitution, in: Mémorial A Nr. 17 vom 9.6.1855, S. 122126.
Allgemeiner zu kommunalen Aufgaben vgl.: Franz, Norbert, Durchstaatlichung und Ausweitung
der Kommunalaufgaben im 19. Jahrhundert. Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume ausgewählter
französischer und luxemburgischer Landgemeinden im mikrohistorischen Vergleich (1805-1890)
(Trierer Historische Forschungen, 60), Trier 2006, S. 115f.
41
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Formal wurde damit die lizensierte Bordellprostitution ermöglicht, und alle anderen Formen der geheimen oder öffentlichen Prostitution wurden untersagt. Innerhalb dieses Bordellsystems agierten Wirtinnen und Wirte und die „öffentlichen
Dirnen“ so lange legal, wie sie sich den Ordnungsinstanzen und der eigenen Kasernierung unterwarfen.
Allerdings kam es in Luxemburg nie zu einer Umsetzung auf kommunaler Ebene.
So stellt eine Regierungskommission zur Bekämpfung der Prostitution 1911 in
ihrem Abschlussbericht fest: Comme, en effet, jusqu’à ce jour aucune commune du
pays n’a pris l’initiative d’un règlement sur la prostitution, l’art. 1 du règlement
général équivaut à une interdiction pure et simple [...]49
Es lässt sich jedoch rekonstruieren, dass 1906 eine Frau aus Thüringen den Antrag
an die hauptstädtische Polizeibehörde stellte, dort ein öffentliches Haus eröffnen
zu dürfen, indem sie Zimmer an Mädchen die unter aerztlicher sowie polizeilicher Controlle stehen vermieten wolle. Dabei hatte sie bereits ein entsprechendes
Grundstück im Auge und der Stadt auch schon den Entwurf einer Hausordnung und
der Ausgestaltung der Kontrolle zukommen lassen.50 Das Schöffenkollegium wiederum holte im Frühjahr 1907 eine Stellungnahme des Collège Médical ein, welches sich aus einer hygienischen Perspektive für die Einrichtung des Bordells aussprach. Zugleich holte es Erkundigungen über das Vorleben der Antragstellerin ein,
die das Schöffenkollegium im April 1907 dazu bewogen, den Antrag abzulehnen.51
Im Jahr 1909 ersuchte eine weitere Frau, eine Mannheimerin, in Luxemburg-Stadt
darum, ein öffentliches Haus errichten zu dürfen. In ihrer Begründung argumentiert sie mit dem erhöhten Gesundheitsschutz, die die Kasernierung der Prostituierten aufgrund der verpflichtenden Gesundheitskontrollen gewährleistet.52 Diese
Argumentation folgte der reglementaristischen Position zur Prostitutionsfrage, die
die Prostitution als „notwendiges Übel“ begriff, das es biopolitisch zu regulieren,
d. h. medizinisch zu kontrollieren galt. Sie wurde um die Jahrhundertwende zwar
noch von vielen Medizinern vertreten, geriet jedoch nicht zuletzt aufgrund der
explodierenden heimlichen Prostitution, mit deren Hilfe Frauen versuchten, die
polizeilichen Kontrollen zu unterlaufen, sowie durch den politischen Druck durch
die Frauen- und Sittlichkeitsbewegung massiv unter Druck. Für Letztere stellte
die Reglementierung der Prostitution nämlich die moralische Bankrotterklärung
des Staates dar, da er auf diese Weise eine tolerierte Form der Prostitution positiv
sanktionierte.
Neue Problemfelder der bürgerlichen Gesellschaft
Die Regulierungsversuche von Prostitution bis hin zu ihrem Verbot sind Teil eines
Transformationsprozesses, in dem sich die modernen europäischen Gesellschaften
49
50
51
52
ANLux J 64 / 39, Rapport de la Commission de Prostitution, 1911, S. 7.
Vgl. Archives de la Ville de Luxembourg [AVL], LU 11 - IV/2 837 Service des femmes.
So war die Antragstellerin laut Aussage des Polizeikommissariats Gera u.a. wegen Diebstahls
vorbestraft und galt den Behörden als Prostituierte, obwohl sie nicht unter Sittenkontrolle stand. Vgl.
AVL, LU 11 - IV/2 837 Service des femmes.
Bittgesuch. In Sachen der Frau Senta Rogati in Mannheim, um Genehmigung zum Betriebe eines
öffentlichen Hauses in Luxemburg, 1909, ANLux J 64 / 39, S. 174f. Ob das Gesuch ebenso gründlich
geprüft und beschieden wurde, konnte bislang nicht geklärt werden.
42
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herausbildeten. „Diese Gesellschaften formieren, bzw. entfalten sich mit dem
19. Jahrhundert als zugleich moderne, bürgerlich-patriarchale, nationalstaatlich
verfasste, in unterschiedlichem Maße ethnisierte, kapitalistische Gesellschaften
[…].“53
Dabei ist die politische Organisationsform dieser Gesellschaften der Nationalstaat.
Dieser definiert anhand staatsbürgerlicher Zugehörigkeit, wer dazugehört, wer exkludiert wird und vor wem sich die Gesellschaft schützen muss. Der Zeitraum
ab den 1880er Jahren gilt, wie es Gérard Noiriel prägnant ausgedrückt hat, als
„naissance d’un ‚problème‘“.54 Nicht nur in Frankreich entzündet sich eine heftig geführte Debatte um Einwanderung und Integration jenseits des anerkannten
Asylrechts für Schutzsuchende aus politischen oder religiösen Gründen. Diese
Jahrzehnte bilden für Frankreich, Deutschland – und Luxemburg – Höhepunkte
von Binnenwanderungen (‚Landflucht‘) in die expandierenden Städte und Industriezonen; es ist die Hochphase der Auswanderung nach Übersee. Zugleich sind
die Jahre auch gekennzeichnet durch eine Zuwanderung von ArbeitsmigrantInnen
aus den Nachbarstaaten. Früh hat bereits Stefan Leiner darauf hingewiesen, dass
diese Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Migration auch als „Binnenwanderung“ gekennzeichnet werden kann, da im Zuge der Industrialisierung das SaarLor-Lux-Gebiet als (Wirtschafts-)Region konstituiert wurde.55 Nichtsdestotrotz erfolgte diese Migration über Grenzen hinweg, indem unterschiedliche Rechtsräume
durchschritten und teilweise auch bewusst betreten wurden. Neu ist in diesem
Zusammenhang, dass im Zuge der gleichzeitigen Ausbildung von Nationalstaatlichkeit, Industrialisierung und Demokratisierung die Diskussion um nationale
Zugehörigkeit und staatsbürgerliche Rechte immer größere Teile der Gesellschaft
erfasste und sich nicht mehr allein auf einen Elitendiskurs reduzieren ließ. Dies
lässt sich etwa an der Integration der luxemburgischen Arbeiterklasse in die Nation
zeigen, die auch dadurch vollzogen wurde, dass es dieser mit der Zeit erfolgreich
gelang, sich selbst als wichtigen Teil der Nation darzustellen.56 Allerdings deutet
sich hier eine Zweiteilung an: Während die Soziale Frage mittels der Integration
der Arbeiterklasse erfolgreich politisiert wurde, wurde sie mittels des Diskurses
um ausländische Prostituierte zugleich moralisiert und externalisiert. Fragen der
sozialen Gerechtigkeit und der politischen Partizipation basierten so weiterhin auf
53
54
55
56
Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli, Achsen der Ungleichheit – Achsen der Differenz.
Verhältnisbestimmungen von Klasse, Geschlecht, ,Rasse‘/ Ethnizität, in: Klinger, Cornelia/Knapp,
Gudrun-Axeli/Sauer Birgit (Hg.), Achsen der Ungleichheit: Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht
und Ethnizität (Politik der Geschlechterverhältnisse, 36), Frankfurt am Main 2007, S. 19-41, hier
S. 27.
Noiriel, Gérard, L’immigration: naissance d’un „problème“ (1881-1883), in: Agone (Histoire, Politique
& Sociologie) 40 (2008), S. 15-40: „Le terme ‚immigration‘ a donc été inventé au début des années 1880
pour désigner un dramatique ‚problème‘ de société, qu’il fallait résoudre de toute urgence pour sauver
la France“ (S. 40).
Leiner, Stefan, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher und
sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856–1919 (Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 23), Saarbrücken, 1994, S. 3.
Vgl. Dormal, Michel, Politische Repräsentation und vorgestellte Gemeinschaft. Die Entwicklung
des luxemburgischen Parteiensystems und Parlamentarismus und ihr Beitrag zur Nationenbildung.
Dissertation an der Universität Luxemburg, Luxemburg 2014, 355ff. http://hdl.handle.net/10993/15397
(Stand: 15.1.2015).
43
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einer bürgerlichen Geschlechterordnung und waren zugleich durch nationale Zugehörigkeit strukturiert.57
Die von uns diskutierten Ausweisungspraktiken der Behörden wurden von einer
medialen Diskussion begleitet. In der Luxemburger Presse tobte eine Debatte um
das Bleiberecht und die Anpassungsnotwendigkeit von in Luxemburg wohnenden
fremden Staatsbürgern zum ‚Erhalt der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung und gesellschaftlichen Harmonie‘, die durch diese Zuwanderung gefährdet
schienen. Luxemburg sah sich dabei ausdrücklich als Gastland, nicht als Zuwanderungsnation. Insbesondere lag die Aufmerksamkeit auf der ‚Mutterrolle‘ der Frau
für Familie und Nation und der Grenzen: „They assumed the roles of the biological reproducers of a nation while also figuring as reproducers of the nation’s
boundaries; consequently, they had to be controlled in their sexual and marital
behaviour“,58 wie für den kolonialen Kontext festgestellt wurde, der in der Behandlung des Zuwanderungsproblems sehr ähnlich war.
Ausweisungen wegen Prostitution59
Die Begründungen für die Ausweisung in Luxemburg wurden auf den Anträgen
auf Ausweisung oder Niederlassungsverbot zumeist noch einmal handschriftlich
auf Deutsch oder Französisch vermerkt. Meistens handelte es sich dabei um die
Angabe von Verurteilungen aus dem In- und Ausland (z. B. recel, vol, coups et
blessures, Sittenpolizeivergehen, freiwillige Schläge, prostitution, proxénétisme,
usw.). In einigen Fällen bezogen sich die Vermerke jedoch nicht auf strafrechtlich
relevantes Verhalten, sondern allein auf die moralische Führung und den Ruf der
betreffenden Person (z. B. mauvaise réputation, mauvaise conduite, etc.).
Tatsächlich waren es eine Vielzahl von Begründungen (z. B. pratique la débauche,
Animierweiber und Straßendirnen, contravention au règlement des maisons de débauche, demeure est le rendez-vous des prostituées, emploi des filles publiques
comme serveuses dans les cabarets, établissement d’une maison de débauche sans
autorisation, prostitution clandestine, proxénétisme, se faisait entretenir par des filles publiques, vivant de la prostitution de sa concubine/son épouse, danseuse dans
un cabaret connu comme lieu de débauche, tenir ressources de la débauche, usw.),
die implizierten, dass die Betroffenen ausgewiesen wurden, da sie die Prostitution
ausübten oder förderten.60 Im Folgenden nicht unter den Prostitutionsverdacht subsumiert wurden Begründungen wie venerisch erkrankt oder fille de café dans un
établissement malfamé, oder auch vagabondage und mauvaise réputation. Obwohl
es zumindest bei den Frauen zu vermuten ist, dass in den ausländerpolizeilichen
Dossiers der Betroffenen ein Prostitutionsverdacht geäußert wird, erscheinen diese
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Vgl. hierzu ausführlich Mauer, Intersektionalität und Gouvernementalität (Anm. 10), S. 236ff.
McClintock, Anne, Imperial Leather: Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, New York
1995, S. 355.
Dieser Abschnitt basiert maßgeblich auf den Ausführungen von Mauer, Intersektionalität und
Gouvernementalität (Anm. 10), S. 286f.
Vgl. Gesetz vom 18. Juli 1913 über die Fremdenpolizei, in Mémorial A, Nr. 49, 23. Juli 1913.
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Formulierungen vage und bewerteten nicht in gleicher Weise moralisch zweideutiges Verhalten von Männern und Frauen.61
Es kam häufig vor, dass mehrere Begründungen für die Ausweisung herangezogen wurden, so dass teilweise ein ganzes Konglomerat von Delikten und Verhaltensweisen vorlag. So wurde etwa der Vorwurf der maladie vénérienne – also geschlechtskrank zu sein – häufig, aber eben nicht immer in einem offensichtlichen
Zusammenhang mit dem Delikt ‚Prostitution‘ vorgebracht.62
Abbildung 2: Ausweisungsbescheide (inklusive Wegweisungen und Niederlassungsverbote)
wegen Prostitution (Datenquelle: ANLux J-071, Erhebung und Darstellung Heike Mauer)
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So arbeitet etwa Althammer, Beate, Der Vagabund. Zur diskursiven Konstruktion eines
Gefahrenpotentials im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Härter, Karl/Sälter, Gerhard/
Wiebel, Eva (Hg.), Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen
und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2010, S. 425ff. am Beispiel des
Vagabunds und der Vagabundin um die Wende zum 20. Jahrhundert in Deutschland heraus, dass die
Konstruktion gegenüber Frauen durchaus einen Prostitutionsverdacht implizieren konnte, gegenüber
Männern jedoch ein viel breiteres Spektrum unerwünschten oder devianten Verhaltens bezeichnete.
Althammer weist nach, dass der Vagabund zwar ganz überwiegend als männliches Wesen vorgestellt
wurde, vagierende Frauen jedoch mit deutlich negativeren Zügen geschildert wurden. Wurden im
Vagabundendiskurs Frauen überhaupt thematisiert, so war Althammer zufolge ihre Gleichsetzung mit
Prostituierten ein feststehender Topos.
Die 117 Fälle, in denen die Ausweisungen allein mit einer Geschlechtskrankheit begründet wurden,
werden hier nicht in die unter ‚Prostitution‘ zusammengefassten Vorwürfe einbezogen.
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Der Anteil der wegen ‚Prostitution‘ in dem hier formulierten Sinne erteilten Maßnahmen lag von 1880 bis 1940 bei 10,4 % (1.356 von insgesamt 13.092 fremdenpolizeilichen Maßnahmen). Dabei wurden jedoch Ausweisungserlasse, die gegen
Frauen ausgesprochen wurden, in knapp der Hälfte aller Fälle (47,4 %) (insgesamt
1.100 Beschlüsse) mit Prostitution begründet, während solche Maßnahmen gegenüber Männern lediglich in 2,4 % der Fälle (insgesamt 256 Beschlüsse) mit Prostitution begründet wurden.
Abbildung 3: Ausweisungsbescheide (inklusive Wegweisungen und Niederlassungsverbote)
gegenüber Frauen (Datenquelle: ANLux J-071, Erhebung und Darstellung Heike Mauer)
Die Grafik illustriert eine weitgehend parallele Entwicklung der Ausweisungen,
die gegen Frauen im Allgemeinen und wegen Prostitution im Besonderen ausgesprochen wurden. Der einzige nennenswerte Ausreißer, bei dem die Ausweisungen
wegen anderer Delikte bei der Gruppe der Frauen deutlich gegenüber der Begründung Prostitution überwiegen, stellt die Zeit während und unmittelbar nach dem
Massenstreik von 1921 dar.63
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Vgl. zur Geschichte des Massenstreiks von 1921 und dessen Nachwirkungen ausführlich Scuto,
Denis, Sous le signe de la grande grève de mars 1921. Les années sans pareilles du mouvement ouvrier
luxembourgeois, 1918-1923. Esch-sur-Alzette 1990.
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Abbildung 4: Ausweisungsbescheide (inklusive Wegweisungen und Niederlassungsverbote)
gegenüber Männern (Datenquelle: ANLux J-071, Erhebung und Darstellung Heike Mauer)
Wie aus den Begründungen der Ausweisungen ersichtlich wird, handelte es sich bei
diesen Maßnahmen hauptsächlich um Ausweisungen wegen der Förderung heterosexueller Prostitutionsverhältnisse. Gegenüber den Männern lauteten die Vorwürfe
dementsprechend Zuhälterei, Halten einer Unzuchtstätte, oder es war davon die
Rede, dass der betreffende Mann von der Prostitution seiner Ehefrau oder seiner
Lebenspartnerin lebte (z. B. vivant du produit de la prostitution de son épouse/
concubine). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die fremdenpolizeilichen Maßnahmen nicht gegen (ausländische) Männer als Kunden der Prostitution wendeten.
Männern, die mit der Begründung Prostitution ausgewiesen wurden, wurde vielmehr vorgeworfen, als ‚Zuhälter‘ die heterosexuelle Prostitution zu unterstützen
oder sich finanziell zu bereichern.
Betrachtet man allein die Bescheide, die mit Prostitution begründet wurden, ist
festzustellen, dass diese in 81,1% der Fälle (1.100 von 1.356) gegenüber Frauen
bewirkt wurden.
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Abbildung 5: Ausweisungsbescheide (inklusive Wegweisungen und Niederlassungsverbote)
1881-1940 wegen Prostitution (Datenquelle: ANLux J-071, Erhebung und Darstellung
Heike Mauer)
Es richteten sich also weniger als ein Fünftel aller beschlossenen fremdenpolizeilichen Maßnahmen wegen Prostitution gegen Männer. Ausweisungen, die mit
Prostitution begründet wurden, richteten sich in einem hohen Maße gezielt gegen
Frauen und müssen – im Gegensatz zu Ausweisungen wegen anderer Delikte – als
feminisiert begriffen werden.
Fazit
Die Ausweisungsbeschlüsse wegen Prostitution stellen gut ein Zehntel aller Erlasse dar. Der Schutz der Moral und der guten Sitten stellte also nur einen Baustein
der Sicherung des luxemburgischen Territoriums vor ‚lästigen‘ oder ‚gefährlichen‘
Ausländerinnen und Ausländern dar.
Die hier vorgestellten Daten zeigen, dass die Ausweisungspraxis in einem doppelten Sinne vergeschlechtlicht war: Erstens richteten sich die meisten Ausweisungsbeschlüsse gegen Männer, nur 17% der Beschlüsse forderten Frauen ultimativ zum
Verlassen des Großherzogtums auf. Zugleich verbanden sich in der Ausweisungspraxis jedoch auch Moral und Geschlechterordnung: Von den Ausweisungen wegen des Verdachts oder des Nachweises von Prostitution waren primär ausländische Frauen betroffen und erst viel nachrangiger ihre ausländischen ‚Zuhälter‘ oder
sonstige ‚Profiteure‘ der Prostitution.
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Der hier dargelegte Maßnahmenkatalog und seine Behördenwege stehen also deutlich mit den gesellschaftlichen Transformationen, die die Industrialisierung und
Urbanisierung Luxemburgs begleiteten, in Zusammenhang, die von bürgerlichen
Normvorstellungen geleitet waren. In einer ‚Klassengesellschaft‘ wirkte Prostitution als ein systemstabilisierendes Element von sich ausschließenden Frauengruppen: Die anständige Ehefrau und Mutter stand der Prostituierten als Hure gegenüber.
Dies zeigt zunächst, dass die Prostituierte intersektional konstituiert wurde: als eine
arme, außer Haus beschäftigte, ausländische Frau mit ‚zweifelhafter Moral‘. Zugleich spiegelte sich diese problematische Identität in der ‚bürgerlichen Ordnung‘
wider: Diese ist national verfasst (das Großherzogtum, d. h. die luxemburgische
Nation sollte moralisch gesichert werden), durch Klassenverhältnisse geprägt (soziale Ungleichheit wird ‚moralisiert‘, wobei sich Arbeiter und arme Frauen als
besonders anfällig für die Prostitution erweisen) und durch ein normatives Ideal der
Geschlechterkomplementarität geprägt (die Frau wirkt im Privaten, während der
Mann öffentlich tätig ist). Ein Kernstück dieser Ordnung war eben die Einordnung
der Individuen entlang dieser Kategorien, die – paradoxerweise – gerade auch mit
Ausweisungen hergestellt wurden, wie auch der Luxemburger Fall zeigen kann.
Dr. Heike Mauer promovierte an der Universität Luxemburg und ist als wissenschaftliche
Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen tätig.
Dr. Thomas Kolnberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität
Luxemburg.
Dieser Artikel basiert auf Archivrecherchen der AutorInnen im Zusammenhang mit dem im Oktober 2015
abgeschlossenen Dissertationsvorhaben von Heike Mauer. Vgl. Mauer, Heike, Intersektionalität und
Gouvernementalität. Die Problematisierung der Prostitution in Luxemburg um 1900 bis zum Ende der
Zwischenkriegszeit, PhD, Universität Luxemburg, 2015. URL: http://orbilu.uni.lu/handle/10993/22375
(Stand: 14.1.2016). Die VerfasserInnen möchten sich bei Christiane Reinecke (Universität Leipzig)
und den beiden anonymen Gutachtern für ihre wertvollen Anregungen bedanken.
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