Modellierung zeitabhängiger 3D-Modelle
in der Geotechnik
Joaquin Diaz, Udo Meißner, Ingo Schönenborn
Institut für Numerische Methoden und Informatik im Bauwesen,
TH Darmstadt, Petersenstr. 13, 64287 Darmstadt
email: schoenen@iib.bauwesen.th-darmstadt.de
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Einleitung
Die quantitativen und qualitativen Anforderungen an den Bauplanungsprozeß sind in den letzten Jahren
entscheidend gestiegen. Dies liegt zum einen an der stetig zunehmenden Dimensionierung der Bauwerke und zum
anderen an der immer enger werdenden Bebauung im innerstädtischen Bereich.
Gerade die verdichtende Bebauung im innerstädtischen Bereich führt zu steigenden Anforderungen an die am
Bauplanungsprozeß beteiligten Fachplaner. Die realitätsnahe Prognostizierung der Wechselwirkungen zwischen
Tragwerk, Baugrund, Aquifer und benachbarter Bebauung stützt sich dabei ganz entscheidend auf umfassende und
zuverlässige Berechnungen und Simulationen. So muß z.B. bei komplexen Gründungen, bei denen die
Aushubentlastung nicht vernachlässigt werden darf, oder bei Gründungen neben großen Bauwerken die zu
erwartende Setzung und die Standsicherheit für die benachbarte Bebauung vor Baubeginn sehr genau
prognostiziert [Katzenbach, Arslan, Holzhäuser, Vogler, 1996] und nachgewiesen werden.
Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung des Wettbewerbs und der steigenden quantitativen und
qualitativen Anforderung bei großen Bauprojekten wird nach neuen Lösungsansätzen gesucht, mit deren Hilfe der
Bauplanungsprozeß den gestiegenen Anforderungen angepaßt werden kann. Ein Lösungsansatz hierzu stellt die
durchgängige computergestützte Modellierung des Bauplanungsprozesses beginnend bei der Vorplanung bis hin
zum Recycling des Bauobjektes am Ende seiner Lebensdauer dar. Diese kann zur Durchführung komplexer
Ingenieuraufgaben in Planung und Konstruktion, bei der große Datenmengen unterschiedlicher Herkunft mit
unterschiedlichen Datenstrukturen über längere Zeiträume miteinander verknüpft, fortgeschrieben und konsistent
gespeichert werden müssen, erfolgreich mit neuen Soft- und Hardwarewerkzeugen durchgeführt werden. Zwei
entscheidende Faktoren dabei sind die zeitabhängige Verwaltung der Planungsinformationen und die
dreidimensionale Modellierung des Bauobjektes.
Im vorliegenden Beitrag wird zunächst auf die Zeitabhängigkeit bei geotechnischen Aufgabenstellungen
eingegangen. Im Anschluß daran wird der Vorteil und Nutzen des objektorientierten Paradigmas -speziell des
dynamischen Modells- für den Entwurf zeitabhängiger geotechnischer Aufgabenstellungen besprochen.
Abschließend werden die zeitabhängigen Komponenten Boden- und Konstruktionsmodell und die dazugehörige
Bauablaufsteuerung des Forschungsprototypen GTIS vorgestellt.
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Zeitabhängigkeit bei geotechnischen Aufgabenstellungen
Der Ablauf geotechnischer Ingenieuraufgaben durchläuft mehrere Planungsphasen, wobei sich die einzelnen
Phasen durch ihren Detaillierungsgrad unterscheiden und in der Regel auf Informationen der vorherigen Phasen
aufbauen:
Phase 1
Phase 2
Phase 3
Phase 4
Phase 5
Standortfindung und Vorabklärung für ein Projekt
Baugrunduntersuchung für das in Grundzügen konzipierte Projekt
Detaillierte Untersuchungen und Ausführungsplanungen fhr das konkretisierte Projekt
Zusatzabklärungen und Baukontrollen im Rahmen der Bauausführung
Geotechnische und geodätische Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen vor, während und
nach der Erstellung des Bauwerks
Es wird deutlich, daß es sich bei diesem Planungsprozeß um ein stark zeitabhängiges System handelt. So wird
bereits durch die Reihenfolge, innerhalb der die einzelnen Planungsphasen durchlaufen werden eine zeitliche
Ablaufreihenfolge vorgegeben. Je nach Planungsphase befinden sich dabei die einzelnen Planungsgrundlagen in
unterschiedlichen Detaillierungsgraden wieder. So wird z.B. in Phase 1 die vorläufige Standortfindung auf Basis
von zweidimensionalen Lageplänen und bekannten geologischen Untergrundinformationen durchgeführt. Ist die
Standortfindung abgeschlossen, so werden in Phase 2 weitere Informationen über Bodenbeschaffung (siehe Abb.
1), benachbarte Bebauung usw. hinzugefügt. Durch Zusammenfügen der Informationen aus Phase 1 und 2 ergibt
sich ein neuer (dreidimensionaler) Detaillierungsgrad auf Basis dessen in Phase 3 die Dimensionierung der
Konstruktionselemente stattfinden kann, die dann in Lageplänen (siehe Abb. 2), Schnittzeichnungen und 3DModellen dargestellt werden.
Abb. 1 Lageplan des neuen CommerzbankHochhauses in Frankfurt
Abb. 2 Bohrprofile unterhalb des geplanten
Commerzbank-Hochhauses
Zum Zeitpunkt der Dimensionierung (Phase 3) wird auf Basis aller zur Verfügung stehender Planungsgrundlagen
eine Entscheidung über die geotechnische Konstruktion getroffen. Für diese werden dann entsprechende
Ausgangsparameter (z.B. Breite, Material, Anzahl der Bauelemente usw.) festgelegt. Die Parameter aus dem
Vorentwurf dienen im folgenden als Eingangsgrößen zur eigentlichen Bemessung und Ausarbeitung der
geotechnischen Konstruktion. Hierfür sind in der Regel mehrere Einzelnachweise erforderlich. So sind z.B. für
die Berechnung von Schlitzwänden als Baugrubensicherung folgende Nachweise erforderlich:
-
Nachweis der Einbindetiefe nach EAB, DIN 1054 und DIN 4085
Bemessung der Anker/Steifen und Nachweis der Standsicherheit der Tiefen Gleitfuge nach DIN 4125
Nachweis der Abtragung der lotrechten Kräfte nach EAB
Geländebruchsicherheit nach DIN 4084
Bemessung der Betonwände nach DIN 1045
Standsicherheit des flüssigkeitgestützten Schlitzes nach DIN 4126 und DIN 4127
Um für die gewählte Konstruktion die Nachweise führen zu können, erstellt der Ingenieur zunächst ein Modell.
Das Modell beinhaltet alle relevanten Informationen und Planungsgrundlagen wie sie zuvor zusammengestellt
worden sind. Hierbei hängt der Detaillierungsgrad des Modells stark von der zu untersuchenden Aufgabenstellung
ab. Aus diesem Grund kommen sowohl zweidimensionale als auch dreidimensionale Modelle zur Anwendung. Zur
Führung von Nachweisen ist jedoch die Erstellung eines statischen Modells alleine nicht immer ausreichend.
Stattdessen muß der Ingenieur für alle kritischen Bauzustände Modelle aufstellen, auf Basis derer er im weiteren
Verlauf einzeln die Nachweise führt. Erst dadurch wird die Standsicherheit des Entwurfs für den gesamten
Bauablauf gewährleistet.
Auch in den daran anschließenden Phasen 4 und 5 findet sich die zeitliche Komponente beim geotechnischen
Planungsprozeß wieder. Speziell in der Phase 5 werden z.B. Zeitreihen für die Setzung des Bauwerkes während
und nach Erstellung des Bauwerkes zusammengestellt. Für das dazugehörige Modell bedeutet dies, daß sich die in
der Zeitreihe befindlichen Meßergebnisse im Modell wiederfinden lassen.
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Vorteile der objektorientierten Modellierung für die Geotechnik
Die Entwicklung neuer Methoden und Verfahren für geotechnische Aufgabenstellungen mit dem Ziel ein
integrierendes, interaktives, dreidimensionales und zeitabhängiges Modellierungssystem zu entwerfen, läßt sich
nach heutigem Wissensstand adäquat mit objektorientierten Methoden durchführen [Rüppel, 1995]. Die
objektorientierte Modellierung im Planungs- und Konstruktionsprozeß unterstützt dabei die ingenieurmäßige Denkund Vorgehensweise. Durch die Durchgängigkeit von der objektorientierten Systemanalyse über den
objektorientierten Software-Entwurf bis hin zur objektorientierten Programmierung in C++ wird die ganzheitliche
Modellierung unterstützt. Mit objektorientierten Modellen und Methoden wird es möglich, das komplexe
Beziehungsgeflecht der im geotechnischen System wechselseitig wirkenden Komponenten in seiner Gesamtheit zu
erfassen [Meißner, Diaz, Schönenborn, 1995]. Die konsequente Anwendung
der Technologie der
objektorientierten Modellierung nach Rumbaugh [Rumbaugh, 1993], die auf den drei Komponenten statisches,
dynamisches und funktionales Modell basiert, gewährleistet, daß alle kausalen Zusammenhänge des Baugrundes in
jeder Phase des Modellierungsprozesses vollständig erfaßt und abgebildet werden können.
Hierbei eignet sich vor allem das dynamische Modell nach Rumbaugh zur exakten Beschreibung des zeitlichen
Verlaufs der geotechnischen Aufgabenstellung. Am Beispiel der Erstellung einer trockenen Baugrube im
Grundwasser soll aufgezeigt werden, wie eine geotechnische Aufgabenstellung (siehe Abb. 3) in ein dynamisches
Modell nach Rumbaugh (siehe Abb. 4) umgesetzt werden kann.
Abb. 3 Bauablauf zur Erstellung einer trockenen Baugrube im Grundwasser
Innerhalb des dynamischen Modells werden Zustände und Ereignisse unterschieden. Ein Zustand entspricht dabei
der Beschreibung eines Objektes zu einem festen Zeitpunkt (einem Bauzustand). So enthält der Zustand „ungestörte
Ausgangssituation“ die aktuellen Werte der Bodenschichten zum Zeitpunkt des Baubeginns. Das eintretende
Ereignis „Einbringen der Schlitzwände“ entspricht einer Zustandsänderung und überführt die aktuellen Werte und
Eigenschaften des Zustandes „ungestörte Ausgangssituation“ in den Zustand „Schlitzwand hergestellt“. Hierbei
führt das Ereignis zu einer Änderung der Werte des Bodenmodells. Im Bodenmodell wird durch das Ereignis ein
geotechnisches Konstruktionselement in Form einer Schlitzwand eingebracht. Im daraus resultierenden Zustand
enthält nun das Bodenmodell neben den Schichten die eingebrachte Schlitzwand.
Abb. 4 Dynamisches Modell nach Rumbaugh für die Erstellung einer trockenen Baugrube
Für den Softwareentwurf lassen sich aus dem dynamischen Modell drei wesentliche Faktoren ableiten:
I
II
III
4
Das verwendete Bodenmodell hat keine statische Struktur, sondern unterliegt zeitlichen Veränderungen.
Zu diesem Zweck ist innerhalb des Softwareentwurfes eine Datenstruktur zu verwenden, mit deren Hilfe
sich die zeitabhängigen Ausprägungen des Bodenmodells verwalten lassen.
Die geotechnischen Konstruktionselemente (z.B. Schlitzwände, Anker usw.) definieren das
Konstruktionsmodell und stehen in direkter Beziehung zum Bodenmodell.
Für die Verwaltung der einzelnen Bauzustände des Boden- und Konstruktionsmodells wird ein
Bauablaufverwalter benötigt, innerhalb dessen die jeweils gültige Kombination aus Boden- und
Konstruktionsmodell den einzelnen Bauzuständen zugeordnet werden kann.
Die zeitabhängige Verwaltung des Boden- und Konstruktionsmodells
innerhalb des Forschungsprototypen GTIS
Ziel des Geotechnischen Informationssystems (GTIS) ist die Realisierung eines wirklichkeitsgetreuen
objektorientierten Modellierers für komplexe geotechnische Aufgabenstellungen aus dem Bereich Grundbau und
Bodenmechanik [Diaz, Meißner, Schönenborn, 1996]. Hierfür sollen insbesondere die Komponenten Boden,
Baugrube und Konstruktion durch ein dreidimensionales Konstruktionsmodell erfaßt und deren Wechselwirkungen
durch Integration bzw. Anbindung externer Berechnungs- und Simulationsprogramme untersucht werden. Von
zentraler Bedeutung ist dabei die Erfassung der zeitvarianten Systemänderungen bezogen auf den Baufortschritt.
Hierbei basiert die Realisierung der zeitvarianten Systemänderungen auf den drei Komponenten Bodenmodell,
Konstruktionsmodell und Bauablaufsteuerung.
Bodenmodell
Zentraler Kern des Bodenmodells ist eine dynamische Datenstruktur mit dessen Hilfe die zeitvarianten
Änderungen des Bodenmodells entsprechend den einzelnen Bauzuständen verwaltet werden können. Hierbei wird
zunächst von einem ungestörten Baugrund ausgegangen, der als Ausgangsbasis des Bodenmodells dient. Durch
Integration der einzelnen Konstruktionselemente und Veränderungen der Bodengeometrie bzw.
Bodeneigenschaften des Bodens (z.B. durch Aushub oder Bodenverbesserung) während des Bauablaufes, werden
weitere Versionen des Baugrundes passend zu den vorgegebenen Bauzuständen (siehe Abb.5 ) innerhalb des
Bodenmodells abgespeichert und können bei Bedarf abgerufen werden.
Abb. 5 Baugrundmodell des neuen Commerzbank-Hochhauses im Endausbauzustand
Konstruktionsmodell
Das Konstruktionsmodell enthält die vom Geotechniker entworfene geotechnische Konstruktion. Hierbei können
die einzelnen Konstruktionselemente (Schlitzwände, Anker, Bodenplatte, Pfahlkonstruktion) aus einem
Bauteilkatalog in parametriesierter Form abgerufen und zu einer geotechnischen Konstruktion (siehe Abb. 6)
zusammengeführt werden.
Abb. 6 Geotechnisches Konstruktionsmodell des neuen Commerzbank-Hochhauses
Bauablaufsteuerung
Innerhalb der Bauablaufsteuerung wird der Bauablauf definiert. Zu diesem Zweck werden in Form eines
Netzplanes alle relevanten Bauzustände und die dazwischen durchgeführten Baumaßnahmen spezifiziert (siehe
Abb. 7). Parallel dazu wird eine Verknüpfung mit den geotechnischen Konstruktionselementen und dem jeweils
passenden Baugrundmodell durchgeführt. Als Ergebnis davon kann mit Hilfe der Bauablaufsteuerung zu jedem
Bauzustand ein gültiges Modell bestehend aus Baugrund und Konstruktion erzeugt werden, das im weiteren
Verlauf zu Berechnungs-, Bemessungs- oder Simulationszwecken verwendet werden kann.
Abb. 7 Beispiel einer Bauablaufsteuerung
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Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag zeigt auf, daß der zeitliche Verlauf innerhalb einer geotechnischen Aufgabenstellung
einen nicht unerheblichen Einfluß auf die verwendeten Modelle bzw. die Durchführung von
Sicherheitsnachweisen ausübt. Für die Entwicklung geotechnischer Softwaresysteme ergibt sich daraus schon
innerhalb der Analysephase die Anforderung, die zeitkritischen Abhängigkeiten zu modellieren und entsprechend
im Entwurf zu berücksichtigen. Hierfür hat sich die objektorientierte Methode in Form des dynamischen Modells
nach Rumbaugh als ein geeignetes Werkzeug herausgestellt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse
können bereits sehr früh in die Konzeption des Gesamtsystems mit einbezogen werden. Am Beispiel des
Geotechnischen Informationssystems (GTIS) führte dies zu einer raum- und zeitabhängigen Verwaltung des Bodenund Konstruktionsmodells und zu einer Bauablaufsteuerung, innerhalb derer die einzelnen Bauzustände verwaltet
und mit den entsprechenden Ausprägungen innerhalb des Boden- und Konstruktionsmodells verknüpft werden
können.
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Literatur
[Diaz, Meißner, Schönenborn, 1996] Diaz, Joaquin; Meißner, Udo; Schönenborn, Ingo: Objektorientierte CADModellierung Geotechnischer Baugrubensysteme. In: 4. FEM/CAD - Tagung, Darmstadt 1996
[Katzenbach, Arslan, Holzhäuser, Vogler, 1996] Katzenbach, Rolf; Arslan, Ulvi; Holzhäuser, Jörg; Vogler,
Mathias: Sensitivitätsanalysen für tiefe Hochhausgründungen. In: 4 FEM/CAD -Tagung, Darmstadt 1996
[Meißner, Diaz, Schönenborn, 1995] Meißner, Udo; Diaz, Joaquin; Schönenborn, Ingo: Objectoriented Analyses
of Geotechnical Engineering Systems. In: Proceedings of the sixth Int’l Conference of Computing in Civil und
Building Engineering, ASCE, (pp. 61-66), Berlin, Germany 1995
[Rumbaugh, 1993] Rumbaugh, J.; Blaha, M.I.; Premerlani, W.; Eddy, F.; Lorenzen, W.: Objektorientiertes
Modellieren und Entwerfen. In: Prentice-Hall International, London, 1993
[Rüppel, 1995] Rüppel, Uwe: Ganzheitliche Bauwerksmodellierung
unter Nutzung objektorientierter
Datenbanken. In: Fachzeitschrift „Bauinformatik“, Heft 6/1995 (S.230-235), Verlagsgesellschaft R. Müller, Köln
1995