Lexikon zur zeitgenössischen Kunst
von Com&Com
N° 31
sonst die Eidgenossenschaft nicht zustande käme («La
Suisse n’existe pas»), was für jeden heutigen Schweizer
selbstverständlich eine Katastrophe wäre. Com&Com
spielt mit vielfältigen Schichten von Fiktion und Wirklichkeit: dem Tell-Mythos, Versatzstücken aus Schillers
Drama, dessen populärkulturellen Aneignungen, Hollywood-Blockbustern als den neuen globalen Mythen,
Scifi-Mystery-TV-Serienhits, Verschwörungstheorien und
was das alles für die Schweizer Identität bedeutet. Dass
dabei ein Riesentamtam um einen Film gemacht wird,
den es gar nicht gibt, spiegelt in gewisser Weise die Tendenz nationaler Identitäten, sich auf Helden zu stützen,
die in der Realität auch nie (oder zumindest nicht so wie
in der populären Überlieferung) existiert haben.
«It’s so superficial but it’s true» steht im virtuellen
Schnee der Alpenidylle des Google Earth Art-Videos
geschrieben. Der Film war zu sehen im Zuge der Ausstellung Shifting Identities im Kunsthaus Zürich (2008), in der
es um Identitätsmöglichkeiten und -verschiebungen
im Zeitalter der Globalisierung und Migration ging. Der
Film zeigt zu meditativer Musik die mythenbesetzte
Schweizer Alpenlandschaft als computergenerierte
Oberfläche, die gerade in dem Schriftzug, der ihre Realität behauptet, nur virtuell existiert, als elektronischer
Code, der sich in einer bestimmten Pixelanordnung auf
dem Bildschirm äussert.
Aber sind nicht alle kollektiven Identitäten letztlich
virtuell und auf Symbole und Mythen verwiesen?
Diana Porr
Begriffe > Fiktion, Gemeinschaft, Geschichte, Globalisierung, Held, Identität, Kitsch, Landschaft, Mythologie,
Schweiz, Soziale Plastik, Tradition, Virtualität, Volkskultur
Werke > 025 C-Files: Tell Saga, 031 I love Switzerland,
032 Side By Side, 050 D’Schwiz, 052 Google Earth Art
HELD
Unter den verschiedenen Helden, die die Geisteswissenschaften im Laufe der Zeit produziert haben, sticht jener
heraus, dem wir in Georg Wilhelm Friedrich Hegels Berliner Vorlesungen über die Ästhetik begegnen.
Mag Hegels humanistisches Kunstverständnis, das so
ganz auf den Begriff des Schönen fixiert ist, auf den ersten
Blick auch antiquiert und bieder erscheinen, so kommt
ihm doch das Verdienst zu, der Kunst epistemische Kompetenzen zugestanden zu haben. Die Kunst soll nicht nur
Ausdruck eines Ideals sein, sondern selber helfen dieses
prozesshaft zu entwickeln. Die Wahrheit ist nur, insofern
sie auch scheint, und der schöne Schein zeigt sich im Gegenzug als notwendig wahr. Das privilegierte Motiv dieser
schönen Kunst oder des Kunstschönen, wie Hegel es pragmatisch nennt, ist die Figur des Helden.
Der hegelianische Held zeichnet sich dadurch aus,
dass er im System der Künste nicht nur einen Ort, sondern auch einen Auftrag sein Eigen nennen kann.
Detailliert beschreibt Hegel in seinen Vorlesungen Eigenheiten und Vorraussetzungen für die darzustellende
heroische Figur. Das immer wiederkehrende Motiv ist
dabei der Gegensatz von Individuum und Staat. Heldentum ist nur in einer vorstaatlichen Heroenzeit möglich,
wenn das Absolute noch nicht seine totalitäre Finalform
gefunden hat. «Das ideale Individuum muss in sich beschlossen, das Objektive muss noch das seinige sein und
sich nicht losgelöst von der Individualität der Subjekte
für sich bewegen und vollbringen, weil sonst das Subjekt gegen die für sich schon fertige Welt als das bloss
Untergeordnete zurücktritt.»1
Wenn es Ziel des Helden ist, das Absolute, das er in
sich trägt, viral zu verallgemeinern, heisst das zum
einem, dass er immer schon am eigenen Ende arbeitet,
und zum anderen, dass diese Arbeit in konkrete Aktionen münden muss. «Die ideale Subjektivität trägt als lebendiges Subjekt die Bestimmung in sich, zu handeln,
sich überhaupt zu bewegen und zu betätigen, insofern
sie, was in ihr ist, auszuführen und zu vollbringen hat.
Dazu bedarf sie einer umgebenden Welt als allgemeinen
Bodens für ihre Realisation.»2 Für seine individuelle Lebendigkeit braucht der Held also ein Terrain, das, weil es
ihm nicht fremd sein darf, man wohl getrost als Heimat
bezeichnen kann. «Damit die Äusserlichkeit nun als die
seinige erscheine, ist es notwendig, dass zwischen beiden
eine wesentliche Übereinstimmung vorwalte, die mehr
oder weniger innerlich sein kann und in welche allerdings auch viel Zufälliges hineinspielt, ohne das jedoch
die identische Grundlage fortfallen darf.»3
Eine ähnliche dialektische Einheit wie zwischen Held
und Terrain, pflegt dieser auch zu seinem sozialen Kontext (seien es die Mitbewohner des Olymps oder die CoRitter der Tafelrunde) und zu den Objekten, mit denen er
sich umgibt. Alles Fremde, was als Fremdbestimmtes
seine Autonomie in Frage stellen könnte, sucht er zu
meiden. Helden trinken keinen Kaffee, wie Hegel am Beispiel eines zeitgenössischen Gedichtes klarstellt.4
Das konkrete Handeln des Helden ist bei Hegel eingebettet in eine allgemeine Handlung, die die Entwicklung des Geistes und der Kunst selbst beschreibt. Sowohl
der Kunst als auch dem Helden wird hier zum Verhängnis, dass sie einen konkreten Auftrag haben, mit dessen
Erfüllung sie ihre Daseinsberechtigung verlieren – eine
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bittere Wahrheit, die sich par excellence an den Westernhelden John Waynes beobachten lässt.
Das oft zitierte Ende der Kunst besteht bei Hegel also
darin, dass es in seinem teleologischen Geschichtsmodell zu einem Punkt der Vergeistigung kommen muss,
an dem die Kunst das Zepter des Absoluten an Musik,
Poesie und schliesslich die Philosophie abgibt, weil sie
sich ihres materiellen Fundaments eben nicht entledigen kann. Ähnlich ergeht es dem Helden, dessen Mission es ist, das absolute Ideal, das er in sich trägt, wie
eine frohe Botschaft zu verbreiten. Ist das vollbracht,
übernimmt sein Antipode, der Bürger des neuzeitlichen
Staates, dessen Individualität sich darauf beschränkt,
eine ihm zugewiesene Rolle auszufüllen.
Die Frage, was nach dem Ende der Kunst und des
Kunstschönen (d.h. des Helden) aus dem Künstler wird, beantwortet Hegel allerdings nicht. Überhaupt bleibt der
Künstler bei ihm eine recht blasse Figur, fast eine Leerstelle. Dass das Schöne aus der Kunst entschwunden zu
sein scheint, wird einem jeder sentimentale Bildungsbürger bestätigen können, aber ist mit dem Kunstschönen
auch der Held gestorben? Der Anblick der post-hegelianischen Kunst legt den Verdacht nahe, der Held habe sich lediglich auf die andere Seite der Staffelei geflüchtet. Aus
dem Sujet der Kunst ist also ihr Subjekt geworden. Ebenso
wie der hegelianische Held dem wilden Raum der Heroenzeit eine (und zwar seine) Ordnung auferlegte, formt der
Künstler heute weniger sein Werk, sondern vor allem die
Regeln nach denen es gelesen werden soll. Und was für die
Helden der Heroenzeit der aufkommende Staat war, ist
für den zeitgenössischen Künstler wohl das Museum der
Moderne, jene steingewordene Kunstgeschichte, die dem
Staat, der es nährt, so sehr zu ähneln scheint, wenn dort
«das Allgemeine als solches herrscht in seiner Allgemeinheit, in welcher die Lebendigkeit des Individuellen als aufgehoben oder als nebensächlich erscheint.»5
Birk Weiberg
1) Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik,
3 Bände, Frankfurt am Main 1986, Bd.1, S. 238.
2) Ebd., S. 235.
3) Ästhetik I, S. 330.
4) Ebd., S. 340.
5) Ebd., S. 242.
Begriffe > Ästhetik, Aura, Heimat, Hollywood, Künstler, Kunstgeschichte, Mythologie, Philosophie, Schönheit, Utopie, Wahrheit
Werke > 004 Protecting the earth, 011 Odyssee, 018 Batman, 025 C-Files: Tell Saga, 023 Side By Side, 047 Making
of the heroes
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HOFFNUNG
Heute Abend haben wir einmal mehr bewiesen, dass die
wahre Stärke unserer Nation nicht von der Macht unserer Waffen oder dem Ausmass unseres Wohlstands
kommt, sondern von der andauernden Kraft unserer
Ideale: Demokratie, Freiheit, Chancen und unablässige
Hoffnung.
(…) Diese Wahl hatte viele erstmalige Dinge und viele
Geschichten, die noch über Generationen hinweg erzählt werden. Aber eine ist heute Abend in meinem Kopf
von einer Frau, die ihre Stimme in Atlanta abgegeben
hat. Sie ist wie die Millionen anderen, die in der
Schlange gewartet haben, damit bei dieser Wahl ihre
Stimme gehört wird - mit einer Ausnahme: Ann Nixon
Cooper ist 106 Jahre alt. Sie wurde gerade eine Generation nach der Sklaverei geboren, in einer Zeit, als es
keine Autos auf der Strasse und keine Flugzeuge im
Himmel gab, als jemand wie sie aus zwei Gründen nicht
wählen konnte: Weil sie eine Frau ist und wegen ihrer
Hautfarbe. Und heute Abend denke ich an alles, was sie
das ganze Jahrhundert hinweg in Amerika gesehen hat –
den Kummer und die Hoffnung, den Kampf und den
Fortschritt, die Zeit, in der wir gesagt bekamen, dass wir
nicht können, und die Leute, die am amerikanischen
Glauben festhielten: Ja, wir können. Wenn da Verzweiflung im Staub und Depression im Land war, erlebte sie
eine Nation, die ihre Angst mit einem New Deal bezwang, mit neuen Arbeitsplätzen, einem neuen Sinn für
gemeinsame Ziele. Ja, wir können. (…)
Ein Mann ist auf dem Mond gelandet, eine Mauer
wurde in Berlin niedergerissen, eine Welt wurde verbunden durch unsere eigene Wissenschaft und Vorstellungskraft. Und in diesem Jahr, bei dieser Wahl, berührte sie
mit ihrem Finger einen Bildschirm und gab ihre Stimme
ab, weil sie nach 106 Jahren in Amerika, durch die besten Zeiten und dunkelsten Stunden hinweg, wusste, wie
Amerika sich wandeln kann. Ja, wir können.
Wir sind so weit gekommen. Wir haben so viel gesehen. Aber es ist noch so viel mehr zu tun. So lasst uns
heute Abend fragen, ob unsere Kinder leben sollen, um
das nächste Jahrhundert zu sehen, ob meine Töchter so
glücklich sein werden, so lange zu leben wie Ann Nixon
Cooper, welchen Wandel werden sie dann erleben? Welchen Fortschritt werden wir dann gemacht haben? Dies
ist unsere Chance, auf diesen Ruf zu antworten. Das ist
unser Augenblick. Das ist unsere Zeit, unser Volk zurück
zur Arbeit zu bringen und Chancen für unsere Kinder zu
eröffnen, Wohlstand wiederherzustellen und die Sache
des Friedens voranzubringen, den amerikanischen
Traum zurückzugewinnen und diese fundamentale
Wahrheit zu bekräftigen, dass wir aus vielen heraus eins