Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107477 – ISBN E-Lib: 9783737007474
Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Ottoman Studies / Osmanistische Studien
Band 4
Herausgegeben von
Stephan Conermann, Sevgi Ağcagül und Gül Şen
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Elife BiÅer-Deveci
Die osmanisch-türkische
Frauenbewegung im
Kontext internationaler
Frauenorganisationen
Eine Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte
von 1895 bis 1935
V& R unipress
Bonn University Press
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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11
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18
21
21
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36
1. Historischer Kontext: Beziehungen des Osmanischen Reiches und der
Türkei mit westlichen Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1. Die Epoche der Tanzimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2. Die Regierungszeit von Abdulhamid II. . . . . . . . . . . . . . . .
1.3. Die Epoche der Zweiten Konstitution . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4. Die Regierungszeit von Mustafa Kemal Atatürk . . . . . . . . . .
1.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
40
45
50
56
60
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Einführung in das Thema . . . . . . . . . . . . .
2. Fragestellungen und Thesen . . . . . . . . . . . .
3. Theoretische und methodische Einbettung . . . .
4. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1. Die osmanisch-türkische Frauenbewegung
4.2. Internationale Frauenorganisationen . . . .
5. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Hanımlara Mahsus Gazete (1895–1908)
2.1. Briefe von europäischen Frauen . .
2.2. Frauenbewegungen im Westen . .
2.3. Frauenbildung . . . . . . . . . . .
2.4. Frauen im Westen . . . . . . . . .
2.5. Mode . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
6
Inhalt
3. Kadınlar Dünyası (1913–1921) . . . . . . . . . . . .
3.1. Beziehungen zu Europäerinnen und Europäern
3.2. Die Frauenbewegungen im Westen . . . . . . .
3.3. Die Frauenemanzipation . . . . . . . . . . . . .
3.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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119
126
133
4. Türk Kadın Yolu (1925–1927) . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1. Die Beziehungen zur International Alliance of Women
4.2. Berichterstattung über westliche Länder . . . . . . . .
4.3. Die politischen Mitspracherechte der Frauen . . . . . .
4.4. Soziale Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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143
151
153
160
164
5. Westliche internationale Frauenorganisationen . . . . . . . . . . . .
5.1. The International Alliance of Women . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.1. Der Beginn der Beziehungen zur osmanisch-türkischen
Frauenbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.2. Türk Kadınlar Birliği . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.3. Der 12. Kongress der International Alliance of Women in
Istanbul 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2. The International Council of Women . . . . . . . . . . . . . . .
5.3. The Women’s International League for Peace and Freedom . . .
5.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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170
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170
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202
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219
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224
227
7. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231
231
243
Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
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6. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1. Beziehungen zwischen den osmanisch-türkischen Frauen und
den internationalen Frauenorganisationen . . . . . . . . . . . .
6.2. Westliche feministische Konzepte in den osmanisch-türkischen
Frauenzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3. Feministischer Orientalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis
CHF
Gazete
IAW
Cumhuriyet Halk Fırkası (Republikanische Volkspartei)
Hanımlara Mahsus Gazete (Zeitung für Frauen)
The International Woman Suffrage Alliance / The International Alliance
of Women for Suffrage and Equal Citizenship
ICW
The International Council of Women
ITC
İttihat ve Terakki Cemiyeti (Komitee für Einheit und Fortschritt)
NAWSA
National Woman Suffrage Association
Nisvan Cemiyeti Osmanlı Müdafaa-i Hukuk-i Nisvan Cemiyeti (Osmanischer Verein für
die Verteidigung der Frauen Rechte)
TKB
Türk Kadınlar Birliği (Türkischer Frauenbund)
TSC
Temporary Slavery Commission
WILPF
The Women’s International League for Peace and Freedom
WASI
Women and Social Movements, International
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Danksagung
Die vorliegende Dissertation wurde vom März 2011 bis März 2014 im Rahmen
von Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds »Ein Human Rights
Turn in der internationalen Geschlechterpolitik der Zwischenkriegszeit? Menschenrechte, Frauenbewegung und der Völkerbund«, geleitet von PD. Dr. Regula
Ludi und Prof. Dr. Brigitte Studer, erstellt. Der Schweizerische Nationalfonds
finanzierte von März 2014 bis August 2014 mit einem Docmobility-Stipendium
meinen Forschungsaufenthalt an der Central European University in Budapest.
Die Theodor Schenkstiftung gewährte von November 2014 bis Dezember 2014
eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Großen Dank schulde ich diesen
Stiftungen für die Finanzierung meiner Forschungsarbeit. Ein besonderer Dank
gebührt meiner Doktormutter Regula Ludi für ihre wertvollen Ratschläge und
ihre Unterstützung während meiner Forschungsarbeit und darüber hinaus.
Auch dem Zweitgutachter meiner Dissertation, Prof. Dr. Maurus Reinkowski,
schulde ich großen Dank für seine akademischen Ratschläge und Unterstützungen. Ich danke Prof. Dr. Francisca de Haan, die während meines Aufenthalts
in Budapest mein Forschungsprojekt mit ihren Anregungen und ihrer konstruktiver Kritik unterstützte. Inhalte meines Forschungsprojektes diskutierte
ich mit Prof. Dr. Brigitte Schnegg, Prof. Dr. Susan Zimmermann, Prof. Dr. Brigitte Studer, Prof. Dr. Jean H. Quatert und Prof. Dr. Hans-Lukas Kieser, mit
Leiterinnen und Kollegiatinnen der Graduate School for Gender Studies der
Universität Bern, Leiterinnen und Kollegiatinnen am Department of Gender
Studies der Central European University in Budapest und Leiter und Kollegiatinnen und Kollegiaten der Center of Global Studies in Bern. Deren Ideen, Ratschläge und konstruktive Kritik brachten die Arbeit an meiner Dissertation
qualitativ voran. Ein großer Dank geht an Edith Siegenthaler für die gegenseitige
Unterstützung in allen Belangen während der Forschungsarbeit und der Erstellung der Dissertation. Mehreren Personen danke ich für die kritische Lektüre
der Dissertation auf grammatikalische, stilistische und inhaltliche Unstimmigkeiten: Ismael Albertin, Anina Andrea Eigenmann, Verona Garesch, Aviva
Gutmann, Kata Moser, Tanja Rietmann, die jeweils die Lektüre bestimmter
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10
Danksagung
Kapitel übernahmen. Zudem danke ich der Familie Dağlı in Genf, Eva Ludi und
ihrer Freundin Nicki in London für ihre Gastfreundschaft während meiner
Forschungsaufenthalte in Genf beziehungsweise London. Auch geht mein Dank
an meine Familie, die in den letzten Monaten vor der Abgabe der Dissertation die
Kinderbetreuung übernahm und mich in verschiedenen Belangen unterstützte.
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Einleitung
1.
Einführung in das Thema
»Despite their sympathy for and occasional identification with their Middle Eastern
sisters, however, Western feminists never regarded them as equals. The ›East‹ remained, in their view, less modern, less rational, and less civilized than the ›West‹.
Accordingly, the European and North American leaders of the IAW [International
Alliance of Women for Suffrage and Equal Citizenship] envisioned only one model for
feminist movements, and they saw themselves as its natural vanguard, bringing aid and
enlightenment to their more ›oppressed‹ sisters. Certain of their own comparative
freedom, they neglected the opportunity to re-evaluate their own oppression that actual
exposure to Islamic societies had afforded an earlier generation of female travellers to
the Middle East.«1
Diese Feststellung macht Charlotte Weber im Jahr 2003 in ihrer Analyse der Jus
Suffragii, des Publikationsorgans der International Alliance of Women for Suffrage and Equal Citizenship (IAW) in den 1920er und 1930er Jahren. Sie untersucht die Darstellung muslimischer Frauen in Jus Suffragii und bezeichnet
davon ausgehend die Beziehung der IAW mit Frauen aus muslimischen Ländern
als von feministisch-orientalisti-schen Vorstellungen geprägt. Gemäß Weber
haben führende Mitglieder der IAW in ihren Begegnungen mit Frauen aus
muslimischen Ländern diese Vorstellungen nicht hinterfragt. Die gesamte Forschungsliteratur zur internationalen Frauenbewegung der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts interpretiert die Handlungs- und Deutungsmuster in den Beziehungen von westlichen Feministinnen zu Frauen im östlichen Ländern als
feministischen Orientalismus.2 Gemäß dieser Vorstellung gelten West- und
1 Weber, Charlotte. Making Common Cause? Western and Middle Eastern Feminists in the
International Women’s Movement, 1911–1948. The Ohio State University 2003, S. 47.
2 Für den feministischen Orientalismus vgl. Amos, Valeri; Pramar, Pratibha. Challenging Imperial Feminism. In: Feminist Review 17 (1984), S. 3–19; Burton, Antoinette. Burdens of
History. British Feminists, Indian Women, and Imperial Culture; 1865–1915. Chapel Hill 2007
(5. Auflage); Ramusack, Barbara. Cultural Missionaries, Maternal Imperialists, Feminist Allies. British Women Activists in India, 1865–1945. In: Margaret Strobel/Nupur Chaudhuri
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
12
Einleitung
Nordeuropa als das Zentrum des feministischen Weltsystems, während Lateinamerika, der Nahe Osten, Asien und Afrika die Peripherie sind. Antoinette
Burton sieht im feministischen Orientalismus britischer Feministinnen einen
doppelten Zweck, nämlich eine Rechtfertigung der imperialen Politik Großbritanniens in den Kolonien und die Unterstützung der Anliegen britischer
Frauen für ihre Rechte. Dies bedeutet gemäß Burton, dass britische Frauen die
»Bürde« auf sich nahmen, Frauen in der ganzen Welt zu schützen und gleichzeitig »westlichen« Männern vorzuwerfen, »östlich« zu sein, wenn sie weiterhin
die zivilrechtliche und die politische Gleichberechtigung der Frauen ablehnten.3
Leila Rupp versucht in einem ihrer Aufsätze den Befund von feministischorientalistischen Mustern zu relativieren und fragt, ob westliche internationale
Frauenorganisationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts notwendigerweise imperialistisch waren. Sie hebt hervor, dass die Expansion dieser internationalen Frauenorganisationen in den 1920er Jahren nach Asien, in den Nahen
Osten, nach Lateinamerika und Afrika durch die Aufnahme von lokalen Frauengruppen als nationalen Sektionen die Möglichkeit bot, feministisch-orientalistische Vorstellungen zu hinterfragen.4 Sie weist auf die konkreten Einflussnahmen der Frauen aus dem »Orient« auf die Statuten und die Arbeitsweise der
Frauenorganisationen hin und schließt daraus, dass Frauen im »Orient« das
Potenzial gehabt hätten, traditionelle Annahmen im Westen zu durchbrechen,
was aber nicht geschehen sei.5
Die vorhandene Forschungsliteratur zur internationalen Frauenbewegung
beschäftigt sich mit dieser Beziehungsgeschichte vor allem aus dem Blickwinkel
einzelner internationaler Frauenorganisationen. Dabei analysiert die Literatur
ungleiche Machtverhältnisse innerhalb dieser Organisationen und hinterfragt
ihr Postulat einer universal sisterhood. Diese ungleichen Machtverhältnisse
finden ihren Ausdruck in der Zusammensetzung von Boards, die von Frauen
euro-amerikanischen Ursprungs dominiert sind, und in der Bevorzugung euroamerikanischer Städte als Austragungsorte internationaler Frauenkongresse.
In der vorliegenden Dissertation untersuche ich Beziehungen und Austauschprozesse zwischen westlichen internationaler Frauenorganisationen und
der osmanisch-türkischen Frauenbewegung im späten 19. und im frühen
(Hrsg.). Western Women and Imperialism. Complicity and Resistance. Bloomington 1992,
S. 309–321; Badran, Margot. Feminism in Islam. Secular and Religious Convergences. Oxford
2009; Lewis, Reina. Gendering Orientalism. Race, Feminity and Representation. London 2003.
Für die IAW vgl. auch Weber, Charlotte. Unveiling Scheherazade: Feminist Orientalism in the
International Alliance of Women, 1911–1950. In: Feminist Studies 27 (2001) 1, S. 125–157.
3 Burton, Antoinette. The Feminist Quest for Identity : British Imperial Suffragism and »Global
Sisterhood« 1900–1915. In: Journal of Women’s History 3 (1991) 2, S. 46–81.
4 Rupp, Leila J. Challenging Imperialism in International Women’s Organizations, 1888–1945.
In: NWSA Journal 8 (1996) 1, S. 8–27, S. 12.
5 Ebd., S. 17.
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Einführung in das Thema
13
20. Jahrhundert. Anders als die oben beschriebene Forschungsliteratur konzentriere ich mich auf die Perspektive osmanisch-türkischer Frauengruppen auf
die westlichen Frauenorganisationen. Dabei gehe ich davon aus, dass in dieser
Beziehungsgeschichte Ambivalenzen zu sehen sind, die über feministisch-orientalistische Muster hinausgehen. Eine vertiefte Untersuchung westlicher
Frauenorganisationen aus dem Blickwinkel osmanisch-türkischer Frauengruppen hilft, unberücksichtigte Aspekte ihrer Beziehungen herauszuarbeiten
und zu erklären, inwiefern internationale Frauenorganisationen bei ihrer Expansion in den Nahen Osten erfolgreich waren.
Ich untersuche als Fallstudien drei osmanisch-türkische Frauenzeitschriften,
die in verschiedenen Zeiträumen herausgegeben wurden, und drei westliche
internationale Frauenorganisationen. Bei den osmanisch-türkischen Frauenzeitschriften handelt es sich um Hanımlara Mahsus Gazete (Zeitung für Frauen,
1895–1908), Kadınlar Dünyası (Welt der Frauen, 1913–1921) und Türk Kadın
Yolu6 (Der Weg der Türkischen Frau, 1925–1927). Diese Zeitschriften erschienen
in Istanbul. Hanımlara Mahsus Gazete (Zeitung für Frauen – Gazete) wurde im
politischen Kontext der Herrschaft von Sultan Abdulhamid II. veröffentlicht.
Dieser Kontext war bestimmt von einer strengen Pressezensur und der Verfolgung von oppositionellen Gruppen im Osmanischen Reich.7 Die Gazete gilt als
die erste osmanischsprachige feministische Frauenzeitschrift, weil sie den Zugang der Frauen zu Bildung und die Stellung der Frauen in der Familie und in der
Gesellschaft kritisierte.8 Kadınlar Dünyası erschien in der Epoche der Zweiten
Konstitution und war das Publikationsorgan von Osmanlı Müdafaa-i Hukuk-i
Nisvan Cemiyeti (Osmanischer Verein für die Verteidigung der Frauenrechte –
Nisvan Cemiyeti). Sie gilt als eine feministische Zeitschrift, welche die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik
forderte.9 Türk Kadın Yolu gehört in die Gründungszeit der Republik Türkei und
wurde vom Türk Kadınlar Birliği (Türkischer Frauenbund – TKB) zwischen
1925 und 1927 herausgegeben. Der TKB war ein Frauenverein, der sich an den
republikanischen Prinzipien orientierte und im Jahre 1926 eine nationale Sektion der IAW wurde.
Dokumente der jeweiligen Frauengruppen, die diese osmanisch-türkischen
6 Die ersten drei Nummern der Zeitschrift hießen Kadın Yolu (Der Weg der Frau). Ab der
vierten Nummer wurde die Zeitschrift Türk Kadın Yolu genannt. In meiner Dissertation
verwende ich die letztere Bezeichnung.
7 Kreiser, Klaus. Das letzte osmanische Jahrhundert. In: Klaus Kreiser/Christoph K. Neumann
(Hrsg.). Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart 2003, S. 315–385, S. 347.
8 Zihnioğlu, Yaprak. Kadınsız İnkılap. Nezihe Muhiddin, Kadınlar Halk Fırkası, Kadın Birliği
(Die Revolution ohne Frau. Nezihe Muhiddin, die Republikanische Frauenpartei, der Frauenbund). İstanbul 2003, S. 53.
9 Çakır, Serpil. Osmanlı Kadın Hareketi (Die osmanische Frauenbewegung). İstanbul 2010,
S. 408.
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14
Einleitung
Frauenzeitschriften herausgaben, sind kaum vorhanden. Nur für den TKB gibt
es einzelne archivierte Dokumente. Die Frauengruppen veröffentlichten ihre
Tätigkeiten in ihren Publikationsorganen. Deshalb stellen diese Zeitschriften
auch einen Zugang zu ihrer Geschichte dar und sind Untersuchungsquellen
meiner Dissertation.
Die westlichen internationalen Frauenorganisationen, die ich untersuche,
sind der International Council of Women (ICW), die International Alliance of
Women for Suffrage and Equal Citizenship (IAW)10 und die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF). Der ICW wurde im Jahre 1888
gegründet.11 Er war die Dachorganisation von euro-amerikanischen Frauengruppen, die sich in den Bereichen Philanthropie, Religion, moralische Reformen, Erziehung, Kunst, Literatur und Wissenschaft engagierten. Das Stimmrecht von Frauen war ein weiteres Thema. Die IAWentstand im Jahre 1904 durch
Frauengruppen, die sich vom ICW trennten.12 Die Trennung wurde durch Unstimmigkeiten innerhalb des ICW über die Priorität des Frauenstimmrechts
ausgelöst. Die IAW legte stärkeres Gewicht auf die politischen, moralischen und
wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechte der Frauen. Als der Erste Weltkrieg
ausbrach, entstanden innerhalb der IAW Kontroversen über die Frage, ob auf
einem Frauenkongress den Themen des Krieges und des Friedens Vorrang vor
dem politischen Mitspracherecht der Frauen gegeben werden sollte.13 Aus dem
Frauenkongress der IAW, der im Jahre 1915 in Den Haag stattfand, ging The
International Committee of Women for Permanent Peace hervor, das im Jahre
1919 in WILPF umbenannt wurde. Die WILPF trat für die soziale Gerechtigkeit,
die friedliche Lösung von globalen Konflikten und die Gleichstellung von Mann
und Frau ein.
Der ICW versuchte eine Bandbreite von Frauenvereinen unter sich zu vereinen, während sich die IAW bis zum Ersten Weltkrieg in ihren Aktivitäten auf die
zivile und politische Gleichberechtigung von Mann und Frau konzentrierte.14 Im
Jahre 1904 reagierte der ICW auf die Trennung einiger seiner nationaler Sektionen und führte ein Standing Committee on Suffrage ein. Im Jahre 1913 erweiterte die IAW ihre Agenda auf Themen wie Frauenhandel, Frieden, Sklaverei
10 Bis 1926 hieß diese Organisation International Woman Suffrage Alliance. Im Jahre 1926
wurde sie umbenannt, während der Name der Organisation im Französischen und Deutschen gleichblieb, nämlich in Alliance International des Femmes beziehungsweise Weltbund
für das Frauenstimmrecht. Rupp, Leila J. Worlds of Women. The Making of an International
Women’s Movement. Princeton 1997, S. 23.
11 Rupp, Leila J. Constructing Internationalism: The Case of Transnational Women’s Organizations. In: Karen Offen (Hrsg.). Globalizing Feminisms, 1789–1945. Abingdon 2010,
S. 139–152, S. 140.
12 Rupp, Worlds of Women 1997, S. 22.
13 Rupp, Constructing Internationalism 2010, S. 140.
14 Rupp, Worlds of Women 1997, S. 19.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Fragestellungen und Thesen
15
und Nationalität der verheirateten Frauen.15 In der Folge überlappten sich die
Anliegen und die Mitgliedschaft von IAW und ICW.16 Der ICW und die IAW
versuchten, eine Nicht-Einmischungsstrategie in die nationalen Angelegenheiten ihrer Sektionen zu verfolgen. Die WILPF blieb hingegen in ihren Anliegen
pazifistisch orientiert und nahm in ihre Resolutionen Themen, die damals
kontrovers waren, wie Minderheiten und Imperialismus, auf.17 In der Zwischenkriegszeit gingen diese Organisationen mehrere Koalitionen ein, um im
Umfeld des Völkerbunds für ihre Anliegen zu agieren.18
Diese Frauenorganisationen waren von der Annahme einer auf universalen
Erfahrungen basierenden Geschlechtersolidarität (universal sisterhood) überzeugt.19 Auf Basis dieser Überzeugung initiierten sie Vereinsgründungen in
mehreren Ländern. Diese Vereinsgründungen waren als nationale Sektionen
organisiert und hatten die gleichen Ziele wie ihre Dachverbände.20 Nach dem
Ersten Weltkrieg waren auch Frauengruppen außerhalb Europas und der USA
unter ihrem Dach zusammengeschlossen.21
Im Folgenden stelle ich meine Fragestellungen und danach die theoretische
und methodische Einbettung meiner Untersuchung dar. Anschließend folgt der
Forschungsstand über die osmanisch-türkische Frauenbewegung und die internationalen Frauenorganisationen, die im Fokus meiner Untersuchung stehen.
Die Quellenlage, die damit verbundenen Überlegungen und einen Überblick
über den Aufbau der vorliegenden Arbeit präsentiere ich in den letzten Teilkapiteln dieser Einleitung.
2.
Fragestellungen und Thesen
Die übergeordnete Fragestellung meiner Dissertation lautet: Welche Austauschprozesse und Interaktionen gab es zwischen Frauengruppen im Raum der
heutigen Türkei und internationalen Frauenorganisationen im Zeitraum von
1895 bis 1935? Anhand der eingangs erwähnten osmanisch-türkischen Frauenzeitschriften möchte ich untersuchen, wie osmanisch-türkische Autorinnen
und Autoren die Frauenbewegungen in Europa und den USA wahrnahmen,
15
16
17
18
19
20
Ebd., S. 23.
Ebd., S. 25.
Ebd., S. 30.
Ebd., S. 40ff.
Ebd., S. 82.
Miller, Carol. »Geneva – the Key to Equality«. Inter-War Feminists and the League of Nations.
In: Women’s History Review 3 (1994) 2, S. 219–245, S. 219f.
21 Berkovitch, Nitza. The Emergence and Transformation of the International Women’s Movement. In: John Boli (Hrsg.). Constructing World Culture. International Nongovernmental
Organizations Since 1875. Stanford, Calif. 1999, S. 109f.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
16
Einleitung
inwiefern sie sich auf deren Konzepte und Forderungen bezogen und wie sie
diese gegenüber ihrer Öffentlichkeit präsentierten. Die Autorinnen und Autoren
der Zeitschrift Gazete waren nicht um einen bestimmten Frauenverein – wie im
Fall von Kadınlar Dünyası und Türk Kadın Yolu – herum organisiert. Kadınlar
Dünyası war das Publikationsorgan von Nisvan Cemiyeti. Es gab ein französisches Supplement von Kadınlar Dünyası, in welchem europäische Autorinnen
mitschrieben. Der TKB, der von 1925 bis 1927 die Zeitschrift Türk Kadın Yolu
herausgab, war mit der IAW verbunden. Inwiefern sich Beziehungen der Feministinnen und Feministen in Istanbul mit Frauenvereinen in Europa und den
USA anhand dieser Frauenzeitschriften rekonstruieren lassen, ist eine weitere
Frage, die ich in dieser Dissertation untersuche. Diese Beziehungsgeschichte
erforsche ich vor dem Hintergrund des jeweiligen sozialen und politischen
Kontextes der osmanisch-türkischen Frauengruppen.
Die hier untersuchten osmanisch-türkischen Frauenzeitschriften erschienen
in einer Zeit der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche im Gebiet der
heutigen Türkei. Diese Umbrüche bezogen sich auf politische Revolutionen,
Prozesse der Nationalstaatsbildung, den Ersten Weltkrieg und die Gründung der
Republik Türkei. Die Gazete erschien von 1895 bis 1908 im politischen Kontext
der Regierungszeit von Sultan Abdulhamid II. Im Jahre 1908 endete mit der
Jungtürkischen Revolution die Alleinherrschaft von Abdulhamid II. Die Epoche
der Zweiten Konstitution mit beschränkten Herrschaftsrechten des Sultans
dauerte bis 1922, als die neue Türkische Nationalversammlung die Abschaffung
des Sultanats beschloss.22 Die Zeitschrift Kadınlar Dünyası gehört zu den
zahlreichen Frauenzeitschriften, die in dieser Epoche gegründet wurden. Sie war
die einzige Zeitschrift, die mehrere Jahre lang erschien.
Mit der Gründung der neuen Republik Türkei im Jahre 1923 führte die türkische Regierung unter Mustafa Kemal (Atatürk) Reformen durch, um das Land
nach europäischem Vorbild zu modernisieren.23 Türk Kadın Yolu erschien von
1925 bis 1927 und spiegelte Vorstellungen der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen über die neue Republik aus feministischer Perspektive wider. Mein Untersuchungszeitraum endet im Jahr 1935, als der TKB unter dem Druck der Regierung aufgelöst wurde.24 Durch die Auflösung wurden internationale Verbindungen der türkischen Frauengruppe unterbunden.
Bezüglich der internationalen Frauenorganisationen stelle ich die Frage, ob
sie in Beziehung mit Frauen und Frauengruppen im Raum der heutigen Türkei
22 Kreiser, Das letzte osmanische Jahrhundert 2003, S. 319.
23 Kreiser, Klaus. Die neue Türkei (1920–2002). In: Klaus Kreiser/Christoph K. Neumann
(Hrsg.). Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart 2003, S. 383–475, S. 409.
24 Toprak, Zafer. 1935 İstanbul Uluslararası Feminizm Kongresi ve Barış (The 1935 International Istanbul Feminist Congress and Peace). In: Toplum – Düşün (Society and Mentality)
(1986) 24, S. 24–29, S. 29.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Fragestellungen und Thesen
17
standen und inwiefern sie auf deren Erfahrungen Bezug nahmen. Dieser Frage
gehe ich anhand von Berichten der Frauenkongresse, von Protokollen und
Korrespondenzen der jeweiligen Frauenorganisationen nach.
Frauen aus dem Raum der heutigen Türkei nahmen an den Frauenkongressen
des ICW, der IAW und der WILPF teil und erstatteten Bericht über die Situation
und Aktivitäten der Frauen in ihrem Land. Ich untersuche diese Berichterstattungen inhaltlich anhand der Fragen, ob sie Vorstellungen in den jeweiligen
Frauenzeitschriften, die ich in dieser Dissertation untersuche, widerspiegeln
und inwiefern diese Berichte die Wahrnehmung internationaler Frauenorganisationen über Frauen im Raum der Türkei beeinflussten.
In meiner Untersuchung gehe ich davon aus, dass internationale Beziehungen
der osmanisch-türkischen Frauenbewegung für die Entwicklung der politischen
und sozialen Rechte der Frauen in der Türkei bestimmend waren. Diese Beziehungen existierten bereits im 19. Jahrhundert und erreichten ihren Höhepunkt
im Jahre 1935, als der TKB Gastgeber des 12. Frauenkongresses der IAW war. Die
Garantie der politischen Mitbestimmungsrechte der Frauen in der türkischen
Verfassung im Jahre 1934 ist teilweise auf die Beziehung des TKB zur IAW und
auf die Bedeutung internationaler feministischer Kongresse für das Prestige
einzelner Nationalstaaten zurückzuführen. Auf internationalen feministischen
Kongressen wurde die Stellung der Frau in verschiedenen – vor allem westlichen – Ländern debattiert und kritisiert. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft galt als Indikator für die Modernität und Zivilisiertheit eines Landes, die
zugleich innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft, in welcher westliche Großmächte dominierten, als Legitimationsgrundlage für die nationale
Souveränität dienten. Deshalb bedeutete die Teilnahme an den internationalen
feministischen Kongressen, Teil der westlichen Zivilisation und der Modernität
zu sein. Die türkische Regierung stand folglich unter Druck, feministische Reformen in die Verfassung aufzunehmen und Frauen gleichberechtigten Zugang
zu Politik, Bildung und Wirtschaft zu ermöglichen.
Ich gehe weiter davon aus, dass Beziehungen mit den osmanisch-türkischen
Frauen für den ICW, die IAW und die WILPF relevant waren, um sich als internationale Frauenorganisationen, die alle Frauen in der Welt vertraten, zu
präsentieren. Sie konnten ihre Forderungen der westlichen Öffentlichkeit gegenüber als universale Prinzipien legitimieren und somit von ihren internationalen Kongressen aus auf verschiedene Länder Druck ausüben, politische,
wirtschaftliche und soziale Mitbestimmungsrechte der Frauen zu garantieren.
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18
3.
Einleitung
Theoretische und methodische Einbettung
In meiner Untersuchung verwende ich Ansätze der entangled history, der Neuen
Politikgeschichte, der Kulturgeschichte und der Diskurstheorie.
Osmanisch-türkische Frauenzeitschriften liefern Erkenntnisse über Beziehungen von Frauengruppen im Raum der heutigen Türkei im späten 19. und im
frühen 20. Jahrhundert zu europäischen und amerikanischen Frauengruppen.
Die Konzepte und Forderungen der europäischen und amerikanischen Frauengruppen stellten für osmanisch-türkische Frauengruppen wichtige Referenzpunkte dar, um ihre eigenen Anliegen zu artikulieren. Um zu untersuchen,
inwiefern osmanisch-türkische Frauen internationale Frauenorganisationen in
ihrer Wahrnehmung und Arbeitsweise beeinflussten, analysiere ich den Quellenkorpus mit dem theoretischen Ansatz der entangled history. Dieser Ansatz
wurde in den postkolonialen Studien entwickelt, die subalterne Gruppen als
konstitutive Teile der Gesellschaft und des Staates betrachten und sie in den
Fokus der Forschungen rücken.25 Die entangled history, in der Forschungsliteratur auch als Verflechtungsgeschichte beziehungsweise histoire crois8e26 bezeichnet, legt den Fokus auf Verflechtungen von Netzwerken oder Institutionen
über Landesgrenzen hinweg und betrachtet diese aus verschiedenen Blickwinkeln. Anhand dieses Ansatzes möchte ich in der vorliegenden Dissertation der
Frage nachgehen, ob man im Fall der Beziehungen zwischen osmanisch-türkischen Frauengruppen und westlichen internationalen Frauenorganisationen
von einer entangled history sprechen kann.
Die osmanisch-türkischen Autorinnen und Autoren verfügten über Französisch- und Englischkenntnisse, was die Übersetzungen der westlichen Schriften
und Korrespondenzen in ihren Zeitschriften belegen. Diese Autorinnen und
Autoren spielten die wichtigste Vermittlerrolle in den Transferprozessen.
Übersetzte Texte und die Berichterstattung über Frauenbewegungen in Europa
und den USA sowie die privaten Korrespondenzen veranschaulichen paradigmatisch solche Austauschprozesse. Diese Austauschprozesse scheinen gemäß
den Dokumenten internationaler Frauenorganisationen auf den ersten Blick
ungleich zu sein. Die Rekonstruktion einer Beziehungsgeschichte aus dem
Blickwinkel der osmanisch-türkischen Frauengruppen hilft, diese ungleichen
Austauschprozesse zu erklären, und trägt dazu bei, westliche Frauenorganisationen in ihrer Interaktion mit lokalen Frauengruppen zu fassen.27
25 Vgl. hierzu die in den postkolonialen Studien prägend gewirkten Untersuchungen in
Chatterjee, Partha. The Partha Chatterjee Omnibus. New Delhi 2005 (4. Auflage).
26 David-Fox, Michael; Holquist, Peter et al. Entangled Histories in the Age of Extremes. In:
Kritika 10 (2009) 3, S. 415–422, S. 421.
27 Ein Beispiel methodologischer Annäherungen zur entangled history liefert Julie Carlier in
ihrer Arbeit über belgische Frauenorganisationen. Carlier stellt fest, dass die entangled
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
Theoretische und methodische Einbettung
19
Interpersonelle Netzwerke sind gemäß dem Ansatz der entangled history von
besonderer Bedeutung, weil sie subalternen Gruppen ermöglichen, Einfluss auf
Institutionen zu nehmen.28 Subalterne Gruppen sind Gayatri Chakravorty Spivak zufolge Menschen, die von politischer Mitsprache und der Produktion von
Wissen ausgeschlossen sind.29 Spivak kritisiert die akademische Wissensproduktion, im Namen der hegemonialen Macht über subalterne Gruppen zu
sprechen und diese nicht selber sprechen zu lassen. So sei die westliche Wissensproduktion über die »Dritte Welt« stets auch eine Rechtfertigung der kolonialen beziehungsweise imperialen Herrschaft.
Ausgehend von Spivaks Ansatz der Subalternität sind osmanisch-türkische
Frauen als Gruppen zu betrachten, die in ihrem soziopolitischen Kontext sowohl
von politischer Beteiligung als auch von Entscheidungen der westlichen Frauenorganisationen ausgeschlossen waren. Um ihre Einflussmöglichkeiten auf
Institutionen und auf den Nationalstaat rekonstruieren zu können, untersuche
ich deren Netzwerke und Zeitschriften. Diese Netzwerke und Zeitschriften
verstehe ich als Instrumente, die die Frauen einsetzten, um ihren politischen
Handlungsspielraum zu erweitern und auf den Staat Einfluss zu nehmen – und
dies in einem Kontext, in dem sie kaum über Mittel der formalen politischen
Einflussnahme (zum Beispiel über das politische Mitspracherecht) verfügten.
Damit stütze ich meine Untersuchung auch auf die Neue Politikgeschichte. Die
Neue Politikgeschichte begreift das Politische über den Rahmen der traditionellen Institutionen- und Interessenpolitik hinaus und erweitert es auf Felder,
die von sozialen Gruppen bestimmt werden. Das Politische ist in der geschichtswissenschaftlichen Forschung konsequent zu historisieren.30 Frauenzeitschriften spielten insofern eine Rolle, als sie den politischen Handlungsspielraum der Frauen ausdehnten. Sie erweiterten die Öffentlichkeit dahingehend, dass sie den Frauen ermöglichten, für ihre Anliegen aufzutreten und die
Geschlechterordnung zu kritisieren. Feministische Zeitschriften im Besonderen
dienten als Instrumente, um die etablierte Öffentlichkeit herauszufordern und
auf politische Institutionen Einfluss zu nehmen. Beispielsweise wurde Jus Suffragii, das Publikationsorgan der IAW, aufgrund ihrer mehrsprachigen Ausgahistory als eine kritische Geschichtsschreibung die Kolonialgeschichte mitberücksichtigt
und neue Möglichkeiten für die Untersuchung der Frauenbewegungsgeschichte eröffnet.
Carlier, Julie. Forgotten Transnational Connections and National Contexts: An Entangled
History of the Political Transfers that Shaped Belgian Feminism, 1890–1914. In: Women’s
History Review 19 (2010) 4, S. 503–522, S. 503–522.
28 Becker, Felicitas. Netzwerke vs. Gesamtgesellschaft: Ein Gegensatz? Anregungen für Verflechtungsgeschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004) 2, S. 314–324, S. 315.
29 Spivak, Gayatri Chakravorty. Can the Subaltern Speak? in: Bill Ashcroft/Gareth Griffiths/
Helen Tiffin (Hrsg.). The Post-Colonial Studies Reader. London, New York 2006 (2. Auflage).
S. 28–37, S. 28.
30 Vgl. Bourdieu, Pierre; Schultheis, Franz. Politik. Konstanz 2010.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
20
Einleitung
ben international breit rezipiert. Diese Publikation machte die Vernetzung der
Frauenvereine über nationale Grenzen hinweg und die Verbreitung von Ideen
und Konzepten möglich. Lokale Frauenzeitschriften wie Türk Kadın Yolu trugen
ihrerseits zur Verbreitung von westlichen feministischen Konzepten im Raum
der Türkei bei.
Osmanisch-türkische Frauenzeitschriften übersetzten und diskutierten
Schriften und Forderungen von westlichen Feministinnen in einer Form, die an
die Erwartungen und Deutungsmuster der osmanisch-türkischen Öffentlichkeit
anschlussfähig war. Auch ihre Vertreterinnen auf internationalen Kongressen
versuchten, ihrem Publikum entgegenzukommen, indem sie ihre Berichte in
Begriffe und Deutungsmuster des jeweiligen Publikums übersetzten. Dabei
spielten persönliche Intentionen der jeweiligen Repräsentantinnen ebenfalls
eine Rolle. Um diesen Prozess der Übersetzung zu erklären, verwende ich den
Ansatz der kulturellen Übersetzung von Peter Burke. Dieser Ansatz hilft, den
Blick darauf zu lenken, was in den Übertragungen von Ideen in unterschiedliche
Kontexte verändert beziehungsweise für ein spezifisches Publikum »domestiziert« wird. Übersetzung ist ein aktiver Prozess, an dem einzelne Personen oder
Gruppen beteiligt sind, um das Fremde zugänglich zu machen und zu »domestizieren«.31 Diesem Prozess liegt eine doppelte Betrachtungsweise auf das zu
übersetzende Material zugrunde. Aus der Perspektive des Empfängers ist die
Übersetzung eine Form der Anreicherung der eigenen Kultur durch Anpassung
eines Konzeptes an die eigene Sprache. Vom Standpunkt des Senders aus kann
sie eine Form des Bedeutungsverlusts sein und zu Missverständnissen und
Fehldeutungen führen, weil sich in Übersetzungen bestimmte Begriffe nicht
wortwörtlich übersetzen lassen oder der Übersetzung widerstehen. Für Kulturhistorikerinnen und -historiker schlägt Burke vor, gerade diejenigen Elemente zu analysieren, die einer Übersetzung widerstehen und die bei der
Übersetzung von einer Kultur in die andere verloren gehen, um die Prozesse der
Aneignung und Verhandlung nachzuvollziehen.32
Frauenrechtlerinnen im frühen 20. Jahrhundert verstanden sich als eine
Gruppe mit gemeinsamen Erfahrungen und Anliegen aufgrund ihres Geschlechts. Ausgehend von dieser Vorstellung konstruierten sie das universale
Subjekt »Frau«, das in der Begegnung verschiedener Kulturen ständig neuen
Herausforderungen unterlag. Zum einen waren die Begegnungen der osmanisch-türkischen Frauen mit den westlichen Frauenrechtlerinnen von Wissensordnungen und Deutungsmustern geprägt, die die Interaktionen und Beziehungen strukturierten und kulturelle Differenzierungen herstellten. Zum
31 Burke, Peter. Cultures of Translation in Early Modern Europe. In: Peter Burke (Hrsg.). Cultural Translation in Early Modern Europe. Cambridge 2007, S. 7–38, S. 10.
32 Burke, Peter. Cultural Hybridity. Cambridge 2009, S. 60f.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
21
Forschungsstand
anderen standen beide Gruppierungen spezifischen Erfahrungen der Frauen in
jeweiligen kulturellen Kontexten gegenüber, die ihren eigenen Horizont erweiterten und alternative Handlungsformen aufzeigten. Die Beziehungen der
Frauenrechtlerinnen untereinander bestimmten also im Sinne von Joan Wallach
Scott primär das soziale Geschlecht, das jedoch in einem interdependenten
Verhältnis zur Klasse und Ethnie stand. Die historische Geschlechterforschung
betrachtet im Anschluss an Scott Geschlecht einerseits als eine zentrale Differenzkategorie und Achse sozialer Ungleichheit und anderseits als ein Medium,
das auf der symbolischen Ebene Unterschiede und Hierarchien aller Art abbildet
und stabilisiert.33 Als soziale Kategorie steht Geschlechterdifferenz in einem
Interdependenzverhältnis zu anderen Differenzkategorien (Klasse, Nationalität,
Hautfarbe, Religion etc.).34
Um den Quellenkorpus im Hinblick auf Deutungsmuster zu analysieren,
verwende ich als theoretischen Ansatz die Diskurstheorie angelehnt an Michel
Foucault. Dieser Ansatz betrachtet Wissen und soziale Wirklichkeit als vermittelt und räumt der Sprache die zentrale Rolle ein, das Wissen und die Wirklichkeit zu konstruieren.35 Texte aller Art sind als diskursive Handlungen zu
betrachten. Sie beinhalten Weltdeutungen und verfestigen oder verändern diese
durch stetiges Wiederholen.36
4.
Forschungsstand
4.1.
Die osmanisch-türkische Frauenbewegung
Die Frauenbewegung im Raum der Türkei im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wird in der Forschung als die erste Welle der Frauenbewegung in der
Türkei bezeichnet.37 Im Folgenden stelle ich die Forschungsliteratur dar, die
33 Scott, Joan Wallach. Gender : A Useful Category of Historical Analysis. In: American Historical Review 91 (1986), S. 1053–1075.
34 Walgenbach, Katharina. Gender als interdependente Kategorie. In: Katharina Walgenbach
(Hrsg.). Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität,
Diversität und Heterogenität. Opladen 2007, S. 23–64 und Klinger, Cornelia; Knapp GudrunAxeli. Achsen der Ungleichheit – Achsen der Differenz. Verhältnisbestimmungen von Klasse,
Geschlecht, »Rasse« / Ethnizität. In: Transit 29 (2005), S. 72–95.
35 Vgl. Sarasin, Philipp. Diskursanalyse. In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.). Geschichte. Ein
Grundkurs. 3. R Hamburg 2007 (3. Auflage), S. 199–217.
36 Lüders, Christian. Deutungsmusteranalyse. In: Ronald Hitzler (Hrsg.). Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung. Opladen 1997, S. 57–79, S. 60.
37 Çakır, Serpil. Feminism and Feminist History-Writing in Turkey. The Discovery of Ottoman
Feminism. In: Aspasia 1 (2007) 1, S. 61–83, S. 62.
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22
Einleitung
diese Frauenbewegung in die kulturellen und politischen Verwestlichungsprozesse und in den Nationalstaatsbildungsprozess einbettet.
Frauen im Osmanischen Reich begannen Mitte des 19. Jahrhunderts, sich
öffentlich mit ihrer gesellschaftlichen und politischen Stellung auseinanderzusetzen und diese zu hinterfragen.38 Die intellektuelle Auseinandersetzung der
Frauen mit ihrer Stellung wird in der Forschungsliteratur auf die Bildungsreformen während des 19. Jahrhunderts zurückgeführt.39 Bildung der Frauen
wurde während des 19. Jahrhunderts zunehmend von der osmanischen Staatsführung und den Intellektuellen als nötig erachtet, um Lösungen für die wirtschaftliche Rückständigkeit des Reiches gegenüber Europa zu finden.40 Die von
der osmanischen Staatsführung und Intellektuellen als notwendig betrachtete
Bildung sollte den traditionellen Rollen der Ehefrau und Mutter entsprechen.
Deshalb waren die ersten berufsbildenden Schulen für Mädchen, die im Jahre
1869 eröffnet wurden, auf die Ausbildung von Krankenschwestern und Lehrerinnen ausgerichtet.41 Die Forschungsliteratur definiert von diesem Befund
ausgehend die Frauenfrage als ein Resultat der Auseinandersetzung der osmanischen Staatsführung und Bildungsschicht mit der wirtschaftlichen und politischen Überlegenheit Europas. Diese Bildungspolitik brachte intellektuelle
Frauen hervor, die sich rund um Wohltätigkeitsvereine und um Frauenzeitschriften gruppierten und versuchten, auf die öffentlichen Debatten über die
Stellung der Frauen Einfluss zu nehmen.
Die feministische Bewegung, die Zugang der Frauen zu den universitären
Bildungsinstitutionen, die zivilrechtliche Verbesserung der Stellung der Frauen
wie die Aufhebung der Polygamie forderte, situiert die Forschungsliteratur in
der Zweiten Konstitutionellen Epoche, die von der Jungtürkischen Revolution
im Jahr 1908 eingeleitet wurde.42 Von der Revolution inspiriert und aufgrund der
Aufhebung des Verbots von Vereinsgründungen und der Pressezensur traten
Frauen der Ober- und Mittelschicht mit bestimmten Forderungen an die Öf38 Vgl. Çakır, Osmanlı Kadın Hareketi (Die Osmanische Frauenbewegung) 2010 und Demirdirek, Aynur. In Pursuit of the Ottoman Women’s Movement. In: Zehra F. Arat (Hrsg.).
Deconstructing Images of »The Turkish Woman«. New York 1998, S. 65–81.
39 Kaymaz, Kadriye. Gölgedeki Kalem. Emine Semiye (Schreiben im Schatten. Emine Semiye).
Vefa, İstanbul 2009, S. 12f.
40 Küper-Başgöl, Sabine. Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung.
Münster 1992, S. 32.
41 Kaymaz, Gölgedeki Kalem 2009, S. 12f.
42 Talay Keşoğlu, Birsen; Keşoğlu, Mustafa. Türk Kadını 1918/1919 (Yeni Harflerle). İstanbul
2010, S. XVII. Nicole van Os untersucht die Frauenorganisationen in der Epoche der Zweiten
Konstitution: Os, Nicole A. N. M. van. Feminism, Philanthropy, Patriotism. Female Associational Life in the Ottoman Empire. Leiden 2013; Haerkötter-Uzun, Ruth. Öffentliche
Diskussion in der Istanbuler Frauenpresse zu Beginn der Zweiten Konstitutionellen Periode
am Beispiel Mahasin. In: Christoph Herzog/Raoul Motika/Anja Pistor-Hatam (Hrsg.). Presse
und Öffentlichkeit im Nahen Osten. Heidelberg 1995, S. 83–92.
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23
Forschungsstand
fentlichkeit. In dieser Epoche verdichteten sich die Modernisierungsdebatten
der Intellektuellen, in denen die Frauenfrage wiederum eine zentrale Stellung
einnahm.43
Gemäß Aynur Demirdirek verliefen die Forderungen der Frauen im Osmanischen Reich und in der Türkei parallel zu dem Kampf für das Frauenstimmrecht in Europa.44 Sie verfolgten die Frauenbewegungen in der ganzen Welt,
dennoch blieben sie in ihren Forderungen innerhalb des Rahmens, den ihnen
eine islamische Gesellschaft anbot. Demirdirek beobachtet in ihrer Untersuchung, dass Frauen ab der Jahrhundertwende in ihren Argumenten säkular
auftraten und sich tendenziell von Referenznahmen auf den Islam distanzierten.
Laut ihr beschäftigten sich die Frauen mit Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen und definierten ihre Probleme in Begriffen der Weiblichkeit
und Männlichkeit. Im Zuge des Übergangs zur Ära der Republik habe sich die
Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen abgeschwächt.
Neben Modernisierungsprozessen hebt die Forschungsliteratur einen zentralen Einfluss des türkischen Nationalismus auf die Frauenbewegung hervor.45
Die nationalistischen Bewegungen eröffneten neue Handlungsräume. Nationaler Aufstieg wurde direkt in Verbindung mit der Verbesserung des sozialen
Status der Frauen gesetzt. Dabei wurden Frauenrechte nicht als individuelle
Rechte gefordert, sondern als Gegenstand des nationalen Aufstiegs.46 Nach der
Gründung der Republik Türkei wurden bestimmte Frauenrechtsreformen realisiert. Diese Reformen basierten auf der kemalistischen Ideologie, die eine radikalisierte Form der nationalistischen Vorstellungen der jungtürkischen Bewegung war. Von diesen Reformen konnten jedoch nur Frauen aus den gesellschaftlichen Eliten profitieren.47
Die Historikerin Bora Aksu betont, dass die Beziehungen zwischen den nationalistischen Bewegungen und den Frauengruppen viel komplexer waren, als
es auf den ersten Blick erscheint. Sie bezieht sich auf Chatterjee und behauptet,
dass die Angst vor der Moderne und das Bedürfnis, sich vom Westen zu diffe43 Aksu, Bora. Hatırlananlar ve Unutulanlar: İslam Coğrafyasında Modernleşme ve Kadın
Hareketleri (Remembering and Forgetting: Modernization in Islamic Geography and Women’s Movements). In: Bilig 53 (2010), S. 51–66, S. 54.
44 Demirdirek, In Pursuit of the Ottoman Women’s Movement 1998, S. 78ff.
45 Durakbaşa, Ayşe. Cumhuriyet Döneminde Kemalist, Kadın Kimliğinin Oluşumu (The Formation of Kemalist Women’s Identity in the Republican Period). In: Tarih ve Toplum (1988)
51, S. 39–43, S. 39.
46 Ebd., S. 39.
47 Durakbaşa, Ayşe. Kemalism as Identity Politics in Turkey. In: Arat, Deconstructing Images
1998, S. 139–155, S. 152. Berktay, Fatmagül. Osmanlı’dan Cumhuriyet’e Feminizm (Feminism: From the Ottoman Period to the Republic). In: Mehmet Alkan (Hrsg.). Tanzimat ve
Meşrutiyet’in Birikimi: Osmanlıdan Cumhuriyete Düşünsel Miras (The Accumulation of
Tanzimat and Constitutional Periods: Intellectual Heritage from the Ottoman to Republican
Period). Istanbul 2001, S. 348–361, S. 354.
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24
Einleitung
renzieren, sich an der Stellung der Frauen und der Geschlechterbeziehungen
auskristallisierten.48
Die Interpretation von Aksu steht im Widerspruch zu den Studien von
Nilüfer Çağatay und Yasemin Nuhoğlu-Soysal. Diese Historikerinnen interpretieren die Gewährung der Frauenrechte in den ersten Jahrzehnten der Republikgründung als charakteristisch für Staatsgründungen. Çağatay und Nuhoğlu-Soysal betrachten die Frauenrechtsreformen in diesem Prozess als
»ein[en] Teil der Bemühungen dieser Staaten um einen Platz innerhalb der
internationalen Staatengemeinschaft«.49 Deshalb gebe es durchaus Parallelen
zwischen der Frauenpolitik der jungen Staaten und den liberalfeministischen
politischen Vorstellungen in Europa. Darüber hinaus hätten die Kemalisten
versucht, laizistisch-westliche Ideen in ihrer Ideologie aufgehen zu lassen,
indem sie sich auf eine »alttürkische« soziale Ordnung beriefen, von der angenommen wurde, dass sie hinsichtlich der Geschlechterbeziehung an
Gleichberechtigung orientiert war.50
Den Zusammenhang zwischen der Frauenbewegung und dem Nationalismus
in der Türkei problematisiert Ellen Fleischmann aus einer anderen Perspektive:
Frauen, die während des Prozesses der Nationalstaatsgründung den öffentlichen
Raum betraten, waren zugleich Nationalistinnen, die sich im »nationalen Befreiungskampf« engagierten.51 Erst die Orientierung am nationalistischen Diskurs habe laut Fleischmann den Frauen ermöglicht, in das öffentliche Leben
einzutreten. Sie hätten damit kulturelle, soziale und politische Normen hinterfragt und mit der Zeit eine eigene Kritik an der Geschlechterordnung formuliert.
Der Nationalismus habe für Frauen als ein legitimierender Diskurs für ihre
Emanzipation fungiert und ihnen die Integration in die Gesellschaft ermöglicht.
Gleichzeitig seien die Grenzen des kulturell akzeptierten Verhaltens der Frauen
bestätigt und die Frauen gezwungen worden, ihre geschlechtsspezifischen Interessen mit Begriffen und Referenzen zu artikulieren, die ihnen der nationalistische Diskurs anbot, beispielsweise als »Mütter der Nation«. In der Artikulation in nationalistischen Terminologien sieht Fleischmann durch die explizite
oder implizite Akzeptanz der Strategie »nationale Befreiung jetzt, Befreiung der
48 Aksu, Hatırlananlar ve Unutulanlar 2010, S. 54.
49 Çağatay, Nilüfer ; Nuhoğlu-Soysal, Yasemin. Frauenbewegungen im nationalen Einigungsprozess. Die Türkei und andere Länder des Nahen Ostens im Vergleich. In: Ayl. Neusel/Şirin
Tekeli/Meral Akkent (Hrsg.). Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung aus der Türkei.
Berlin 1991, S. 202–213, S. 203f.
50 Ebd., S. 211f. Çağatay-Nuhoğlu sieht die Begründung von Nationalismus mit der vorislamischen Periode auch in Ägypten.
51 Fleischmann, Ellen L. The Other ›Awakening‹: The Emergence of Women’s Movements in the
Modern Middle East, 1900–1940. In: Offen, Globalizing Feminisms 2010, S. 170–192, S. 171.
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Elife Biçer-Deveci: Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen
25
Forschungsstand
Frauen später« eine »Degradierung« der Frauenbewegung zum »Dienst« am
Nationalismus.52
Den Zusammenhang zwischen kulturellen Austauschprozessen und der
Entstehung einer Frauenbewegung im Osmanischen Reich beleuchten Studien,
die sich mit der armenischen Frauenbewegung auseinandersetzen.53 Diese
Studien betonen die Rolle westlicher Missionarinnen und Missionare, insbesondere des American Board of Commissioners for Foreign Mission, die westliche
Norm- und Wertvorstellungen in die armenischen Gemeinschaften importierten. Die Einführung der Frauenbildung ist den missionarischen Tätigkeiten zu
verdanken, was die Stellung der Frauen verbesserte und die Akzeptanz der außerhäuslichen Beschäftigung der Frauen ermöglichte.54 Durch ihre Ausbildung
in missionarischen Bildungsinstitutionen stärkten Armenierinnen ihren zivilgesellschaftlichen Einfluss in ihren Gemeinschaften.55 Houri Berberian verweist
auf diese missionarischen Tätigkeiten, wenn sie argumentiert, dass im Osmanischen Reich eine breite Schicht von Armenierinnen gebildet und stärker als
Musliminnen politisiert war, obwohl die Geschlechterordnungen dieser religiösen Gemeinschaften sich kaum voneinander unterschieden.56
Biographien der führenden Akteurinnen der osmanischen Frauenbewegung
betonen, dass diese Akteurinnen sich intensiv mit der westlichen Kultur auseinandersetzten und eine westliche Bildung genossen. Hervorzuheben sind die
Biographien von Halide Edip Adıvar (1884–1964)57 und Nezihe Muhiddin
(1898–1958).58 Zudem sind im Sammelband Biographical Dictionary of Women’s
Movement Nezihe Muhiddin, Ulviye Mevlan (1893–1964), Suat Derviş (1903–
1972) und Fatma Aliye (1862–1936) kurz vorgestellt. Bei diesen Frauen handelt
sich um Angehörige der gesellschaftlichen Elite und um Akteurinnen, die führende Positionen in der Frauenbewegung innehatten. Halide Edip Adıvar sei an
das American College for Girls gegangen, eine um 1871 in Istanbul von amerikanischen Missionarinnen gegründete Schule mit frauememanzipatorischen
Curricula.59 Ausführlich mit der Biographie von Halide Edip Adıvar hat sich İpek
52 Ebd., S. 171.
53 Berberian, Houri. Armenian Women in the Turn-of-the-Century Iran. Education and Activity. In: Rudolph P. Matthee/Nikki Ragozin Keddie (Hrsg.). Iran and Beyond. Essays in Middle
Eastern History in Honor of Nikki R. Keddie. Costa Mesa, Calif. 2000, S. 70–98.
54 Ebd., S. 141f.
55 KılıÅdağı, Ohannes. The Armenian Community of Constantinople in the Late Ottoman
Empire. In: Richard G. Hovannisian/Simon Payaslian (Hrsg.). Armenian Constantinople.
Costa Mesa, Calif. 2010, S. 229–241, S. 236f.
56 Berberian, Armenian Women 2000.
57 Çalışlar, İpek. Halide Edib. İstanbul 2011 (1. Auflage: 2010).
58 Zihnioğlu, Kadınsız İnkılap 2003.
59 Durakbaşa, Ayşe. Halide Edip Adivar. In: Francisca de Haan/Krasimira Daskalova/Anna
Loutfi (Hrsg.). Biographical Dictionary of Women’s Movements and Feminisms in Central,
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