[Publiziert in: T. Hofmann und A. Sturm (Hrsg.), Menschenbilder – Bildermenschen. Kunst
und Kultur im Alten Ägypten, (Festschrift Erika Feucht), Norderstedt 2003, 57-126]
DIE GÖTTIN IM BOOT
Eine ikonographische Untersuchung
Maya Müller
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die spätzeitliche Bastet-Stele im Museum der Kulturen
Basel (III 6199). Es handelt sich um eine bisher unpublizierte "Museumsausgrabung", die
1923 ins Museum gelangte1. Die oben abgerundete Platte ist leicht breitformatig. Die Höhe
beträgt 32cm, die Breite 37cm, die Tiefe 6cm. Fast die ganze Oberfläche wird von einem in
erhabenem Relief gearbeiteten Boot eingenommen, in welchem sich ein offener Naos mit
zwei Gottheiten befindet. Es sind die löwenköpfige Bastet und ein falkenköpfiger Sonnengott,
wohl Horus, beide mit der Sonnenscheibe auf dem Haupt. Am Bug sitzt ein Uräuskopf, am
Heck ein ins Boot zurückblickender Oryxkopf. Das Boot enthält ferner eine Sphinxstandarte
und ein Steuerruder; über dem Bug "schwebt" ein Opferträger in versenktem Relief, der ein
Tablett mit Brötchen auf den über den Kopf erhobenen Händen trägt. Vor dem Bug steht eine
Frau mit langer Perücke und Lotusblüte auf dem Scheitel, die das Tamburin schlägt,
offensichtlich die Stifterin. Der Sockelstreifen am unteren Bildrand, auf dem die Dame und
das Boot stehen, stellt anscheinend Wasser und Land zugleich dar. Rechts oben erscheint eine
verwitterte Beischrift, wohl eine an "Bastet, Herrin von Bubastis, Herrin des Himmels, Fürstin
aller Götter" gerichtete Opferformel. Die Kratzer links vom Naos sind vielleicht Reste einer
zweiten Beischrift. Die Herkunft der Stele ist unbekannt, sie wurde bei einem Händler in
Kairo erworben, stammt aber zweifellos aus Bubastis. (Abb. 1)
Das Bild ist durchaus ungewöhnlich. Göttinnen erscheinen selten in Booten, die auf dem
Wasser fahren , d.h. die nicht tragbare Prozessionsbarken sind, und noch viel seltener ist der
Bootstyp mit den beiden Tierköpfen an den Enden; und zur Stifterin, die ein Musikinstrument
spielt und somit in Ausübung ihres priesterlichen Amtes begriffen ist, ist mir bisher keine
Parallele bekannt geworden.
Praktisch das gleiche Boot erscheint aber auf drei weiteren Weihgaben für Bastet oder
Tefnut2: einer in den 1960er Jahren in Bubastis ausgegrabenen Stele (Zagazig) und einem
Menit-Gegengewicht in Hannover (Kestner Museum 1950.131) (Abb. 2-3), die beide in der
Dritten Zwischenzeit oder Spätzeit entstanden, und einer weiteren Stele in Hannover (Kestner
Museum 1935.200.442) (Abb. 4), die wohl frühptolemäisch ist. Die letztgenannte zeigt das
gleiche Boot und ist einer löwenköpfigen Göttin zugedacht, die jedoch einer Triade vorsteht
und nicht Bastet, sondern Tefnut ist. In allen drei Fällen nimmt die Bootsszene für sich allein
ein ganzes Bildfeld ein, ohne dass eine verehrende Person hinzuträte. Die Bootsszene ist auf
allen vier Bildern praktisch dieselbe, was beweist, dass es sich um ein geläufiges Schema
handelte, das im 1. Jahrtausend auf löwenköpfige Göttinnen anwendbar war, und nicht um
eine phantasievolle Einzellösung. Damit stellt sich die Frage nach dem Charakter der
Bootsdarstellung. Es sind grundsätzlich zwei Lösungen denkbar: Entweder handelt es sich um
eine Erscheinungsform der löwenköpfigen Göttin, oder um eine rituelle Bootsfahrt. Die
1
Das Thema habe ich für Sie, liebe Frau Feucht, ausgesucht in der Hoffnung, dass es Ihnen Vergnügen bereite.
Sie werden unten im Abschnitt "Das Boot mit dem Oryxkopf" besprochen. - Für die freundliche Erlaubnis, die
den Abbildungen 2-5 zugrunde liegenden Fotos aus dem Kestner-Museum, Hannover, zu publizieren, danke ich
Frau Prof. Dr. Rosemarie Drenkhahn sehr herzlich.
2
1
auffallendsten Einzelelemente des Bildes, die Tierköpfe an den Enden des Boots, spielen bei
der Diskussion der Frage eine wichtige Rolle.
Das Ziel ist, den Themenkreis, dem das Bild angehört und den wir als 'die Göttin im Boot'
bezeichnen wollen, zu analysieren, um sich schliesslich der Bedeutung der verschiedenen
Ausformungen und des Phänomens generell anzunähern. Zu diesem Zweck ist zunächst die
visuelle Information unseres Ausgangsbeispiels zu definieren3. Der Bildträger ist eine
Bogenstele in gedrungenem Querformat. Sie trägt einen einzigen Bildstreifen, der eine einzige
Szene wiedergibt. Die Szene kann auf neutrale Weise, ohne Vorwegnahme einer Deutung,
wie folgt benannt werden: 'Eine Privatperson steht vor Gottheiten im Boot'. Sie zerfällt in
zwei Teilszenen oder Handlungen. Rechts: 'Eine Frau schlägt das Tamburin'. Links: 'Ein Boot,
das sich auf einem Wasser- bzw. Bodenstreifen befindet, enthält einen offenen Naos, in
welchem zwei Gottheiten stehen'. Die beiden Teilszenen kommen auf anderen Denkmälern
jede für sich allein als vollständige Szene vor und können daher als solche analysiert werden.
Unter Szene verstehe ich eine relativ komplexe Konfiguration von Figuren und Dingen, die
eine Handlung beinhaltet. In der ägyptischen Kunst ist für eine Handlung keine Bewegung
erforderlich; auch das ruhige Dastehen einer Götterfigur kann im Sinne unserer Definition
eine Handlung sein. Eine Szene setzt sich aus Teilen zusammen, die wir als Bildelemente
bezeichnen. Es handelt sich vorwiegend um Lebewesen und Sachen, um nur diejenigen
Kategorien zu nennen, die für unser Beispiel relevant sind. Es seien hier nur die beiden
wichtigsten Elemente, die Tierköpfe, ausdrücklich erwähnt. Zur visuellen Information gehört
schliesslich die Inschrift, die die Hauptperson als Bastet, Herrin von Bubastis identifiziert.
Es ist von vorn herein klar, dass die linke Szene, die die Gottheit enthält, für den Sinn des
Bildes entscheidend ist, kommt sie doch auf den drei anderen Denkmälern als alleinige Szene
auf einem Bildstreifen vor; die rechte Szene, die verehrende Privatperson, kann den Sinn
modifizieren. Der eigentliche Gegenstand der Untersuchung ist daher die Bootsszene. Im
folgenden soll die Bootsszene der löwenköpfigen Göttinnen, wie sie auf den vier eingangs
erwähnten Weihgaben zu sehen ist, als Paradigma verwendet werden, mit welchem die
aufzusuchenden Parallelen verglichen werden. Es ist wichtig, von der vollständigen Szene
auszugehen und nicht einzelne Bildelemente aus dem Kontext herauszureissen. Die Szene ist
die kleinste sinntragende Einheit, weil sie eine Handlung enthält. Szenen, die in hohem Grad
mit dem Paradigma übereinstimmen, werden selten zu finden sein. Interessant ist aber der
Vergleich mit Szenen, die in weniger hohem Grad damit übereinstimmen, weil das eine oder
andere Bildelement verändert ist. So kann z.B. die Göttin X durch die Göttin Y ersetzt
werden, die menschengestaltige Erscheinungsform durch die tiergestaltige, oder ein offener
Naos durch einen geschlossenen, etc. Ferner ist bei jedem Beispiel festzustellen, in welchem
Kontext die Bootsszene vorkommt. Unter Kontext verstehen wir diejenigen Szenen, die auf
einem gegebenen Denkmal im Umkreis der Bootsszene innerhalb derselben Oberfläche oder
Wand angebracht sind. Und es sind wichtige Stilelemente wie vor allem die Bildkomposition
in die Analyse einzubeziehen, weil diese Bedeutungsträger sind. Bei gleichzeitiger
Berücksichtigung mehrerer Faktoren wird sich herausstellen, unter welchen Umständen bei
einer bestimmten Szene die Veränderungen gegenüber dem Paradigma mehr Gewicht
bekommen als die Gemeinsamkeiten; in solchen Fällen wird mit einem veränderten Sinn der
Szene zu rechnen sein.
Unser Paradigma umfasst folgende Merkmale: Es muss ein Boot vorhanden sein, das auf dem
Wasser fährt; es muss an Bug oder Heck einen oder zwei Tierköpfe aufweisen; im Boot muss
3
Vgl. Maya Müller, GM 188, 2002, 81-94.
2
ein offener Naos stehen, in welchem sich eine Göttin befindet. Eine (oder mehrere)
verehrende Person(en) können hinzutreten. Die Vergleichsbeispiele werden inhaltlich nach
wichtigen Merkmalen gruppiert und chronologisch aufgelistet, beginnend mit dem frühesten
Vorkommen einer Göttin im Boot. Es werden jeweils die Abweichungen vom
paradigmatischen Beispiel angegeben.
Vorbemerkungen zu den beiden (Teil)szenen und zum wichtigsten Bildelement
Gottheiten in Booten sind an und für sich eine sehr geläufige Erscheinung. Es sind im
wesentlichen drei Kategorien von Gottheiten zu unterscheiden, die sich selbst im Boot
bewegen: Am häufigsten sind sicher die Gestirnsgötter, Sonne und Mond, die über den
Himmel oder durch die Unterwelt fahren. Ein weiterer Schiffsreisender ist Osiris, der sich auf
seinem See in Abydos ergeht. Auf dem Westufer von Theben, und zwar im Gebiet der
königlichen Totentempel, gab es nach dem Zeugnis mehrerer Privatgräber der Ramessidenzeit
Teiche und Kanäle, auf denen rituelle Schifffahrten durchgeführt wurden. Die erhaltenen
Darstellungen zeigen nicht nur vergöttlichte Könige des Neuen Reiches und die vergöttlichte
Königin Ahmose-Nofretere in Booten, sondern auch eine Reihe von Gottheiten, deren Tempel
auf dem Ostufer lagen. Der wohl geläufigste Typ von Götterbooten sind allerdings diejenigen,
die sich nicht selbst auf dem Wasser bewegen, sondern von Priestern auf den Schultern
getragen oder in Transportschiffen befördert werden. Es sind die Prozessionsbarken, die auf
Traggestellen montiert sind. Eine besondere Kategorie stellt schliesslich die Barke des Sokar
dar, die hier nur erwähnt sei wegen des zurückgewandten Oryxkopfs am Heck; denn es
handelt sich um einen Sondertyp, der m. W. überhaupt nur auf dem Traggestell vorkommt und
der als anikonisches Götterbild bezeichnet werden kann.
Die Tamburinschlägerin ist als selbständige Szene sehr selten. Die erste bildlich belegte
Gottheit, die das Tamburin schlägt und dazu tanzt, ist Bes, der seit der mittleren 18. Dynastie
in dieser Rolle auftritt. Als selbständige Szene erscheint das Motiv auf Amuletten des Neuen
Reichs. Erst unter den römischen Tonfiguren wird das Motiv häufiger: Es erscheint als Frau,
die einen Blütenkranz oder manchmal auch die Hörnerkrone der Isis/Hathor auf dem Kopf
trägt. Als Figuren innerhalb grösserer Handlungszusammenhänge auf Stelen, Grabwänden etc.
sind Tamburinschlägerinnen öfter anzutreffen, und inschriftlich sind sie für den Kult der
Hathor und verwandter Göttinnen gut bezeugt.
Die Tierköpfe, die an Booten von Göttinnen vorkommen, umfassen die Oryxantilope, den
Steinbock, eine unbestimmte Gazellenart, die Ente oder Gans und die Kobra. Die Köpfe
entsprechen nicht der Gestalt der Bootsinhaberin, ungleich etwa dem Widder- oder
Falkenkopf an den Booten des Amun oder Horus. Die Antilopen-, Gazellen- und
Steinbockköpfe stellen mit Sicherheit keine Gottheiten dar, sondern sind weit verbreitete
Symbole, die insbesondere mit dem Bereich der Toilettengeräte und der menschlichen
Intimsphäre verbunden sind. Ebensowenig stellen die Enten- oder Gänseköpfe an Booten eine
Gottheit dar. Für sie gilt dasselbe wie für die Hornträger. Als Kobra können zwar Göttinnen
wie Wadjet und Nechbet dargestellt werden. Der grosse Kobrakopf am Boot der Bastet ist
aber anders geformt als die sonstigen Darstellungen der Göttinnen in Schlangengestalt und
kann daher Symbolcharakter haben.
Hathor als Kuh im Boot
Die früheste Darstellung einer Göttin im Boot, die mir bekannt geworden ist, ist die
Hathorkuh der Hatschepsut in Deir el-Bahari. Es handelt sich um ein königliches Denkmal,
3
und zwar ein vom übrigen Tempel abgetrenntes, kleines Heiligtum für die besondere
Erscheinungsform der Hathor von Deir el-Bahari als Kuh. Die Göttin ist in diesem kleinen
Tempel meist als Kuh dargestellt, auch im inneren Sanktuar, aber nicht immer im Boot. Das
Boot kommt in zweierlei Zusammenhängen in der Hypostylhalle und im äusseren Sanktuar
vor.
-Hathorheiligtum der Hatschepsut in Deir el-Bahari, äusseres Sanktuar, Reliefs auf der linken
und der rechten Längswand, die beide gleich aufgebaut sind4:
Jede Wand enthält eine einzige grosse Szene. Der Hathorkuh, die nach aussen blickt, stehen
Hatschepsut und Ihi mit dem Sistrum in der Hand gegenüber, und dazwischen türmen sich
Opfergaben. Zum Bild der Kuh auf einer Sockelplatte gehören zwei kleine Figuren der
Königin, deren eine am Euter saugt und deren andere vor dem Hals der Kuh steht. Letztere ist
von der Menit-Kette der Kuh umfangen. Die Kuh, die in einen offenen Naos wie in einen
Rahmen eingefügt ist, steht in einem Papyrusboot, das seinerseits auf einem Schlitten steht,
und das ganze Gebilde ruht auf einem niedrigen Podest. Die Sockelplatte unter den Hufen der
Kuh zeigt an, dass hier eine Statue dargestellt ist - im Gegensatz zum inneren Sanktuar, wo
die "echte" Kuh auf der Bodenlinie steht.
Wenn die Kuh im Boot die transportable Ausführung der Kuh ohne Transportmittel wäre,
würde man die übliche Prozessionsbarke mit Traggestell erwarten. Statt dessen sehen wir uns
mit einer ganz unüblichen, nicht leicht einreihbaren Konfiguration konfrontiert. Darum sei die
Kuh im Boot des äusseren Sanktuars vorderhand als eine selbständige Variante des bootlosen
Kultbilds im inneren Sanktuar bezeichnet.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem offenen Naos auf dem Boot.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt, das Boot hat keine Tierköpfe
und steht auf einem Schlitten und Podest.
-Hathorheiligtum der Hatschepsut in Deir el-Bahari, Wandrelief in der zweiten Hypostylhalle,
linke Wand5:
Die Figur der das Königskind säugenden Hathorkuh im Boot wird von Priestern auf einem
Schlitten gezogen, und Hatschepsut (sekundär als Thutmosis II. beschriftet) steht ihr als
verehrende Person gegenüber. Der Zug, der das untere Bildregister einnimmt, bewegt sich
westwärts. Was das obere Register angeht, so konnten anlässlich der umfangreichen neueren
Untersuchungen des Tempels, die die polnisch-französische Mission durchführte, mehrere
Fragmente identifiziert werden, die hierher gehören dürften. Es scheint sich um die
Prozessionsbarke des Amun von Karnak zu handeln, die aber, ungleich dem Boot der Hathor,
nicht geschleppt, sondern in der üblichen Weise von Priestern auf den Schultern getragen
wird.
An der gegenüberliegenden, rechten Seitenwand der zweiten Hypostylhalle erscheinen
innerhalb einer Prozessionsdarstellung mehrere Transportschiffe, einige davon mit
Tierköpfen, jedoch ohne das Bild der kuhgestaltigen Göttin. Auf dem obersten Register sind
zwei Transportschiffe dargestellt, die geschlossene Naoi enthalten, auf den beiden
darunterliegenden Registern eine Reihe von Eskortschiffen mit leeren Thronen, die als
symbolische Vertreter der Königin zu deuten sind, und zuunterst eine vielköpfige
Militäreskorte. Diese Szenen werden unten im Abschnitt über "Die Königin oder ein leerer
4
PM(2) II, 352, 48 und 49; G. Jéquier, L'architecture et la décoration dans l'Ancienne Egypte, Vol. I, Paris 1920,
Tf. 35 (4); S. Giedion, Ewige Gegenwart - Der Beginn der Architektur, (deutsche Ausgabe DuMont Schauberg),
Köln 1965, Abb. 274.
5
PM(2) II, 350, 28; N. Beaux und J. Karkowski, La chapelle d’Hathor du temple d’Hatshepsout à Deir el-Bahari,
in: BIFAO 93, 1993, 16-24, fig. 10-15; K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie I bearbeitet und übersetzt von Kurt
Sethe, Leipzig 1914, pp. 138-140 (den Hinweis auf Sethes Deutung verdanke ich Edward Loring).
4
Naos im Boot" vorgestellt. Da die beiden Prozessionsszenen auf der rechten und der linken
Wand aber offensichtlich zusammengehören und zwei Phasen ein und desselben Ereignisses
wiedergeben, sei hier eine Bemerkung zur Deutung vorausgeschickt. Ich schliesse mich der
Ansicht Kurt Sethes an, der in diesen Bildern die Einweihungsfeierlichkeiten des
Hathorheiligtums erblickte. Genauer gesagt wird die rechte Wand zeigen, wie das neu
geschaffene Kultbild der Kuh im Boot mit grossem Zeremoniell von der Ostseite Thebens
herübergebracht wird, und zwar in Begleitung Amuns von Karnak. Auf der linken Wand ist
das Bildwerk bereits ausgeladen und wird nun, wiederum in Begleitung der ebenfalls
ausgeladenen Barke des Amun, in den neuen Tempel eingeführt. Die ganze Konfiguration ist
einmalig und anscheinend für ein einmaliges Ereignis konzipiert, nicht für eine regelmässig
wiederholbare Prozession.
Im Achmenu, dem Festtempel Thutmosis' III. in Karnak, befindet sich ein Fragment einer
ursprünglich wohl ähnlichen Schleppszene wie derjenigen auf der linken Wand der
Hypostylhalle des Hathorheiligtums. Der Reliefrest, der an der Ostwand der Festhalle sitzt,
umfasst noch die untere Hälfte der Kuhstatue in der Barke, die auf einer Kufe steht. Dahinter
erkennt man noch die Beine eines Begleiters im wadenlangen Schurz. Beischriften und
bildlicher Kontext fehlen6.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem offenen Naos auf dem Boot.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt, das Boot hat keine Tierköpfe
und steht auf einem Schlitten. Eine weitere wichtige Abweichung besteht darin, dass das Bild
eine reale Ritualhandlung wiedergibt.
-Bemaltes Tuch aus Deir el-Bahari; The Boston Athenaeum7; wohl aus der Regierungszeit
Amenophis' II.; Objekttyp: Weihgabe.
Die Szene zeigt eine junge Dame, die Stifterin Iit, die vor der Hathorkuh im Boot steht und ihr
eine Opfer darbringt. Die linke Halbszene mit dem Götterbild weist zwei neue Elemente auf:
Zum ersten erscheint die Kuh im Papyrusdickicht, und zum zweiten ist der Typ des Boots, das
hinten in eine gebogene Papyrusdolde ausläuft und vorn ein stumpfes Ende hat, ein anderer:
Das Boot muss dreieckig gewesen sein, wie man es heute noch an Binsenbooten beobachten
kann, die auf Sardinien hergestellt werden.
Das erste sicher datierte Vorkommen der Kuh im Papyrusdickicht ist die grosse Statue, die
Amenophis II. in die von Thutmosis III. erbaute Felskapelle neben dem Mentuhoteptempel
stiftete (Kairo JE 38575)8. In diesem Fall stehen das Tier und die Pflanze direkt auf dem
Sockel. Unter den zahlreichen Weihgaben aller Art, die man im Neuen Reich der Hathor von
Deir el-Bahari darbrachte, zeigen vor allem die bemalten Tücher und die Stelen die Stifterin
oder den Stifter, oft begleitet von den Angehörigen, vor dem Bild der Kuh9. Die Kuh wird in
der Minderzahl der Fälle im Boot dargestellt, und für das oft vorhandene Papyrusdickicht
brauchte es kein Boot und nicht einmal einen Wasserstreifen, denn der Papyrus kann auch auf
einem Schlitten, auf dem Boden, auf einem Steinsockel oder im Westberg stehen. Die vier
letztgenannten Konfigurationen wären, wollte man sie als realistisches Bild lesen,
widersinnig. Sie zeigen vielmehr, dass der Papyrus ein wichtiges Attribut der Göttin ist, das
sie gleichsam am Körper trägt. Auf den Weihgaben aus Deir el-Bahari opfert der Stifter bald
vor der Kuh im Boot, bald vor der Kuh am Boden mit oder ohne Papyrusdickicht, bald vor der
Göttin als thronende Frau: Offenbar wurden diese Varianten als gleichwertige
6
J.-Fr. Pécoil, L'Akh-menou de Thoutmosis III à Karnak. La Heret-Ib et les chapelles attenantes, Relevés
épigraphiques, Paris 2000, Tf. 82; PM(2) II, 1972, 110 (333).
7
S. d'Auria, in: P. Der Manuelian (Ed.), Studies in Honor of William Kelly Simpson, Museum of Fine Arts,
Boston, Vol. I, 1996, 175, fig. 3.
8
M. Saleh, H. Sourouzian, The Egyptian Museum Cairo, Official Catalogue, Mainz 1987, no. 138.
9
G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, Griffith Institute Ashmolean Museum Oxford 1993, 160-183.
5
Erscheinungsformen der Hathor empfunden wurden und es hing vom Geschmack des Stifters
ab, wie der Akzent gesetzt wurde.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem Boot, das im Wasser liegt.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe und der
Naos.
-Menit-Gegengewicht aus Bronze in Durchbrucharbeit, in der Festung Semna am 2. Katarakt
in Nubien gefunden; Boston Museum of Fine Arts 29.1199; H. 13,8cm; aus stilistischen
Gründen der Zeit Amenophis' III. zuzuweisen; Objekttyp: Luxusobjekt, Kultgerät und/oder
Weihgabe aus vornehmem Haushalt10.
Das Boot mit der Hathorkuh und den Papyrusstauden ist exakt in das Rund des Menits
eingepasst. Im trapezförmigen Teil erscheint die Göttin als Frau mit Hörnerkrone. Auf dem
oberen Abschluss sitzt ein Profilkopf der Hathor mit Hörnerkrone und den sehr jugendlichen
Gesichtszügen, die für Amenophis III. und die Königin Teje charakteristisch sind. Der
Profilkopf vereinigt sich mit dem Menit-Gegengewicht zu einem anikonischen Bild der
Göttin. Die Gesamtform des Gegengewichts kann aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den als
"Brettchenpuppen" oder "paddle dolls" bekannten, flachen Idolfiguren des frühen Mittleren
Reichs als abstrahierter weiblicher Körper gedeutet werden11. Der runde untere Teil wurde
nicht nur mit dem Schamdreieck, sondern auch mit der Gebärmutter assoziiert, denn seine
Form gleicht der Hieroglyphe des rundbodigen Wassergefässes N 41, das Wörter wie 'Uterus',
'Frau', 'Kuh' und 'säugende Kuh' determiniert (jdt, Hmt, sbnt); zuweilen ist das Determinativ
noch sprechender gestaltet, indem ein Phallus in das Gefäss hineinragt.
Das Menit integriert drei ganz verschiedene Bilder der Göttin, den Kopf mit Gebärmutter, die
Frau, und die Kuh im Boot, zu einer abstrakten, von der Form des Gegengewichts geprägten
Komposition. Daraus kann geschlossen werden, dass die Hathorkuh im Boot eine selbständige
Erscheinungsform der Göttin ist. Das dreifache Bild beschreibt die Göttin als die Eine und
zugleich Vielgestaltige, die neues Leben aus ihrem Bauch generiert; nur die attraktivfruchtbare Frau ist sein Gegenstand, nicht die aggressiv-kämpferische. Da mehrere ähnliche
Menit-Gegengewichte ebenfalls aus der Zeit Amenophis' III. stammen, darf die Erfindung des
neuen Kompositionsprinzips seiner Regierungszeit zugeschrieben werden. Nicht zufällig
handelt es sich um eine Epoche, in der die Königin in der Ikonographie eine wichtige Rolle
spielte. (Vgl. unten: "Die Königin oder ein leerer Naos im Boot").
Ein Menit-Gegengewicht in Berlin (21838), das genau dasselbe Bild bietet wie dasjenige aus
der Festung Semna, trägt die Inschrift "Isis, die Gottesmutter, die Herrin des Himmels". Diese
Gleichsetzung von Hathor und Isis verdeutlicht das Phänomen der Austauschbarkeit von
Ikonographie und Epitheta unter einer kleinen Gruppe von Göttinnen, die man unter der
Bezeichnung der Mutter- und Liebesgöttinnen oder Muttergattinnen zusammenzufassen
pflegt. Seit dem Alten Reich treten sie als Mutter und als Geliebte des Königs zugleich auf.
Die beiden Rollen schlagen sich insbesondere in den Epitheta „Gottesmutter“ und „Auge des
Re“ nieder, die ein wichtiges Bindeglied zwischen ihnen darstellen.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem Boot, das im Wasser liegt.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe und der
Naos; die Szene mit dem Boot ist in eine abstrakte Komposition eingebaut.
10
A.P. Kozloff and B.M. Bryan, Egypt's Dazzling Sun, Amenhotep III and His World, The Cleveland Museum
of Art in cooperation with Indiana University Press, 1992, no. 90; vgl. auch no. 89, das Menit-Gegengewicht
Berlin 21838, das genau die gleiche Darstellung enthält wie Boston MFA 29.1199.
11
G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, Griffith Institute, Ashmolean Museum, Oxford 1993, 279-281; Ch.
Desroches-Noblecourt, Amours et fureurs de la lointaine, Paris (Stock) 1995, 101-108; Mistress of the House Mistress of Heaven, Cincinnati Art Museum, 1996, 65-66, no. 14.
6
-Stele mit Statuen der Hathorkuh und einer Königin, mit Stifterinschrift des Bildhauers
Kenamun (oder Ken), 1986 in Deir el-Bahari gefunden, aus stilistischen Gründen der Zeit
Amenophis' III. zuzuweisen12; Objekttyp: Weihgabe.
Das Motiv ist ein Unikum, denn es stellt der Kuh im Boot, die durch die Sockelplatte
eindeutig als Statue gekennzeichnet ist, die Statue einer Königin gegenüber, die in den
Händen eine Keule und ein Zepter hält. Die Figur der Königin ist so dicht an das Boot
herangerückt, dass sie es an mehrerern Stellen berührt. Jadwiga Lipinska hält die Statue, die
wohl ein Werk Kens darstelle, für Hathor oder eher für die Königin Teje, die oft als Göttin
und besonders als Hathor verehrt wurde. Die aneinandergefügten Statuen der Kuh und der
Königin dürften aber, wie ich meine, zusammen eine rundplastische Gruppe wiedergeben,
zweifellos eine Weihgabe für Hathor von Deir el-Bahari, die der Bildhauer Kenamun im
Auftrag der Königin Teje ausgeführt hat. Ähnliche Darstellungen von Götter- und
Königsstatuen sind recht geläufig an den Wänden thebanischer Privatgräber. Indessen sind
mir Statuengruppen einer Königin mit einer Gottheit sonst nicht bekannt, jedoch bei Teje, die
zumindest in Nubien nachweislich als Göttin auftrat, am ehesten zu erwarten. Wir finden hier
die seltene Konstellation Göttin und Partnerin. Eine geläufigere Variante stellt das Bild der
Hathorkuh dar, an deren Hals die Königin Hatschepsut steht, wie im äusseren Sanktuar des
Hathorheiligtums von Deir el Bahari. Diese intime Konfiguration war aber nur für die Königin
in ihrer Eigenschaft als regierender Pharao möglich. Eine dritte Variante ist die unten zu
besprechende Barke der Königin Mutemuja, wo die Partnerin im Boot sitzt (London British
Museum EA 43). Was die Stele des Bildhauers Kenamun angeht, so hat sie kein eindeutiges
göttliches Abzeichen, (wie es das Lebenszeichen wäre), ist aber durch Hetes-Zepter und Keule
über die normale Stellung einer Königin hinausgehoben.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem Boot, das im Wasser liegt.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe und der
Naos; neben dem Boot erscheint eine Partnerfigur an Stelle einer verehrenden Person.
-Grab des Maya in Saqqara, Wandrelief; Kairo JE 43274a-e13; Ende 18. Dyn.
Erhalten ist der grössere Teil einer Wand, die oben rechts den Grabherrn in Anbetung vor der
Hathorkuh zeigt. Das Bild der Göttin präsentiert sich in genau gleicher Weise wie im äusseren
Sanktuar des Hathorheiligtums der Hatschepsut. Diese Konfiguration wurde offenbar tel quel
von Deir el-Bahari nach Saqqara übertragen. Neben dieser Szene empfangen der Grabherr und
seine Gattin drei Herren mit Opfergaben, und auf den beiden Registern darunter sind
berufliche Aktivitäten Mayas dargestellt. Obwohl die Szene in eine grössere Grabwand
eingebunden ist, ist sie doch in sich geschlossen und nicht Teil einer mehrphasigen Handlung.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem Boot, das im Wasser liegt.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe und der
Naos.
-Abu Simbel, Kleiner Tempel der Königin Nefertari, Gattin Ramses' II., und Grosser Tempel
Ramses' II., Wandreliefs14:
Nefertari opfert der Göttin, die von der Beischrift als "Hathor, Herrin von Ibschek" bezeichnet
wird, Lotusblüten. Die Hathorkuh steht auf dem Bootsrand - ohne Basisplatte, aber mitsamt
einem Büschel Papyrusstengeln. Das Boot steht auf einem Wasserstreifen, aus welchem ein
weiteres, vor dem Kopf der Kuh angeordnetes Papyrusdickicht aufwächst. Die tiergestaltige
Göttin ist hier nicht als Statue, sondern als "echtes" Tier gedacht, zu dessen Erscheinung das
Papyrusdickicht und das Boot gleichsam als Attribute des Körpers dazugehören. Daher die
12
J. Lipinska, in: Festschrift Jürgen von Beckerath, HÄB 30, 1990, 171-174, Tf. 9.
E. Graefe, MDAIK 31 (2), 1975, 203-205, fig. 7, Tf. 60.
14
H.C. Schmidt und J. Willeitner, Nefertari, Sondernummer Antike Welt Jg. 25, 1994, 78, Abb. 107.
13
7
Verdoppelung des Papyrusbuschs. Im Grossen Tempel von Abu Simbel ist eine genaue Replik
des Bildes angebracht, nur dass sich hier Ramses II. an "Hathor befindlich in Theben" wendet.
In beiden Fällen erscheint die Szene für sich allein an einer Schmalwand über einer Tür.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem Boot, das im Wasser liegt.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe und der
Naos.
-Grab einer anonymen Königin im thebanischen Tal der Königinnen Nr. 40, Zeit Ramses' III.,
Wandrelief, bemalt15:
Das Bild der Hathorkuh befindet sich im Vorraum an der Rückwand zwischen einer Tür und
der Ecke, während die Königin mit den Opfergaben an der linken Seitenwand erscheint,
ebenfalls zwischen einer Tür und der Ecke. Die Darstellung der Kuh steht dem Bild im
äusseren Sanktuar von Deir el-Bahari sehr nahe, es ist aber kein Podest vorhanden, sondern
der Schlitten unter dem Boot steht auf dem Boden. Auf der Bugspitze steht ein Falke. Der
Naos ist mit einer Girlande und einem roten Tuch behängt. Die Figur der Kuh ist durch eine
Basisplatte als Statue gekennzeichnet. Obwohl sich die Szene in einem Grab befindet, ist sie
ganz in sich geschlossen und ohne Kontext, gleich denjenigen in Abu Simbel. Das Gegentück
dazu auf der rechten Hälfte der Rückwand bzw. der rechten Seitenwand zeigt die Anbetung
des Westsymbols, das im Westberg von Theben steht. Daraus ist zu schliessen, dass auch die
Statue der Kuh im Boot zu einem Symbol verdichtet ist. Ausserdem fehlt jedes Anzeichen ,
dass sie in einer Schleppfahrt begriffen wäre.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem offenen Naos auf dem Boot.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe; das
Boot steht auf einer Kufe.
Bemalter Sarg aus der zweiten Cachette von Deir el-Bahari 'Bab el Gasus', Kairo Ch./N.
6067b (= CG 6112)16.
Eine gemalte Szene auf der Aussenseite der Sargwanne enthält eine neue Variante der HathorKuh im Boot: Am linken Bildrand sieht man den Westberg von Theben mit einem
Grabeingang, und während das eine Hinterbein der gescheckten Hathor-Kuh im Berg
verborgen ist, steht sie mit den drei anderen Hufen zugleich im Boot. Auf der Bugspitze sitzt
eine Uräusschlange. Das Wasser unter dem Bug ist durch einen Fisch angedeutet. Vor dem
Boot steht der Sarginhaber, der ein Tablett mit Opfergaben erhebt. Das Boot im Wasser und
der Westberg schliessen einander logisch aus. Die Kombination der beiden
Erscheinungsformen zeigt aber, dass sie als äquivalent und komplementär empfunden wurden.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht auf dem Boot, das auf dem Wasser fährt.
Abweichungen: Die Göttin erscheint in theriomorpher Gestalt; es fehlen die Tierköpfe; es
wurden zwei widersprüchliche Erscheinungsformen der Göttin zu einer verquickt.
Wie kommt die Kuh ins Boot?
Das Hathorheiligtum von Deir el-Bahari ist, wie ich meine, insgesamt eine ganz persönliche
und phantasievolle Schöpfung der Königin Hatschepsut bzw. ihrer Hofgelehrten. Die Kuh ist
im inneren Sanktuar zweimal am Boden und im äusseren Sanktuar zweimal im Boot
dargestellt; ansonsten erscheint sie nur auf der linken Wand der Hypostylhalle noch im Boot.
Die Kuh im Boot ist eine Variante der Erscheinungsform der Hathor von Deir el-Bahari als
15
Ch. Leblanc, Ta Set Neferou, Une nécropole de Thèbes-Ouest et son histoire, Vol. I, Le Caire 1989, pl. 77.
A. Niwinski, La seconde trouvaille de Deir el-Bahari (sarcophages), Catalogue général des antiquités
égyptiennes du Musée du Caire, Le Caire 1996, 137, fig. 109. Niwinski deutet das Boot als Sonnenbarke.
16
8
Kuh mit besonderer Bedeutung. Es ist offensichtlich, dass alle späteren Darstellungen der Kuh
im Boot auf dieses "Gründungsbild" zurückgehen, wofür zum einen die in Deir el-Bahari
niedergelegten Weihgaben selbst sprechen, und zum andern die Tatsache, dass einige
Darstellungen in Tempeln und Gräbern mehr oder weniger genaue Zitate sind.
Ein wichtiger Grund für die Assoziation der Kuh mit Gewässer und Papyrusdickicht wird in
einigen Beischriften zu den Szenen des Hathor-Heiligtums genannt: Die Göttin erklärt, dass
die Königin Hatschepsut, die sie geboren und gesäugt hat, ihr Horuskind im Nest von
Chemmis sei (Urk. IV, 237-239). Sie beschreibt, wie sie von Pe nach Dep gegangen sei und
die Vogelsümpfe durchwandert habe, um ihren Horus in Chemmis zu beschützen. Die
Metaphern des Jungvogels und des Stierkalbs werden kühn gemischt. So wie sie den Falken
im Nest aufgezogen habe, so verleihe sie der von Apis gezeugten Hatschepsut durch ihre
Milch Leben und Dauer. - Chemmis wird uns im 5. Jahrhundert v. Chr. von Herodot (II 156)
als eine schön bepflanzte Insel in einem See beschrieben, der neben dem Heiligtum der
Wadjet von Dep (Buto) lag, und es ist zu vermuten, dass man schon zur Zeit der Hatschepsut
diese Anlage vor Augen hatte, wenn man von Chemmis sprach.
Das Bild der säugenden Kuh betont zwar die Mutterrolle der Hathor von Deir el-Bahari. Die
Königsfigur, die sich an den Hals der Kuh schmiegt und von ihrer Menit-Kette umfangen ist,
spielt aber zugleich auf die Liebesbeziehung zwischen Göttin und Pharao an. Es steht die
Vorstellung dahinter, dass sich der König allnächtlich mit der geliebten Göttin vereinige,
damit sie ihn neu gebäre und als Säugling aufziehe. Schon zu Beginn der 11. Dynastie spricht
ein Abendlied König Antef Wachanchs17 diesen Zusammenhang an: Der König gibt eine
gefühlsbetonte Beschreibung seiner Beziehung zu Hathor, die ihn allnächtlich neu gebiert und
säugt. Er erwartet und bejubelt das Erscheinen der Göttin als Abendstern und gibt ihr seine
Sehnsucht nach ihr mit der Gestik seiner Hände, seines Körpers und mit seinen Worten zu
verstehen - "meine Hände 'sind in': Komm zu mir, komm zu mir" - um sich schliesslich als
Horus mit ihr zu vereinigen.
Das Papyrusdickicht ist der bevorzugte Schauplatz für das Erscheinen der Hathor, wie wir aus
Quellen das Alten und Mittleren Reiches erfahren. In Privatgräbern des Alten und Mittleren
Reiches wird gelegentlich neben der Szene der Vogeljagd im Papyrussumpf eine weitere
Bootsfahrt dargestellt, auf welcher der Herr oder die Herrin des Grabes einige Papyrusstengel
packt und schüttelt. Jacques Vandier hat diese Szenen, von denen einige die Beischrift
"Papyrusschütteln für Hathor" (zSS wAD) aufweisen, beschrieben und gedeutet18. Auf der
praktischen Ebene geht es um die Vorbereitung der Vogeljagd, da das Schütteln des Papyrus
die Vögel aufscheucht. Die Beischrift macht aber deutlich, dass zugleich eine rituelle
Handlung gemeint ist. Das Verb zSS steht onomatopoetisch für das Geräusch, das das
Schütteln des Papyrus verursacht, und zugleich für das Geräusch des geschüttelten Sistrums,
des wichtigsten Attributs der Hathor.
Auf welche Weise Hathor einem Menschen im Papyrusdickicht leibhaftig erscheinen kann,
erfahren wir aus einer literarischen Quelle, der so genannten Hirtengeschichte. Das im
Mittleren Reich niedergeschriebene Gedicht ist nur fragmentarisch erhalten. Richard
Parkinson, der es neu übersetzt hat, erklärt es einleuchtend als ein höfisches Produkt19. Einem
jungen Rinderhirten, der zum Teich, der in der Nähe der Weide liegt, hinuntergeht, erscheint
eine Göttin von überwältigender Attraktivität, er ist hingerissen und zu Tode erschreckt
zugleich. "My hair stood on end when I saw her tresses... I'll never do what she said, and dread
of her still runs through my limbs! So berichtet er seinen Kollegen und ordnet an, dass man
die Boote hole und die Herde über das Gewässer übersetze. Die Hirten sprechen dabei einen
Wasserzauber, der im Gedicht zitiert wird. Der Spruch enthält eine Beschwichtigung der
17
J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, Zürich und München 1975, Nr. 201.
J. Vandier, Manuel d'archéologie égyptienne, tome IV, Paris 1964, 738-746; Y. Harpur, GM 38, 1980, 53.
19
R. Parkinson, The Tale of Sinuhe and Other Ancient Egyptian Poems 1940-1640 BC, Oxford 1997, 287-8.
18
9
zornmütigen Göttin, damit sie den Hirten und die Herde nicht von der Wasserweide vertreibe.
Die Furcht vor ihr werde beschworen, so wird versichert, bis das 'Wüten der mächtigen Göttin
und die Furchtbarkeit der Herrin der beiden Länder vergehen'. Die Beschwörung hat Erfolg,
denn nun erscheint die Göttin dem Hirten als die schöne Verführerin: "This goddess
approached him / when he appeared before the pool. / She came stripped naked of her clothes,
/ with her hair let loose. (Dann bricht der Text ab).
In Zusammenhang mit der Insel Chemmis und mit dem Papyrussumpf der Vogeljäger und
Hirten an ein Boot zu denken ist durchaus naheliegend. Trotzdem ist eine ausgewachsene Kuh
in einem kleinen Papyrusboot realistisch gesehen eher widersinnig und man möchte daher
lieber an eine - recht kühn ins Bild gesetzte - Metapher denken. Schon Hatschepsut setzt in
den Bildbeischriften die säugende Kuh mit der Aufzucht des jungen Falken im Nest von
Chemmis gleich. Es ist gut denkbar, dass man mit dem gefässartigen Boot nicht nur das Nest,
in dem die Eier ausgebrütet werden, assoziierte, sondern auch die Gebärmutter. Wir werden
unten in Zusammenhang mit dem nackten Mädchen im Entenboot die Metaphorik des Boots
als Nest, Vulva und Uterus ausführlich diskutieren.
Das nackte Mädchen im (Enten)-Boot
-Salblöffel in Form eines figürlichen Anch-Zeichens in Durchbrucharbeit, aus Sedment;
London University College, Petrie Collection 1436520; Holz, H. 21cm; aus stilistischen
Gründen der Zeit Amenophis' III. zuweisbar; Objekttyp: Luxusobjekt und/oder Weihgabe
bzw. Grabbeigabe.
Der Stiel stellt ein winziges Boot im Papyrusdickicht dar, auf dem ein nacktes Mädchen mit
Laute steht oder vielmehr einen Tanzschritt ausführt. Der Hals der Laute endet in einem
zurückgebogenen Entenkopf. Am Heck des Boots sitzt ein Entenkopf, am Bug ein
Steinbockkopf, dessen Hörnchen nach unten gebogen sind. Die Laffe hat die Form eines
grossen Lotusblatts, dessen Rand mit Wasserlinien verziert ist, um zugleich einen Teich
anzudeuten. Das Bindeglied zwischen Laffe und Stiel ist ein quer liegendes, doppeltes
Lotusgebinde.
Das Mädchen ist sehr jung, eine Jugendliche, die gerade die Geschlechtsreife erreicht hat.
Auch das Gesicht ist jugendlich, ja noch fast kindlich; das Stupsnäschen, die grossen, schräg
stehenden Augen und die dicken Lippen entsprechen dem jugendlichen Porträttypus König
Amenophis' III. Die Schultern und die Becken-Oberschenkel-Partie sind frontal
wiedergegeben. Dieses Stilmittel wurde offensichtlich bewusst eingesetzt, um das
Sexualorgan hervorzuheben. Es ist die partielle Vorwegnahme eines Konzepts, das erst in der
19. Dynastie realisiert werden sollte, nämlich die Darstellung von Nacktheit und Frontalität im
Bereich der Gottheiten. Der Zweck oder Charakter der Fahrt des Mädchens ist nicht
ersichtlich, da es keinen erzählerischen Kontext gibt.
Exkurs: Zum Symbolwert des Enten- und des Steinbockkopfs
Der Entenkopf am Papyrusboot ist ein wichtiges ikonographisches Element, das in der Zeit
Amenophis' III. aufkam. Im vorliegenden Fall trägt das Boot einen zweiten Tierkopf,
denjeniges eines Steinbocks. Die Kombination von Ente und Steinbock ist bisher einmalig.
Der Steinbockkopf erscheint erstmals an einem Boot einer Göttin im Hathorheiligtum der
Hatschepsut in der el-Bahari, das weiter unten besprochen werden soll. Im folgenden sei der
Symbolwert des Enten- und des Steinbockkopfs am Boot diskutiert.
Der Entenkopf kann ins Boot zurück oder aus dem Boot herausblicken; in manchen Fällen ist
das andere Ende des Boots als Schwanz gestaltet, so dass von vorn herein klar wird, dass das
20
Egypt's Dazzling Sun (s. Anm. 10), 354-5, no. 81.
10
Boot als ganzes eine Ente darstellt. Es kann sich übrigens auch um eine Wildgans handeln,
dieser feine Unterschied scheint für den Symbolwert des Vogels nicht von Belang gewesen zu
sein. Das Boot als entengestaltiges Gefäss erinnert vor allem an andere entenförmige Gefässe,
nämlich die grossen Prunkschalen, die an den Wänden mancher Privatgräber des Neuen
Reiches abgebildet sind. Das für unseren Zusammenhang wichtigste Gefäss ist eine grosse
Schale, die im Grab des Kenamun (TT 93) unter den kunstvollen Neujahrsgeschenken für
König Amenophis II. figuriert21. Die Schale ist als ein lebendiges Muttertier behandelt, das
sein auf dem Deckel, d.h. dem Rücken, hockendes Küken betreut. Die Ente und das mit
seinen Stummelflügelchen rudernde Küken strecken einander die aufgesperrten Schnäbel
entgegen wie im Gespräch. Dies lässt sich so verstehen, dass die Schale nicht nur den Körper
des Muttertiers darstellt, sondern zugleich das Nest, in dem das Küken aufgezogen wird. Dass
das Entennest voll Eiern und Küken generell ein sprechendes Symbol für weibliche
Fruchtbarkeit und Neugeburt ist, liegt auf der Hand. Im Grab Tutanchamuns ist ein Modell
eines solchen Nests niedergelegt worden22. Am Salblöffel Paris Louvre N 1733 (s. unten) ist
der Kopf des Mädchens im Entenboot beidseits eingerahmt von Entenküken auf
Papyrusdolden. Auf einem Fayencebecher aus der 22. Dynastie wechseln Lotusblüten, auf
denen ein nacktes Götterkind hockt, ab mit Papyrusdolden, auf denen Vogelnester
schweben23. Ein Bindeglied zwischen Nest und Boot findet sich in einer Vogeljagdszene im
Grab des Haremhab (TT 78)24. Dort sind zwei mit Enteneiern gefüllte, nestartige Binsenkörbe
dargestellt, die die gleiche Form haben wie das Papyrusboot mit Hathorkuh auf dem oben
besprochenen Tuch im Bostoner Athenaeum. Als literarisches Zeugnis sei schliesslich die
Erzählung von Snofrus Ruderpartie aus dem Papyrus Westcar erwähnt, wo die
verführerischen nackten Mädchen im Boot vor der Kulisse der Ufergefilde mit ihren
Vogelnestern erscheinen25. Der Schluss ist erlaubt, dass das Entenboot Assoziationen mit dem
Nest erweckt, in dem die Jungen ausgebrütet werden, oder mit dem Mutterleib, in dem das
Kind entsteht.
Zum Steinbockkopf ist folgendes zu bemerken: Jan Quaegebeur ging in seiner Untersuchung
über die Alabasterbarke Tutanchamuns26 auf die Steinbockköpfe ein und wies nach, dass die
drei an den luxuriösen Toilettengeräten und Gefässen ubiquitären kleinen Hornträger, der
Steinbock mit den in grossem Bogen nach hinten unten gebogenen Hörnern, die (Dorcas)Gazelle mit den doppelt geschweiften Hörnern und die Oryxantilope mit den fast gerade nach
oben oder hinten weisenden Hörnern, gleichwertig und austauschbar als Symbole der
Fruchtbarkeit und der Neugeburt gebraucht wurden. Ferner zeigte er auf, wie sehr das
geriefelte Steinbockhorn der Hieroglyphe der Jahresrippe gleicht (rnp). Ein Zeichen für die
Austauschbarkeit der Hornträger ist auch die Tatsache, dass die ägyptischen Künstler den
Bocksbart, der eigentlich nur den männlichen Steinböcken zukommt, gelegentlich der Gazelle
oder Oryx zugeteilt haben27.
Die Rolle des Hornträgers ist literarisch am schönsten beschrieben im so genannten
Gazellenwunder28, das der Wesir Ameni zur Zeit Mentuhoteps IV. Nebtauire im Wadi
Hammamat während einer Steinbruchsexpedition erlebte. Min von Koptos schickte ein
21
Ch. Wilkinson and M. Hill, Egyptian Wall Paintings. The Metropolitan Museum of Art's Collections of
Faxsimiles, The Metropolitan Museum of Art, New York 1983, 106, fig. 30.4.180.
22
Ch. Desroches-Noblecourt, Vie et mort d'un pharaon. Toutankhamon, Hachette, 1963, 227, 304, pl. XLVII.
23
G. Tait, JEA 49, 1963, 113, fig. 4, no. XVI.
24
Egyptian Wall Paintings (s. Anm. 21), 119, fig. 31.6.4.
25
M. Lichtheim, Ancient Egyptian Literature, Vol. I: The Old and Middle Kingdoms, University of California
Press, Berkeley, Los Angeles, London 1973, 216.
26
J. Quaegebeur, La naine et le bouquetin ou l'énigme de la barque en albâtre de Toutankhamon, complété et
publié par Nadine Cherpion, Leuven (Peeters) 1999.
27
J. Capart, L'art égyptien, choix de documents IV: Les arts mineurs, Bruxelles 1947, pl. 712-713.
28
W. Schenkel, Memphis, Herakleopolis, Theben, Äg. Abh. 12, 1965, 263f., Nr. 110.
11
Wunder, damit sein Sohn, der König, in alle Ewigkeit Sedfeste feiere: Die Arbeiter waren
eben dabei, einen grossen Grauwackeblock für den Sarkophag des Königs aus dem Berg zu
lösen, als eine trächtige Gazelle den Berghang hinunter lief, auf dem Steinblock stehen blieb
und ihr Junges gebar. Sie wurde sogleich getötet und als Brandopfer dargebracht. Der
Symbolwert der Geburt auf dem Sarkophag ist evident: Der Sarkophag ist der fruchtbare
Mutterschoss, aus dem der Herrscher in alle Ewigkeit verjüngt und neu geboren wird; das
Leben entquillt dem Tod, so wird ihm verheissen. Die Geschichte macht plausibel, warum die
kleinen Hornträger als Symbole der Fruchtbarkeit gewählt wurden: Diese Tiere sind
Steppenläufer, die ihre Art nur erhalten können, weil sie extrem schnell und leicht gebären
und das neugeborene Jungtier nach wenigen Minuten imstande ist, aufzustehen und sich dem
Zugriff der Raubtiere durch Flucht zu entziehen.
In Zusammenhang mit den kleinen Hornträgern ist noch eine besondere Art von
Prunkgefässen zu erwähnen, die unter den königlichen Neujahrsgeschenken vorkommen, wie
sie auf Grabwänden hoher Beamter dargestellt sind. Im Grab des Tjanuni (TT 76)29 ist eine
Schale abgebildet, deren Körper die Form einer Lotusblüte hat und aus welcher Lotus- und
Lilienblüten aufwachsen; der Schulter der Schale entwachsen zwei Steinbockköpfe. Ein ganz
ähnliches Kunstwerk ist im Grab Rechmires dargestellt (TT 100)30, nur dass dort der
Steinbockkopf von der Innenseite der Schale ausgeht. Und Cheriuf (TT 192)31 präsentiert
seinem Herrn, Amenophis III., ein noch raffinierteres Werk: Der Schale, die als Lotusblüte
mit zwei Steinbockköpfen gestaltet ist, entwachsen in der rechten Hälfte Papyrusstengel, in
der linken Lilienstengel, und in der Mitte thront der König, der mit beiden Händen nach den
Pflanzenstengeln greift. Die Lotusschalen haben einen starken Anklang an Boote, denn in
beiden Fällen handelt es sich um Gefässe; und der Fall Amenophis' III. mit den
halbkreisförmig angeordneten Wappenpflanzen erinnert an die Fayenceschale aus Gurob in
der Petrie Collection (Capart, Les arts mineurs, pl. 733 unten), wo das halbkreisförmige
Papyrusdickicht ebenfalls dem Boot eines nackten Mädchens mit grossem Stier zu entquellen
scheint (s. unten). Eine grosse Salbschale, die eine starke Analogie mit einem Oryxboot hat,
ist in einer sehr ungewöhnlichen Ritualszene Ramses' II. auf der Umfassungsmauer von
Karnak dargestellt32. Der König, der eine Menit-Kette mit Gegengewicht über die linke
Schulter gehängt hat, der also mit einem Kultinstrument der Hathor ausgerüstet ist, präsentiert
der Göttin Mut insgesamt vier grosse, längliche Salbschalen mit zurückblickendem Oryxkopf.
Da am anderen Ende eine Art Schwänzchen angebracht ist, entsteht der Eindruck, dass das
Gefäss den Körper des Tieres bildet. Auch bei den Booten mit Steinbock- oder Oryxkopf
dürfte zumindest eine Assoziation zwischen Schiffsrumpf und Tierbauch, in welchem neues
Leben wächst, vorliegen.
Doch kommen wir auf den Salblöffel UC 14365 zurück.
Was die Handlung der Szene am Stiel des Löffels angeht - ein nacktes Mädchen steht tanzend
und einsam in einem Miniaturboot im Papyrusdickicht und spielt Laute - so ergäbe sie, wollte
man sie wörtlich verstehen, keinen erkennbaren Sinn; das Bild stellt keine realistische
Genreszene dar. Das Motiv des musizierenden und tanzenden Mädchens stammt zwar aus den
Gastmahlszenen in den thebanischen Privatgräbern. Am Salblöffel ist die Figur aber trotz
ihrer plastischen Körperlichkeit und raumgreifenden Bewegung der Realität enthoben, da sie
isoliert erscheint und der Körper überdies mit dem Schaft des Anch-Zeichens verschmolzen
ist.
29
T. Säve-Söderbergh, Four Eighteenth Dynasty Tombs, Oxford 1957, pl. 72 (rechts).
Egyptian Wall Paintings (s. Anm. 21), 86, fig. 30.4.85.
31
K. Mysliwiec, Herr beider Länder. Ägypten im 1. Jahrtausend v. Chr., Mainz 1998, Abb. 8.
32
W. Helck, Die Ritualszenen auf der Umfassungsmauer Ramses' II. in Karnak, Äg. Abh. 18, 1968, Bild 50.
30
12
Ähnlich wie das oben besprochene Menit-Gegengewicht der Hathor vereinigt der Löffel drei
ganz verschiedene Bildkomponenten zu einer durch die Form des Geräts vorgegebenen
Gesamtform. Die Gesamtform, das Lebenszeichen, ist auch hier ein Symbol von relativ
abstraktem Charakter. Überdies bringt es einen recht hohen Grad von Axialsymmetrie in die
Komposition des Bildwerks ein. Die Axialsymmetrie bewirkt durch ihre absolute Statik,
Regelmässigkeit und Konzentration der Aufmerksamkeit auf das Zentrum eine hochgradige
Raum- und Zeitenthobenheit, die zugleich eine Sakralisierung des Bildes bedeutet.
Die Komponenten des Löffels, nämlich das Anch-Zeichen, der lotusblattförmige Teich, das
Lotusgebinde und die Szene des Mädchens im Tierkopfboot, sind mehrere ineinander
verwobene Metaphern für ein betont weibliches Konzept des Lebens. Genauer gesagt, geht es
um die weibliche Art, neues Leben zu generieren, es keimen, wachsen und blühen zu lassen
und vor allem durch die erotische Anziehungskraft des Körpers die Zeugung neuen Lebens zu
stimulieren.
Ich möchte nicht so weit gehen wie die Verfasserinnen des Katalogeintrags in "Egypt's
Dazzling Sun", die den Salblöffel für ein Kultgerät und das Mädchen für eine Darstellung der
Hathor erklären. Das Mädchen wird aber der Göttin angenähert, und zwar durch die
Nacktheit, die teilweise frontale Darstellung und das Erscheinen im Tierkopfboot, das Nest
und Bauch ist und Metapher für den Mutterschoss. Das nackte Mädchen kann als
Verkörperung der erotischen Attraktivität der Göttin gelten.
Verhältnis zum Paradigma: Ein Mädchen steht in einem Boot mit Tierköpfen, das im Wasser
liegt. Abweichungen: Der Naos fehlt; die Frau im Boot ist nicht vollständig identisch mit der
Göttin; die Szene ist in eine Symbolkombination eingebaut.
-Salblöffel mit rechteckiger Laffe und figürlichem Stiel, Herkunft unbekannt; Paris Louvre N
173333; Holz, Durchbrucharbeit, H. 18,5cm.
Die Laffe stellt einen rechteckigen Lotusteich dar, der Stiel ein halbnacktes Mädchen mit
Laute, das in einem entenköpfigen Boot durch das Papyrusdickicht fährt. Auf den beiden
Papyrusdolden neben dem Kopf des Mädchens sitzen Entenküken. Am Rand des Teiches sind
ein Vogelfänger und ein Boot, das von einem Mann (?) gestakt wird, zwischen Lotusstengeln
eingraviert. Das Mädchen trägt nur einen quer gefältelten, kurzen Männerschurz. Dieser
Schurztyp tritt erstmals unter Amenophis III. auf und ist für die Amarnazeit charakteristisch.
Man findet ihn mehrfach an den halbnackten Mädchen der reich verzierten Salblöffel und
gelegentlich an Prinzessinnen der Epochen Amenophis' III. und Echnatons, besonders am
Lehnstuhl der Teje Kairo CG 51112, in der Szene der Königin im Boot (vgl. unten). Warum
dieser Männerschurz? Ich kann mir schwer vorstellen, dass man ihn einfach nur sexy fand. Es
dürfte darum gegangen sein, eine männliche Komponente ins Spiel zu bringen, und da stellt
sich die Assoziation mit dem jugendlichen Gott Sched ein, dem "Retter", der eine Art
männliches Gegenstück zu den Mädchen im Entenboot darstellt: Auch er ist ein knapp
geschlechtsreifer Teenager von reizender Gestalt, der das neu erblühte Leben verkörpert, aber
zugleich eine Waffe trägt, um es zu beschützen. Sched ist m.W. allerdings erst seit der
Amarnazeit nachweisbar, und die den halbnackten Mädchen ähnlichste Darstellung ist das
Schmuckstück in Hildesheim (Pelizaeus-Museum 5922)34. Zu Sched und seiner Beziehung zu
den nackten Mädchen im Boot werden wir unten in Zusammenhang mit dem bemalten Topf
im Brooklyn Museum 59.2 mehr zu sagen haben. Hier sei nur angemerkt, dass der Anklang an
Sched die bildlichen Assoziationen des Mädchens an Gottheiten verstärkt. Der Gegenstand
gleicht übrigens eher einem miniaturisierten Libationsbecken als einem Löffel.
Verhältnis zum Paradigma: wie London UC 14365.
33
Rites et beauté. Objets de toilette égyptiens, musée du Louvre, 1993, 26 (rechts), 27; H. Fechheimer,
Kleinplastik der Ägypter, Berlin 1921, Tf. 140 (rechts).
34
Pelizaeus-Museum Hildesheim, Zaberns Bildbände zur Archäologie 12, Mainz 1993, 68, Abb.62.
13
-Breiter Salblöffel mit rechteckiger Laffe und Stiel in Durchbrucharbeit, Herkunft unbekannt;
Myers Museum ECM 179335; Steatit, L. 10cm.
Das Objekt ist eine eng verwandte Variante des vorigen. Das rechteckige Wasserbassin steht
quer und der Griff ist sehr kurz und querrechteckig, weil das nackte, lautespielende Mädchen
in hockend-kniender Haltung wiedergegeben ist. Boot und Laute haben einen Entenkopf, aus
dem Boot wachsen Papyrusstengel auf und im Sockelstreifen unter dem Boot ist ein
Fischgrätmuster eingeritzt, das zugleich Wasserlinien und die Fest-Hieroglyphe andeutet.
Die einzige wesentliche Veränderung gegenüber dem vorigen Beispiel (London UC 14365) ist
die kniende Körperhaltung der Musikantin, die offensichtlich als äquivalent zur stehenden
empfunden wurde. Die kniende Variante eignet sich aber besser für querrechteckige oder
runde Bildfelder.
Die berühmteste derartige Rundkomposition findet sich auf der Leidener Fayenceschale mit
der Lautenspielerin36, an deren Armen Lotusblüten hängen. Sie thront ganz für sich allein auf
dem Kissen in dem aus Lotussäulen und einer Rebengirlande gebildeten Kiosk, der übrigens
deutlich an denjenigen Tutanchamuns auf dem Elfenbeindeckel 551 erinnert. Die blauen
Fayenceschalen des Neuen Reiches sind oft in Tempeln und Gräbern und unter den
Weihgaben in den Hathor-Heiligtümern bezeugt, so dass man den Bildern einen religiösen
Anklang zutrauen darf. Die Leidener Schale ist ein Zwischenglied zwischen den relativ
realitätsnahen, in einer vielfigurigen Szene auftretenden Musikantinnen der Grabmalereien
und der durch Stilmittel wie die Isolierung „entrealisierten“ Figur.
Sowohl der Salblöffel in Eaton als auch die Leidener Schale präfigurieren die sitzende
Lautenspielerin der Bettmodelle aus Medinet Habu, der einzigen musizierenden Göttin in
Ägypten. (Vgl. unten: "Die nackte Göttin im Boot").
Verhältnis zum Paradigma: wie London UC 14365.
-Bemalter rundbodiger Topf, Herkunft unbekannt; Brooklyn Museum 59.237; H.29,6cm, aus
stilistischen Gründen der Zeit Amenophis' III. oder Echnatons zuzuweisen; Objekttyp:
luxuriöser Gebrauchsgegenstand.
Unterhalb des Halses läuft ein figürlich bemalter Fries um den Gefässkörper. Es sind zwei
Papyrusboote mit je einem nackten Mädchen dargestellt, und dazwischen nebeneinander zwei
grosse Lotusblüten (o.ä.) mit einem aufgerichteten und einem im Galoppsprung schwebenden
Stier. Die Boote stehen auf der Grundlinie ohne eine realistische Landschaftsangabe. Das
Mädchen im ersten Boot, das die Stakstange handhabt, ist in einer für ägyptische Verhältnisse
sehr kühnen Drehbewegung begriffen, die den ganzen Körper erfasst, die Schultern erscheinen
frontal. Es ist von zwei riesigen auffliegenden Enten flankiert, und zwar auf hinreichend
regelmässige Art, dass wir von einer antithetischen Gruppe sprechen können. Ein Salblöffel in
Kairo (CG 45136) stellt eine halbnackte Stakerin in einem Entenboot dar, die gleichsam von
einem aus zwei riesigen Lotusstengeln gebildeten, gewölbten Baldachin umfangen ist. Das
Staken ist, dies geht aus dem Aufbau dieser Szenen deutlich hervor, nicht eine beiläufige,
sondern eine wesentliche Tätigkeit, äquivalent zum Musizieren im Boot. In anderen
Beispielen ist die Insassin im Paddeln begriffen. Das Wesentliche am Staken oder Paddeln ist
35
Egyptian Art at Eaton College Myers Museum, The Metropolitan Museum of Art and Eaton College, 1999, 31,
no. 35
36
Egypt's Dazzling Sun (s. Anm. 10), 408, no. 109 (Rijksmuseum van Oudheden AD 14).
37
Egypt's Golden Age: The Art of Living in the New Kingdom, Museum of Fine Arts, Boston 1982, 94, no.74;
Nofret - Die Schöne. Die Frau im Alten Ägypten, Mainz (Zabern) 1984, 113, Nr. 51 (Kairo CG 45136: Salblöffel
mit stakendem Mädchen im Entenboot).
14
das rhythmische Fortbewegen des Boots. Ein Bildostrakon38, das 1998/99 im Gebiet des
Grabes Ramses' X. im Tal der Könige gefunden wurde, stellt ein Papyrusboot mit Entenkopf
dar, in welchem der Gott Bes kniet und das Paddel handhabt. Ohnehin wissen wir aus der
Erzählung von der Ruderpartie König Snofrus im Papyrus Westcar, dass das Rudern einen
erotischen Reiz hat - wenigstens wenn es nackte junge Mädchen sind, die es tun39.
Im zweiten Boot kniet ein Mädchen in Seitenansicht, dessen Schulterpartie nach vorn gedreht
ist, es breitet die Arme seitlich aus und hält zwei riesige Lotussträusse. Auch hier liegt eine
antithetische Komposition vor, die aber besser als antithetische Geste zu bezeichnen ist, da es
um die Körperhaltung einer Figur geht. Die Haltung und Geste des knienden Mädchens ist
dieselbe wie beim Heh-Genius mit den beiden Jahresrippen, dem Symbol der "Millionen
Jahre". In der St. Petersburger Eremitage (Inv. 2686) befindet sich ein ganz ähnliches
bemaltes Gefäss, dessen Fries aus Heh-Genien besteht, die mit grossen Lotussträussen
alternieren40. Als weiteres Vergleichsstück ist ein streng axialsymmetrisch gebauter Salblöffel
in Leiden (AH 144a)41 zu nennen: Ein nacktes Mädchen steht zwischen Lotusstengeln und
erhebt zu beiden Seiten seines Kopfes ein Nefer-Zeichen. Auf seinem Kopf steht ein weiteres
Nefer-Zeichen, flankiert von zwei Udjat-Augen, und der ovale Fischteich darüber hat die
Form eines Schen-Rings. Es könnte sich um einen theophoren Rebus handeln, wie Arielle
Kozloff vorschlug. Die Komposition des Topfs im Brooklyn Museum ist lockerer gebaut als
diejenige des Leidener Salblöffels, aber die Neigung zu antithetischer Symmetrie zeigt einen
erheblichen religiösen Gehalt an.
Das Prinzip der antithetischen Schulter-Armpartie tritt erstmals zur Zeit Amenophis' III. und
Echnatons an jugendlichen Gottheiten in Erscheinung, die Attribute in den Händen halten. Ein
durchbrochen gearbeiteter Anhänger in Hildesheim42, der der Amarnazeit angehören dürfte,
stellt den knabenhaften Gott Sched dar, den "Retter", der auf zwei Krokodilen steht und mit
den Händen zu beiden Seiten seines Körpers eine Gazelle hält (Pelizaeus-Museum 5922).
Dieses ikonographische Schema ist eindeutig von syrischen Rollsiegeln des 2. Jahrtausends
abgeleitet, die eine nackte, jugendliche Liebesgöttin in Frontalansicht wiedergeben43. Sie hält
in jeder Hand eine Gazelle (Steinbock) hoch und steht auf einem Löwen. Sie ist diejenige, die
in der 19. Dynastie in Ägypten Einzug halten sollte in Gestalt der Qadesch auf dem Löwen.
(Vgl. unten: "Die nackte Göttin im Boot").
Die Anklänge an Sched, den Heh-Genius, die nackte syrische Göttin und das in beiden Booten
angewandte, partiell antithetische Schema heben das Mädchen immer deutlicher in die
göttliche Sphäre. Zumindest im Fall des Mädchens mit den Lotussträussen möchte ich beinahe
an eine Verkörperung der Göttin denken, beim anderen wiederum an eine Verkörperung der
göttlichen sexuellen Attraktivität. Der andere Teil des Bildes mit den springenden Stieren
enthält wohl auch eine erotische Anspielung.
Verhältnis zum Paradigma: Ein Mädchen steht in einem Boot mit Tierkopf, das im Wasser
liegt. Abweichungen: Der Naos fehlt; die Frau im Boot ist nicht vollständig identisch mit der
Göttin.
38
Mündliche Mitteilung Elina Paulin Grothe, Mission Siptah-Ramses X (MISR) Project, Universität Basel,
Herbst 2002.
39
M. Lichtheim, Lit. I (s. Anm. 25 ), 216-7.
40
Egyptian Antiquities in the Hermitage, Aurora Art Publishers, Leningrad 1974, no. 70 (rundbodiger, leicht
birnenförmiger Topf, H.25,5cm, Herkunft unbekannt).
41
Egypt's Dazzling Sun (s. Anm. 10), 356-7, no. 83 (Herkunft unbekannt).
42
Siehe Anm. 34.
43
O. Keel, Das Recht der Bilder gesehen zu werden. Drei Fallstudien zur Methode der Interpretation
altorientalischer Bilder, OBO 122, 1992, 245, Abb. 215-216.
15
-Fayenceschale aus Gurob, Herkunft unbekannt; London University College, Petrie Collection
(Capart, Les arts mineurs, Tf. 733 unten); Objekttyp: Luxusobjekt, Neujahrsgeschenk?,
Grabbeigabe.
Auf der Innenseite ist ein nacktes Mädchen mit sehr langer Perücke gezeichnet, das sein
Papyrusboot durch einen Teich mit Papyrusdickicht stakt. Im Boot liegt ein grosses Rind.
Hier ist keine offensichtliche religiöse Symbolik erkennbar - im Gegensatz zu den vorigen
Beispielen - es sei denn, man wolle das Rund der Schale als Sonnenscheibe deuten. Es handelt
sich wohl um eine verschlüsselte erotische Szene mit religiösem Hintergrund. Denn ein Stier,
(dafür halte ich das Rind), der viel zu gross ist für das fragile Boot, und eine nacktes Mädchen
ergeben keine realistische Hirtenszene. Das Boot und das Papyrusbüschel sind
axialsymmetrisch in das Schalenrund eingepasst und somit der realen Welt enthoben. Das
halbkreisförmige Papyrusbüschel erinnert zudem an das Bildkonzept der säugenden Isis im
Papyrusdickicht, das aber m.W. erst ab dem späten Neuen Reich belegt ist, z.B. auf einem
Menit-Gegengewicht im Louvre44. Der liegende Stier dürfte ein männliches Symbol sein,
während das schalenartige Boot, in dessen Rundung er sich schmiegt, als Uterus oder Vulva
gelten kann, und dies um so eher, als ein Papyrusboot von oben gesehen durchaus an eine
Vulva erinnert. Dazu lässt sich eine Stelle aus der religiösen Literatur anführen. In den
Inschriften des ptolemäischen Tempels von Edfu findet sich folgender Ausspruch der Isis
gegenüber ihrem Sohn Horus: "... ich war die Vulva des Herzensmatten und sein Herz ...", der
auf die Zeugung des Horuskindes anspielt45.
Verhältnis zum Paradigma: Wie beim vorigen Beispiel.
-Ostrakon aus Deir el-Medineh; Kairo Ostr. 301946; 19. Dyn.; Objekttyp: schön ausgeführte
Ostraka dienten als Weihgaben, wie die Stifterinschriften mancher Stücke zeigen.
Die Kalksteinscherbe enthält ein reizvolles, buntes Bild: Ein nacktes Mädchen sitzt in einem
Boot mit Entenkopf und -schwanz und paddelt durch ein Papyrusdickicht; vom Hals der Ente
stehen drei grosse Lotusblüten ab. Hier ist das Boot ganz zur Ente geworden oder die Ente
zum Boot.
Verhältnis zum Paradigma: Wie beim vorigen Beispiel.
-Ostrakon aus Deir el-Medineh; Kairo Ostr. 302047; 19. Dyn.
Wie beim vorigen Beispiel fährt hier ein nacktes Mädchen in einem Entenboot durch das
Papyrusdickicht, jedoch stehend und mit der Stakstange hantierend. Zwei auffliegende Enten
rahmen das Mädchen ein, das in der Mitte des Boots steht, woraus sich ein gewisser
Symmetrieeffekt ergibt; und rechts unten 'schwebt' ein grosses Nest mit Eiern und brütender
Ente.
Verhältnis zum Paradigma: wie beim vorigen Beispiel.
Wie kommt das nackte Mädchen ins Entenboot?
Gleich der Szene der Hathor-Kuh im Boot ist auch diejenige des nackten Mädchens im Boot
nicht sehr sinnvoll, wenn man sie als realistische Darstellung betrachtet, aber die Diskrepanz
zur Realität ist weniger auffallend als bei der Kuh. Das künstlerische Konzept verbindet
bewusst dynamische Realitätsabbildung mit statischer Axialsymmetrie, diese Bilder sind
44
Ch. Cannuyer, GM 157, 1997, 11 (Umzeichnung); vgl. auch den Spacer London British Museum EA 26233
(G. Tait, JEA 49, 1963, 130, Tf. XXIV (2)).
45
M. Alliot, Le culte d'Horus à Edfou au temps des Ptolémées, BdE 20, 1949, 782.
46
E. Leospo - M. Tosi, Vivere nell' antico Egitto, Firenze 1998, Umschlag (Farbabb.).
47
J. Vandier d'Abbadie, Catalogue des ostraca figurés de Deir el-Medineh, Documents FIFAO II (fasc. 4), 1958,
pl. 155.
16
gekennzeichnet durch ein schillerndes Hinüberspielen von der Genreszene in die abstrakt
konstruierte Symbolszene.
Für das Verständnis der körperlichen Eigenschaften des jungen Mädchens ist die Erzählung
von der Ruderpartie des Königs Snofru im Papyrus Westcar hilfreich. Wir zitieren die
entscheidende Passage daraus, weil die hier diskutierten Szenen fast wie Illustrationen dieses
mehrere Jahrhunderte älteren Textes aussehen48: Am Anfang beklagt sich Snofru gegenüber
seinem Hofmagier Djadja-em-anch darüber, dass er in seinem ganzen Palast keine
'Erfrischung' (st kbt) finden könne.
"Djadja-em-ankh said to him: 'May your majesty proceed to to the lake of the palace. Fill a
boat with all the beautiful girls of your palace. Your majesty's heart will be refreshed (kbb) by
seeing them row, a rowing up and down. As you observe the fine nesting places of your lake,
as you observe its beautiful fields and shores, your heart will be refreshed by it'. Said his
majesty: Indeed, I shall go boating! Let there be brought to me twenty oars of ebony plated
with gold, their handles of sandalwood plated with electrum. Let there be brought to me
twenty women with the shapeliest bodies, breasts, and braids, who have not yet given birth.
Also let there be brought to me twenty nets and give these nets to these women in place of
their clothes!' All was done as his majesty commanded. They rowed up and down, and his
majesty's heart was happy seeing them row. Then the one at the stroke oar fingered her braids,
and a pendant of new turquoise fell into the water. Then she stopped rowing..."
Die für unseren Zusammenhang entscheidende Stelle ist die Beschreibung der schönen Körper
der Mädchen: Sie sollen zwar schon Brüste haben, aber noch nicht ein Kind geboren haben.
Das will heissen, dass sie gerade knapp die Pubertät hinter sich haben, der Körper aber noch
nicht reif genug ist, um zu heiraten und zu gebären. Diese kurze Phase der jugendlichen, von
der Kindheit noch nicht ganz losgelösten Erscheinung galt als der Gipfel der Schönheit in
Sinne der sexuellen Attraktivität. Ausserdem sollen die Mädchen lange Zöpfe oder Locken
haben. Reichliche Zopf- oder Lockenfrisuren sind seit dem Alten Reich ein wohlbekanntes
Attribut weiblicher Schönheit. Philippe Derchain49 machte darauf aufmerksam, dass 'die mit
den Brüsten und den Zöpfen/Locken' auch ein Epitheton der Hathor sein kann, das allerdings
erst in der Ptolemäerzeit belegt ist. In 'Snofrus Ruderpartie' geht es offensichtlich um eine
kunstvoll inszenierte Verführungsszene, die ihren Höhepunkt mit dem Griff der Anführerin in
ihr Haar erreicht. Am Anfang heisst es wörtlich, dass der König keine 'Kühlung' finden könne,
und der Magier meint, dass sich Snofrus Herz beim Anblick der Mädchen im Boot 'abkühlen'
werde. Dies impliziert, dass der König in erhitzter, zornmütiger Stimmung war und durch den
verführerischen Anblick in entspannte, erotische Stimmung versetzt wird. Ein solcher
Stimmungsumschlag wird in anderen Quellen, z.B. in der oben zitierten ‚Hirtengeschichte’,
der löwenköpfigen Göttin selbst zugeschrieben. Wir werden unten in Zusammenhang mit Mut
in Ischeru darauf eingehen.
Was in literarischen Werken seit dem Mittleren Reich ausgesprochen werden konnte, konnte
erst viel später in der bildenden Kunst zur Darstellung gebracht werden. Die Luxusobjekte
Amenophis' III. bringen erstmals Nacktheit und (partielle) Frontalansicht in Darstellungen mit
sakralem Anstrich ein. Erst die Qadesch-Stelen der 19. Dynastie sollten den Durchbruch
bringen, aber auch dort bleibt die Nacktheit auf die fremde, aus Syrien importierte Göttin
Qadesch beschränkt. Die einzige ägyptische Göttin, die (in der Dritten Zwischenzeit)
gelegentlich nackt und frontal auftreten kann, ist die Himmelsgöttin, und bei ihr kommt diese
Erscheinungsform nur im Inneren von Särgen vor; ganz selten trifft man in der gleichen
Epoche auch die Baumgöttin frontal und wenigstens halbnackt an. - Bezeichnenderweise steht
das nackte, halbwüchsige Mädchen dem ebenfalls nackten, halbwüchsigen Horusknaben nahe,
48
49
M. Lichtheim, Lit. I (s. Anm. 25), 216.
Ph. Derchain, RdE 21, 1969, 21.
17
der auf den Horusstelen in Frontalansicht und auf zwei Krokodilen stehend wiedergegeben
wird. Auch diese Bilderfindung, eine Art männliches Gegenstück zur nackten Qadesch auf
dem Löwen, tritt ab der 19. Dynastie auf.
Die Tätigkeiten der Mädchen im Boot, die Laute spielen und dazu tanzen, mit beiden Händen
Lotussträusse hoch halten, das Boot staken oder paddeln, sind in in einem Zwischenbereich
zwischen Menschen und grossen Göttern angesiedelt. Nur göttliche Genien wie Heh und Bes
können solche Dinge tun. Insbesondere hat Bes eine Sonderstellung inne, er kann nackt und
frontal dargestellt werden, und er kann aktiv sein. Schon im Neuen Reich kann er tanzen, das
Tamburin schlagen oder die Laute spielen50, ja sogar das Entenboot paddeln. Eine Umkehrung
der Rollen finden wir wiederum im Papyrus Westcar, in der Geschichte von der Geburt der
drei Königskinder, wo sich die weisen Göttinnen in Tänzerinnen verwandeln und auf Erden
herumgehen. Im literarischen Werk verwandeln sich Göttinnen in Menschen, während auf den
Bildern Menschen sich in Göttinnen verwandeln. Bestimmte Musikinstrumente wie die Laute,
das Tamburin und die Flöte galten in Ägypten als weiblich wegen gewisser formaler
Analogien zum weiblichen Körper. Das Lautenspiel des Mädchens im Boot hat die Funktion,
eine entspannte, erotische Stimmung hervorzurufen. Dasselbe gilt sicherlich für das Staken
oder Paddeln im Boot: Es handelt sich um eine rhythmische Bewegung mit ähnlicher Wirkung
wie die Rhythmusinstrumente der Hathor.
Das nackte Mädchen im Boot ist nicht die Göttin selber, kommt aber in manchen Fällen nahe
an sie heran. Es ist Frau und Kind zugleich. Als Frau verkörpert es die erotische
Anziehungskraft, die ständig die Erzeugung neuen Lebens stimuliert. Als Kind verkörpert es
das neu geborene Leben. So ist es gleichsam Trägerin eines enormen Verjüngungspotenzials.
Dazu passt der Symbolwert des Entenboots als Nest oder Uterus hervorragend, und gleiches
gilt für die Assoziation des Papyrusboots mit der Vulva.
Die Königin oder ein leerer Naos im Boot
-Hathorheiligtum der Hatschepsut in Deir el-Bahari, Wandrelief in der zweiten Hypostylhalle,
rechte Wand: Auf vier Registern Schiffsprozession vom Ostufer Thebens nach Deir elBahari51. Wie die erhaltene Beischrift mitteilt, geleitet Amun von Karnak ‚diese grosse
Göttin’ nach Deir el-Bahari, damit sie dort in ihr Heiligtum einziehe.
Im obersten Register, das grosse Fehlstellen aufweist, sind zwei grosse Schiffe dargestellt.
Das vordere scheint einen grossen, geschlossenen Aufbau mit einem Doppelnaos zu enthalten,
das zweite den Rest eines Aufbaus. Es ist zu vermuten, dass diese Schiffe Bilder Amuns und
Hathors transportierten, es bleibt aber offen, wo diese herkamen und wie sie aussahen52. Das
zweite und das dritte Register von oben enthalten je drei Schiffe, die als Eskorte der beiden
grossen Schiffe oben aufgefasst werden können. Diese Bilder sind schwer zu lesen, weil sich
die Schiffe stark überschneiden. Im untersten Register ist eine vielköpfige militärische Eskorte
zu Fuss dargestellt. Auf dem zweiten und dritten Register von oben interessieren uns jeweils
das zweite und dritte Schiff, weil sie Tierköpfe an Bug und Heck aufweisen und überdies
jedes einen offenen Naos mit einem leeren Löwenthron, an welchem ein Straussenfederwedel
lehnt, enthalten. Das zweite Schiff des zweitobersten Registers hat an Bug und Heck einen
Steinbockkopf, auf dem Bug des dritten stehen ein Falke und ein Uräus, das Heck fehlt. Auf
dem dritten Register von oben sind am zweiten und dritten Schiff an Bug und Heck Kuhköpfe
mit Sonnenscheibe - beim dritten Schiff mit Doppelfeder - angebracht. Wie schon Brovarski
und Quaegebeur53 andeuteten, dürften die leeren Throne auf Hatschepsut und vielleicht auch
50
Egypt's Golden Age (s. Anm. 37), no. 143, n. 6.
PM(2) II, 350, 30.
52
E. Brovarski, JEA 62, 1976, 70-71.
53
J. Quaegebeur, La naine (s. Anm. 26), 20-21, fig. 12.
51
18
ihre Tochter, die Königin Nofrure, anspielen, die in symbolischer Gestalt an der Prozession
teilnehmen und sich mit Hathor identifizieren. Ich denke, dass die beiden Königinnen nicht in
Gestalt von Statuen mitreisen konnten oder wollten, weil Prozessionsstatuen das Kennzeichen
verstorbener Könige auf dem Westufer sind. Die Boote sind aber durch die Tierköpfe als
Göttinnenschiffe gekennzeichnet, und das bedeutet in der Tat, dass sich Hatschepsut mit
Hathor identifiziert. Die Widmungsinschrift bei der Prozession lautet: "Shouting by the the
crews of the royal boats, ... in greeting this god, Amun, Lord of Karnak, in his procession of
tp-rnpt, on behalf of ... mAat-k-a-ra, an on behalf of ... mn-xpr-kA-ra, ... at the time of causing
this great goddess [i.e. Hathor] to proceed to rest in her temple in Djeser-djeseru-Amun ..."54.
Die ganze Darstellung der Schiffsprozession ist sicherlich als die erste Phase eines Ereignisses
aufzufassen, das auf der gegenüberliegenden linken Wand seine Fortsetzung findet. Die dort
erscheinende Darstellung zeigt, wie die Statue der Kuh im Boot auf einem Schlitten ins
Heiligtum geschleppt wird, wohl in Begleitung der Tragbarke Amuns von Karnak, wie oben
im Kapitel über „Hathor als Kuh im Boot“ bereits besprochen. Die auf der rechten Wand
dargestellten Schiffe mit den Tierköpfen sind Transportboote, wie sie offenbar nur Hathor
besitzt, die eine anikonische Erscheinungsform der Hathor-Hatschepsut beherbergen sicherlich eine ad hoc für diese spezielle Gelegenheit, nämlich den Transport der
neugeschaffenen Statue der Kuh im Boot vom Ost- auf das Westufer, erfundene
Konfiguration.
Verhältnis zum Paradigma: Ein königliches Symbol steht in einem offenen Naos auf einem
Boot mit Tierköpfen, das auf dem Wasser fährt. Abweichungen: Das Symbol ist nicht
identisch mit der Göttin; das Schiff ist mehrfach vorhanden und in einen mehrteiligen
Handlungszusammenhang einbezogen.
-Lehnstuhl der Teje, aus dem Grab KV 46 in Theben, Grab von Juja und Tuja, der Eltern der
Königin, aus der Zeit Amenophis' III. (Kairo CG 51112)55:
Die Rückenlehne trägt ein Bild in leicht erhabenem Relief. Auf einem Lotusteich schwimmt
ein kleines Papyrusboot mit Lotussträussen an beiden Enden, das die ganze Bildbreite
einnimmt. In der Mitte des Boots thront Teje mit der hohen Doppelfeder auf dem Haupt, in
der rechten Hand hält sie ein Anch-Zeichen, das ihren göttlichen Status bekräftigt. Unter
ihrem Lehnstuhl sitzt eine Katze. Die Königin wird flankiert von zwei halbnackten Mädchen,
die nur den kurzen, quer plissierten Männerschurz tragen, der unter Amenophis III. aufkam
und der oben anhand des Salblöffels des Louvre N.1733 besprochen wurde. Auf dem Kopf
tragen sie eine aus Lotusknospen gebildete Krone und in der äusseren Hand halten sie einen
Wedel mit einer einzelnen Straussenfeder. Die innere Hand präsentiert der Königin ein
Lotusbouquet bzw. einen Stabstrauss mit halbkreisförmigem Straussenfederwedel. Bei der
rechten Prinzessin steht die Kartusche der Satamun, die linke hat keinen Namen, aber der
Kartusche Tejes ist das Epitheton "Gottesmutter" beigefügt, das sie mit Hathor und
verwandten Göttinnen gemeinsam hat. Die drei Damen im Boot bilden eine dreiteilige
antithetische Gruppe, deren Mittelstück - die thronende Königin - aber von der Seite gesehen
und daher nicht axialsymmetrisch ist. Wir können die Komposition des Bildes darum besser
als eine Annäherung an eine antithetische Gruppe beschreiben.
Die Szene ist einmalig in ihrer Art, enthält aber Anklänge an zwei bekannte Bildschemata:
Das eine ist dasjenige einer Dame mit ihren Töchtern, die auf einem Lotusteich eine Lustfahrt
unternimmt, so auf einem Wandfragment aus dem Grab der Hetepet aus der 5./6. Dyn. Das
Haupt der Hetepet ist mit Lotusblumen geschmückt, und sie hält auch welche in Händen
(Berlin 15420). Das andere Schema ist das (halb)nackte Mädchen im Entenboot. Das
54
E. Brovarski, JEA 62, 1976, 70-71.
M.J. Quibell, Tomb of Yuaa and Thuiu, Catalogue général des antiquités égyptiennes du musée du Caire, Le
Caire 1908, no. 51112.
55
19
Mädchen ist zwar allein im Boot, hat aber auf dem Salblöffel im Louvre (N.1733) das gleiche
Männerschürzchen an wie die Töchter Tejes, und im Fall des bemalten Topfs im Brooklyn
Museum (59.2) kann bei der Stakerin zwischen zwei grossen Enten sogar von einer
rudimentären antithetischen Gruppe gesprochen werden. Eine streng antithetischaxialsymmetrisch gebaute Gruppe kann in der mittleren 18. Dynastie nur mit symbolischen
‚Personen’ besetzt werden: Wir meinen den frontalen Hathorkopf, der von den beiden
königlichen Kartuschen oder zwei sitzenden Katzen flankiert ist. Ein Beispiel, das auf die 18.
Dynastie und wohl sogar auf die Regierungszeit Thutmosis' III. zurückgeht, ist ein beidseitig
graviertes, skarabäenartiges Plättchen mit einer Mencheperre-Kartusche auf der einen
Bildfläche und einem von zwei sitzenden Katzen flankierten Hathorsistrum auf der anderen.
Das wichtigste Stück ist eine fragmentarische Steinschale mit Inschrift Amenophis' III., auf
deren Aussenwand zweimal die antithetische Gruppe des Hathorkopfs mit Spirallocken,
eingerahmt von zwei sitzenden Katzen, erscheint (Kairo CG 18459). Dazwischen ist ein
Inschriftblock erhalten, dessen ausserordentliches Interesse darauf beruht, dass er auf die
Hochzeit Amenophis' III. mit einer seiner Töchter, vermutlich Satamun, anspielt, die als
"Königstochter und Königsgemahlin, Tochter der Königsgemahlin Teje" bezeichnet wird56.
Noch ein Wort zur Katze, die im Neuen Reich der Hathor zugeordnet war und erst in der
Dritten Zwischenzeit auf Bastet überging. Die ägyptischen Quellen schweigen sich aus über
ihre Bedeutung. Dennoch ist nicht schwer zu erraten, dass sie die sexuelle Attraktivität der
Hathor verkörpert, ein Schluss, der sich angesichts des auffälligen Paarungsverhaltens der
Katzen aufdrängt, das durch eine verblüffende Mischung aus Anlocken und Angreifen
gekennzeichnet ist. Die eben erwähnte Schale Amenophis' III., eine Weihgabe anlässlich der
Vereinigung des Herrschers mit seiner Tochter-Gattin, enthält den deutlichsten Hinweis. Eine
Andeutung finden wir auch auf einer reizvollen, bemalten Fayenceschale im Eaton College
(Myers Museum ECM 1590)57. Eine drehsymmetrische Komposition vereinigt drei
Erscheinungsformen der Hathor rund um einen quadratischen Teich: je zweimal
spiegelbildlich die Kuh im Lotusdickicht, und zweimal das Stabsymbol der Hathor mit dem
Frauenkopf. Als seltene Besonderheit trägt der eine Kopf zwei dicke Bündel von Zöpfen, der
andere zwei riesige Spirallocken. Reichliche Locken- und Zopffrisuren gelten aber seit den
Pyramidentexten als Kennzeichen der weiblichen Attraktivität, wobei die grossen
Zöpfchenfrisuren an weiblichen Votivstatuetten für Hathor geläufig sind, aber kaum je an
Hathor selbst vorkommen58. In den Zwickeln zwischen den Kuhköpfen und den Haaren sitzt
zweimal eine Katze mit Hirtenstab, um die sich Enten scharen. Dazu sei noch ein Bild im
Hibis-Tempel (um 500 v. Chr.) erwähnt, das auf andere Art auf das Thema Sexualität und
Katze anspielt: auf einer aufgerollten Matte stehen zwei grosse Hathorkopf-Sistren. Der Griff
des einen ist eine Hand, die einen Phallus packt, und das zweite ist von zwei sitzenden Katzen
flankiert59.
Die Szene der Teje und der Prinzessinnen im Boot ist durch die axialsymmetrische
Komposition der Realitätsabbildung weitgehend enthoben. Dies hindert uns aber nicht an der
Vermutung, dass die Königin Teje auch in der Realität die Göttin im Boot gespielt habe, denn
diesem Zweck könnte der grosse Teich gedient haben, den Amenophis III. für sie anlegen
liess, wie uns eine Serie seiner Gedenkskarabäen informiert (Urk. IV, 1737). Das Bild ist
56
Vgl. G. Pinch, Votive Offerings to Hathor (s. Anm. 11), 188-189; Plättchen: W.M. Petrie, Scarabs and
Cylinders with Names Illustrated by the Egyptian Collection in University College, London 1915, no. 27 (B.
Jaeger, Essai de classification et datation des scarabées Menkhéperrê, OBO Series Archaeologica 2, Fribourg
und Göttingen 1982, 165, Paragraph 1198, no. 841a); Steinschale Amenophis' III. Kairo JE 30996+59283 bzw.
CG 18459 (J. Vandier, Iousâas et (Hathor)-Nébet-Hétépet, in: RdE 18, 1966, 78, Tf. 3).
57
Eaton College Myers Museum (s. Anm. 35), 28, no. 27.
58
Maya Müller, in: H. Györy (Herausg.), Mélanges offerts à Edith Varga, Bulletin du musée hongrois des beauxarts, supplément 2001, Budapest, 260-262.
59
J. Vandier, RdE 16, 1964, 115, fig. 12a.
20
völlig einmalig und wurde zweifellos ad hoc für die Königin erfunden, die in Nubien, in
Sedeinga, einen eigenen Tempel für sich selber als Erscheinungsform der Hathor besass. Auf
dem Bild des Lehnstuhls weist das Anch-Zeichen darauf hin, dass sich Teje mit der Göttin
Hathor identifiziert. Sie hat die Rolle der Gottesmutter inne, die das eneue Leben aus ihrem
Leib hervorbringt, während die beiden jungen Töchter den stimulierenden erotischen Reiz der
Göttin verkörpern. Es liegt formal und inhaltlich ein Anklang an die antithetische Gruppe des
Hathorkopfs zwischen den zwei Katzen vor, da die figürliche Szene eine Umsetzung der
streng symmetrischen Symbolszene ist. - Hätte das Bild auf dem Lehnstuhlrücken die Königin
als eine Erscheinungsform der Hathor darstellen wollen, wäre eine Hörnerkrone zu erwarten.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Gottesmutter sitzt in einem Boot, das im Wasser liegt.
Abweichungen: Das Boot hat weder Tierköpfe noch Naos; die Göttin ist gleichsam
verdreifacht.
-Bootsmodell der Königin Mutemuja, der Mutter Amenophis' III., in Karnak gefunden, im
oder beim Sanktuar des Philipp Arrhidaeus; London British Museum EA 4360; L. 223,5cm;
Objekttyp: Weihgabe.
Die Stiftungsinschrift Amenophis' III. wiederholt das Epitheton "Gottesmutter" viermal und
hält fest, dass sie "auf ihrem Sitz in ihrem Boot ruht" (Urk. IV, 1772). Das Boot steht auf
einem Schlitten. Auf dem Bug erhebt sich ein doppelseitiger Hathorkopf mit Naossistrum und
Spirallocken, der die Identität von Mut und Hathor bekräftigt. Der Hathorkopf mit der nach
vorn umgebogenen Perücke galt als anikonisches Bild der "Mut, Herrin von Ischeru", wie sich
einer Stele im Metropolitan Museum of Art (47.105.4)61 aus der gleichen Zeit entnehmen
lässt. Das Heck des Schiffs ist abgebrochen. Im Zentrum thront Mutemuja, von hinten
schützend umfangen von den Flügeln eines riesigen Geiers, vielleicht in Analogie zu Hathor
von der el Bahari als Kuh, vor deren Hals die Königin Hatschepsut steht.
Dass die Göttin in Tiergestalt erscheint, ist ganz ungewöhnlich, denn Mut wird sonst nicht als
Geier dargestellt. Die Erklärung liegt wohl darin, dass der Königin Mutemuja Gelegenheit
gegeben werden sollte, die Menschengestalt der Göttin zu repräsentieren. Mutemuja
identifizert sich mit Mut aufgrund ihres Namens "Mut in der Barke". Das steinerne Schiff ist
ein Rebus, der diesen Namen ins Bild setzt, darum ist es von vorn herein klar, dass das
Bildwerk keine reale Bootsfahrt darstellt. Der Bootstyp mit dem doppelgesichtigen
Sistrumkopf passt auch nicht zu den für Mut im Amuntempel oder in Ischeru verwendeten
Prozessionsbarken. Im vorliegenden Fall ist wegen des Namensrebus' die Einmaligkeit des
Bildwerks eindeutig gegeben, es handelt sich um eine Erfindung ad hoc zu Ehren der
Königinmutter, die eine höchst eigenwillige und unorthodoxe Variante der göttlichen
Erscheinung propagiert.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin sitzt in einem Boot. Abweichungen: Das Boot hat
weder Tierköpfe noch Naos und es liegt auf einem Schlitten; die Göttin ist gleichsam
verdoppelt.
-Bootsmodell auf Sockel aus dem Grab Tutanchamuns, Kairo JE 62120, aus Kalzit
(konventionell als Alabaster bezeichnet); L. 70cm; Objekttyp: Neujahrsgeschenk o.ä., nach
dem Vorschlag Quaegebeurs62, der diesem Objekt eine Untersuchung gewidmet hat; und/oder
ein luxuriöses Schaustück für den königlichen Haushalt; zu vergleichen sind die in etlichen
thebanischen Privatgräbern und an Tempelwänden abgebildeten Weihgaben, die als
Neujahrsgeschenke für den Herrscher oder als Objekte für die Tempelschatzkammern
bezeichnet werden.
60
Egypt's Dazzling Sun (s. Anm. 1), fig. V.4.
Egypt's Dazzling Sun (s. Anm. 1), 403, fig. 105a.
62
J. Quaegebeur, La naine (s. Anm. 26), passim.
61
21
Die Barke steht auf einem Kasten, der einen Teich darstellt. Bug und Heck laufen in einen
Steinbockkopf aus. Die Mitte nimmt ein offener Naos mit Papyrusbündelsäulen ein, die im
unteren Teil mit halbhohen Schrankenwänden verbunden sind. Der Naos ist leer. Am Heck
steht eine nackte Zwergin, die stakt, und vorne kniet ein nacktes Mädchen, das eine
Lotusblüte in der Hand hält - beide auf der Schwelle zur Geschlechtsreife wie die Mädchen
der Salblöffel. Ch. Desroches-Noblecourt brachte die einleuchtende Idee vor, dass das Innere
des Naos' als Behälter für parfümierte Salbe gedient haben könnte63. Dies gibt zur Vermutung
Anlass, dass der Durft des Parfums eine symbolische Repräsentation einer göttlichen Person
darstellte. Vom Duft als körperloser Essenz der Göttlichkeit handelt eine der Beischriften im
Hathorheiligtum von Deir el-Bahari, wo Hathor erklärt, dass sie der Königin ihren göttlichen
Duft verleihe, den Duft von Punt, damit Hatschepsut süsser dufte als die Götter (Urk. IV,
237).
Jan Quaegebeur ging in seiner Untersuchung über die Alabasterbarke vor allem auf die
Zwergin und die Steinbockköpfe ein. Die Zwergin brachte er mit Beset, der Gefährtin des für
den menschlichen Intimbereich zuständigen Gottes Bes, in Verbindung, und die
Hornträgerköpfe mit Hathor. In der Tat stand die Barke im Grab neben einem Gefäss in
Gestalt des Bes.
Die Bildidee der Alabasterbarke ist neu und überraschend. Immerhin sind starke Anklänge an
drei andere Bootstypen von Göttinnen (oder deren Stellvertreterinnen) zu erkennen: Das erste
Beispiel ist das oben behandelte Transportboot der Hatschepsut im Hathorheiligtum von Deir
el-Bahari, das mit Tutanchamuns Boot die Steinbockköpfe und den offenen Naos, in welchem
keine Figur, sondern nur ein Symbol anwesend ist, gemeinsam hat.
Als zweites Beispiel ist der bemalte Topf des Brooklyn Museums (59.2) zu nennen: Dort sind
ein kniendes nacktes Mädchen mit Lotussträussen und eine nackte Stakerin auf zwei Boote
verteilt, während sie hier im gleichen Schiff erscheinen. Die Stakerin der Alabasterbarke
erhält aber eine besondere Note durch die Tatsache, dass sie eine Zwergin ist. In den Gräbern
von Amarana sind mehrere Darstellungen der Königsfamilie erhalten, die die Prinzessinnen in
Begleitung von Zwerginnen wiedergeben. Nach Meinung Jan Quaegebeurs rührt die positive
Bewertung der Zwergin daher, dass man sie mit Beset assoziierte. Darüberhinaus möchte ich
annehmen, dass Zwerginnen und Zwerge in den Augen der Ägypter ihr Leben lang die Gestalt
eines Kindes bewahrten und dadurch als Symbole der ewigen Verjüngung galten.
Das dritte Beispiel bezieht sich auf den Naos mit halbhoher Schrankenwand. Ein solcher steht
in der Barke der Königin Ahmose-Nofretere im Grab des Amenmose (TT 19) aus dem Anfang
der 19. Dynastie und erlaubt der Statue der vergöttlichten Königin, in Halbfigur gesehen zu
werden64. Zum Naos mit Schrankenwand sind noch zwei ältere Parallelen aus der Zeit
Echnatons bzw. Tutanchamuns anzuführen. Im Grab Merires, des Hohen Priesters des Aton,
in Amarna befindet sich eine sehr grosse und detailreiche Darstellung des Atontempels mit
Nebengebäuden, zu welchen auch ein Schatzhaus gehört, das in eine Gartenanlage mit
Baumalleen integriert ist65. Am Eingang steht ein Kiosk mit Papyrussäulen und halbhohen
Schrankenwänden, der durch die Uräusfriese an den Gesimsen als Erscheinungsort für den
König gekennzeichnet ist. Und merkwürdigerweise ist unter den Schätzen, die das Schatzhaus
enthält, eine Lotusblütenschale mit zwei Steinbockprotomen am Fuss zu verzeichnen. Die
zweite Parallele zum Naos mit Schrankenwand ist im Grabschatz Tutanchamuns zu finden.
Wir meinen das Bild auf dem Deckel des mit Elfenbein belegten Kastens 540/55166: Die
63
Das Stichwort Duft erinnert auch an das Relief des so gen. Spaziergangs im Garten, Berlin 15000, wo eine
Königin, wohl Anchsenamun, dem König in antithetischer Geste Blüten an die Nase hält (Ägyptisches Museum
Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Berlin 1967, Nr. 773).
64
Egyptian Wall Paintings (s. Anm. 21), 139, fig. 32.6.1.
65
N. de G. Davies, The Rock Tombs of el Amarna, Part I, London 1903, pl. XXXVI.
66
PM(2), I (2), 578; K. Lange und M. Hirmer, Ägypten, 1967(4), Tf. XXXVI.
22
Königin streckt ihrem Gatten zwei mannshohe Lotusstabsträusse entgegen, die beinahe seine
Nase berühren, wobei sich das Paar in einem ganz aus pflanzlichen Elementen gebildeten
Naos mit halbhoher Schrankenwand aufhält. Die Wand, die hinter den Figuren verläuft, ist
ganz mit Reihen von Lotusblüten etc. verziert, und auf der Brüstung liegt ein Polster mit
Rautenmuster, wie wir es von den Erscheinungsfenstern Echnatons kennen, etwa aus dem
Grab des Parennefer67. Auf dem Sockel des Naos' Tutanchamuns ist ein Fries von
halbkreisförmigen Mandragorenbüschen dargestellt, an welchen sich zwei halbnackte
Mädchen im Männerschürzchen zu schaffen machen. Die eine kniet im Zentrum eines
Busches und hält zu beiden Seiten einen Blumenstrauss in antithetischer Geste wie das
Mädchen vom Topf im Brooklyn Museum, das im Boot kniet; das andere Mädchen, das
ebenfalls kniet, pflückt Blumen. Das Mädchen mit den Blumensträussen, das eine
axialsymmetrische Teilszene bildet, trägt die gleiche, reich geflochtene Seitensträhne mit
goldener Spange wie die Königin im Hauptbild und ist wohl mit dieser gleichzusetzen. Die
Thematik des Deckels steht also dem Alabasterboot nahe, jedoch mit dem Unterschied, dass
im Naos das Königspaar anwesend, das Boot aber abwesend ist.
Die Alabasterbarke ist eine Neuentwicklung, die mehrere schon vorher vorhandene Elemente
auf überraschende Weise kombiniert und abwandelt. Die Steinbockköpfe bringen die
Symbolik des Schiffsbauchs als Mutterschoss ins Spiel. Am meisten fällt auf, dass der Naos
mit der halbhohen Schrankenwand, der in der Amarnazeit der Erscheinungsort der göttlichen
Königsfamilie war, leer ist; die zu erwartende Göttin ist nur in einem körperlosen Symbol,
dem Lotusduft, anwesend. Stellvertretend sind aber die beiden nackten Mädchen als
Verkörperungen ihrer erotischen Anziehungskraft anwesend, wobei im Fall der Zwergin ein
besonderer Akzent auf der Verjüngungssymbolik liegt. Die Anklänge der Alabasterbarke an
die oben angeführten Vergleichsobjekte legen die Vermutung nahe, dass hier auch die
Königin auf indirekte Weise mitgemeint ist. Man hat die junge Anchsenamun zweifellos mit
den beiden nackten Mädchen assoziiert.
Verhältnis zum Paradigma: Ein leerer Naos mit körperlosem Symbol steht auf einem Boot mit
Tierköpfen, das im Wasser liegt. Abweichungen: Die Göttin fehlt, jedoch sind zwei
Verkörperungen eines ihrer wichtigsten Aspekte vorhanden.
Wie kommen die Königin oder der leere Naos ins Boot?
Offensichtlich waren es starke Königinnen, die ihre Beziehung zur Liebesgöttin auf neue und
persönliche Art definieren wollten und ihre Rolle als Verkörperung der Göttin in Bilder
umsetzen liessen. Was Hatschepsut und Teje angeht, so sind wir über die Stärke ihrer
Persönlichkeit unterrichtet. Über Mutemuja, die Mutter Amenophis' III., liegen praktisch
keine Zeugnisse vor, es liegt der Gedanke nahe, dass sie von Tejes Stärke profitiert hat. Der
Fall des jungen Paares Tutanchamun und Anchsenamun liegt anders. Es ist einleuchtend, dass
die sehr junge Frau weniger mit der grossen Göttin als mit den halbwüchsigen nackten
Mädchen im Boot identifiziert wurde.
Mut auf dem Teich von Ischeru
Es erscheint mir wichtig, dass das Boot der Mut von Ischeru Göttinnenköpfe aufweist, denn
damit kommt es typologisch in die Nähe der Prozessionsbarken mit Traggestell, wie sie für
den ausgedehnten Prozessionsbetrieb innerhalb und zwischen den Tempeln von Theben
gebraucht wurden. Es sei hier aber trotzdem in die Diskussion einbezogen, weil sich unsere
paradigmatischen Beispiele der Göttin im Boot auf Bastet von Bubastis beziehen, deren
Heiligtum in einem Ischeru-Teich lag.
67
N. de G. Davies, The Rock Tombs of el Amarna, Part VI, London 1908, pl. IV.
23
-Wandmalerei im Grab des Chabehnet (TT2)68 in Deir el Medineh, Regierungszeit Ramses'
II., Kapelle, Eingangswand links:
Auf dem ersten von vier Registern ist ein U-förmiger, kanalartiger Teich mit Namen Ischeru
zu sehen, davor eine Sphinxallee mit Bäumen, und vor und zwischen den Armen des Teichs
mehrere Gebäulichkeiten des Muttempels. Die Zeichnung entspricht der realen Anlage in
Karnak-Süd, von der allerdings nur geringe Reste gefunden wurden. Auf dem Wasser
erscheint zweimal (in Übergrösse) die Barke der Mut, die an Bug und Heck einen
Göttinnenkopf mit Doppelkrone aufweist, die eine Barke nach links, die andere nach rechts
blickend. Der Naos in der Mitte des Boots ist geschlossen. Die zweimalige Darstellung
scheint anzuzeigen, dass es sich um ein Hin- und Herfahren handelt. Auf den übrigen drei
Registern derselben Wand sind Szenen aus dem Bestattungsritual des Grabherrn dargestellt.
Der Bootstyp mit den Göttinnenköpfen entspricht der tragbaren Prozessionsbarke der Mut,
wie wir sie von Karnak kennen.
Verhältnis zum Paradigma: Eine unsichtbare Göttin im geschlossenen Naos befindet sich in
einem Boot, das auf dem Wasser fährt. Abweichungen: Das Boot weist Göttinnenköpfe und
einen geschlossenen Naos auf; es ist verdoppelt und in einen grösseren
Handlungszusammenhang bzw. eine Landschaft gestellt.
-Stele des Neferhotep mit ägisförmigem Kultbild in der Barke, auf dem Gebiet des
Ramesseums gefunden; Manchester Museum 458869; 19. Dyn.
Der Stifter steht vorne in der Barke der "Mut, Herrin von Ischeru", die sich auf einem
Wasserstreifen befindet und das ganze Bogenfeld der Stele ausfüllt. An Bug und Heck sitzen
Göttinnenköpfe mit Doppelkrone und Kragen. Von besonderem Interesse ist die Art des an
Bord befindlichen Schreins: Auf einem hohen Sockel steht ein Naos von gedrungener, etwa
kubischer Form. Die Vorderwand mit den Pilastern an beiden Seiten scheint eine offene Tür
darzustellen. An der rechten Seite des Naos sitzt eine Mutkopfägis, deren Kragen vom Pilaster
überschnitten ist, wie wenn sie aus dem Naos herausblickte. Das Bild ist sicher so zu
verstehen, dass die Ägis das anikonische Kultbild der Mut darstellt, das sich im Naos befindet
und durch die offene Tür hinausblickt. Ein Amulett im Britsh Museum ist ein
dreidimensionales Modell dieser Konfiguration: Es stellt einen kubischen, vorne offenen Naos
dar, in dessen Innerem sich eine Ägis mit Löwinnenkopf befindet70. Die beiden unteren
Register sind mit Reihen von knieenden Angehörigen des Stifters angefüllt. - Die Barke steht
für sich allein und ohne jede Andeutung der Umgebung oder des Zwecks der Fahrt. Beim Bug
der Barke steht der Stifter, der nach vorn blickt und dadurch eine Fahrbewegung suggeriert.
Verhältnis zum Paradigma: Ein anikonisches Bild der Göttin steht in einem offenen Naos auf
dem Boot, das im Wasser liegt. Abweichungen: Das Boot weist Göttinnenköpfe auf; der
Stifter steht vorne auf der Barke.
Charakter und Bedeutung der Fahrt auf dem Ischeru-Teich
Es können, nebst den beiden beschriebenen Darstellungen und den von Sauneron in seinem
Aufsatz über das Toponym Ischeru71 gesammelten, ptolemäischen Inschriften, weitere
Quellen beigezogen werden, vor allem zwei Hymnen auf die siegreiche Waset, die
Verkörperung Thebens als Göttin. Die älteste Erwähnung eines Toponyms 'Ischeru' befindet
sich auf einem Relief Sesostris' I. Es handelt sich um einen Block von einem Türpfosten des
68
PM(2) I (1), 6, (5); S. Sauneron, BIFAO 62, 1964, 50-57, fig. 1 (Umzeichnung).
PM(2) I (2), 682.
70
C. Andrews, Amulets of Ancient Egypt, British Museum Press, London 1994, fig. 9b.
71
Siehe Anm. 68.
69
24
Mintempels in Koptos, auf welchem die löwenköpfige "Bastet, die Herrin von Ischeru" dem
König eine Jahresrippe und ein Was-Zepter überreicht72; vermutlich bezieht sich die Inschrift
auf Bubastis. Ein U-förmiger Teich der Bastet in Bubastis, wird von Herodot beschrieben (um
450 v. Chr.) (Historien II, 138). Was den Ischeru-Teich in Karnak-Süd angeht, so wird er als
Ruheplatz der Waset, d.h. der Göttin "Siegreiches Theben"73 beschrieben, und zwar in dem
grossen Zyklus von Amunshymnen aus der Zeit Ramses' II., die im Papyrus Leiden J 350
enthalten sind. Die Hymnen Nr. 10 und Nr. 7, die dem Preis der Waset gewidmet sind, sind
allerdings nicht sehr gut erhalten, liefern aber zumindest eine Reihe von aufschlussreichen
Stichwörtern zur Rolle der Göttin74. Der zehnte Hymnus schildert zuerst die Entstehung
Wasets als Urhügel beim 'Ersten Mal', als Prototyp der Stadt überhaupt, als Gründungstat der
Göttin Waset. Waset, das "Auge des Re", "kam als das herrliche Uzat-Auge, um in ihr
[Theben] die Erde zu vereinigen mit dem Ka. Nun ruht sie und verweilt an dem See Aschru in
ihrer Gestalt der Sachmet, der Fürstin beider Länder." Im siebten Lied wird Waset als
unbesiegbare Kämpferin gepriesen, die mit Bogen und Pfeil wütet, gegen deren Macht und
Stärke kein Feind ankommt und die die Rebellen vertreibt von Theben; ausserdem ist sie als
Sachmet die 'Verzehrende' (Flamme), die die Feinde verbrennt. Im zweiten Teil des Hymnus
ist vom "Tor der beiden Löwen" die Rede, vom "Nest des Falken", das der Nun umflutet, und
vom "Ruheplatz der Lieblichen" am Ischeru-Teich.
Wir können sicher daraus entnehmen, dass die Göttin nach ihren Grosstaten schöpferischer
oder destruktiver Natur in besänftigter Gestalt in ihrem Ischeru-Heiligtum wohnt.
Insbesondere spielt die Bezeichnung 'die Liebliche' (iAm/imA) auf das mythische Motiv der
verwandelten Göttin an, das im 'Mythos von der Himmelskuh' ausführlich beschrieben wird.
Dort schickt Re die Göttin Hathor in Gestalt der blutrünstigen Löwin Sachmet aus, um die
Menschheit insgesamt zu schlachten. Nach einem ersten, schrecklichen Massaker bereut Re
aber seinen Entschluss und lässt die Göttin betrunken machen. Im Alkoholrausch verwandelt
sie sich in die "Liebliche", d.h. das schöne, zur Liebe bereite Mädchen75. Auf das Mittlere
Reich geht die so genannte Hirtengeschichte zurück, die wir oben am Ende des Abschnitts
über die Hathor-Kuh im Boot anführten. Dort geht es nicht um einen Blutrausch der Göttin,
aber um ihr Wüten und ihre Furchtbarkeit, die in einem ‚Wasserzauber’ beschworen werden,
bis sie dem Oberhirten als nackte junge Frau mit langem, aufgelöstem Haar erscheint. Einen
späten Reflex der Vorstellung von der aggressiven Liebesgöttin, die zuerst ihren Blutdurst
stillt, bevor sie sich zum Liebesakt bereit erklärt, findet sich im ersten Teil der SetnaErzählung, der auf einem ptolemäischen Papyrus erhalten ist (pCairo 30646)76. Die Erzählung
handelt von den Abenteuern des Prinzen Setna-Chaemwase, des berühmtesten Sohnes
Ramses' II., wozu auch seine Begegnung mit der schönen Tabubu, der Priesterin der Bastet in
Bubastis, gehört. Setna ist vom ersten Anblick dieser Frau derart hingerissen, dass er gänzlich
den Kopf verliert; und als er sie in ihrem Haus in Bubastis aufsucht, dessen reiche Ausstattung
einer Göttin würdig ist, ist sein Begehren derart überwältigend, dass er auf jede Bedingung
eingeht, die sie ihm nennt. In der Tat verlangt sie ein Menschenopfer von ihm, und zwar lässt
sie mit seiner Zustimmung und vor seinen Augen seine eigenen Kinder schlachten, bevor sie
sich ihm hingibt Da der Text aber aus einem aufgeklärten Zeitalter stammt, hat es der Prinz
nicht mit der Göttin selbst, sondern mit ihrer irdischen Verkörperung zu tun, und das
schreckliche Verbrechen, das sie von ihm verlangt, erweist sich als eine Phantasie, die im
72
W.M.F. Petrie, Koptos, London 1896, 11, Tf. X(2).
W. Helck, MDAIK 23, 1968, 117-137, Tf. 34.
74
G. Roeder, Die ägyptische Götterwelt, Neuausgabe (Artemis und Winkler), Düsseldorf und Zürich 1998, 287,
284.
75
E. Hornung, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh, OBO 46, 1982, bes. Vers 92-95, und Anm. 67.
76
M. Lichtheim, Ancient Egyptian Literature, Vol. III: The Late Period, University of California Press, Berkeley,
Los Angeles, London 1980, 133-136.
73
25
Traum aus seinem Unterbewussten aufgestiegen ist. - Im Mythos von der Himmelskuh lässt
der Sonnengott seine eigenen Geschöpfe (die Menschen) schlachten von der schrecklichschönen Göttin, seiner Tochter-Gattin. Im Hymnus von der Göttin "Siegreiches Theben" ist
ihr Wüten dadurch legitimiert, dass es sich gegen die Feinde Pharaos richtet. Prinz Setna
spielt im Traum die Rolle des Schöpfergottes in seiner Begegnung mit der schrecklichschönen Göttin, und er erkennt nach dem Erwachen, dass es verderblicher Grössenwahn ist,
als Mensch die Grenzen, die den Sterblichen gesetzt sind, zu überschreiten.
Zur Zeit Taharkas (690-664 v. Chr.) entstand im Bezirk von Ischeru eine Krypta mit
Wandreliefs, worunter sich eine höchst bemerkenswerte bildliche Annäherung der Mut an die
aus Syrien importierte Liebesgöttin Qadesch befindet77. Auf einem Bildstreifen sind
verschiedene Schatzkammerobjekte abgebildet, worunter ein rechteckiges, mit einem Bild
geschmücktes Objekt, das vermutlich einen Naos meint. Das Bild zeigt im Zentrum Mut mit
einem Naossistrum auf dem Kopf, die Hände, die beidseits vom Körper erhoben sind, halten
rechts Schlangen, links Lotusblumen; die Göttin ist flankiert von Reschef und Onuris. Das
Schema ist unverkennbar dasjenige der Qadesch-Stelen, nur dass Mut weder nackt noch
frontal gezeigt wird. Auch steht sie nicht auf einem Löwen, aber auf dem Sockelstreifen
unterhalb der Dreiergruppe sind zwei Löwen angeordnet, die an das "Tor der beiden Löwen"
aus dem oben zitierten siebten Waset-Hymnus erinnern. Mut erscheint hier als voll
ägyptisierte Qadesch.
Aus der Ptolemäerzeit stammt eine im Mut-Bezirk von Karnak-Süd gefundene Inschrift mit
einer Ätiologie des Teichs von Ischeru, die Eberhard Otto wie folgt übersetzte78: "Sie [die
Göttin] näherte sich Theben, dem Auge des Re, schwanger mit der Pupille des lebenden
Auges. Da kam zu ihr ihr Vater der Nun, der Urzeitliche der beiden Länder. Er löschte die
Flamme ihrer Majestät und machte ihr ein Wasser auf allen ihren Seiten. Sie empfing
befriedigt ihr Haus, Ischeru, das grosse, das sie umgibt, gegraben von...". Der Text erzählt
eine ganz ähnliche Geschichte wie der Hymnus auf die Göttin Waset, aber mit anders
gesetzten Akzenten. Hier wird der Teich gegraben, um die Hitze der rasenden Göttin
gleichsam wörtlich im Wasser abzukühlen. Ausserdem ist sie schwanger, der 'Falke' sitzt noch
nicht im 'Nest'. Ferner zitiert Sauneron ein für unseren Zusammenhang sehr bedeutungsvolles
Zeugnis aus Dendara79, weil es das einzige ist, in dem eine Schiffahrt der Göttin erwähnt
wird. In der Krypta Nr. 4 von Dendara ist eine Statuette der thronenden Isis mit Hörnerkrone
abgebildet, um deren Sockel sich ein Kanal zieht. Die Beischrift der Figur lautet: "Paroles
dites par Isis, la grande, la mère du dieu, maîtresse d'Iadi, qui est au coeur de Dendéra, la
déesse au beau visage, aux yeux fardés pour la fête, la déesse radoucie, dans un iSrw,
encerclée d'eau, qui se distrait (sAb) dans sa barque. En or; hauteur: une coudée." Der Text
sagt ausdrücklich, dass es sich um eine Vergnügungsfahrt der festlich geschmückten und
besänftigten Göttin handelt. Dass diesem friedfertigen Zustand der Göttin ein anderer
vorausging, wird nur durch das Epitheton snDmt, 'besänftigt', angedeutet. Ob dieser
inschriftlich erwähnten Bootsfahrt eine kultische Praxis entsprach in Dendara, ist wohl sehr
zweifelhaft. Der heilige See von Dendara wird nicht Ischeru genannt, und er ist auch nicht Uförmig80. Immerhin ist eine symbolisch vollzogene Fahrt der goldenen Statuette denkbar.
Im siebten Hymnus auf die Göttin "Siegreiches Theben" tritt ein Stichwort auf, das ein
weiteres Motiv für die Entstehung des Ischeru-Teichs abgegeben haben kann: das 'Nest des
Falken', das vom Nun, dem Urgewässer, umflutet wird. In der ptolemäischen Ätiologie von
77
PM(2) II, 258, (12); R. Fazzini, Egypt Dynasty XXII-XXV, Iconography of Religions XVI, 10, 1988, 33, pl.
XXX.
78
E. Otto, Topographie des Thebanischen Gaus, UGAÄ 16, Berlin und Leipzig 1952, 39.
79
S. Sauneron, BIFAO 62, 1964, 55, fig. 3, vgl. auch fig. 2 und fig. 4.
80
Zu Bootsfahrten von Göttinnen vgl. auch H. Wild, Les danses sacrées, Egypte ancienne (etc.), Sources
Orientales VI, (Editions du Seuil), 1963, 61; LÄ V, 1984, 791-804, s.v. See, hlg.
26
Ischeru heisst es, dass die Göttin schwanger war, als sie sich in ihrem Halbinsel-Heiligtum
niederliess. Jedenfalls liegt der Schluss nahe, dass die künstliche Insel ein gutes Versteck
abgab für das göttliche Kind, das vor den Mordanschlägen des neidischen Seth bewahrt
werden musste. Man fühlt sich unwillkürlich an die von Herodot verfasste Beschreibung des
Inselheiligtums von Chemmis erinnert (Histoiren II, 156): Neben dem Tempel der Wadjet in
Buto liege die schön bepflanzte Insel Chemmis mit dem Horustempel inmitten eines Sees. Als
Isis auf der Flucht vor Seth zu ihr gekommen sei, habe Wadjet das Kind auf jener Insel
verborgen.
Die angeführten Quellen deuten an, dass das Heiligtum der Mut von Ischeru in Karnak-Süd
auf einer von Wasser umflossenen Halbinsel entstand, um der vom Kampf erhitzten Göttin
Kühlung zu verschaffen und sie dadurch in die "Liebliche" zu verwandeln. Zugleich scheint
es, dass die Halbinsel als ein Chemmis begriffen wurde, der Ort, wo die Göttin ihr Kind vor
den Nachstellungen des Feindes verbirgt. Die Bootsfahrt der Mut auf dem Ischeru-Teich
dürfte, wie es die späte Inschrift von Dendara nahelegt, dem Erscheinen der Göttin als der
attraktiven Frau gedient haben.
Göttinnen im Boot auf dem Westufer von Theben (Anukis, Ahmose-Nofretere)
Es seien hier die Fälle der Anukis und der Ahmose-Nofretere kurz angesprochen. Ihre Boote
haben zwar die Köpfe der Göttin an Bug und Heck und gleichen somit der tragbaren
Prozessionsbarke, aber der Naos ist offen und gibt den Blick auf das Bild der Göttin frei, und
dadurch entsteht eine hinreichende Affinität mit dem uns hier interessierenden Szenentyp.
-Naos des Kasa, allseitig bemalt, Turin Museo Egizio Cat. 2446, Zeit Ramses' II. Objekttyp:
Weihgabe, Modell eines Kultbildnaos.
Das Objekt ist ein kleiner, bemalter Holznaos auf einem Schlitten, vor dessen Tür eine
Portikus mit zwei Hathorsäulen steht. An der rechten Seitenwand Malerei in drei Registern,
deren oberstes die Bootsszene enthält. Dominique Valbelle, die das Objekt publizierte81,
erklärt es einleuchtend als eine Weihgabe zum jenseitigen Wohl des Kasa, die in der
Kultnische eines Privathauses in Deir el-Medineh gestanden haben dürfte.
Oben: Auf einem Wasserstreifen liegt ein Boot mit Steuerruder, an dessen Bug und Heck der
Kopf der Göttin mit Kuhgehörn, Sonnenscheibe und Kragen befestigt ist. Im Boot steht ein
offener Naos, in dem Anukis thront. Vor dem Boot steht - auf dem Wasser - ein Opferständer.
Mitte: Auf einem Teicharm, der in das obige Gewässer mündet, fährt ein Boot, in welchem
vier Paddler sitzen; da es sich vom Schiff der Göttin weg bewegt, ist sicherlich das
Schleppboot damit gemeint. In der linken Bildhälfte zwei Hütten mit Opferständern, im einen
ist es Kasa, der libiert, im andern sein Sohn, der räuchert. Offenbar ist mit den Gewässern auf
den beiden oberen Registern ein T-förmiger Teich gemeint wie er in manchen thebanischen
Privatgräbern, u.a. in TT 19, vorkommt82. Unten: Der Stifter und fünf Angehörige knien
anbetend in einer Reihe.
Die Barke bildet einerseits für sich allein eine Szene auf dem obersten Bildstreifen, und
andererseits ist sie durch den Kunstgriff des von unten anschliessenden Teicharms als
Teilhandlung in einen grösseren Handlungszusammenhang eingebunden, an welchem der
Stifter des Naos' teilnimmt. Man kann daraus schliessen, dass es sich um eine Kultpraxis
handelte, die sich auf dem Westufer von Theben abspielte.
Anukis, Herrin von Sehel, hatte im ramessidischen Deir el-Medineh eine der Hathor
vergleichbare Stellung inne. Schon unter Hatschepsut wurden Anukis und Satis gleich der
81
82
D. Valbelle, BIFAO 72, 1972, 172-194, fig. 1-5, pl. XLV-XLVIII.
Vgl. zum T-förmigen Teich: Ch. Desroches-Noblecourt, MDAIK 47, 1991, 67-80.
27
Hathor als göttliche Mütter oder Ammen der kleinen Königin verehrt. Dies zeigen die
Abbildungen von Neujahrsgeschenken für Amun im Grab TT 73, die u.a. eine Gruppenstatue
des Amun und der Anukis mit Hatschepsut auf dem Schoss und eine analoge Gruppenstatue
des Amun und der Satis umfassen83. Auf dem Naos des Kasa tragen die Göttinnenköpfe am
Boot der Anukis die Hörnerkrone der Hathor, und umgekehrt gibt es z.B. in den Gräbern TT
51 und 45 Friese mit Hathorköpfen, die die Federkrone der Anukis tragen84. Auf dem
Ostrakon des Hay aus Deir el-Medineh (Kairo JE 43660)85, betet der Stifter die Göttin Anukis
in Gestalt einer Gazelle an, die, wie Jan Quaegebeur dargelegt hat, vor dem Westberg steht,
wie es sonst die Hathorkuh zu tun pflegt86.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin sitzt in einem offenen Naos auf dem Boot, das im
Wasser liegt. Abweichungen: Das Boot weist Göttinnenköpfe auf.
-Im Grab TT 19 des Amenmose, des Ersten Propheten des Amenophis vom Vorhof in Dra
Abu el Naga, das in der frühen 19. Dynastie entstand, wurden auf zwei Wänden zwei grosse
Festdarstellungen mit einer Fülle von Götterbarken auf Kanälen, Teichen und Schlitten
dargestellt87.
Aus den Barkenszenen im Grab des Amenmose greifen wir die einzige heraus, die eine
weibliche Gottheit in einem auf dem Wasser fahrenden Boot darstellt. Auf der Westwand der
Halle erscheint die Barke der Ahmose-Nofretere, der Mutter Amenophis' I. und Schutzgöttin
der thebanischen Nekropole, auf einem T-förmigen Teich. Am Ufer des Teichs sind Bäume,
Opferständer und Klagefrauen aufgereiht. Die Barke ist an Bug und Heck mit Köpfen der
Göttin mit der Hörnerkrone geschmückt. Im Naos erblickt man die Standfigur der
vergöttlichten Königin, deren unterer Teil von einer halbhohen Schrankenwand verdeckt ist,
und der Grabherr steht räuchernd daneben. Ein kleines Papyrusboot, das mit drei Paddlern
besetzt ist, fährt der Barke der Göttin als Schleppschiff voran, genau wie beim obigen Fall der
Anukis. Das Bild ist in eine mehrteilige Darstellung eines Festes der verstorbenen und
vergöttlichten Könige des Neuen Reiches integriert.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem offenen Naos auf dem Boot, das im
Wasser fährt. Abweichungen: Die Barke weist Göttinnenköpfe auf und sie ist einen
komplexen Handlungszusammenhang einbezogen.
Charakter und Bedeutung der Fahrt auf dem T-förmigen Teich
Warum unter den zahlreichen Bootsdarstellungen in der thebanischen Nekropole nur gerade
Anukis und Ahmose-Nofretere im offenen Naos erscheinen, ist schwer zu deuten. Ich weiss
auch nicht, wieviel Anteil der Zufall der Erhaltung an dem Ergebnis hat und wieviele
Darstellungen mir entgangen sind. Zweifellos standen sämtliche Schiffsprozessionen in
Zusammenhang mit dem Kultbetrieb der verstorbenen und vergöttlichten Könige, die ihre
Kultstätten in den Totentempeln auf dem Westufer hatten, und dort befanden sich zugleich die
Sanktuare für die Gottheiten des Ostufers, die zu Schiff das Westufer besuchten. Sie alle
fahren auf künstlichen Lotusteichen in Gärten. Die Bilder zeigen mehrteilige Rituale, und die
Boote mit den Göttinnen- und Götterköpfen gleichen den tragbaren Prozessionsbarken, die
hier aber aufs Wasser gesetzt werden. Die Quellen sind wenig explizit in Bezug auf die
Anlässe und realen Schauplätze der dargestellten Schiffahrten Sicher ist nur, dass die Fahrten
alle einen funerären Anstrich haben durch die Anwesenheit von Klagefrauen, die Darstellung
83
PM(2) I (1), 143.
Egyptian Wall Paintings (s. Anm. 21), fig. 30.4.164 und fig. 15.5.11.
85
J. Quaegebeur, La naine (s. Anm. 26), 22, fig. 14.
86
In mehreren Gräbern von Deir el-Medineh wird Anukis zusammen mit Hathor, Thoeris, Chnum oder Satis
angebetet (PM(2) I (1), TT 216, 267, 292, 335).
87
Egyptian Wall Paintings (s. Anm. 21), 139, fig. 31.6.5 und 32.6.1.
84
28
auf Bildstreifen, die parallel zum Bestattungsritual des Grabherrn laufen, oder die Teilnahme
eines Verstorbenen am Ritual; in einzelnen Fällen sind sie identifizierbar als Teil des
'Schönen Fests vom Wüstental’ oder des 'Fests des Amenophis vom Vorhof'. Auf den
ramessidischen Wandbildern ist der T-förmige Teich auch die Quelle, aus der der Grabinhaber
in Gestalt eines Ba-Vogels frisches Wasser, das 'Elixier des Lebens', schöpft88. Es dürfte sich
um ein Erneuerungsritual handeln, galten doch die Teiche als Manifestationen des Urozeans,
als "Lieblingsort des Nun", aus dem alles Leben entsprang89.
Nechbet von Elkab und das Sedfest
-Wandmalerei im Grab des Setau, des Hohen Priesters der Nechbet in Elkab90, inschriftlich
datiert in die Regierungszeit Ramses’ III.
Der grösste Teil der Szene fehlt, aber anhand der erhaltenen Reste und der Inschrift konnte
Gardiner das Gesamtbild wie folgt rekonstruieren: Am linken Bildrand steht eine grosse Figur
des Königs, vor welcher sich, auf zwei Register verteilt, eine Schiffahrt abspielt. Der von
Gardiner in Umzeichnung abgebildete, erhaltene Teil des oberen Registers zeigt die Barke der
Nechbet ohne das zerstörte Heck. Das nach links fahrende Boot mit einem Gazellen- und
einem Oryxkopf am Bug, das von einem anderen Boot ins Schlepptau genommen wird,
enthält einen geschlossenen Naos mit einer Geierfigur auf dem Dach; vor dem Naos stehen
zwei Beamte. Der hintere Teil des Schiffes fehlt. Auf dem unteren Register befanden sich
dieselben zwei Boote, jedoch in die Gegenrichtung blickend. Dem erhaltenen Rest der
Inschrift kann entnommen werden, dass die Göttin zum Sedfest Ramses’ III. nach Piramesse
fuhr. Die Bilder auf der Wand stellten die Hin- und Rückfahrt der Prozessionsfigur und den
Empfang durch Ramses III. dar.
Nechbet steht als Göttin der oberägyptischen Krone und noch mehr als eine der grossen
Gottesmütter in intimer Beziehung zum König. Schon die Pyramidentexte schildern Nechbet,
Wadjet und Bastet als die Mütter, die den vergöttlichten König allnächtlich neu empfangen,
gebären und mit ihrer Milch aufziehen91. Zweifellos erklärt sich die Anwesenheit der
Hornträgerköpfe am Schiff der Nechbet aus dieser Rolle. Da es sich um ein Reiseboot handelt,
ist das Transportboot der Hatschepsut im Hathorheiligtum von Deir el-Bahari die einzige
Parallele, die angeführt werden kann, ein vielrudriges Schiff mit zwei Steinbockköpfen und
einem offenen Naos. Bei der Reise der Nechbet handelt sich aber um das einzige erhaltene
Beispiel einer mehrteiligen Ritualdarstellung, deren Protagonistin im Tierkopfboot auftritt.
Einmalig ist auch die Tatsache, dass die Szene ein datierbares historisches Ereignis
wiedergibt.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht auf einem Naos auf dem Boot, das im Wasser
fährt. Abweichungen: Die Göttin erscheint in Tiergestalt, der Naos ist geschlossen;die Barke
weist Göttinnenköpfe auf; sie ist einen komplexen Handlungszusammenhang einbezogen.
Die nackte Göttin im Boot
-Bettmodelle aus Ton (Grabung DAIK: aus Qurna, Gebiet der nödlichen Tempelmagazine des
Sethostempels, Fragment einer Längsseite mit Relief; Kairo JE 30124/25: aus Oberägypten,
ganz bzw. eine Seite erhalten; Kairo JE 56284: aus dem Asasif, fast ganz erhalten; Chicago
Oriental Institute Museum 14780: in Medinet Habu ausgegraben, Fragment einer Längsseite;
88
Vgl. Ch. Desroches-Noblecourt, MDAIK 47, 1991, 67-80, deren Deutung wohl etwas weit geht.
LÄ V, 1984, 793-4, s.v.See, hlg., II.; R. Stadelmann, MDAIK 34, 1978, 179.
90
A. Gardiner, ZÄS 48, 1911, 47-51, Abb. auf p. 48.
91
Pyr. 1107-1112 (R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Pyramid Texts Translated into English, Oxford
University Press 1969, 183).
89
29
Hannover, Kestner-Museum 1935.200.331 (Abb. 5), Fundort unbekannt, eine Längsseite
erhalten)92; spätes Neues Reich bis Dritte Zwischenzeit; Objekttypus: Weihgabe/Grabbeigabe.
Stadelmann hat diese Objekte als Bettmodelle und die Hauptfigur als die Göttin Qadesch
identifiziert. Er fand ein Fragment im Areal des Totentempels Sethos' I. auf dem thebanischen
Westufer, das er auf Grund der mitgefundenen Keramik in die Zeit vom späten Neuen Reich
bis zur Dritten Zwischenzeit datieren konnte. Die Objekte können, soweit die Fundstellen
bekannt sind, aus Wohnbereichen oder Gräbern im Gebiet von Medinet Habu, Scheich Abd el
Qurna und dem Asasif stammen. Die Szenen mit der Göttin im Boot erscheinen in Relief auf
den Längswänden der Modelle. Sie sind nicht leicht zu lesen, da sie aus Modeln gefertigt und
überdies berieben und beschädigt sind. Die Stücke Kairo JE 30124/25 und JE 56284 sind
recht gut erhalten und zeigen das gleiche Bild: In einem entenförmigen Boot steht eine nackte
Frau in Frontalansicht. Im Fall JE 30125 trägt der Entenkopf einen Kragen wie eine
Götterkopfägis, wodurch das Fahrzeug als Götterboot gekennzeichnet ist. Die Frau, die eine
unkenntliche Krone auf dem Haupt trägt, streckt die Arme in antithetischer Geste nach beiden
Seiten und hält zwei hohe Papyrussträusse. Sie kann von zwei kleinen, liegenden Rindern
flankiert sein (JE 30125). Die Gruppe ist von einem stark vereinfachten, offenen Naos
eingerahmt. Das Bild wird beidseits von grossen Besfiguren abgeschlossen, die ganz oder
teilweise frontal wiedergegeben sind und einen Tanzschritt ausführen.
Eine etwas reicher ausgestattete Variante der Szene ist auf dem Fragment in Hannover
erhalten: Links von der Göttin steht eine nackte Stakerin und rechts ein nacktes Mädchen, das
mit beiden Händen einen Papyrusstengel ergreift - eine Geste, die an den alten Ritus des
'Papyrusschüttelns' erinnert; zwei zu Füssen der nackten Mädchen liegende Rinder und einige
Papyrusstengel ergänzen die Szenerie.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem offenen Naos auf einem Boot mit
Tierkopf, das im Wasser fährt. Abweichungen: Es treten Partnerfiguren in und neben dem
Boot hinzu.
-Zwei fragmentarische Bettmodelle, in Medinet Habu ausgegraben (Kairo JE 59845 und
Chicago Oriental Institute Museum 14779)93.
Es handelt sich um eine Variante der obigen Bettmodelle, die an Stelle der stehenden eine
kniende und lautenspielende Hauptfigur aufweisen. Das Relief ist recht unscharf und berieben
und daher schwer zu lesen. Das Bild ist gleich aufgebaut wie beim Fragments in Hannover. Im
Zentrum des Boots kniet eine nackte Lautenspielerin in Seitenansicht, die von zwei hohen
Stabsträussen flankiert ist. Dieselben nackten Mädchen begleiten sie, nur die beiden Stiere
fehlen. Der Bug des Boots endet in einer Entenkopfägis. Beim Objekt in Kairo (JE 59845)
scheint die Musikantin eine doldenförmige Krone auf dem Kopf zu tragen.
Im Gegensatz zum oben besprochenen Salblöffel mit der einsamen Lautenspielerin im
Papyrusdickicht (Myers Museum ECM 1793) zeigt hier die sakrale Inszenierung an, dass es
sich um eine Göttin handelt. Wir meinen damit vor allem die axialsymmetrische Komposition
des Bildes mit den beiden Stabsträussen neben der Hauptfigur und den beiden Besfiguren am
Rand. Es handelt sich aber um das einzige Beispiel einer musizierenden Göttin.
Verhältnis zum Paradigma: Wie oben.
Was den Objekttypus angeht, so dürfen die Bettmodelle der Ramessidenzeit, auf denen eine
nackte Frau ohne göttliche Attribute liegt, als direkte Vorläufer der Bettmodelle mit der
92
R. Stadelmann, MDAIK 41, 1985, 265-268, Abb. 1-2, Tf. 40-41; U. Hölscher, Medinet Habu Excavations V,
OIP 66, 1954, 11-12, fig. 14, pl. 6G (3-4); P. Munro, Kestner-Museum, Ägyptische Abteilung, Führungsblätter,
Abb. auf p. 28; A. Hermann, ZÄS 68, 1932, 104, Anm. 1 (Fragmente von Bettmodellen mit "Lustfahrt mit
Vogelboot": Berlin 23002 und 13696).
93
U. Hölscher, Medinet Habu Excavations V, OIP 66, 1954, 11-12, fig. 13, pl.6G (1-2).
30
nackten Göttin gelten94. Beide Arten sind zwar nicht in Hathorheiligtümern gefunden, aber
doch vermutlich im Dunstkreis der Hathor von Deir el-Bahari erfunden worden.
Die Geste der erhobenen Hände mit den Blumensträussen trafen wir zuerst an dem nackten
Mädchen im Papyrusboot auf dem Topf des Brooklyn Museums (59.2). Das voll entwickelte
Schema erscheint auf den Qadesch-Stelen der 19. Dynastie: Die nackt und frontal dargestellte,
aus Syrien importierte Liebesgöttin vollführt mit den beidseits erhobenen Händen eine
antithetischer Geste und ist überdies in eine antithetische Gruppe eingebunden. Sie steht nicht
im Boot, sondern auf einem Löwen. Dieses Schema ist seinerseits abgeleitet von der in
gleicher Weise wiedergegebenen Göttin auf altsyrischen Rollsiegeln des 2. Jahrtausends, die
aber Steinböcke in den Händen hält95. Wir haben sie deshalb oben schon erwähnt als
Vorläuferin des Sched und des nackten Horusknaben mit Gazellen in den Händen.
Das Bild des Bes erscheint seit der frühen 18. Dynastie überall dort, wo es um Sexualität,
Nachkommenschaft und Körperpflege geht. Seine enge Verbundenheit mit den als
‚Gottesmutter’ und ‚Auge des Re’ betitelten Göttinnen ist dadurch gegeben, dass er für
Bereiche zuständig ist, die auch zu den ihren gehören. Schon im Neuen Reich kann er nackt
und frontal erscheinen, das Tamburin oder die Laute spielen und mit antithetischer Geste zu
beiden Seiten seines Körpers hohe Papyrusstengel halten96. Damit präfiguriert er die nackte
Göttin, sowohl die stehende mit Papyrussträussen in den Händen als auch die musizierende.
Die Bettmodelle vom thebanischen Westufer sind aber der einzige Ort, wo die Verbindung der
nackten Göttin mit dem Boot vollzogen wurde. Diese Bilderfindung ist ihr einzigartiges
Kennzeichen. Die nackte Göttin ist eine unorthodoxe Ausnahmeerscheinung in Ägypten mit
ausländischem Hintergrund. 'Exotische' Ausländerinnen sind nun einmal besonders attraktiv,
das war schon im Neuen Reich so, wie wir aus Spruch 172 des Totenbuchs erfahren. Dort liest
man ein mit kühnen Metaphern gespicktes Preislied auf die Schönheit des Osiris NN, wie der
folgenden: "Dein Kopf ist geschmückt, mein Herr, mit den Haarflechten einer asiatischen
Frau".
-Terrakottafigur der Aphrodite im Boot, Herkunft unbekannt; Museum der Kulturen Basel III
27419; H.18,5cm; Br. 13,2cm; T. 4,8cm; späte Ptolemäer- oder frühe römische Kaiserzeit; die
Oberfläche ist weitgehend mit einer dicken Sinterschicht bedeckt; Funktionstyp: Weihgabe.
(Abb.6):
Im Zentrum eines Schiffs mit hoher Bordwand steht Aphrodite in leichtem Kontrapost. Sie ist
nackt und in Frontalansicht wiedergegeben; beide Hände sind zur Seite gestreckt und halten
einen vom Fahrtwind geblähten Schleier, der einen Bogen über ihrem Kopf beschreibt. An
Bug und Heck sitzen Eroten und betätigen Ruder oder Steuerruder. Das Boot ist auf einem
Sockel mit Wasserlinien montiert. Obgleich hellenistisch im Stil, ist das Werk unverkennbar
ägyptisch, und zwar wegen der ziemlich konsequent durchgeführten antithetischen
Komposition. Der Objekttypus ist eine Mischung zwischen einer plastischen Gruppe und
einer kleinen Stele nach Art der ägyptischen Täfelchen mit nackter Frau oder Göttin im
Naos97. Der Bildaufbau steht demjenigen der Bettmodelle nahe. Die Bedeutung des Bildes ist
nicht leicht ersichtlich, es könnte eine Triumphfahrt der Göttin gemeint sein, die weniger den
Charakter einer mythischen Episode, als vielmehr denjenigen einer Erscheinung hat. Das
94
G. Pinch, Votive Offerings to Hathor (s. Anm. 11), 207-209.
O. Keel, Das Recht der Bilder gesehen zu werden. Drei Fallstudien zur Interpretation altorientalischer Bilder,
OBO 122, 1992, Abb. 204-213 (Qadesch-Stelen), 215-216 (syrische Göttin auf Rollsiegeln).
96
J. Capart, Les arts mineurs (s. Anm. 27), Tf. 721 Mitte.
97
E. Feucht, Vom Nil zum Neckar. Kunstschätze Ägyptens aus pharaonischer und koptischer Zeit an der
Universität Heidelberg, 1986, 181-2, Nr. 523.
95
31
Thema der triumphalen Schiffahrt der Venus findet sich gelegentlich auf späten römischen
Bodenmosaiken in Nordafrika98.
Die Figur der Aphrodite hat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Bild der nackten
Qadesch im Boot. Im hellenistisch-römischen Bereich sind zwar Bilder nackter Gottheiten
geläufig, aber es ist ungewöhnlich, dass sie sich dem ägyptischen Konzept der antithetischen
Komposition mit axialsymmetrischer Frontaldarstellung unterwerfen.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Göttin steht in einem Boot , das im Wasser liegt.
Abweichungen: Der Tierkopf und der Naos fehlen.
Das antithetisch frontale Bildkonzept
Die Bettmodelle zeichnen sich durch Eigenschaften aus, die neu und einmalig sind in
Ägypten: Nur an dieser Objektgruppe findet sich die streng axialsymmetrisch-antithetische
Komposition des Bildes mit der Göttin, die auf der Mittelachse angeordnet ist, in Verbindung
mit Nacktheit und Frontalität der Figur. Zur Funktion der Frontaldarstellung ist festzuhalten,
dass sich die nackte Frau dem Blick des Betrachters zwar vollständig preisgibt, der Anblick
aber eine eindeutige Provokation darstellt, deren Absicht nur die Verführung sein kann.
Dadurch wird auch die Bindung des Bildes an die Bettmodelle plausibel. Eine aktive
Komponente haben auch die beiden nackt und (teilweise) frontal erscheinenden Bese, die nur
auf diesem Bildtypus die Göttin begleiten und mit ihrem Tanzschritt andeuten, dass sie es
sind, die die günstige Stimmung erzeugen. Nur die Göttin im Boot präsentiert in antithetischer
Geste die Papyrus- oder Lotuspflanzen, die die geläufigsten Symbole für Fruchtbarkeit und
keimendes Leben sind. Nur sie steht im Entenboot, der Metapher für die Entstehung neuen
Lebens aus dem Ei im Nest.
Das Konzept der Szene hat sich, auch wenn es in der Folgezeit nur sporadisch auftritt, bis in
die römische Kaiserzeit gehalten99.
Das Fest der Boote im Sumpfgewässer
-Fragment einer flachen Steinschale mit Relief an der Aussenwand; Kairo CG 18682; H.
3,1cm, Durchmesser 10,5cm; Neues Reich bis Dritte Zwischenzeit100:
Die Wand der Schale dient als ein kontinuierliches, in sich selbst zurückkehrendes Bildfeld.
Die erhaltene Hälfte der Schalenwand zeigt ein Boot mit Entenkopf und -schwanz, das mit
drei Personen besetzt ist. Dass sich das Boot auf einem Teich bewegt, geht aus den
Lotusblüten und dem grossen Fisch hervor, die neben dem Heck erscheinen. Neben dem Bug
sind eine flatternde Ente und ein weiterer grosser Fisch angeordnet. Dort ist bei der
Bruchkante noch das Ende einer Stakstange zu erkennen, was bedeutet, dass auf der
verlorenen Hälfte der Schale ein zweites, dem ersten gegenüber liegendes Boot vorhanden
war. Am rechten Ende des erhaltenen Boots betätigt ein nacktes Mädchen die Stakstange, die
98
Z.B. ein Mosaik aus Utica im Musée du Bardo aus der Wende vom 2. zum 3. Jh. n. Chr. (Sols de l'Afrique
romaine, Mosaiques de Tunisie, Imprimerie Nationale Editions Paris 1995, 160, fig. 115). - Die Figur im
Museum der Kulturen Basel III 27419 ist unpubliziert; es ist mir bisher keine Parallele bekannt geworden.
99
Eine verwandte Komposition, jedoch ohne Nacktheit und Frontalität, findet sich auf einigen Spiegeln der
Spätzeit, wo Mut im Naos thront und von der Stifterin des Weihobjekts einen Spiegel überreicht bekommt,
während zwei Besfiguren den Naos flankieren (P. Munro, ZÄS 95, 1969, 92-109). Eine kleine Kalksteinstele des
Kestner-Museums in Hannover (1935.200.705) stellt eine Frau in einer Tempelfassade dar, nackt und frontal,
flankiert von zwei Bes-Figuren (F. von Bissing, ZÄS 67, 1931, 18, 1 Abb.); ein römisches Terrakottastelchen
zeigt Isis frontal auf einem Korb hockend, flankiert von zwei Bes-Figuren, in einer Tempelfassade (F. Dunand,
Catalogue des terres cuites gréco-romaines d'Egypte, Musée du Louvre, département des antiquités égyptiennes,
Réunion des musées nationaux, 1990, 144, no. 384, 1 fig.).
100
F. von Bissing, Steingefässe, Catalogue général des antiquités égyptiennes du musée du Caire, Vienne 1907,
144-145, Nr. 18682, 1 Abb.
32
in einem Entenkopf endigt. In der Mitte steht ein nacktes Mädchen, das mit der einen Hand
rechts neben seinem Körper zwei flatternde Enten hält, während es die andere Hand nach
links einem Mann entgegenstreckt. Der nackte Mann zeichnet sich durch einen fast bis zum
Boden hinunter hängenden Phallus aus. Auch er breitet die Arme aus und hält auf der linken
Seite Lotusblüten, und auf der rechten streckt er die Hand nach dem Mädchen aus.
Das Entenboot ist im vorliegenden Fall als Liebesboot gekennzeichnet, da das nackte Paar in
einer Handlung begriffen ist, die eine sexuelle Beziehung zwischen ihnen andeutet. Zugleich
wird der Akt wenigstens andeutungsweise auf die symbolische Ebene gehoben durch die
Geste mit den Vögeln und den Lotusblüten. Eine vergleichbare Figur eines nackten Mädchens
mit Entenbündel ist am Stiel des Salblöffels N 1737 des Louvre, einem Werk der 18.
Dynastie, angebracht101. Die Gesamtkomposition der Schale mit den zwei Booten ist
andeutungsweise symmetrisch und daher entfernt vergleichbar mit den Sumpfjagdszenen in
Privatgräbern des Neuen Reiches, wo das Boot des Grabherrn mit Familie axialsymmetrisch
verdoppelt erscheint. Die Deutung der Szene ist jedoch sehr erschwert, weil die Hälfte des
Bildes fehlt.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Frau mit Partner steht in einem Boot mit Tierkopf, das im
Wasser liegt. Abweichungen: Die Frau ist nicht die Göttin; es fehlt der Naos; das Boot ist in
einen grösseren Handlungszusammenhang gestellt.
-Silberschale aus Zypern, wohl ursprünglich aus Ägypten, auf der Schalenwand ist ein Festzug
auf und an einem Gewässer mit Papyrusdickicht dargestellt; Berlin 14117102; Durchmesser
16,6cm, H. 3,4cm; nach Eric Gubel um 850-825 v. Chr. zu datieren; Objekttyp: Weihgabe
oder Grabbeigabe.
Die Schale soll in einem Grab bei Agios Georgios auf Zypern gefunden worden sein. Die
Frage, ob die Arbeit ägyptisch oder phönizisch sei, lässt sich wohl kaum endgültig
entscheiden. Meines Erachtens ist sie ägyptisch, hat aber einen leichten fremdländischen
Einschlag, wie viele Werke der angewandten Kunst der späten Ramessiden-, Libyer- und
Äthiopenzeit, angefangen mit dem Schatzfund von Zagazig103. Dieser Eindruck geht vor allem
auf den innovativen Einsatz ungewohnter Motive und Motivkombinationen zurück. Die
Darstellung auf dem runden Boden der Schale ist nur teilweise erhalten. Es sind noch eine
nackte Schwimmerin, ein Pferd und mehrere Fische auf einem Kranz von Lotusblüten zu
erkennen. Die Wand der Schale bildet einen kreisförmigen Bildstreifen, auf welchem vier
Papyrusboote regelmässig verteilt sind. Die Zwischenräume sind gefüllt mit einer Gruppe von
Enten, einem mit zwei jungen Männern besetzten Pferdewagen, zwei Rindern und zwei
Pferden. Der ganze Bildstreifen ist hinterlegt mit einem dichten, absolut regelmässigen Kranz
von Papyrus- und Binsenstengeln. Das Hauptboot hat die Gestalt einer Ente mit Kopf, Flügeln
und Schwanz. Der obere Teil ist teilweise zerstört. Ein offener Naos oder Baldachin ist darauf
errichtet, der auf Papyrusstützen steht. Das gewölbte Dach, das teilweise beschädigt ist, hat
eine Form, zu der mir keine genaue Parallele bekannt ist. Darin sitzt ein Herr, der die Hand
nach vorn streckt (Hand fehlt), auf einem Hocker mit Stützkonstruktion, die für Möbel der
Dritten Zwischenzeit charakteristisch ist. Vor ihm steht eine Dame mit erhobener rechter
Hand (Hand fehlt), die ein langes Kleid trägt; offenbar reicht sie dem Herrn einen Becher. Das
dem Entenboot voranfahrende Boot ist mit zwei Paddlern besetzt; es ist das Schleppboot, wie
101
Rites et beauté, objets de toilettes égyptiens, Musée du Louvre, 1993, pl. 36 (rechts); H. Fechheimer,
Kleinplastik der Ägypter, Berlin 1921, Tf. 139 (rechts).
102
Eric Gubel, in: Ch. Uehlinger (Ed.), Images as Media, OBO 175, 2000, 195, fig. 15 (Umzeichnung nicht ganz
verlässlich); H. Schäfer, Ägyptische Goldschmiedearbeiten, Königliche Museen zu Berlin, Mitteilungen aus der
ägyptischen Sammlung, Band I, Berlin 1910, 65-67, Tf. 15.
103
Vgl. W.St. Smith, The Art and Architecture of Ancient Egypt, The Pelican History of Art, Harmondsworth
1958, 227-229.
33
die Leine zwischen den beiden Booten anzeigt. Auf seinem weit nach oben ragenden Bug sitzt
eine Katze. Im gegenüberliegenden Boot, das dem Entenboot zu folgen scheint, stehen drei
nackte junge Mädchen, die die Leier, das Tamburin und die Doppelflöte spielen; auch zwei
Weinkrüge und ein stakender Jüngling sind an Bord. Das vierte Boot schliesslich ist mit
einem dreifachen Weinkrugständer beladen; daneben machen sich ein junger Mann und eine
zweite, weitgehend zerstörte Person mit Speise und Trank zu schaffen.
Das Bild erinnert an die Sumpfjagdszene im Grab des Ipui (TT 217)104 aus der Zeit Ramses'
II. Es ist das einzige (?) Mal in einem Privatgrab, dass der Grabherr und seine Familie in
einem Entenboot unterwegs ist. Auf einem Block aus dem Grab des Generals Amenemone,
der in der späten 18. Dynastie lebte, ist ein Ehepaar dargestellt, das in einem Boot sitzt und
sich durch den Papyrussumpf staken lässt. Es ist aber kein Naos vorhanden, da dies nicht
anging für Privatleute (Strassburg 2439A)105. Die Musikantinnen und die Weinkrüge in den
beiden Begleitbooten der Silberschale scheinen eher einer Gastmahlszene in den Privatgräbern
des Neuen Reiches entnommen zu sein. Auch die Gruppe im Entenboot, d.h. die Dame, die
dem Herrn einen Becher (o.ä.) reicht, stammt aus dem funerären Bereich. Prominente
Beispiele sind eine Pfeilerszene im Grab des Sennefer (TT 96)106 und eine Szene am goldenen
Naos Tutanchamuns, wo Anchsenamun dem König ein Getränk in eine Lotusschale giesst107.
Beide Bilder stehen innerhalb einer Serie von verschlüsselten Liebesszenen, die auf die
Fähigkeit des Paares anspielen, sich selber fortzuzeugen.
Ein Entenboot mit Naos kennen wir sonst nur von den Bettmodellen mit der nackten Qadesch.
Bei Privatleuten kommen ein Naos im Schiff und ein Schleppboot nur bei der Abydosfahrt
des Bestattungsrituals vor, wo der Grabherr und seine Frau als Verstorbene göttlichen Status
gewonnen haben. z.B. im Grab eines Amenemhat108.
Der Bildaufbau der Silberschale hat Ähnlichkeit mit der Steinschale Kairo CG 18682 und
mehr noch mit den Friesen einiger Fayencebecher aus der Dritten Zwischenzeit, die eine
Reihe von Booten im Papyrusdickicht darstellen, wie etwa das vollständig erhaltene Stück
Inv. 26.7.971 im Metropolitan Museum of Art109; dort gibt es aber kein hervorgehobenes
"Götterboot", sondern lauter einfache Papyrusboote, die nur mit jungen Hirten und Fischern
besetzt sind. Der Boden der Silberschale mit den Schwimmerinnen gleicht einer Schale aus
den Königsgräbern von Tanis110.
Angesichts des Festzugs auf der Silberschale spricht Gubel von einem "Augenzeugenbericht"
über das Fest der Bastet in Bubastis, wie es in der 22. Dynastie auf dem ihren Tempel
umziehenden Ischeru-See gefeiert und rund 400 Jahre später von Herodot beschrieben wurde.
Dies scheint mit nicht einleuchtend, denn zum einen beschreibt Herodot das Verhalten der
Festteilnehmer auf dem Weg von ihrem Wohnort nach Bubastis, und zum anderen wäre, wenn
es sich denn um den Ischeru-Teich handelte, die Barke der Göttin zu erwarten.
Für die Deutung der Szene ist auch der Zweck des Objekts von Belang. Die Berliner
Silberschale erinnert an die reich verzierten Metallgefässe des Schatzfundes von Zagazig
(Bubastis), die eine andere Variante der Wasser- und Papyrussumpfthematik vertreten und
durch die Aufschriften als Weihgaben vornehmer Persönlichkeiten in das Heiligtum der
104
PM(2) I (1), 316, (5) IV.
PM(2) II, 702.
106
Sennefer. Die Grabkammer des Bürgermeisters von Theben, Verlag Philipp von Zabern Mainz 1988, Abb.35.
107
M. Eaton-Krauss und E. Graefe, The Small Golden Shrine from the Tomb of Tutankhamun, Griffith Institute,
Oxford 1985, 33, pl. XVI (Side C, CR 2).
108
J. Vandier, Manuel d'archéologie égyptienne, tome V, 1969, 987, fig. 380.
109
G. Tait, JEA 49, 1963, 111-2, pl. XVIIa-c, no. XIV.
110
H. Stierlin und Ch. Ziegler, Tanis. Vergessene Schätze der Pharaonen, deutsche Ausgabe Hirmer Verlag
München und Office du Livre Fribourg 1987, Tf. 68 (Wen-djebau-en-djed).
105
34
Bastet gekennzeichnet sind111; ferner an die bronzenen Spiegelscheiben, die jeweils eine
Priesterin der Mut vor dem Thron ihrer Herrin im Naos, zuweilen flankiert von zwei BesFiguren, darstellen, wobei die Stifterin der Göttin den Spiegel überreicht. Fünf solche Spiegel
stammen aus einem Hortfund von Bronzen in Mitrahine; je eines aus dem Heraion von Samos
bzw. Perachora und eines aus einem Grab in Edfu. Die Spiegel entstanden in der 25. Dynastie
und wurden ursprünglich sicher nach Karnak (Süd) gestiftet, später aber wohl aus Geldnot von
der Tempelverwaltung verkauft112.
Die Szene auf der Berliner Silberschale ist die einzige ausführliche Darstellung eines Fests auf
Booten im Papyrusdickicht. Es sind Anklänge an verschiedene Vergnügungsfahrten
vorhanden, wie sie in Gräbern des Neuen Reiches abgebildet sind. Die Szene im Entenboot
weist auf eine zart angedeutete intime Beziehung eines vornehmen Paares, wie wir sie von
den angeführten Parallelen aus dem funerären Bereich kennen. Der Naos, der zum göttlichen
Bereich gehört, ist sicher dazu angetan, das scheinbar profane Beisammensein im Boot in eine
höhere Sphäre zu heben. Die Komposition des Bildes hat einen stark symmetrischen
Einschlag dank der regelmässig auf dem Achsenkreuz angeordneten Boote und dem rein
ornamentalen Papyrusfries. Dies bewirkt eine partielle Raum- und Zeitenthobenheit, die nicht
zu einer realen Festdarstellung, sondern zu einer für die Ewigkeit erwünschten Daseinsform
passt. Die verschlüsselte Liebesszene im Boot, die wir von älteren Denkmälern ohne jede
architektonische oder landschaftliche Umgebung kennen, wurde auf der Silberschale
kombiniert mit den Themen des Gastmahls und der Vergnügungsfahrt oder Vogeljagd im
Sumpf. Die Verbindung kam offenbar aufgrund der erotischen Konnotation aller beteiligten
Szenen zustande.
Verhältnis zum Paradigma: Eine Dame und ein Herr befinden sich in einem offenen Naos auf
einem Boot mit Tierkopf, das auf dem Wasser fährt. Abweichungen: Die Frau ist nicht die
Göttin; das Boot ist in einen grösseren Handlungszusammenhang gestellt.
-Gruppenstatuette eines jungen göttlichen Paares im Boot, Herkunft unbekannt; Paris, Louvre
E 27422113; Terrakotta, H. 13,5cm, römische Kaiserzeit.
Ein Mädchen mit Blumenkrone und langen Locken, die an Isis erinnern, und Harpokrates, der
an den beiden Lotusknospen auf dem Kopf erkennbar ist, liegen umschlungen in einem Boot
mit Entenkopf. Unter den älteren Objekten ist nur die fragmentarische Steinschale in Kairo
(CG 18682) vergleichbar, wo sich ein nacktes Paar und eine Stakerin im Entenboot
vergnügen. Ein relativ ähnliches Objekt, das in der Ptolemäerzeit entstand, befindet sich in der
ägyptischen Sammlung des Basler Antikenmuseums. Es handelt sich um ein Amulett aus
blauer Fayence, das ein Boot darstellt, auf welchem ein nacktes Paar ausgestreckt
nebeneinander liegt. Ferner seien hier zwei römische Öllampen aus Hawara und Alexandria
erwähnt114, auf denen sich Putten oder Pygmäen in Booten vergnügen, d.h. kopulieren, trinken
etc., und zwar spielt sich die Fahrt auf einem Lotusteich ab. Diese Gestalten gehören nicht
mehr wirklich dem göttlichen Bereich an, bemerkenswerter Weise tradieren aber auch sie die
ägyptische Vorstellung vom Liebesboot auf dem fruchtbarkeitsspendenden Element.
Verhältnis zum Paradigma: Eine göttliches Paar liegt auf einem Boot mit Tierkopf, das auf
dem Wasser fährt. Abweichungen: Der Naos fehlt; im Boot ist ein göttlicher Partner
vorhanden.
111
W. Hayes, The Scepter of Egypt II, 358-360, fig. 224-226; (Ausstellungskatalog) Ramsès le Grand, Grand
Palais, Paris 1976, no. LX; J. Capart, Les arts mineurs (s. Anm. 27), pl. 743.
112
P. Munro, ZÄS 95, 1969, 92-109, Tf. II-IX.
113
F. Dunand, Catalogue des terres cuites gréco-romaines d'Egypte, Museée du Louvre, département des
antiquités égyptiennes, 1990, 100-101, no. 228, 2 figs.
114
G. Grimm, Antike Welt 31 (Nr. 2), 2000, 131, Abb. 7-8.
35
Unter der Bezeichnung "Das Fest der Boote" wurden zwei dynastisch-ägyptische und eine
römische Szene zusammengefasst, die jede in ihrer Art singulär und daher kaum deutbar ist.
Sie greifen aber Bildelemente aus dem Bereich des nackten Mädchens und der nackten Göttin
im Entenboot auf und suggerieren einen Vorgang erotischer Natur.
Das Boot mit dem Oryxkopf
-Stele der Bastet im Museum der Kulturen Basel (III 6199); die Herkunft ist nicht bekannt,
aber aufgrund der Inschrift eindeutig Bubastis. Das Stück entstand wohl in der Dritten
Zwischenzeit bis Spätzeit. Eine genauere Datierung würde eine eigene Studie erfordern.
Eine Beschreibung der Stele findet man oben am Anfang des Aufsatzes. (Abb. 1)
Bubastis wurde derart gründlich zerstört und ausgeraubt, dass wenig Quellen übrig sind zur
Hauptgöttin der Stadt und ihrem Heiligtum. Den Tempel des ersten Jahrtausends kennen wir
fast nur aus einer Beschreibung Herodots (Historien II 138), die den um das Tempelareal
herumgeführten, breiten Kanal erwähnt. (Vgl. oben zu Mut in Ischeru). Es ist anzunehmen,
dass sich die Bootsdarstellung auf der Stele auf diesen kanalartigen Teich bezieht, der gleich
demjenigen der Mut in Karnak als Ischeru bezeichnet wurde. Beweise gibt es aber nicht.
Es fällt auf, dass ein Oryx- und ein Kobrakopf auf allen vier in diesem Abschnitt behandelten
Weihgaben für Bastet bzw. Tefnut die Barke zieren. Die Frage, ob eine besondere Beziehung
zwischen diesen Tieren und den beiden Göttinnen bestanden habe, lässt sich allerdings kaum
beantworten, denn es ist unklar, ob diese Zahl statistisch relevant ist. Es können mir etliche
vergleichbare Barkenszenen, die noch erhalten sind, entgangen sein, und viele weitere können
seit der Antike zerstört worden sein. Was die Oryxantilope angeht, so dürfen wir davon
ausgehen, dass sie mit Gazelle und Steinbock austauschbar war und dass das Boot mit dem
Bauch des Tieres bzw. dem Mutterschoss assoziiert wurde, wie oben in Zusammenhang mit
dem 'nackten Mädchen im Boot' dargelegt. Die Idee des Hornträgers als eines mit Hathor bzw.
den Gottesmüttern verbundenen Symbols der mütterlichen Fruchtbarkeit, die uns aus den
Quellen des Neuen Reiches bekannt ist, wird im 1. Jahrtausend v. Chr. bestätigt durch die von
Jeanne Bulté als "talismans d'heureuse maternité" bezeichneten Bes- und Frauenfiguren115: An
diese besondere Kategorie von Amuletten haben sich seit der Dritten Zwischenzeit genau die
gleichen Symbole angelagert, die vorher an den Toilettengeräten vorherrschten.
Die Kobra stellt insbesondere Wadjet, Nechbet, Isis und Nephthys dar. In der gleichen
kompakten Form wie an den Booten treten zwei Kobras, die das Zeichen der Isis und der
Nephthys auf dem Kopf tragen, beispielsweise am Sockel einer Osirisfigur auf, die auf einer
Naosstele aus der 19. Dynastie in Kopenhagen (NCG AeIN 1555)116 abgebildet ist. Die Kobra
deutet auf die Aggressivität in Verbindung mit der Regenerationsfähigkeit der Schlange, die
sich häuten kann, und verhält sich somit komplementär zur Oryxantilope.
Ein auffallender Zug der Basler Stele ist die Anwesendheit eines männlichen Partners im Boot
der Göttin, eines Sonnengottes mit Falkenkopf und Sonnenscheibe auf dem Haupt. In den
Oryxkopfbooten der beiden anderen Stelen und der Szene am Geburtshaus von Dendara (s.
unten) ist der Falkengott nicht als Mensch, aber immerhin in Gestalt des Falken auf der
Papyrussäule anwesend. Auf dem Menit des Kestner-Museums (1950.131) erscheint er nicht
im Boot, sondern auf der anderen Seite der Scheibe in Gestalt eines Falkenpaars mit diagonal
gespreizten Flügeln. Für alle anderen - oben diskutierten - Bilder der Göttin im Boot ist es
charakteristisch, dass die Göttin allein oder allenfalls zusammen mit dem göttlichen
Königskind auftritt. Der falkenköpfe Gott der Basler Stele tritt, da er hinter der Göttin steht, in
115
Vgl. J. Bulté, Talismans Egyptiens d'heureuse maternité, Editions du Centre National de la Recherche
Scientifique, Paris 1991.
116
O. Koefoed-Petersen, Les stèles égyptiennes, Publications de la Glyptothèque Ny Carlsberg no. 1,
Copenhague 1948, 29-31, Tf. 36d.
36
der Nebenrolle des "prince consort" auf, und dasselbe gilt für Schu im oberen Register der
Tefnut-Stele in Hannover. Dem Erscheinungsbild nach muss es sich um eine Form des Horus
handeln. Bildliches Vergleichsmaterial gibt es nicht aus Bubastis, erwähnenswert sind aber
die Epitheta der Bastet wie "Auge des Re", "Auge des Horus" und "Auge des Atum", die
Labib Habachi117 gesammelt hat.
Exkurs: Wer ist der Falkengott im Boot der Göttin?
Für die Frage nach der Identität des Gottes bietet das Amulett des Falken auf der Papyrussäule
einen wichtigen Anhaltspunkt. Es ist zwar ein im funerären Bereich allgegenwärtiges
Schutzsymbol, tritt aber besonders prominent auf den Horusstelen auf, wo es mit dem
Nefertem-Symbol zusammen die Figur des nackten Horusknaben flankiert. Vor allem bietet
der Totenbuchspruch 112 (30-37), der gemäss dem Titel dazu dient, "die Bas von Buto zu
kennen", eine Ätiologie des Symbols. Im Hauptteil des Spruchs wird erzählt, wie Seth in
Gestalt eines schwarzen Ebers dem Auge des Horus eine schwere Verletzung beibrachte und
wie Re sie schliesslich heilte. Der Schluss lautet in der Übersetzung Erik Hornungs wie folgt:
"Was Amset, Hapi, Duamutef und Qebebsenuf betrifft: Horus ist ihr Vater, Isis ist ihre
Mutter. Und Horus sprach zu Re: 'Gib mir doch zwei Brüder in Buto und zwei Brüder in
Hierakonpolis von dieser Körperschaft [den Bas]; und sie sollen bei mir sein, (mir) bis in
Ewigkeit anvertraut, damit die Welt gedeihe und der Aufruhr ausgetilgt wird'. So entstand sein
Name als 'Horus, der auf seinem Papyrus ist'."
Der Horusfalke lässt, so können wir den Sachverhalt umschreiben, in seinem Namen als
"Horus, der auf seinem Papyrus (wAD) ist", die Welt gedeihen (wAD) als Sieger über den
Aufruhr des Seth. Die heillose Untat des Seth bestand darin, dass er das Auge des Horus
verletzte, und Re hatte es wieder geheilt, indem er Horus Buto gab, den Kultort der Wadjet,
deren mit dem Papyrus geschriebener Name bereits das 'Heil' in sich trägt. Der Spruch 112
bekräftigt somit, dass der Falke auf dem Papyrus eine Erscheinungsform des Horus von Buto
ist. Ausserdem legt der Text Wert auf die Feststellung, dass Isis nicht nur die Mutter, sondern
auch die Gattin des Horus sei.
Eine Legende zu Horus von Buto wird in Herodots Bericht von seinem Besuch in der Stadt
der Leto überliefert (II 155-156). Er zeigt sich sehr beeindruckt vom Tempel der Leto
(Wadjet) und der wunderbaren schwimmenden Insel Chemmis, die in einem tiefen See neben
dem Heiligtum der Göttin liege und einen grossen Tempel des Apollon (Horus) in einem Hain
trage. Leto habe die Insel beweglich gemacht, um das Götterkind vor den Nachstellungen des
Typhon (Seth) zu verbergen: „Aber als Leto... in Buto... wohnte, übergab ihr Isis den Apollon
zur Verwahrung, und sie verbarg ihn vor dem alles durchsuchenden... Typhon, der den Sohn
des Osiris in seine Gewalt bringen wollte, auf der Insel, die heute die schwimmende heisst.
Apollon und Artemis gelten in Ägypten als Kinder des Dionysos und der Isis, und Leto soll
sie aufgezogen und gerettet haben. Bei den Ägyptern heisst Apollon Oros, Demeter Isis,
Artemis Bubastis“. Wenn wir die ägyptischen Götternamen an Stelle der griechischen setzen
und die Aussage zusammenfassen, heisst das, dass Isis als Mutter von Horus und Bastet gelte,
Wadjet aber als ihre Pflegmutter, obschon letztere in der griechischen Mythologie die Mutter
des Geschwisterpaares ist. Herodot hat damit recht gut zum Ausdruck gebracht, dass zwischen
Isis, Wadjet und Bastet eine Beziehung besteht, die um die Gestalt des Horus von Buto kreist.
Dies wird uns auf der Ebene der Denkmäler durch zwei weitere Szenenkombinationen
bestätigt, deren Protagonisten die grosse Gottesmutter und Horus von Buto sind: Auf einer
Menit-Ägis des Metropolitan Museums118, deren Kopf fehlt, sieht man oben die nur mit dem
117
L. Habachi, Tell Basta, Suppléments aux Annales du Service des Antiquités de l'Egypte, Cahier no. 22, Le
Caire 1957, 118-9.
118
Charlotte Clark, The Metropolitan Museum of Art Bulletin, 12 (3), Nov. 1953, 78-80 (Rogers Fund, 1908).
37
Titel "Gottesmutter" beschriftete Göttin in einem Naos mit Hathorkopfsäulen stehen, während
im Rund der Falke im Papyrusbusch erscheint. Er steht aber nicht allein auf dem Serech,
sondern ihm geht die Göttin als Kobra mit Weisser Krone voran. In der Göttin auf der MenitÄgis ist wegen ihrer aus einem Naos mit Papyrusdolden bestehenden Krone und der
Kobrengestalt Wadjet zu erkennen. Es liegt aber auch ein Hauch von Bastet über ihrer Gestalt,
weil am oberen Rand des Menits ein von zwei Katzen flankierter Hathorkopf erscheint. Hier
liegt ein klares Beispiel für die Konstellation der dominierenden Göttin mit dem
falkengestaltigen Horus von Buto als Partner vor. Da der Falke im Rund des Menits wie im
Uterus geborgen ist, dürfte der Akzent auf der Sohnesrolle liegen. - In Bologna (Museo Civico
Archeologico KS 294)119 befindet sich eine von Apries gestiftete Bronzestatuette der Wadjet
mit Löwenkopf, auf deren Thronseiten zwei analoge königliche Opferszenen eingeritzt sind.
Die eine stellt die löwenköpfige Wadjet dar, die andere den falkenköpfigen Horus von Buto,
beide durch Namensbeischrift identifiziert. Auch in diesem Fall ist es die Göttin, die
dominiert, weil ihr die Statue gilt, und doch sind beide in den Opferszenen auch als
gleichgestellte Partner behandelt.
Im Falkengott der Oryxbarke dürfen wir Horus von Buto erkennen. Sowohl die Darstellungen
mit dem Boot als auch die angezogenen Parallelen ohne Boot enthalten die Konstellation der
dominierenden Mutter-Gattin in Begleitung des Sohn-Partners in verschiedenen Varianten, die
verschiedene Facetten ihrer Beziehung verbildlichen.
Doch kehren wir zur Basler Bastet-Stele zurück. Zur Tamburinspielerin sei angemerkt, dass
die Darstellungen des tanzenden und Tamburin spielenden Bes aus der 18. Dynastie bereits
oben in Zusammenhang mit der knienden Variante des nackten Mädchens und der nackten
Göttin im Boot erwähnt wurden. Im späten Neuen Reich wird die Vorstellung eines
Kollektivs von Sieben Hathoren greifbar, die den kinderlosen Menschen beistehen. Eine von
F.W. von Bissing publizierte Stele120 unbekannter Herkunft zeigt einen Priester in Anbetung
vor einer Nische mit den Figuren der sieben Hathoren, die alle die Hörnerkrone tragen. Die
Inschrift fleht die Göttinnen um Kinder beiderlei Geschlechts an. In der von Osorkon II.
gestifteten Kapelle des Osiris-Upisched in Karnak befindet sich ein ikonographisch wichtiges
Relief121, das leider schlecht erhalten ist. Es lässt noch eine Prozession der Sieben Hathoren
erkennen, die Tamburine und Sistren spielen und Blütenkronen auf dem Haupt tragen. Es
bleibt ungewiss, auf wen sie zugehen, aber im gleichen Raum sind noch einige
fragmentarische Szenen mit Hathor, Horus und einem nackten jugendlichen Gott vorhanden.
In der römischen Kaiserzeit waren Terrakottastatuetten von Tamburinspielerinnen beliebt, die
das auf der Brust geknotete Gewand und die Lockenfrisur der Isis tragen; den Kopf ziert meist
ein Blütenkranz und selten auch die Krone der Isis. Eine schöne Weihfigur dieser Art, die an
die Tamburinspielerin der Bastet-Stele erinnert, befindet sich in der ägyptischen Sammlung
des Museums der Kulturen Basel (III 5401)122 (Abb. 7). Das Musizieren und Tanzen ist im
dynastischen Ägypten nicht Sache der grossen Göttinnen, sondern ihres Gefolges, und die
Kulttänzerinnen und -tänzer treten in deren Rolle auf. Erst bei den römischen
Terrakottafiguren von Tamburinspielerinnen ist die Grenze zwischen Gottheit und Mensch
verwischt, die Göttin selber spielt das Tamburin und die Frauen können sie verkörpern.
119
J. Vandier, ZÄS 97, 1971, 126-129, Tf. VIII-IX; sehr ähnlich auch London British Museum 11482, eine
Holzfigur der thronenden Wadjet mit gemalten Szenen auf den Thronseiten, die König Amasis beim Opfern vor
Wadjet und Horus von Buto zeigen, gemäss Beischriften (T.G.H. James, JEA 68, 1982, 156-165, Tf.XVIIIXIX).
120
F.W. von Bissing, ZÄS 61, 1926, 84-5, Abb. 1).
121
PM(2) II, 204, 7; R. Fazzini, Iconography of Religions (s. Anm. 77), pl. V.
122
H. 17cm, Eingang 1920, bisher unpubliziert. Ähnliche Stücke z.B.: Fr. Dunand, Catalogue des terres cuites
gréco-romaines (s. Anm. 113), bes. Nr. 524.
38
Die Tamburinspielerin der Bastet-Stele entspricht weder den musizierenden Hathoren, noch
den gruppenweise agierenden Musikantinnen, die an Prozessionen mitwirken. Sie entspricht
vielmehr einer anbetenden Person vor einem Götterbild. Durch ihre Geste ist aber auch
potenziell ihre Rolle als Tänzerin der Bastet angesprochen. Die Szene hat eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem spätzeitlichen Pyramidion des "Obertänzers des Tempels der Bastet,
Harhotep" in Kairo (11/1/25/1)123, das vermutlich aus Bubastis stammt. Auf dem Bild sieht
man den Stifter vor Osiris stehen; zwar hat er die Hände anbetend erhoben, aber zugleich sein
Instrument, die Menit-Ägis, über die Schulter gehängt. Unsere namenlose Tänzerin, die eine
Berufskollegin Harhoteps gewesen sein muss, ist die bisher einzige mir bekannt gewordene
Stifterin, die sich auf ihrer Weihgabe wenigstens andeutungsweise in Ausübung ihres Berufs
darstellen liess.
-Stele aus einer Grabung der 1960er Jahre in Bubastis, Zagazig, Musée national de
Sharquiyah124; Dritte Zwischenzeit bis Spätzeit; Kalkstein, H.18,5cm, Br. 28cm; genaue
Fundstelle unbekannt:
Wie bei der Basler Stele handelt es sich um ein kleines Querformat, hier aber rechteckig. Im
Naos thront die löwenköpfige Göttin. Das Naosdach stützt sich auf Hathorkopfsäulen. Davor
steht das Symbol des Falken auf der Papyrussäule, und zwischen diesem und dem Naos,
teilweise verdeckt vom Hathorkapitell, ein Stangensymbol mit zwei hohen Federn (?),
vielleicht dasjenige des Nefertem (?). Am Bug steht die königliche Sphinxstandarte. Der
Kobra- und der Oryxkopf an Bug und Heck sind mit grossen Kragen versehen. Es fällt auf,
dass das Boot ganz allein dargestellt ist.
-Menit-Gegengewicht aus Bronze mit Bastet in drei verschiedenen Erscheinungsformen;
Herkunft unbekannt, aufgrund der Inschrift wohl Bubastis; Hannover, Kestner-Museum
1950.131125; Dritte Zwischenzeit bis Spätzeit; beidseitig ziseliert, auf der Vorderseite mit
Gold tauschiert bzw. mit Goldplättchen belegt; H. 12,8cm, Br. der Scheibe 4,9cm; Objekttyp:
kostspielige Weihgabe. (Abb. 2-3)
Der trapezförmige Teil des Gegengewichts besteht aus der Silhouette einer stehenden Frau mit
Löwenkopf, der hintere Arm hielt das Anch-Zeichen, der vordere ein langes Zepter, das heute
fehlt; eine Abbruchstelle auf dem Kopf deutet wohl auf eine verlorene Sonnenscheibe. Im
runden Teil hockt eine Göttin mit Löwenkopf, flankiert von zwei Falken mit Schen-Ringen in
den Klauen, auf einem Korb. Der Schen-Ring ist insbesondere das Attribut der Nechbet als
Geierweibchen, und vielleicht hat man dabei wegen seiner Form, die einen runden Hohlraum
umschliesst, an die Gebärmutter gedacht, die das werdende Leben birgt. Neben dem Kopf der
hockenden Figur liest man die Beischrift „Bastet“. Es liegt eine antithetische Gruppe vor, die
sich aus symbolartig statischen Elementen zusammensetzt. Wahrscheinlich bilden sie mit dem
Korb zusammen eine Art Rebus, der die bergende Schutzmacht der Bastet im Verein mit
Horus umschreibt. Diese Art von antithetischer Gruppe, die die Statik der Axialsymmetrie mit
der Dynamik der Schrift verbindet, kann als Symbolszene bezeichnet werden. Hier liegt eine
leichte Dominanz der Göttin vor, weil sie das Zentrum bildet; dafür wohnt den beiden Falken,
die fast einen Kreis um sie formieren, eine feine Dynamik inne.
Das Boot auf der Rückseite der Scheibe enthält, nebst dem geschlossenen Naos, nur einen
Straussenfederwedel und die Königsstandarte mit dem stehenden Sphinx. Horus tritt nicht in
der Barke auf, sondern in Gestalt der beiden Falken in der Symbolszene der Vorderseite. Es
handelt sich um eine Kombination verschiedener Erscheinungsformen der Göttin Bastet. Im
Unterschied zu den oben besprochenen Menit-Gegengewichten und Salblöffeln aus der Zeit
123
J. Quaegebeur und A. Rammant-Peeters, OLA 13, Leuven 1982, 179-206, Tf. XV.
Ahmed el-Sawi, Tell Basta Excavations, in: ZÄS 104, 1977, 129, fig. 4.
125
H. Kayser, Ägyptisches Kunsthandwerk, Braunschweig 1969, 230, Abb. 206 (rechts).
124
39
Amenophis' III., die die einzelnen Komponenten des Objekts in einer übergreifenden,
symbolträchtigen Gesamtform zusammenfassen, sind hier die Bildteile deutlich voneinander
geschieden.
-Bogenstele mit zwei Bildregistern, König vor Triade und Göttin im Boot, Hannover, KestnerMuseum 1935.200.442126; H. 43,3cm; Br. 28,1cm; T. 9,3cm; Herkunft unbekannt, aus der
Sammlung von Bissing; wohl 30. Dyn. bis frühe Ptolemäerzeit: (Abb. 4)
Die Stele weist, wie diejenigen im Basler Museum der Kulturen und in Zagazig, keine
Inschrift auf. Das Bogenfeld wird von der geflügelten Sonne eingenommen. Im oberen
Register wendet sich ein König mit Kopftuch und kurzem Vorbauschurz nach links und opfert
vor einer Göttertriade. Zuvorderst steht eine löwenköpfige Göttin mit Wadj-Zepter, gefolgt
von einem Gott mit Götterperücke und Sesched-Band, in welches zwei hohe Falkenfedern
gesteckt sind; der dritte Gott trägt ebenfalls Götterperücke und Götterschurz, hat aber einen
Löwenkopf. In dem Götterpaar dürfen wir Tefnut und Schu erkennen, welche man öfter auf
doppelköpfigen Menit-Ägiden dargestellt findet. Ein 1981 in Basel verkauftes Stück127 weist,
wie üblich, den Löwinnen- und den Götterkopf mit kurzer Perücke auf, aber auf dem
trapezförmigen Teil ist der Gott in der gleichen Aufmachung, d.h. mit Götterperücke und
Doppelfeder, dargestellt wie auf der Hannoveraner Stele. Der dritte Gott dürfte Horus von
Buto sein, von dem einige Bronzefiguren in Gestalt eines Mannes mit Löwenkopf erhalten
sind, die auch seinen Namen nennen128.
Auf dem unteren Bildstreifen ist das Boot allein dargestellt. Auf dem Naos erscheint die
hockende löwenköpfige Gestalt der Göttin, vorne stehen die Sphinxstandarte und das Symbol
des Falken auf dem Papyrus. Als Besonderheit sind eine ganz kleine Figur einer Göttin, die
auf dem Kragen der Kobrakopfägis steht, zu verzeichnen, und eine kleine Figur eines Gottes
beim Heck. Vielleicht handelt es sich um Tefnut und Schu, die Ausführung des Reliefs ist
aber etwas grob und die Oberfläche vielfach beschädigt, so dass keine Details zu erkennen
sind. Dasselbe gilt für die Flaggenmasten (?) neben dem Naos. Da Tefnut nicht einen
prominenten eigenen Kultort hat wie Bastet, Hathor oder Mut, kann keine Vermutung über
den Bestimmungsort der Stele ausgesprochen werden.
-Dendara, römisches Geburtshaus, Wandrelief:
Kaiser Trajan überreicht Hathor, die ihren kleinen Sohn Harsomtus säugt und von einem
'grossen Kind' begleitet ist, eine Opfergabe: Es ist ein Bootsmodell mit zurückblickendem
Oryxkopf am Heck. Im Boot stehen das Symbol des Falken auf der Papyrussäule, eine leere
Standarte (?) und die Zeichen für 'Kleider' und 'Seil'. Die Barke enthält keinen Naos für die
Göttin, und der Bildaufbau ist ganz verschieden von demjenigen der vier Weihgaben für
Bastet bzw. Tefnut. Und doch ist die Szene in gewisser Weise eine Zusammenfassung der
beiden Bildstreifen auf der Tefnut-Stele: Die Barke, die dort gross auf dem unteren Streifen
erscheint, wird stark verkleinert und in die Szene des Königs, der vor drei Gottheiten steht,
integriert.
Charakter des Boots und der Götterkonstellation darin
Die Frage nach dem Charakter der Fahrt der Göttin im Oryxboot und der Rolle, die Horus von
Buto dabei spielt, lässt sich nach Analyse der Bilder wenigstens im Groben beantworten.
126
P. Munro, Staedel Jahrbuch NF 3, 1971, 41, Abb. 44.
Auktion 59, 16. Juni 1981, Münzen & Medaillen AG Basel, 29, Nr. 68, 1 Abb.; ein Stück in Privatbesitz mit
Aufschrift "Tefnut": Katalog der Ausstellung Osiris, Kreuz und Halbmond, Mainz 1984, Nr. 41; das Merkmal
der Götterperücke mit Doppelfeder kommt auch bei Sopdu vor (J. Leclant, Recherches sur les monuments
thébains de la XXVe dynastie dite éthiopienne, Bibliothèque d'études, T. XXXVI, Le Caire 1965, pl. 48).
128
J. Vandier, Ouadjet et l'Horus léontocéphale de Bouto, Mon. Piot 55, 1967, 7ff.
127
40
Auf allen vier Weihgaben erscheint die Göttin im Boot als eine separate, selbständige Szene.
Zwar können sich andere Erscheinungsformen auf anderen Teilen des Gegenstandes dazu
gesellen, aber sie wird nicht in einen grösseren Handlungszusammenhang einbezogen und der
Stifter kann auch nicht an der Fahrt teilnehmen, wie es z.B. bei der Barke der Mut von Ischeru
der Fall ist. Die Barke wird auf die gleiche Art verehrt wie es die Stifter und Stifterinnen mit
den Götterfiguren auf ungezählten Stelen tun. Daraus lässt sich schliessen, dass Bastet oder
Tefnut im Oryx- und Kobraboot in erster Linie als eine spezifische Erscheinungsform der
Göttin aufgefasst wurde, und zwar als diejenige, die aus ihrem Leib neues,
regenerationsfähiges Leben generiert. Da das Schiff aber auf dem Wasser steht, ist zugleich
die Möglichkeit einer rituellen Ausfahrt angedeutet. Das Bild ist Erscheinungsform und
(potentielle) rituelle Realisierung des Erscheinens in einem.
Die rein statische Anwesenheit des falkenköpfigen Gottes bzw. des Falken lässt nur auf eine
allgemeine Zusammengehörigkeit oder ein Zusammenwirken beider Gottheiten zum Zwecke
des Gedeihens der Welt schliessen. Die Rolle des Horus als Begleiter, als Falke auf der
Papyrussäule oder als Falke mit Schen-Ring deutet auf sein Vermögen, den Angriff des
Feindes, der unfruchtbar und neidisch ist auf alles neue Leben, abzuwehren und das Keimen
frischen Lebens zu bergen und zu schützen. Der Oryxkopf seinerseits, der den Schiffsbauch
gleichsam zum Mutterschoss macht, präzisiert die Absicht des göttlichen Wirkens: Das
Gedeihen, das die beiden Gottheiten den Menschen bringen, zielt auf reichliche Vermehrung
ab. Die Konstellation der dominierenden Gottesmutter mit dem erwachsenen Sohn/Partner
verbildlicht die 'Dreieckbeziehung' Mutter-Gattin / Horus das Kind / Horus der erwachsene
'prince consort'. Die Überlegenheit der Göttin kommt daher, dass sie die fürsorgliche,
lebensgebende und lebenserhaltende ist.
Zusammenfassung
Das Bild der Göttin im Boot ist in der frühen 18. Dynastie entstanden und kommt in der
Folgezeit in immer neuen Ausformungen bis in die römische Kaiserzeit vor.
Auf welchen Arten von Denkmälern kommt die Szene vor? Wer waren die StifterInnen oder
BesitzerInnen?
Das Gründungsbild überhaupt, Hathor von Deir el-Bahari als Kuh im Papyrusboot, das im
äusseren Sanktuar des Hathorheiligtums von Deir el-Bahari erscheint, darf dem persönlichen
Einfluss der Königin Hatschepsut zugeschrieben werden. Sicher nicht zufällig erscheint die
Szene auch im kleinen Tempel der Nefertari in Abu Simbel und im Grab einer Königin im Tal
der Königinnen (Nr. 40). Aber auch zwei hohe Hofbeamte nahmen es in ihr Grab auf. Die
Szene findet sich ferner auf ein paar Weihgaben der kostspieligeren Art aus Deir el-Bahari,
die von zwei Damen ohne Titel, einem Hathorpriester und einem Bildhauer kamen.
Ausgesprochene Luxusartikel höfischer Kreise waren hingegen einige Menit-Gegengewichte
in durchbrochener Arbeit aus der Zeit Amenophis' III.
In der gleichen Epoche kam die Szene des nackten Mädchens im Entenboot auf, die nur auf
kostbaren Luxusgerätschaften und Weihgaben von bedeutender künstlerischer Qualität
vorkommt, wie Salblöffel, blaue Fayenceschalen, bemalte Tongefässe und Ostraka. Die
Besitzer und Besitzerinnen solcher Dinge gehörten der obersten Gesellschaftsschicht an,
sicher vorwiegend dem Hof, wie ein mit dem Namen der Mutter Amenophis' III., Mutemuja,
beschrifteter Salblöffel nahelegt. Dass wir bei der Thematik der höfischen Luxusartikel mit
Impulsen rechnen dürfen, die von der Königin Teje ausgingen, bestätigt auch der Lehnstuhl
mit dem sehr eigenwilligen Bild ihrer selbst als Hathor, den sie ins Grab ihrer Eltern stiftete.
41
Bei den Bootsszenen der Mut von Ischeru, der Anukis und Ahmose-Nofretere auf dem
Westufer von Theben und der Nechbet von Elkab hingegen ist festzustellen, dass sie in
Gräbern und auf Stelen auftreten, deren Inhaber oder Stifter Männer waren, die an den
implizierten rituellen Bootsfahrten von Amtes wegen beteiligt waren.
Ganz anders die 'nackte Göttin im Entenboot', deren Bild sich auf eine einzige Art von
Weihgaben, die Bettmodelle, beschränkt. Die Stifter oder Stifterinnen kennen wir nicht. Die
Objekte sind wenig zahlreich und relativ aufwändig und somit einer gehobenen
Gesellschaftsschicht zuzuordnen. Ähnliches gilt für das Thema des Fests in den Liebesbooten,
das wir nur von zwei Schalen und und einer römischen Tongruppe kennen.
Die Szene der Göttin im Boot mit dem Oryxkopf erscheint auf recht aufwändigen Weihgaben,
von denen drei für den Tempel der Bastet in Bubastis bestimmt waren, und bei einem davon
gibt sich die Stifterin als Angehörige des gehobenen Kultpersonals zu erkennen.
Insgesamt konzentrieren sich die Szenen der Göttin im Boot sehr stark auf lose Objekte wie
Weihgaben, Grabbeigaben und luxuriöse Gebrauchsgeräte, und zwar der gehobenen bis
kostspieligen Art. Grab- und Tempelwände sind eher selten ihre Träger. Nur Angehörige der
oberen Gesellschaftsschichten sind beteiligt, wohl etwa von der oberen Mittelschicht bis zur
Königsfamilie. Frauen sind unter der Stifter- oder Besitzerschaft sicher stark vertreten, aber
wie stark, lässt sich nicht genau feststellen, weil in sehr vielen Fällen jeder Hinweis fehlt.
Auffallend und bezeichnend ist aber das Interesse der Königinnen am Thema der Göttin im
Boot. Hatschepsut darf als die 'Erfinderin' der Szene gelten; bei Teje kann ein persönliches
Interesse an Belangen der Ikonographie erschlossen werden; bei Mutemuja, Nefertari und der
anonymen Königin Nr. 40 im Tal der Königinnen hingegen lässt sich der persönliche Anteil
nicht ermessen.
Wo und wie berührt sich das Bildthema mit verwandten Themen?
Im Fall der Hathor von Deir el-Bahari als Kuh lässt sich das Thema der Kuh im Boot nicht
trennen von demjenigen der Kuh ohne Boot. Letzteres kommt auf den gleichen Bildträgern
vor und ist überdies häufiger. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass die 'Kuh im Boot'
nur auf einigen reicheren Weihgaben vorkommt, nicht auf den Massen-Votiven. Ähnlich wie
die Szene der 'Kuh im Boot' ist auch die Szene des 'nackten Mädchens im Entenboot' eine
besondere Variante des gleichen Themas ohne Boot, das auf den gleichen Trägerobjekten zu
finden ist.
Der Fall der 'Königin oder ein leerer Naos im Boot' liegt ganz anders, da wir es hier mit vier
absolut einmaligen Lösungen zu tun haben, die aber mit Bildelementen aus dem Thema der
Göttin im Boot und dessen Umkreis spielen.
Die Boote der Mut von Ischeru, der Anukis und Ahmose-Nofretere auf dem thebanischen
Westufer und der Nechbet von Elkab heben sich durch Typus und/oder Kontext ab von den
übrigen. Es handelt sich um rituelle Schiffahrten, zwar eigenständiger Art, wobei sich aber
Überschneidungen mit der Thematik der normalen, tragbaren Prozessionsbarken der Götter
ergeben.
Die Szene der 'nackten Göttin im Entenboot' mit ihrer provozierenden Frontaldarstellung
konstituiert ein eigenständiges Thema. Ähnliches gilt für die wenigen Beispiele des stark
erotisch konnotierten 'Fests der Boote im Sumpfgewässer'. Beide Ideen, die wir auch als 'die
Verführerin' und 'das Liebesboot' bezeichnen können, sind im dynastischen Ägypten recht
dünn belegt, wurden aber anscheinend bis in die Römerzeit tradiert.
Beim 'Boot mit dem Oryxkopf' handelt es sich wiederum um eine eigenständige
Formulierung, die nicht in ein umfassenderes Thema eingebettet ist, aber anderen Varianten
von Szenen der dominierenden Gottesmutter mit erwachsenem Sohn/Partner nahe steht.
Stellt die Szene eine Erscheinungsform der Göttin oder eine rituelle Ausfahrt dar?
42
Was zunächst die 'Kuh im Boot' anbelangt, so sind im Hathorheiligtum der Hatschepsut in
Deir el-Bahari beide Ausformungen belegt. Die beiden Bilder im äusseren Sanktuar sind als
eine besondere Erscheinungsform der Göttin zu verstehen. In der Halle ist aber auch eine
Schleppfahrt der Kuh im Boot auf dem Sandschlitten dargestellt, die aber eher als die rituelle
Einführung des Bildwerks in den neuen Tempel und nicht als Ausfahrt deutbar ist. Im
gleichen Raum ist eine weitere Ritualszene anzutreffen, die Schiffsprozession der Hathor vermutlich in Gestalt der neuen, kuhgestaltigen Statue - die sich in Begleitung Amuns von
Karnak am Jahresanfang ins Hathorheiligtum von Deir el-Bahari begibt, wobei ihr die
Tierkopfboote der Hathor-Hatschepsut das Geleit geben. Die beiden zusammengehörigen
Fahrten sehen nach einem ganz persönlichen Konzept der Hatschepsut aus und wurden später
in dieser Form nicht wiederholt. Hingegen hat 'die Kuh im Boot' als Erscheinungsform der
Göttin bis in die Spätzeit überlebt.
Die Szenen des 'nackten Mädchens im Entenboot' und der 'Königin im Boot' stellen
Erscheinungsformen mittelbarer Art dar, denn die im Boot erscheinende Person ist eine
irdische Verkörperung eines bestimmten Aspekts der Göttin.
Die beiden Szenen der Mut auf dem Teich von Ischeru sind ihrer Form nach verschieden, die
eine ist statisch, die andere stellt eine rituelle Bootsfahrt dar. Hingegen sind die Bootsszenen
der Anukis und Ahmose-Nofretere auf dem Westufer von Theben eindeutig als Prozessionen
charakterisiert, und dasselbe gilt für die Fahrt der Nechbet von Elkab nach Piramesse, wo
sogar ein konkreter, datierbarer Anlass vorliegt. Eine Ausfahrt findet auch beim 'Fest der
Boote' statt, doch ist unklar, welcher Natur sie ist, das die Fälle unterschieden sind, aber alle
drei wenigstens einen deutlichen sakralen Einschlag haben.
Die 'nackte Qadesch im Entenboot' ist eindeutig eine Erscheinungsform der Göttin. Den Fall
des 'Boots mit dem Oryxkopf' halte ich für doppeldeutig. Die Szene stellt in erster Linie eine
Erscheinungsform der Göttin dar, wobei dem Boot auf dem Wasser zugleich ein Potential
innewohnt, die Fahrt in die Tat umzusetzen.
Welches ist die Bedeutung oder Symbolik der Szene bzw. ihrer verschiedenen Varianten?
Konstituierend für das Konzept der 'Göttin im Boot' ist der Symbolwert des Boots, genauer
gesagt, des Papyrusboots und des Boots mit dem Enten- oder dem Hornträgerkopf. Dort wo
Göttinnenköpfe am Boot erscheinen, ist praktisch die Grenze des Phänomens erreicht, auch
wenn bestimmte Eigenschaften der Boote noch mit den eigentlichen Typen übereinstimmen
und eine Verbindung herstellen. Was das Papyrusboot angeht, so war es Hatschepsut selbst,
die uns in einer Beischrift im Hathorheiligtum von Deir el-Bahari einen Schlüssel zum
Verständnis seiner Bedeutung in die Hand gab. Sie gebraucht dort die überraschende
Metapher der Kuh, die im Nest von Chemmis ihr Junges aufzieht. Und der Schritt, das
Papyrusboot mit dem im Sumpf verborgenen Vogelnest gleichzusetzen, in dem die Eier
ausgebrütet und die Küken betreut werden, ist leicht getan. In der Zeit Amenophis' III. ist die
Idee aufgekommen, dem Boot einen Entenkopf und -schwanz anzusetzen und es in eine Ente
zu verwandeln. Damit wird der Bootsrumpf noch deutlicher zum Gefäss, in welchem neues
Leben gezeugt und ausgebrütet wird. Der Steinbockkopf, der in der 18. Dynastie an einem
dieser Entenboote und an zwei Schiffen von Königinnen erscheint, wird seit dem späten
Neuen Reich durch den Oryxkopf abgelöst. Die Hornträger als Säugetiere stehen dem
weiblichen Körper physiologisch näher und sind geeignet, dem Schiffsrumpf den Symbolwert
des Mutterschosses zu verleihen; das Schlüsselzeugnis dazu ist die Erzählung vom
'Gazellenwunder' aus der Zeit Mentuhoteps IV. Nebtauire, wo eine auf dem Sarkophag des
Königs gebärende Gazelle als Metapher für die ewige Neugeburt des Königs aus dem Tod
gebraucht wird.
43
Wenn wir die einzelnen Ausformungen der Szene der Göttin im Boot mit knappen
Schlagwörtern charakterisieren wollten, so könnten wir bei der 'Kuh im Boot' von der Mutter
in Chemmis reden, und beim 'nackten Mädchen im Entenboot' von der Verkörperung des
erotischen Reizes der Göttin. Bei der 'Königin im Boot' geht es um die ganz individuelle Art
der Identifikation der Königin mit der Göttin. Bei denjenigen Ausformungen, die als rituelle
Ausfahrten zu betrachten sind, möchten wir im Fall der Mut von Ischeru von der
erfrischenden Fahrt nach der Hitze des Kampfes sprechen, und im Fall der Göttinnen auf dem
Westufer von Theben vom Erneuerungsritual auf dem T-förmigen Nun-Teich. Die 'nackte
Göttin im Entenboot' ist kurz und bündig die Verführerin, gefolgt von dem - schlecht belegten
- 'Fest der Boote auf dem Sumpfgewässer', in dessen Zentrum das Liebesboot steht. Beim
'Boot mit dem Oryxkopf' ist die Quellenlage am schlechtesten und die Deutung am
schwierigsten. Ich halte es nicht für statthaft, die Quellen zur Mut von Ischeru auf Bastet von
Bubastis zu übertragen, weil sich die heute bekannten Darstellungen zu stark unterscheiden.
Immerhin kann als besonderes Charakteristikum angeführt werden, dass Bastet in ihrem
fruchtbaren Wirken von Horus von Buto assistiert wird, was im Rahmen eines Konzepts, das
die Göttin sonst immer allein auftreten lässt, ein bemerkenswerter Zug ist. So können wird
denn von der Gottesmutter mit dem Sohn/Partner reden.
Die 'Göttin im Boot' ist eine seltene Variante der Vorstellung von der 'Liebesgöttin', d.h.
derjenigen Göttinnen, die sich in den Epitheta der 'Gottesmutter' und des 'Sonnenauges'
zusammenfinden, als derjenigen, die neues Leben aus ihrem Leib hervorbringt.
Bezeichnenderweise ist die Symbolik des Mutterschosses in das Boot verlagert. Es wird allein
der schöpferische Aspekt der Göttin angesprochen und der aggressiv-kämpferische
ausgeschlossen. Die bemerkenswerteste Eigenheit des Konzepts ist die Tatsache, dass seine
Erfindung einer Frau, der Königin Hatschepsut, zugeschrieben werden kann. Sie schuf eine
poetische Metapher für die weibliche Kreativität, die von gebildeten Frauen und Männern der
Oberschicht geschätzt wurde und ihren Platz vorwiegend an schönen Weihgaben und Geräten
des privaten Bereichs fand.
Bildlegenden:
Abb. 1
Stele für Bastet von Bubastis. Museum der Kulturen Basel III 6199. Foto: Peter Horner
Abb. 2
Menit-Gegengewicht für Bastet, Vorderseite. Kestner-Museum Hannover1950.131
Abb. 3
Menit-Gegengewicht für Bastet, Rückseite. Kestner-Museum Hannover 1950.131
Abb. 4
Stele für Tefnut (?). Kestner-Museum Hannover 1935.200.442
Abb. 5
Fragment eines Bettmodells aus Ton. Kestner-Museum Hannover 1935.200.331
Abb. 6
Terrakottafigur der Aphrodite im Boot. Museum der Kulturen Basel III 27419. Foto: Peter
Horner
Abb. 7
Terrakottafigur einer Tamburinspielerin. Museum der Kulturen Basel III 5401. Foto: Martin
Schulte-Kellinghaus
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Abbildungen
Abb. 1
Stele für Bastet von Bubastis. Museum der Kulturen Basel III 6199. Foto: Peter Horner
Abb. 2
Menit-Gegengewicht für Bastet, Vorderseite. Kestner-Museum Hannover1950.131
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Abb. 3 Menit-Gegengewicht für Bastet, Rückseite. Kestner-Museum Hannover 1950.131
Abb. 4
Stele für Tefnut (?). Kestner-Museum Hannover 1935.200.442
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Abb. 5
Fragment eines Bettmodells aus Ton. Kestner-Museum Hannover 1935.200.331
Abb. 6
Terrakottafigur der Aphrodite im Boot. Museum der Kulturen Basel III 27419. Foto: Peter
Horner
Abb. 7
Terrakottafigur einer Tamburinspielerin. Museum der Kulturen Basel III 5401. Foto: Martin
Schulte-Kellinghaus
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