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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die Erfindung neuer antiker Bauwerke – verso
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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die
Erfindung neuer antiker Bauwerke
BY JUAN CARLOS G MANTILLA · PUBLISHED 18/07/2023 · UPDATED 31/08/2023
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Inmitten der Hügel um
Cuzco erhebt sich ein
Monument von
kolossalem Ausmaß:
Sacsayhuaman. Von
seinen Höhen aus
kann man die
moderne Stadt
betrachten. Cuzco
wurde auf den
Überresten des
präkolumbianischen
Stadtzentrums der
Inka erbaut; die
moderne Stadt vereint
alte Fundamente mit
Sacsayhuaman in Cuzco, Luftaufnahme.
transatlantischen
Modellen. Doch das Bauwerk von Sacsayhuaman steht abseits und scheint vom Gang der
Modernisierung unberührt zu sein. Lautlos verblasst es, steht verlassen und leer. Im Laufe der
Zeit hat es sich von einer lebendigen Festung in eine Inka-Ruine, ein Relikt der Vergangenheit,
verwandelt. Heute ist es eine archäologische Stätte, die Seite an Seite mit Machu Picchu steht
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und den weltweiten Tourismus dazu einlädt, die zeitlose Pracht der Zivilisation der Inka zu
erleben.
1
In diesem Essay werden den verschiedenen Interpretationen des inkaischen Bauwerks
Sacsayhuaman in Cuzco innerhalb der Kunst und Geschichte der Frühen Neuzeit untersucht.
Anhand des Studiums italienischer, andiner und spanischer Bild- und Schriftquellen
analysiere ich, wie dieses präkolumbianische Bauwerk konzeptualisiert, beschrieben, erzählt
und abgebildet wurde. Mein Hauptziel ist es, aufzuzeigen, wie die Rezeption nicht-westlicher
materieller Kultur das frühneuzeitliche kunsthistorische und architektonische Denken
beein usste und die Grundlagen für die Er ndung neuer antiker Bauwerke lieferte. Ich
behaupte, dass diese Umwandlungen auch durch die gleichzeitige Er ndung des Inkakönigs
bedingt waren, einer königlichen, jedoch indigenen Figur der antiken Vergangenheit, die für
die frühneuzeitlichen Vorstellungen von der Geschichte der Anden von grundlegender
Bedeutung war. Abschließend werde ich die Implikationen unserer Bemühungen um die
Aufnahme von Sacsayhuaman in die Datenbank des “Census of Antique Works of Art and
Architecture Known in the Renaissance” erörtern und dabei Fragen darüber aufwerfen, wie wir
frühneuzeitliches antiquarisches Wissen systematisieren und kategorisieren.
Ich werde die frühneuzeitliche Rezeption von Sacsayhuaman und die unterschiedlichen
kulturgeschichtlichen Interpretationen in drei verschiedenen kunsthistorischen und
intellektuellen Kontexten untersuchen: Giovanni Battista Ramusios Delle navigationi et viaggi
(1565), Felipe Guamán Poma de Ayalas Nueva Corónica y Buen Gobierno (1615) und Llano
Zapatas Epítome cronológico o Idea general del Peru (1778). Alle drei Beispiele zeigen, dass
ein und dasselbe Bauwerk Teil von sehr unterschiedlichen Rezeptionsgeschichten indigener
materieller Kultur ist.
Vitruv, Serlio und die Inkas: Architektonisches Denken in den
spanischen Städten Perus
Die überragende Gestalt des römischen Architekten Vitruv steht im Zentrum der Rezeption
antiker Architektur in der Renaissance. Um seine Figur herum kreisten die verschiedenen
Formen des Umgangs mit antiker Architektur: die frühneuzeitliche Übersetzung und der
Druck der Zehn Bücher über Architektur (zuerst 1487 auf Latein und 1521 auf Italienisch), das
Studium von Ruinen und antiken Überresten, neue architektonische Strukturen, die nach
römischen Vorbildern errichtet wurden, und sogar innovative Überlegungen über die
Beziehung zwischen dem menschlichen Körper und seinem Raum, wie Leonardo da Vincis
“vitruvianischer Mensch”. Diese Leitsätze, entstanden im Italien der Renaissance, konzipierten
die frühneuzeitliche Rezeption der antiken Architektur. Sie boten Wege zur Erklärung der
materiellen Kultur der Vergangenheit und zur Auseinandersetzung mit antiken Bauten, um
neue Architektur in ihrer Gegenwart zu erscha en. Es ist unbestritten, dass die Vorstellungen
Roms in der Renaissance ein Paradigma für die Interpretation der Antike erzeugten. Aufgrund
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der Reichweite dieser Ideen, die Hand in Hand gingen mit der frühneuzeitlichen europäischen
Expansion nach Übersee und der transkontinentalen christlichen Evangelisierung, kann diese
Art des Umgangs mit der materiellen Kultur der Vergangenheit als ein globales Phänomen
betrachtet werden. Eine neue Perspektive auf unser kunsthistorisches Verständnis der antiken
Architektur ergibt sich jedoch, wenn man den geogra schen Fokus auf Amerika verlagert.2
In einer anderen Geographie wird diese Kunst- und Geistesgeschichte von anderen
Phänomenen begleitet und ermöglicht, andere Aspekte der Rezeption der Antike zu
beleuchten. Das Austauschen des vitruvianischen Menschen gegen eine andere
frühneuzeitliche Er ndung einer idealen Figur, den Inkakönig, lenkt unsere Aufmerksamkeit
auf eine andere Gruppe von architektonischen Werken: die präkolumbianischen Bauten der
Anden (in der Frühen Neuzeit als Peru bekannt). Ich konzentriere mich ausschließlich auf das
Sacsayhuaman-Bauwerk in Cuzco, wobei ich seine Darstellungen in der visuellen Kultur der
Frühen Neuzeit beleuchte und hervorhebe, wie seine Rezeption eine erbaute Landschaft für
die Vorstellung von idealen Inka-Herrschern erzeugte. Zwischen der Geistesgeschichte der
europäischen Eroberung und Evangelisierung und der Geschichte des archäologischen
Denkens über Amerika zeichne ich eine neue Geschichte der Rezeption antiker Architektur
nach, die die Anden und ihre transatlantischen Verbindungen einbezieht.3
Die frühneuzeitlichen Anden waren sich der italienischen frühneuzeitlichen Rezeption der
römischen Architektur durchaus bewusst. In den spanischen Städten Perus zirkulierten die
gedruckten Exemplare neuer italienischer Architekturtraktate wie Sebastiano Serlios
(1537-1551) und die
(1526) des spanischstämmigen
Diego Segredo als neidisch gehütete Schätze. Es ist bekannt, dass einige spanische
Architekten in den Kolonialstädten Kopien der Traktate besaßen, die sie mit niemandem zu
teilen wagten, und dass sie sich ,ausgestattet mit diesen Büchern, einen Namen als Meister
und Erbauer von berühmten Bauwerken machten, die noch heute in Benutzung sind. In
denselben Städten und zur selben Zeit erregte die präkolumbianische Architektur der
Eingeborenen die Aufmerksamkeit der ersten Eroberer, Missionare und Siedler. Diese Bauten
regten zum Nachdenken über die antike Vergangenheit an und ihre Dimensionen und Qualität
verlangten nach neuen Vergleichsansätzen, die ihre Größe unterstrichen und neue Wege zur
Theoriebildung über die globale Geschichte der gebauten Umwelt boten. Unter der
Kolonialherrschaft wurden einige präkolumbianische Gebäude umgenutzt, andere zerstört
und wieder andere stillgelegt. Eines der wichtigsten Wahrzeichen der inkaischen Architektur,
das von den spanischen Eroberern sowohl stillgelegt als auch bewundert wurde, ist
Sacsayhuaman, das auf einem der Hügel um Cuzco liegt.4
I Sette
libri dell’architettura
Medidas del Romano
Sacsayhuaman wurde zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert im Zusammenhang mit der
größten militärischen und politischen Machtanhäufung der Inka in Cuzco errichtet. Es handelt
sich nicht um die Konstruktion eines Einzelbaus, sondern um ein Komplex aus o enen Plätzen
und gebauten Strukturen. Der Hauptteil besteht aus drei Ebenen mit terrassenförmig
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angelegten Mauern, die in einer
Zickzack-Formation mit dem Hügel
ansteigen. An der Spitze befanden
sich Gebäude, Türme und Plätze
für astronomische Beobachtungen.
Auf der gegenüberliegenden Seite
des Hügels trennte eine Esplanade
die Mauern von einer weiteren
Reihe niedrigerer Bauten. Nach den
Berichten der frühen Eroberer
wurde Sacsayhuaman während der
Verteidigung der Inka gegen die
spanischen Belagerungen
militärisch genutzt. Bestimmte
archäologische Untersuchungen
gehen davon aus, dass sie für
rituelle Praktiken genutzt worden
Erster spanischer Holzschnitt der Inka in Zusammenhang mit der
Stadt Cuzco in Cieza de León, Pedro, Primera parte de la Crónica del sein könnte. Abgesehen von seiner
Verwendung als Lagerstätte gibt es
Perú, Seville: Juan Montesdeoca, 1553, fol. CVII v.
jedoch keine materiellen Beweise
für eine präkolumbianische militärische Nutzung im Krieg. Die gigantischen Steine, die die
dreiwandige Struktur stützen, sind der bemerkenswerteste Aspekt der Architektur von
Sacsayhuaman und werden bis heute mit Metaphern aus der klassischen Mythologie, wie z. B.
“Zyklopen”, beschrieben.5
Ich bin nicht daran interessiert (und auch nicht in der Lage), neue archäologische Erkenntnisse
über die inkaische Architektur zu liefern, sondern vielmehr daran, die komplexen Prozesse zu
analysieren, die an der konzeptuellen Verortung ihrer Qualitäten in der visuellen Kultur der
Frühen Neuzeit beteiligt waren. Ich werde aufzeigen, wie die Idee einer “Inka-Festung”
gescha en, erzählt und dargestellt wurde. Die Idee einer “Festung” wurde zur wichtigsten
Metapher, um Sacsayhuaman als ein Bauwerk des alten Amerikas zu verstehen und seine drei
Mauern wurden auf der anderen Seite des Atlantiks zur grundlegenden visuellen Tropen für
Gravuren, die es als das wichtigste gebaute Wahrzeichen der Stadt Cuzco zeigen. Entlang
dieser Entwicklung war die Anwesenheit idealer oder mythologischer Inkakönige als Teil des
Bauwerks grundlegend für die Er ndung eines neuen antiken architektonischen Wunders.
Eroberte und dargestellte Inkabauten: Sacsayhuaman in Delle
navigationi et viaggi (16. Jahrhundert)
Im Jahr 1533 eroberten die Spanier unter der Führung von Francisco Pizarro Cuzco die
Hauptsiedlung der Inka durch eine Kombination aus militärischer Gewalt, Täuschung und
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Bündnissen mit indigenen Gruppen. Pero Sancho de la Hoz diente während der spanischen
Eroberung der Andenregion als Sekretär von Francisco Pizarro und verfasste einen Bericht der
Ereignisse aus erster Hand. Das Manuskript, in dem diese Taten festgehalten sind, ist verloren
gegangen, aber der Inhalt ist in einer italienischen Übersetzung erhalten geblieben, die in
Giovanni Battista Ramusios Sammlung Delle navigationi et viaggi (1565) zu nden ist. Dieser
Bericht gilt als unschätzbare Quelle für das Verständnis der Inkakultur und wurde in mehrere
andereSprachen übersetzt und bearbeitet. Er bietet nicht nur eine Schilderung der Eroberung,
sondern auch einige der frühesten spanischen Beschreibungen der Region, einschließlich
einer schriftlichen Skizze der “Inka-Festung”. In der italienischen Übersetzung ergänzte
Ramusio die Erzählung mit einem Stich, der das Hauptmerkmal, die Stadt Cusco, unter dem
Titel “Il Cuscho citta principale della provincia del Peru” darstellt. Dieser Stich eines
italienischen Meisters ist die Er ndung einer umgekehrten Ekphrasis: Er bildet den visuellen
Aspekt von Cusco anhand des Texts nach.6
Der Bericht von Pero Sancho ist das erste Zeugnis für ein Verständnis von Sacsayhuaman als
antike Festung (“fortezza”). Das Gebäude wird als eines beschrieben, das die spanischen
Eroberer an die berühmtesten Bauwerke der Lombardei und Segovias erinnerte. Seine Größe
wird mit anderen bedeutenden Festungen der antiken Welt verglichen: “Die Spanier, die sie
sehen, sagen, dass weder die Brücke von Segovia noch irgendein anderes Bauwerk, das
Herkules oder die Römer errichteten, so würdig ist, gesehen zu werden wie dieses [eine]. Die
Stadt Tarragona hat einige Bauwerke in ihren Ruinen, die in diesem Stil errichtet wurden, aber
weder so massiv noch aus so großen Steinen.”7 Der Text verweist auf Rom als übergreifendes
Paradigma antiker Größe, aber als etwas noch Bewunderungswürdigeres stellt die InkaFestung dies in Frage. Das architektonische Wahrzeichen der Inka in Cuzco übertri t die
römische Größe. Gleichzeitig können wir anhand des Verweises auf Herkules beobachten, wie
die frühe Altertumsforschung zusammen mit den antiken Metaphern und Mythen in
Sacsayhuaman in einen neuen Zusammenhang gestellt wurden. In der frühneuzeitlichen
spanischen Beschäftigung mit Altertümern galten antike Bauten, die mit Herkules und dem
römischen Aquädukt in Segovia oder dem römischen Amphitheater in Tarragona in
Verbindung gebracht wurden, als einige der prächtigsten architektonischen Wahrzeichen. Hier
werden die Wunderwerke des Herkules als weniger beeindruckend dargestellt als die der
Inkas. Im Bericht von Pero Sancho de la Hoz setzen die materielle Kultur der Inkas und die
präkolumbianischen Bauten ein neues Paradigma für architektonische Größe.8
Die Erzählung von Pero Sanchos de la Hoz wurde von Ramusio bei der Erstellung von Delle
Navigationi et Viaggi (1565) als Quelle für das Entwerfen der ersten westlichen visuellen
Vorstellung von Cuzco herangezogen. Auf dem Stich ist eine ummauerte, quadratische Stadt
zu sehen, die von Bergen umgeben ist. Dieses imaginäre Stadtzentrum der Inka ist ach und
wie ein Schachbrett organisiert. Die Kombination aus Mauern und Bergen vermittelt den
Eindruck einer sehr gut bewachten Stadt, der durch die massive Festung auf der linken Seite
noch verstärkt wird.
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Die Festung ist ein
freistehendes,
markantes
Bauwerk, das aus
drei
terrassenförmig
angelegten
Mauern in Form
einer
quadratischen
Struktur besteht,
die sich auf jeder
Ebene weiter
verjüngt. Auf jeder
der Terrassen sind
Gruppen von
bewa neten
“Il Cuscho citta principale della provincia del Peru,” Ramusio, Giovanni Battista, Delle
Personen als
Navigationi et Viaggi, Venice, 1565, fols 411-412 (darunter im Detail)
Wachen postiert,
wodurch die
Vorstellung einer
militärischen
Anlage beglaubigt
wird. An der Spitze
erscheint eine
weitere
viereckige,
burgähnliche
Struktur mit einem
Turm an jeder
Ecke und einem
kuppelartigen
Aufbau über dem
Scheitelpunkt. Die
Präsenz der bewa neten Personen ermöglicht eine zeitliche Einordnung dieser Darstellung.
Es handelt sich um ein Bild von Cuzco, wie es der spanische Informant zum ersten Mal sah:
eine Stadt, die noch nicht unter spanischer Herrschaft stand und in der noch die Inka
regierten. Der italienische Künstler bemühte sich auf kreative Weise um die Darstellung eines
präkolumbianischen Stadtzentrums, wobei er die Hauptideen aus schriftlichen Quellen bezog,
da es keine visuellen Referenzen für das Aussehen eines Inka-Baus gab. Die Inka-Festung
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verbindet westliche Vorstellungen eines Festungsbaus mit dem von Sacsayhuaman
spezi schen Merkmal der Dreistu gkeit.
Obwohl es keinen Herkules gab, war die Vorstellung von der Inka-Festung nicht ohne Mythos.
In der Mitte der Hauptstraße, direkt unterhalb der ersten Mauer, trägt eine Gruppe bewa neter
Personen eine Sänfte, auf der ein Anführer sitzt. Das einzige geschriebene Wort auf dem Stich
(abgesehen vom Titel) identi ziert diese Person als “Atabalipa”, was sich auf die historische
Figur bezieht, die wir heute als Atahualpa bezeichnen. Die Vorstellung, dass der von den
Eroberern gefangen genommene und hingerichtete Inka-Herrscher in einer Prozession nach
Sacsayhuaman getragen wird, verleiht dem Stich einen Hauch von historischer Fiktion. Der
Inka Atahualpa hatte nie in der Stadt Cuzco regiert und als die Spanier in Cuzco eintrafen, war
Atahualpa bereits enthauptet worden. Dennoch wird in dieser italienischen Er ndung der Stadt
Cuzco Atahualpa der darin repräsentierte Inkaherrscher in Beziehung zu seiner großen
Festung (fortezza) gesetzt. Sie zeigt, wie durch die Interaktion zwischen Atahualpa als
königlicher Figur und Sacsayhuaman als königlicher Militärfestung Cuzco Teil des
europäischen globalen Stadtbildes wurde: Eine ummauerte Stadt mit einer königlichen
Festung, die regierende Könige beherbergte. Die nächsten beiden Einträge zeigen
beispielhaft, wie die Idee von Sacsayhuaman als Inka-Festung, die mit der zunehmenden
Konstruktion einer Mythologie der Inka-Könige in Verbindung gebracht wird, in den folgenden
Jahrhunderten in neuen Genres und als Teil verschiedener intellektueller Bereiche wieder
auftaucht.9
Konstruktion Mythologie: Die “Piedra Cansada” in der Nueva
Corónica y Buen Gobierno (17. Jahrhundert)
Im Jahr 1615 stellte Don Felipe Guamán Poma de Ayala, ein indigener Christ aus der Stadt
Huamanga, ein Manuskript fertig, an dem er jahrzehntelang gearbeitet hatte. Sein
kosmographischer, historischer und politischer Traktat mit dem Titel El Primer nueva Coronica
y Buen Gobierno spiegelt Ayalas intellektuelle Fähigkeit und seine akribische Hingabe wider,
mit der er die anspruchsvollsten Debatten über die frühneuzeitlichen Anden unter spanischer
Kolonialherrschaft eine nach der anderen anging. Er besteht aus zwei Teilen: Dem ersten,
einer Abhandlung über die Geschichte und Kosmographie der Welt aus der Sicht der Anden,
und dem zweiten, einem Bericht über die Probleme und möglichen Lösungen der spanischen
Kolonialregierung. Der erste Teil seines Manuskripts mit der biblischen Erscha ung von Adam
und Eva und verbindet die biblische Geschichte und die Geschichte der römischen Kirche mit
der antiken Geschichte der indigenen Anden und dem Staat der Inka. Die Geschichte der Inka,
in der Sacsayhuaman nur am Rande vorkommt, war nach einer Aufeinanderfolge von
männlichen Herrschern (Ingas), einer parallelen Linie von weiblichen Herrscherinnen (coya)
und einer Reihe von männlichen Kriegshäuptlingen oder Capitanes gegliedert. Ayala bietet
also drei verschiedene, parallele Zeitachsen für die Geschichte der Inka an. Innerhalb dieses
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Paradigmas begann die Chronologie der Herrscher mit dem ersten Inka, Manco Capac, und
endete mit der Enthauptung des Inka Atahualpa durch die Pizarro-Eroberer.10
Die Festung wird in Ayalas Werk unter anderen “großen Festungen” der Inka aufgeführt,
darunter: Sacsayhuaman, Pucamarca, Suchona Callis Pucyo und Curicancha. Der Autor
erinnert jedoch an die Taten von Urcon Inga, dem neunten in einer Reihe von zehn InkaHäuptlingen, und verweist auf einen Mythos, der von der Entstehung eines Bauwerks handelt:
Die Geschichte der piedra cansada. Bei der piedra cansada handelt es sich um einen
massiven Felsblock in der Nähe der archäologischen Stätte Sacsayhuaman in Cuzco, der
nach einer lokalen Erzählung der Eingeborenen, auf die sich der Autor Inca Garcilaso de la
Vega in seinen Comentarios Reales de los Incas (1609) bezieht, gegen seine Verwendung
beim Bau der Festung protestierte. In der Erzählung weinte der Felsbrocken blutige Tränen als
er von Arbeitern getragen wurde und die Festung bald erreicht hätte, weigerte sich
weiterzugehen und blieb dort liegen, wo er sich heute be ndet. In Ayalas Version heißt es,
dass der Inka Urcon, “der Sohn von Topa Yga Yupanqui, dafür verantwortlich war, dass die
Leute die Felsbrocken von Cuzco nach Guanoco brachten. Es heißt, dass der Felsbrocken
müde wurde und sich nicht mehr bewegen wollte, und dieser Felsbrocken weinte Tränen aus
Blut.”11 Wie auch in vielen anderen Erzählungen der Inka wird in dieser Geschichte dem
lithischen Element eine Rolle zugewiesen und seine Unfähigkeit, die Baustelle zu erreichen,
zum Hauptaspekt der Erzählung gemacht.12
In seiner historischen Erzählung über die Inka war Ayala auch daran interessiert,
chronologische und genealogische Bezüge herzustellen. Seiner Meinung nach fanden die
Taten von Inga Urcon unter der Herrschaft von Guayna Capac Inca statt, die laut Ayala im Jahr
1410 begann und im Jahr 1496 endete.13 Die Erzählung über das Leben der historischen Figur
beinhaltet die Geschichte und die Illustration der piedra cansada als Teil seiner Bestrebungen,
diese besondere Episode in einem bestimmten Moment der präkolumbianischen, andinen
Chronologien zu verorten. Ayala bringt die Ereignisse im Zusammenhang mit der piedra
cansada mit den von Inga Urcon verwirklichten Bauten in Verbindung. Die piedra cansadaEpisode ist ein mythisch-historischer Markstein im Lebenslauf einer bestimmten historischen
Figur. In seiner Illustration mit dem Titel “El Noveno Capita[n] INGA VRCON” porträtiert
Guamán Poma de Ayala den Inka-Kriegsherrn und den Felsblock, nicht die Festung. Beide
sind die Hauptakteure, die die Geschichte über den Aufbau der Festung prägen. Der
Kriegshäuptling erscheint in inkaischer Tracht, trägt eine Krone und Ohrschmuck, ein mit
quadratischer Inka-Ikonographie verziertes Hemd und einen Umhang. In seiner rechten Hand
hält er einen Stab, mit dem er den Arbeitern be ehlt, den Felsblock zu tragen, auf dem er
steht. Die Identität des Felsblocks wird durch eine handschriftliche Notiz hervorgehoben: “lloro
sangre la piedra” (Der Stein weinte Blut). Die Tränen sind als Blutströme dargestellt, die aus
mehreren Löchern im Felsblock ießen. Einer der Arbeiter blickt zurück, und bemerkt das
übernatürliche Ereignis. Im Gegensatz zum italienischen Meister hat Ayala kein Interesse
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daran, eine einzelne Festung
darzustellen. In der Nueva Coronica y
Buen Gobierno, die in einem Kontext
des gleichzeitigen Interesses an der
Evangelisierung der indigenen
Andenbewohner und der Aufarbeitung
der präkolumbianischen Geschichte
entstand, ist das übernatürliche Ereignis,
das sich während des Baus einer
Festung ereignete, von größerer
historischer Relevanz und würdig,
dargestellt zu werden. Es erlaubt Ayala,
das Leben eines Inka-Häuptlings zu
schildern, der in der Lage ist, zahlreiche
Arbeiter für den Bau eines Gebäudes zu
mobilisieren, und die Fähigkeit eines
mythischen Steins, sich dagegen
aufzulehnen, Teil eines Gebäudes zu
werden.
14
“El Noveno Capita[n] INGA VRCON.” Ayala, Felipe Guamán
Poma, Nueva Coronica y Buen Gobierno, København, Det
Kongelige Bibliotek, GKS 2232 4°: [159] 161.
Antike Gebäude in neuen
Stadtbildern: Die Kartierung
der Ruinen von Cuzco (18.
Jahrhundert)
Zum Schluss werde ich eine Illustration mit dem Titel “Vista de la Fortaleza” analysieren, die in
dem 1776 von dem kreolischen Gelehrten Jose Eusebio Llano Zapata verfassten Manuskript
Epítome cronológico o Idea general del Perú enthalten ist. In diesem Manuskript aus dem 18.
Jahrhundert wurden neueste geogra sche und naturhistorische Werke über Peru
zusammengestellt. Es gibt zwei Exemplare, das von Llano Zapata und ein koloriertes
Exemplar, das im Generalarchiv der Indios in Sevilla gefunden wurde (ES.41091.AGI//MPPERU_CHILE,220). Man geht davon aus, dass es aus dem Jahr 1778 stammt und von dem
Kapitän Ramón de Arechaga y Calvo verfasst wurde. Es gibt jedoch keine gesicherten
Informationen, die ihre Beziehung zueinander belegen. Wir können nur vermuten, dass eine
Abbildung der Inka-Festung von Cuzco irgendwann in den 1770er Jahren entstand und dass
mindestens zwei Kopien davon (eine schwarz-weiß, eine koloriert) angefertigt und in
verschiedene Kompilationen über die Geographie und Naturgeschichte Perus aufgenommen
wurden.
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Jüngste Studien
zur
“Vista del Cerro y Fortaleza fabricada por los Incas del Peru en la ciudad del Cuzco”
Seville: Archivo General de las Indias, ES.41091.AGI//MP-PERU_CHILE,220 (darunter im
Detail)
Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts haben die intellektuelle Revolution
hervorgehoben, die sich in dieser Zeit in Amerika vollzog mitsamt neuer intellektueller Kreise
mit lokalen und internationalen Persönlichkeiten sowie neuer visueller und schriftlicher
Produktion und die auf die amerikanischen Metropolen zentriert war, wo im Dialog mit
französischer, deutscher und britischer Illustration neue Formen der Wissenschaftsbildung
entstanden. Diese neuen intellektuellen Persönlichkeiten zeigten auch ein neues Interesse an
präkolumbianischer Architektur, insbesondere an alten Bauten, die in Vergessenheit geraten
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waren und nicht für neue Nutzungen umgewidmet oder durch spanische strukturelle
Veränderungen umgewandelt worden waren. Diese Bauten wurden zum Gegenstand einer
neuen wissenschaftlichen Wertschätzung und als antike Überreste einer fernen
Vergangenheit betrachtet, die ohne jede Beziehung zur Gegenwart studiert werden sollten:
Als Überreste, die durch eine ferne Zeit von den modernen Städten getrennt waren, und als
Heimat idealisierter, glorreicher Inkas, die sich von der kon iktbereiten indigenen Bevölkerung
unterschieden, die in den Städten der südlichen Anden massive Umwälzungen betrieben.
16
Diese Art und Weise, die Zeit auf archäologische Weise abzugrenzen, ist für mich der
hervorstechendste Aspekt des “Vista de la Fortaleza”. Auf der linken Seite sehen wir die
spanische Stadt Cuzco, eine moderne Stadt mit Gebäuden und Plätzen im westlichen Stil,
einschließlich einer großen Kirche. In der Mitte und auf der rechten Seite sehen wir den Hügel,
der sich über Cuzco erhebt. Auf dem Hügel können wir die verschiedenen Bauten des
Sacsayhuaman-Komplexes sehen. Man sieht sie nicht als eine einzelne Festung, sondern als
eine Komposition aus vielen verschiedenen Gebäuden. Jedes von ihnen ist mit einem
Buchstaben versehen, der in der Legende in dem Textfeld aufgeschlüsselt wird. Ein
halbkreisförmiger Komplex auf der linken Seite besteht aus drei Terrassen und auf der rechten
Seite be nden sich Mauern in einer Zickzack-Figur, ebenfalls in drei erhöhten Terrassen. Beide
Strukturen umgeben den Hügel. Diese zerstörten Überreste eines verlassenen Gebäudes
haben keinen Bezug mehr zum zeitgenössischen Leben in der darunterliegenden Stadt. Was
diesen zerstörten Mauern zusätzlich eine historische Identität und den Charakter antiker
Architektur verleiht, sind die abgebildeten menschlichen Figuren, die es im Stadtbild von
Cuzco nicht gibt. Über die Ruinen verteilt nden wir sechzehn Inkas, von denen zwei allein
dargestellt sind und der Rest in vier Gruppen aufgeteilt ist. Die Einzelnen jagen jeweils mit
Wurfgeräten auf Spitze einer dreifach gemauerten Terrasse und eine Gruppe von zwei
kindlich wirkenden Personen klettert auf einen Felsen. Die übrigen drei Gruppen, in deren
Mittelpunkt jeweils ein Herrscher steht, sind in voller Inka Tracht gekleidet und scheinen an
einer Prozession oder einem königlichen Spaziergang teilzunehmen. Eine Gruppe auf dem
Gipfel des Hügels scharrt sich um eine Herrscherin, die von einem Untergebenen mit einem
Baldachin bedeckt wird, während die beiden anderen Mitglieder der Gruppe sie bei der Jagd
zu unterhalten scheinen. Eine Dreiergruppe, die den Hügel hinabsteigt, scheint ein
Herrscherpaar zu sein, das von einem Musiker begleitet wird. Im unteren Teil des Hügels wird
ein anderes Paar von einem Baldachin-Träger und zwei Musikern begleitet, von denen einer
ein Blasinstrument und der andere ein Schlaginstrument spielt. In den Darstellungen dieser
beiden Herrscher tre en zwei der wichtigsten visuellen Tropen der frühneuzeitlichen
Vorstellungen von den Inka zusammen: die Darstellung der einheimischen Umhänge mit
Tocapu und Mäntel sowie die europäische, porträtähnliche Haltung der Figur mit dem Stab.
Es ist unmöglich, nicht eine Verbindung zwischen der männlichen Figur mit dem Stab und
dem Schild und zwei bereits erwähnten Figuren herzustellen: Urcon Inga und Atahualpa. In
der “Vista de la Fortaleza” sind anachronistische Inkas Bewohner einer Ruine. Sowohl die
Menschen als auch die architektonischen Strukturen werden gleichzeitig von einer anderen
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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die Erfindung neuer antiker Bauwerke – verso
Personengruppe beobachtet: Drei vollkommen modern gekleidete Männer mit Stiefeln, Hüten
und Mänteln, die sich im unteren mittleren Teil des Bildes be nden. Sie zeigen auf die
Ruinenstätte, betrachten sie von der Gegenwart aus als Emblem der Vergangenheit und
machen sie und ihre Inka-Bewohner dadurch zu Objekten archäologischer Studien. In der
Inschrift, die sich am unteren Rand der Zeichnung be ndet, wird Sacsayhuaman sogar
ausdrücklich als “antikes Monument” (monumento de la antigüedad) bezeichnet – eine
militärische Festung mit starken Mauern – sowie als ein Bauwerk, das durch die Zeit,
Stilllegung und Plünderung ruiniert wurde. Viele seiner größten Steine, so lesen wir, wurden
entfernt, um als Fundamente für neue Kirchen und Häuser zu dienen.
17
Sacsayhuaman und der Census: Die archäologische Seite der
Renaissance
Diese kunst- und geistesgeschichtliche Studie zeigt eine facettenreiche Rezeption der Antike,
die durch einzigartige Kontexte beein usst wurde. Ersetzt man den vitruvianischen Menschen
durch den Inka-König, eine idealisierte Figur der Frühen Neuzeit, verlagert sich die
Aufmerksamkeit auf präkolumbianische Strukturen in den Anden, insbesondere auf das
Sacsayhuaman-Bauwerk in Cuzco. Das Konzept einer Inkastadt mit Festung überschreitet den
Atlantik und wird in die Kompendien der globalen Städte aufgenommen. Der Inka-König
nimmt eine idealisierte Rolle ein und verleiht dem Wahrzeichen der Stadt Authentizität, indem
er eine königliche Essenz auf die umgebende Landschaft ausstrahlt: von Bauelementen bis
hin zu Überresten der Vergangenheit. Ich konzentriere mich auf die Verbindungen zwischen
europäischer Eroberung, Evangelisierung und archäologischen Diskursen und zeige, wie die
frühneuzeitliche Herangehensweise an die präkolumbianische materielle Kultur eine Reihe
von neuen Prinzipien, Figuren, Tropen und Mythen hervorbringt, die die Kunst und Literatur
des archäologischen Denkens bestimmen.
Der Bericht von Pero Sancho ist das früheste Zeugnis, das Sacsayhuaman als ein in der
Vergangenheit entstandenes Bauwerk und als eine Festung würdigt, die mit antiken
Bauwerken verglichen werden kann. In den Beschreibungen wird das Bauwerk mit berühmten
Bauwerken in der Lombardei und in Segovia verglichen und übertri t sogar die mächtigen
Festungen der Antike. Rom, das als Inbegri antiker Größe gilt, wird von Sacsayhuaman
herausgefordert und erregt noch mehr Bewunderung. Vor allem die Einbeziehung von
Herkules stellt die Antike auf den Kopf: Sacsayhuaman stellt die architektonischen
Wunderwerke, die mit dem legendären Helden in Verbindung gebracht werden, in den
Schatten. In der frühneuzeitlichen spanischen Beschäftigung mit Altertümern, in der die Taten
des Herkules und andere Wunder hochgeschätzt waren, setzt Sacsayhuaman einen neuen
Maßstab für architektonische Großartigkeit, indem es die Pracht der materiellen Kultur der Inka
und der präkolumbianischen Bauten vor Augen führt.
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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die Erfindung neuer antiker Bauwerke – verso
In der Illustration von Guamán Poma de Ayala mit dem Titel “El Noveno Capita[n] INGA
VRCON” verlagert sich der Schwerpunkt von der Festung selbst auf den Inka-Kriegsherrn und
einen mythologischen Felsbrocken, der im Mittelpunkt der Erzählung über den Bau der
Festung stand. Der Kriegsherr kommandiert die Arbeiter, die den Felsbrocken tragen, und
demonstriert damit seine königliche Autorität und sein Vermögen zu bauen. Der Felsbrocken
erlangt Handlungsfähigkeit, indem er sich weigert, sich zu bewegen, und blutige Tränen
vergießt. Ayalas Darstellung und Erzählung stellen die historische Relevanz dieses
übernatürlichen Ereignisses während des Baus der Festung in den Vordergrund und heben
damit einen grundlegenden Aspekt der präkolumbianischen Herangehensweise an die
materielle Kultur und die Auseinandersetzung der christlichen Missionare mit der indigenen
Wahrnehmung von Bauwerken hervor. Über die bloße Darstellung eines Bauwerks hinaus
setzt die mythische Erzählung die Führungsrolle des Inka-Kriegsherrn und den Trotz eines
übernatürlichen Steins in Szene.
Die Karte von Cuzco aus dem 18. Jahrhundert, “Vista de la Fortaleza”, bietet eine faszinierende
archäologische Darstellung einer antiken Epoche. Auf der linken Seite ist die moderne
spanische Stadt Cuzco mit Gebäuden im westlichen Stil, Plätzen und einer bedeutenden
Kirche ausgestellt. Der mittlere und der rechte Teil zeigen den Hügel, der Cuzco überragt, und
die verschiedenen Strukturen, die den Ruinenkomplex Sacsayhuaman bilden. Eine Reihe von
Inka-Figuren in unterschiedlichen Gewändern üben verschiedene Tätigkeiten aus, wie z. B.
Jagen und Musizieren, und festigen die Vorstellung von Sacsayhuaman als Rudiment aus der
Zeit eines alten Königtums. Es handelt sich nicht mehr um ein lebendiges Bauwerk oder eine
Landschaft mit mythischen Erzählungen, sondern um eine Ruine, die durch historische
Forschung erforscht und mit einem modernen Blick betrachtet werden kann.
Als Census x Hertziana-Stipendiat und zusammen mit Professor Kathleen Christian haben wir
versucht, Sacsayhuaman in die Census-Datenbank aufzunehmen. Die Übertragung der in
diesem Artikel präsentierten Informationen in die Datenbank dient dem Nachweis der
Komplexität der verschiedenen Rezeptionen der Antike. Sacsayhuaman ist nicht nur ein
Objekt, sondern eine architektonische Landschaft, die – wie in diesem Artikel gezeigt wurde –
von mehreren Ebenen der Interpretation und Darstellung durchzogen ist. Während die Daten
zu Standort und Materialität leicht zu übernehmen waren, stimmten die Chronologien der
Entstehung und Rezeption, die für die Renaissance geeignet waren, nicht mit den
Überlieferungen des antiken Amerikas überein. Die frühneuzeitlichen Interpreten betrachteten
Sacsayhuaman durch die Brille der Antike, nicht durch Ausgrabungen oder andere
archäologische Praktiken, sondern durch Assoziation und Assimilation. Im 18. Jahrhundert
konnte die in der Zeit des italienischen Quattrocento errichtete Anlage sogar als “antikes
Denkmal” bezeichnet werden. Eine solche Konzeptualisierung stellt eine Herausforderung für
die in der Census-Datenbank angelegten Kategorien dar, indem sie die Kohärenz und
Universalität der frühneuzeitlichen Konzepte von “Antike” und “antiken Monumenten” in Frage
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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die Erfindung neuer antiker Bauwerke – verso
stellt. Stattdessen muss man sich darauf konzentrieren, wie neue antike Gebäude durch
verschiedene antiquarische Praktiken erfunden wurden, wie es bei Sacsayhuaman der Fall ist.
Die traditionell angewandten Prinzipien bei der Untersuchung der Renaissance-Rezeption, wie
sie vor allem in der deutschen Altertumsforschung des 19. und 20. Jahrhunderts etabliert
wurden, passen nicht mit unseren Ergebnissen zusammen. Diese Grundsätze konzentrierten
sich auf die Identi zierung der von von Künstlern und Gelehrten der Renaissance
untersuchten antiken Werke, auf die Herstellung objektiv anerkannter Verbindungen zur
antiken Kunst und Architektur und auf die Nachverfolgung authentischer antiker Werke, die im
Europa der Renaissance bekannt waren. Die transatlantischen, mythologischen und
landschaftlichen Verbindungen, die wir untersucht haben, widersetzen sich jedoch diesen
Kategorisierungen. Sie erfordern neue Perspektiven für das Verständnis der Beziehungen, die
in der Frühen Neuzeit mit der vormodernen Vergangenheit geschmiedet wurden. Vielleicht
wird dieser Ansatz neue Untersuchungen und Ideen auslösen und das Studium der
europäischen Renaissance auf Phänomene ausdehnen, die von anderen intellektuellen
Geographien besser beleuchtet werden.
Übersetzung: Clara Sawatzki
Juan Carlos G Mantilla
Juan Carlos G Mantilla is assistant professor of world literatures at
California State University in Fresno.
More Posts
1. Michael J. Schre er: Cuzco: Incas, Spaniards, and the Making of a Colonial City, New Haven 2020. [↩]
2. Tod A. Marder: ‘Vitruvius and the Architectural Treatise in Early Modern Europe’, in: Companion to the History
of Architecture 2017, S. 1-31; Ingrid D. Rowland: ‘Vitruvius and his In uence’, in: A Companion to Roman
Architecture, 2013, S. 412-425; Peter N. Miller: ‘Major Trends in European Antiquarianism, Petrarch to Peiresc’,
in: The Oxford History of Historical Writing, 2012, S. 244; Indra Kagis McEwen: Vitruvius: Writing the Body of
Architecture, Cambridge, Massachusetts 2004; Alain Schnapp, Lothar von Falkenhausen, Peter N. Miller und
Tim Murray: World Antiquarianism: Comparative Perspectives, Los Angeles 2013. [↩]
3. Terence N. D’Altroy: The Incas, 2. Au age, Chichester 2015. [↩]
4. Carolyn Dean: A Culture of Stone: Inka Perspectives on Rock, Durham/London 2010; und ‘Creating a Ruin in
Colonial Cusco: Sacsahuamán and What was Made of it’, in: Andean Past, Bd. 5.1, Artikel 12, 1998; J. C. G.
Mantilla: ‘Tiahuanaco and Sacsayhuaman: Creating Early Modern World Histories through Pre-Columbian
Andean buildings’; Romana Radlwimmer (Hg.): Relating Continents. Coloniality and Global Encounters in
Romance Literary and Cultural History, Berlin 2023 (erscheint in Kürze), S. 225-249; Susan Verdi Webster:
‘Vantage Points: Andeans and Europeans in the Construction of Colonial Quito’, in: Colonial Latin American
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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die Erfindung neuer antiker Bauwerke – verso
Review, Bd. 20, Nr. 3, 201,1 S. 303-330; Susan Verdi Webster: ‘Materiales, modelos y mercado de la pintura en
Quito, 1550-1650’, in: Procesos. Revista ecuatoriana de historia, 2016, S. 37-64; Antonio Urquizar
Herrera: Admiration and Awe: Morisco Buildings and Identity Negotiations in Early Modern Spanish
Historiography, New York 2017. [↩]
5. Brian S. Bauer: Ancient Cuzco: Heartland of the Inca, Austin 2010; Krzysztof Makowski: Urbanismo andino:
centro ceremonial y ciudad en el Perú prehispánico, Lima 2016; Luis Arocena: La relación de Pero
Sancho, Buenos Aires 1986; Maarten Van de Guchte: ‘Sculpture and the Concept of the Double among the
Inca Kings’, in: RES: Anthropology and Aesthetics, Bd. 29, Nr.1, 1996, S. 256-268; ‘Sacsahuamán’
in: Encyclopedic Dictionary of Archaeology, Cham 2021. [↩]
6. Franklin Pease: ‘Pedro Sancho de la Hoz’, in: Guide to Documentary Sources for Andean Studies, 1530-1900,
hrsg. von Joanne Pillsbury, Norman 2008; Michael J. Schre er: ‘Inca Architecture from the Andes to the
Adriatic: Pedro Sancho’s Description of Cuzco’, in: Renaissance Quarterly, Bd. 67, Nr. 4, 2014, S. 1191-1223; Alan
Covey: Inca Apocalypse, Oxford 2020; Esperanza López Parada: ‘El mapa y el Imperio: la representación de la
ciudad de Cuzco’, in: Humanismo, mestizaje y escritura en los Comentarios reales, hrsg. von Carmen De
Mora, Madrid 2010, S. 169–190. In der englischen Übersetzung von Ramusios Text geht es nur um Pero
Sancho und die Inkas, völlig losgelöst vom italienischen Werk: Pero Sancho de la Hoz: An Account of the
Conquest of Peru, übersetzt von Phillip Ainsworth Means, New York 1917. [↩]
7. Sancho de la Hoz,1917, S. 156. [↩]
8. Sabine MacCormack: On the Wings of Time: Rome, the Incas, Spain and Peru, Princeton 2007; Pamina
Fernández Camacho: ‘What Identity for Hercules Gaditanus? The Role of the Gaditanian Hercules in the
Invention of National History in Late-Medieval and Early-Modern Spain’, in: The Exemplary Hercules from the
Renaissance to the Enlightenment and Beyond, Leiden 2020, S. 175-193; Francisco Javier und González
García: ‘The Legendary Traditions about the Tower of Hercules (A Coruña, Spain)’, in: Folklore, 2014,S. 306-321.
[ ↩]
9. Im 16. Jahrhundert stritten er und sein Halbbruder Huascar um die Stadt, die beide behaupteten, InkaHerrscher zu sein, d.h. capac oder sapa Inca, laut María Rostworowski: Historia del Tahuantinsuyu, Lima 2015.
Außerdem gibt es einige andere europäische Stiche von Cuzco, gefunden in Cieza de León (1553), Du Pinet
(1564) und Montanus (1671). [↩]
10. Rolena Adorno: Guamán Poma: Writing and Resistance in Colonial Peru, Austin 2000; siehe auch die
Einleitung von Franklin Pease, Felipe Guamán Poma de Ayala: Nueva corónica y buen gobierno, bd. 2, hrsg.
von Franklin Pease GY und Jan Szemiński, Mexico 1993; Gonzalo Lamana: ‘Conocimiento de Dios, razón
natural e historia local y universal en la” Nueva corónica y buen gobierno” de Guamán Poma de Ayala’, in:
Revista de Crítica Literaria Latinoamericana 2014, S. 103-116; Juan Ossio: En busca del orden perdido: La idea
de la Historia en Felipe Guamán Poma de Ayala, Lima 2014. [↩]
11. Guaman Poma, Nueva corónica y buen gobierno (1615), København, Det Kongelige Bibliotek, GKS 2232
4º, folio 160 [162] EL NOVENO CAPITÁN, Ynga Urcon. [↩]
12. Siehe dazu das Kapitel von Carolyn Dean in Arte Imperial Inca: sus orígenes y transformaciones desde la
Conquista a la Independencia, Ramón Mujica Pinilla (Hg.), Lima 2020; Inca Garcilaso de la Vega: Comentarios
Reales de los Incas, Lisbon 1609. Sowohl der Inka Garcilaso de la Vega als auch Martin de Murúa berichten in
ihren Werken auch über die Piedra Cansada. Über Lithik und Evangelisierung, siehe Laura León-Llerena, ‘Y
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Sacsayhuaman in der Frühen Neuzeit: Die Erfindung neuer antiker Bauwerke – verso
dice que adora piedras’: Guamán Poma de Ayala y la construcción discursiva de la materialidad de las
idolatrías indígenas’, in: Letras, Bd. 91, Nr. 133, 2020, S. 233-252. [↩]
13. Felipe Ayala: Nueva Corónica y Buen Gobierno. “El Onceno Inga” 114 (114). [↩]
14. Víctor Peralta Ruiz: ‘Las genealogías incas y su signi cado histórico y político entre los siglos XVIII y XIX’ in
Mujica Pinilla (Hg.) 2020. [↩]
15. Neben dem Llano Zapata wurde in dieser Zeit ein weiteres Bild von Sacsayhuaman von dem Deutschen
Thaddäus Haenke erscha en (1793). [↩]
16. Jorge Cañizares-Esguerra: How to Write the History of the New World: Histories, Epistemologies, and
Identities in the Eighteenth-century Atlantic World, California 2001; Daniela Bleichmar: Visible Empire:
Botanical Expeditions and Visual Culture in the Hispanic Enlightenment, Chicago/London 2012; Mark Thurner
und Jorge Cañizares-Esguerra (Hg.) The Invention of Humboldt: On the Geopolitics of Knowledge, New York
2022; Joanne Pillsbury und Lisa Trever: ‘The King, the Bishop, and the Creation of an American Antiquity’, in:
Ñawpa Pacha, Bd. 29, Nr. 1, 2008, S. 191-219; Rivasplata Varillas und Paula Ermila: ‘La arqueología precientí ca
en el Perú en el siglo XVIII’, in: Letras históricas, Bd. 13, 2015, S. 221-252; Charles F. Walker: The Tupac Amaru
Rebellion, Cambridge, Massachusetts/London 2014. [↩]
17. Die Inschrift ist im Census-Eintrag trasnkribiert. Zur visuellen Trope der Inka-Jagd, siehe José Cárdenas
Bunsen: ‘La legislación eclesiástica, el cabildo indígena del Hospital del Cuzco y la relación entre Murúa y
Guamán Poma’ in: Letras, Bd. 91, Nr. 133, 2020, S. 163-186;zu den Ursprüngen des visuellen Phänomens des
Inka-Wurfs, siehe Thomas B. F. Cummins: ‘The Indulgent Image: Prints in the New World’, in: Contested Visions
in the Spanish Colonial World, hrsg. von Ilona Katzew, Los Angeles 2011, S. 200–223. [↩]
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