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Harte Lyrik. Zur Psychologie und Rhetorik lakonischer Dichtung in Texten von Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze

Unser vollständiges Programm und viele weitere Informationen inden Sie auf: www.studienverlag.at ISBN 978-3-7065-4881-6 Laura Cheie Die Autorin Laura Cheie, Dr. phil., Studium der Rumänistik und Germanistik an der Universität Temeswar (Rumänien), Promotion im Jahre 2000 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Seit 1992 am Lehrstuhl für Germanistik der West-Universität Temeswar. Forschungsschwerpunkte: Kreative Psychologie des Symbolismus und Expressionismus in der deutschsprachigen und rumänischen Literatur; Rhetorik und Psychologie des Lakonismus in der Lyrik, insbesondere nach 1945. StudienVerlag Der Lakonismus hat in der deutschsprachigen Dichtung nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen lyrischen Ton durchgesetzt, der bis heute aktuell geblieben ist. Für einen großen Teil der Gegenwartslyrik ist er nicht nur eine Form der Abrechnung mit einer klanglich wie stilistisch überholten Sprache der Poesie, sondern auch Ausdruck einer neuen Gefühlskultur der Moderne. Ausgehend von der Begrifsgeschichte seit der Antike beleuchtet die Autorin in diesem Buch die Lakonik als eine Grundform der deutschsprachigen Literaturpraxis, die bis heute als eine „harte Lyrik“ mit komplexer Bedeutungsstruktur ebenso wie als Lyrik der Provokation und der psychologischen Selbstüberwindung fasziniert. Anhand exemplarischer Texte von Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze unterzieht sie den lyrischen Lakonismus einer eingehenden Analyse und fördert spannende und aufschlussreiche Erkenntnisse über diese Spielart der Dichtung und deren Psychologie zu Tage. Harte Lyrik Laura Cheie HARTE LYRIK Zur Psychologie und Rhetorik lakonischer Dichtung in Texten von Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze StudienVerlag Laura Cheie Harte Lyrik Laura Cheie Harte Lyrik Zur Psychologie und Rhetorik lakonischer Dichtung in Texten von Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze 3TUDIEN6ERLAG )NNSBRUCK 7IEN "OZEN © 2010 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A–6020 Innsbruck E-Mail: order@studienverlag.at Internet: www.studienverlag.at Die Drucklegung dieser Arbeit wurde durch die inanzielle Unterstützung … ermöglicht. Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder Satz: Studienverlag/Christian Sonnewend, www.madeinheaven.at Umschlag: Studienverlag/Vanessa Sonnewend, www.madeinheaven.at Umschlagbild: … Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Bibliograische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie; detaillierte bibliograische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrubar. ISBN: 978-3-7065-4881-6 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikroilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schritliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung 1. Lakonik – Versuch einer Begrifsbestimmung und geschichtlicher Überblick 1.1. Das rhetorisch-klassische Ideal der Kürze: brachylogie und brevitas 1.2. Sprachskeptische Prämissen einer neuen literarischen Rhetorik 1.3. Wege zum modernen lakonischen Gedicht in der Manifestliteratur und in der Kurzlyrik des Expressionismus 1.3.1. Lakonik als theoretische Wunschvorstellung 1.3.2. Spielarten expressionistischer Dichtungslakonik 1.4. Neue lakonische Sachlichkeit 1.5. Kahlschlag-Lakonik, „Chinoiserien“, „lakonische Moderne“ 9 11 15 16 40 47 47 53 61 66 2. Günter Eich – Harte Rhetorik der Inventur, „Deinition“ 79 und „Meditation“ 2.1. Lyrik der Bestandsaufnahme. Lakonische Deskriptionsexerzitien 2.2. „Akazien sind keine Akazien“. Sinn und Unsinn von „Deinitionen“ 2.3. Harte Naturlyrik. Die lakonische Ode an die Natur 79 101 118 3. „Es ist was es ist“. Erich Frieds Lakonik der Tautologie 129 4. Lakonische Gegenrhythmen und Gegenworte in der Lyrik Reiner Kunzes 147 5. Lakonische Zyklen 157 Abschließende Bemerkungen 179 Literaturverzeichnis 181 Danksagung Es hat zweimal so lange gedauert dieses Buch zu schreiben, als ich ursprünglich geplant hatte, im Gegensatz zur Annahme, dass sich Lakonik leichter meistern ließe, weil sie durch ihre facettenreiche Präsenz in der deutschsprachigen Lyrik dem Interpreten viel Spaß bereite. Sie bereitet zugleich viel interpretatorische Arbeit, die nicht immer den ot hohen Ansprüchen lakonischer Lyrik Genüge leisten kann. In dieser Beziehung habe ich insbesondere Univ.-Prof. Dr. Johann Holzner zu danken, der mir als sachkundiger Kritiker meines Buches mit Rat und Tat stets zur Seite gestanden und mich auf Fehler oder weitere mögliche Stoßrichtungen der Interpretation aufmerksam gemacht hat. Das Buch hatte von seinen ausgezeichneten Vorschlägen deutlich zu proitieren. Danken möchte ich ebenfalls meiner Schwester, Mag. Andreea Cheie-Berwanger, und meiner Wiener Kollegin, Mag. Dr. Anke Gladischefski, die die beträchtliche Mühe des Korrekturlesens mit ausgesprochener Gewissenhatigkeit auf sich genommen haben. Einen erheblichen Teil der von ihnen vorgeschlagenen Verbesserungen konnte ich aufnehmen. Alle restlichen Fehler sind voll und ganz mir zuzuschreiben. Für die fruchtbaren Gespräche mit meinen KollegInnen im In- und Ausland gelegentlich verschiedener Fachtagungen bin ich ebenfalls sehr dankbar. Sie haben wertvolle Impulse für das vorliegende Buch geliefert. Vorwort Der schillernde, im ersten Moment kryptisch wirkende, wenigstens zweideutige Titel verweist zugleich auf den Gegenstand und auch auf die kritische Betrachtungsweise dieser Studie: Harte Lyrik. Die lakonische Lyrik der Nachkriegszeit, deren Siegeszug in den späten sechziger Jahren einsetzte und bald beinah alle anderen Formen der Lyrik alt aussehen ließ, war in erster Linie Ausdruck der damals hoch im Kurs stehenden Rhetorik der Vernunt, eine Stimme des Protests gegen jegliches politische und literarische Geschwätz, nicht selten vorgetragen mit dem Anspruch, in diesen Zeitläuten allein noch relevant zu sein, aber auch verbunden mit dem Mut, den Erwartungshorizont des Publikums mit gewaltigen Hieben zu durchbrechen und dieses mit semantisch extrem dichten Konstellationen zum Nach-Denken, wenn nicht sogar zum Mit-Dichten herauszufordern. Günter Eich, Erich Fried, Reiner Kunze – sie sind nicht die einzigen, aber die herausragenden Repräsentanten dieser ot schon nahe am Schweigen angesiedelten, vielfach auf subversive Wirkung bedachten Poesie. Nach ihrem viel beachteten Buch über „Die Poetik des Obsessiven bei Georg Trakl und George Bacovia“ setzt sich Laura Cheie in dieser Arbeit über die „Harte Lyrik“ also mit dem Zeichenrepertoire jüngerer literarischer Formen auseinander, nach wie vor aber vorzugsweise mit Gedichten, die komplexe, manchmal desolate, immer jedenfalls verbesserungswürdige Phänomene im emotionalen wie im sozialen Bereich thematisieren. Es zeichnet auch dieses Buch aus, dass das auf den ersten Blick relativ enge Untersuchungsfeld in einen großen Rahmen eingespannt wird; die lakonische Dichtung wird historisch betrachtet von der Antike bis zur Gegenwart und topographisch überblickt von der japanischen bis zur amerikanischen Kurzdichtung und eben bis zu jener des deutschen Sprachraums. Was für letztere jedoch allein charakteristisch ist, hat schon Karl Krolow festgehalten: Die lakonische Sprache der deutschen Poesie ist das geradezu zwangsläuig zustande gekommene Resultat einer massiven Gegenbewegung gegen die noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit weit verbreitete und hoch dekorierte, aber längst nur mehr dekorative Gesinnungslyrik. Im betont nüchternen Stil lakonischer Dichtung verrät sich ot und ot eine radikal andere Wahrnehmung der Wirklichkeit als beispielsweise in den wortreichen Diskursen der Politik. In diesen Stil eingeschlossen ist, wie schon angedeutet, ein Autrag an das Publikum, selbst weiter zu denken. In ihren paradigmatischen Gedichtanalysen nimmt Laura Cheie Auträge dieser Art zum Anlass, die Psychologie und Rhetorik lakonischer Dichtung so scharf wie nur möglich auszuleuchten und den diversen Funktionen der verschiedenen ästhetischen Konstruktionen mit der denkbar größten Aufmerksamkeit nachzugehen: Hier erscheinen somit auch Gedichte in einem neuen Licht, die schon vielfach 9 besprochen und gewürdigt worden sind, wie Eichs „Inventur“, Frieds „Was es ist“ oder Kunzes „Kinderzeichnung“. Die luziden Interpretationen dieser Studie dokumentieren die Bedeutsamkeit ihres Ansatzes, die Relevanz der hier gewählten Fragestellung und nicht zuletzt, um es am Ende ganz schlicht zu sagen, fast lakonisch: die Brauchbarkeit der hier entfalteten literaturwissenschatlichen Methodik. Johann Holzner 10 Einleitung „Wort ist währung Je wahrer, desto härter“ (Reiner Kunze)1 In seinem Artikel, erschienen im Juli 2007, in der elektronischen Ausgabe des „Tagesspiegel“, stellt Andreas Schäfer Epiker und Lakoniker gegenüber und versucht dadurch nicht nur den „feinen Unterschied“ zwischen diesen Autortypen begreibar zu machen, sondern zugleich den Lakonismus im Epischen zu deinieren. „Der feine Unterschied“ zwischen Epiker und Lakoniker wird jedoch zu einem grundsätzlichen, denn: „Der Epiker entwirt eine Welt, der Lakoniker reagiert auf diese Welt. Aber nicht nur. Er erschüttert sie auch. Weil er den Blick ungerührt auf ihren blinden Fleck richtet.“ 2 Der Epiker wetteifere also in seinem Schafensdrang mit Gott, während der Lakoniker ein ungemütlicher, ja unheimlicher Reaktionskünstler sei. Ihre Wirkung auf den Leser oder Zuhörer ist ebenfalls unterschiedlich, meint weiter Andreas Schäfer: „Der Epiker reißt mit oder langweilt, vom Lakoniker aber ist man magisch angezogen – oder zutiefst abgestoßen. Denn natürlich hat der Lakoniker etwas Parasitäres an sich. Er wartet und lauert auf die Pointe, während der ofenherzige Epiker immer Gefahr läut, sich um Kopf und Kragen zu reden.“ 3 Der Epiker kann, laut Schäfer, höchst interessant sein oder auch nicht. Es ist aber der Lakoniker, der beim Leser oder Zuhörer hetigere emotionale Reaktionen auslöst und das, wie Schäfer nahelegt, auf Kosten der epischen Bemühungen seines Rivalen. Denn im Dialog mit einem Epiker verstehe es der Lakoniker das Reden und Erzählen auf den bedeutenden, zugespitzt formulierten Punkt zu bringen und sich so, eitel und demütig zugleich, dem Leser als faszinierend zu präsentieren. „Während der epische Erzähler von Homer über homas Mann bis, sagen wir, Alban Nikolai Herbst von der sprachlichen Erschafung eines ganzen Kosmos träumt und – vereinfacht gesagt – eigentlich gern Gott wäre, geht es dem 1 2 3 Reiner Kunze: Münze in allen Sprachen. In: Reiner Kunze: ein tag auf dieser erde. gedichte. Frankfurt am Main: S. Fischer 1998. S. 82. Andreas Schäfer: Der feine Unterschied. Episch oder lakonisch URL: www.tagesspiegel.de/kultur/Literatur-Rhetorik-Epik-Lakonie;art138,2346918?_FR Ebd. 11 Lakoniker von Beckett über Raymond Carver bis, sagen wir, Jon Fosse darum, das Geheimnis der Welt zu evozieren. […] Der Lakoniker will nicht Gott, sondern nur Medium sein. Das lakonische Schreiben, eine hohe Kunst, und führt zum allerhohlsten Pathos, wenn es misslingt“ 4 , schlussfolgert Schäfer. In diesem dramatisch inszenierten Vergleich werden eigentlich bestehende Vorstellungen von der Natur des Lakonismus und des Lakonikers bekrätigt, so schon die antike Aufassung von der lakonischen Rede als Antwort, also als Reaktion, als des Öteren pointierte oder nachdrückliche Gegen-Rede. Oder die Faszination vor dem lakonischen Redner, der seinem Zuhörer Wichtiges lediglich andeutet und so implizit seine tiefgreifende und denkanregende Weisheit demonstriert. Oder auch der rhetorische Seiltanz zwischen „Witz“ und Plattitüden, denn auch der Lakoniker läut Gefahr, die wenigen sinnvollen Worte nicht zu trefen und banal zu wirken. Was von Schäfer nicht erwähnt wurde und in dieser Arbeit, unter anderem, untersucht werden soll, ist, dass der Lakoniker in seiner stark verknappten Sprache nicht nur nach dem Versteckten, dem Geheimnis der Welt trachtet, um es auf rätselhate, ambivalente oder sogar paradoxe Weise zu übermitteln, sondern dass diese Sprache selbst eine kühle, hart wirkende Sprech-Maske sein kann, hinter welcher der Sprechende intensive problematische Gefühle zu verbergen und dadurch zu kontrollieren versucht. Die Kargheit der Lakonik zeugt schon bei den Spartanern von eiserner Disziplin, auch oder in erster Linie im Umgang mit den eigenen Gefühlen. Die spätere Neuzeit prägt sie als Sprachverhalten eines maß- und würdevollen, zivilisierten gesellschatlichen Autretens, zunächst bei Hofe, was auch das klassische Verständnis von Lakonik bestimmen wird. Auch verweist die kurze Rede auf eine sich wohlbedacht ausdrückende Autorität. Mitgetragen wird diese Aufassung über den wohlbedachten, aber noch immer gleichfalls wohlartikulierten Lakonismus der Rede auch vom 18. und 19. Jahrhundert. In der Literatur konfrontiert der Expressionismus hingegen seine Leser mit einer äußerst abrupten, dunklen, gestischen Lakonik, die zunächst pathetisch bis zynisch, doch zum Teil auch kryptisch verhalten klingt. Sie wird wegweisend für den Lakonismus nach 1945 wirken, wie teilweise die „neusachliche“ Knappheit als Ausdruck einer „Schamkultur“, die, mit Helmut Lethen gesprochen, das Individuum hinter die Maske einer kalten persona, also einer kühlen, vorsichtigen und auf Distanz bedachten Figur, schlüpfen lässt. Hier entpuppt sich die Lakonik der Rede als eine Strategie der afektiven Selbstüberwindung, wie später auch die Sprache der Kahlschlag-Lyrik Günter Eichs in einer ihrer Dimensionen ebenfalls gedeutet werden kann. Die lakonische Nachkriegslyrik der Bestandsaufnahme Günter Eichs signalisiert bereits jenen Wunsch nach Präzision und Komprimierung im Gedicht, der schließlich, vor allem in den 60er Jahren, zu den lapidaren und ambivalenten oder sogar paradoxen lyrischen „Deinitionen“ und zu einer Poetik der „Wörtlichkeit“ führen werden. In den 60er Jahren wird Lakonik geradezu zu einer stilistischen Matrix, einem, mit Hermann 4 12 Ebd. Korte gesprochen, lyrischen Sprachcode eines Paradigmenwechsels und einer Grundform, die sich überall in der deutschsprachigen Literaturpraxis durchsetzte5, auch in der Prosa. So stilisiert beispielsweise Wolf Wondratschek 1969 das lakonische Erzählen zum monotonen Sprachkorsett einer entfremdeten Beziehung in der Kurzprosa Aspirin. Die gleichförmige Parataxe, ein Ausdruck syntaktischer Lakonik, mit dem die Expressionisten intensiv gearbeitet hatten, führt hier das quasi mechanische, halb verlogene Sprechen über die Zweisamkeit mit besonderer Nachdrücklichkeit vor Augen. Am Ende verweist der abrupte Bruch der monotonen Struktur auf die bittere, nie ausdrücklich genannte Erkenntnis dieser „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“: Sie hat ein schönes Gesicht. Sie hat schöne Haare. Sie hat schöne Hände. Sie möchte schönere Beine haben. Sie machen Spaziergänge. Sie treten auf Holz. Sie liegt auf dem Rücken. Sie hört Radio. Sie zeigen auf Flugzeuge. Sie schweigen. Sie lachen. Sie lacht gern. Sie wohnen nicht in der Stadt. Sie wissen, wie tief ein See sein kann. Sie ist mager. Sie schreiben, dass sie sich lieben. Sie ändert manchmal ihre Frisur. Sie sprechen zwischen Vorilm und Hauptilm nicht miteinander. Sie streiten sich über Kleinigkeiten. Sie umarmen sich. Sie küssen sich. Sie leihen sich Schallplatten aus. Sie lassen sich fotograieren. Sie denkt an Rom. Sie muss im Freibad schwören, mehr zu essen. Sie schwitzen. Sie haben ofene Münder. Sie gehen ot in Abenteuerilme. Sie träumt ot davon. Sie stellt sich die Liebe vor. Sie probiert ihre erste Zigarette. Sie erzählen sich alles. Sie hat Mühe, vor der Haustür normal zu bleiben. Sie wäscht sich mit kaltem Wasser. Sie kaufen Seife. Sie haben Geburtstag. Sie riechen an Blumen. Sie wollen keine Geheimnisse voreinander haben. Sie trägt keine Strümpfe. Sie leiht sich eine Höhensonne. Sie gehen tanzen. Sie übertreiben. Sie spüren, dass sie übertreiben. Sie lieben Fotos. Sie sieht auf Fotos etwas älter aus. Sie sagt nicht, dass sie sich viele Kinder wünscht. Sie warten den ganzen Tag auf den Abend. Sie antworten gemeinsam. Sie fühlen sich wohl. Sie geben nach. Sie streit den Pullover über den Kopf. Sie öfnet den Rock. Sie kaut Tabletten. Zum Glück gibt es Tabletten.6 Die dominierende Parataxe meist einfacher Aussagesätze, die sequenziell eine trügerische, Kopfschmerzen bereitende Harmonie beschreiben, wirkt hart in ihrer 5 6 Hermann Korte: Deutschsprachige Lyrik seit 1945. In: Franz-Josef Holznagel u.a. (Hrsg.): Geschichte der deutschen Lyrik. Stuttgart 2004. S. 601. Wolf Wondratschek: Aspirin. In: Anneli Hartmann u. Robert Leroy (Hrsg.): Nirgend ein Ort. Deutschsprachige Kurzprosa seit 1968. München 1987. S. 54-55. 13 eintönigen Kargheit, als ob es der Syntax überlassen wird, durch eine streng vereinheitlichte, spartanische Form problematische Gefühle, die am Ende dann doch angedeutet werden, zu kontrollieren. Die Härte des lakonischen Ausdrucks irritiert, lässt allerdings den Leser auhorchen und über den unerwarteten, kommentarlosen Schluss des kurzen Textes nachdenklich werden. Die verkappte Botschat am Ende verweist schließlich auf den Titel, ein ot anzutrefender Gestus lakonischer Literatur. Immer öter signalisiert das lakonische Sprechen defekte Zustände, sei es im emotionalen oder im gesellschatlichen Bereich. Die mehr oder weniger durch Abruptheit des Tons markierte Härte der lakonischen Rede wird zum Maß dieses akut empfundenen Missstandes im Ich, in der Welt oder in der Beziehung des Ich zur Welt. In den späteren 80er und 90er Jahren bleibt der Lakonismus faszinierend als eine wortmächtige, ja sogar zynische Rede des Widerstandes gegen inhumane Weltordnungen oder als Ausdruck des neusachlichen „coolen“ Tons eines phlegmatischen Unbehagens angesichts eines quasi unüberschaubaren individuellen oder sozialen Daseins. Die vorliegende Arbeit stellt sich zur Aufgabe, rhetorische und psychologische Aspekte dieser vor allem nach 1945 so beliebten und noch immer sehr präsenten Grundform deutschsprachiger Lyrik anhand von beispielhaten Texten des (bundes-)deutschen Meisters der lakonischen Dichtung, Günter Eich, des (ehemaligen DDR-) Dichters Reiner Kunze, und des Österreichers Erich Fried näher zu untersuchen. Einleitend wird verschiedenen Aufassungen des Begrifs Lakonismus seit der griechisch-römischen Antike bis heute nachgegangen. Dabei sollen grundsätzliche Diferenzierungen, wie jene zwischen rhetorischem und literarischem Lakonismus, oder die Beziehungen lakonischer deutschsprachiger Lyrik zu unterschiedlichen Textsorten der prägnanten Kürze, wie z.B. zu Aphorismus, Epigramm, Fabel, Witz, Haiku usw. oder auch zu logischen und wissenschatlichen Strukturen, wie beispielsweise zu Deinition, Tautologie und Formel beleuchtet und erläutert werden. Neben rhetorisch-poetischen Gestaltungsformen des Lakonismus gehört es ebenfalls zu den Zielen der vorliegenden Arbeit anhand von exemplarischen Texten der erwähnten Autoren die Möglichkeit der Lakonik als stilistische Folge einer mehr oder weniger bewußten psychologischen Einstellung des Dichters, als Strategie der Disziplinierung der Afekte zu untersuchen. Sicherlich sind Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze nicht die einzigen lakonisch dichtenden Autoren der deutschsprachigen Nachkriegslyrik, wohl aber drei der repräsentativsten für den binnendeutschen und österreichischen literarischen Raum. Ihre kurzen Texte, vor allem ein beträchtlicher Teil ihrer Gedichte, gestalten in exemplarischer Weise das, was hier als „harte Lyrik“ bezeichnet und beschrieben werden soll. Die Analyse der „harten Lyrik“ bei den genannten Dichtern beschränkt sich in dieser Untersuchung auf eine Auswahl von paradigmatisch wirkenden Texten, bei denen es aufällt, dass insbesondere der lyrische Lakonismus nicht nur eine Form der Abrechnung mit einer klanglich wie auch stilistisch überholten Sprache der Poesie dargestellt, wie von manchen der Autoren und Befürworter dieser Art von Dichtung explizit erwünscht, sondern sich auch zum entsprechenden Ausdruck einer neuen Gefühlskultur der Moderne, die von der Stringenz sachlicher Rationalität und disziplinierter Afekte quasi mythisch geprägt ist, entwickelt hat. 14 1. Lakonismus – Versuch einer Begrifsbestimmung und geschichtlicher Überblick Bereits bei einer schnellen Suche nach der Präsenz des Begrifs Lakonismus in dem weltweit bekanntesten System der Vernetzung von Textsorten, dem Internet, kommt in den etwa 4.000 Eintragungen eine Vielfalt von Deinitionen und Assoziationen zu diesem Begrif zum Ausdruck, der durch seine gesteigerte Verwendung nicht mehr lediglich eine Form der Rede benennt, sondern, implizit, eine Haltung gegenüber dem Gesagten oder, die Grenze des Verbalen und Schritlichen überschreitend, sich auf Bilder in Kunst und Film beziehen kann. Die ursprüngliche und daher noch immer prägnanteste Grundassoziation bleibt jedoch jene mit der Rede. Doch auch als Form der Rede erweist sich der Lakonismus als äußerst facettenreich. Zunächst wird der Begrif Lakonismus (oder auch Lakonik) mit Kürze, Präzision, Prägnanz oder sogar Schärfe des Gesagten assoziiert. Aber auch mit Nüchternheit, Sachlichkeit, Authentizität, Objektivität, Einfachheit bis hin zur Trockenheit des lakonischen Tons. Die Verhaltenheit der lakonischen Rede lässt manche auf eine gewisse Haltung des Redners schließen, nämlich auf weise, elegante oder einfach phlegmatische Gelassenheit, Contenance, Distanz oder sogar Kälte und Härte. Die scheinbare Ausgeglichenheit des Lakonikers kann aber ein provozierendes und in extremis aggressives Potential bergen, das diese scheinbar spröde und gefühlskalte Form des Ausdrucks in eine äußerst emotionale umzuwandeln vermag. So gehören für viele die Dynamik, die Schlagfertigkeit, die Pointe, der Humor, die Ironie oder auch der Sarkasmus zu den Tugenden der knappen Rede - für andere wieder ihre Dunkelheit, semantische Dichte, ihre Hermetik. Und damit sind noch nicht alle Assoziationsmöglichkeiten, die das Wort Lakonismus in seiner jahrhundertealten Existenz hervorgebracht hat, erschöpt. Die Vorstellung von der kurzen und dichten Rede scheint sich seit der Antike einer konstanten Beliebtheit erfreut zu haben. Bis auf den heutigen Tag wird sprachliche Kürze im alltäglichen Gebrauch von dem antiken rhetorischen Verständnis der brevitas entscheidend geprägt und gilt somit als eine eiziente Form der Rede, wenn pragmatisch eingesetzt. Aus heutiger Sicht beschreibt Andreas Gardt diese pragmatische Kürze als einen in drei grundlegenden Dimensionen verwirklichten Lakonismus: - sprachstrukturell, d.h. als eine durch Ellipsen, asyndetische Reihungen, kurze Sätze u.ä. reduzierte Rede 15 - kognitiv, als eine genaue, deutliche und wesentliche Art der Erfassung von Wirklichkeit - kommunikativ, als eine klare, bündige und konzise Vermittlungsform des Erfassten7 Die eigentliche Rechtfertigung dieser pragmatischen Kürze ist, im Grunde, so Gardt, dieselbe bei den antiken Autoren der Redekunst, wie bei den heutigen Verfassern von Ratgebern der angewandten Rhetorik und Stilistik: der „Wunsch hinter der sprachlichen Darstellung die beschriebene Welt und das kommunikative Gegenüber zuverlässig erkennen zu können“ 8, d.h. ohne sich durch unnötigen, substanzlosen Sprachschmuck irreführen zu lassen. Lakonismus steht demnach im Dienste der Klarheit, Verständlichkeit und praktischen Vernunt. Einen anderen Weg geht jedoch die auf Expressivität und ofene Semantik bedachte literarische Lakonik der Moderne. Das sprachliche „rapide Bild“ (Iwan Goll9) der lakonischen Literatur setzt auf Verfremdung, semantische Spannung, subversive Energie der Form. Die auch hier erstrebten Ziele der Präzision und Wesentlichkeit scheuen sich nicht mit Sinn und Unsinn zu arbeiten. Der expressive literarische Lakonismus kann in einer vermeintlich direkten, eindeutigen Kürze zugleich bestechen und verwirren, problematische Zustände spiegeln und verdecken. Im Unterschied zum rhetorisch-pragmatischen Lakonismus ist der literarisch-expressive polyvalent und afektiv besetzt. Denn der expressive Lakonismus vermittelt nicht nur Konzentrate unterkühlter Rationalität, sondern auch eine mehr oder weniger ofensichtliche Intensität der Gefühle. Im Folgenden wollen wir auf einige u. E. einschlägige Etappen in der Entwicklung der Bedeutung und Relevanz dieses rhetorischen Begrifes eingehen, um poetische Vorstellungen von Lakonik als einem dominanten modernen lyrischen Sprachstil und als Sprachverhalten im komplexen und auch spannungsreichen Umfeld der Tradition besser begreibar zu machen. 1.1. Das rhetorisch-klassische Ideal der Kürze: brachylogie und brevitas Die dichte Kürze der Rede ist bereits ein antikes Ideal. Am konsequentesten geplegt wurde diese, allerdings als eine Art Züchtigung durch Sprache, von den Bewohnern Lakoniens, des Gebietes im Südosten des Peloponnes mit der Hauptstadt Sparta. Die Sprache der Lakedaimonier oder Spartaner, die durch ihre militärische Lebensordnung berühmt wurden, sollte eine ebenfalls streng disziplinierte, extrem kurze, verdichtete aber zugleich schlagfertige sein, eine Kommandosprache, pragmatisch auf das sachlich 7 8 9 16 Andreas Gardt: Kürze in Rhetorik und Stilistik. In: Jochen A. Bär, horsten Roelcke, Anja Steinhauer (Hg.): Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. Berlin/New York 2007. S. 71. Ebd. S. 85. Yvan Goll: Hai-Kai. In: Anton Kaes (Hrsg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933. Stuttgart 1983. Dok. 151. S. 440. Notwendige beschränkt. In ihrer sentenzartigen Konzentration wirkte diese Art der Rede weise und zuweilen paradox, wie auch die bekannten Wahrsagungen des Orakels zu Delphi, ohne welche die Spartaner keine politischen Entscheidungen trafen. Für die Spartaner selbst soll diese Sprechweise keine Kunst, sondern eher eine aus der Not entstandene Tugend gewesen sein. Harte, kategorische und sinnreiche Wortkargheit setzten Lakedaimonier, wie man glaubt, dem Redeluss anderer Griechen entgegen, mit dem sie es nur auf diese Art aufnehmen konnten10. Die anderen hingegen betrachteten die kurze Rede der Spartaner so sehr als deren Wesenszug, dass man sogar angenommen hatte, sie sei ihnen angeboren11. Viel später wird die Dimension der Lakonik als Anti-Rhetorik oder auch als sprachliche Ofensive gegen wortreiches und sinnstarres Denken, wie auch gegen ängstliches Verschweigen von Untaten in der Literatur des 20. Jahrhunderts neu und erfolgreich belebt. Zunächst hatte aber die Lakonik bei den Lakedaimoniern eine wichtige lebenspraktische Funktion, sei es als Befehlssprache des Alltags oder als esoterische Aussageweise des Orakels. Von den anderen wurde der Lakonismus der Spartaner bereits in der Antike zwiespältig rezipiert: getadelt als Ausdruck einer undemokratischen Gesellschat, die keine Debatten duldete, und wegen seiner manchmal undurchdringlichen Dunkelheit, doch vornehmlich gelobt als eine trefsichere und würdevolle Ausdrucksweise12. Die Griechen schätzten die brachylogie der Lakedaimonier, wie Platon die kurze Rede Spartas nannte, wegen ihrer intelligenten, substanzvollen Sprachökonomie und der dadurch gewonnenen Prägnanz. Sie fanden, dass sich dieser des Öteren elliptisch-asyndetisch konstruierte Befehlsstil auch für die würdevollsten philosophischen Kleingattungen, wie Sentenzen, Apophthegmata und Gnomen eignete. Also dort, wo etwas mit Nachdruck zur Hervorhebung von dessen Wichtigkeit gesagt und gelehrt wird. Lakonik als „nachdrücklicher Stil“ 13 eignete sich zur philosophischen, didaktischen aber auch zur anekdotischen Pointierung. Ein Paradebeispiel diesbezüglich überlieferte Plutarch in der folgenden Anekdote: „König Philip von Makedonien (um 382-336) schrieb den Lazedämoniern (= Spartaner) nach der Schlacht bei Chaironeia: ,Soll ich, wenn ich Euer Land betrete, als Freund oder Feind kommen?‘ Die kurze Antwort lautete: ,Gar nicht.‘ Darauhin teilte er den Lazedämoniern erzürnt mit: ,Wenn ich in Euer Gebiet eingerückt bin, jage ich euch alle zum Land hinaus.‘ Die Spartaner schreiben nur das eine Wort zurück: ,Wenn‘.“ 14 10 Jakob Burckhardt: „Als man fühlte, dass gegenüber dem Redeluß anderer Griechen doch nicht mehr aufzukommen wäre, legte sich Sparta absichtlich auf die Kürze, vielleicht nicht ohne Ahnung, wohin es andere Poleis mit lauter Rhetorik und Wohlredenheit bringen würden.“, Apud Horst Rüdiger: Pura et illustris brevitas. Über Kürze als Stilideal. In: Gerhard Funke (Hrsg.): Konkrete Vernunt. Festschrit für Erich Rothacker. Bonn 1958. S. 346. 11 Pseudo-Demetrios. Apud R. Bees: Lakonismus. In: Gert Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 5: L-Musi. Tübingen 2001. S. 18. Im folgenden HWR zitiert. 12 R. Bees 2001. S. 17. 13 Pseudo-Demetrius. Apud R. Bees 2001. S. 18. 14 Apud Ralph Müller: heorie der Pointe. Paderborn 2003. S. 145. 17 Auch dieser kritisch-komische Stilefekt des Lakonismus sollte in der dichterischen Praxis des 20. Jahrhunderts derart bestechlich werden, dass er spielerisch bis zur Manier getrieben wurde. Das ist allerdings nicht befremdlich in einer Dichtung, die zunehmend oder gänzlich auf die klassische Regulierung des Sagens durch Metrik und Reim verzichtet und Expressivität immer mehr in einer Sprachgestik sucht, die den Text durch sinnvolle Zäsuren und Fragmentierungen der Rede, wie auch durch neue Akzentsetzungen organisiert. „Gestisches Sagen“ im Sinne Brechts proitiert, wie weiter unten gezeigt werden soll, vom Nachdruck lakonischer Pointierung, um Lesern oder Hörern selbst mit einem Wort einen bleibenden Eindruck zu vermitteln. Denn Lakonik, wussten schon die alten Griechen, setzt auf wenige, jedoch genau gewählte Wörter. Diesbezüglich verglich Platon die Kunst des „Lakonisierens“ mit jener eines unfehlbaren Bogenschützen. Platon lässt Sokrates Protagoras folgendermaßen über die rhetorische Qualität der spartanischen Sprache belehren: „Wenn sich jemand auch mit dem schlechtesten Lakedaimonier einlässt, er wird inden, dass dieser sich lange Zeit in seinen Reden ganz schlecht zeigt, hernach aber, wo es sich trit im Gespräch, schießt er auf ihn ein tüchtiges, ganz kurzes und zusammengedrängtes Wort, wie ein gewaltiger Bogenschütze, so dass, wer mit ihm spricht, nicht besser als ein Kind gegen ihn erscheint. Eben dieses nun haben sowohl von den Neueren einige eingesehen als auch von den Alten, dass das Lakonisieren weit mehr in der Liebe zur Weisheit besteht als in der Liebe zu den Leibesübungen, wohl wissend, dass solche Sprüche reden zu können nur dem vollkommen Unterrichteten gegeben ist.“ 15 Wohlüberlegte Kürze oder brachylogie erklärt somit Platon alias Sokrates als besonders wortmächtig, weise und genau, passend für trefende Bemerkungen in philosophischen Gesprächen, sinnreich und ursprünglich – die Muttersprache der Philosophie schlechthin. In demselben Dialog mit Protagoras erzählt er von einem Trefen weiser Männer, unter welchen sich auch der Lakedaimonier Chilon befand, und setzt praktisch Lakonik mit der Ursprache der Philosophie gleich, was weniger einer sprachgeschichtlichen Wahrheit, als einer afektiven Einstellung entspricht, die jene Hochachtung beweist, der sich die lakonische Sprache bei den alten Griechen erfreute: „Alle diese waren Nacheiferer, Verehrer und Lehrlinge der Lakedaimonischen Künste. Denn jeder kann ihre Weisheit wissen, dass sie von dieser Art ist, kurze denkwürdige Sprüche, die ein jeder geredet hat. Diese haben auch gemeinschatlich Musterstücke ihrer Weisheit dem Apollon und seinem 15 Platon: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Ernesto Grassi unter Mitarbeit von Wolfgang von Einsiedel. Bd. 1. Hamburg 1957. S. 80. 18 Delphischen Tempel gewidmet, darauf schreibend, was in aller Munde ist, das ‚Kenne dich selbst‘ und ‚Nichts zu viel‘. Weshalb sage ich nun dieses. Weil das die Weise der Alten war in der Philosophie, solche lakonische Kurzrednerei.“ 16 Die Ansicht, dass die Lakonik eine „(Rede-)Weise der Alten“ und damit (auch) Reiferen sei, ist bereits bei Homer in einer Bemerkung über den Spartaner Menelaos indirekt bezeugt. Hier wundert sich der Dichter über die ungewöhnliche Krat der knappen Rede bei einem immerhin jungen Manne: „Siehe, da sprach Menelaos nur liegende Worte voll Inhalts, / wenige, doch eindringender Krat; denn er liebte nicht Wortschwall, / nicht abschweifende Rede, wiewohl noch jüngeres Alters“ 17. Explizit wird die Annahme, dass eine verhaltenere, knappe Sprache eher zu den Älteren als zu den Jüngeren passe, auch von dem römischen Rhetoriklehrer Marcus Fabius Quintilianus geteilt. In seinem Werk, Ausbildung eines Redners, lehrt Quintilian: „Auch der Ton der Beredsamkeit selbst geziemt sich je nach der Person in verschiedener Art: denn für die Alten dürte ein voller, gehobener, kühner und reich geschmückter Stil nicht so schicklich sein wie ein knapper, milder, gefeilter und dem entsprechenden Stil, was Cicero meint wenn er sagt, seine Rede habe begonnen‚ ‚zu ergrauen‘ […] Bei jüngeren Leuten nimmt man auch etwas zu Wortreiches und schon fast Gewagtes hin. Dagegen macht sich bei eben diesen der Vorsatz, dürr, ängstlich und gerat zu reden, meistens durch die gesuchte strenge Würde abstoßend, da ja auch der dem Alter eigene Geltungsanspruch der Lebensgrundsätze bei jungen Leuten als unzeitig gilt.“ 18 Diese Empfehlung zu einer altersbedingten Lakonik des Sagens gilt jedoch kaum mehr seitdem, spätestens im Mittelalter, der Lakonismus zu einer virtus dicendi überhaupt wird, sei es im schritlichen oder mündlichen, öfentlichen oder privaten, alltäglichen oder fachspeziischen Diskurs. Es gehörte schließlich allgemein zum guten Ton und zu einer ernst zu nehmenden Reife, konzise sprechen zu können. Doch wenn auch nicht mehr auf ein gewisses Alter beschränkt, so assoziierte man trotzdem auch weiterhin das herbe und konzentrierte Sprechen mit einem eher erfahrenen, zu dem man sich allmählich zu entwickeln hatte. Einen Beweis dafür liefert noch das Gesamtwerk einiger Autoren der Moderne, die erst in der Spätphase ihrer 16 Ebd. S. 80. 17 Apud Bees 2001. S. 18 18 Marcus Fabius Quintilianus : Institutionis oratorie. Libri XII – Ausbildung eines Redners. Zwölf Bücher. Hrsg. u. übersetzt v. Helmut Rahn. Zweiter Teil: Buch VII–XII. Darmstadt 31995. S. 559. Quintilian ist in dieser Aufassung, wie er selbst bekennt, von Cicero beeinlusst, der der Meinung war, dass junge Leute nicht lakonisch, also zu schnell reif zu werden brauchten, ihnen ginge so die ganze Substanz aus: „Bei jungen Leuten muss allezeit etwas Überlüssiges sein, wovon man etwas abzunehmen inde: denn dasjenige, was gar zu schnell zur Reife gelanget ist, kann nicht lange Sat behalten. Von Weinstöcken sind die gar zu jungen Schößlinge eher abgeschnitten, als neue Reben gezogen, wenn der Stamm nichts tauget.“ Apud Rüdiger 1958. S. 368. 19 Dichtung konsequent lakonisch schreiben, deren Sprache also, mit Cicero gesprochen, „zu ergrauen“ beginnt, wie auch bei dem hier eingehender untersuchten Günter Eich. Lakonik, glaubten schon die alten Griechen, gewinnt außerdem eine besondere Stärke durch ihre Nähe zum Schweigen. So spricht Plutarch, ein deklarierter Gegner der Geschwätzigkeit und Anhänger der „Apophthegmata Laconica“ (Sprüche der Spartaner), von der lakonischen Kürze als höchster Tugend einer durch Schweigen gestärkten Sprache: „Vergessen dürfen wir nicht, dass Männer, die rund und kurz zu reden wissen, deren kluge Gedanken in wenige Worte zusammengedrängt sind, mehr geliebt, bewundert und für klüger gehalten werden als zungenfertige Plapperer. Auch Platon weiß sie zu rühmen, wenn er sie wegen ihrer knappen, gedrängten und gedankenreichen Sprache mit geschickten Schützen vergleicht. Auch Lykurgos zwang seine Bürger zur Schweigsamkeit und erzog sie von früher Jugend an zu der Fähigkeit zu solcher gedrängten Kürze. Denn wie die Keltiberer das Eisen dadurch zu Stahl härten, dass sie es vergraben und ihm so das Überschüssige und Erdhate entziehen, so hat auch die Sprache der Spartaner sozusagen keine Rinde; sie ist zu ihrer Bedeutungsfülle durch die Entfernung alles Überlüssigen gehärtet und gestählt. Denn gewiss verdanken sie die spruchartige Kürze ihrer Sprache und dazu die Schärfe und Wendigkeit ihrer Antworten nur ihrem vielen Schweigen.“ 19 Lakonismus war gleichbedeutend mit der prägnanten Kürze der Rede, die vielsagend gerade durch ihre Nähe zum Schweigen und weise durch ihre Konzentration auf das Wichtigste sei. Dieses qualitative Verständnis von Kürze sollte eine Konstante im Deinieren des Lakonismus werden, obwohl in der schritstellerischen Praxis ot vielmehr die Kürze als deren theoretisch mitgedachte Prägnanz verwirklicht wurde. Plutarchs Vergleich der lakonischen Sprache mit einer stählernen bringt außerdem in bildhater Form einen ot aukommenden, mal getadelten, mal gelobten Eindruck von Lakonik, genauer jenen vom besonderen Härtegrad dieses gedrängten Sagens zum Ausdruck. Zwiespältig sollte die Härte des Lakonismus bis in die Gegenwart hinein rezipiert werden, insbesondere in der literarischen Praxis, denn die lapidare, wie in Stein geschlagene kurze Rede kann zwar sehr kratvoll, allerdings auch irritierend trocken, unpoetisch im üblichen Sinne, platt oder manieristisch wirken. Horst Rüdiger verweist auf derartige Entwicklungen der Lakonik und ihre mögliche Motivation schon in der griechisch-römischen Spätzeit: „Natürlich drohen dem Ausdrucksideal der griechisch-römischen Spätzeit auch Gefahren. Kürze kann in trockene Härte oder in geschmäcklerisch-dunklen Manierismus umschlagen: hier wie dort durch überspannte Ansprüche an 19 Plutarch: Von der Geschwätzigkeit. In: Plutarch: Von der Heiterkeit der Seele. Hrsg. und aus dem Altgriechischen übertragen von Wilhelm Ax. Zürich 2000. S. 160-161. 20 das Wort aus Verachtung der massenwirksamen Breite. So gleitet das Ideal in eine Karikatur seiner selbst ab: Die gesuchte Kürze scheitert an hausbackener Plattheit; die erstrebte Grazie geht im Preziösen unter und streit das Ridiküle.“ 20 Bei den Römern genoss die unter dem Namen brevitas bekannte brachylogie ebenfalls eine verbreitete Beliebtheit, sofern die Kürze der Rede nicht auf Kosten ihrer Klarheit verwirklicht wurde. Das zumal schon die lateinische Sprache an sich, glaubt die Forschung, die stark verkürzende Aussage begünstigt, mit der auch ein Allheilmittel gegen spätere barocke Überladenheit entdeckt sein soll21. Die römische Rhetorik, als eine ganz und gar pragmatische Disziplin, die auf eine eiziente Umsetzung der kommunikativen Absichten bedacht war, konnte Kürze in der Rede nur in Verbindung mit Verständlichkeit zulassen22. Brevitas, wie auch die brachylogie, verstand man in der römischen Rhetorik als eine Figur der planvollen, beabsichtigten Worteinsparung, die allerdings nicht übertrieben eingesetzt werden sollte, um nicht zum vitium der obscuritas, also zur Verdunkelung der Rede zu führen. Zur dritten Stiltugend der virtutes narrationis, neben Klarheit und Wahrscheinlichkeit und zur fünten Stiltugend der vier traditionellen virtutes elocutionis, neben Sprachrichtigkeit, Klarheit, Schmuck und Angemessenheit, konnte die Kürze der römischen Ansicht nach werden, weil sie es dem begabten Redner ermöglichte, nicht einfach das Notwendigste zu formulieren, sondern vor allem durch wenige Worte mehr zu sagen. Dazu meinte Quintilian: „Und zu Recht verdient die Kürze Lob, wenn sie unverstümmelt ist. Aber was sie leistet, ist geringer zu bewerten, wenn sie nur das Nötigste sagt – das heißt βραχυλογία (Kürze) und wird unter den Figuren gebracht werden -, sie ist vielmehr dann am schönsten, wenn wir noch vieles mehr in wenigen Worten zusammenfassen, wie es bei Sallust geschieht […] Schlechte Nachahmung solcher Kürze hat Dunkelheit zur Folge.“ 23 Die Beschränkung auf das Nötigste identiiziert der römische Rhetoriklehrer mit der brachylogie, einer einfacheren Kürze also, die sich wahrscheinlich auch aus lebenspraktischen Bedingungen ergibt24. Zur sinnvollen brevitas wird ein Ausdruck lediglich, wenn in wenigen Worten eine Fülle von Gedanken vermittelt wird, wenn also die ausgewählten Worte semantisch besonders konzentriert sind. Heutige Autoren poetischer Forschungsarbeiten plichten dem bei, wenn sie den Lakonismus zu 20 21 22 23 24 Rüdiger 1958. S. 352. Ebd. Vgl. Gardt 2007. S. 72. Quintilian 1995. S. 185. Sie könnte z.B. die Kürze eiliger Rede sein, die laut Quintilian abrupt und kunstlos nicht im Gedächtnis des Lesers oder Hörers haten bleibt. Vgl. E. Hagenbichler: Brachylogie. In: HWR. Bd.2: Bie-Eul. 1994. S. 51. 21 beschreiben versuchen. So zeigt Ralph Müller in einer 2003 erschienenen Untersuchung zur „heorie der Pointe“, dass der Lakonismus „in einem hohen Grade relexionsbedürtig zu sein (scheint). Und dies nicht nur, weil der Text wichtige Informationen verschweigt, sondern auch weil die Aussagen viel mehr mitteilen, als in einem Kurztext überhaupt stehen könnte. Die Konzision hat eine neue Qualität: Sie ist zusätzlich kondensiert.“ 25 Als eine konzise und daher auch mustergültige Lakonik galt zur Zeit Quintilians die brevitas Sallustiana, die kurze Rede von Sallust, die brevitas mit gravitas, Knappheit mit der Prägnanz des Wortes vereinte. Typisch für Sallusts Schreiben und somit für den von ihm durchgesetzten Lakonismus waren die verkürzten Sätze, unerwartet autauchende Wörter, Asyndeton und Ellipse (Weglassen leicht verständlicher Wörter). Sein abgehackter Stil, die Neigung zur Parataxe vermittelten ebenfalls den Eindruck von Geschwindigkeit (velocitas)26. Kürze im Ausdruck kann demnach nicht nur eine semantische Intensität, sondern auch Schnelligkeit des Sagens, also Energie der Form erzeugen. Auf einen ähnlich krätigen Lakonismus der Parataxe werden später die Expressionisten zurückgreifen, mit dem deklarierten Ziel, die Vitalität der literarischen Sprache zu retten und die Dichtung dem Rhythmus ihrer schnelllebigen Zeit anzupassen. Brevitas hatte bereits in der Antike eine Funktion, die sich auch später bewähren sollte, und zwar jene eines Reaktionsideals gegen das Weitschweiig-Schwülstige, ersichtlich z.B. in der Plege des Epigramms, dessen sich Sophistik und Rhetorik bald bemächtigten, oder auch in der Gerichtsrede: „hier tritt sie als neues Ideal gegen die Unwirksamkeit ermüdender Zweckund Prunkreden auf. Isokrates empiehlt sie für die Darlegung des zu verhandelnden Falles (narratio) in der Gerichtsrede. […] Man soll die Zuhörer durch knappe Formulierung in Spannung halten, um desto besser auf sie einwirken zu können“, erläutert Horst Rüdiger.27 Brevitas sollte außerdem allgemein zur Belehrung und gegen Langeweile als ein eizienteres Sprechen eingesetzt werden. Gegen die Langeweile (fastidium) beim Leser oder Zuhörer wurde die Kürze auch im Mittelalter, in Anlehnung an die Antike, empfohlen. Sei es in Predigten, beim Verfassen von Briefen oder beim Schreiben von Gedichten, wurde der Redner oder Schreiber dazu angehalten, es kurz zu machen und mit wenigen Worten viel zu sagen. Brevitas-Formeln werden in dieser Zeit aber ot aus oberlächlicheren Gründen verwendet, „um zu zeigen, dass der betrefende Autor in den rhetorischen Vorschriten 25 Müller 2003. S. 146. 26 C. Kallendorf/L.G.: Brevitas. In: HWR. Bd. 2. Tübingen 1994. S. 55. 27 Rüdiger 1958. S. 348. 22 bewandert ist – oder auch als Vorwand für die Beendigung eines Gedichts“, so Ernst Robert Curtius28. Curtius kritisiert außerdem das Begründen der allgemeinen Auffassung von brevitas in den Poetiken des Mittelalters auf Missverständnissen antiker Empfehlungen. So zum Beispiel wurde die antike Mahnung zur Knappheit in der Darlegung eines Tatbestandes vor Gericht, wie von Isokrates gefordert, „sinnwidrig erweitert zu einer virtus dicendi überhaupt“ 29. Curtius’ Kritik an der semantischen Extension des Begrifs Kürze der Rede legt allerdings zu viel Gewicht auf die Konstanz der Bedeutung und das in einem Fall, in dem es eigentlich zu erwarten ist, dass der inlationäre Gebrauch eine Dynamik des Sinns hervorrut. Andererseits identiiziert Curtius in dieser Zeit in Matthaeus von Vendôme den ersten Autor einer Poetik, der „Kürze als modernes Stilideal gegenüber den Alten hervorhebt. Er ist der erste heoretiker, der bewusst ,modern‘ sein will. […] Er ist ein modernus und indet, die Alten hätten ihre poetischen Erzählungen mit einem Übermaß an Vergleichen, rhetorischen Figuren, Abschweifungen belastet.“ 30 Auf mittelalterliche heorien und Anwendungsformen der brevitas baute auch der Humanist Erasmus von Rotterdam31. Allerdings erwerben die Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts, dank der starken Aufwertung der römisch-griechischen Antike zur Zeit der Renaissance, ein präziseres Wissen über die antike Rhetorik. Plutarchs Werke erfreuten sich einer großen Beliebtheit, seine Apophthegmata wurden mehrfach ins Lateinische übersetzt32. Von Erasmus von Rotterdam wird Plutarch besonders gelobt und zur Erziehung der Fürsten, neben biblischen Texten und Salomons Sprüchen, empfohlen: „Wenn einer von meinem Rat Gebrauch machen will, lasse er den überlieferten Kanon der Rhetorik auf sich beruhen und wende sich den Sprüchen Salomonis, dem Ecclesiasticus und dem Buch der Weisheit zu […] Bald darauf sollte man zu den Evanghelien übergehen. […] An die dritte Stelle gehören die Apophthegmata des Plutarch, dann seine Moralia. Man kann nämlich wirklich nichts inden, was geeigneter wäre als diese Werke.“ 33 Die Begeisterung für Plutarch führte ebenfalls zur Wiederentdeckung Spartas und der spruchartigen Redeweise der Lakedaimonier, die in ihrer wortmächtigen Kürze 28 Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen/Basel 111993. S. 479. 29 Ebd. S. 481. 30 Ebd. S. 481. 31 Vgl.C. Kallendorf/L.G. 1994. S. 57. 32 R. Bees 2001. S. 20. 33 Erasmus von Rotterdam: Fürstenerziehung. Institutio Principis Christiani. Die Erziehung eines christlichen Fürsten. Einführung, Übersetzung und Bearbeitung von Anton J. Gail. Paderborn 1968. S. 137. 23 nun vorbildlich für eine rhetorische Ofensive gegen die gelehrte humanistische Prunkrhetorik und für die Artikulierung einer neuen königlichen Ausdrucksweise wurde. Der Lakonismus entwickelte sich allmählich in der Aufassung der Renaissance-Zeit zum Stil des gereiten und mächtigen Mannes, der scharfsinnig, trefend und würdevoll vor allem in politischen Erörterungen zu reagieren hatte. Davon, dass sich Lakonik oder brevitas zum königlichen Ausdruck eignete, war auch der neuzeitliche Stoiker und ausgezeichnete Kenner und Bewunderer Senecas und Tacitus’, Justus Lipsius überzeugt34. So avancierte der Lakonismus Ende des 16. Jahrhunderts zum sprachlichen Instrument des Herrschers und als „höische Kürze“ zur üblichen Kommunikationsform zwischen Untertanen und fürstlichen Beamten35. Von Erasmus von Rotterdam wurde er sogar zu einem Stiltyp der elegant-schlichten, jedoch kratvollen Aussageweise erhoben, der gleichberechtigt neben dem attischen Stil oder der schlichten Rhetorik Athens stehen konnte. Im 17. Jahrhundert indet der Lakonismus über die argutia-Bewegung, die diesen als eine der Erkenntnis dienende Metapher des stilus argutus concisus („scharfsinniger konziser Stil“) deinierte, Eingang in die deutsche Stillehre und Prosa36. Man behandelte ihn ebenfalls als stilus sententiosus, also als einen Stil spruchartiger Weisheit. Zugleich aber verstand man zur Zeit des Barock unter lakonischer auch eine pointierte Kürze. In keiner anderen Gattung ist diese mehrfache Ausrichtung im 17. Jahrhundert so ausgeprägt wie in jener des Epigramms. Für das Epigramm, das sich ursprünglich aus knappen „Inschriten“, „Überschriten“ oder „Aufschriten“ auf Grabsteinen und Gedenktafeln, Denkmälern, Gebäuden, Vasen, Weihegaben und Wafen entwickelte37, war die prägnante Kürze ab initio ein konstitutives Merkmal. In ihrer anfänglichen Form einer Gelegenheitsdichtung mit Gebrauchscharakter38 waren in Stein gemeißelte Epigramme lapidare Schriten auch im wörtlichen Sinne, mussten also schon der Mühe wegen, mit der sich die harte Grundlage bearbeiten ließ, kurz gehalten werden. Die späteren literarischen Buchepigramme der römischgriechischen Antike dienen nicht mehr dem Gedenken und der Weihe, sondern der Satire und der Relexion. Ihre Kürze erfüllt dementsprechend eine andere Funktion, 34 Vgl. C. Kallendorf/L.G. 1994. S. 58. 35 Ebd. S. 58. Zit. ebenfalls G.P.Harsdörfer, der im 17. Jahrhundert den Lakonismus als aristokratische Abgrenzungsform gegen bürgerliche Gelehrte am Hofe empfahl: „Ferners ist die Kürze der Rede eine sondre und bey Fürsten und Herren nothwendige Zier / […] also ist auch kurtz und wol reden eine Prob eines verständigen Hofmanns: Wenn man nemlich nicht mehr Wort / als die Sache von nöthen hat, gebrauchet / selbe aber mit gebührlicher Schicklichkeit und sondrem Nachdruck zu Werke bringt“ (S. 58); Vgl. auch Bees 2001. S. 21. 36 Vgl. R. Bees 2001. S. 21-22. 37 Spuren dieses alten Ursprungs des Epigramms sind auch in neuerer Zeit zu verzeichnen. Burkhard Moennighof verweist auf die Bezeichnung „Überschrit“ im Barock als Name für das Epigramm, neben konkurrierenden Formen wie „Sinngedicht“, „Schlussreim“, „Beischrit“, „Stichelreim“. Aber auch später benennen Goethe und Schiller ihre Epigramme „Tabulae votivae“, Stefan George bezeichnet sie „Tafeln“ und Karl Kraus „Inschriten“. Vgl. Burkhard Moennighof: Lyrische Kleinformen. In: Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen. Stuttgart 2002. S. 148. 38 Vgl. Otto Knörrich: Das Epigramm. In Otto Knörrich (Hrsg.): Formen der Literatur in Einzeldarstellungen. Stuttgart 21991. S. 67. 24 sie wirkt satirisch, wie insbesondere bei dem für das 17. Jahrhundert musterhaten Römer Martial, oder das Nachdenken unterstützend, in der Art der im 18. Jahrhundert wiederentdeckten griechischen Anthologie (Anthologia Graeca) und des römischen Dichters Catull. Der Barock orientierte sich in seinem Verständnis dieser Gattung an der von J.C. Scaliger in seiner einlussreichen Poetik aus dem Jahre 1561, Poetices libri septem, formulierten Beschreibung des Epigramms: „Kürze ist gewissermaßen seine Eigenschat. Scharfsinnigkeit seine Seele und gleichsam seine Gestalt“ 39. Dasselbe Ideal der scharfsinnigen Kürze „übersetzt“ auch der deutsche Poetiker des 17. Jahrhunderts, Martin Opitz, in seinem Buch von der Deutschen Poeterey: „Das Epigramma setze ich darum zue der Satyra / weil die Satyra ein lang Epigramma / vnd das Epigramma eine kurtze Satyra ist: denn die kürtze ist seine eigenschat / vnd die spitzindigkeit gleichsam seine seele vnd gestallt; die sonderlich an dem ende erscheinet / das allezeit anders als verhofet hetten gefallen soll: in welchem auch die spitzindigkeit vornemlich bestehet.“ 40 Durch das Epigramm fand das 17. Jahrhundert zu einer sehr attraktiven, weil unterhaltsamen Erfahrung von Kürze (brevitas) und zwar aufgrund ihrer Verbindung mit „Witz“, „Scharfsinn“, „Spitzindigkeit“ (argutia) und Pointe. Diese Vorstellung von arguter, epigrammatischer Weisheit verfestigte sich so sehr, dass man noch im 18. Jahrhundert Esprit, Epigramm und Pointe, Kürze und Zuspitzung auf einen unerwarteten Endefekt hin wie selbstverständlich assoziierte. Diesbezüglich erklärt Lessing noch die von Martial vorgebildete satirisch-pointierte Kunst des Epigramms in seinen Zerstreuten Anmerkungen über das Epigramm und einige der vornehmsten Epigrammatisten (1771) als vorbildlich und setzt sich dadurch vehementen Anfechtungen durch Herder aus, der die andere Tradition des Epigramms, die griechische, wiederbeleben wollte. Auch in dieser Überlieferung des Epigramms ist Kürze ein konstitutives Merkmal der Gattung, jedoch nicht verbunden mit pointiertem Witz, sondern mit lepos oder venustas, also mit Feinheit und Anmut. Die „Seele“ des Epigramms ist nach Herder nicht mehr die Spitzindigkeit, sondern die „Mitempindung“ 41. Damit ist zugleich bewiesen, was für Ralph Müller zur Deinition des Epigramms gehört, nämlich dass die Pointe kein konstitutives Merkmal epigrammatischer Verknappung ist, sondern lediglich ein typischer, jedoch nicht notwendiger Gattungszug42. Klopstock versuchte schließlich in einem Epigramm all diese Spielarten der Gattung dichterisch zu deinieren, implizit gleichzustellen und damit eine harmonische 39 Apud T. Verweyen/G. Witting: Epigramm. In: HWR. Bd. 2: Bie-Eul. Tübingen 1994. S. 1274. 40 Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hrsg. v. Herbert Jaumann. Stuttgart 2002. S. 30f. 41 Vgl.Verweyen/Witting 1994. S. 1273. 42 Müller 2003. S. 155f: „Ein Epigramm ist ein Verstext, der mit prägnanter Kürze (brevitas) sich auf einen im Text implizit oder ausdrücklich erwähnten Gegenstand bezieht („Objektbezug“). Typisch, aber nicht notwendig sind folgende Merkmale: In der Regel enthält ein Epigramm einen Titel oder auch eine Pointe, und es befolgt Reimform oder auch ein festes metrisches Schema.“ 25 Ausgeglichenheit in der Rezeption des „Sinngedichts“ zu bekunden: „Bald ist das Epigramm ein Pfeil, / Trit mit der Spitze; / Ist bald ein Schwert, / Trit mit der Schärfe; / Ist manchmal auch – die Griechen liebten’s so - / Ein klein Gemäld, ein Strahl, gesandt / Zum Brennen nicht, nur zum Erleuchten“ 43. Die doppelte, römische und griechische Tradition der epigrammatischen Dichtung wurde, glaubt Hermann Korte, in der nach 1945 entstandenen und neuen unterschiedlichen Konjunkturen angepassten Kurzlyrik fortgesetzt44. So die „mit scharfsinnigen Pointen, satirischen Spitzen und auklärerischen Denkanstößen“45 arbeitenden kleinen Gedichte der Sechziger, wie sie bei Erich Fried, Arnfried Astel oder Günter Bruno Fuchs anzutrefen sind. Oder „der zurückgenommene, selbstrelexive Epigrammstil“ 46 , in griechischer Tradition, geplegt von lakonischen Dichtern der 80er Jahre, wie Rainer Malkowski und Peter Härtling. Allerdings hatten weder die römisch-griechischen Modelle, noch Lessings oder Herders Betrachtungen zum Epigramm einen direkten Einluß auf die Neubelebung der epigrammatischen Lyrik nach 1945. Wie Hermann Korte zu Recht bemerkt, ist diesbezüglich bei den deutschen und österreichischen Autoren der sechziger Jahre und, wie wir hinzufügen können, bei den rumäniendeutschen Dichtern der achtziger Jahre, die Rezeption von Brechts Spätlyrik, der Buckower Elegien, und bei den deutschen und österreichischen Lyrikern der achtziger Jahre das Scheitern der 68er-Bewegung entscheidend gewesen47. 43 Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke. Bd. 1. Bukarest 1984. S. 126. Klopstock ist, wie viele seiner Zeitgenossen, ein Anhänger der Kürze, einer die allerdings nicht dem Verständnis im Weg steht. So empiehlt er den Schreibenden: „Liebst du runden, gediegnen Sinn, so bist du karglaut und setzest da der Wörtlein nur endliche, wo andre ganze lange Zeilen daherlaufen lassen. Bist dann freilich auch gar übel dran mit dem, welchem die Art des Verständnisses, so ihm etwa worden ist, sich nicht anders öfnet als durch schlackichte und vieleckichte Gedanken. Solcherlei Gedanken haben nun zwar, besieht man’s bei Lichten, nichts in sich, das nur etlichermaßen des Merkens wert sei; aber das verschlägt dem Manne nichts, dem nur durch sie das Verständnis kann geöfnet werden. Er hegt und plegt sich nun einmal mit selbigen. Mag er doch. Aber was soll’s der Demut, dich mit ihm zu schafen machen? Sorge du für die, denen du, bei aller deiner Karglautigkeit, viel eher ein Wörtlein zuviel denn eins zuwenig setzen könntest.“ In: Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke. Bd. 2. Bukarest 1984. S. 216f. 44 Hermann Korte: Vom Warnspruch zur elegischen Inschrit. Epigrammatische Formen in der westdeutschen Lyrik nach 1945. In: German Life and Letters 60. Nr. 3/2007. S. 383-400. 45 Korte 2007. S. 383. 46 Ebd. S. 396. 47 Korte 2007. S. 383, 395f. 26 Zur Zeit des Barock zeugte aber die pointierte Kürze des Epigramms von einer qualitätsvollen Breviloquenz. Die Verbindung von Kürze und Pointe bleibt, wie bereits erwähnt, bis in die Lyrik der Nachkriegszeit aktuell und kennzeichnet dort vor allem die spielerische, aphoristisch-epigrammatische Lakonik48. Ralph Müller versucht dem Aspekt pointierter Kürze auf den Grund zu gehen und hebt zunächst hervor, dass das Verständnis dessen, was man üblicherweise als Pointe bezeichnet, geschichtlich zum Teil stark variieren kann49. So sollte die Pointe eines Epigramms beispielsweise im 17. Jahrhundert nicht zum Lachen, sondern eher zum Nachdenken anregen. Denn Pointe und Pointierung waren in barocker Bestimmung Ausdruck der argutia also eines scharfsinnigen, spitzindigen, nicht unbedingt im heutigen Sinne witzigen Denkens. Auch das Wort „Witz“ assoziierte man mit „Geist“ oder „Gabe des geistreichen Einfalls“. Pointen waren somit vielmehr „gedankliche Zuspitzungen“, die unter anderem auch unterhaltend und lehrhat wirken konnten bzw. sollten. Die Pointe des 17. Jahrhunderts konnte sehr wohl als verkürzte Form einer Argumentation in einem Enthymem oder als nachdrückliche Rede fungieren, in der Kürze mehr bedeutet als sie sagt und dadurch die gedankliche Mitarbeit des Rezipienten auslöst. Da Pointen kurz sind und dazu noch häuig in literarischen und philosophischen Kurzgattungen erscheinen, wie dem Epigramm, Apophthegma, der Anekdote oder dem Aphorismus, wurde die gedrängte Kürze, bzw. der Lakonismus zum Beschreibungsmerkmal von derartigen textlich-rhetorischen Phänomenen. Ralph Müller stellt allerdings fest, dass der Lakonismus an sich nicht pointiert ist, pointenwirksam aber sein kann, wenn er dafür typische Merkmale annimmt. Die Pointe deiniert er als einen Text, der „inkongruente Elemente aufweist, die durch ihren unvermuteten Zusammenhang sinnvoll erklärt werden können“, der tektonisch, d.h. auf einen Schlussefekt zugespitzt, und konzise, also verdichtet und Informationen aussparend ist, der zusätzlich kondensiert, d.h. Bedeutungen überlagernd, oder auch gebrochen kohärent oder uneigentlich präsentiert sein kann50. Somit kennzeichnet sich die lakonische Rede, laut Müller, tatsächlich durch einige Wesensmerkmale der Pointe, wie Tektonik, Konzision und Kondensation, also eine gewisse Dynamik und 48 Friedemann Spicker verweist außerdem auf ließende Grenzen zwischen dem Prosa-Aphorismus und dem Vers-Epigramm in der Lyrik nach 1945. Durch die einebnende Wirkung des freien Verses entsteht, so Spicker, eine aphoristisch-epigrammatische Kurzlyrik, z.B. bei Günter Kunert, Reiner Kunze und Erich Fried, in der Brechts dialektisches, spruchartig - pointiertes Denken weitergeführt wird. Vgl. Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen 2004. S. 767–776 passim. Spicker schreibt der gestisch eingesetzten Versfügung eine wesentliche Rolle in der lakonischen Pointierung der aphoristischen Kurzlyrik ab Brecht zu, im Unterschied zum Prosa-Aphorismus. Das plötzliche graphisch-rhythmische Umschlagen des Textkörpers signalisiert schon eine Wende und Zuspitzung in der Semantik des Gedichts, während der Prosa-Aphorismus sich lediglich semantisch um diesen Stilefekt bemühen muss: „Die Versfügung ist es, die diese Pointierung leistet, wie sie Brecht selbst genannt hat. Ein graphisch-rhythmisches Mittel kommt dort zur Wirkung, wo es beim Aphorismus ein semantisches sein müsste“, so wörtlich Spicker. Friedemann Spicker: Studien zum deutschen Aphorismus im 20. Jahrhundert. Tübingen 2000. S. 139. 49 Müller 2003. S. 37-68 passim. 50 Ebd. S. 126. 27 Konzentration ihrer Semantik, nicht aber z.B. durch eine obligatorische Inkongruenz in der Bedeutung. Denn der Lakoniker könnte ja genau das meinen, was er sagt, nur kürzer als andere. Bei einer genügend reichhaltigen Kondensation aber, also bei einer besonderen semantischen Dichte der Aussage, glaubt Müller von pointierter Lakonik sprechen zu können. Vor allem in ihrer Konzision sei, so Müller, Lakonik für den Leser, bzw. Hörer herausfordernd51. Dabei kann sich der Begrif Lakonismus auf eine allgemeine rhetorische Sprechhaltung, wie z.B. die spartanische, oder auf Teile eines Diskurses beziehen. Müllers Aufassung von der Pointe geht prinzipiell von der Struktur des Witzes aus, bei dem die Inkongruenz zwischen Gesagtem und Gemeintem ausschlaggebend ist. Daher auch die Erwartung von Inkongruenz in der Kondensation oder Überlagerung von mehreren Bedeutungen bei der pointierten Lakonik. Dem ist aber im Falle des Lakonismus entgegenzuhalten, dass die kurze Rede ot als eine pointierte wahrgenommen wird, auch wenn sie widerspruchslos genau das ausdrückt was gemeint ist, wie z.B. in der zuvor zitierten Anekdote über König Philip von Makedonien und die Spartaner. Eine Inkongruenz besteht hier nicht in der Semantik, allenfalls aber im Ton des Sagens. Denn hier verleiht gerade die abrupte Trockenheit der Antwort der Botschat eine besondere Intensität. Sie wirkt akzentsetzend, nachdrücklich und als solche pointiert oder zugespitzt. Eine gewisse Inkongruenz entsteht auch durch den Kontrast zwischen der „zerhackten“ Form des Gesagten52 und der Erwartung des Hörers oder Lesers, da ja der Lakonismus ot auch als herausfordernde Antwort autritt. Urs Meyer macht diesbezüglich einige bedeutende Bemerkungen: „Die Sprechhaltung des Lakonismus tritt vorzugsweise im Modus der (schlagfertigen) Antwort auf. Ihr antikes Vorbild hat dieses lakonische Antworten im occasio – provocatio – dictum - Schema der Apophthegmata Laconica von Plutarch. Statt einer üblicherweise in ähnlichen Kontexten zu erwartenden emphatischen oder auch ausführlich begründeten Antwort erfolgt eine sachlich pointierte (also der üblicherweise erwarteten Antwort polarkonträr entgegengesetzte) oder auch (der üblicherweise erwarteten ausführlich begründeten 51 Ebd. S. 145-146. Harald Fricke betrachtet die Konzision als ein bedeutendes Merkmal von Aphorismen, die mit aussparenden Mitteln arbeiten und den Leser dadurch befremdend zum Nachdenken anregen wollen. Diese aphoristische Konzision, der sich auch die spätere Nachkriegslyrik, wie jene Erich Frieds, bedienen wird, ist also keine sprachökonomische, betont Fricke, sondern eine durchaus semantisch ausgerichtete. „Denn konzis schreiben heißt nicht ,wenig schreiben‘ oder ,nur das Nötige schreiben‘, sondern: weniger schreiben, als eigentlich ,nötig‘ wäre, und die nötigen Ergänzungen der Eigenanstrengung des Lesers überantworten. Nicht ökonomische Verknappung als Ideal der Verwaltungssprache (oder der wissenschatlichen Formel) bedeutet Konzision, sondern (dem lateinischen Wortsinn entsprechend) ,Zerstückelung‘ bis zum Torsocharakter, ein Unterschreiten des regelrechten sprachlichen oder argumentativen Minimums“. Vgl. Harald Fricke: Aphorismus. Stuttgart 1984. S. 16. 52 Vgl. Rüdiger 1958. S. 351: Etymologisch bedeutet „‚concisus‘ als Etymon des italienischen ‚conciso‘, französischen ‚concis‘, englischen ‚concise‘ und der abgeleiteten Substantiva zunächst nicht ‚bündig‘, sondern eben ‚zerstückelt‘, auch im stilistischen Sinne; so Quintilian: n. pl. ‚concisa‘ = ‚zerhackte Sätze‘)“. 28 Antwort entgegengesetzte) konzise ,lakonische Antwort‘. Immer ist die lakonische Phrase aber durch scheinbare Wertungsneutralität gekennzeichnet, der Sachverhalt wird als neutraler dargestellt, obgleich er gewöhnlich starke Wertungen provoziert. Lakonik ist die versprachlichte Gelassenheit.“ 53 Lakonik ist versprachlichte Gelassenheit, zugleich aber, in ihrer abrupten Knappheit, auch eine besonders nachdrückliche Rede, was den Eindruck von spannungsvoller Zuspitzung, von Krat, ja Gewalt erweckt. Spätestens der Expressionismus entwickelte eine besondere Vorliebe für diese extrem steile Lakonik, von der man sich eine neue expressive Krat des dichterischen Wortes versprach. Mit dem Deinieren des Lakonismus als einer versprachlichten Gelassenheit thematisiert Urs Meyer implizit eine rhetorische Strategie der Gefühlsverwaltung. An einem „Stoiker“ des 18. Jahrhunderts, Johann Gottfried Seume, zeigt Meyer, dass die lakonische Breviloquenz unter anderem zum Ausdrücken emotionaler Unberührtheit intendiert war. Sie konnte aber auch in der Form „afektischer Aussparung“ autreten, wenn gerade das ausgelassen wurde, worüber der Verfasser oder Redner am liebsten gar nicht sprechen würde54. Lakonik kann somit ebenfalls eine rhetorische Maske für verdrängte Afekte sein und auf einen schwierigen Umgang mit den eigenen Gefühlen verweisen. Auf diese Dimension sprachlicher Reduktion hat gleichfalls Karl Krolow in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hinsichtlich des deutschen Lakonismus der Nachkriegslyrik und im Vergleich mit dem amerikanischen aufmerksam gemacht, wie weiter unten eingehender gezeigt werden soll. Urs Meyer unterscheidet außerdem im Hinblick auf das 18. Jahrhundert zwischen Lakonismus und brevitas, dem antiken römischen Ideal der Kürze, das auch zur Zeit der Auklärung eine verbreitete Akzeptanz besaß. Lakonismus erklärt Meyer als eine „Extremform der brevitas“, denn während die Sprachkürze der brevitas noch verständlich bleiben sollte, berge das Zu-wenig-Sagen des Lakonismus die Gefahr der Dunkelheit55. Die Furcht vor der obscuritas der kurzen Rede gibt es, wie bekannt, schon seit der vor allem römischen Antike. Dunkelheit wird auch im Jahrhundert der Auklärung vehement bekämpt, in einem Jahrhundert, das für seine Rhetorik die Autorität Ciceros und Quintilians ausdrücklich bestätigt. Das Vermeiden von Dunkelheit ist darüber hinaus von einer Epoche zu erwarten, die sich selbst über die Vorstellung der Klarheit und des Lichtes bestimmt. So deiniert Wieland: „Was ist Auklärung? Antwort: Das weiß jedermann, der vermittelst eines Paars sehender Augen erkennen gelernt hat, worin der Unterschied zwischen hell und dunkel, Licht und Finsternis besteht. Im Dunkeln sieht man entweder gar nichts oder wenigstens nicht so klar, dass man die Gegenstände recht 53 Urs Meyer: Politische Rhetorik. heorie, Analyse und Geschichte der Redekunst am Beispiel des Spätauklärers Johann Gottfried Seume. Paderborn 2001. S. 72-73. 54 Ebd. S. 72f. 55 Ebd. S. 71, 75f. 29 erkennen und voneinander unterscheiden kann; sobald Licht gebracht wird, klären sich die Sachen auf, werden sichtbar und können voneinander unterschieden werden.“ 56 René Descartes’ Methodenideal der klaren und deutlichen Erkenntnis fand damit seine Weiterentwicklung57. „Auklären“ bedeutete Klarheit und Deutlichkeit auch durch Sprache zu verbreiten und dabei beim schlicht Notwendigen zu bleiben. Diderot meinte lakonisch diesbezüglich: „Wenn der Stil gut ist, gibt es kein überlüssiges Wort“ 58. Klarheit und Einfachheit und, als besondere Form, die in der römischen brevitasTradition stehende verständliche Kürze versucht die Auklärung gleichzeitig gegen die dunkel-schwülstige Rhetorik des Barock durchzusetzen, um sich der Natürlichkeit der Sprache wieder anzunähern. In diesem Zusammenhang wird das Ideal der Kürze zum Kennzeichen klassischen Geschmacks in dessen Suche nach dem rechten Maß59. Das rechte Maß konnte in einer wohlüberlegten Regulierung der Sprache, durch die Vermeidung des Dunklen und nicht Notwendigen, aber ebenfalls in der Ausgeglichenheit der Afekte, durch das Ausschalten oder Temperieren des Exzessiven gefunden werden. Dass Lakonik zur Verwaltung der Gefühle eingesetzt wurde, bewies nicht nur der zuvor erwähnte Johann Gottfried Seume in der politischen Rede, sondern z.B. auch Lessing, dessen „großartiger Lakonismus“ im Drama Nathan der Weise, wie Anne Lagny indet, das Dilemma: „Drama der individuellen Leidenschaften“ oder „dramatische(s) Gedicht“ zugunsten der zweiten Variante entscheidet: „Bei dem ersten hätte Lessing auf einen Teil der gedanklichen Relexion notwendigerweise verzichten müssen, die sich gegen die feurige Sprache des Afekts schwach ausgenommen hätte. Eine Auseinandersetzung zwischen dem Tempelherrn und dem Patriarchen, wohl auch zwischen dem Patriarchen und Nathan, auf Kosten der Parabelszene? Bei dem zweiten, dem dramatischen Gedicht, mussten die Leidenschaten in Grenzen gehalten werden, damit die Rührung voll zur Geltung kommen könne. […] Und die Augenblicke der stärksten Rührung, - von den Momenten der hitzigen Leidenschaten sorgfältig abgegrenzt, denn Rührung und Leidenschat können sich als zwei 56 Christoph Martin Wieland: Auklärung als Erkenntnis von Wahr und Falsch, Gut und Böse. In: Die Philosophie der deutschen Auklärung. Texte und Darstellung von Rafaelle Ciafardone. Deutsche Bearbeitung von Norbert Hinske und Rainer Specht. Stuttgart 1990. S. 348. 57 Vgl. Georg Braungart: Auklärung. In: Horst Brunner, Rainer Moritz (Hrsg.): Literaturwissenschatliches Lexikon. Grundbegrife der Germanistik. Berlin 1997. S. 25. 58 Apud Gert Ueding: Auklärung. In: HWR. Bd. 1: A-Bib. Tübingen 1992. S. 1190. 59 So auch Rüdiger 1958. S. 345 zur Brachylogie: „Die Stilform taucht in der Regel vor oder nach den klassischen Perioden der Literatur auf, welche ihrerseits das rechte Maß im Ausdruck zu verwirklichen suchen.“ 30 heterogene Elemente, etwa Wasser und Feuer, unmöglich vermischen, - müssen eben lakonisch gehalten werden.“60 Es handelt sich hier allerdings nicht so sehr um sprachliche Verknappung, als um eine verhaltenere, maßvolle geistige Disposition, deren Ausdruck, mit Goethe gesprochen, „eine abgemessene Rede, ein Lakonismus“ 61 sein kann. Die brevitas diente daher im 18. Jahrhundert gleichfalls der Erziehung zur Selbstbeherrschung durch Sprache. Dass in dieser Zeit die lakonische Rede als geistiges Zuchtmittel verwendet wurde, zeigt außerdem die Beliebtheit des Aphorismus und der Fabel. Die schmucklose und somit mit stärkster Reduktion arbeitende Kürze, glaubte Lessing, sei die Seele der Fabel und ihr vornehmster Schmuck. Sie diene auch am besten der Absicht der Fabel, d.h. ihrer lehrhaten Deutlichkeit: „Wenn ich mir einer moralischen Wahrheit durch die Fabel bewußt werden soll, - erklärt Lessing -, so muss ich die Fabel auf einmal übersehen können; und um sie auf einmal übersehen zu können, muss sie so kurz seyn, als möglich. Alle Zierathen aber sind dieser Kürze entgegen; denn ohne sie würde sie noch kürzer seyn können: folglich streiten alle Zierathen, in so fern sie leere Verlängerungen sind, mit der Absicht der Fabel.“ 62 Brevitas steht hier im Dienste des docere, also der Belehrung, und soll diese Dimension der Fabel verstärken und jedes unterhaltende und schmückende Moment, das zur zweiten, von Horaz identiizierten Dimension dieser Gattung gehört, zum delectare, vermeiden63. Diese lehrhate Kürze unterscheidet sich jedoch von der brevitas-Vorstellung Quintilians z.B. dadurch, dass sie eben keine Fülle der Gedanken mehr wiedergibt, sondern der didaktischen Deutlichkeit die Mehrdeutigkeit opfern muss. Damit durchkreuzt die Fabel, wie Ulrich Stadler richtig bemerkt, die 60 Anne Langny: Lessings großartiger Lakonismus. In: Jean-Daniel Krebs: Die Afekte und ihre Repräsentation in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit. Bern/Berlin/Frankfurt am Main/New York/ Paris/Wien 1996. S. 63f. Langny geht hier auch auf einen interessanten Brief Lessings an Goethe, den Verfasser der Leiden des jungen Werther, ein, in dem Lessing Goethe zu einer Korrektur des Schlusses seines Romans bewegen möchte, da ihm dieser zu afektbetont und daher jüngere Leser gefährdend erscheint. Der Hitze der unglücklichen Liebesgefühle empiehlt Lessing das Pendant einer abschließenden zynischen Perspektive, die dem Leidenschatlichen die Waage halten sollte. 61 Für Goethe, wie auch für viele seiner Zeitgenossen, gehört der Lakonismus zu einem würdevollen sprachlichen Verhalten. So porträtiert er Klopstock, auch diesbezüglich lobend, wie folgt in Dichtung und Wahrheit, den Lakonismus miteinbeziehend: „Ein gefaßtes Betragen, eine abgemessene Rede, ein Lakonismus, selbst wenn er ofen und entscheidend sprach, gaben ihm durch sein ganzes Leben ein gewisses diplomatisches, ministerielles Ansehen, das mit jenen zarten Naturgesinnungen im Widerstreit zu liegen schien, obgleich beide aus einer Quelle entsprangen.“ In: Goethes Werke in zwölf Bänden, Bibliothek deutscher Klassiker. Hrsg. v. den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar. Bd. VIII. Berlin/Weimar 31974. S. 423. 62 Apud Volker Ott: Die Fabel. In: Otto Knörrich (Hrsg.) 21991. S. 102; Siehe auch Rüdiger 1958. S. 361. 63 Vgl. P. Hasubek: Fabel. In: HWR. Bd. 3: Eup-Hör. Tübingen 1996. S. 185-198. 31 üblicherweise auch in römischer Tradition erwartete Assoziation Kürze – vielschichtige Semantik. „Das Fabelgedicht ist reines Mittel, um einen bestimmten Zweck zu realisieren. Mit der Einlösung dieses Zwecks, der Verkündigung dessen, was als ,Wahrheit‘ gilt, hat es seine Aufgabe erfüllt. Dass die Kürze tendenziell Vieldeutigkeit impliziert und die Einlösung jenes Zwecks in Frage stellen kann, - dieses Problem versuchen die Fabeldichter abzuschwächen, indem sie im Bildbereich größte Anschaulichkeit anstreben und diese obendrein durch einen moralischen Lehrsatz absichern. Gleichzeitig proitieren sie noch von anderen Eigentümlichkeiten der kurzen Fabeldichtung: Diese wirkt eben durch die Kürze eingängig und prägt sich leicht dem Gedächtnis ein.“ 64 Nicht jede Form der knappen Rede ist also semantisch intensivierend. Sie bringt aber trotzdem einen praktischen Vorteil mit sich, den sie mit der hermetischen Kurzdichtung teilt: eine gesteigerte Einprägsamkeit. Was hier durch den kurzen kategorischen Imperativ eines moralischen Schlusses haten bleibt, prägt sich im Falle der hermetischen Lyrik z.B. durch die überraschende, ja schockierende semantische Dissonanz eines extrem konzentrierten Bildes ein. Sprachliche Enthaltsamkeit war nicht nur in der literarischen heorie (weniger in der Praxis) oder im öfentlichen, sprich politischen Diskurs angesagt, sie gehörte in der Zeit der Auklärung allgemein zum guten Ton in zwischenmenschlichen Beziehungen. War Kürze im 16. und 17. Jahrhundert ein Adelsprädikat, durch das sich die Gesellschat des Hofes von der restlichen sprachlich zu diferenzieren versuchte, so wurde sie im Jahrhundert der Auklärung und der demokratischen Ideale der Französischen Revolution zum quasi gemeinnützigen Instrument zivilisierten Umgangs mit Menschen. So empiehlt der Anstandspapst des 18. Jahrhunderts, Adolph Freiherr von Knigge in seiner Fibel der guten Manieren: „Habe acht auf dich, dass du in deinen Unterredungen, durch einen wässrigen, weitschweifenden Vortrag nicht ermüdest! Ein gewisser Lakonismus – in so fern er nicht in den Ton, nur in Sentenzen und Aphorismen zu sprechen oder jedes Wort abzuwägen, ausartet – ein gewisser Lakonismus, sage ich, das heißt: die Gabe, mit wenig, kernigen Worten viel zu sagen, durch Weglassung kleiner, unwichtiger Details die Aufmerksamkeit wach zu erhalten; und dann wieder, zu einer andern Zeit, die Geschicklichkeit, einen nichtsbedeutenden Umstand 64 Ulrich Stadler: Kleines Kunstwerk, kleines Buch und kleine Form. Kürze bei Lichtenberg, Novalis und Friedrich Schlegel. In: Elmar Locher (Hrsg.): Die kleinen Formen in der Moderne. Innsbruck/Wien/ München 2001. S. 19f. 32 durch die Lebhatigkeit der Darstellung interessant zu machen – das ist die wahre Kunst der gesellschatlichen Beredsamkeit. Überhaupt aber rede nicht zu viel!“ 65 Lakonik stilisierte man zu einer Form der Eleganz im sozialen Leben, wie auch in der literarischen Praxis. Damit ist allerdings kein „zerhacktes“, sondern ein meistens voll artikuliertes, lediglich ökonomischeres Reden gemeint, wobei die Reduktion auf das Notwendigste als Annäherung an die Einfachheit natürlicher Kommunikation und als Reaktion gegen Schwulst und preziöse Gelehrsamkeit (wie z.B. das Sprechen im Ton von Sentenzen und Aphorismen) empfunden wurde. Die Forderung war, nicht mehr aber auch nicht weniger als nötig zu sagen, um verständlich bleiben zu können. Übrigens steht die allgemeine Aufassung von Kürze seit dem Mittelalter zwar im Zeichen der römischen brevitas, ist aber stets sehr vage und in der schritstellerischen Praxis selten befolgt, hauptsächlich an die Mahnung gebunden, sich nicht länger als nötig über ein hema aufzuhalten. Das war meistens immer noch viel wortreicher als das, was man sich heute üblicherweise unter Lakonismus vorstellt. Ob nun mehr oder weniger lakonisch wurde die Kürze im 18. Jahrhundert in mehrfachem Sinne ernst genommen, obwohl sie durch das Epigramm auch weiterhin der Heiterkeit dienen durte66. Der ästhetisch einlussreiche Kunstgelehrte Johann Joachim Winckelmann, ein entschiedener Verehrer der Breviloquenz, der sich zum Erzieher der Fürsten und hohen Adeligen zum guten Geschmack berufen fühlte, assoziierte die knappe und einfache Rede mit der „Gratie“, die das lakonische Sprechen vor trockener Härte und Dunkelheit schützen sollte. Mit „Gratie“ meinte Winckelmann nämlich eine Milderung und Läuterung der „körnigen“, d. i. herberen, dunklen Kürze durch den „hohen Stil“ 67. Schließlich wird die Kürze auch von der Hochstillyrik explizit thematisiert. Ende des 18. Jahrhunderts widmet Friedrich Hölderlin eine seiner epigrammatischen Oden der Kürze, die er als eine der leidvollen Vergänglichkeit des Lebens entsprechende ästhetische Form empindet: „Wie mein Glück, ist mein Lied“ 68, klagt der 28jährige Autor. Das griechisch-römische Epigramm war auch, wie schon erwähnt, die überlieferte Mustergattung, an der sich die deutschsprachige Kurzdichtung teilweise in Ton und Gestaltung bis Anfang des 20. Jahrhunderts orientierte. 65 Adolph Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Menschen. In: Adolph Freiherr von Knigge: Sämtliche Werke. Bd. 10. Abteilung II. Moralphilosophische Schriten in 3 Bänden. Hrsg. von Paul Raabe, in Zusammenarbeit mit Ernst-Otto Fehn, Manfred Grätz, Gisela von Hanstein und Claus Ritterhof. Nendeln/Liechtenstein 1978. S. 73. 66 Vgl. Moennighof 2002. S. 153f. 67 Vgl. Rüdiger 1958. S. 365f. 68 Hölderlin: Die Kürze. In: Hölderlin: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Friedrich Beißner. Frankfurt am Main 1965. S. 186. H. Rüdiger interpretiert hier die Kürze, mit Blick auf den Verfasser der Ode, als Zeichen einer noch nicht gelungenen Distanzierung vom Leiden und einen frühen Ausdruck der späteren Sprachlosigkeit und, mit Blick auf den Leser, als Aufruf zum Nachdenken. Vgl. Rüdiger 1958. S. 371f. Interessant erscheint mir vor allem der Versuch, durch die Evokation der Kürze und deren Wahrnehmung als existentieller Ausdruck ein schwieriges, grundsätzlich elegisches Gefühl beherrschen zu wollen. Dies wird, wie schon bemerkt, im 18. Jahrhundert zwar nicht explizit thematisiert, ist aber auch keine einzigartige Realität, die meistens un- oder halbbewußt auch in der Nachkriegslyrik weiterlebt. 33 Alternative Modelle zum Epigramm, wie Aphorismus oder Haiku, die entscheidenden Einluss auf die spätere kurze Dichtung haben sollten, setzen sich erst im 20. Jahrhundert durch. Mit diesen beginnt sich auch der neue trockenere Ton konzentrierter Lyrik zu entwickeln, der den kühleren Eindruck des objektiv Berichtenden und Unpersönlichen erzeugt, welcher schließlich für den (modernen) Lakonismus als eine „kurzbündige und trefende, dabei objektiv-unbeteiligte Sprechweise“, wie ihn z.B. Gero von Wilpert deiniert69, bestimmend wurde. Mit Goethe, glaubt Walther Killy, ist eine Aufassung vertreten, die den Lakonismus zum konstitutiven Merkmal von Lyrik im Unterschied zur Prosa erklärt70. In einer Rezension vom Januar 1806 zu Achim von Arnims und Clemens Brentanos Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn, deren erster Band dem großen Klassiker gewidmet wurde, schreibt Goethe: „Das wahre dichterische Genie, wo es autritt, ist in sich vollendet; mag ihm Unvollkommenheit der Sprache, der äußeren Technik, oder was sonst will, entgegenstehen, es besitzt die höhere innere Form, der doch am Ende alles zu Gebote steht, und wirkt selbst im dunkeln und trüben Elemente ot herrlicher, als es später im klaren vermag. Das lebhate poetische Anschauen eines beschränkten Zustandes erhebt ein Einzelnes zum zwar begrenzten, doch unumschränkten All, so dass wir im kleinen Raume die ganze Welt zu sehen glauben. Der Drang einer tieferen Anschauung fordert Lakonismus. Was der Prose ein unverzeihliches Hinterstzuvörderst wäre, ist dem wahren poetischen Sinne Notwendigkeit, Tugend, und selbst das Ungehörige, wenn es an unsere ganze Krat mit Ernst anspricht, regt sie zu einer unglaublich genussreichen Tätigkeit auf.“ 71 Lakonismus, höchste Konzentration des Ausdrucks sei also quasi Kennzeichen und Bedingung „einer tieferen Anschauung“, die nur im Medium des Lyrischen zu erzielen wäre. Er sei „dem wahren poetischen Sinne“ zugleich eine Notwendigkeit und eine Tugend. Walther Killy sieht sich angesichts dieses Textes auch in seiner Aufassung, Kürze sei ein konstitutives „Element“ der Lyrik, bestätigt, denn „Dieser Gedanke (Goethes, L.C.) steht in keinem Zusammenhang mit den zahllosen Erwägungen, die man seit der Antike über brahylogia und brevitas sich vor allem in rhetorischem Zusammenhang gemacht; dort handelt es sich um ein traditionsreiches Stilideal des Redners oder Historikers; hier hingegen wird Lakonismus ausdrücklich als notwendig für die Sprache der Poesie und als Unterscheidung zur Sprache der Prosa gebraucht.“ 72 69 Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 71989. S. 497. 70 Walter Killy: Elemente der Lyrik. München 1972. S. 158. 71 Johann Wolfgang Goethe: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Hrsg. v. Achim von Arnim und Clemens Brentano. In: Goethes Werke. Bd. 11. 31974. S. 329. 72 Killy 1972. S. 158. 34 Es stimmt nun, dass Goethe, selbst ein Dichter, den Sinn und die Funktion der Kürze, vor allem im Vergleich zu der damals viel idealisierten römischen brevitas, erweitert hat. Unvollkommenheit der Sprache, Dunkelheit und Intensität („Drang“) sind für Goethe keine Mängelerscheinungen, sondern dienen dem lakonischen dichterischen Gemüt auf seiner Suche nach tieferer und authentischer Erkenntnis. Allerdings ist die Unterscheidung von Lyrik und Prosa aufgrund der Kürze schon zu Goethes Zeit nicht haltbar. Denn demgemäß wären z.B. Texte wie Heinrich Heines Die Romanze von Rodrigo mit seinen 161 Versen oder Schillers Lied von der Glocke mit seinen 424 Verszeilen keine Gedichte mehr. Die neuere Forschung hat schließlich erkannt, dass Kürze weder als eine „äußere“ oder quantitative, noch als eine qualitative ein konstitutives Merkmal von Lyrik sein kann, da ja eine geringe und konzise Länge eines Textes auch im Falle von Epik (in der Kurzprosa und Kürzestprosa, z.B.) vorkommen kann. Der Kürze als Beschreibungskriterium von Lyrik hatet daher eine besondere Unschärfe an, was sie, mit Harald Fricke gesprochen, zu einem „wenig brauchbare(n) Entscheidungskriterium“ 73 macht. Sie mag zwar ein typisches, aber nicht obligatorisches und somit konstitutives „Element“ der Dichtung sein74. Goethe bleibt jedoch nicht beim (theoretischen) Lob der Kürze, sondern praktiziert in derselben Rezension zum Volksliedband Arnims und Brentanos einen interessanten kritischen Lakonismus. Er nimmt sich jedes Gedicht vor und beschreibt es meistens durch wenige Stichworte, die einen ästhetischen Eindruck auf die konziseste Art und Weise umreißen wollen, wie z.B.: „Das Wunderhorn (Seite 13). Feenhat, kindlich, gefällig. Des Sultans Töchterlein (15). Christlich zart, anmutig. Tell und sein Kind (17). Rechtlich und tüchtig. Großmutter Schlangenköchin (19). Tief, rätselhat, dramatisch vortrelich behandelt. Jesaias Gesicht (20). Barbarisch groß“ 75 u.s.w. Das „Lakonisieren“ scheint im 19. Jahrhundert auch im Bereich der Kritik Mode geworden zu sein und das auch zum Überdruss mancher Kritiker selbst, wie z.B. Ludwig Börne. 1823 verfasste er einen mahnenden Aufsatz „über den kritischen Lakonismus“, der mit folgender Bemerkung beginnt: 73 Harald Fricke: Norm und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur. München 1981. S. 117. 74 Dieter Lamping liefert die wohl kürzeste Deinition des Gedichts als „Versrede oder genauer noch: als Rede in Versen“. Vgl. Dieter Lamping: Das lyrische Gedicht: Deinitionen zu heorie und Geschichte der Gattung. Göttingen 32000. S. 23. Bezüglich der Kürze stimmt Lamping Fricke zu: „Wie wenig Kürze sich als Deinitionsmerkmal der Gattung Lyrik eignet, lässt sich im übrigen schon daran erkennen, dass man etwa ein kurzes dramatisches Gedicht noch nicht deshalb lyrisch nennt, weil es kurz ist. Umgekehrt hat es sich, nicht erst in jüngster Zeit und nicht nur in deutschem Sprachraum, eingebürgert, auch solche Gedichte lyrisch zu nennen, die vergleichsweise umfangreich sind, wie etwa manche Episteln des Horaz, viele Oden Klopstocks oder zahlreiche Cantos Ezra Pounds.“ Ebd. S. 87. Auch Dieter Burdorf zählt in seiner Bestimmung der dichterischen Gattung mit gutem Recht „die relative Kürze des Textes und die Konzisheit des sprachlichen Ausdrucks“ zu den „nicht notwendigen, sondern akzidentellen“ Merkmalen. Vgl. Dieter Burdorf: Einführung in die Gedichtanalyse. Stuttgart/ Weimar 21997. S. 21. 75 Goethe 31974. S. 317. 35 „Es gereicht Rezensenten, sie mögen nun Bücher, Menschen oder Verhältnisse beurteilen, zum größten Ruhme, wenn sie wie die Spartaner leben, nur Kupfergeld besitzen und schwarze Suppen essen; denn wer Vertrauen braucht, erhält es nur, wenn er sonst nichts braucht, und nur wer die Menschen entbehren gelernt, darf sie belehren. Aber schreiben dürfen die Rezensenten nicht wie Spartaner. Sie sind Richter; sie müssen also freisprechend oder verdammend ihre Entscheidungsgründe angeben, und das klar und umständlich. Tun sie dieses nicht, begnügen sie sich zu sagen: das ist gut, das ist schlecht – so kann ihnen jeder Leser mit Recht bemerken: das weiß ich ohnedies, das sagt mir mein Gefühl; du aber sollst mir mein Gefühl deutlich machen und mir erklären, warum dieses gut, warum dieses schlecht sei.“ 76 Börne kritisiert zwar zu Recht die lakonischen, d.h. nichtargumentierten Bewertungen der Rezensenten, allerdings fällt unter die von ihm identiizierten und getadelten kritischen Lakonismen weit mehr als man erwarten würde: die im Drucktext markierte Korrektur des Originals (mit der Seitenbemerkung: „Überhaupt ist es kleinlich, in einem Buche die Sprachfehler zu rügen. Man kann annehmen, dass in der Regel jeder Schritsteller grammatisch richtig zu schreiben weiß, und dass er Sprachfehler nur aus Übereilung macht“77), die durch Frage- und Ausrufezeichen signalisierte, aber nicht weiter kommentierte Verwunderung des Rezensenten über ausgezogene Stellen aus dem rezensierten Werk, kritische Motti, ja sogar die Verwendung von „gefühllose(n) Empindungslaute(n)“ wie das „sic“, zu dem Börne kategorisch bemerkt: „das sic ist ot rätselhat. Also keine sic’s, sondern frei heraus mit der Sprache, wie es einem deutschen Manne geziemt. Man kann wohl lateinisch beten, denn der liebe Gott versteht alle Sprachen; aber lateinisch kritisieren soll man nicht“ 78. Diesen kritischen Lakonismus empindet Börne direkt unmenschlich, nicht überzeugend und möglicherweise sogar dilettantisch. Interessant ist aber, dass gerade durch eine derartige Kritik am Lakonismus sein stark gestischer Charakter indirekt hervorgehoben wird, eben jener, an dem die Literatur im 20. Jahrhundert einen besonderen Gefallen inden wird. Denn was Börne berechtigterweise an der lakonischen Sprache der Kritiker seiner Zeit verwerlich indet, sind vor allem ihre kommentarlosen Hinweise, das minimale Deuten auf problematische Stellen im Text, die nackte „Gestik“ kritischer Zurechtweisung. Von einer solchen vornehmlich gestischen und daher auch dunkleren Kürze, die wahrscheinlich Goethe als einziger im 19. Jahrhundert zu schätzen wusste, distanzierte sich energisch auch einer der einlussreichsten Philosophen dieser Zeit, Arthur Schopenhauer. Schopenhauers Aufassung über einen brauchbaren Lakonismus in der „Schritstellerei“ ist noch entschieden dem römischen brevitas-Ideal 76 Ludwig Börne: Über den kritischen Lakonismus. In: Börnes Werke. Historisch-kritische Ausgabe in zwölf Bänden. Hrsg. v. Ludwig Geiger u.a. Bd. II. Berlin/Leipzig/Wien/Stuttgart. o. J. (1911-1914). S. 306. 77 Ebd. S. 307. 78 Ebd. S. 308. 36 der verständlichen, unverstümmelten (siehe Quintilian, den Schopenhauer ebenfalls zitiert), sprachrichtigen Kürze verplichtet. In Vereinzelte jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände (1851) deiniert der Philosoph die echte Breviloquenz der Rede folgendermaßen: „Die ächte Kürze des Ausdrucks besteht darin, dass man überall nur sagt, was sagenswerth ist, hingegen alle weitschweiigen Auseinandersetzungen Dessen, was Jeder selbst hinzudenken kann, vermeidet, mit richtiger Unterscheidung des Nöthigen und Ueberlüssigen. Hingegen soll man nie der Kürze die Deutlichkeit, geschweige die Grammatik, zum Opfer bringen. Den Ausdruck eines Gedankens schwächen, oder gar den Sinn einer Periode verdunkeln, oder verkümmern, um einige Worte weniger hinzusetzen, ist beklagenswerther Unverstand. Gerade Dies aber ist das Treiben jener falschen Kürze, die heut zu Tage im Schwange ist und darin besteht, dass man das Zweckdienliche, ja, das grammatisch, oder logisch, Notwendige weglässt.“79 Aus den veranschaulichenden Beispielen Schopenhauers ist allerdings, wie auch bei Börne, noch keine lakonische Avantgarde der Abtrünnigen von der „ächten Kürze“ zu identiizieren. Wie es bereits die Auklärer taten, verbindet Schopenhauer die ideale Kürze ebenfalls mit Schmucklosigkeit, Einfachheit80 und Grazie81, die gegen „die Geistlosigkeit“ des Schwulstes eingesetzt werden soll. Auch eine gewisse moralische Konnotation des in diesem Sinne begrifenen Lapidarstils wird transparent, wenn Schopenhauer seine schreibenden Zeitgenossen dazu anspornt, „sich eines keuschen Stiles zu beleißigen“, nach dem „Gesetz der Einfachheit und Naivetät“, die er in Goethes Poesie, im Unterschied zur rhetorischen Dichtung Schillers, verwirklicht sieht82. Trotz der Bewunderung von Goethes (lakonischer) Lyrik ist Schopenhauers Verständnis der stilistischen Kürze ein sozusagen klassischeres als jenes des Dichters aus Weimar. Denn wenn Goethe Unvollkommenheit der Sprache und Dunkelheit zugunsten einer besonderen Intensität des dichterischen Ausdrucks zulässt, verschmäht Schopenhauer jegliche „Sprachverhunzung“, jede grammatische, lexikalische oder syntaktische Verstümmelung. So kritisiert er auch die kleinsten Beschneidungen der Wörter als irreführend und empiehlt energisch einen konzisen aber auch voll artikulierten genauen Stil: 79 Arthur Schopenhauer: Vereinzelte jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände. Über Schritstellerei und Stil. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Letzter Teilband. Zürich 1977. S. 573. 30 Ebd. S. 572: „Die Wahrheit ist nackt am schönsten, und der Eindruck, den sie macht, um so tiefer, als ihr Ausdruck einfacher war“. 81 Ebd. S. 592: „Denn vollwichtige, reichhaltige, also überhaupt schreibenswerthe Gedanken müssen Stof und Gehalt genug liefern, um die sie aussprechenden Perioden, auch in der grammatischen und lexikalischen Vollkommenheit aller ihrer heile, so sattsam auszufüllen, dass solche nirgends hohl, leer, oder leicht befunden werden, sondern der Vortrag überall kurz und prägnant bleibt, während an ihm der Gedanke seinen faßlichen und bequemen Ausdruck indet, ja, sich mit Grazie darin entfaltet und bewegt.“ 82 Ebd. S. 573. 37 „Hauptsächlich ist, wie gesagt, die Wuth dieser Wortbeschneider auf die Präixa und Aixa aller Wörter gerichtet. Was sie nun durch solche Amputation derselben zu erreichen suchen, muss wohl die Kürze und durch diese die größere Prägnanz und Energie des Ausdrucks seyn: denn die Papierersparniß ist am Ende doch gar zu gering. Sie möchten also das Sagende möglichst kontrahiren. Hierzu aber ist eine ganz andere Procedur, als Wortbeknapperei, erfordert, nämlich diese, dass man bündig und koncis denke: gerade diese jedoch steht nicht eben so einem Jeden zu Gebote. Zudem nun aber ist schlagende Kürze, Energie und Prägnanz des Ausdrucks nur dadurch möglich, dass die Sprache für jeden Begrif ein Wort und für jede Modiikation, sogar für jede Nüancirung dieses Begrifs eine derselben genau entsprechende Modiikation des Wortes besitze.“ 83 Schopenhauers Einstellung zur knappen Rede ist im Grunde eine klassische, am Ideal des rechten Maßes orientierte84. Es ist zugleich die typische Bestimmung der Kürze seit der römischen Antike, auf welche Schopenhauer explizit rekurriert. Für ein modernes Verständnis der Kürze hingegen sorgen, wie Ulrich Stadler beweist85, die Romantiker Novalis und Friedrich Schlegel. Sie realisieren, so Stadler, „eine Form der Kürze, die sinnvermittelnd, ja sinnerzeugend wirkt und für die kleinen Formen des 20. Jahrhunderts eine besondere Aktualität gewinnen wird“86. Zum Beispiel die Schlegelsche Aufassung vom Fragment, das „gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein (soll) wie ein Igel“ 87. Mit dem „Igel“ ist eine Textmetapher lakonisch-semantischer Widerborstigkeit gegeben, die möglicherweise von Günter Eichs fragmentarischen „Formeln“ und knappen „Igelwörter(n)“, „dem Stachelfell meiner Einsichten“ 88 weitergeführt wurde, die das engagierte Nichteinverständnis mit der etablierten Ordnung mehr oder weniger hermetisch zum Ausdruck brachte. Bei Schlegel bedeutet allerdings klein und stachlig eine allgemein erkenntnisfördernde paradoxe Form, meint Stadler: „Die Poesie soll als geringe, aber umso herzhatere Dosis verabreicht werden. Sie muss lakonisch sein und von Paradoxien Gebrauch machen. In sich selbst vollendet und gleichzeitig klein sein – das bedeutet, dass das Fragment nach Art einer Leibnizschen Monade eine ganze Welt darstellen soll, die ihren Sinn nur aus sich selber gewinnt und zur außerliterarischen Welt sich allerhöchstens in ihrer Gesamtheit spiegel- und sinnbildlich erweisen soll.“89 83 84 85 86 87 88 Ebd. S. 587. Vgl. Rüdiger 1958. S. 359. Stadler 2001. S. 15-36. Ebd. S. 23. Friedrich Schlegel: Werke in zwei Bänden. Bd.1. Berlin/Weimar 1980. S. 214. Siehe vor allem das Gedicht Ryoanji in Günter Eich: Gesammelte Werke. Bd. 1: Die Gedichte. Die Maulwürfe. Frankfurt am Main 1991. S. 177-180. Im folgenden Eich: GW zitiert. 89 Stadler 2001. S. 27f. 38 Das Kleine, die literarische Miniatur sollte aber ein Maximum an Bedeutung vermitteln können. Novalis, auch ein Anhänger des Fragmentarischen, war vielleicht einer der Ersten, der in der deutschsprachigen Literatur „Kürze“ und „Kurzlebigkeit“ der Gegenwartsliteratur aus der „zunehmenden Geschwindigkeit“ seines Zeitalters ableitet. In einem Brief an Friedrich Schlegel schreibt er Folgendes über Schellings rasche Schreibweise: „Es ist ein sonderbares, modernes Phänomen, das nicht zu Schellings Nachteil ist, dass seine Ideen schon so welk, so unbrauchbar sind – Erst in neuesten Zeiten sind solche kurzlebige Bücher erschienen. Auch Deine Griechen und Römer sind zum heil eine solche interessante Indication der zunehmenden Geschwindigkeit und Progression des menschlichen Geistes.“90 Die Idee, Kürze als Folge einer schnelllebigen Zeit zu interpretieren und darin kein Manko, sondern eine quasi zur Tugend gewordene Not zu sehen, ist expressionistisch avant la lettre. Denn mit der Avantgarde des 20. Jahrhunderts indet ein Paradigmenwechsel in der Bestimmung der Lakonik statt. Das antike brevitas-Ideal wird endgültig vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden und komplexen Sprachskepsis, die wiederum das Symptom einer allumfassenden Krise des monadischen, substanzzentrierten Denkens und seiner grundlegenden Werte darstellt, verabschiedet. Zunächst aber bestätigt gerade jener, der am meisten zur „Umwertung aller Werte“ in der Moderne beigetragen hat, Friedrich Nietzsche, die Autorität der römischen brevitas für sein Denken. In seinem Spätwerk Götzen-Dämmerung (1889) legt Friedrich Nietzsche unter anderem ein diesbezügliches stilistisches Bekenntnis mit dem Titel Was ich den Alten verdanke ab: „Mein Sinn für Stil, für das Epigramm als Stil erwachte fast augenblicklich bei der Berührung mit Sallust. […] Gedrängt, streng, mit so viel Substanz als möglich auf dem Grunde, eine kalte Bosheit gegen das ,schöne Wort‘, auch das ,schöne Gefühl‘- daran errieth ich mich. Man wird, bis in meinen Zarathustra hinein, eine sehr ernsthate Ambition nach römischem Stil, nach dem ,aere perennius‘ im Stil bei mir wiedererkennen. Nicht anders ergieng es mir bei der ersten Berührung mit Horaz. Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begrif, nach rechts und links und über das ganze hin seine Krat ausströmt, dies minimum in Umfang der Zeichen, dies damit erzielte maximum 90 Apud Stadler 2001. S. 32. 39 in der Energie der Zeichen – das Alles ist römisch und, wenn man glauben will, vornehm par excellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres, – eine blosse Gefühls - Geschwätzigkeit.“ 91 Trotz seiner entschiedenen Option für die „klassische“ römische Kürze, entspricht die gegebene Deinition im Kern den späteren modernen, insbesondere expressionistischen Wunschvorstellungen. Denn Nietzsche verbindet die extrem verknappte Rede („minimum in Umfang der Zeichen“) mit Intensität („maximum in der Energie der Zeichen“), also mit einer besonderen Krat der Worte, die gerade durch die Reduktion entsteht, und die auf mehreren Ebenen – der phonetischen, syntaktischen, semantischen („wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begrif, nach rechts und links und über das ganze hin seine Krat ausströmt“) – verwirklicht wird. Lakonismus würde demnach eine Form sprachlicher Energie bedeuten, die nicht erst in der Semantik, sondern schon in der kleinsten Einheit des Ausdrucks, im Laut spürbar zu werden strebt. Eine derartige Ansicht beschätigt explizit spätestens die Expressionisten, deren Sprachverständnis auf einem besonders starken Glauben an die Macht des Einzelwortes basierte. Mit diesem Glauben an die Energie des „befreiten“ Wortes (der sich später, in der konkreten Lyrik nach 1945 noch mehr radikalisiert und bis zum befreiten Laut reicht, jedoch die Semantik dadurch des Öteren dem Spiel mit der Körperlichkeit der Sprache opfert) versuchte man die dichterische Sprache allerdings nicht nur neu zu konstituieren, sondern vorerst von einer älteren Sprachskepsis zu heilen, die, unter anderen, von Nietzsche thematisiert wurde. 1.2. Sprachskeptische Prämissen einer neuen literarischen Rhetorik Der Zweifel an der überlieferten poetischen, aber auch an der allgemeinen Sprache gehörte zur Zeit der Jahrhundertwende zum beliebtesten ästhetisch-philosophischen hemenrepertoire der Epoche, entsprach einer komplexen Erfahrung der Verunsicherung angesichts einer umgewerteten Welt, der Revolte gegen starre Konventionalität, und wirkte bahnbrechend für die moderne sprachrelexive Dichtung. Neue wissenschatliche, philosophische, ästhetische Denk- und Erklärungsmodelle zeigten eine Realität, mit der die veraltete, konventionelle „Bildungssprache“ des 19. Jahrhunderts nicht mehr schritthalten konnte. Es ist zwar bereits erkannt worden, 91 Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung. In: Fr. Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 6. München und New York 1980. S. 154-155. Walther Killy glaubt in dem von Nietzsche als typisch römisch deinierten „Wechselverhältnis zwischen der Kargheit der Zeichen und der Fülle der Wirkung“ zugleich eine Bestätigung der typisch lyrischen prägnanten Kürze gefunden zu haben. Vgl. Killy 1972. S. 169. Es stimmt nun, dass Nietzsches Äußerungen hier eine besondere Hochachtung für die konzentrierte Sprache der Poesie bezeugen, allerdings zeigt die anschließende Kritik an den „Rest von Poesie“, dass diese auch „geschwätzig“ sein kann und, implizit, dass Kürze in seinem Sinn bloß die qualitativ bessere Lyrik kennzeichnet. 40 dass Sprachskepsis im deutschsprachigen Raum schon mit der Romantik einsetzt92, akut wird diese aber erst in der späteren Moderne, als sich das Weltbild im Übergang von einem substanzzentrierten zu einem relationellen Denkparadigma radikal verändert. Dieser Entwicklung fallen Kategorien zum Opfer, die bis ins 19. Jahrhundert eine gewisse Stabilität der Weltanschauung und implizit auch ihrer Aufassung von Sprache sicherten, darunter die Kategorie des Individuums. Die Sprachskepsis und -kritik in der Kultur der Wendezeit vom 19. zum 20. Jahrhundert steht in engem Zusammenhang mit einer folgenreichen Revision der Deinition des Subjekts, also des sprachlich Handelnden. So glaubt auch Silvio Vietta, dass „Ichdissoziation“, die Aulösung der traditionellen Kategorie des Subjekts, eine Hauptursache für die Entfremdung der Sprache in der Moderne sei und die Skepsis des Sprechenden ihr gegenüber erklären könne93. Im Folgenden soll kurz auf einschlägige Aspekte dieses Wandels in der Wahrnehmung des Subjekts eingegangen werden, da sie auch für das veränderte Verständnis von (dichterischer) Sprache und Lakonik relevant sind. Vorgezeichnet durch atomare Kompaktheit und synthetisierende Vernunt ließ sich das monadische Konstrukt des Individuums von der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert unbeschädigt weitervererben. Ab dem 19. Jahrhundert erfährt der neuzeitliche Subjektbegrif jedoch seine ersten deutlichen Brechungen, die laut Vietta auf eine sich strukturell wandelnde Lebenswirklichkeit zurückzuführen seien. Darin geschieht die „Dissoziation“ nicht als eine eigenmächtige Aulösung des Individuums, sondern als ein Aufgelöstwerden desselben durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von äußeren Faktoren, die sich sowohl geistesgeschichtlich als auch sozialwissenschatlich beschreiben lassen. Darunter entwerfen die intensive Technisierung, Industrialisierung und Urbanisierung ein neues aggressiv-heterogenes Wirklichkeitsbild, das dem einheitlichen Subjekt dissoziierende Wahrnehmungsstrukturen aufzwingt. Die Konfrontation des Individuums mit der verwirrenden Masse disparater Teilaspekte einer nicht mehr überschaubaren Realität im Großstadtmilieu führt dieses jenseits kohärenten Wahrnehmungsvermögens. Somit bewirkt die stark akzelerierte Anreicherung und Vervielfältigung der Erfahrungswelt Störungen im Empinden von Wirklichkeit, die krat der Überforderung jeglicher synthetischer Rezeptionsfähigkeit des Subjekts seine existentielle Verunsicherung einleiten. Ichaulösung und Substanzverlust sind schon, laut Vietta, in der dissoziierten Wahrnehmung gegeben, deren Aufsplitterung letztlich die Atomisierung der monadischen Subjektivität selbst in eine zusammenhanglose Reihe von Partikeln impliziert. 92 C.A.M. Noble: Sprachskepsis. Über Dichtung der Moderne. München 1978. S. 18f. Noble erkennt aber auch die eigentlich ambivalente Einstellung der Romantiker zur Sprache, denn der Zweifel an ihrer Fähigkeit, das Überirdische, Unsagbare auszudrücken, wird vom Glauben an die Macht der Allegorie kompensiert. 93 Silvio Vietta: Die literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Hölderlin bis homas Bernhard. Stuttgart 1992. passim. Silvio Vietta/HansGeorg Kemper: Expressionismus. München 51994. passim. 41 Die Atomisierung der Kategorie des Individuums in der Moderne könnte aber auch als Symptom des Übergangs zu einem nicht mehr von der einheitlichen, kompakten Substanz und einem nichtkontradiktorischen Denken, sondern von dynamischen Relationen dominierten Paradigma gewertet werden. Ernst Mach, der Philosoph, der über Hermann Bahr eine intensive Rezeption auch in literarischen Kreisen der Jahrhundertwende erfahren hatte, deinierte das Individuum als „Ich-Komplex“ – ein ständig in Veränderung begrifenes System von Relationen – und folgerte, dass „die Kenntnis des Zusammenhanges der Elemente (Empindungen)“ genügen muss, um das neu erkannte Ich bestimmen zu können94. Sein zum Schlagwort gewordene Satz, vor allem in der österreichischen Moderne: „Das Ich ist unrettbar.“ bezieht sich genau genommen auf das alte, substanzielle Erkenntnissubjekt, das vom neuen, relationell begrifenen Individuum abgelöst werden soll. Ein derartiges, am Machschen Begrif orientiertes Ich „ohne Mitte“, imaginiert beispielsweise Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaten. Auch für Musil wird das Individuum in seiner Möglichkeitsform zu einem Relationswesen, einer zwar noch utopischen Denkigur, die aber trotzdem den Weg aus der Krise des monadischen Subjekts darstellen könnte, sobald die Menschheit reif genug wäre, sich neue Denkgestalten und –gestaltungen anzueignen. Für Ulrich, die Hauptgestalt seines Romans, reit die Ahnung vom Unfesten der neuen Ordnung in der Erkenntnis von funktionalisierten und relationierten Werten, welche in dynamischer Verwobenheit die Wirklichkeit schlechthin ausmachen: „Dann fanden alle moralischen Ereignisse in einem Kratfeld statt, dessen Konstellation sie mit Sinn belud, und sie enthielten das Gute und das Böse wie ein Atom chemische Verbindungsmöglichkeiten enthält. Sie waren gewissermaßen das, was sie wurden, und so wie das eine Wort Hart, je nachdem, ob die Härte mit Liebe, Rohheit, Eifer oder Strenge zusammenhängt, vier ganz verschiedene Wesenheiten bezeichnet, erschienen ihm alle moralischen Geschehnisse in ihrer Bedeutung als die abhängige Funktion anderer. Es entstand auf diese Weise ein unendliches System von Zusammenhängen, in dem es unabhängige Bedeutungen, wie sie das gewöhnliche Leben in einer groben ersten Annäherung den Handlungen und Eigenschaten zuschreibt, überhaupt nicht mehr gab; das scheinbar Feste wurde darin zum durchlässigen Vorwand für viele andere Bedeutungen, das Geschehende zum Symbol von etwas, das vielleicht nicht geschah, aber hindurch gefühlt wurde, und der Mensch als Inbegrif seiner Möglichkeiten, der potentielle Mensch, das ungeschriebene Gedicht seines Daseins trat dem Menschen als Niederschrit, als Wirklichkeit und Charakter entgegen.“ 95 94 Ernst Mach: Die Analyse der Empindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. Jena 21900. S. 17. 95 Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaten. Hrsg. v. Adolf Frisé. Hamburg 1952. S. 250-251. Im folgenden MoE zitiert. 42 Auch der (potentielle) Mensch existiert in diesen Zusammenhängen als Komplex von Variablen und nicht mehr als beständige Einheit. Wichtig werden bei diesem neuen Ich die Artikulationen, d.h. die provisorischen funktionalen Beziehungen, die zwischen den konstitutiven Elementen oder Eigenschaten des Subjekts entstehen und dauernd variiert werden. Zum Entwurf des neuen Menschen gehört für Musils Protagonist, Ulrich, „ein bewegliches Gleichgewicht“ von heterogenen Stofarten, die im „Wechselspiel zwischen Innen und Außen“ über das Unpersönliche, Fremde eine neue Persönlichkeit aufrichten können: „Man lernt das Wechselspiel zwischen Innen und Außen erkennen, und gerade durch das Verständnis für das Unpersönliche am Menschen ist man dem Persönlichen auf neue Spuren gekommen, auf gewisse einfache Grundverhaltensweisen, einen Ichbautrieb, der wie der Nestbautrieb der Vögel aus vieler Art Stof nach ein paar Verfahren sein Ich aufrichtet.“ 96 In Analogie zu Mach haben außerdem auch für Musil nicht die Körper Beständigkeit, sondern das Gesetz der beliebigen Übertragbarkeit der Eigenschaten von einem Körper auf den anderen. Das Interesse verlagert sich konstant von den Inhalten und festen Substanzen an sich auf den Funktionswert und die Relationsmöglichkeiten derselben. Das führt zur Etablierung einer neuen Aufassung von Realität, die nicht mehr auf einheitlichen, stabilen Kategorien fußt, sondern sich im Schnittpunkt von Variablen konstituiert und die im Wesentlichen nicht mehr substantieller, sondern relationeller Natur ist. Über das von der Relation bestimmte wissenschatliche, philosophische und ästhetische Denken des frühen 20. Jahrhunderts, argumentiert Ioana Em. Petrescu in einem Buch zur rumänischen Moderne und deren Beziehung zur Postmoderne97, wird die Moderne allmählich postmodern. Alte Kategorien, auch jene des Subjekts, erfahren durch relationzentrierte Erklärungsmodelle eine Dynamisierung. Im Unterschied aber zur Hegelschen Tradition der dialektischen Relexion wird in der modernen Philosophie ansatz- und in der postmodernen konsequenterweise kein Widersprüche einebnendes Synthesemoment mehr angestrebt. Die komplexe Dynamik der Moderne und Postmoderne verweilt, so Petrescu, im Komplementären und vermittelt eine Wirklichkeitskonzeption der aktualisierten und potentiellen Relationskomplexe, worin das sich aulösende Subjekt als dynamisches Gewebe von Relationen rehabilitiert wird. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es nicht verwunderlich, dass Relationen auch im sprachlich-poetischen Bereich besonders interessant werden, zunächst aber im negativen Sinne, als starre Strukturen und bewahrende Formen eines konventionellen Denkens. Deswegen beginnt z.B. die futuristische und expressionistische Avantgarde ihre sprachliche Revolution bei der Syntax, mit 96 MoE. S. 252. 97 Ioana Em. Petrescu: Ion Barbu şi poetica postmodernismului. Ed. Cartea Românească. Bucureşti 1993. Insbesondere S. 7-18. 43 einer deklarierten Satzfeindschat, spricht sich ebenfalls für Ellipse und Asyndeton aus und schat eine neue lakonische Sprache auf den Trümmern der abgebauten oder verstümmelten Grammatik. Doch die Reduktion der vor allem syntaktischen Beziehungsstrukturen hat über das Moment des Experimentierens hinaus Früchte getragen, so z.B. bei August Stramm und seinen Nachfolgern. Von suspekt gewordenen Relationen sprechen ebenfalls, dort wo sie nicht reduziert werden, die verwirrend gebrauchten Konjunktionen, in der reifen Lyrik Georg Trakls beispielsweise. Und noch viel später, in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, thematisiert Günter Eich lakonisch und exemplarisch das „Und“ als absurde, auch subversive Verbindungsstruktur komischer Zusammenhänge98. Schließlich macht aber gerade die derart verschobene, dekonstruierte, ja ad absurdum geführte Ordnung der Sprache eine neue Ausdrucksweise und einen neuen Ton der Dichtung möglich, die, wie weiter unten gezeigt werden soll, für das moderne Verständnis von Lakonik bestimmend sind. Lakonismus meint nun keine unverstümmelte und verständliche brevitas, keine wohlformulierte, auf das schlicht Notwendigste beschränkte Kürze mehr. Die neue Kürze der (dichterischen) Rede sagt weit weniger als notwendig, ist semantisch dunkel, scheut keine meist ironische Trockenheit und gibt dem Leser auch bei stimmender Syntax einen ot gewaltigen Denkautrag. Durch den Verzicht auf herkömmliche Bindungen an Reim, regelmäßigen Rhythmus, übliche grammatische und semantische Strukturen gewinnt diese Kürze an Intensität, Expressivität und Härte. Sie nähert sich dem Schweigen mit einer knappen und nachdrücklichen Sprache, die zugleich entschieden skeptisch wie auch hofnungsvoll sein kann oder, mit Rainer Malkowski gesprochen, pessimistisch und optimistisch zur selben Zeit, Zeuge nicht nur der Verlogenheit der Worte, sondern auch des Vertrauens in deren Krat, „vom Glauben, dass eine Verständigung durch knappen Zuruf möglich ist“ 99. Zunächst erweckte jedoch um die Jahrhundertwende die Erkenntnis der Konventionalität und Fiktionalität der herkömmlichen Sprache eine tiefe Verunsicherung. Umso mehr als diese aus verschiedenen Richtungen bestätigt wurde. Die Soziologie attackierte durch Georg Simmel die Bildungssprache des 19. Jahrhunderts als entfremdet und tabubesetzt, eine Sprache, die den Sprechenden bis ins Innerste seiner Gedanken wie ein Zensor kontrollierte100. Die Linguistik setzte durch Ferdinand de 98 Positiv und in gestischer Funktion setzt Erich Fried das „Und“ im Titel seines 1966 erschienenen Gedichtbandes und Vietnam und, der eine Wende zum politisch engagierten Gedicht bei Fried markiert. Zu ihrem auf weitere Zusammenhänge verweisenden Gebrauch schreibt Johann Holzner: „Die Konjunktion ,und‘ weist darauf hin, dass Vietnam nicht isoliert gesehen werden darf; das Land steht zwar zum Zeitpunkt der Entstehung der Gedichte im Mittelpunkt des öfentlichen Interesses, doch im Gedichtband ist es auch ein austauschbares Modell, das an anderen Orten und zu anderen Zeiten Aufmerksamkeit verdient.“ Johann Holzner: Gegennachrichten. Zu den Gedichten von Erich Fried (1966-1974). In: Literatur und Kritik 152/1981. S. 48. 99 Rainer Malkowski: Über die Kürze. Ein Stenogramm für Reiner Kunze. In: Marek Zybura (Hrsg.): „Mit dem wort am leben hängen …“ Reiner Kunze zum 65. Geburtstag. Heidelberg 1998. S. 113. 100 Georg Simmel: Der Begrif und die Tragödie der Kultur. In: Georg Simmel: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer der Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essays mit einem Nachwort von Jürgen Habermas. Berlin 1983. S. 183-207. 44 Saussures bahnbrechende Vorlesungen ebenfalls fest, dass die Sprache eine Form der gesellschatlichen Praxis ist, Sprachzeichen gesellschatliche Konventionen sind und somit nicht stringent und naturgemäß, sondern aufgrund konventionell regulierter Beliebigkeit zum Ausdruck einer sozialen Realität werden. Auch die Psychoanalyse Sigmund Freuds verstand Sprache als ein weitgehend von unbewussten Bedeutungen und Assoziationen besetztes System, das die Fragilität und Labilität des Bewussten anschaulich machte und beklemmend suspekt wurde. Hatte man Sprache spätestens seit Wilhelm von Humboldt zum Instrument der Erkenntnis und sogar zu einer Form der Weltanschauung erklärt, so sah es nun so aus, als würde die Sprache, von gesellschatlichen Konventionen oder dem Unbewussten gesteuert und zensiert, die Wirklichkeit eher falsiizieren und der Erkenntnis hinderlich sein. In diesem Zusammenhang stellte die Philosophie mit Nietzsche die Fiktionalität der Begrife bloß. Das Bewusstwerden einer Dissoziation, meint Vietta101, tritt nun sogar auf der Ebene theoretischer Erkenntnis, in den Bereichen der Wissenschat und Philosophie auf. So verweist Nietzsche auf den iktionalen Charakter wissenschatlicher und philosophischer Begrife, darunter auch jener des Subjekts in der tradierten Aufassung. Nietzsche erscheint das cartesianische strikt vernuntgesteuerte Ich, das unumstößliche Fundament einer sicheren Erkenntnis, als eine „Fiktion“ traditionellen metaphysischen Denkens, das eben die unbewussten, doch vitalen Triebe des lebendigen Individuums verkennt. Somit deutet Vietta die Aufassung von der Aulösung des substantiellen Subjektbegrifs als eine Konsequenz des modernen Nihilismus, der selbst seine eigentliche Rechtfertigung erst durch die Rückbindung an die zeitgenössische Grundlagenkrise der Naturwissenschaten und den von diesen geprägten Wahrheitsbegrif erhält. Diese ergibt sich allmählich aus den damaligen Erkenntnissen bezüglich der Verbindlichkeit wissenschatlicher Termini, genauer aus der Einsicht, dass alle grundlegenden Hypothesen, auf denen die verschiedensten Systeme basieren, letztlich keine beweisbaren Voraussetzungen, sondern bloß angenommene, axiomatisch eingesetzte Vermutungen sind. Wissenschatliche Begrife sind also keine Abbilder von Wirklichkeit, sondern notwendige, funktionale Fiktionen, die auch bei vollkommener logischer Kohärenz innerhalb des Systems prinzipiell unbeweisbar bleiben. Obwohl auf objektiven Messdaten aufgebaut, vermitteln wissenschatliche heorien immer Konstrukte eines Erkenntnissubjekts, die eine persönliche Auswertung des faktischen Materials nur bis auf Widerruf als gültig erschienen lassen. Dadurch wird der Begrif der Objektivität relativiert und der Gedanke der Entfremdung von Sprache und Wirklichkeit eingeleitet. Enttäuschung über die Ohnmacht der Sprache oder über ihren Missbrauch wurde um die Jahrhundertwende immer wieder laut und zuweilen endlos erläutert. Der „Schrecken über das absurde Ungeheuer der Sprache“ 102, die eher für das Missverstehen als für das Verstehen verantwortlich sei, wurde Fritz Mauthner zur Besessenheit, während Karl Kraus mit der zur „Phrase“ degradierten Rede kämpte, 101 Vietta/Kemper 51994. S. 134f. 102 Fritz Mauthner. Apud Noble 1978. S. 24. 45 der „Allerweltshure“, der er, zugespitzt formuliert, wieder zur Jungfräulichkeit verhelfen wollte103. Doch den emblematischen Text zur Sprachskepsis dieser Epoche lieferte Hugo von Hofmannsthal mit dem iktiven Brief des Lord Chandos an Francis Bacon (1902). In diesem klagt zwar, wie bekannt, der Verfasser, dass „die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muss, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerielen mir im Munde wie modrige Pilze“104. Die Sprache dieser Klage ist jedoch weit davon entfernt zu zerfallen oder zu verstummen, ganz im Gegenteil, sie kleidet die Skepsis in eine wohlgeformte „klassische“ Rhetorik, zu der Rolf Grimminger zu Recht bemerkt: „Trotzdem schreibt Hofmannsthals Lord immerhin noch darüber, dass er nicht mehr schreiben könne. Er behauptet, nicht mehr schreiben zu können, schreibt aber trotzdem. Das scheint ebenso paradox wie Fritz Mauthners langatmiges Sprechen über den Unsinn der Sprache. […] Die Sprache trägt nicht mehr, sie gleicht einem sinkenden Schif. Doch verließen sie es nicht, trotz aller Untergangsstimmung schrieben sie weiter – über das neue hema der Moderne, dass man in der herkömmlichen Weise nicht mehr weiterschreiben könne. Das teilten auf ihre Weise auch Nietzsche, Karl Kraus und Arthur Schnitzler mit. Die Literatur wird sich selbst problematisch; solange sie darüber aber noch Auskunt gibt, ist sie weit davon zu verstummen.“ 105 Trotzdem versuchten sich die Symbolisten durch Hermetik einer schweigsameren Dichtung anzunähern, die eine besondere inkantatorische Intensität durch sinnvolle Aussparung, Andeuten statt explizitem Nennen, und Klangmagie gewinnen sollte. Baudelaire und Poe bestanden außerdem auf die Kürze des Gedichts, die so zum Grundgebot symbolistischer Poetik wird106. Deren Funktion war intensivierend zu wirken, allerdings nicht hart, sondern harmonisch aufgeweicht in Kombination mit einem Refrain und der von Assonanzen und Alliterationen beschworenen Sprachmusik. Von dieser dunklen, jedoch milden Kürze wird sich die expressionistische Avantgarde durch eine immer steiler, nonchalanter oder auch hermetisch-dissonanter werdende Rhetorik trennen. 103 Karl Kraus: „Meine Sprache ist die Allerweltshure, die ich zur Jungfrau mache“. In: Gerhard Fieguth (Hrsg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart 1998. S. 225. 104 Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief. In: Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Bd. 31. Frankfurt am Main 1975. S. 49. 105 Rolf Grimminger: Der Sturz der alten Ideale. Sprachkrise, Sprachkritik um die Jahrhundertwende. In: Rolf Grimminger, Jurij Murašov, Jörn Stückrath (Hrsg.): Literarische Moderne. Europäische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburg 1995. S. 187. 106 Vgl. Paul Hofmann: Symbolismus. München 1987. S. 93. 46 1.3. Wege zum modernen lakonischen Gedicht in der Manifestliteratur und in der Kurzlyrik des Expressionismus Pathos, Ekstase, Intensität, Schrei waren Stichworte des Expressionismus107 auf der Suche nach einer neuen, unmittelbaren, intensiven poetischen Sprache, die dem bewegten expressionistischen Zeitgefühl einen adäquaten Ausdruck geben sollte. „Das Urgedicht, jenes, das längst entstand vor Schrit und Druck, war nichts als ein modulierter, kaum Sprache gewordener Schrei, aus Lust oder Schmerz, aus Trauer oder Verzagung, aus Erinnerung oder Beschwörung gewonnen, aber immer aus dem Überschwang einer Empindung. Es war pathetisch, weil es aus Leidenschat entstanden war, pathetisch, weil es Leidenschat erzeugen sollte“, schrieb Stefan Zweig 1909 und forderte die Rückkehr des Gedichts zum „ja sagende(n) Pathos par excellence im Sinne Nietzsches“ 108. Das Schreiben aus der Bewegung und der Bewegtheit des Gefühls, wie auch die Forderung, sich in den akzelerierten Rhythmus des neuen großstädtischen und industriellen Zeitalters durch eine radikale Vereinfachung und Verknappung der lyrischen Sprache auch poetisch hineinzubewegen, gehörten zur avantgardistischen Poetik des Expressionismus. Diese ist theoretisch in der Futurismusrezeption und in der Wortkunsttheorie des „Sturm“Kreises um Herwarth Walden am ofensichtlichsten. 1.3.1. Lakonik als theoretische Wunschvorstellung In seiner programmatischen Schrit Die futuristische Literatur. Technisches Manifest, die 1912 in der Zeitschrit „Der Sturm“ abgedruckt wurde, rechnet Filippo Tommaso Marinetti mit der „lächerliche(n) Leere“ der althergebrachten Rhetorik ab, fordert die Destruktion ihrer tragenden Struktur, der Grammatik, wie auch die Erindung eines neuen Stils, entsprechend der durch die moderne Technik veränderten Zeit. Er plädiert für einen ausgesprochen nominalen Stil, für das Verb im Ininitiv, die Reduktion von Adverb und Adjektiv, für den Verzicht auf Konjunktionen und Interpunktion, die Abschafung des „Ich“ und somit „alle(r) Psychologie“, für die von den Ketten der Syntax und der verfälschenden Intelligenz befreiten Worte und für die Kreativität der kühnen Analogie, „die fernstehende, ofenbar verschiedene und feindliche Dinge verbindet“109. Durch diese Verfahren sollte „ein Diskurs der 107 Vgl. homas Anz und Michael Stark (Hrsg.): Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920. Stuttgart 1982. Darin: Stefan Zweig: Das neue Pathos. Dok. 150. S. 575-578; Martin Buber: Ekstase und Bekenntnis. Dok. 151. S. 578-581; Ludwig Rubiner: Intensität. Dok. 152. S. 582-583. 108 Zweig. In: Anz/Stark 1982. S. 575, 577. 109 F. T. Marinetti: Die futuristische Literatur. Technisches Manifest. In: Anz/Stark 1982. Dok. 159. S. 604609. Zitat S. 605. 47 Gewalt, der Anti-Innerlichkeit, der Dynamik und Schnelligkeit konkrete stilistische Gestalt gewinnen“110. Marinettis rezeptartige Poetik klingt schon in ihrer sentenzhaften Axiomatik naiv und wurde deswegen auch von den ursprünglichen Anhängern des Futurismus, wie Alfred Döblin, kritisiert. Naiv war der Glaube an die Abschaffung „alle(r) Psychologie“ 111 durch die Zerstörung der Syntax oder der Glaube an das Einzelwort, der emphatisch vom „Sturm“-Kreis übernommen wurde112. Trotzdem gelang es gerade dieser programmatischen Aufassung von Poesie, in lyrische Praxis umgesetzt, die Schranken der Tradition zu durchbrechen und eine Form des expressionistischen Lakonismus zu etablieren, jene einer teilweise emphatischen (bei August Stramm am ofensichtlichsten, aber auch bei Ernst Toller), teilweise ironisch - pointierten (Alfred Lichtenstein) oder schrof-nihilistischen (Bertolt Brecht) Lakonik. Als tragende Struktur dieser neuen sprachlichen Tendenz zur Konzentration und Einfachheit wurde die Parataxe in all ihren Ausdrucksmöglichkeiten identiiziert: als Zeilenstil, Kumulation von Bildern, Wortmontage, Ellipse oder Asyndeton. Wie auch die spätere Nachkriegslakonik wendete sich der expressionistische Lakonismus, auf der Suche nach einer neuen authentischen, unmittelbaren poetischen Sprache, gegen den klischierten Wohlklang der Tradition und erstrebte nicht mehr Musik, sondern Intensität in der Lyrik. Eine Lakonik, wie sie z.B. von Stramm im Expressionismus praktiziert wurde, hat, wie wir weiter unten zeigen werden, ihren Reiz bis in die heutige Zeit nicht verloren. Programmatisch führt demnach ein Weg zum reduzierten Gedicht des Expressionismus über die vom Futurismus beeinlusste „Wortkunst“-heorie des „Sturm“Kreises um Herwarth Walden: „Das Material der Dichtung ist das Wort. Die Form der Dichtung ist der Rhythmus.“ heißt es apodiktisch gleich zu Beginn des Aufsatzes Waldens Das Begriliche in der Dichtung113. Das Wort an sich konzentriert nach Walden die gesamte Energie und Semantik der poetischen Sprache und hat den „wahren“, nicht den gemessenen Rhythmus in sich. Wie Marinetti fordert auch er die Befreiung der Wörter von den willkürlichen Regeln der Grammatik aber auch jene des Rhythmus’ von den künstlichen Regeln der Metrik. Denn 110 Gerhard Regn: Futurismus (ital.). In: Dieter Borchmeyer/Viktor Žmegač (Hrsg.): Moderne Literatur in Grundbegrifen. Tübingen 21994. S. 164. 111 Wie Vietta/Kemper zu Recht bemerken: „Natürlich ist Marinettis Annahme, er habe das Ich des Schritstellers und ‚die ganze Psychologie‘ schon getilgt, wenn er dessen syntaktische Spuren löscht, naiv. Noch die wahllose Häufung von Nomina, die er empiehlt, ist ja eine Form der Ichaussage, das Ich in Auswahl und Anordnung der Nomina präsent. Ebensowenig ist die beliebige Anordnung von Nomina – eine Form der Montage, die Marinetti am Kino vorbildhat verwirklicht sah – schon Zerstörung der Syntax als solcher. Eher handelt es sich hier um eine extreme syntaktische Reduktion.“ Vietta/Kemper 51994. S. 116. 112 Vgl. Karl Eibl: „Der ‚Fehler‘ dieser ‚heorie‘ ist ofenkundig. Denn das Einzelwort verdankt seine Ausdruckskrat nicht minder der Tradition seiner Verwendung, ist nicht minder konventionell als der Satz in seinen Zuordnungen. Nur weil es nicht durch den Kontext des Satzes in seinem Sinn mitdeterminiert ist, hat es eine größere Aura möglicher Bedeutungen.“, Karl Eibl: Expressionismus. In: Walter Hinderer (Hrsg.): Geschichte der deutschen Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart 1983. S. 420-437, hier 423-424. 113 Herwarth Walden: Das Begriliche in der Dichtung. In: Anz/Stark 1982. Dok. 164. S. 618. 48 „wenn das einzelne Wort so steht, dass es unmittelbar zu fassen ist, so braucht man eben nicht viele Worte zu machen. Man darf es dann sogar nicht, weil man sonst das Wort umstellt, unsichtbar macht. Die Kunst aber ist es, das sichtbare Wort sichtbar oder wieder sichtbar zu machen. […] Nur Wörter binden. Sätze sind stets aufgelesen. Die Sätze werden in Absätze aufgeteilt und der Rhythmus ist fertig. Nur ist es kein Rhythmus; denn diese Verse sind willkürlich. Der Dichter misst sie und bricht sie ab wie es ihm passt. Er macht die Zeilen gleich. Und der Versfuß hinkt. Man kann eben nichts Wesentliches gestalten, wenn man nur mit Füßen arbeitet und den Versen wohl gezählt auf die Füße tritt. Man muss den Fuß nicht stellen, wenn man sich bewegt. Kunst aber ist Bewegung. Rhythmus. Jedes Wort hat seine Bewegung in sich. Es wird durch die Bewegung sichtbar. Die einzelnen Wörter werden nur durch ihre Bewegung zueinander, aufeinander, nacheinander gebunden.“ 114 Auch wenn in vagen und, wie schon bemerkt, unhaltbaren Vorstellungen von der semantischen Überlegenheit und angeblichen Unkonventionalität des zum Einzelwort verkürzten Satzes, bekundet sich bei Walden das Interesse an einem neuen Ton der Dichtung, den er sich vom Lakonismus hart gefügter Wörter verspricht. Diesen Ton beschreibt Lothar Schreyer in seinem die Lyrik August Stramms quasi mitinterpretierenden Aufsatz Expressionistische Dichtung als „aharmonisch“ aber „rhythmisch“ 115. Die Dichtung oder „das Wortkunstwerk“ deiniert Schreyer hier als „Sprachtonwerk“, gestaltet wesentlich durch einen durch „Konzentration“ und „Dezentration“ entstehenden Rhythmus. Konzentration erklärt und exempliiziert Schreyer als „Wortverkürzung“ und „Satzverkürzung“. Das Einzelwort konzentriere schon den Begrif auf eine minimale Lautgestalt, die weiterhin durch Reduktion auf das Stammwort, Weglassen der Beugungsendungen und des Artikels, eine extreme Verknappung erfahren, wandlungsfähig und somit kreativ werden kann. Wortverkürzungen bilden nach Schreyer eine linguistische Matrix für die Bildung neuer Wörter. Als eine Erweiterung der Wortverkürzung betrachtet Lothar Schreyer die Satzverkürzung, die durch das Auslassen der Präpositionen und Konjunktionen oder die transitive Verwendung intransitiver Verben bis hin zur Konzentration des Satzes in einem Wort den aussagekrätigsten Ausdruck anstreben soll. Komplementär zur Konzentration tritt für Schreyer die „Dezentration“ im Bereich der „Wortiguren“: Wiederholungen, Parallelismen, Umkehrung der Wortstellung, „Assoziation von Wortform zu Wortform“. Die Funktion dieser reduzierten lyrischen Aussageweise war „keine Mitteilung von Gedanken oder Gefühlen, sondern (die) Kunde einer Ofenbarung“ 116. Man könnte dieser heorie, wie auch bei Walden, im Allgemeinen das naive und begrilich konfuse Festhalten an einer gewissermaßen mystischen Materialität des Einzelwortes vorwerfen. Im Besonderen scheint die Konzentration lediglich 114 Walden. In: Anz/Stark 1982. S. 621-622. 115 Lothar Schreyer: Expressionistische Dichtung. In: Anz/Stark 1982. Dok. 165. S. 624. 116 Schreyer. In: Anz/Stark 1982. S. 628. 49 durch formale Mittel der anderweitig hetig verworfenen Grammatik möglich zu sein, während die Dezentration hauptsächlich durch eine relative Expansion der Sprachmaterie mittels Formen und Verfahren der ebenfalls kritisierten Rhetorik und durch Erweiterung der Semantik zu verwirklichen wäre. Aber trotz seiner Unschärfe vermittelt dieser programmatische Aufsatz eine der detailliertesten Wunschvorstellungen von Lakonismus im expressionistischen Gedicht. Darüber hinaus ebnet der expressionistische Glaube an die Macht des einzelnen Wortes den Weg zur weitgehend elliptischen Sprache der Nachkriegslyrik. „Satzfeindschat“ führt z.B. Hugo Friedrich als allgemeine typische Struktur der „neuen Sprache“ moderner Lyrik an und meint damit ihren „Fragmentarismus“ und ihre mehrdeutige Lakonik, erzielt durch die „Entmachtung des Verbums“, die Intensivierung des Nomens, die Manier „überhaupt nur noch in Stichworten zu schreiben“ und durch ein quasi schweigendes Sprechen eine besondere lyrische Intensität im Kurzgedicht zu gewinnen117. Anfang der 20er Jahre verbindet der Expressionist Iwan Goll die heorie der Wortkunstlyrik mit einem neuen Modell lakonischer Poesie, das grundlegend auch für die spätere Nachkriegslakonik sein sollte, jenes der japanischen Kurzdichtung. In seinem 1921 veröfentlichten Aufsatz Das Wort an sich. Versuch einer neuen Poetik, fordert Iwan Goll in der für den Expressionismus typisch vehementen, metaphernreichen, nicht widerspruchsfreien Manifestsprache eine vertikale, einfache und eindeutige Kunst, denn „unsere Zeit ist steil. Wir bewegen uns nach oben. Wir sind Aeroplane. […] Steil müsste auch unsere Sprache sein: steil, schmal, steinern, wie ein Obelisk. Steil wie die Strahlen der Mittagssonne. Hart. Nackt. Und vor allem eindeutig, denn das Telegraphenamt hat keine Zeit, Phrasen zu funken: Strom ist zu teuer. Wir Expressionisten haben diese Notwendigkeiten alle gespürt und gewusst, sie aber nicht gelöst. Vor allem ist das Prinzip der Eindeutigkeit nicht befolgt worden. Die Sprache wurde vergewaltigt und verhurt, statt zur grossen Einfachheit und Keuschheit erhoben. Zum Ausdruck neuen Empindens gehörte eine Ursprache, eine einfache, eindeutige Kunst!“ 118 Sprachliche Konzentration, Lapidarstil („steil“, „steinern“, „hart“), Einfachheit und Eindeutigkeit werden hier von Iwan Goll als eine praktische, ja pragmatische Notwendigkeit eines technischen Zeitalters angesehen, das seiner Geschwindigkeit eine ebenso rapide und somit auf das Wesentliche reduzierte Sprache anpassen will. Lakonismus begrifen als prägnant verknappter einfacher und verständlicher Sprachstil verweist bereits auf spätere Aufassungen von Lakonik nach 1945, wie auch insbesondere auf eines ihrer kulturellen Modelle, die asiatische Poesie. Denn zur neuen Lakonik der Dichtung führen, nach Iwan Goll, zwei Wege: Neben die vom technischen 117 Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik. Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. 3. erweiterte Neuausgabe. Hamburg 1970. S. 149-160 passim. 118 Iwan Goll: Das Wort an sich. Versuch einer neuen Poetik. In: Anz/Stark 1982. Dok. 162. S. 614. 50 Großstadtleben geprägte verkürzte Sprache der Lyrik tritt die japanische Kurzdichtung als stilistische Inspirationsquelle: „Also es gilt, tiefstes Erlebnis in Telegramme zu komprimieren, und zwar stenographiert. Es gilt, den größtmöglichen Inhalt in die akuteste und zugleich einfachste Form zu bringen. Und dabei noch Gesang zu sein? Nicht gerade Gesang, aber Rhythmus. Nicht Flöte, aber Banjo. Anderer Weg: die Lakonik der japanischen Tanka.“ 119 Bedeutend erscheint mir hier die von Goll unternommene Korrektur, Lyrik doch nicht mehr mit dem Gesang, wie die Tradition gereimter Poesie immer wieder nahelegte, zu assoziieren, sondern mit einem von vorgegebenen Metren befreiten Rhythmus. Von einer Verschiebung der Aufmerksamkeit von der metrisch gemessenen Melodie zum befreiten Rhythmus, der nicht mehr Gesang erzeugen will, sondern ein intensives, ofenbarendes poetisches Sagen ermöglichen soll, sprachen auch Walden und Schreyer. Es ging immer wieder um einen neuen Ton der Dichtung und immer wieder galt als Lösung die parataktische Konzentration, Lakonismus als Einzelwort-Poetik, als „Wortverkürzung“ oder „Satzverkürzung“. Iwan Goll ist ebenfalls ein Anhänger des Lakonismus als „Wort an sich“ und Parataxe, mit dem Ziel der „Einfachheit“, der „Primitivität“. Die von ihm geforderte neue Poetik des „Wortes an sich“ sollte aber auch zur Herausbildung eines nicht mehr pathetischen, sondern eines „selbstverständlichen“ Tons führen. Diese Wendung vom geforderten pathetischen Ton des expressionistischen Gedichts zum einfachen, verständlichen und selbstverständlichen, welcher in den 20er Jahren, den Jahren der Neuen Sachlichkeit, dominant werden sollte, kann nach Iwan Goll durch die Rezeption der japanischen Kurzlyrik herbeigeführt werden. Nach japanischer Art glaubte Iwan Goll, dass der Lakonismus als Form, d.h. die äußerste sprachliche Konzentration oder Vereinfachung, einen läuternden Lakonismus des Gedankens bewirken und dass die Lakonie als Stil den eigentlichen Ausdruck ursprünglicher Abstraktion darstellen könne: „Jeder Vers muss ein Ganzes in sich sein und Träger eines Ganzen. Jeder Vers gedrungen, gedichtet. Die japanischen Gedichte brauchen nur drei Verse, um die Welt auszudrücken. Einfachheit ist also Überbordwerfen ralentierender Grammatik, ist letzte Reduzierung auf das Notwendige, und also läutert sie den Gedanken. Das Göttliche nicht pathetisch, sondern selbstverständlich.“ 120 119 Goll. In: Anz/Stark 1982. S. 615. 120 Goll. Ebd. S. 616. 51 Für die japanische Kurzdichtung, das altjapanische fünfzeilige Tanka, vor allem aber für das dreizeilige Haiku begannen sich deutschsprachige Dichter schon Ende des 19. Jahrhunderts, im Zuge der Rezeption des französischen Impressionismus, zu begeistern121, darunter Paul Ernst, Peter Altenberg, Alfred Mombert oder Arno Holz. In den 20er Jahren entdeckt Rainer Maria Rilke das Haiku mit der „in ihrer Kleinheit unbeschreiblich reife(n) und reine(n) Gestaltung“ 122 und schreibt selbst mindestens drei entsprechende Gedichte, die sich über gleichnishate Naturbilder auch dem Gedankengut des Zen-Buddhismus zu nähern versuchen. Franz Blei, Klabund und Iwan Goll bemühten sich ebenfalls in den 20er Jahren das Haiku dem deutschen Publikum durch heorie und Praxis näherzubringen. 1925 deiniert Franz Blei das Haiku als „ein Bildchen im kleinsten Raum mit einem pointierten Akzent in der dritten oder auch schon in der zweiten Zeile“ 123. Iwan Goll erwähnt es indirekt in seinem oben besprochenen Aufsatz aus dem Jahre 1921 und empiehlt es als Modell für die Lyrik einer neuen Zeit und eines neuen Tons. 1926 wird Iwan Goll in einem dem Haiku gewidmeten Aufsatz auf diese Kleinform japanischer Lyrik zurückkommen. In einer Zeit, die, so Goll, den Bauunternehmern gehört, ebenso wie der Technik, der schwedischen Gymnastik oder den Weltrevolutionen124, die also pragmatisch, fortschrittlich, robust, aber auch skeptisch ist, empiehlt er mit sportlichem Vokabular und einem noch immer expressionistischen Enthusiasmus das Haiku als eine Blitzdichtung der „neuen Nerven“, eine Art angreifende und ergreifende lakonische Dichtung, die vielmehr dem Geist des Epigramms als jenem der japanischen Kurzdichtung nahekommt: „Weg mit allem Pathos, aller Rhetorik, allem Singsang und Liralei: dafür ein direkter Uppercut auf die linke Schläfe des Lesers oder ein blitzschneller Schlag in die Herzgegend. Rapides Bild. Überzeugender Ausdruck. Und langes Nachklingen der berührten Seele. Nein, nichts Neues! Keine Angst! Vielmehr etwas Uraltes oferiere ich: das Hai-Kai, die klassische Gedichtform der Japaner, die jahrhundertelang die einzige Art ihrer Lyrik geblieben ist. Ein Dreizeiler, das lyrische Epigramm, dessen Zweck ist, in möglichst wenig Worten ein möglichst intensives Bild und weites Gefühl hervorzurufen. 121 In einem diesbezüglich zusammenfassenden Aufsatz bemerkt Sabine Sommerkamp, dass die Kenntnis dieser Dichtung und direkte Einlüsse bei einzelnen deutschen Lyrikern seit etwa 1890 nachgewiesen werden können, vor dem Hintergrund der politischen Etablierung Japans: „Der Impressionismus, der von Frankreich seinen Ausgang nahm und sich in allen Bereichen der Kunst manifestierte, die allgemeine Japan-Begeisterung um 1900 und nicht zuletzt die politische Lage nach dem Sieg Japans im russisch-japanischen Krieg 1904/05 weckten in Deutschland ein Gefühl geistiger Ainität und Identität, das unter anderem zur literarischen Nachahmung anregte.“ Sabine Sommerkamp: Die deutschsprachige Haiku-Dichtung von den Anfängen bis zur Gegenwart. In: Tadao Araki (Hrsg.): Deutsch-Japanische Begegnung in Kurzgedichten. München 1992. S. 79-91, hier 80. 122 Apud Sommerkamp. In: Tadao Araki 1992. S. 79. 123 Apud Sommerkamp. Ebd. S. 81. 124 Yvan Goll: Liederkämpfe in Madagaskar. In: Anton Kaes (Hrsg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933. Dok. 151. Stuttgart 1983. S. 440. 52 Mehr als je bedarf unser nervöses Temperament einer knappen Form: sonst langweilen wir uns. Wir wissen, wir ahnen alle zu viel und zu schnell voraus. Und wehe dem Dichter, dem der Leser zuvorkommt. Das wichtigste Element in der Kunst ist die Überraschung.“ 125 Trotzdem bleibt die Beschätigung mit dem Haiku Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eher auf wenige Autoren und Texte beschränkt. Sie ist aber symptomatisch für die lakonische Ausrichtung der Lyrik im Expressionismus und hat, wie wir glauben, einen vielmehr signalhaten Charakter in der Entwicklung des deutschsprachigen Gedichts zur kleinen und konzisen Form. 1.3.2. Spielarten expressionistischer Dichtungslakonik Lakonik, vor allem als Einzelwort-Emphase aber auch als (japanische) Konzentration des gesamten Gedichtkörpers auf ein vielsagendes Minimum, mit der Funktion, der lyrischen Sprache eine neue Intensität zu verleihen, war somit hema des programmatischen Expressionismus. Wie sah es aber in der dichterischen Praxis aus? Jener, der bekanntlich am konsequentesten die „Sturm“-heorie der „Worte in Freiheit“ in Dichtung umgesetzt hatte, war August Stramm. Durch Wortverkürzung, Kombination von abstrakten Lexemen, Transformation von Wortklassen und Reduktion der Syntax konstruiert er eine neue, abstrakt wirkende Sprache, die in ihrer innovatorischen Dynamik der Laute und der Semantik auf den Dadaismus und darüber hinaus auf den Surrealismus eingewirkt hat126. Ein Meisterwerk der Lakonik Strammscher Art ist das kleine Kriegsgedicht Patrouille: Die Steine feinden Fenster grinst Verrat Äste würgen berge Sträucher blättern raschlig gellen Tod.127 Das fünfzeilige Gedicht in freien Rhythmen zeigt eine Kombination von verschiedenen Reduktionsformen der expressionistischen „Wortkunst“. In der konkreten Vorstellung verfeindeter Steine verfremdet und abstrahiert Stramm ein allgegenwärtiges Gefühl der Gefahr. Es geht weiter im asyndetisch-allegorischen Stil, wobei aber die 125 Yvan Goll: Hai-Kai. In: Kaes (Hrsg.) 1983. Dok. 151. S. 440. 126 Vgl. Richard Brinkmann: „Abstrakte“ Lyrik im Expressionismus und die Möglichkeit symbolischer Aussage. In: Hans Stefen (Hrsg.): Der deutsche Expressionismus. Formen und Gestalten. Göttingen 1965. S. 88-114; Vietta/Kemper 1994. S. 165-166; Lamping 32000. S. 173-175, 192-195. 127 August Stramm: Patrouille. In: Silvio Vietta (Hrsg.): Lyrik des Expressionismus. Tübingen 31990. S. 129. 53 schrofe Härte des parataktischen Bruchs und der fehlenden grammatischen Konjunktoren durch die Kette fein verwobener Alliterationen und Assonanzen überspielt und aufgeweicht wird. Hierin zeigt sich schon eine für Stramms Lakonie typische Spannung zwischen dem Fließenden und dem Abrupten, einer kohärent melodischen Entwicklung gegenüber einer syntaktisch und graphisch steilen Ausrichtung des Textes. Die dritte Verszeile, grammatisch und auch semantisch durch eine ähnliche Verschiebung menschlicher Aggressivität auf die Natur parallel zur ersten gebaut, setzt zugleich das asyndetische Prinzip des zweiten Verses, spannungsvoll verkürzt auf lediglich zwei Wörter und vor der längsten und kompliziertesten Zeile des kleinen Gedichts: „berge Sträucher blättern raschlig“, fort. Im vierten Vers wird die expressionistische Reduktion, mit Schreyer gesprochen, konstruktiv. Im Anfangswort der Zeile, „berge“, scheinen sich durch Kleinschreibung und quasi adjektivischen Gebrauch nominale und verbale Bedeutungsinhalte zu überlagern: die steinige Relieform würde zur Landschatskulisse passen, doch die Nähe zu den Verben „bergen“ und „verbergen“ im Sinne von ‚verstecken‘, ‚verhüllen‘ entspricht eher der angstvoll misstrauischen Stimmung einer Patrouille, die sich in feindlicher Umgebung bewegt und im Verborgenen Gefahr wittert. Das verfremdend kurze Wort bleibt ambivalent, wobei es gerade aufgrund dieser Mehrdeutigkeit eine Wahrnehmung des Realen auf einen psychischen Zustand verschieben kann, so dass die bedrohliche Natur in diesem Gedicht auf subtile Weise zum Vorwand der eigentlichen Skizzierung eines dramatisch erfahrenen Angstgefühls wird. Eine weitere doppelte und zusammenhängende Transformation von Wortklassen – Blätter rascheln wurde vermutlich zu „blättern raschlig“ – steigert das Gefühl angsterfüllter Verwirrung vor dem abrupten Ende des Gedichts, das in zwei Einzelwort-Verszeilen auch in graphischer Form steil ausklingt. Dieter Lamping sprach von „staccatoartige(r) Kürze“ und von der Tendenz mancher Gedichte Stramms, durch Experimente mit der progressiven Reduktion der Verszeilen, eine Form von rechtwinkeligen Dreiecken zu bekommen. Eine solche Verkürzung der Zeilen benütze Stramm zur Strukturierung seiner Texte aber auch zur Schlusspointierung, die das letzte Wort akzentuiert und ihm so ein besonderes Gewicht verleiht128. Die Zuspitzung eines Textes auf eine schrofe Schlusspointe, die in extremer Verkürzung, manchmal auf ein einziges Wort, das Wesentliche erfasst und ironisch oder unterkühlt-trocken betont, ist ein altbekannter Zug des Lakonismus129. Stramms steile Lakonik ist aber zugleich pathetisch von der ersten bis zur letzten Zeile, was dem Gedicht einen einheitlichen Ton gibt. Doch der emphatische Lakonismus Stramms wurde schnell zur Manier und daher auch parodiereif. Hans Heinrich Twardowski, der Stramm einen „Stoßvogel mit ekstatischem Gewürge“ nannte, oder der bekanntere Kurt Schwitters karikierten Stramms die Syntax aubrechende Reihungen und morphologische Extravaganzen durch deren Mechanisierung 128 Lamping 32000. S. 175, 193-194. 129 Dies wurde bereits anhand lakonischer Pointierung bei den Spartanern besprochen. Siehe die Anekdote zu König Philipp von Makedonien weiter oben. 54 und die ridikülisierende Nachahmung des Pathos Strammscher Diktion130. Trotzdem hat auch nach Stramm die Wortkunst-Lakonik ihren Reiz nicht verloren, wie es z.B. Kleindichtungen von Kurt Marti oder Erika Burkart beweisen131. Von ambivalentem Pathos ist ein anderes Kriegsgedicht: Geschützwache von Ernst Toller: Sternenhimmel. Gebändigtes Untier Glänzt mein Geschütz, Glotzt mit schwarzem Rohr Zum milchigen Mond. Käuzchen schreit. Wimmert im Dorf ein Kind. Geschoß, Tückischer Wolf, Bricht ins schlafende Haus. Lindenblüten dutet die Nacht.132 Das Gedicht gibt in elliptischem und asyndetisch verkürztem Zeilenstil punktuelle Wahrnehmungen einer nächtlichen Kriegswache wieder. Im Unterschied zu Stramm gibt es hier ein lyrisches Ich, das sowohl die Bedrohung des „ins schlafende Haus“ brechenden wölischen Krieges als auch die ruhige Schönheit der sternklaren und nach Lindenblüten dutenden Nacht akut empindet. Lakonisch schrof ist hier der zweimalige markante Wechsel der Perspektive zu Beginn und am Ende des 130 Hans Heinrich Twardowski: Die Schlacht. Nach August Stramm: Munde stöhnen / ächzen kreiseln / winseln weinen / wispern hispern / lispern kispern / knispern knispern / klappen pappen / schnappen happen / in das / um ihn / in das / um ihn / in das / um ihn um ihn um ihn / in das / um ihn / in das / von ihm / in das / für ihn / in das / von ihm / in das / von ihm von ihm von ihm / in die Nacht. / Schmerzen glohsen / glotzen glühen / gleisen gleißen / reißen reißen / reißen reißen / quälen funken / blinken histen / blisten blisten / schnellen schwellen / quellen quellen / in das / um ihn / in das / um ihn / in das / um ihn um ihn um ihn / in den Tod. Schreie gellen / sinken ließen / enden enden / enden enden / steigen jauchzen / jubeln singen / in das / Leben leben leben / in das / Werden Werden Werden / in den Tag / in den Tag / in den Tag / Leben glüht der Tag.; Kurt Schwitters: Nächte: Innige Nächte / Gluten Qual / Zittert Glut Wonne / Schmerzhat umeint / Siedend nächtigt Brunst / Peitscht Feuer Blitz / Zuckend Schwüle / O, wenn ich das Fischlein baden könnte! / Zagt ein Innen / Zittert enteint / Giert schwül / Herb / Du / Dut der Braut / Rosen gleißen im Garten / Schlank stachelt Fisch in der Peitschelut / Wunden Knie / Wogen Brandung Wonne / Wenn das Fischlein liegen könnte / Ich umwoge / Innenjauchzt / Peitscht still Inbrunst / Überquillt schrill / Kniet Tau auf dem Fischlein / Es schlüpt seine Beinchen / Weiße Beinchen hat das Fischlein / Weiße Augen hat der Tod / Fest peitscht innig Nacht / Ich / Zerwoge / Bleicht müde / Blaut Qual Sonne. In: heodor Verweyen / Gunther Witting (Hrsg.): Deutsche Lyrik-Parodien aus drei Jahrhunderten. Stuttgart 1983. S. 113-114, 116-117. 131 Kurt Marti: alpenglühen: im tal / schwärt smog / waldauf / schon nacht / der grat / verblaut / am schneehorn / blut; Erika Burkart: Kopf und Zahl: Myriaden / von Eisschuppen / Blättern Gräsern / Samen Sandkörnern / Atomen Wellen / Sternen Steinen / Lebenden, Toten … / Ein Geist. In: Axel Kutsch (Hrsg.): Blitzlicht. Deutschsprachige Kurzlyrik aus 1100 Jahren. Weilerswist 2001. S. 85, 87. 132 Ernst Toller: Geschützwache. In: Vietta 31990. S. 134f. 55 Textes, vom „Sternenhimmel“ zum Geschütz, das als „gebändigtes Untier“ zum Mond „glotzt“, und vom Einbruch ins schlafende Haus zum Lindenblütendut der Nacht. War bei Stramm das Gefühl der Gefahr konstant und der Ton somit ungebrochen dramatisch, so alterniert hier die Bedrohung mit der Ruhe, wobei gerade die lakonischen Bilder der Ruhe den lauernden Krieg durch den scharfen Kontrast und den überraschenden, unvermittelten Perspektivenwechsel „tückischer“ erscheinen lassen. Mit der Perspektive wechselt auch der Ton, vor allem am Ende des Gedichts, von der emotional geladenen Steigerung des Bedrohlichen zu einer demonstrativ nüchternen Wahrnehmung quasi harmloser Schönheit der Sommernacht. Nicht nur der Wechsel, sondern auch die Fragmentierung der Perspektive, z.B. in einem Staccato von kurzen Hauptsätzen in einer lakonischen Geschwindigkeit des Sagens, kann das wesentlich Abrupte und Konzentrierte des poetischen Lakonismus stilistisch transparent machen, so wie in der zweiten Strophe des Gedichts Punkt von Alfred Lichtenstein: Die Nacht verschimmelt. Gitlaternenschein Hat, kriechend, sie mit grünem Dreck beschmiert. Das Herz ist wie ein Sack. Das Blut erfriert. Die Welt fällt um. Die Augen stürzen ein.133 Wegweisend aber für den Lakonismus nach 1945 ist Lichtensteins Gedicht Nächtliches Abenteuer durch ironische Pointierung und Annäherung an die gesprochene Sprache und damit auch an Prosa: Ging da neulich über den Potsdamer Platz Um 1 Uhr nachts ein allerliebster Fratz. Ich sprach die Kleine an mit frecher Stirne: „3 Mark mein Schatz?“ Sagte, sie sei empört Und inde so etwas unerhört, Und sagte, sie sei keine Dirne Und es sei ihr wert, ihr Name, Und sie sei eine anständige Dame Und sie gäbe sich nicht für 3 Mark her Und sie nähme mehr.134 133 Alfred Lichtenstein: Punkt. In: Vietta 31990. S. 35. 134 Alfred Lichtenstein: Nächtliches Abenteuer. In: Vietta 31990. S. 55. 56 Das Gedicht wurde von Vietta in seiner Anthologie der Lyrik des Expressionismus in das Kapitel „Großstadterfahrung“ aufgenommen. Die Großstadt, die zur Hauptszene des Expressionismus wird, ist für expressionistische Autoren grundsätzlich der Ort negativer Erfahrungen. Die profundeste davon beschreibt Silvio Vietta als „Ichdissoziation“ in all ihren psychischen, physischen, sozialen und existenziellen Hypostasen als krankes, vereinsamtes, verdinglichtes, substanzloses Ich, das einen neuen Blick für seine Umgebung entwickelt. Die stilistische Konsequenz dieses neuen Sehens sei die Parataxe in ihren verschiedenen Formen, vornehmlich als Reihungsstil im sogenannten Simultangedicht.135 Eine andere Konsequenz als der emphatisch mythisierende oder, genauer, die Stadt dämonisierende Reihungsstil wäre aber jene Lakonik, die über die unsentimentale, trockene Ironie und die Hinwendung zu einem nüchternen Realismus schon auf die Gefühlskultur und den schnoddrigen, betont unfeierlichen Ton der Neuen Sachlichkeit verweist. In dem oben angeführten Gedicht von Lichtenstein endet der Text mit einer lakonischen Schlusspointe, so wie sie später bei Brecht und seinen Nachfolgern zu inden ist und welche die gesamte, von der zweiten Strophe nahegelegte Perspektive umkehrt: Das frech angesprochene Mädchen ist in seiner Ehre als besser bezahlte Dirne verletzt. Pointierte Lakonik hat ot die überraschende Schlag- oder Wendungskrat eines Witzes, bei dem schrofe Kürze den komischen Efekt steigert. Eine andere, ernste Form von lyrischer Lakonie des Expressionismus ist schon beim frühen Brecht zu inden, so im nihilistischen Gedicht Der Nachgeborene: Ich gestehe es: ich Habe keine Hofnung. Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich Sehe. Wenn die Irrtümer verbraucht sind Sitzt als letzter Gesellschater Uns das Nichts gegenüber.136 Der Lakonismus dieses Textes und seines Tons proitiert hier weder von parataktischen Verkürzungen im Sinne der Wortkunst-heorie, noch von ironischen Pointierungen wie oben bei Lichtenstein, sondern von der „Semantik der Form“ im Sinne Lampings137. Für Dieter Lamping ist vor allem die einfache Versgliederung, 135 Vietta/Kemper 51994. passim. 136 Bertolt Brecht: Der Nachgeborene. In: Vietta 31990. S. 249. 137 Lamping 32000. S. 40-41: „Die Versgliederung ist allerdings keine bloße Äußerlichkeit: sie verändert, wenigstens tendenziell, den Charakter der Rede insgesamt – und zwar sowohl rhythmisch wie semantisch. Es gehört zur Eigenart des Gedichts als Versrede, dass grundsätzlich auch seine Form ein Bedeutungsfaktor ist. Als Bedeutungsfaktor bringt sie sich vor allem auf zweierlei Weise zur Geltung: durch ihren Einluss auf die Semantik der Wörter und durch ihre eigene Semantik.“ 57 abgesehen von Reim und metrisch reguliertem Rhythmus, die tragende Struktur dieser Semantik der Form. Sie grenzt auch das Gedicht in freien Versen von Prosatexten ab oder die aphoristische lakonische Lyrik vom philosophischen Aphorismus138 und hat die Funktion, poetische Bezüge zwischen verschiedenen sprachlichen Zeichen herzustellen und einzelne sprachliche Zeichen aus ihren grammatischen und syntaktischen Zusammenhängen zu lösen, um diesen ein Maximum an Aufmerksamkeit zu sichern. Die Art und Weise der Segmentierung eines Textes in Verszeilen hat somit eine semantische Dimension an sich. Beim späteren Brecht gehört sie, wie jede andere Brechung und synkopierende Spannung zwischen Syntax und Vers, zur Rhetorik des gestischen Sagens. Die Pause am Versende hat, wie Lamping zu Recht bemerkt, ein größeres Gewicht als ein Punkt am Ende eines Satzes, da sie eine größere und komplexere semantische Akzentuierung des dadurch vom übrigen Text isolierten Wortes bewirken kann. Genauso kann die Platzierung bestimmter Wörter an exponierten Stellen, wie z.B. am Ende einer Verszeile, einer Strophe oder des Gedichts, die Bedeutung dieses Wortes innerhalb des Textganzen steigern. Das kleine Gedicht von Brecht, das, gemessen an traditionellen formalen Kriterien, bis auf die Ordnung des Textes in allerdings unregelmäßigen Versen und Strophen mit allegorischem Schluss, wenig Poetisches an sich hat, erstrebt eine andere Form von Intensität der poetischen Aussage, bei welcher der Lakonismus an den „stilus sententiosus“ erinnert. Die dreimalige Wiederkehr des „ich“ an exponierter Stelle, d.h. gleich zu Beginn der ersten Strophe und am Ende der ersten und dritten Verszeile, hat „gestischen“ Charakter: Sie identiiziert den Sehenden als einen „desillusionierten Zyniker und Nihilisten, der über keine Alternative verfügt“ 139 und seine Erkenntnis demonstrativ den „Blinden“, die sich noch von Utopien verführen lassen, entgegenstellt. So entpuppt sich das ursprüngliche subjektive Bekenntnis als sentenziös verknappte und daher stringent wirkende Warnung des Ich an seine Zeitgenossen. Diese spruchartige Lakonik verdankt ihre Intensität der Stringenz, mit welcher Gedanken in betonter Kürze formuliert werden. In knappen und klaren Sätzen werden hier, in der ersten Strophe des Gedichts, Fronten markiert. Vor allem die dritte und vierte Verszeile: „Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich / Sehe.“ zeigen wie lakonisch Akzente gesetzt werden können. Der Punkt zwischen dem an einen Ausweg glaubenden „Blinden“ und dem „Ich“ in derselben Zeile stützt die Idee des Gegensatzes und hebt das Ich hervor. Durch die folgende Zeilenpause und den Kontrast zwischen dem längsten und dem kürzesten Vers des Gedichts wird auch das „sehe“ deutlich hervorgehoben, so dass es wie eine lakonische Schlussfolgerung klingend ein besonderes Gewicht innerhalb des ganzen Textes bekommt. Diese doppelte Betonung des Satzes „ich sehe“, durch Interpunktion und Zeilenbruch, markiert somit den bedeutungsschwersten und konzisen, den eigentlichen Kernsatz des Gedichts. In der zweiten Strophe ist der allmähliche Reduktionsprozess des Textes ofensichtlich, allerdings ohne Zurückgreifen auf spektakuläre Brüche oder auf 138 Spicker 2000. S. 119f. 139 heo Buck/Dietrich Steinbach: Von der Weimarer Republik bis 1945. In: Joachim Bark u.a. (Hrsg.): Epochen der deutschen Literatur. Stuttgart u. a. 81997. S. 453. 58 „gestisch“ wirkende Interpunktion. Die Strophe fungiert als Explikation des lakonischen Kernsatzes oder, mit Ralph Müller gesprochen, als „Aulösung“ 140. Viel komplexer und variierter wird allerdings Brechts spätere Lakonik des Exils oder der Buckower Elegien sein, doch eine deutliche Neigung zur prägnanten Kürze in der Lyrik ist bei ihm, wie bewiesen, schon in der Zeit des Expressionismus zu bemerken. Für die hermetische Lakonik der Nachkriegszeit ist Georg Trakl eines der beliebten Vorbilder. Vor allem seine reife und späte Dichtung neigt zu einer semantisch schwer verständlichen Verknappung der Rede, deren Bildlichkeit in ihrer „dunklen Deutung“ paradoxe, kryptische „Deinitionen“ formulieren kann. So zum Beispiel klingt das poetische Bild der Bespiegelung im Gedicht Am Rand eines alten Wassers in äußerster Verdichtung: „Dunkle Deutung des Wassers: Stirne im Mund der Nacht“. Das Wasserbild gehört bei Trakl zu seinen ältesten und obsessiv stets weiterentwickelten dichterischen Vorstellungen, bei dem ein kreatives Denken im Modus des Obsessiven verschiedene Deutungsrichtungen des Bildes zusammenführt: vom narzistischen Wasserspiegel zu den stygischen Gewässern, dem Wassergraben Ophelias, den „blauen Höhlen der Schwermut“ oder der „Grotte männlicher Schwermut“. Das Bild kennt in Trakls Werk viele Variationen mythischer, literarischer oder empirischer Herkunt, die durch eine subtile Dynamik obsessiv gesteuerter Einbildungskrat zu neuen poetischen Chifren verschmolzen, verdichtet und abstrahiert werden141. An dieser Art von bildlich-semantischer Lakonik könnte aber nicht nur eine dichterische Vorstellungskrat am Werke sein, die quasi frottagenartig verschiedene Bilder ineinander verschiebt, übereinanderlegt oder auseinander entwickelt, sondern auch eine ins Poetische umgesetzte Spannung zwischen – im Falle Trakls – katholischem Bildbedarf und protestantischer Bildstrenge. Der lapidaren Deinition der Wassers wird ein Bild gleichgestellt. In diesem doppelten Sprachgestus einer einzigen Verszeile scheint eine ambivalente Tendenz festgehalten zu sein: einerseits zu sprachlicher Askese und zum Primat des erläuternden Wortes vor dem Bild, andererseits zur „Rückübersetzung“ des Wortes in das poetische Bild. Bekanntlich stammte Trakl aus einem protestantischen Haus im erzkatholischen Salzburg, nahm protestantischen Religionsunterricht, wurde aber zugleich von einer streng katholischen Bonne erzogen. Der Vater war Protestant, die Mutter eine durch die Heirat zum Protestantismus übergetretene Katholikin, von der aber ihre Tochter, Maria Geipel, behauptete, sie sei wahrscheinlich bis an ihr Lebensende römisch-katholisch geblieben, und die auch nach katholischem Ritus in Salzburg begraben wurde142. 140 Müller 2003. S. 211: „Der Lakonismus scheint starke Ainitäten zu der Technik zu besitzen, die hier als ‚Aulösung‘ bezeichnet wird, da er eine auklärende prägnante Stellungnahme am Schluss eines Textes ist und wie ein aulösendes Dictum wirkt. ‚Lakonismus‘ könnte in diesem Sinn als ein Sonderfall der Aulösung bezeichnet werden. Er unterscheidet sich aber von der Aulösung durch sein kondensiertes Dictum.“ 141 Siehe hier meine eingehenderen Erläuterungen zur Phänomenologie und Poetik des Wasserbildes bei Georg Trakl. In: Laura Cheie: Die Poetik des Obsessiven bei Georg Trakl und George Bacovia. TraklStudien. Bd. XXII. Salzburg 2004. S. 90-98. 142 Vgl. Otto Basil: Georg Trakl in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlts Monographien. Reinbek bei Hamburg 1965. S. 19. 59 Von sich selbst, wenn aufgefordert, behauptete Trakl Protestant zu sein. Eine Zeichnung von ihm – wahrscheinlich ein Selbstporträt – stellte ihn jedoch als Mönch dar. Auch gehört die Figur des Mönchs (mit der trakleigenen femininen Variante „Mönchin“) zu den „Hauptdarstellern“ seiner Lyrik, die zudem immer wieder auf Bilder des mönchischen Lebens zurückgreit. Eine gewisse konfessionelle Spannung könnte sich unter den gegebenen Bedingungen schon früh eingestellt und später dichterisch gefruchtet haben. Gleichermaßen präsent und geistig prägend scheinen sowohl die katholische Bildfreundlichkeit wie auch die ikonoklastische Abwendung davon im Protestantismus gewesen zu sein, wenn man sowohl Trakls „bildliche Manier“ als auch jene strenge, extrem verdichtende und auf das Wesentliche reduzierte Sprachhaltung bedenkt. Vom lyrischen Ausdruck einer protestantischen Enthaltsamkeit spricht auch Allan Janik, Trakl mit Wittgenstein vergleichend: „Liest man Trakls Dichtung und Wittgensteins Philosophie, so ist man überwältigt von lapidaren Formulierungen, deren Sentenzcharakter sie aus der Reihe der pathetischen Schauspiel-Expressionisten und philiströsen positivistischen Philosophen heraushebt. Soll so etwas in einem einzigen Wort zusammengefasst werden, so müsste es das Wort Intensität (Hervorhebung des Autors) sein. Und sicher trit auf beide Fälle zu, dass die Intensität ihrer Werke der Intensität ihres jeweiligen Lebens entspricht. Sie wurzelt meiner Ansicht nach ebenso in einer protestantischen Enthaltsamkeit, ja in Ikonoklasmus, wie in einem wahrhat profundem Kulturpessimismus.“ 143 Das spannungsreiche Nebeneinander von Widersprüchlichem, das dadurch alles transformiert und relativiert, hat bei Trakl, laut Janik, ein kritisches Potential und gehört zu den Erscheinungsformen einer „kritischen Moderne“. Über eine protestantisch anmutende lapidare hesenhatigkeit seiner melodischen Verse dichtete auch Else Lasker-Schüler - die Trakl in Berlin kennenlernte und der er 1914 ein Gedicht widmete (Abendland, mit der Widmung „Else Lasker – Schüler in Verehrung“) – in einem poetischen Porträt Trakls: „Des Dichters Herz, eine feste Burg, / Seine Gedichte: Singende hesen. // Er war wohl Martin Luther.“ (Georg Trakl). Mit seinen „singenden hesen“ sollte Trakl auf bedeutende Schritsteller der Nachkriegslyrik wie Günter Eich oder Paul Celan entscheidend wirken. Die poetische Sprache beider zuletzt genannten Dichter entwickelte sich ebenfalls allmählich zu einem dunklen oder „verschlossenen“ Lakonismus. Zusammenfassend kann man feststellen, dass der Lakonismus schon im Expressionismus eine programmatische Wunschvorstellung, aber auch ein lyrisch umgesetzter Stil gewesen ist. Das kurze, kondensierte Gedicht und die lakonische Sprache der Dichtung sollten dem akzelerierten Rhythmus eines neuen Zeitalters entsprechen, dem modernen lyrischen Ausdruck die pathetische, spontane oder authentische Intensität 143 Allan Janik: Parallelen und Diferenzen. In: Hans Weichselbaum (Hrsg.): Trakl-Forum 1987. TraklStudien. Bd. XV. Salzburg. 1988. S. 49-50. 60 einer Ursprungssprache wiedergeben, Abstraktion oder Nüchternheit in Form und Ton neu gestalten. Die mehr oder weniger expliziten Erwartungen von dem, was der Lakonismus im Gedicht leisten kann, reichen von der kratvollen Emphase über schnoddrige Ironie und dunkle Hermetik zum desillusionierten Zynismus, wobei die Tendenz zur „kühleren“ Lakonik bereits auf die Neue Sachlichkeit und darüber hinaus auf die spätere Entwicklung des Lakonismus in der Exil- und Nachkriegslyrik verweist. 1.4. Neue lakonische Sachlichkeit Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg bringen die schokkierenden Erfahrungen im und vor allem nach dem Ende des Krieges eine drastische Veränderung des Tons im öfentlichen, darunter auch im lyrischen Diskurs mit sich. Ein von schwierigen und tiefgreifenden Gefühlen wie Schuld und Scham behateten Übergang der Kriegsgesellschat in eine fragile und verunsicherte Friedensgesellschat setzt ein. Von einem neuen Lebensgefühl belebt setzen sich in den zwanziger Jahren der Weimarer Republik (auch) in der Lyrik neue Werte durch: Nüchternheit, Objektivität, Einfachheit, Klarheit, Schmucklosigkeit, Nichtpathos, Unsentimentalität, Knappheit, Präzision, Härte, Kühle, Kälte u. ä., durch welche sich die neue Künstlergeneration zum einen von jener der Eltern, die als phrasenhat-tatenlose Versager im und durch den Krieg verurteilt wurden, absetzen wollte, zum anderen auch von den konkurrierenden Bewegungen, vor allem dem expressionistischen Pathos, dem Mystizismus und dem Utopismus. Das neue Lebensgefühl, dem sich die Wende zu den oben genannten Werten verdankt, die „Sachlichkeit“ der 20er Jahre, gehört einer Zivilisation der Überlebenden an, die sich in einer chaotischen Umwelt neu, schnell und pragmatisch orientieren müssen. Denn die 20er Jahre bringen zwar den ersten demokratischen Verfassungsstaat Deutschlands, doch ist die blutjunge Demokratie äußerst fragil, geprägt von der Labilität ihrer Regierungen, einem schließlich scheiternden Parlamentarismus, von den Folgen einer erschütternden Wirtschatskrise, der großen Arbeitslosigkeit und der galoppierenden Inlation. „Krieg und Inlation hatten viele in Not gebracht, die sie früher nie gekannt hatten, die Arbeitslosigkeit blieb auf beachtlich hohem Niveau. Darum waren auch die besten Jahre der Republik für viele ihrer Bürger keine guten Jahre“ 144. Die Zeit vorsichtiger Nüchternheit oder des „Desillusionsrealismus’“ war angebrochen. Zur allgemeinen Psychologie dieser traumatisierten Nachkriegswelt gehört, laut Helmut Lethen, als verhaltenssteuerndes Gefühl die Scham. In seinem Buch Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen beschreibt Lethen den neusachlichen regulierenden Umgang mit problematischen Gefühlen, wie Scham oder Angst, durch Lehren der Distanz und Trennung, also der Kälte in 144 Heinz Hürten: Einleitung. In: Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Weimarer Republik und Drittes Reich 1918-1945. Stuttgart 1995. S. 12. 61 zwischenmenschlichen Beziehungen. In diesen Verhaltensverordnungen und -strategien kehren allerdings, so Lethen, Haltungen des turbulenten 17. Jahrhunderts wieder, die der Jesuit Gracián in seinem Handorakel von 1647 dargestellt hatte. „In dieser Sammlung von Maximen fallen die Stichworte des Kults der ‚Sachlichkeit‘: das Verbot des Rituals der Klage, die Disziplinierung der Afekte, die Kunstgrife der Manipulation, die List der Anpassung, die Panzerung des Ich, die Verfahren des physiognomischen Urteils und der Relexion des Verhaltens in einem Parallelogramm der Kräte“ 145, schlussfolgert Lethen. Er übersieht dabei jedoch eine vor allem für den literarischen Bereich besonders interessante Form des Handelns in gefährlichen Zeiten, nämlich die Sprache. Die Empfehlung des Jesuiten ist diesbezüglich Lakonik, denn: „Kürze im gesellschatlichen Verkehr erweckt Gefallen und erleichtert die Beziehungen“146. Diesen Gedanken in Bezug auf die Kürze der (hölichen) Rede hatte, wie bereits weiter oben erwähnt, Knigge wieder aufgenommen. Helmut Lethen berücksichtigt in seinem Buch zwar nicht explizit die sprachliche Dimension der Distanzierung und Verhüllung in Breviloquenz, doch kann, meines Erachtens, die von ihm im Verhaltensbereich identiizierte Auskühlung auch die neusachliche Tendenz zu einer kühleren Knappheit der Sprache erklären, so wie diese zum Beispiel bei Brecht zu inden ist und später für seine Lakonik bestimmend sein wird. Kurz sollen im Folgenden einige kontextuell relevante Ideen Lethens zusammengefasst werden. Helmut Lethen verweist zunächst auf eine folgenreiche Entscheidung neusachlicher Intelligenz für die Zivilisation: „Die neusachliche Intelligenz geht von der Enttäuschung aus, die ihr die ‚Kultur‘ im Krieg bereitet hat, und betont die Unzivilisiertheit (Hervorhebung des Autors, H.L.) einer Kultur, die diesen Krieg führen konnte“ 147. Allerdings erweist sich auch die Zivilisation der Nachkriegszeit als riskanter Boden, denn die „Schmach“ der Niederlage brachte nach dem Ende des ersten Weltkrieges die Einsicht, dass der Mensch von Natur aus zur Zerstörung neige – hatte noch der Expressionismus „Der Mensch ist gut“ postuliert, so konterte George Grosz Anfang der zwanziger Jahre „der Mensch ist ein Vieh“ – und dass die Zivilisation einen barbarischen Kern habe. 145 Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main 1994. S. 57. Zu der von Lethen vorgeschlagenen Metapher der Kälte als kognitives Bild für die Neue Sachlichkeit ist prinzipiell Heiner Hastedt beizuplichten, diese auch wegen ihrer Ambivalenz nicht zu strapazieren, denn „Wenn sie nur die Fähigkeit zur Nüchternheit und Distanz markiert, indet sie sich in vielen Formen der Neuen Sachlichkeit wieder. In der engeren Lesart einer zynischen Abschätzigkeit stellt sie jedoch nur einen Sonderfall der Neuen Sachlichkeit dar.“ Heiner Hastedt: „Neue Sachlichkeit“ in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. In: Moritz Baßler und Ewout van der Knaap (Hrsg.): Die (k)alte Sachlichkeit. Herkunt und Wirkungen eines Konzepts. Würzburg 2004. S. 124. Allerdings betont Lethen die weitere Auslegung von Kälte in Bezug auf die kollektive Psychologie neusachlicher Autoren und deren Gestalten und beschreibt somit eine, wenn nicht deinitorische, so doch typische Grundtendenz zur verschieden dosierten Ernüchterung dieser Epoche. 146 Apud Rüdiger 1958. S. 358. 147 Lethen 1994. S. 31. 62 So wird die Gesellschat, wie schon im 17. Jahrhundert, als ein gefährlicher Ort empfunden, eine „Erdbebenlandschat“, in der das Ich stets der Verletzung seiner Würde, der Beschämung, ja sogar der sozialen Auslöschung ausgesetzt ist. Um sich vor diesen Gefahren zu bewahren, muss das Ich für ein gutes Management seiner Gefühle und seines gesellschatlichen Verhaltens sorgen und tut dies, indem es, so Lethen, hinter die Maske einer kalten persona schlüpt. Die kalte persona ist, meint Lethen, die prägnanteste Figur der „Schamkultur“ der 20er Jahre, einer Kultur, in der sich „die Menschen konform nur verhalten in Bezug auf Zwänge, die von der sozialen Umwelt auferlegt werden“ 148. Das Bestehen vor den Augen der anderen wird lebensnotwendig, gelingt allerdings nur durch eine vorsichtige „Panzerung des Ich“ in Verhaltenskonventionen der diplomatischen Distanz und der hölichen, aber konsequenten Trennung. Trainiert werden soll dadurch ein funktionales, grundsätzlich handlungsorientiertes, nicht introspektives Ich, das seine Afekte unter eiserner Kontrolle und seine Umwelt mit einem stets scharf-nüchternen und daher kalten Blick im Auge behalten kann. Im Unterschied zur „Schuldkultur“ des Expressionismus, die gerade von Introspektion und inneren Kontrollinstanzen, nicht primär von Fremdbewertung durch andere geprägt ist, erfahren eruptive, spontane Gefühle eine Abwertung bei der kalten persona der „Neuen Sachlichkeit“. Von Scham- und Verhüllungstendenzen bedingt, fürchtet und bestrat diese jede „nackte Aufrichtigkeit“ oder „echte Expression“, da sie das Ich bloßstellen und somit der Lächerlichkeit preisgeben können. „Verhaltenheit“ sei hingegen angesagt, Filterung der Gefühle, das Binden des Ausdrucks an „Gesten“, die einem funktionalistischen Blick unterworfen sind. Dieser rückt den pragmatischen Aspekt der Ausdrucksgebärde ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so z.B. bei Brecht: „Brecht ersetzt“, so Lethen, „die Kategorie des ‚Ausdrucks‘ im epischen heater durch die der ‚Geste‘, die er – ähnlich wie Plessner – als ‚Ausdruck im Lichte einer Handlung‘ deiniert“ 149. Die kalte persona manifestiert sich aber exemplarisch in Brechts Lesebuch für Städtebewohner, wo „Stimmen raten: suche Distanz, betrachte Unterkünte als Provisorien, trenne dich von der Kohorte, zerschneide die Familienbande, meide übertriebene Individualisierung, ziehe den Hut tief in die Stirn, und entferne dich von allen Wärmequellen“ 150. Das Gedicht, glaubt Lethen, ist der Tradition der simulativen rhetorischen Ironie verplichtet, die sich sehr wohl der Lakonik bedient, um einen „authentischen Personalstil“ entstehen zu lassen: „Im komplizierten Verfahren der Simulation entsteht durch die aufällige Redeigur der doppelten Negation und die Schmucklosigkeit der lakonischen Sprache ein unverwechselbarer ‚authentischer Personalstil‘, der auf ein Individuum schließen lässt, das die Szenarien der Trennung, die das Gedicht Revue passieren lässt, zur Ausbildung eines versatilen Selbst benützt, das in seinem schwarzgefärbten mundus rhetoricus Bilder des ‚Andersseinkönnens‘ bis zum Punkt der Selbstauslöschung durchspielt“ 151. 148 149 150 151 Ebd. S. 32. Ebd. S. 118. Ebd. S. 171. Ebd. S. 175f. 63 Die Lakonik der kalten persona versucht somit in diesem „Auslöschungs-Gedicht“ ein ironisch-subtiles Ich auszudrücken, das seine (vor allem afektive) Selbstüberwindung dramatisch inszeniert. Die gefühlsregulierende Funktion der Lakonik wird jedoch von keinem anderen neusachlichen Autor so eindrucksvoll unter Beweis gestellt wie von Kurt Tucholsky in einem späten aphoristisch-poetischen Gedanken über das Sterben: „Wenn ich jetzt sterben müsste, würde ich sagen: ‚Das war alles?‘ – Und: ‚Ich habe es nicht so richtig verstanden.‘ Und: ‚Es war ein bisschen laut.‘“ 152 Der Text war wahrscheinlich ein von Tucholsky intendierter Aphorismus, der allerdings eine komplexe Skala von problematischen Afekten angesichts des nahen Todes lapidar zusammenfasst: leise abwehrende Verwunderung, Verwirrung und Desorientierung, resignierte Unzufriedenheit. Man nimmt spontan an, dass sich das „es“ in der zweiten Antwort auf die Immanenz des Todes auf das verlossene Leben bezieht, das im schnellen Rückblick als „nicht so richtig“ verständlich und „ein bisschen laut“ empfunden wird. Man könnte vielleicht auch meinen, dass sich das „es“ auf eine katastrophale Mitteilung bezieht, auf die das Ich mit verunsicherten und verzögernden Worten antwortet. In beiden Fällen drückt die abrupte lakonische Form im Staccato nackter Antworten zunächst eine schockierende Erkenntnis aus, die es zu bewältigen gilt. Die steile Lakonik hatte sich bereits im Expressionismus als sprachliches Vehikel für eine starke Gefühlsintensität bewährt. Ihre Verbindung aber mit dem betont relexiven und daher auch distanzierenden Prosa-Aphorismus kann dieser ebenfalls eine kompensierende Funktion verleihen. Lakonik kann schwierige Gefühle wie Angst, ja Panik nicht nur „nackt“ ausdrücken, sondern sich zugleich zu einer rhetorischen Maske entwickeln, um diesen Afekten entgegenzuwirken und das Ich zu stützen. Die sentenzartige Entschiedenheit, mit der die letzte Zeile nach der vorhergehenden Verunsicherung eine Schlussfolgerung zieht, könnte auf ein derartiges ambivalentes Einsetzen der kurzen und kondensierten Rede deuten. Brecht wird diese distanzierende, aphoristische Maske des „Bewältigungs-Lakonismus’“ zu einer rainierten Gebrauchsform entwickeln, die schließlich ihren kreativen Niederschlag in der Lyrik nach 1945 inden soll. Auf einen großen Teil der gesamten deutschen Nachkriegslyrik wird der Autor vor allem der Buckower Elegien mit seinen kurzen, reimlosen, metrisch ungebundenen Gedichten im dialektisch-knappen Dreischritt des Aphorismus, mit herber Pointierung und unterschwelligem Denkautrag an den Leser153 einen entscheidenden Einluss haben. Brechts späte Lyrik wird von jenem gestischen Sagen getragen, das mit der „öligen Glätte“ gereimter Lyrik und regelmäßiger Rhythmen abrechnete. Das Gedicht sollte gebrauchsfähig, d.h. verständlich und relexionsanregend werden und daher zur Deutlichkeit und Einfachheit einer „Sprechweise des Alltags“ zurückkehren. Doch auch die didaktische Lakonik154 dieser und teilweise früherer Texte war bis ins kleinste Detail konstruiert. So bemerkt Hans-Peter Bayerdörfer: 152 Kurt Tucholsky: Sudelbuch. Reinbeck bei Hamburg 1993. S. 91. 153 Spicker 2000. S. 133-141 passim. 154 Otto Knörrich: Aspekte der Gegenwart. Bundesrepublik Deutschland. In: Hinderer (Hrsg.) 1983. S. 568. 64 „Minimale sprachrhythmische Verschiebungen reichen in vielen Gedichten Brechts aus, um eine grundlegende Provokation im Inhaltlichen sprachlich zu ‚lancieren‘, und seine hochentwickelten Verfahrensweisen, aus vorgegebenem sprachlichen Material mittels des einfachen, des paradoxen, des zynischen oder sarkastischen Lakonismus eine Umkehrung der Sichtweise zu entwickeln, hat nicht nur auf Jahrzehnte hinaus Lyrikgeschichte gemacht, sondern weist durchweg die Sprachebene der Lyrik als eigene und eigenständige gegenüber auch noch so verwandt erscheinenden umgangssprachlichen Ausdrucksweisen aus.“ 155 Brechts „sprachlicher Realismus“ 156, der zwar unkompliziert, aber schlagfertig, klar und in nüchternem, betont sachlichem Ton, aber pointiert „eingreifend“ stilisiert ist, nähert sich in seiner prägnanten Kürze verschiedenen gnomischen Texten der poetisch-philosophischen Relexion, mit denen der Dichter auch experimentiert hatte, nämlich dem Epigramm157, dem Aphorismus oder dem Haiku158. Brechts Elegien haben aber weder die rhythmische Regelung des klassischen Epigramms, noch die vorgeschriebene Anzahl von Zeilen und Silben oder das thematische Apriori des Haikus und als Versdichtung unterscheiden sie sich ofensichtlich auch vom Aphorismus. Einzelne Elemente der genannten Gattungen integriert er allerdings seiner gestisch orientierten Poetik. So z.B. den epigrammatischen Hexameter, der den alten Brecht durch seine harten Fügungen und seine strukturelle Unregelmäßigkeit im Wechsel von Daktylen und Spondeen / Trochäen zunehmend reizte. Dieter Breuer bemerkte, dass „es die Möglichkeit zu gestischer Sprachverwendung (war), die ihm den Hexameter interessant macht(e)“ 159, denn der Brechtsche gestische Rhythmus sollte dem Sprachgestus folgen, was Rhythmuswechsel und Synkopen voraussetzte. Breuer bewies, dass der an klassischen Rhythmen geschulte Brecht durch ein auch diesbezüglich dialektisches Verfahren zu seinem gestischen Sprachduktus gefunden hatte, genauer durch die Kombination von Rhythmus und Gegenrhythmus, von regelmäßiger und unregelmäßiger Tonstellenverteilung. So kann z.B. eine anfängliche jambische oder anapästische Regulierung des Verses am Schluss durch eine trochäische durchbrochen werden, die dadurch eine „gestische“ Hervorhebung einzelner Wörter oder Wortgruppen ermöglicht. Er brauchte Rhythmus, „aber nicht 155 Hans-Peter Bayerdörfer: Von der Weimarer Republik zum Exil. In: Hinderer (Hrsg.) 1983. S. 456-457. 156 Lamping 32000. S. 211. 157 Jan Knopf: Brecht-Handbuch. Lyrik, Prosa, Schriten. Eine Ästhetik der Widersprüche. Stuttgart 1984. S. 140: „Die – wie in Stein gemeißelte – Kürze des Epigramms soll sich – in seiner Wirkung – in die Köpfe einmeißeln und dort aktivierend wirken.“ Knopf bringt als Beweis auktorialer Absicht dafür eine diesbezüglich erhellende Stelle aus Brechts Arbeitsjournal, in welcher Brecht die Herausforderung des Lesers über das prägnant Gesagte erzielen möchte: „über die abbreviatur des klassischen stils: wenn ich auf einer seite genügend viel auslasse, erhalte ich für das einzige wort nacht, etwa in dem satz >als die nacht kam<, den vollen gegenwert an vorstellung beim leser. Die inlation ist der tod der ökonomie. Am besten, die wörter entlassen ihre gefolge und treten sich gegenüber mit so viel würde, als sie aus sich herstellen können.“ 158 Spicker 2000. S. 133-141 passim. 159 Dieter Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte. München 31994. S. 351. 65 das übliche Klappern“ schrieb Brecht „über (seine) reimlose Lyrik“ 160. Seine gegenrhythmisch gesteuerte lakonische Dichtung sollte grundlegend zur Herausbildung des neuen Tons in der deutschen Nachkriegslyrik beitragen. 1.5. Kahlschlag - Lakonik, „Chinoiserien“, „lakonische Moderne“ Es scheint ein allgemein anerkanntes Fazit zu sein, dass eines der Hauptcharakteristika der deutschsprachigen Nachkriegslyrik deren Lakonismus sei. 1948 überrascht Günter Eich mit seiner „Inventur“ der Restbestände der Wirklichkeit und Sprache in nüchtern aufzählender Lakonik. Die „kahl geschlagene“ Sprache der neuen Dichtung wird zugleich zum repräsentativen Ausdruck eines tieliegenden kollektiven Traumas im Hinblick auf die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges, insbesondere die des Dritten Reiches, wie auch zur linguistischen Form einer Rebellion gegen ausgediente rhetorische und mentale Klischees. Lakonik bedeutete, nach den traumatischen Erfahrungen am Ende des Zweiten Weltkrieges, die Ernüchterung der poetischen Sprache, eine neuere Sachlichkeit, skeptisch gegen den hohen Ton und die gemütliche Tradition der Innerlichkeitslyrik, wie auch gegen jedes autoritäre Bescheidwissen und, unterschwellig, das kühlere sprachliche Handeln einer erneut schambelasteten Kultur. Sie sollte von einem geschärteren Sprachbewusstsein und einem ebenso geschärteren Wirklichkeitssinn zeugen161. Viele der Nachkriegsdichter bekannten sich mehr oder weniger explizit zur „lyrische(n) Tugend der Kürze“ 162 im Gedicht, darunter Paul Celan. 1958 antwortet er auf eine Umfrage der Librairie Flinker in Paris mit einer kurzen Beschreibung der neuen, glanzlosen Sprache dieser lakonischen Dichtung: sie „ist nüchterner, faktischer geworden, sie misstraut dem ‚Schönen‘, sie versucht, wahr zu sein.“ Und ist zugleich „eine ‚grauere‘ Sprache, eine Sprache, die unter anderem auch ihre ‚Musikalität‘ an einem Ort angesiedelt wissen will, wo sie nichts mehr mit jenem ‚Wohlklang‘ gemein hat, der noch mit und neben dem Furchtbarsten mehr oder minder einhertönte. Dieser Sprache geht es, bei aller unabdingbaren Vielstelligkeit des Ausdrucks, um Präzision. Sie verklärt nicht, ‚poetisiert‘ nicht, sie nennt und setzt.“ 163 160 Bertolt Brecht: Über reimlose Lyrik. In: Klaus Schuhmann (Hrsg.): Lyrik des 20. Jahrhunderts. Materialien zu einer Poetik. Reinbek bei Hamburg 1995. S. 201. 161 Paul Hofmann: Die Situation der Lyrik nach 1945. In: Paul Hofmann: Das erneute Gedicht. Frankfurt am Main 2001. passim. 162 W. Killy. Apud Otto Knörrich: Lyrik – Begrif und heorie einer Gattung. In: Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen. Stuttgart 1992. S. XL. 163 Paul Celan: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Bd. 3. Hrsg. v. Beda Allemann und Stefan Reichert, unter Mitwirkung von Rolf Bücher. Frankfurt am Main 2000. S. 167. 66 Zwei Jahre später rekurriert Celan in seiner berühmten Meridian-Rede erneut auf den Lakonismus der Nachkriegslyrik und wertet ihn als eine extreme ästhetische und existentielle Erfahrung des Gedichts auf dem Weg zum Authentischen und zur Präzision: „Gewiss, das Gedicht – das Gedicht heute – zeigt, und das hat, glaube ich, denn doch nur mittelbar mit den – nicht zu unterschätzenden – Schwierigkeiten der Wortwahl, dem rapideren Gefälle der Syntax oder dem wacheren Sinn für die Ellipse zu tun, – das Gedicht zeigt, das ist unverkennbar, eine starke Neigung zum Verstummen […] das Gedicht behauptet sich am Rande seiner selbst.“ 164 Doch das an seinen Rand getriebene Gedicht entwickelt sich zur lapidaren Chifre oder, mit Celan gesprochen, zu einer befreienden „Engführung“ 165 der poetischen Kunst und somit der lyrischen Sprache in dunkle Lakonik, mit einem allerdings vom Autor explizit erwünschten dialogischen Charakter166. „Jedes Gedicht ist zu lang“ meinte auch Günter Eich lakonisch 1965167, ein Jahr nach dem Erscheinen des Bandes Zu den Akten, der eine radikale Wende zum reduzierten Gedicht im Werk Günter Eichs markierte. Im selben Jahr plädierte Walter Höllerer gerade für lange Gedichte und gegen das kurze hermetische, dem Höllerer „erzwungene Preziosität“, „Kurzatmigkeit“, „Dekoration“, die Tendenz zum „Schweigen“ und „Verstummen“ auf die Gefahr des „Hinstarrens“ und „Starrwerdens“ hin vorgeworfen hatte. Dagegen sollte das lange Gedicht, das „schon seiner Form nach politisch“ sei, die „republikanische“, weltofene Gegentendenz konstituieren168. Auf Höllerers provokant synthetisierende hesen reagierte Karl Krolow am wohl ausführlichsten und systematischsten. Karl Krolow war schon ab 1964 ein deklarierter Anhänger des Lakonischen in der neueren Dichtung. In seinem Aufsatz Über das Lakonische in der modernen Lyrik, der 1964 im Essayband Schattengefecht erschienen ist, deinierte Krolow die deutsche Lakonik, im Unterschied zur amerikanischen, 164 Celan 1992. S. 197. 165 Ebd. S. 200: „Die Kunst erweitern? Nein. Sondern geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei.“ 166 Wie Hermann Korte zu Recht hervorhebt, wurde Hermetik als intendierte Unverständlichkeit in der Lyrik von keinem Dichter nach 1945 angestrebt, keiner „hatte einer heorie der Unverständlichkeit und absoluten Inkommunikativität des Gedichts das Wort geredet, auch diejenigen nicht, die den Anspruch des Gedichts auf erhöhte Aufmerksamkeit und präzise Sprachrelexion, auf die Geduld prozessualer Zeichen - Dechifrierungen und das Sich-Einlassen auf schwierige Lektüre hervorgehoben“ haben. Vgl. Korte 2004. S. 581–665, hier S. 608. Auch Paul Celan nicht, für den das Gedicht immer „unterwegs“ zu einem Du und somit seinem Wesen nach dialogisch gestaltet war. Das Gedicht mochte sich in jedem Fall mitteilen, sogar in der stärksten Verdichtung der Sprache. So schreibt auch Paul Celan seiner verknappten Sprache implizit keine Verhüllungstendenz zu, sondern vielmehr eine intensivierende. 167 Günter Eich: Gesammelte Werke. Bd. IV: Vermischte Schriten. Hrsg. v. Heinz F. Schafroth. Frankfurt am Main 1973. S. 307, im folgenden GW IV zitiert. 168 Walter Höllerer: hesen zum langen Gedicht. In: Ludwig Völker (Hrsg.): Lyriktheorie. Texte vom Barock bis zur Gegenwart. Stuttgart 1990. S. 402-404 passim. 67 als eine zur Tugend gemachte Not. Sie, die neue lakonische Sprache der Poesie, sei nicht selbstverständlich, sondern erzwungen, in einer Art Verbissenheit gegen das, was herkömmlich als poetisch überliefert und nun als rettungslos antiquiert empfunden wurde. Auf die verlogene Idylle und epigonale Musikalität traditioneller Lyrik reagiere die lakonische mit einem knappen, distanzierten, unterkühlten, „dem Prosa-Duktus verwandte(n) Sprechen“ 169, dem Sprödigkeit und provokante Kargheit ein aggressives Potential verleiht. Als beispielhaten Dichter für eine solche Entwicklung zum Lakonischen nannte Krolow dann, unter anderen, Günter Eich, den Autor der Botschaten des Regens.170 Dem magischen Naturlyriker bescheinigt Krolow bereits einen Lakonismus besonderer Art, in welchem „hinter dem Realismus der kurzen Mitteilung, hinter dem Geschehen ebenso kurzer Handlungen - eine verhohlene Magie, […] magische Spuren-Elemente in dem anti-poetischen Text zum Vorschein“ 171 kommen, einen Lakonismus aber, der auch im Sinne Brechts „tätig“, also fähig „eine Handlung entstehen zu lassen“ 172 ist. Lakonik bedeute, bei Brecht wie auch bei Eich, eine neue krätige Sprache der Dichtung, die aus der extremen Verdichtung schöpt und die spannungsvoll auch in der nüchternen Sachlichkeit einer poetischen Berichterstattung ist. Nach den polemischen hesen Höllerers zum kurzen Gedicht zitiert Krolow unter anderen in seiner Antwort erneut auch Eich. Dichtung im Allgemeinen, auch kurze Dichtung, sei niemals autark, sondern immer weltofen, eine Möglichkeit, sich in der Wirklichkeit zu orientieren173. Nach Krolows Hinweisen auf die politische Aussagekrat knapper Lyrik, wie beispielsweise jene Brechts, wie auch nach der Klarstellung, dass es in jenem Streit weniger um die kurze oder lange Form, sondern vielmehr um Inhalte ging, kam man zu einem Kompromiss, der das kurze Gedicht nicht mehr aufgrund seiner lakonischen Reduktion verurteilte, solange es imstande war, eine dialogische Dimension aufzubauen und sich nicht „kommunikationsfeindlich“ in sich selbst abzukapseln174. Allerdings musste Höllerer auf halbem Wege Krolow beiplichten, dass das kurze, lakonische Gedicht von einer besonderen „Energie innerhalb der Form“ proitiert. Aber auch das kurze Gedicht hätte vom langen zu proitieren, vor allem durch die Reduktion der Metaphorik oder, genauer gesagt, durch das Entwickeln einer besonderen Metaphorik, die sich nicht auf das indirekte (Sinn-)Bild stützt, sondern „auf Abwandlungen syntaktischer Wendungen […], auf Redeweisen, auf den Tonfall 169 Karl Krolow: Über das Lakonische in der modernen Lyrik. In: Karl Krolow: Schattengefecht. Frankfurt am Main 1964. S. 93. 170 Inzwischen stellte die Forschung fest, dass die Tendenz zum Lakonischen bei Eich sehr früh ansetzt. Vgl. Heinz F. Schafroth: Günter Eich. München 1976. S. 17: „Deine Tage gehen falsch“ (I, 9) – „eine unüberhörbare, abweisende Radikalität – er schließt Einwände und weltanschauliches Palaver aus. In diesem Sinn nimmt der erste Vers, den die Öfentlichkeit von Eich zu lesen bekommt, den Autor des Gedichtbandes Zu den Akten (1964) vorweg.“ 171 Krolow 1964. S. 94. 172 Ebd. S. 96. 173 Karl Krolow: Das Problem des langen und kurzen Gedichts – heute. In: Akzente 6/1966. S. 272. 174 Walter Höllerer: Gedichte in den sechziger Jahren. Antwort auf Karl Krolows Essay. In: Akzente 1966. S. 381f. 68 des gesprochenen Wortes“ 175. Dies ist ein wichtiger Hinweis, den insbesondere die spruchartige Lakonik verwerten wird, so wie jene Frieds, dem die Kritik eine Entwicklung von der „Bildlichkeit“ zur „Wörtlichkeit“ bescheinigte176. Diesbezüglich wichtig für den vor allem aphoristischen Lakonismus der Nachkriegszeit ist auch das Fokussieren „auf den Tonfall des gesprochenen Wortes“, auf einen im traditionellen Sinne unlyrischen, nichtmelodischen, herben Ton, in dem sich ambivalente bis scheinbar unsinnige, parodische Sentenzen und Understatements wieder glaubhat formulieren und vermitteln lassen. Eine starke Ausdruckskomponente der neuen sinnstitenden „Wörtlichkeit“ der poetischen Sprache, mit ihrem streng kontrollierten Rückgrif auf antike bis klassische Rhetorik, ist daher ihr dissonanter, prosa-naher, allerdings zugleich durch seine intendierte subtile Ambivalenz auch prosa-ferner Ton. Seine angeblich harmlose Eindeutigkeit, wie auch Einfachheit sind simuliert und gerade deswegen latent metaphernträchtig, wie zum Beispiel die meisterhat manipulierten Tautologien und „Deinitionen“ dieser betont relexiven und hart gefügten Lyrik zeigen. Ende der 70er Jahre zieht der Dichter Walter Helmut Fritz – den dominanten neuen Ton der Lyrik hervorhebend - eine konzentrierte Schlussfolgerung zum „Problem der Lakonie im zeitgenössischen Gedicht“: „Bei allen Unterschieden (von Temperament, Seh- und Denkweise) im einzelnen, bevorzugen viele, die heute Gedichte schreiben, nicht mehr den hohen, schwingenden, sondern den spröden, glanzlosen, trockenen Ton. Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Einmal unsere Allergie gegenüber großen Worten und zu deutlichem Wohlklang. Dann: größere Nähe zu alltäglicher, sinnlicher, gesellschatlicher Wirklichkeit. Und schließlich der Versuch, durch Einführung von Prosa-Elementen dem Gedicht neue Überlebens-Chancen zu geben.“ 177 Die Faszination des Lakonismus in der deutschsprachigen Nachkriegslyrik führte aber ebenfalls zu einer mehr oder minder phlegmatischen Modeerscheinung. Am Ende seines Aufsatzes warnt auch Walter Helmut Fritz vor platter, selbstgenügsamer Lakonik, vor Lakonik als Masche. Der Reiz des Lakonischen dürfe, nach W.H.Fritz nicht in kalter Virtuosität und Efekthascherei erstarren, da die lakonisch Dichtenden das reduzierte Gedicht in all seinen Verzweigungen kennten und weil sich die Lesenden darauf eingehört hätten. Dem lakonischen Gedicht müsste man vor allem „seine innere Richtigkeit erhalten“, indem man es verlebendigt: 175 Ebd. S. 378. 176 Vgl. Alexander von Bormann: „Ein Dichter, den Worte zusammmenfügen“. Versöhnung von Rhetorik und Poesie bei Erich Fried. In: Text + Kritik. Het 91. Juli 1986. S. 10f. 177 Walter Helmut Fritz: Das Problem der Lakonie im zeitgenössischen Gedicht. In: Lothar Jordan u.a. (Hrsg.): Lyrik von allen Seiten. Frankfurt am Main 1981. S. 259. 69 „Wie wäre das möglich? Indem man innerhalb des lakonischen Sprechens den Ton der Unruhe, der Ratlosigkeit, der Sehnsucht stärker hervortreten ließe. Oder die Tatsache, dass uns nichts gleichgültig sein kann, dass der Blick ein anderer wird, wenn man mehr sieht, neugieriger ist, weniger rasch ermüdet, den Vorgängen dichter auf der Spur bleibt, wenn man sich dessen bewusst ist. Andere Stichworte: sich aufstören lassen; die Fähigkeit, irritierbar zu sein, intensivieren; erschrecken, wenn einem Ohren und Augen aufgehen. Das alles kann Gedichten neue Schnittlächen geben.“ 178 Die Angst vor einer zu gefühlskalten Lakonik scheint die sogenannte Postmoderne nicht zu kennen. Bei den Jüngeren und Jüngsten der 80er und 90er Jahre weicht die Metaphysik „der Neurologie, die Empindung verliert sich im ‚Sarkasmus‘ - Coolness, ‚Spiel mit den Bruchstücken einer abduktiven Logik‘“, zitiert heo Elm den Dichter Durs Grünbein179. Die Zeit der großen Kontroversen über Struktur, Gestalt und Funktion der Gedichte, so wie sie „noch in den sechziger Jahren, im goldenen Zeitalter der Autorenpoetik, ausgefochten wurden“ ist vorbei, glaubt Michael Braun180. „Der Künstler nehme nicht Positionen ein, sondern passiere Orte“ 181. So entwickelt sich der Lyriker zu einem „‚Transit-Künstler‘, der nervös zwischen den Texten und Traditionen nomadisiert, partizipiert also an jener unabschließbaren Bewegung des Unterwegsseins, die sich beim Schreiben des Gedichts vollzieht“ 182. Die Jüngsten sind allerdings nicht nur zwischen Texten und Traditionen unterwegs, sondern auch durch die neue Sprachlandschat des Informationszeitalters. „Das Gedicht in der Ära unserer anhebenden Cyberculture – meint Erk Grimm in diesem Sinne – spricht kühl zu uns, es spricht von den allgegenwärtigen Telegeräten und den Körper-Phantomen, beispielsweise von der Television“ 183. Mit einem Seitenblick auf Lethens heorie der Kälte zur Zeit der „Neuen Sachlichkeit“ beschreibt Grimm auch die Gestalt jüngster Dichtung als ot epigrammatisch knapp und unterkühlt: „Das Entsetzen, der Schrei der Expressionisten, ist durch neusachliche Lakonik ersetzt, und makabre Komik durchkreuzt das Pathos des Ecce - Homo“ in Grünbeins Lyrik zum Beispiel184. Der neusachliche Ton der 90er bezieht sich allerdings auf Inhalte, die auf die Computerwelt Bezug nehmen, mit der das Subjekt permanent verkabelt ist und sich so als „eine Schnittstelle irgendwo zwischen Körper und elektronischem 178 Ebd. S. 262-263. 179 heo Elm: Einleitung. In: heo Elm (Hrsg.): Lyrik der neunziger Jahre. Stuttgart 2000. S. 18. 180 Michael Braun: In aufgerissenen Sprachräumen. Eine Begegnung mit den Gedichten der neunziger Jahre. In: Christian Döring (Hrsg.): Deutschsprachige Gegenwartsliteratur wider ihre Verächter. Frankfurt am Main 1995. S. 271. 181 Elm 2000. S. 21. Elm bezieht sich auf eine poetologische Einschätzung Grünbeins: „Dies ist, im Zeitalter der Beschleunigung und Medialisierung, vermutlich die eigentliche Bewegung. Das frühe Zuhausesein in den Medien, die ihrerseits transitorische Orte, also Nicht-Orte sind“. Ebd. S. 21. 182 Ebd. S. 285. 183 Erk Grimm: Das Gedicht nach dem Gedicht. Über die Lesbarkeit der jüngsten Lyrik. In: Döring 1995. S. 288. 184 Ebd. S. 303. 70 Netzwerk“ präsentiert185. Doch auch in dieser Dichtung regelrechter „Sprach-Installationen“ verweisen noch, laut Korte186, die Vorliebe für zyklische Kompositionen, wie auch eine sich neu radikalisierende Sprachrelexion zurück auf die Poesie und Poetik der Jahrhundertwende. Die neue Suche nach Möglichkeiten und Grenzen des sprachlichen Ausdrucks mündet schließlich in eine komplizierte Lakonik, die Korte bei homas Kling folgendermaßen beschreibt: „Seine Texte verdichten sich zu schwierigen Versreihen, die Wort für Wort entzifert werden müssen, weil sie mit akribischer Konsequenz orthographisch, phonetisch, grammatisch und semantisch verändert wurden. Die Experimentprozedur führt auf der einen Seite, metaphorisch gesprochen, zu einer Sprach-Installation aus verformten Wort- und Satzzeichen, auf der anderen Seite zu einem Lakonismus des Verses, der alles Überlüssige ausspart und nicht nur Gedanken und Assoziationen auf ihre wichtigsten Wortspuren reduziert, sondern diesen Prozess im Weglassen von Vokabeln, Silben, Wortendungen, Konjunktionen, Satzgliedern, Satzzeichen und Graphemen dem Leser buchstäblich vor Augen stellt.“ 187 Lakonik wird dadurch erneut, wenn auch nicht mehr im Ton Strammschen Pathos’, als ein Sprachverhalten des Abgehackten, des Abrupten auf allen erwähnten Ausdrucksebenen quasi inszeniert. Sprache zerfällt in verdichtete und verfremdete Brokken, die über deutlich markierte Pausen hart zusammengefügt werden: „die stadt ist der mund / raum. die zunge, textus; / stadtzunge der granit: / geschmolzener und / wieder aufgeschmo- / lzner text. Beiseite - / gesprochen, abgedun - / kelt von der hand: die / ruinen / … / 188. Für Holger Schulze ist die gesamte Moderne „nach dem Mediumistic turn“ eine lakonische, die nonchalant Pop- und Hochkultur in ihren Werken verbindet, sich von den „klassischen“ Avantgarden durch die Vermeidung von Pathos und Provokation distanziert und sich auf neue Synthesen versteht, die das herkömmliche Konzept des Literarischen überhaupt in einem allerdings undramatischen Ton in Frage stellen. „Die Lakonische Moderne des Pop favorisiert die pragmatische Synthese. Nicht mehr der Analytiker ist das Leitbild dieser Moderne – glaubt Schulze -, sondern der Synthesizer. Ein Mensch ist damit tatsächlich nicht gemeint, sondern ein Team, das die Techniken des Mischens und Ausilterns beherrscht, das Arbeiten mit kontingenten Filtersystemen.“ 189 185 186 187 188 189 Ebd. S. 288. Korte 2004. S. 653-665 passim. Ebd. S. 660. Zit. nach Korte. Ebd. S. 661. Holger Schulze: Das aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der nichtintentionalen Werkgenese im 20. Jahrhundert. München 2000. S. 345. 71 Für diese Art von (kollektivem) lakonischem Autor gebe es, laut Schulze, keine wahre oder falsche Darstellung der Wirklichkeit mehr, sondern „nur solche mit einer speziisch anderen Konsistenz“ 190. Kühle Wertungsneutralität wurde der Lakonik bereits mehrfach bescheinigt. Doch meistens ist dieser Lakonismus in Literatur oder Kunst ein, wie Urs Meyer betonte, lediglich scheinbar wertungsneutraler, der „gewöhnlich starke Wertungen provoziert“ 191. Auch die kurzgeschlossene Synthese zwischen traditionell unvereinbarem (Sprach-)Material hat Verweisungscharakter, solange der Dichter oder Künstler nicht nur rein technisches Können an den Tag legen will. Diesbezüglich sei z.B. dahingestellt, ob der „Lakonismus“ der Handy-Lyrik, also die elektronische Gelegenheitsdichtung, gebunden an eine gewisse Anzahl von Zeichen, tatsächlich zu einer „allgemeinen Wiederbelebung des lyrischen Genres durch den Short Message Service“ führen wird192. Jenseits von Coolness und technischer Bricolage bleibt der Lakonismus der 80er Jahre, so Alexander von Bormann, ein Kennzeichen der schon in den siebziger Jahren erkennbaren neuen „Rhetorisierung der Poesie“ auf dem Wege „von der Bildlichkeit zur Wörtlichkeit“ 193. Eine von Brecht inspirierte Lakonik prägt so das subversive Zeitgedicht rumäniendeutscher Autoren, wie es z.B. bei Dieter Schlesak, Richard Wagner, Franz Hodjak, Nikolaus Berwanger oder Rolf Bossert zu inden ist. „Die Absage an ein geschlossenes Sinnganzes“ privilegiert, laut Bormann, „fragmentarisierende Redeformen“ bei den 80ern insgesamt194. Eine wichtige Hervorhebung bezüglich der Lakonik dieser Poesie ist, dass sie weniger von der Kürze des Textes als von der Qualität derselben bestimmt ist: „Es ist auch weniger die Zeilenzahl, nach der sich der lakonische Duktus bemisst, sondern der verhaltene Gestus, das erkennbare Wägen der Worte“, beispielsweise im Falle der Lyrik Guntram Vespers, meint Bormann195. Dieser Befund könnte verallgemeinert werden, denn ein beträchtlicher Teil der Lyrik proitiert heute vom abgehackten oder verhaltenen, distanzierten, spruchartigen Ton der Kurzlyrik. Von der dissonanten Härte dieser Lyrik, die gerade durch unerwartete, ja gewaltige Fragmentierungen der poetischen Rede entsteht, versprechen sich auch in den sechziger und siebziger Jahren geborene Dichter einen neuen expressiven Ausdruck, auch wenn dieser bereits in ihren Geburtsjahren erprobt wurde. Axel Kutsch bringt in seiner Anthologie aus dem Jahre 2001, Blitzlicht. Deutschsprachige Kurzlyrik aus 1100 Jahren, eine diesbezüglich relevante Auswahl von Beispielen. Für die jüngsten Autoren behält noch die fernöstliche Lakonik des Haiku eine gewisse Faszination, die zu nachdenklichen poetischen Miniaturen anregt und dadurch die verhaltene Melancholie neuer Generationen ausdrückt, wie z.B. im poetologischen Gedicht Uwe Claus’ (geb. 1960) Japanisches Palais: 190 Ebd. S. 346. 191 Meyer 2001. S. 73. 192 Andreas Bernard: Im SMS-Stil. Gibt es eine Poetologie der 160 Zeichen? In: Süddeutsche Zeitung, 18.04.2001. Zit. in: Retten Handys die deutsche Lyrik ? ULR: http://www.heise.de/newsticker/ meldung/17147 193 Alexander von Bormann: Poesie im Auseinanderdriten. In: Wilfried Barner u.a. (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München 1994. S. 848f. 194 Ebd. S. 851. 195 Ebd. S. 850. 72 Haikus entfachen die Lust am kühlen Lutzug. Worte wie Fächer196 Die von Brecht bis zur Konkreten Poesie vielfach durchgespielte Lakonik spielerischgestisch manipulierter Redewendungen und komischer Deinitionen reizt weiterhin, wie z.B. im Falle von Falk Andreas Funkes (geb. 1965) Gedicht hase die hetzenden hunde abgehakt mal wieder die löfel behalten197 Oder die paradoxe lakonische Gedankenlyrik in der Nachfolge Günter Eichs oder Erich Frieds, wie z.B. bei Andreas Saurer (geb. 1963): crescendo ich ziehe einen schlussstrich langsam wächst daraus eine neue schrit198 Lakonik gewinnt auch der Natur- und Liebeslyrik eine anscheinend glaubwürdigere Expressivität ab, auch wenn gelegentlich subtile Trakl- oder Krolow-Töne nicht zu überhören sind. So beispielsweise bei Heike Smets (geb. 1967): 7 Uhr Die Bäume läuten.199 196 Axel Kutsch 2001. S. 231. Siehe auch Gerd Sonntag (geb. 1962). S. 241; Ralf Hilbert (geb. 1963). S. 242; Arne Rautenberg (geb. 1967). S. 258. 197 Ebd. S. 250. 198 Ebd. S. 246. 199 Ebd. S. 259. 73 Oder Sabine Reber (geb.1970): Lange Nacht Hautsüchtige wir Umarmen uns Eine Anwesenheit Lang liegen Schlalos – koplos Schliefe sich besser200 Der neu „rhetorisierten“ Lakonik begegnet man, in besonders prägnanter Form, in den zur konzentrierten Frage stilisierten Gedanken, wie bei Carsten Sebastian Henn (geb. 1973): Aussichtslos Wer küsst uns wach Wenn wir schlafen Und einander nicht Betrügen wollen201 Und auch der Bewältigungs-Lakonismus ist vor allem in der Liebesdichtung spürbar, z.B. als verhaltene Sprach-Maske eines quälenden Gefühls ungewollter Einsamkeit in Henns Gedicht Wohnungsnot Ohne Dich existiert Diese Wohnung nicht Die Atome drehen Mir den Rücken Zu202 200 Ebd. S. 269. 201 Ebd. S. 271. 202 Ebd. S. 271. 74 Die von Axel Kutsch zusammengestellte Anthologie könnte die Frage aufwerfen: Ist jede Art von Kurzlyrik auch eine lakonische? Sind im Falle der Dichtung Lakonik und Kurzlyrik deckungsgleich? Ist somit Lakonik ein Synonym für Kürze in der Poesie? Walther Killy betrachtet, wie bereits erwähnt, die Lyrik an sich als lakonisch, weil sie im Vergleich zu Drama und Prosa üblicherweise kürzer ist203. Diese Deinition von Lyrik greit allerdings zu kurz, denn, wie schon von der neueren Forschung hervorgehoben und auch hier bereits besprochen, können Gedichte sehr umfangreich sein bzw. Prosa und auch Drama äußerst wenig Sprachmaterial beinhalten. Kürze kann somit lediglich als ein typisches, nicht aber ein konstitutives „Element“ der Lyrik berücksichtigt werden. Die Untergattung „Kurzlyrik“ verweist außerdem schon darauf, dass Poesie in verschiedenen Längen geschrieben werden kann204. Ist aber die Kurzlyrik an sich lakonisch, weil eindeutig kurz? Auch das nicht, denn die quantitativ verstandene Kürze ist nicht einmal für den rhetorischen Terminus „Lakonismus“ ein hinreichendes Beschreibungskriterium. Sogar der Duden deiniert „lakonisch“ als „kurz, einfach und ohne Erläuterung“ 205, also zugleich konzentriert und schlicht. Mit der (semantisch) konzentrierten und (manchmal lediglich scheinbar) einfachen Kürze lakonischen Sprechens wird noch ein bestimmter Ton und, häuig, in engem Zusammenhang mit diesem, eine Haltung gegenüber dem Gesagten oder ein Wirkungspotential assoziiert. Die brachylogia der Spartaner galt schon als ein gewaltiges wie gewaltsames Sprechen, weil zugleich schlagfertig, trefsicher, weise bis hermetisch, wie auch militärisch, autoritär, hart. Auf dieses Verständnis von Lakonik verweisend spricht Alexander von Bormann vom „militärische(n) Duktus“ lakonischer Gedichte der 203 In einem neueren Essay betrachtet in ähnlicher Weise auch Walter Hinck die Lyrik als die eigentliche „Konzentrationsform der Dichtung“ im Vergleich zu Prosa und Drama, da diese Gattung sich einer „entschlackten Sprache“ bediene und prinzipiell auf das „Abwerfen von Ballast“ und auf die Vermittlung einer „punktuellen Welterfahrung“ bedacht sei. Vgl. Walter Hinck: Stationen der deutschen Lyrik von Luther bis in die Gegenwart – 100 Gedichte mit Interpretationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 22000. S. 14f. 204 Otto Knörrich versucht diesbezüglich Killys hese weiterdenkend zu nuancieren und Lyrik auf eine qualitativ verstandene Kürze zu verplichten, also auf eine knappe, verdichtete Formulierung. Knappe, d.h. bedeutungsintensive und -intensivierende, polysemantische Kürze ist für Knörrich gleichzusetzen mit dem lyrischen Lakonismus. Vgl. Knörrich 1992. S. XXXVII-XLIV. Dem ist entgegen zu halten, dass Lyrik zwar, in verschiedenen Graden, auf eine semantische Konzentration setzt, diese aber auch in der (aphoristischen oder parabelhaten) Kurzprosa, bei Kaka beispielsweise, präsent sein kann. Knappe Kürze wäre außerdem eine bessere Deinition für den rhetorischen und den lyrischen Lakonismus bis zum 20. Jahrhundert. Der letztere hat sich auch in enger Verbindung zum rhetorischen Verständnis von Lakonik entwickelt. Die knappe Kürze ist aber keine hinreichende Beschreibung für die moderne lakonische Poesie mit dem stark gestischen Charakter ihres Textkörpers (wo gerade auch die Semantik der Form, der Zeilenbruch, die Auteilung des Textes in unregelmäßigen Zeilen eine bedeutende Rolle spielt) und des abrupten und unterkühlten Tons der Rede. 205 Duden. Deutsches Universalwörterbuch. Hrsg. und bearb. vom Wissenschatlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion. [Red. Bearb.: Matthias Wermke …], Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 3 1996. S. 921. 75 Nachkriegslyrik206. Kurzlyrik wäre demnach lakonisch, wenn sie den harten, kategorischen, sentenzhaten Ton dieser „militärischen“ Knappheit annimmt. Weniger militärisch ausgedrückt handelt es sich um eine bereits erwähnte kurze nachdrückliche Rede mit gestischem Charakter, bei der die ungewöhnlichen Akzentsetzungen und Hervorhebungen verschwiegenen semantischen Absichten folgen. Allerdings könnte diese „militärische“ oder auch spruchartige Knappheit schnell plakativ und/ oder störend didaktisch klingen, wenn sie nicht, mit Ralph Müller gesprochen, genügend konzise, ja kondensiert ist. Diesbezüglich kann vor allem poetische Lakonik im Sinne einer eher qualitativ verstandenen Kürze der Verdichtung und Überlagerung von Bedeutungen deiniert werden. Poetische Lakonik ist relexionsbedürtig und relexionsanregend. Sie kann außerdem durch ihre abrupte Form und spannungsreichen Inhalt Stringenz mit Intensität verbinden, Härte und Trockenheit des Tons mit einer komplizierten Semantik. Ebenfalls mit einem Seitenblick auf die antiken Bewohner Spartas deiniert Gero von Wilpert den Lakonismus in seinem Sachwörterbuch der Literatur als eine „kurzbündige und trefende, dabei objektiv-unbeteiligte Sprechweise“ 207. Konzentration, Präzision und Distanziertheit beschreiben hier einen kühlen, traditionell gesehen unlyrischen Ton, der sich vielmehr der Prosa annähert. Eine „versprachlichte Gelassenheit“, so Urs Meyer, die dem heutigen Bedarf an „Coolness“ entspricht und Lyrik neu bestimmt. Auch Otto Knörrich verweist implizit auf eine grundlegende Verwandlung des Lyrischen durch Lakonik, indem diese „der Entpoetisierung, Ernüchterung und Versachlichung der Aussage“ diene208. Außerdem ließen sich durch Lakonik, glaubt Knörrich, mit einem Seitenblick auf die Debatte langes vs. kurzes Gedicht, die Ansprüche moderner Lyrik am besten verwirklichen: „Selbstverständlich kann auch das lange Gedicht genaue Form sein, trotzdem wird man sagen müssen, dass das Gedicht sich um so mehr vom harten Kern der Gattung entfernt, je länger es wird, umgekehrt aber Kürze den Einsatz speziischer poetischer Techniken der Gattung besonders begünstigt, weil diese nur innerhalb eines eng umgrenzten Wahrnehmungsfeldes funktionieren, d.h. für ihre Wirksamkeit Überschaubarkeit (entsprechend dem Wahrnehmungsvermögen des Rezipienten) voraussetzen. Im lakonischen Gedicht lassen sich also ofensichtlich alltagssprachliche Redeweise und die von der Gattung geforderte poetische Textstrukturierung und Sinnverdichtung am ehesten miteinander verbinden.“ 209 206 Bormann 1994. S. 77, S. 850: „der Lakonismus, jene ursprünglich aus dem militärischen Bereich stammende Knappheit.“ 207 Wilpert 71989. S. 497. 208 Knörrich: Die deutsche Lyrik seit 1945. Stuttgart 21978. S. 332. 209 Otto Knörrich: Aspekte der Gegenwart. Bundesrepublik Deutschland. In: Hinderer (Hrsg.) 1983. S. 572. 76 Auf der anderen Seite erhot sich Knörrich vom (postmodernen) Lakonismus einen Ausweg auch aus dem Dilemma „realistische“ vs. „hermetische“ Dichtung: „Seine Chance und sein literarischer Stellenwert scheinen in der Tat darin zu liegen, dass er es erlaubt, die Weite und Vielfalt der realistischen Schreibweise (Brecht, Hervorhebung des Autors) mit der Geschlossenheit und Formstringenz, wie sie das hermetische Gedicht auszeichnet, zu vermitteln und so den historischen Gegensatz zwischen Hermetismus und Realismus hinter sich zu lassen.“ 210 In diesem „postmodernen Lakonismus“ sieht er den (formalen) Trefpunkt unterschiedlicher Autoren, von Krolow, Rose Ausländer, über Enzensberger und Fried zu Jürgen Becker und Rainer Malkowski. Hermann Korte betrachtet die Lakonik des in den sechziger Jahren viel praktizierten „epigrammatischen Zeitgedichts“, „mit seinem Lapidarton, seinem auf Witz und Pointe gerichteten Schlussvers […] und seiner in Versbau, Rhythmus, Strophierung und Länge unregelmässigen, frei modellierten, Reim und Metrum geradezu verachtenden Form“ als lyrischen „Sprachcode eines Paradigmenwechsels, der nicht nur Inhalte und hemen, Poetik und Stil gleichermaßen betraf, sondern sich in kurzer Zeit als die für die kommenden Jahrzehnte gültige Grundform lyrischer Schreibweisen durchsetzte – im Westen wie in der DDR.“ 211 Diese neue lakonische Grundform der Lyrik verdankt sich, laut Korte, einem geänderten, einsichtigen wie kritischen Blick auf eine ebenfalls veränderte Wirklichkeit, genauer der „Anerkenntnis der Wirklichkeit als einer sich technologisch-wissenschatlich und dynamisch verändernden Moderne auf der einen und d(er) Positionierung des lyrischen Subjekts als Teil dieser sich rasch wandelnden Welt auf der anderen Seite“ 212. In dieser Form artikulieren sich, sarkastisch oder verhalten, „Modi des Unbehagens“, zunächst an der politischen Realität. Die vor allem lakonische Kürze der Gegenwartslyrik eigne sich außerdem, nach Michael Braun, „vorzüglich für die Schärfung von Diagnosen und die Zuspitzung von Prognosen“ in einer Welt der „verschüttete(n) und erschütterte(n) Wertesysteme“. Der Kritiker zitiert Meister des lyrischen Lakonismus als diesbezüglich verlässliche Zeugen, wie Günter Kunert und Reiner Kunze213. 210 211 212 213 Ebd. S. 573. Korte 2004. S. 601. Ebd. S. 596. Michael Braun: „Der Zauberkasten Welt ist lange leer“. Wertorientierung in der Gegenwartsliteratur. In: Die politische Meinung. Nr. 391. Juni 2002. S. 67-74, zit. S. 70, 67. 77 Kein Wunder daher, dass Lakonismus schließlich zu einem gängigen Beschreibungskriterium der Nachkriegslyrik im Allgemeinen wurde und zwar als sprachliches Symptom eines mehrfachen Reduktionsprozesses214, als „formaler Grundzug“ der Lyrik ab 1945, trotz unterschiedlicher Motivation und Gestaltung215. Entscheidend ist bei all diesen Aufassungen von lyrischem Lakonismus das Phänomen der Reduktion, also einer ambivalenten, verhalten wie auch vielsagenden Enthaltsamkeit des poetischen Sagens. Kurzlyrik wäre folglich lakonisch zu bezeichnen, wenn sie diese „gestische“, auf Unausgesprochenes deutende Zurückhaltung in ihrer abrupten und/oder nachdrücklichen Form erkennbar werden lässt. Oder mit Bormann gesprochen, bei welcher der verhaltene Gestus, das bemerkbare Wägen der Worte in Form und Duktus transparent werden. Außerdem ist lakonische Lyrik, wie schon mehrfach zunächst von Dichtern hervorgehoben, tonangebend im eigentlichen Sinne des Wortes durch ihre Annäherung an den unmelodischen, ja herben Prosa-Duktus, dem diese jedoch durch steile Brechungen und Verknappungen, wie auch durch harte Fügungen neue Akzente und somit eine neue Expressivität verleiht. Konzision, im semantischen Sinne der Verdichtung und im etymologischen des Zerhackten, Verstümmelten, und Dissonanz des Tons, bei dem die Ungleichmäßigkeit hart gesetzter Pausen eine wichtige Rolle spielt, prägen die moderne Lakonik der Kurzgedichte. Ihre Allgegenwart ist allerdings vielfältig: schärfer oder „leiser“, kryptisch verhalten oder Klartext sprechend, ambivalent oder geradezu paradox, nachdenklich, elegisch oder ironisch gebrochen, vielmehr bildlich oder eher relexiv, elliptisch oder parataktisch voll artikuliert u.s.w. In all seinen Erscheinungsformen bezeugt aber der Lakonismus immer wieder einen mächtigen Glauben an die Krat des Wortes, das er mit einer faszinierenden Härte und semantischen Dichte zu setzen weiß. Im Folgenden sollen einige formal-rhetorische und psychologische Facetten dieser harten Lyrik anhand von exemplarischen Analysen von Texten des bundesdeutschen Autors Günter Eich, des Österreichers Erich Fried und des früheren DDRSchritstellers Reiner Kunze dargelegt und erschlossen werden. 214 Siehe die diesbezügliche Zusammenfassung Hans-Joachim Willbergs in Hans-Joachim Willberg: Deutsche Gegenwartslyrik. Eine poetologische Einführung. Stuttgart 1992. S. 23. 215 Vgl. Hans Otto Horch: Lyrik. In: Borchmeyer/Žmegač 21994. S. 260. 78 2. Günter Eich – Harte Rhetorik der „Inventur“, „Deinition“ und „Meditation“ 2.1. Lyrik der Bestandsaufnahme. Lakonische Deskriptionsexerzitien „Die ärgerlichste Kritik besteht in der Nennung von Fakten“, so ein Aphorismus von Michael Richter. Inventuren und Bilanzen haben in ihrer stringenten Sachlichkeit dieses Potential. Sie können schlagende Argumente sein, ohne explizit zu argumentieren, wie jede Art von Evidenz. Das entspricht nun prinzipiell, auf sprachlicher Ebene, der Lakonik, die, wie Urs Meyer bemerkt, „vorzugsweise im Modus der (schlagfertigen) Antwort (autritt). […] Immer ist die lakonische Phrase aber durch scheinbare Wertungsneutralität gekennzeichnet, der Sachverhalt wird als neutraler dargestellt, obgleich er gewöhnlich starke Wertungen provoziert.“ 216 Lakonische Bilanzen und Inventuren können umso ärgerlicher, weil befremdend, in der Form poetischer Texte sein, wie dies zunächst das Kahlschlag-Gedicht von Günter Eich, Inventur, das gleichfalls zum Mythos der unmittelbaren Nachkriegsliteratur wurde, zu beweisen scheint: Dies ist meine Mütze, dies ist mein Mantel, hier mein Rasierzeug im Beutel aus Leinen. Konservenbüchse: Mein Teller, mein Becher, ich hab in das Weißblech den Namen geritzt. Geritzt hier mit diesem kostbaren Nagel, den vor begehrlichen Augen ich berge. 216 Meyer 2001. S. 72f. 79 Im Brotbeutel sind ein Paar wollene Socken und einiges, was ich niemand verrate, so dient es als Kissen nachts meinem Kopf. Die Pappe hier liegt Zwischen mir und der Erde. Die Bleistitmine Lieb ich am meisten: Tags schreibt sie mir Verse, die nachts ich erdacht. Dies ist mein Notizbuch, dies meine Zeltbahn, dies ist mein Handbuch, dies ist mein Zwirn.217 Das Gedicht entstand 1945/46, wahrscheinlich während Eichs Inhatierung als amerikanischer Kriegsgefangener vom April bis zum Sommer 1945, in einem Lager bei Sinzing am Rhein, oder kurz danach, und gilt als ein literarisches Dokument der sogenannten Stunde Null des Kriegsendes. 1947 erschien der Text in Hans Werner Richters Anthologie Deine Söhne Europa. Gedichte deutscher Kriegsgefangener. Ein Jahr später wurde er dem ersten Gedichtband Eichs nach 1945, Abgelegene Gehöte, einverleibt. Seine vor allem stilistische Relevanz für den Zeitkontext seiner Veröfentlichung war enorm, denn der scheinbar „nackte“, kunstlose Lakonismus der Aussage in diesem Gedicht wird nach dem traumatischen Ausgang des Zweiten Weltkrieges, „in jener Situation der totalen Desorientierung und der totalen Frustrierung der meisten Deutschen“ 218, zur mustergültigen poetischen Rhetorik des „Kahlschlags“, der Bewältigung jüngster Zeiterfahrungen und ideologisch behateter Sprache, der 217 Alle Gedichte und „Maulwürfe“ Günter Eichs werden nach der hier mit GW gekennzeichneten Ausgabe 1991 zitiert: Günter Eich. Gesammelte Werke in vier Bänden. Hrsg. v. Axel Vieregg. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991. Hier Bd. I. S. 35. Seine Essays nach Günter Eich: Gesammelte Werke. Bd. IV. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973. 218 Knörrich 21978. S. 10. 80 Skepsis219 und des Aubruchs. Inventur entsprach quasi archetypisch der pathetischen Forderung der vierziger Jahre nach „Wahrheit“ statt „Schönheit“ 220 und wurde durch Wolfgang von Weyrauch zum Inbegrif der neuen Literatur des Kahlschlags. Diese sollte sich prinzipiell, so Weyrauch im Nachwort seiner 1949 herausgegebenen Anthologie, der Methode der Bestandsaufnahme bedienen und der Intention der Wahrheit folgen: „Beides um den Preis der Poesie. Wo der Anfang der Existenz ist, ist auch der Anfang der Literatur. […] Die Schönheit ist ein gutes Ding. Aber Schönheit ohne Wahrheit ist böse. Wahrheit ohne Schönheit ist besser.“ 221 Doch auch wenn diese ästhetische Einstellung auf Eichs Gedicht zurückgeht, wird sie von Eich selbst in den 40er Jahren nicht restlos geteilt. In dem 1948 verfassten Gedicht Schönheit verweist er auf eine Abstumpfung der Gefühle in der bloß hässlich und damit „wahr“ gewordenen Welt: Oh Schönheit, Schönheit! Ich erwarte, dich eines Tages zu erblicken, wenn ich das Fenster öfnete, unversehens, überwältigend zu Tränen. Aber ich sah nur Hässliches: Jauche rinnt über die Straße, ein Hund kackt. 219 Alexander von Bormann legt in seinem Exkurs über die frühe Nachkriegsdichtung nahe, dass eine gewisse Lakonik der Heimkehrerlyrik nach 1945, insbesondere jene der Anthologie Richters, in der auch Inventur zum ersten Mal gedruckt wurde, als Ausdruck von Skepsis und Verarbeitung schmerzlicher Erfahrungen der jüngsten Geschichte betrachtet werden kann: „An solche Texte und Haltungen ist zu erinnern, will man z.B. begreifen, warum das Europa-Pathos der vierziger und fünfziger Jahre bei den Jüngeren so schlecht ankam: man hatte ein Gespür für den verkehrten Zungenschlag, für die Ausweichmanöver. Ähnlich sind die unberatenen Klagen zu werten, die zumeist als heimliche Aufrechnung angelegt sind, auch wo sie das nicht aussprechen, als Antwort auf die Vorwürfe an Kriegsdeutschland, als künstlich naives Staunen, dass nicht alle Türen sofort den Heimkehrenden ofen stehen. Im ganzen bleibt erstaunlich, dass Hans Werner Richter diese Sammlung verantwortet hat, ein Zeichen wohl für die Betrofenheit nach 1945, für die Schwierigkeit, die ,Blamage‘ des Kriegsendes, des Krieges und Hitlerreichs, des deutschen Weges, der Millionen Toten und Gemordeten zu verarbeiten. Da sind Gedichte, die sich zurücknehmen und dies als Gestus artikulieren, noch am ehesten angemessen.“ Alexander von Bormann: Frühe Nachkriegslyrik (1945-1950). In: Barner 1994. S. 83. Allerdings unterscheidet Hermann Korte zu Recht zwischen der originellen Funktion der Lakonik in Eichs Inventur, die einer kritischen Kontrafaktur der „Traditionalismen aller Art“ diene, und jener mancher anderer Texte dieser Sammlung, die zwar „den Ton einer Berichterstattung (nachahmen), aber ,das rauhere Wort‘, entstanden, wie der Herausgeber hervorhebt, am ,Rande des Abgrundes‘, ist häuig nicht frei von Pathos und Sentimentalität, vom Stereotyp einer klischierten Wahrnehmung“. Hermann Korte: Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945. Stuttgart 1989. S. 14. 220 Im Sinne der programmatischen Verse Wolfdietrich Schnurres (1948): „zerschlagt eure Lieder / verbrennt eure Verse / sagt nackt / was ihr müsst.“ 221 Zit. nach Alexander von Bormann. In: Barner 1994. S. 78. Eich selbst meinte in einem 1947 verfassten Text, dass der Dichter zwar nicht zum Journalisten zu werden bräuchte, aber „alles was er schreibt, sollte fern sein jeder unverbindlichen Dekoration, fern aller Verschönerung des Daseins“, denn: „Ich will nicht sagen, dass es keine Schönheit gibt, aber sie setzt Wahrheit voraus. Der Zwang zur Wahrheit, das ist die Situation des Schritstellers.“ Eich: GW. Bd. IV. S. 393-394. 81 Heute sehe ich nichts Hässliches mehr. Zwar ist es immer noch das gleiche: die Jauche, der Hund. Aber ich inde es nicht mehr so schlimm, seitdem ich die Schönheit nicht mehr erwarte. Vielleicht, weil ich gleichgültig geworden bin.222 Der „Zwang zur Wahrheit“, wie sich Eich 1947 ausdrückte, hat ihren emotionellen Preis: Gleichgültigkeit. Allerdings könnte diese resignative Gleichgültigkeit dem späteren Gefühlsmanagement, dem sich auch die Lakonik der Bände Zu den Akten, Anlässe und Steingärten oder jene der Maulwürfe verdankt, gedient haben. Das (lyrische) Ich schützt sich vor Enttäuschungen und anderen Schockerfahrungen, indem es seelisch „gleichgültig“ und stilistisch „lakonisch“ wird. Diese phlegmatische Haltung der unschönen und unvernüntigen Welt gegenüber, die den Lakonismus als sprachlichen Ausdruck einsetzt, ist aber auch beim späteren Eich eine Trotzreaktion, deren distanzierende Kühle einen verdrängten Tumult negativer Gefühle maskiert, wie an manchen Varianten abzulesen ist (siehe Ode an die Natur). Von dem Gedicht Inventur sind keine Varianten bekannt. Axel Vieregg verzeichnet lediglich eine leicht vom Text der Abgelegene(n) Gehöte abweichende Stelle des Erstdrucks in der Anthologie Hans Werner Richters. Dort heißt es in der ersten Zeile der vierten Strophe: „So dient er als Kissen“ 223. Ansonsten scheint der Text keine Vorstufen gehabt zu haben. Allerdings ist eine mögliche Vorlage bekannt, die Eich jedoch vor oder auch während der Niederschrit seiner „Inventur“ zu kennen bestritt, obwohl die strukturellen und stilistischen Übereinstimmungen der beiden Texte, mit Peter Horst Neumann gesprochen, „äußerst frappant“ sind224. Diese stammt vom tschechischen Dichter Richard Weiner, wurde in deutscher Übersetzung schon 1916 in der von Franz Pfemfert herausgegebenen Anthologie Jüngste tschechische Lyrik publiziert und trägt als Titel den Namen eines Stilllebenmalers des 18. Jahrhunderts: Jean Baptiste Chardin Dies ist mein Tisch, Dies ist mein Hausschuh, Dies ist mein Glas, Dies ist mein Kännchen. Dies ist meine Etagère. Dies ist meine Pfeife, Dose für Zucker, Großvaters Erbstück. 222 Eich: GW I. S. 201. 223 Eich: GW I. S. 442. 224 Peter Horst Neumann: Die Rettung der Poesie im Unsinn. Der Anarchist Günter Eich. Stuttgart 1981. S. 62. 82 Dies ist mein Esszimmer, Dies meine Ecke, Dies ist mein Hund, Dies meine Katze. Hier ist mein Wedgewood, Dort ist mein Sèvres. Das lustige Bildchen, Fragos Geschenk. Bläuliche Schalen Hab’ ich sehr gern. Blumen im Fenster Liebe ich sehr. Fuchsien aber Seh ich am liebsten, Meine Charlotte Liebet den Flieder. Täglich um elfe Frühstücken wir. Abends um achte Deckt man zu Tisch. Esse am liebsten Spargel mit Sauce Wildbrett auf Pfefer, Erdbeer mit Crème. Und die Charlotte Liebt ihre Austern, Hühnchen auf Schwammerln, Hummerragout. Gut ist’s zu Hause, Sehr gut zu Hause. Dies meine Ecke, Dies meine Handschuh. Glattes Email Glanzüberquillt. Dies ist mein Weib. Dies ist mein Bild. 83 Beide Gedichte werden vom stringenten Lakonismus eines deiktischen Gestus bestimmt. Dieser führt Regie, zählt Gegenstände auf, die in ihrer Auswahl die Absicht der Bestandsaufnahme chifrieren, bei Eich, oder widerspiegeln, bei Weiner. Ziemlich eindeutig ist für die Eich-Forschung die Absicht der Weinerschen „Inventur“, nämlich das Zur-Schau-Stellen eines erfüllten, luxuriösen Lebens225, „das behagliche Lob spießbürgerlicher Saturiertheit“ 226, in der aber „der Spaltzpilz melancholischen Substanzverlusts“ 227 nisten kann. Weniger eindeutig ist dagegen für die Forschung die Absicht der Bestandsaufnahme bei Eich: die Konstruktion des „notwendigen Gedichts“ 228; die poetisch verarbeitete „Verdinglichung“ des Lebens in einer spätkapitalistischen, substanz- und aussichtslosen Welt, in der sich das Ich „wie ein Kleinkind neu orientieren muss“ 229; ein Dokument der Sprachlosigkeit jener, „denen es die Sprache verschlagen hat“ und „ein Beleg dafür, dass sogar zum reduzierten Gepäck, mit dem deutsche Schritsteller den Weg in die Nachkriegszeit antraten, noch Hinterlassenschaten jenes alten Bildungsbürgertums gehörten, das sich in der Katastrophe den Glauben an Verse erhält“230 oder, im Gegenteil, das „Spiel mit karikierenden Elementen, mit heroischen Bilderresten und Traditionalismen aller Art“, auch mit der „Bilanz“ der Kahlschlag-Zeit231; eine Kontrafaktur der Weinerschen Verse ohne politischen – wie von Müller-Hanpt nahegelegt - aber mit poetologischem Charakter, bei dem der Dichter subtilerweise, d.h. aufgrund seiner doppelbödigen lakonischen Aufzählung, als „Narr“ autritt232; die Ortung des Dichters im Dichten als „extreme Form der Notwehr“ am Rande der Existenz233, ein „Ansatz zur Ordnung“ der Poiesis für den der Weinersche Text lediglich Werkstattcharakter hat und der Dichter kein Narr zu werden braucht234 usw. Einverständnis hingegen herrscht bei den meisten EichForschern, wenn es um die Stellung des Gedichts Inventur in Eichs früher Lyrik und in der Kahlschlag-Epoche geht. Es ist das einsame Beispiel einer derartigen Lakonik. Kein anderes Gedicht Eichs am Kriegsende, meint Gerhard Kaiser, 225 Neumann 1981. S. 63–65 passim. 226 Jürgen Zenke: Poetische Ordnung als Ortung des Poeten. Günter Eichs Inventur. In: Walter Hinck (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Gegenwart I. Bd. 6. Stuttgart 1982. S. 73. 227 Heinz J. Drügh: Dies ist mein Bild. Günter Eichs Inventur als Vermessung von Text und Bild. In: Roland Kamzelak (Hrsg.): Historische Gedächtnisse sind Palimpseste. Hermeneutik – Historismus – New Historicism – Cultural Studies. Festschrit zum 70. Geburtstag von Gotthart Wunberg. Paderborn 2001. S. 145. 228 Walter Höllerer. Apud Susanne Müller-Hanpt: Lyrik und Rezeption. Das Beispiel Günter Eich. München 1972. S. 35. 229 Müller-Hanpt 1972. S. 36-39 passim. 230 Schafroth 1976. S. 51. 231 Korte 1989. S. 13-14. 232 Neumann 1981. S. 63-67 passim. 233 Jürgen Zenke. In: Hinck 1982. S 72-82 passim. 234 Gerhard Kaiser: Günter Eich: Inventur. Poetologie am Nullpunkt. In: Olaf Hildebrand (Hrsg.): Poetologische Lyrik von Kolpstock bis Grünbein. Gedichte und Interpretationen. Köln 2003. S. 269-285 passim. 84 „erreicht einen Lakonismus wie dieses. Nicht nur trotzdem, sondern deshalb kann man es als repräsentativ nehmen; denn repräsentativ ist nicht unbedingt der Durchschnitt – der ist typisch -, sondern zuweilen auch das Extrem, die Quintessenz. Denn erst von der äußersten Konsequenz her tritt manchmal hervor, was in einem Sachverhalt steckt.“ 235 Auch keine andere lyrische Bestandsaufnahme der vierziger Jahre kann es mit jener Eichs aufnehmen, so dass diese hart-lakonische „Inventur“ für eine literarische Stunde Null steht, die es so eigentlich nicht gegeben hat und der am Ende des Zweiten Weltkrieges wahrscheinlich auch das Publikum fehlte, wie Alexander von Bormann bemerkt: „Das Verschwinden dieses Typus bis zum Zeitgedicht der sechziger Jahre lässt darauf schließen, dass die unmittelbare Nachkriegssituation, dass die Trümmerlandschat ,poetischer‘ bedacht und bedient sein wollte. Günter Eich, Wolfgang Weyrauch, Wolfdietrich Schnurre u. a. werden so diesen Weg zunächst nicht weitergehen, inden für eine modern-karge Lyrik kein Publikum, auch keinen Rückhalt bei der Kulturpolitik der Besatzungsmächte, keine Verlage.“ 236 Trotzdem gelingt es Eich mit Inventur nicht nur das Gedicht einer literarischen Epoche zu liefern und damit quasi ein Klassiker zu werden, es gelingt ihm auch in einer subtileren Weise eine obsessive Matrixvorstellung237 für sein Gesamtwerk zu produzieren. Denn, wie wir im Folgenden beweisen wollen, durchzieht die Idee der Bilanz mehrere Etappen der Dichtung Eichs bis zu den Maulwürfen und bestimmt auch die späte Lakonik seiner „Deinitionen“ und „Meditationen“. Sie wird wiederholt mehr oder weniger direkt thematisiert, ihre Wirkung auf die menschliche Erkenntnis hinterfragt und auch poetologisch getestet. Die Forschung hat spätestens seit Peter Horst Neumann die Bestandsaufnahme des Gedichts Inventur als einen eigentlich hermetischen Ausdruck für eine „Poetologie am Nullpunkt“ 238 interpretiert. Der Sinn der angeblich neutralen Aufzählung von Gegenständen wurde, ausgegangen vom „liebsten“, der Bleistitmine, quasi als eine lakonische Allegorie des Dichtens in einer extremen Situation rekonstruiert. „Nicht was, sondern dass gedichtet wird, ist der point de résistance“, meint Kaiser239. Durch subtile lautlich-semantische Querverweise lassen sich, glaubt ein Teil der Eich-Forschung, paradigmatische Beziehungen zwischen verschiedenen textilen und textrelexiven Metaphern wie Beutel, Pappe, Zwirn, Bleistitmine, Notizbuch usw. herstellen, die den selbstreferentiellen Charakter dieser Dichtung transparent 235 236 237 238 239 Gerhard Kaiser. In: Hildebrand 2003. S. 271. Alexander von Bormann. In: Barner 1994. S. 82. Siehe zu diesem Begrif meine detailierteren Ausführungen in: Cheie 2004. passim. Gerhard Kaiser. In: Hildebrand 2003. S. 269. Gerhard Kaiser. Ebd. S. 278. 85 werden lassen240. Am Ende sei die wichtigste Tugend dieses Textes seine Präzision, jene mit der die „konstitutive Spannung zwischen prosaischer Inventarisierung und lyrischem Rhythmus, zwischen scheinbar beliebiger Addition und kunstvollem Bau“ 241 gehandhabt wird, „die Präzision, mit der der geschichtliche Moment des Jahres 1945 aus vereinzelten, isolierten Erfahrungen aufscheint“ und eine kritische Perspektive entfalten kann242, oder die Präzision als „Ausdruck einer Art von Katharsis, denn in dieser Nüchternheit vollzieht sich innerpoetisch die Ausnüchterung falscher Gefühle und Ideale, aus denen gelebt worden ist und mit deren Hilfe eine Generation verraten worden ist. Falscher politischer Gefühle und Ideale. Falscher, nämlich propagandistisch missbrauchter poetischer Gefühle und Ideale von Hölderlin bis Rilke. Und die Genauigkeit und Nüchternheit der Sprache zielt letztendlich indirekt doch auch auf Genauigkeit und Nüchternheit des Lebens als Individuum.“ 243 Alle Auslegungsrichtungen dieser „Inventur“ deuten auf ein positives, d.i. wirklichkeitsgerechtes und kreatives Prinzip hin, mit Restbeständen von Welt und Gefühl umzugehen und die einzig mögliche und präzise Zusammenfassung einer traumatischen Erfahrung zu liefern, die Poesie wieder glaubwürdig machen sollte. Günter Eich selbst schätzte ausdrücklich in den 40er Jahren Genauigkeit und Komprimierung als Haupttugenden guter Lyrik244. Wie schon bemerkt bedeutet hier die Bestandsaufnahme keine beliebige Addition von Dingen, sondern eher eine, die gerade vom Gestus des Auswählens z.B. eines Lieblingsgegenstandes wie der Bleistitmine ihre tiefere und positive Rechtfertigung bekommt und sich so z.B. von den sachlich aufzählenden, bedeutungsindiferenten Inventuren der Wirtschat distanziert. In Eichs Inventur gibt es keine einfache Nebeneinanderstellung, sondern eine afektive Hierarchie der Objekte, in der es Dinge gibt, die einfach gezeigt oder die zugleich gezeigt und, weil besonders „kostbar“, „vor begehrlichen Augen“ geborgen werden, dann Gegenstände, die nicht gezeigt werden, sondern bei denen lediglich, wahrscheinlich aus Angst oder Scham, auf ihre Existenz und Funktion verwiesen wird, und schließlich gibt es noch ein Lieblingsding an oberster Stelle dieser afektiven Bilanz. Die mehr oder weniger diskreten Zuordnungen der besessenen Objekte sprechen somit nicht nur von deren subjektivem Wert für das lyrische Ich, sondern auch von der gefühlsbetonten Natur dieser angeblich trockenen Bestandsaufnahme und ihres Lakonismus’. Das gilt auch im Falle einer möglicherweise ironischen Perspektive der Bilanzierung. Denn auch das (ironische) Spiel mit dem Prinzip der Bilanz macht starke Afekte in herber Lakonik sichtbar. Grundsätzlich erscheint mir Eichs „Inventur“ aber nicht ironisch und 240 241 242 243 244 86 Siehe vor allem Neumann 1981, Zenke 1982, Drügh 2001, Kaiser 2003. Zenke 1982. S. 74. Korte 1989. S. 14. Kaiser 2003. S. 278. Eich: GW IV. 1973. S. 395-396. zwar vor allem dort nicht, wo sie die oberste Stelle der dinglichen Hierarchie erreicht, nämlich beim Lieblingsgegenstand. Von einem deutlicheren kritischen Potential zeugt hingegen eine „Inventur“ der „Zivilisationslandschat“ in einem undatierten und unveröfentlichten Gedicht Eichs, das wahrscheinlich in den späteren 40er Jahren entstanden ist245. Wald, Bestand an Bäumen, zählbar, Schonungen, Abholzungen, Holz- und Papierindustrie, Mischwald ist am rentabelsten Schädlinge, Vogelschutz Wildbestand, Hege, Jagdgesetze Beeren, Bucheckern, Pilze, Reisig Waldboden, Wind, Jahreszeiten, Zivilisationslandschat. Zauberwald Merlins Einhorn (das Tier, das es nicht gibt) das uns bevorsteht, das wir nicht wollen die vergessene Zukunt246. Gab es beim Minimalbesitz des Gedichts Inventur eine Hierarchie der Gegenstände von einer rainierten afektiven und poetologischen Relevanz, so haben wir es in diesem Gedicht mit einem klaren Gegensatz zwischen der wirtschatlich rentablen Zivilisationslandschat und dem märchenhaten „Zauberwald Merlins“ zu tun. Das Prinzip der Aufzählung, durch das die Landschat der Zivilisation lakonisch zusammengefasst wird, lässt hier keine Hierarchien mehr zu. Eine deiktische und auswählende Gestik fehlt. Die Bilanz bezüglich dieser vom Menschen verwalteten Welt wirkt pragmatisch nivellierend und entwickelt dadurch ein kritisches Potential, das durch den Kontrast zur magischen Landschat des Einhorns noch deutlicher wird. Betrachtet man aber das ganze Gedicht als eine Bilanz, so scheint es in seiner unausgesprochenen, jedoch angedeuteten Schlussfolgerung prinzipiell jene der späteren Fußnote zu Rom vorwegzunehmen: zuviel Zivilisationslandschat, verdächtig, weil zuviel Märchenwald ausgespart. Allerdings deutet der Dichter hier, im Unterschied zur späteren „Fußnote“, auf eine Möglichkeit für Merlins Zauberwald in einer „vergessene(n) Zukunt“ hin. In diesem Gedicht wird die „Inventur“ noch immer als eine präzise Methode empfunden, die Welt oder Teile davon akkurat zu beschreiben und dadurch auch lakonisch zusammenzufassen. Sie vermag aber nicht mehr Ansatz einer neuen (schöpferischen) Ordnung zu sein, sondern mahnt eher vor dem Verdrängen der 245 Axel Vieregg stellt den Text unter anderen undatierten Texten der 40er Jahre, so z.B. nach Krankentransport, datiert 16.4.48, aber vor den zwei Georg von Vring zu seinem 60. Geburtstag gewidmeten Gedichten, die 1949 entstanden sein dürten. Vgl. Eich: GW I. S. 521. 246 Eich: GW I. S. 270. 87 Natur durch die rentable Landschat der Zivilisation. Die Bilanz macht jedoch noch immer Sinn, und Eich setzt sie ihrer Präzision und Konzision wegen ein. Denn, wie bereits erwähnt, wünscht sich der Dichter in den 40er Jahren Genauigkeit und Komprimierung in der Lyrik. Etwas später, in der 1956 auf einer deutsch-französischen Schritsteller-Tagung im burgundischen Vézelay gehaltenen Rede: Der Schritsteller vor der Realität, benennt er seine Gedichte sogar als „Deinitionen“, anhand derer sich der Dichtende in der Wirklichkeit orientieren kann247. Sich in der Wirklichkeit poetisch neu orientieren heißt für Eich gleichzeitig diese Wirklichkeit neu zu schaffen, wie eben ein „taubstumm Blinder“, der durch tastendes Sich-Orientieren seine Umwelt rekonstruiert. Schafroth bemerkt schon zu Recht, dass Eichs Deinieren und Präzisieren im Grunde eine Methode war, Wirklichkeit poetisch „herzustellen“ 248. So auch die literarische Bestandsaufnahme, die in ihrer neutralen, buchhalterischen Art und Weise der „hergestellten“ Welt eine eigenartige Stringenz verleiht, welche gerade durch ihre subversive Neutralität „explosiv“ wirken kann. „Stil ist kein Schlafpulver, sondern ein Explosivstof “, schrieb Eich 1949249. Und das kann bei poetischen Inventuren, die auf dem ironisch-lakonischen „Kurzschluss“ der einfachen Reihung basieren, sehr wohl der Fall sein. Das mir diesbezüglich bekannte eklatanteste Beispiel stammt aus der rumänischen Literatur der Nachkriegszeit. 1985, in den letzten Jahren der kommunistischen Diktatur Ceauşescus, erhielt die rumänische Dichterin Ana Blandiana ein totales Publikationsverbot unter anderem wegen der Veröfentlichung einer poetischen „Inventur“ mit dem Titel Alles, die folgendermaßen klingt: Laub, Wörter, Tränen Streichholzschachteln, Katzen, Straßenbahnen gelegentlich, Schlangen von nach Mehl Anstehenden, Marienkäfer, Leergut, Ansprachen, gestreckte Fernsehbilder, Kartofelkäfer, Benzin, Papierfähnchen, bekannte Porträts, Pokal der Europameister, mit Gaslaschen beladene Wagen, exportuntaugliche Äpfel, Zeitungen, Weißbrot, Speiseöl mit Zusatz, Nelken, Flughafenbegrüßungen, Sprudel, Baguette, Bukarester Salami, Diätjoghurt, Zigeunerinnen mit Kent-Zigaretten, Eier von Crevedia, Gerüchte, die TV-Serie am Samstagabend, Ersatzkafee, der Friedenskampf der Völker, Chöre, Hektarerträge, Gerovital, Jahrestage, 247 Eich: GW IV. S. 441. 248 Schafroth 1976. S. 124. 249 Eich: GW IV. 1973. S. 395. 88 bulgarisches Kompott, Versammlung der Werktätigen, Landwein, Sportschuhe, Witze, die Jungs auf der Calea Victoriei, Seeisch, das Landesfestival „Preis dir, Rumänien“, alles. (Übersetzt von Rolf-Frieder Marmont)250 Das subversive Gedicht Alles ist eine Aufzählung von Alltagsgegenständen der 80er Jahre in Rumänien, die scheinbar harmlos ist, aber ein gewaltiges Anklagepotential gerade dadurch aufweist, dass hier die Inventur in ihrer angeblich wertfreien Lakonik Verbotenes mit Gefeiertem, Falsches mit Wahrem so meisterhat ironisch zu verbinden vermag. Die so nonchalant addierte Welt stellt unmögliche Nachbarschaten auf, die allegorisch und grotesk wirken, wie z.B. die quasi in einem Atem genannten: „Leergut, Ansprachen, / gestreckte Fernsehbilder“ oder „Ersatzkafee, / der Friedenskampf der Völker“ usw., wo die lakonische Parataxe von Alltagsprodukten einer problematischen Wirklichkeit und von Aspekten der politisch-verzerrten Realität die propagandistisch degradierten Ideale, die faule Rhetorik und die schiefen Bilder der Zeit entlarvt. Das Anklagepotential dieses Textes wurde auch von dem Publikum als solches erkannt, was dazu führte, dass dieses Gedicht anonym von Lesern fortgesetzt wurde. Bei Eich ist die Bilanz weniger ofensiv, doch wirkt sie nicht weniger stringent und kategorisch durch die kommentarlose Reihung. Inventurartige oder möglicherweise vom Prinzip der Bestandsaufnahme inspirierte Reihungen integriert Eich auch in Gedichte der 50er Jahre. So z.B. in D-Zug München-Frankfurt: Die Donaubrücke von Ingolstadt, Das Altmühltal, Schiefer bei Solnhofen, in Treuchtlingen Anschlusszüge – Dazwischen Wälder, worin der Herbst verbrannt wird, Landstraßen in den Schmerz, Gewölk, das an Gespräche erinnert, lüchtige Dörfer, von meinem Wunsch erbaut, in der Nähe deiner Stimme zu altern251. Eine Vorstufe zu diesem Text aus dem Band Botschaten des Regens zeigt, dass das Gedicht ursprünglich „epischer“, rhetorischer und damit auch expliziter geklungen hat: 250 In Dieter Schlesak (Hrsg.): Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart. Berlin (o. J.). S. 9. 251 Eich: GW I. S. 83. 89 Man fährt über die Donau bei Ingolstadt, sieht das Altmühltal, den Schiefer von Solnhofen und in Treuchtlingen die Anschlusszüge. Dazwischen liegen Wälder, in denen der Herbst verbrennt, ein Regengewölk und die Erinnerung an ein Gespräch. Oh es ist Vormittag und die Welt erwartet dich, Inseln und Kontinente und dazwischen als lüchtiges Dorf mein Wunsch, zu altern in der Nähe deiner Stimme252. Die Endfassung reduziert die hier verarbeitete Zugfahrt zwischen München und Frankfurt auf ein fetzenartiges bildliches und melancholisches Mosaik, das dem Gedicht einen anderen, hektischen Rhythmus aufzwingt. Und um diesen Rhythmus, in dem der Zug und damit das schauend-nachdenkende Ich an wirklichen Orten, aber auch „an Mondlandschaten der Erinnerung“ vorbeisaust, geht es in diesem Text. Das Vorbeifahren an vertrauten Orten, die zugleich „Seelenlandschaten“ sind, bedeutet Erinnern und Verlassen im Schnelldurchgang, eine äußere und innere Zeitreise, die symptomatisch abrupt mit dem Wort „vorbei“ endet: Der Zug aber treibt an Gunzenhausen und Ansbach und an Mondlandschaten der Erinnerung - der sommerlich gewesene Gesang der Frösche von Ornbau – vorbei. In diesem Kontext ist die Reduktion auf die lakonische Reihung in der Endfassung eine stilistische Anpassung an den afektiven Rhythmus dieser Fahrt, an den schnellen Wechsel von „Schmerz“, „Wunsch“, „Liebe“ („Trauer“ auf der Vorstufe des Gedichts), „Erinnerung“ und an das Gefühl am Ende an allem vorbeizutreiben. Diese melancholische Lakonik, die zwar abrupt, aber nicht so trocken und hart wie jene der 60er Jahre ist, führt stellenweise das kreative Prinzip der „Inventur“ als elliptische Reihung weiter, so z.B. in Der Große Lübbe-See: „Kraniche, Vogelzüge, / deren ich mich entsinne, / das Gerüst trigonometrischen Punkts. / …/ das Schilf der Verzweilung, / der trigonometrische Punkt, / Abmessung im Nichts“, in Strandgut: „Keine Fährten, aber die Wellenränder / mit Quallen und Algenteilchen, / Holzsplitter, Muschelschale und Bernsteinrest, / und die Welle, die zurückläut“ usw. In den 60er Jahren legt Eich durch Erinnerung an eine Zahl eine neue schlechte Bilanz, in der die Bewegung eine entscheidende Rolle spielt, „zu den Akten“: 252 Ebd. S. 452. 90 Sieben Meilen weiter, sieben Umarmungen, gebeugt über Bilanzen und die Tabelle des Schachturniers. Sieben Straßen am Flugplatz, sieben Leuchter weiter, Gebühren im Konsulat, Einkauf von bitterem Bier. Sieben Pakete weiter, sieben Erwartungen von Briefen, die die Welt ändern, sieben Türklinken zu spät253. Ursprünglich hieß das mit dem 11.12.1962 datierte Gedicht Nachher und hatte auf dieser sieben Monate früher entstandenen Vorstufe eine andere Form: Nachher, das sind die Oliven, die Kreuzungen am Flugplatz, Gespräche im Konsulat. Nachher, weggeworfen Die blutige Wäsche, gebeugt über Bilanzen und die Tabelle des Schachturniers. Nachher, die Erwartung Von Briefen, die die Welt ändern, um ein paar Minuten zu spät, nachher254. Was beide Fassungen gemeinsam haben, ist zunächst die obsessive und leitmotivisch hervorgehobene Idee einer Art von Entwicklung, die schließlich scheitert, weil „man“ zu spät dran ist und dadurch die Gelegenheit verliert, mehr oder weniger die Welt zu retten. In der ersten Fassung unterstreicht das sich wiederholende, resignative „nachher“ in dramatisch-melancholischer Verknappung diesen Zustand der Erkenntnis einer verlorenen Chance. 1966 wird Eich in einem seiner „Maulwürfe“ mit einem dieses Mal ironisch-harten Lakonismus den Zustand des „nachher“ kritisch überdenken: „Nachher hat man immer recht. Man sollte gleich nachher leben“ 255. 253 Eich: GW I. S. 116. 254 Eich: GW I. S. 472. 255 Eich: GW I. Zu Schif. S. 338. 91 Auf „Nachher“ ist eben kein Verlass, weil es logischerweise zu spät kommt, wenn alles „vorbei“ ist – um die Pointe einer anderen „Bilanz“ von Eich zu zitieren. So dass in diesem Fall Weisheit mit resignierter Hillosigkeit zusammenfallen kann. Sieben Monate später ist diese Entwicklung von einer Zahl, der Zahl Sieben geprägt, wahrscheinlich auch unter dem Einluss des folgenden Textes, Rest, der laut Datierung einen Tag nach Nachher entstanden ist, d.h. am 29.05.1962 256. Dieses Gedicht, bei dem der Titel ambivalent auf einen Lebensrest, sowie auf den Rest einer (Geld)Summe anzuspielen scheint, endet mit folgenden Zeilen: „Komm! Die Rechnungen / sind geschrieben, / aus den Trompeten fährt Staub.“ Mit den „Rechnungen“ rückt die Welt, bzw. das Leben als ein von Zahlen bestimmtes in den Vordergrund. Derselbe Band Zu den Akten endet mit „Formeln“, von denen eine den mathematischen Ausdruck quasi zum Lebensausdruck werden lässt: „Schrei, meine Gleichung, schrei!“ Sieben Mal kommt die Zahl sieben in Erinnerung an eine Zahl vor, was märchenhat anmutet. Die erste Verszeile spielt außerdem auf eine märchenhate Schnelligkeit der Fortbewegung an, auf die verzauberten Siebenmeilenstiefel, die dem Träger die Fähigkeit verleihen, sich in kürzester Zeit über weite Entfernungen fort zu bewegen, hier „sieben Meilen weiter“, dann „sieben Leuchter weiter“ und „sieben Pakete weiter“. Doch auch in dieser extrem beschleunigten Bewegung kommt man „sieben Türklinken zu spät“. Im Grunde bewahrt Eich die Idee der verlorenen Chance, des Zu-spät-Dranseins aus der ersten Fassung. Doch wirkt durch das Leitmotiv der Zahl Sieben der Weg ins Scheitern dramatischer, weil quasi messbar. Die Zahl verbindet und addiert anscheinend verschiedene Stationen dieser rasenden und schließlich sinnlosen Vorwärtsbewegung und stellt am Ende implizit eine enttäuschende Bilanz auf. Zunächst täuscht aber die Zahl, denn sie erweckt den Eindruck einer unaufhaltbaren positiven Entwicklung bis zu den „sieben Erwartungen / von Briefen, die / die Welt ändern“. Um in der letzten Verszeile plötzlich und elliptisch-trocken das Fehlschlagen dieser Entwicklung zu verkünden. Sie erzeugt eine Spannung, die im Endefekt absurd wirkt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Eich in späteren Gedichten der zusammengezählten Welt äußerst skeptisch gegenüber stehen wird. Seine „Inventuren“ beginnen über Zusammenhänge zu relektieren, die suspekt sind oder nicht mehr nachvollziehbar. So wie im 1965 entstandenen Gedicht Berlin 1918: Das meiste zwischen Zoo, Potsdamer Bahnhof, Molkenmarkt, der Kaiser und die spanische Grippe, Ereignisse und Konfektion, ein totes Gesicht in den Kissen, Oktober, alles was über Wanzen zu wissen ist, alles über den Kellner Albert, die tristen 256 Vgl. Eich: GW I. S. 472. 92 Fahrten aufs Land, immer schon die fehlenden Zusammenhänge, die Kinderstunden vorm Ausguss, alles Hauptwörter, die Grippe, Otto der Schütz, der Kaiser, alles zwischen Holzmarktstraße und Landwehrkanal, November.257 Das Bild Berlins am Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr der Novemberrevolution ist bei Eich ein äußerst düsteres. Geprägt ist es zunächst von der „spanischen Grippe“, einer weltweiten Pandemie, die Millionen Todesopfer forderte und in Deutschland als Kriegsseuche interpretiert wurde, was die lakonische Gleichstellung von Kaiser und Krankheit in der dritten Verszeile erklärt. Geprägt ist das Erinnerungsbild Berlins von einem toten Kopf in den Kissen im Oktober, einer Anspielung auf den Tod der eigenen Mutter an der genannten Pandemie. Geprägt von Wanzen, tristen Fahrten aufs Land und schließlich von verkappten Verweisen auf Mord und eine neue Ordnung, genauer auf die Ermordung der engagierten marxistischen Antimilitaristin Rosa Luxemburg, am Landwehrkanal, im Januar 1919, und die Umwandlung des Deutschen Reiches von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik durch die Novemberrevolution 1918. Wie bei Ana Blandiana in Alles hat die scheinbar willkürliche Reihung in Berlin 1918 durch quasi unmögliche Nachbarschaten, durch den Kurzschluss von Landschat, Geschichte und Ungeziefer eine geheime kritische Absicht. Kaiser und Grippe sind die negativen Leitmotive dieser wie aus Bildsplittern montierten Darstellung Berlins. Woran aber die bunt zusammengewürfelte Welt der deutschen Hauptstadt „schon immer“ zu kranken scheint, sind „die fehlenden Zusammenhänge“. Diese vor allem beginnen Eich an Weltinventuren und reduzierten Lebensbilanzen zu beschätigen. Macht die zusammenzählende, reihende Bestandsaufnahme von Welt Sinn? Ist dem gleichstellenden, sozusagen demokratische Zusammenhänge unter den Dingen stitenden „Und“ zu trauen? Sind Inventuren in ihrer evidenzartigen Einfachheit tatsächlich aufrichtig? Die Antwort, die Eich in den 60er Jahren in der Form einer lyrischen Deinition gestaltet, ist dunkel und kategorisch zugleich: Und macht die Welt begreilich: Der Schliefenplan und eine Klingelanlage für Scheintote.258 257 Eich: GW I. S. 145. 258 Ebd. S. 148. 93 In diesem Gedichtkonzentrat scheint das „Und“ die Welt gerade nicht begreilich zu machen oder wenn, dann lediglich ironisch, quia absurdum. Die so zusammenhängende Wirklichkeit ist für den ehemaligen Dichter der Inventur anscheinend nur noch als eine absurde und/oder durch eine absurde Perzeptionslinse wahrnehmbar und verständlich. Notizen aus dem Jahre 1967 bringen eine erklärende Stellungnahme bezüglich seiner Wende zur ironisch-absurden Perspektive von der Welt: „Ich würde sagen, ich habe mich vom Ernst immer mehr zum Blödsinn hin entwickelt, ich inde also das Nichtvernüntige auf der Welt so bestimmend, dass es auch in irgendeiner Weise zum Ausdruck kommen muss. Ich kann also den tiefen Ernst, den ich früher geplegt habe, nicht mehr verstehen und kann ihn auch nicht aushalten, vielleicht kann man das, was ich heute mache, auch Humor nennen.“ 259 Unvernunt regiert also die Welt, macht so das Einverständnis mit ihr oder ihr Ernstnehmen unmöglich, unbegreilich, nur ironisch zu ertragen. Daher lassen sich auch ihre Zusammenhänge nur noch humorvoll-absurd beschreiben. Noch humorvoller in diesem Sinne schreibt der spätere Eich über Zusammenhänge in einem Maulwurf: „Die Zusammenhänge sind deutlich, wenn ich auch nicht weiß, welche Zusammenhänge. Man kennts von der Harmonie der Welt. Liebe und Eiter sind eins in Gott, und alles freiwillig. Zugleich fällt kein Sperling vom Dache undsofort.“ 260 Diese lakonisch-absurde Sprunghatigkeit des Denkens täuscht aber des Öteren, wie wir etwas später unter anderem auch am oben zitierten Gedicht Und zu beweisen versuchen werden. Es ist zunächst zu bemerken, dass Eich in seinen Deskriptionsexerzitien nach Inventur zwar auf das explizite Zeigen verzichtet, dafür entwickelt sich jedoch das ganze Gedicht zu einem subtileren gestischen Sagen, im Sinne Brechts etwa. „Die gestische Art der Sprachgebung – erklärt Jan Knopf den Brechtschen Begrif – hält dazu an, das Gesagte mit der - ,ausgesagten‘ – Realität zu vergleichen. […] Ziel dieser Sprache ist es, alle wirksame Realität in ,Sprache zu bringen‘ […] Nicht aber, um es in Sprache aufzuheben, sondern durch Sprache erkenntlich und kenntlich zu machen.“ 261 Der Text „zeigt“ durch seine Aubauform, seinen Ton, durch die konstruierten Zusammenhänge und bildlichen Nachbarschaten auf die Logik der Wirklichkeit. Sind die poetischen Zusammenhänge schief oder befremdend, so verweisen sie dadurch lediglich auf die nichtvernüntigen Zusammenhänge der Realität. Dem Leser wird der gestische Charakter des Gedichts durch die neue, stark kondensierte, 259 Eich: GW IV. S. 408. 260 Vgl. Landauslug. In Eich: GW I. S. 338. 261 Knopf: Brecht-Handbuch. Lyrik, Prosa, Schriten. Eine Ästhetik der Widersprüche. Stuttgart/Weimar 1996. S. 490. 94 aber dadurch auch besonders prägnante Lakonik nahegelegt. Denn zuerst macht die trockene, deinitionsartige Konzision des Textes stutzig, dann das exempliizierende Beispiel, d.h. die kommentarlose Zusammenführung von obskuren, verschütteten geschichtlichen Fakten, wie „Schliefenplan“ und „Klingelanlage für Scheintote“, die wahrscheinlich von den meisten Lesern nicht mehr richtig dechifriert werden können. Demnach könnte ein derartiger Text allgemein beim ersten Lesen einen Eindruck des Skurrilen und des unterschwellig Ironischen hinterlassen, so als würde sich der Autor mit ernster sprachlicher Gebärde einen Witz auf das „und“ erlauben, indem er es alles andere als ernst nimmt. Beim genaueren Hinsehen könnte schließlich der Unsinn doch noch Sinn machen, wie weiter unten gezeigt werden soll. Je mehr sich Eichs Gedichte zu „Meditationen“ entwickeln, wird aus dem Witz wieder eine bitter ernste, bedrückende Angelegenheit. 1968 wünscht sich der Dichter in seinen „hesen zur Lyrik“ „Gedichte, die meditiert, nicht interpretiert werden müssen“ 262. Drei Jahre später stellt er fest: „Bei mir haben sich die Gedichte immer mehr zur Prosa entwickelt. […] Meine neueren Texte geben keine Gedanken mehr wieder. Sie sind bereits Meditationen“ 263, also eine Art Denken in progress. Aus demselben Jahr (1971) stammt ein anderes Gedicht mit dem Titel Und, das in Wort, Ton und Ausmaß die Wende vom Gedicht als „Deinition“ zum Gedicht als „Meditation“ veranschaulicht: Nebel Nebel Nebel und in den Ohren Haare, eine unverbindliche Freundlichkeit und und Rajissas süßes Gelächter. Was zusammengehört, eine Erfahrung, was mit und zusammengehört nur mit und, keine Begründungen. Das wird anhalten Wenn mir das und nicht mit den anderen Wörtern entfällt. Es reicht, es reicht, danke, es reicht.264 262 Eich: GW IV. 1973. S. 413. 263 Eich: GW IV. 1973. S. 414. 264 Eich: GW I. S. 299. 95 Das „Und“ scheint hier eine komplexe, schwer dechifrierbare Erfahrung zu sein und zu benennen. Ellipse und Fragmentierung schwächen die Leistung des Und, nämlich das „was zusammengehört“ auch zusammenzuführen und zusammenzuhalten und so die Welt dieses Mal wirklich begreibar, kohärent zu machen. Nebulös auch in semantischer Hinsicht verbindet das „und“ in den ersten Zeilen den obsessiv wiederholten „Nebel“ mit „in den Ohren / Haare“. Da das Gedicht zu Eichs Alterslyrik gehört, wäre es möglich, hier vielleicht einen Hinweis auf die Physiognomie des Alterns zu identiizieren. Immerhin ist die Funktion dieses „und“ klarer bindend als jene der folgenden zwei Konjunktionen „und und“, wo die Wiederholung vielleicht als ein expressiver Sprachgestus der Betonung, der Hervorhebung der letzten Verszeile: „Rajissas süßes Gelächter“ interpretiert werden könnte. Die zweite und ein Teil der dritten Strophe plädieren für die Haltbarkeit der Zusammenhänge, die vom „und“ gestitet werden, „nur mit und, / keine Begründungen“. Doch die Sehnsucht nach einfachen, zugleich aber kategorischen oder ofensichtlichen Zusammenhängen, die keine Begründungen benötigen, wird in der dritten Strophe relativiert: „Das wird anhalten / wenn mir das und nicht / mit den anderen Wörtern entfällt“, eine übrigens an die Tradition der Sprachskepsis ab dem iktiven Chandos-Brief erinnernde Vorstellung, die dem lyrischen Ich laut der letzten Verszeile - „Es reicht, es reicht, danke, es reicht“ - unerträglich ist. Wie Schafroth schon zu Recht bemerkte, spricht eine „furchtbare Verletzlichkeit“ 265 aus Eichs letzten Gedichten, die dadurch zu Verschlossenheit als Ausdruck von Verweigerung eines Einverständnisses mit der bestehenden Realität tendieren. „Auf manche Dinge kann man nur erbittert sein“, so der Dichter 1971266. Günter Eich entschied sich diese sehnsüchtig-pathetische „Meditation“ über notwendige Zusammenhänge nicht zu publizieren. 1972 veröfentlicht er aber einen anderen Text mit dem Titel Addieren, der zugleich die ließende Grenze zwischen Gedicht und Prosa in der letzten Schafensperiode Eichs sichtbar macht und erneut das „Und“ thematisiert. Das „Und“ meint hier den sprachlichen Ausdruck einer Rechnungsart, die dem lyrischen Ich „nicht liegt“, weil die derart gleich-gültig zusammen gezählte Welt als allgemein und das Prinzip ihrer Zusammenstellung als „fast gemein“ entlarvt werden, wenn man die zwei Fassungen des Gedichts berücksichtigt. Hier die Endfassung: Sagen dir Flüsse was? Langweilig eigentlich: immer die gleiche Richtung. Oder Zeit, oder Altern. Und überall Und. Bachbetten, Nebenlüsse, Brücken alles miteinander, zueinander, untereinander, alles addiert. 265 Schafroth 1976. S. 123. Allerdings stimme ich der Behauptung, dass diese Verschlossenheit völlig unhermetisch sei, nicht zu. Denn wenn auch Verschlossenheit nicht mit Hermetik gleichzusetzen ist, so ist auch nicht Absicht mit Wirkung gleichzusetzen. Auch wenn Eich der hermetischen Lyrik „zeitlebens denkbar verständnislos gegenüberstand“ (S. 144), wirkt seine späte Lyrik durch die extrem konzentrierte, elliptische, ja sogar absurd anmutende Lakonik ot verschlüsselt. 266 Eich: GW IV. S. 415. 96 Alle Wörter in einem, - kein gutes Prinzip? Und Geburten und Todesfälle? Ich bitte dich um eine Symmetrie. Bescheiden sein, addieren. Wen oder was, einen Akkusativ. Die beste aller möglichen Welten. Eine Rechnungsart, die mir nicht liegt, fast gemein.267 Ein Typoskript bringt folgende längere Fassung des Textes, die aber zugleich durch die Anordnung der Zeilen eher in die Nähe der Spätlyrik als in jene der MaulwurfProsa tendiert. Prosaisch und zugleich dramatisch wirkt allerdings der Text durch den Parlando-Ton seiner unspektakulären Sprache Sagen dir Flüsse was? Nichts besonderes, Zeit, altern. Ziemlich allgemein Addieren. Jetzt rätst du. Alle Wörter in einem, dachte ich. Es gibt so viele. Unterschiede sind nicht so wichtig, wie man uns vormacht. Auch möglich, Addieren ist das Wort. Jedes ist das Wort. Ich addiere, du addierst – Was addieren? Wen oder Was. Einen Akkusativ. Weitaus das Sicherste. Flüsse, sagtest du -? Addieren. Eine Rechnungsart, die mir nicht Liegt. Fast gemein. Es ist was dran. Trotzdem.268 Der pointierte Schluss betont in der Endfassung das ambivalente Wort „gemein“, das sowohl die wertneutrale Bedeutung ‚allgemein‘, ‚trivial‘, ‚gewöhnlich‘, wie auch jene moralisch negative von ‚schlecht‘, ‚niederträchtig‘, ja ‚unanständig‘, ‚ordinär‘ und daher auch ‚primitiv‘ oder ‚grob‘ in sich birgt. In einer Variante der Endfassung wird „gemein“ sogar durch das Isolieren dieses Wortes in einer Endzeile zusätzlich hervorgehoben. Schon 1965 stellt der Dichter in der Skizze eines Interviews fest, dass die sozusagen realistisch addierte Welt ein negative Summe ergibt: 267 Eich: GW I. S. 400. 268 Eich: GW I. S. 562. 97 „Ich habe als verspäteter Expressionist und Naturlyriker begonnen, heute enthält meine Lyrik viel groteske Züge, das liegt wohl an einem Hang zum Realen, es ist nicht möglich, die Welt nur in der Auswahl des Schönen und Edlen und Feierlichen zu sehen. Alles addiert, ergibt, so meine ich, die Welt eine negative Zahl.“ 269 Addieren als Methode der neuen Bestandsaufnahme der Wirklichkeit würde somit eine nüchterne Perspektive von Welt bedeuten, die bezeugt, dass die Realität vom Negativen stärker geprägt ist. Doch ist diese Ernüchterung selbst nicht wieder genauso einseitig wie die magisch-romantische Perspektive, die die Welt „nur in der Auswahl des Schönen und Edlen und Feierlichen zu sehen“ versuchte? Ist das Erfassen des Realen durch die einfache Nebeneinanderstellung von Dingen, Phänomenen, Ereignissen usw. nicht auch verkürzend und dadurch falsiizierend? Oder, laut Eichs „Meditation“, „Und überall Und. Bachbetten, Nebenlüsse, Brücken alles / miteinander, zueinander, untereinander, alles addiert. / Alle Wörter in einem, - kein gutes Prinzip?“ Das Ende dieses Maulwurfs beantwortet ziemlich eindeutig die Frage. Eich wird erneut gerade das suspekt, was die Moderne, von Nietzsche bis Einstein, emphatisch entdeckte und feierte: die Relationen, die Verhältnisse der Dinge, Lebewesen und Ideen zueinander, die Bezüge, welche die Welt oder, mit Eich gesprochen, die Schöpfung bestimmten. Vor allem dem wertungsneutralen, bilanzierenden „Und“ begegnet der Dichter der Inventur mit Misstrauen. Denn das „Und“ macht logisches wie auch absurdes „Addieren“ möglich, ist somit „allgemein“, aber auch „gemein“. Das „Und“ kann problemlos die Sprache der Dichtung mit der Sprache der Natur addieren, bemerkt Christian Kohlroß, auf den Text Addieren Bezug nehmend, „doch diese Problemlosigkeit ist selbst das Problem – meint weiterhin Kohlroß -. Denn sie ist nur ein Zeichen für die Leere und Allgemeinheit der mit ‚und‘ ausgedrückten Relation. Das Wörtchen ‚und‘ assoziiert oder ‚addiert‘ alle möglichen Worte allein deshalb, weil sie Worte sind – so wie das mathematische Pluszeichen Zahlen unabhängig von ihrem Wert summiert. […] Beide verkörpern Beziehungsformen, die zu allgemein, zu abstrakt und leer sind, als das sie sich für poetische Texte eignen würden.“ 270 Die späten lakonischen Kurzschlüsse, wie auch jene in den Lange(n) Gedichte(n) der Anlässe und Steingärten, setzen eben dieses allgemein-gemeine „und“ ein, um den Leser zu verwirren, ihn in der Selbstverständlichkeit seiner Erwartung von Stimmigkeit und 269 Eich: GW IV. 1973. S. 407. 270 Christian Kohlroß: heorie des modernen Naturgedichts. Oskar Loerke - Günter Eich - Rolf Dieter Brinkmann. Würzburg 2000. S. 196. Er betrachtet das Problem des „und“, sowie jenes des „Addierens“ als Zeichen für „die Aulösung der sinnorientierten Sprache“, die in Addieren keine Naturerscheinungen hervorbringt, sondern eher die abstrakt-entfremdete Beziehung der Dichtung zur Natur, „sie zeigt das Zeigen der Natur – einer Natur allerdings, die darauf verzichtet, etwas zu zeigen.“ S. 198. 98 Kohärenz zu verunsichern. Die Gemeinheit des „Und“, also der einfachsten Verbindungen, provoziert zu freien, ja schockierenden Assoziationen, die im Unsinn die Manipulationsmacht der Nebeneinandersetzung und Zusammenzählung zu entkräften versuchen. Das Entkräten von sich mehr oder weniger automatisch einstellenden Zusammenhängen erreicht in den Maulwürfen eine extreme Form, jene der absurden Kurz- und Kürzesterzählung, wo das reihende, additive und kopulative Denken vom sprunghaten, assoziativen ersetzt wird. Die verwirrende Struktur dieser Texte zeigt „wie die Zertrümmerung der Zusammenhänge den unrelektierten Glauben an sie verunmöglicht“ bemerkt Heinz F. Schafroth271. In der Eich-Forschung wurde zudem bereits hervorgehoben, dass der Dichter in seiner späten, lakonischen Lyrik auf Konjunktionen weitgehend verzichtet. Dies gehört nach Ute Maria Oelmann zu einer Strategie der „Verknappung und Verrätselung“ der lyrischen Sprache auf dem Wege zu einem neuen, unaufälligen Ausdruck des Widerstandes gegen die Sprache der Macht und der durchrationalisierten Welt.272 Doch den Kampf mit den Artikulationsmöglichkeiten der normalen Syntax, darunter auch mit den Konjunktionen, gab es schon im futuristisch beeinlussten Expressionismus, z.B. in ästhetischen Manifesten bei Herwarth Walden, Lothar Schreyer oder, in der Dichtung, bei August Stramm. Die Motivation war komplex. Angestrebt wurde dadurch einerseits eine moderne, der von Geschwindigkeit geprägten Welt angepasste Ausdrucksweise, andererseits aber eine expressivere Gegensprache zu jener tradierten der Literatur und zugleich zur allgemeinen Sprache, in der die Syntax ein Zeichen der überlieferten, oder mit Eich gesprochen, „zementierten“ Denkstruktur darstellt.273 Eich steht somit bereits in einer Tradition des Misstrauens gegenüber der üblichen Syntax und ihrer Konjunktoren. Er steht aber auch im Banne einer eigenen kreativen Matrixvorstellung, nämlich der inventurmäßigen Deskription von Welt. Die beschriebene Realität ist nun bei weitem größer und komplexer als der ursprüngliche Restbestand, auf welchen das lyrische Ich des Gedichts Inventur zeigte. Deren Bestandsaufnahme ist, könnte man annehmen, noch nüchterner und trockener geworden, da die afektive Hierarchie der aufgezählten Realien in den späteren Reihungen und 271 Schafroth 1976. S. 133. Ute Maria Oelmann spricht, auf das Gedicht Und Bezug nehmend, von einem „fast totalen Sprachverdacht“: „Das ‚und‘ macht hier in Wirklichkeit die Welt nicht ‚begreilich‘, sondern zeigt gerade ihre Absurdität im Nebeneinander der Gegensätze. Dem Schritsteller, dem auch das ‚und‘ verdächtig ist, bleibt das verbindungslose Nebeneinanderstellen von Sätzen oder Satzfragmenten, es bleibt aber auch die vielfältige Verwendung der Konjunktionen, um gerade durch sie die Absurdität der Welt, die Falschheit der Sprache zu entlarven.“ Ute Maria Oelmann: Deutsche poetologische Lyrik nach 1945. Ingeborg Bachmann, Günter Eich, Paul Celan. Stuttgart 1980. S. 149. 272 Oelmann 1980. S. 204f., insbesondere 208. 273 Auf eine weitere mögliche Motivation und zugleich auf einen Einluss bezüglich Eichs Misstrauen gegenüber der Tragfähigkeit der herkömmlichen Satzstruktur verweist Christian Kohlroß: „Eichs Dichtung, namentlich sein Spätwerk, reagiert auf diese rasende Zeit mit der Aulösung des Redeprozesses. Der Übergang von einer Bedeutungseinheit zur nächsten, die Kontinuität der Bedeutungsabfolge wird unterbrochen. […] Eich ist zu dieser Konsequenz nicht zuletzt auch von Gottfried Benn gedrängt worden.“ Kohlroß 2000. S. 156. 99 Kurzschlüssen allmählich verlorengeht. Scheinbar gleichgültig steht nun Konträres und Inkompatibles nebeneinander. Und es wird nicht nur auf-, sondern zugleich zusammengezählt. Was könnte aber das „Addieren“ als Deskriptionsmethode der Existenz rechtfertigen? Eich „meditiert“ darüber im ersten Teil von Addieren in der Form eines ingierten Dialogs und legt eine mögliche Antwort nahe: Als eine Variation des Gleichen könnte vielleicht die Welt auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, und demnach addiert werden. Alles bewegt sich in dieselbe Richtung, „immer die gleiche“, macht dieselbe Entwicklung durch, Flüsse und Zeit und Altern und so weiter. Die mit „und“ verbundenen Varianten lassen sich vermehren und ihre Beziehungen zueinander einebnen. Schließlich kommt der scheinbar praktische Vorschlag, „Alle Wörter in einem“ zusammenzulegen und Wirklichkeit so in einer sprachlich ixierten Gleichzeitigkeit ohne semantische Unterschiede zu erleben – „kein gutes Prinzip?“ Denn „Unterschiede sind nicht so wichtig, wie man / uns vormacht“, heißt es auf einer Vorstufe zu diesem Text. Eine Gegenstimme hält jedoch dieser Frage einen Zweifel entgegen: „Und Geburten und Todesfälle“, wie können diese gleichzeitig in einem bedeutungsindiferenten Wort addiert werden? Eine der Qualität entsprechende Symmetrie wird gefordert und zunehmend ironisch zurückgewiesen: „Bescheiden sein, addieren… Wen oder was, einen Akkusativ. Die / beste aller möglichen Welten.“ In der besten aller möglichen Welten – ein Zitat übrigens der absolutistisch regierten Gesellschat des 17. Jahrhunderts – ist bescheidenes, quantitatives Denken angesagt, ein Denken in allgemeinen Kategorien. Das Besondere und Bedeutungsvolle wird dadurch einfach nivelliert und unkenntlich gemacht. „Wen oder was“ man addiert, ist nur noch kategorial erfassbar. Addieren endet mit einer ablehnenden Geste, für das lyrische Ich ist diese quantitative Art und Weise Welt wahrzunehmen nicht akzeptabel. Varianten zeigen aber, dass eine derartige Stellung der addierten Wirklichkeit gegenüber von Eich nicht spontan bezogen wurde. In einer ersten bekannten Fassung klingt der Schluss folgendermaßen: „Eine Rechnungsart, die mir nicht / liegt. Fast gemein. / Es ist was dran. Trotzdem.“ Die Fragmentierung der Aussagen in Verszeilen hebt sowohl die Negation als auch die Konzession hervor. In der erstmalig gedruckten Fassung überdenkt Eich den Schluss wie folgt: „Eine Rechnungsart, die mir nicht liegt, fast / gemein.“ Die konzessive Einstellung dem Addieren gegenüber wird stark reduziert und die endgültige Antwort der „Meditation“ klingt mit einem durch den neuen Zeilenbruch betonten kritischen „gemein“ aus. In der Endfassung bricht der Dichter seine Antwort nicht mehr. Sie wirkt so einheitlicher, ernster und entschiedener, weil in einer emotional verhalteneren Weise ausgedrückt. Jedes Spiel mit überdeutlichen Schlussefekten, die auf Schwanken oder Erbitterung verweisen können, wird zurückgenommen, das „letzte Wort“ zu diesem hema spricht das lyrische Ich mit wohlüberlegter Bestimmtheit aus. Und gibt somit implizit der früheren „Inventur“ in dem Sinne Recht, in dem diese nur über semantische Diferenzen Sinn machen kann. 100 2.2. „Akazien sind keine Akazien“. Sinn und Unsinn von „Deinitionen“ bei Günter Eich Im Jahre 1949 schon wünschte sich der Kahlschlag-Dichter Günter Eich ausdrücklich Genauigkeit und Komprimierung in der Lyrik. Die Literatur im Allgemeinen sollte eine genaue und dadurch wirksame Form gewinnen. Was er unter Genauigkeit verstand, versuchte er an einem Vergleich mit Valéry zu veranschaulichen: „Valéry ist genau und unverständlich, ähnlich wie ein Lehrbuch der Atomphysik“ 274. Damit lobt Eich mit einem gewissen expressionistischen Pathos nicht so sehr die wissenschatlichen Inhalte, deren Ergebnisse allerdings immer in der Literatur mehr oder weniger bewusst präsent seien275, sondern vielmehr das exakte Erfassen verschiedenster Phänomene der Realität. Oder, mit Eich gesprochen, die genaue Art und Weise, „Echtes zu erkennen“ 276, auch wenn das meinen würde, „den Mut auf(zu)bringen auch gegen den Leser zu schreiben“ 277. Das wiederum bedeutet für Eich Ende der 40er Jahre eine Dichtung zu produzieren, die den Leser nicht zerstreut, sondern durch eine wohl kalkulierte Unverständlichkeit provoziert, denn „ist deswegen alles Nonsens, was nicht auf Anhieb verständlich ist?“ 278, gibt Eich rhetorisch zu bedenken. Die dunklen Inhalte aber brauchen eine genaue und komprimierte Form. In einem Interview desselben Jahres verglich der ehemalige Sinologie-Student Eich Dichtung mit einem chinesischen Schritzeichen: „Ja, auch ich empinde eine gewisse Verwandtschat überhaupt des Gedichts zu einem chinesischen Schritzeichen, worin also der Sinn konzentriert ist, wo nicht alphabetisch oder lautlich das Wort ausgedrückt wird, sondern durch ein Sinnbild; also in äußerster Komprimierung“ 279. Äußerste Komprimierung heißt für Eich somit nicht nur eine extreme semantische Verdichtung, sondern auch eine formale Konzentrierung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Eich in den späten 40er Jahren eine Wunschvorstellung von vieldeutiger lakonischer Dichtung vorschwebte, die formal um Genauigkeit im Erfassen von „Echte(m)“ bemüht war. Was dies, in Praxis umgesetzt, bedeuten könnte, hat Eich weniger mit seinen berühmten Kahlschlag-Gedichten bewiesen, wie beispielsweise Latrine oder Camp 16 oder auch Inventur, die noch einem tradierten lyrischen Liedton verplichtet sind. Vielmehr nähern sich einige seiner unveröfentlichten Dichtungen der früheren Jahre an die „wissenschatliche“ Strenge und „chinesische“ Dichte, die Eich bereits 1949 von der Lyrik erwartete. 274 Eich: GW IV. 1973. S. 395. 275 Ebd. S. 395: „Überspitzt gesagt: Jedes echte Buch der Gegenwart schließt, ohne dass auch nur mit einem Wort die Rede davon sein müsste, Ergebnisse der Psychologie, der Physik, der Geschichtsbetrachtung usw. mit ein, gleichgültig, ob es sich um einen Roman oder einen Gedichtband handelt.“ 276 Ebd. 277 Ebd. 278 Ebd. 279 Eich: GW IV. 1973. S. 397. 101 Zum Beispiel das Gedicht Händel, entstanden 1948, also kurz vor den oben zitierten Äußerungen Eichs zur Poesie: Er liebte den Luxus und fraß wie ein Schwein. Aber der Diener, der die Schokolade ans Bett brachte, fand ihn in Tränen. Die Vergänglichkeit begegnete ihm als Musik.280 Oder das Gedicht Aljechin, der Schachmeister, im selben Jahr wie Händel entstanden: Seine Züge hatten etwas, was über die vierundsechzig Felder hinausging. Sie waren nicht mehr fassbar. Wer ihnen vernüntig zu begegnen versuchte, unterlag. Keine Figur überschreitet das Brett. Aber je strenger die Begrenzung, desto mehr Unendlichkeit stiehlt sich ein.281 In diesen zwei Gedichten begegnen dem Leser zwei befremdende Porträts eines musikalischen und eines Schachgenies und zugleich zwei Deinitionen: der Musik und des Schachspiels. Aber auch ein für den frühen Eich noch ungewöhnlicher Ton, der, wie Axel Vieregg zu Recht in einer editorischen Notiz bemerkt, „erst wesentlich später wieder zum Durchbruch kommt“ 282. Es ist der trocken-nüchterne, manchmal sentenzhate Ton seiner späten lakonischen Lyrik, in den Bänden Zu den Akten, Anlässe und Steingärten und Nach Seumes Papieren. Im ersten Gedicht gelingt es Eich in lediglich vier unregelmäßigen reimlosen Verszeilen und drei Sätzen ein komplexes Charakterbild des Komponisten Georg Friedrich Händel zu entwerfen: als Hedonist, Genießer des (sinnlichen) Lebens und gleichzeitig als einen zu Tränen gerührten Grübler über dessen Vergänglichkeit, die er in seiner Musik besingt. Im zweiten Gedicht zeichnet Eich in sechs unregelmäßigen reimlosen Versen und fünf Sätzen ein Bild von der unfassbaren, jedoch faszinierenden Kunst des russischen Schachgenies Alexandr Alexandrowitsch Aljechin, des berühmtesten Weltmeisters dieses Spiels in der ersten Hälte des 20. Jahrhunderts. Wie im Händel-Text, in dem der lustvolle Genießer des Lebens zugleich ein über dessen Vergänglichkeit zutiefst Erschütterter ist, beherrscht auch im Aljechin-Gedicht das Komplex-Paradoxe das knapp umrissene lyrische Gemälde. Klar ausgearbeitet und mit einer gewissen poetologischen Resonanz klingt dieses „chinesische“ Paradox in den letzten beiden Zeilen des Gedichts: „Aber je strenger die Begrenzung / desto mehr Unendlichkeit stiehlt sich ein.“ Je enger der Entfaltungsraum der spielerischen und gedanklichen Bewegungen ist, desto dichter, weil kreativer wird die Semantik derselben, die sich in unendlichen Kombinationen spiegelt. 280 Eich: GW I. S. 265. 281 Ebd. S. 266. 282 Ebd. S. 520. 102 Für beide Gedichte wählt Eich eine strenge Form. Allerdings liegt diese formale Strenge nicht in ihrer metrischen Regelmäßigkeit, sondern in ihrer vom Zeilenstil dominierten Lakonik. Dem Zeilenstil Eichs fehlt hier jedoch die Ironie und die Dramatik der expressionistischen Parataxe. Seine Vers-Sätze klingen wie Sentenzen und erinnern daher an den knappen, relexiven und ot auf Paradoxien bauenden Ausdruck der Aphorismen. In ihrem Hang zur detaillierten und nüchternen Beschreibung, zur genauen Beobachtung und unspektakulären Sprache simulieren sie gleichzeitig die Aussageweise von Deinitionen, vor allem im Aljechin-Text. Diese asketische sprachlich-formale Haltung der beiden Texte erweckt den Eindruck der Genauigkeit in der Komprimierung und nähert sich so dem, was Eich ein Jahr später als Grundzüge der Lyrik betrachten wird. Im Juni 1956 hielt Eich auf einer deutsch-französischen Schritsteller-Tagung im burgundischen Vézelay eine seiner berühmtesten Reden: Der Schritsteller vor der Realität. In dieser Rede bekennt der Dichter sein Unbehagen an der Wirklichkeit, die er als solche, zeitlich bestimmte, nicht akzeptieren will. Er zeigt sich aber unter einigen Bedingungen kompromissbereit: „Ich bin bereit, mich in diesem Raum einzurichten. Aber ich habe etwa die Schwierigkeiten wie ein taubstumm Blinder. Nun gut, meine Existenz ist ein Versuch dieser Art, die Wirklichkeit ungesehen zu akzeptieren. Auch das Schreiben ist so möglich“ 283. Sich wie ein taubstumm Blinder in einem Raum einzurichten setzt das Suchen nach festen Bezugspunkten voraus und eigentlich die imaginär-tastende Rekonstruktion der Welt aufgrund dieser wenigen, aber verlässlichen Bezugspunkte. Sie bilden ein zum Teil fassbares, zum Teil nachvollziehbares Gerüst des Raumes, in dem sich der Blinde zu orientieren versucht. Diese genauen und zuverlässigen Stützen im Erkunden der Wirklichkeit sind für Eich seine Gedichte: „Ich schreibe Gedichte, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren. Ich betrachte sie als trigonometrische Punkte oder als Bojen, die in einer unbekannten Fläche den Kurs markieren. Erst durch das Schreiben erlangen für mich die Dinge Wirklichkeit“ 284. Eich bekennt somit, durch das Schreiben von Gedichten die Wirklichkeit richtig begreifen zu wollen, d.h. ihrer abstrakt, doch so exakt wie ein Blinder im Konkreten, habhat zu werden. 42 Jahre später erhebt Reiner Kunze den „blindenstock des dichters“ zu einer Art Gattungsmetapher für das Gedicht überhaupt in Poetik aus dem Band ein tag auf dieser erde. Eindeutig „deiniert“ Kunze: „Das gedicht / ist der blindenstock des dichters // Mit ihm berührt er die dinge, / um sie zu erkennen“. Wirklichkeit be-greifen oder er-fassen bedeutet imstande sein, dieselbe zu beschreiben oder zu deinieren. Daher ist es nicht befremdlich, dass Eich Gedichte, daneben „trigonometrische Punkte“ und „Bojen“ – alles Metaphern des Genauen -, „Deinitionen“ nennt: 283 Eich: GW IV. 1973. S. 441. 284 Ebd. S. 441. 103 „Für diese trigonometrischen Zeichen sei das Wort ‚Deinition‘ gebraucht. Solche Deinitionen sind nicht nur für das Schreiben nutzbar. Dass sie aufgestellt werden, ist mir lebensnotwendig. In jeder gelungenen Zeile höre ich den Stock des Blinden klopfen, der anzeigt: Ich bin auf festem Boden. Ich behaupte nicht, dass die Richtigkeit der Deinition von der Länge oder Kürze der Texte abhinge. Ein Roman von vierhundert Seiten enthält möglicherweise ebensoviel an Deinition wie ein Gedicht von vier Versen. Ich bin bereit, diesen Roman zu den Gedichten zu zählen. Richtigkeit der Deinition und Qualität sind mir identisch.“ 285 Der eben zitierte poetologische Kommentar Günter Eichs bringt die Dichtung in die Nähe der (exakten) Wissenschat, das metaphorische Denken in die Nähe des begrilichen durch das Gleichsetzen der Poesie mit trigonometrischen Zeichen und Deinitionen. Das würde allerdings in das heterogene Bild der Poetik in den 50er Jahren passen, in welchen Max Bense z.B., auf der Suche nach einer objektiven Ästhetik, auch Dichtung von kybernetisch-informationswissenschatlichen Prämissen aus betrachtete und die experimentierlustige konkrete Poesie sich in „Konstellationen“ zu organisieren versuchte. Durch seine Synonymie Gedicht – trigonometrisches Zeichen oder Deinition spricht Eich allerdings weniger das Wort einer wissenschatsgläubigen Kunst. Vielmehr bleibt er sich selbst treu in seiner Suche nach Genauigkeit und Komprimierung, auch wenn er behauptet, dass „die Richtigkeit der Deinition“ nicht von der Länge oder Kürze des Textes abhängen würde. Immerhin vermag die Kürze des Gedichts die Konzision einer Deinition besser darzustellen, daher wahrscheinlich die Bereitschat des Dichters „richtige“ oder das Echte genau beschreibende Romane zu den Gedichten zu zählen und nicht umgekehrt. Genauigkeit oder Präzisierung, wie Schafroth bemerkt, war Eichs Methode, Wirklichkeit „herzustellen“ 286. „Richtigkeit“, die Günter Eich hier ausdrücklich mit Qualität gleichstellt, kann mit Bezug auf das blinde Vorantasten und die trigonometrischen Zeichen der Mathematik, Genauigkeit oder Trefsicherheit bedeuten. Gedichte als richtige Deinitionen von Wirklichem müssten also Dichtungen sein, die, allerdings in einer 285 Ebd. S. 442. 286 Schafroth 1976. S. 124: „Präzisierung ist ein Stichwort, das der Lyrik vorbehalten ist. Das heißt gewiss nicht, dass in den anderen Gattungen nicht präzis geschrieben wird. Aber das Gedicht ist mehr als präzis, es ist von vornherein Präzisierung. 1956 hat Eich in Vézelay Gedichte Deinitionen genannt. Deinieren und präzisieren ist die Methode, Wirklichkeit „herzustellen.“ Zu Recht bemerkt Schafroth auch, dass Eich Lyrik als exemplarische Gattung der Literatur betrachtet aufgrund der besonderen Wirksamkeit ihrer Komprimierungen: „Lyrik ist für Eich insofern zweifellos die exemplarische literarische Gattung, als im Gedicht das Stilprinzip des Auswählens, Ausscheidens, der Reduktion, besonders wirksam sein muss.“ S. 124. Hermann Korte bemerkt schon beim Dichter der Abgelegenen Gehöte, dass die Präzision der kritischen Verarbeitung von Wirklichkeit allerdings in dieser frühen Lyrik die besondere Qualität seiner Kahlschlag-Lyrik ausmache: „Nicht der unprätentiöse Sprachduktus an sich und die im Sujet der Gedichte vermittelte Alltäglichkeit bestimmen Eichs Kontrafakturen, sondern die Präzision, mit der der geschichtliche Moment des Jahres 1945 aus vereinzelten, isolierten Erfahrungen aufscheint. Im bewußtgemachten Umgang mit ihnen entfaltet sich Eichs kritische Perspektive.“ Korte 1989. S. 14. 104 anderen Sprache als jener der Wissenschat und mit anderen Mitteln, Reales oder Echtes exakt bestimmen können. Wörterbücher verweisen auf etymologische Bestimmungen der „Deinition“ als ‚Abgrenzung‘287 oder ‚Umgrenzung‘288 und tatsächlich grenzen Deinitionen konkrete oder abstrakte Phänomene, Begrife usw. von einander ab und umgrenzen sie, indem sie genau und konzise alle wesentlichen Merkmale des deinierten Objektes aufzählen oder erklären. Deinitionen sind zugleich Teile nützlicher Tautologien, aufgrund einer kreisförmigen semantischen Bewegung, in welcher die Erklärung eines Begrifes die Semantik desselben analytisch wieder-holt. Als eine Art wissenschatliche oder philosophische Tautologie289 betrachtet, könnte aber die Deinition, als rationale Form der Explikation oder der Produktion von Sinn (im Falle von erfundenen Begrifen), auch ad absurdum geführt werden, so dass sie zur tragenden Struktur nicht von Sinn, sondern von Unsinn wird. Darauf werden wir etwas später zurückkommen. Die Richtigkeit einer Deinition setzt, im gängigen Sprachgebrauch, die Erwartung einer Entsprechung oder Übereinstimmung der Erklärung mit der Wahrheit oder Wirklichkeit voraus. Richtige Deinitionen müssen außerdem, wie auch richtige Lösungen oder Rechnungen, stimmig sein, also keine logischen Fehler enthalten. Richtige Deinitionen wären somit genau, wenn sie das Wesentliche in einer stimmigen und der Wirklichkeit entsprechenden Art und Weise darstellen. Für Eich hat Genauigkeit im dichterischen Schreiben aber nicht nur eine ästhetisch-gnoseologische oder allgemein-existentielle Relevanz, sondern auch eine politische. Auf diese Form „lebensnotwendig(er)“ Exaktheit der dichterischen Sprache wird Eich drei Jahre später in einer anderen berühmten Rede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises zu sprechen kommen. Genauigkeit bräuchte die Sprache der Dichtung dieses Mal, um sich der Manipulation durch die politische Macht zu entziehen: „Sie ist exakt. Der Sprache der Dichtung das Vage als Wesensmerkmal unterzuschieben, meint ja nicht die dekorativ geratene Metapher, sondern ist der Versuch, Dichtung zu verharmlosen und sich ihrer Unbequemlichkeit zu entziehen. Diese Verharmlosung, Rainement und Verdrängung in einem, ist eine Grundtendenz ihrer Widersacherin, der Sprachlenkung.“ 290 In den 50er Jahren schwankt Eich in seinen poetologischen Ausführungen allerdings noch zwischen einer quasi pragmatisch-wissenschatlichen Aufassung von Sprache 287 Duden 31996. S. 324: Deinition: „(lat. deinitio = Abgrenzung, Bestimmung) genaue Bestimmung eines Begrifes durch Auseinanderlegung, Erklärung seines Inhalts“ 288 G. Gabriel: Deinition. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. v. Joachim Ritter u.a.. Bd. 2: D-F. Darmstadt 1972. S. 31. 289 Verwendet wird hier die weiter gefasste Bestimmung von Tautologien, die von mathematischen Gleichungen wohl am besten widerschpiegelt wird, z.B. im Sinne 2 + 2 = 4, wo auf beiden Seiten das Gleiche steht. In dieser weit gefassten Bedeutung sind auch Begrife und ihre Deinitionen Tautologien. 290 Eich: GW IV. 1973. S. 447. 105 als präzise und richtige „Deinition“ des Wirklichen und einer romantisch-magischen, in der Sprache „Übersetzung“ aus einem nicht vorhandenen Urtext bedeutet, eine Übersetzung, die sich dem unbekannten Urtext des Wirklichen lediglich annähern kann291. Peter Horst Neumann indet für den Ideengehalt der Rede von Vézelay die wahrscheinlich trefendste synthetische Formulierung: „Sie ist der Ausdruck eines Strebens nach Genauigkeit im Ungewissen“ 292. Das klingt nun so paradox wie im Allgemeinen die Reaktionen der Interpreten Eichs auf sein Übersetzungs-Gleichnis waren293. Und Eichs Denken über Lyrik ebenfalls. Noch im Jahre 1957 beindet er sich auf einer spannungsvollen Suche nach Genauigkeit gekoppelt mit dem Geheimnisvollen, nach einer neuen dichterischen Form lyrisch-semantischer Transzendenz und Strenge. In einigen privaten Notizen über Signum und Metapher294 stellt er eine Liste von Stichwörtern und fragmentarischen Erläuterungen zusammen, die allmählich zum 291 Das Übersetzungs-Gleichnis beherrscht Eichs Poetik in den 50er Jahren. Schon 1953 äußert er in einer Rede vor den Kriegsblinden: „Jedes Wort bewahrt einen Abglanz des magischen Zustandes, wo es mit dem gemeinten Gegenstand eins ist, wo es mit der Schöpfung identisch ist. Aus dieser Sprache, dieser niegehörten und unhörbaren, können wir gleichsam immer nur übersetzen, recht und schlecht und jedenfalls nie vollkommen, auch wo uns die Übersetzung gelungen erscheint. Dass wir die Aufgabe haben zu übersetzen, das ist das eigentlich Entscheidende des Schreibens, es ist zugleich das, was uns das Schreiben erschwert und vielleicht bisweilen unmöglich macht.“ Eich: GW IV. 1973. S. 440 292 Neumann 1981. S. 22 293 Zum theoretischen Problem der Rede von Vézelay, das gerade vom Übersetzungs-Gleichnis ausgelöst wurde, haben sich bereits mehrere Eich-Forscher geäußert. Darunter auch Ute Maria Oelmann, die Eichs Ausführungen zur Poesie aus dem Jahre 1956 als paradox wertet, geprägt von einer „polare(n) Spannung von Sprachverzweilung und Sprachutopie, Sprachhofnung und radikalem Sprachverdacht, die in den Gedichten weitaus stärkeren Ausdruck indet unter immer stärkerer Betonung der Sprachkritik“. Oelmanns Schlussfolgerung ist, dass die hesen dieser Rede, die Poesie vor allem aufgrund des Übersetzungs-Gleichnisses noch als Seinsdichtung und magischen Realismus deinieren, bereits von Eichs dichterischer Produktion aus dem Jahre 1955 überholt wurden. Erst mit der Büchner-PreisRede indet Eich, nach Oelmann, zu einer zeitgemäßeren und wirksamen heorie von Lyrik als Kritik jeder Scheinwirklichkeit und Manipulation. Vgl. Oelmann 1980. S. 229f. Peter Horst Neumann glaubt hingegen, dass der Übersetzungs-Gedanke bei Eich zum Grundbestand der Eichschen Denkiguren gehört, nicht nur im heoretischen, sondern vor allem in der dichterischen Praxis. Er besteht, glaubt Neumann, bis in die späte „anarchische“ Dichtung und macht mehrere Wandlungen durch. Seinen Ursprung identiiziert Neumann im magisch-mystischen Denken der Romantik. Bei Eich, meint der Forscher, kann sein Werden als wichtiges und insbesondere kreatives Anarchie-Motiv bis zu den „Maulwürfen“ verfolgt werden. Vgl. Neumann 1981. passim. In der neueren Eich-Forschung setzt Sigurd Martin „Deinition“ und „Übersetzung“ gleich. Vgl. Martin: Die Auren des Wort-Bildes. Günter Eichs Maulwurf-Poetik und die heorie des versehenden Lesens. St. Ingbert 1995. S. 236f. Gedichte als „Deinitionen“ oder „Übersetzungen“ sind, laut S. Martin, „Chifren der Wirklichkeit, die den geistigen Gehalt der Dinge ofenbaren. Dieser zeigt sich als Ruhe in der Bewegung“ (S. 236) Sie nähern sich dem „Urtext“, den S. Martin als „adamitische Namenssprache“, wie diese von W. Benjamin beschrieben wurde, interpretiert und ixieren wie „Trittsteine in eine Sprachlandschat gelegt, deren wichtigstes Kennzeichen Haltlosigkeit ist“ (S. 171) eine echte, lebendige Empindung. Eichs „Deinitionen“ intendieren außerdem, glaubt S. Martin, „einen weitgehenden Austritt aus der diskursiven Sprache“ in Richtung einer Sprache, welche die „kontextuellen Bedeutungsauren“ der Wörter transparent werden lässt. S. 237f. 294 Eich: GW IV. 1973. S. 303-304. 106 Rohmaterial seiner späteren Lyrik und Prosa wurden. Auf seiner Liste werden funktionale Zeichen und Signale verschiedenster Bereiche der Wirklichkeit aufgezählt: Hupzeichen, Steinmetzzeichen (man könnte an eine lapidare Schrit denken), Hydrantenzeichen, Verkehrszeichen, Pausenzeichen, Flutmarken, Wappen, Verlagszeichen, Siegel, Monogramme, Schaltschemata, Satzzeichen, Wegmarkierungen, trigonometrische Punkte, Bojen, „Zeichen auf Landkarte, Landkarten überhaupt“, mathematische Formeln, Firmenzeichen, metrische Zeichen, taktische Zeichen, Noten und musikalische Zeichen, Taubstummensprache, „Buchstaben für sich genommen“ usw. Eichs Liste beinhaltet aber auch Zeichen und Symbole mit magisch-mystischer Aura, wie Tierkreiszeichen, Runen, Hieroglyphen, religiöse Symbolzeichen, Stern, Swastika usw. Zwei lakonische Kommentare scheinen einen kreativen Weg zu weisen. Der erste Kommentar ist eine knappe Deinition des Zeichens: „Das Signum ist eine Entwicklung des Bildes zum Abstraktum“ 295. Eine gleich danach folgende elliptische Erläuterung zu Klees Malerei setzt Bild und Metapher gleich: „Zu den Bildern Klees: Übergang von der Metapher, dem Bild, zum Signum in der Spätzeit“ 296. Unter den Notizen gibt es auch eine Art erklärendes Beispiel von dem, was für Eich „Signum“ bedeutete: „Winken und Kusshand haben zugleich Bild und Signalcharakter“ 297. Eichs hier angedeutete semiotische Überlegungen versuchen die Realität aufgrund ihrer funktionalen Zeichen wieder lesbar und interpretierbar zu machen. Alles scheint für den Dichter einen mehr oder weniger stringenten „Signalcharakter“ auf der höheren Ebene der Abstraktion zu haben. Dadurch versucht Eich, wie frühere und vor allem spätere poetologische Erläuterungen zeigen, die traditionelle, eher dekorative Metapher durch aktuelle Symbole zu „überholen“, die in all ihrer Abstraktion einen gewissen verbindlichen Bezug zur Wirklichkeit beibehalten. „Das Zeichen suchen / statt der Metapher / und also den einzigen Ort / wo du immer bist“ schreibt er in dem ebenfalls 1957 entstandenen Gedichtzyklus Fortsetzung des Gesprächs. Der Text wurde allerdings erst dem späteren Band Anlässe und Steingärten einverleibt. Doch bereits 1947 forderte Eich vom Schritsteller, dass das, was er schreibt, fern „jeder unverbindlichen Dekoration, fern aller Verschönerung des Daseins“ sein sollte298. Nach der Büchner-Preis-Rede wird diese Forderung bei Eich erneut aktuell und zum Tenor seiner Poetik in den 60er Jahren. Eine dekorative Rhetorik betrachtet der Dichter nun aber nicht nur als ästhetisch, sondern auch als politisch suspekt, weil sie die Wirklichkeit falsiiziert und sich als manipulierbar erweist. Lakonischimperativ fordert er um 1965: „Keine Metaphern! Es gibt keine Adjektiva! Adjektivische Verben, adjektivische Substantiva, dekorative Lyrik. Jedes Gedicht ist zu lang“ 299. Wie einst Brecht gegen die Lyrik hübscher Bilder und aromatischer Wörter oder gegen die ölige Glätte tradierter Metrik aubegehrte, lehnt sich nun Eich gegen die Falschheit dekorativer Poesie auf. Sie ist ihm zu bunt und zu geschwätzig. 295 296 297 298 299 Ebd. S. 303. Ebd. S. 304. Ebd. S. 304. Eich: GW IV. 1973. S. 393. Ebd. S. 307. 107 In der Skizze eines Gesprächs mit den Teilnehmern an einem Sommerkurs des Goethe-Instituts, wo Eich eine Lesung hatte, distanziert er sich entschieden von dieser Art von Poesie und beschreibt dadurch auch den Stil seiner späten Dichtung: „Ich habe gar nicht das Gefühl zu malen und sehe nicht viel Buntes in meiner Lyrik, bin eher graphisch, schwarz-weiß, bin fürs Weglassen, für die Abkürzung, fürs Stenogramm, meine, dass jedes Gedicht zu lang ist, habe nichts für Schmuck übrig und für malende Adjektive, kurzum, ich bin gegen das, was man landläuig poetisch nennt.“ 300 Damit begründet Eich eigentlich erst ein Kahlschlag-Programm für die Lyrik, für welches die „nackte“ Lakonik entscheidend ist. Diese Lakonik ist genau, sie arbeitet mit erkennbaren Zeichen, die sie neu deiniert, indem sie ihre Form und ihre Signale z.B. ad absurdum führt oder ironisch modiiziert und so die Lebendigkeit und Kreativität der poetischen Sprache, wie auch die Flexibilität eines Denkens in Alternativen erhält. Dabei weicht das Bild, die Metapher, der „Deinition“, einer knappen, trockenen Aussage mit einem allerdings starken und unerwarteten Signalcharakter als (neuen) Sinn im „Blödsinn“. Eich will dadurch, wie er selbst in einem Interview 1967 erklärt, der Unvernunt, die die Welt beherrscht, einen Zerrspiegel der Vernunt entgegenstellen, um seinem Nichteinverständnis mit dieser Welt Ausdruck zu verleihen. Und spricht implizit auch über eine Entwicklung seiner Lyrik von der „ernsten“ zur absurden „Deinition“: „Ich würde sagen, ich habe mich vom Ernst immer mehr zum Blödsinn hin entwickelt, ich inde also das Nichtvernüntige auf der Welt so bestimmend, dass es auch in irgendeiner Weise zum Ausdruck kommen muss. Ich kann also den tiefen Ernst, den ich früher geplegt habe, nicht mehr verstehen und kann ihn auch nicht aushalten, vielleicht kann man das, was ich heute mache, auch Humor nennen, aber ich würde es wirklich im dadaistischen Sinne anschauen, nämlich, dass der Blödsinn eine ganz bestimmte wichtige Funktion in der Literatur hat, vielleicht auch eine Funktion des Nichteinverständnisses mit der Welt.“ 301 Tatsächlich grenzen Eichs späte Lyrik und Prosa ot an das, was man Unsinn und der Autor „Blödsinn“ nennt. Einen „Blödsinn“ aber, der, dadaistisch angeschaut, eine wichtige Funktion in der Literatur hat und zwar jene der Verneinung des bestehenden Establishments. Auch für Unsinn-Forscher gehört eine derartige kritische Instrumentalisierung des Nonsense zur komplexen Deinition der Unsinnspoesie. Diese kann gerade durch die Durchbrechung der „normalen“ Logik, durch das In-Frage-Stellen des Ursache-Folge-Denkens, durch die Auhebung feststehender Naturgesetze und festgeschriebener 300 Eich: GW IV. 1973. S. 406f. 301 Eich: GW IV. 1973. S. 408. 108 Sprachnormen auf die Fragilität der uns vertrauten und stillschweigend erwarteten Ordnung der Vernunt hinweisen. Intendierter Unsinn, wie jener in der Literatur, stellt „eine Möglichkeit subjektiven Widerstandes gegen die Macht der äußeren Verhältnisse dar“ und wird ot „als Parodie des klassiizierenden Denkens“ 302 funktionalisiert, meint Stefan Horlacher. Also als Parodie einer unzuverlässigen, weil zerbrechlichen, klischierten oder manipulativen Vernunt und ihrer Ausdrucksweisen. Unsinn bedeutet allerdings nicht die völlige Abwesenheit von Sinn. Denn „Nonsense bleibt, solange er an Sprache gebunden ist, immer mit Spuren von Sinn behatet“, bemerkt Dieter Baacke303. Oder solange er an rationales Denken gebunden ist, wie der Dichter Erich Fried meinte und weswegen auch an einer absolut sinn-losen Poesie zweifelte. 1980 schreibt er in einem Essay über Nonsensdichtung und Montage: „Wirklich Nonsens schreiben ist ungeheuer schwer oder vielleicht unmöglich. Es kommt einem immer der verborgene Sinn in die Quere“ 304. Von einem seiner eigenen Nonsens-Gedichte ausgehend, deiniert er folglich Nonsensdichtung als „eine Montage von Sinn und erfreulichem Unsinn“ 305. Unsinn ist allerdings – wie Nonsense-Forscher ausdrücklich betonen – kreativ, imstande eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit zu ermöglichen und eine neue Ordnung mit einer eigenen Semantik aufzustellen. „Nonsense als eine besondere Spielart der Phantasie, ist nicht unangemessenes Reden aus Leichtfertigkeit, pueriler Albernheit oder mangelnder Information – meint Baacke -, sondern schat einen Spielraum an der Grenze möglicher Vorstellungen und ihrer sprachlichen, künstlerischen oder realen Darstellung, der nicht nur von üblichen Vorstellungs- und Verhaltenszwängen entlastet, sondern eine distanzierende Heiterkeit und eine neue Optik für Menschen, Gegenstände und deren Konstellationen auf die Räume gestattet, in denen wir leben müssen.“ 306 Nonsense baut somit zwar eine andere Welt auf, aber mit bekannten Sinnelementen, die in unerwarteter Weise kombiniert und zugeordnet werden und erst durch diese neugeschafenen unkonventionellen, entautomatisierten Zusammenhänge die Semantik des „Unsinns“ entstehen lassen. Baacke verweist ebenfalls darauf, dass Unsinn sehr wohl in vernüntigen Formen des Sagens und Argumentierens, wie z.B. in analysierbaren grammatischen Strukturen oder in jenen der formalen Logik, 302 Stefan Horlacher: Nonsense. In: HWR. Bd. 6: Must-Pop. Tübingen 2003. S. 301. 303 Dieter Baacke: Spiele jenseits der Grenze. Zur Phänomenologie und heorie des Nonsense. In: Deutsche Unsinnspoesie. Hrsg. v. Klaus Peter Dencker. Stuttgart 2001. S. 363. 304 Erich Fried: Die Muse hat Kanten. Aufsätze und Reden zur Literatur. Hrsg. v. Volker Kaukoreit. Berlin 1995. S. 53. 305 Ebd. S. 62. 306 Baacke 2001. S. 356. 109 wie dem Syllogismus, mit maximaler Wirkung auf den Leser funktionieren kann307. Gerade in solchen Situationen ist die parodische Wirkung des Nonsense am ofensichtlichsten, was natürlich weder den früheren Avantgarden (wie z.B. den Expresionisten, siehe August Stramm), noch den späteren (wie z.B. in der konkreten Poesie von Jandl) entgehen konnte. Und selbstverständlich auch Günter Eich nicht, der, wie er selbst formulierte, als ein verspäteter Expressionist begonnen308 und später, wie oben bereits zitiert, zu einem dadaistisch inspirierten „Blödsinn“ gefunden hatte. Ein Maulwurf-Text enthält sogar die dem ironisch-lakonischen Geist dieser Prosa typische Selbstpersilage des Avantgardisten Eich309. Insbesondere für die Autoren der Avantgarde war Unsinn das, was Klaus Peter Dencker „Kreativitätsschule und Experimentierfeld“ 310 und Dieter Baacke „eine Propädeutik für schöpferische Vorstellungen“ 311 nannte, also eine Voraussetzung des Erzeugens von Sinn durch Unsinn. Wie die Lakonik ist auch der Unsinn, glaubt Baacke, eine Art avantgardistische Alternative zum Schweigen: „Der einen Lösung, dem Schweigen, das etwa Hofmannsthal oder Valéry versuchten, als sie dem traditionellen Ausdruck von Sinn nicht mehr trauten und fürchteten, er möge sich im Unsinn verkehren, tritt bei den Surrealisten, Dadaisten, den Dichtern des Absurden eine andere gegenüber: die Sprache, auch hier manchmal nahe dem Verstummen, spricht doch weiter, ot in ganz traditioneller Grammatik, Syntax und Wortwahl, und produziert dabei gerade den Unsinn, anstatt ihn zu vermeiden.“ 312 Unsinn zeugt zum einen von der Freude am Spiel mit Wörtern, Begrifen und Bedeutungen. Zum anderen aber konstruiert Unsinn ein antiautoritäres Verhalten, das die Autorität der von der Vernunt durchgesetzten Formen der Manipulation entkräten soll. Bei Eich sind derartige literarische Gegenentwürfe des Nonsense seine späten „Deinitionen“ und die „Maulwürfe“. Im Folgenden wollen wir zwei dieser „Deinitionen“, die Gedichte Und und Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume aus dem Band Anlässe und Steingärten (1966) eingehender untersuchen. 307 Hier zwei diesbezüglich klärende Beispiele von Baacke 2001. S. 364: „Der sinnlose Satz: ‚Die wenten Krapetten ponteten radital.‘ enthält ofenbar ein Adjektiv (wenten), ein Substantiv im Plural (Krapetten), ein Verb in der 1. Vergangenheit (ponteten) und ein Adverb (radital). Die Form dieses Satzes, der inhaltlich unverständlich, unsinnig ist, würde, ins Französische übertragen, lauten: ‚Les crapêts ventieux pontaient raditallement‘, und im Englischen etwa: ‚he ventious crepets pounted raditally‘.“ Oder als Syllogismus: „Alle Wudeln sind Schnurden. Dieser Gaboge ist ein Wudel. Also ist er eine Schnurde.“ S. 369. 308 Eich: GW IV. 1973. S. 407. 309 Und zwar im Text Seepferde: „Eben hielt ich mich noch für Avantgarde, schon gibt es Spezialisten.“ Eich: GW I. S. 325. 310 Klaus Peter Dencker: Einleitung. In: Deutsche Unsinnspoesie. Hrsg. v. K. P. Dencker. Stuttgart 2001. S. 11. 311 Baacke 2001. S. 377. 312 Ebd. S. 358–359. 110 Und Und macht die Welt begreilich: Der Schliefenplan und eine Klingelanlage für Scheintote.313 Das Gedicht hat den Ansatz einer Deinition als Erklärung der Konjunktion „und“ aufgrund der ihr zugeschriebenen Qualität, die Welt begreibar zu machen. Konjunktionen sind, allgemein deiniert, funktionale Zeichen, Bindewörter, die eine semantische Beziehung angeben und daher auch einen gewissen Signalcharakter besitzen. In der Sprachwissenschat werden Konjunktionen, darunter „und“, als Wörter deiniert, die Sätze oder Satzglieder miteinander verbinden. „Und“, als koordinierende Konjunktion, ordnet die zu verbindenden Sätze oder Satzglieder neben- und beieinander oder stellt diese gleich. In der Logik verbindet die logische Partikel „und“ zwei oder mehrere Aussagen314 und hat einen Wahrheitswert, sie ist nämlich gerade dann wahr, wenn alle zu verbindenden Aussagen wahr sind. In der Mathematik fungiert das „und“ als funktionales Zeichen des Addierens. In Eichs Gedicht soll das „und“, laut der sentenzhat formulierten Aussage in den ersten zwei Zeilen, die Welt verständlich machen. Der Rest des Gedichts deutet darauhin, dass dies durch Nebenordnung oder Gleichstellung von Verschiedenem, möglicherweise auch durch das „Addieren“, auf das der weiter oben besprochene Maulwurf-Text zurückkommt, geschieht. Doch die Information, die hier über das „und“ lakonisch zusammengeschlossen wird, scheint das Gegenteil der „Deinition“ in den ersten Zeilen zu beweisen. Sie verwirrt den Leser durch verschüttete historische Fakten und erweckt den Eindruck des Zusammenführens von Beliebigem, was die Leistung des „und“ ad absurdum führt. Das „Und“ scheint hier lediglich das Verständlichmachen von Zusammenhängen vorzugeben, unterschwellig aber Verstehen zu manipulieren, indem es Zusammenhänge vortäuscht und durch das Erwecken der Erwartung von Stimmigkeit die Wahrnehmung verändert. Im lakonischen Kurzschluss der Form und im trockenen apodiktischen Ton wäre eine Verfremdung der Leistung des „und“, eine Ironisierung sehr wohl denkbar315. Ist demnach diese „Deinition“ eine Parodie des klassiizierenden Denkens? Unsinn als ironisches In-Frage-Stellen rationalen Denkverhaltens und dessen Vertrauen zu vernüntigen Relatoren? 313 Eich: GW I. S. 148. 314 Vgl. Duden 1996. S. 871. 315 Siehe diesbezüglich auch Oelmann 1980. S. 149: „Das ‚und‘ macht hier in Wirklichkeit die Welt nicht ‚begreilich‘, sondern zeigt gerade ihre Absurdität im Nebeneinander der Gegensätze. Dem Schritsteller, dem auch das ‚und‘ verdächtig ist, bleibt das verbindungslose Nebeneinanderstellen von Sätzen oder Satzfragmenten, es bleibt aber auch die vielfältige Verwendung der Konjunktionen, um gerade durch sie die Absurdität der Welt, die Falschheit der Sprache zu entlarven, wie es in den Maulwürfen ständig geschieht.“ 111 Bei genauerem Untersuchen der historischen Anspielungen in diesem Gedicht jedoch könnte unter der strengen und zugleich absurden Maske der Deinition Eichs vielleicht doch mehr Sinn im Unsinn verborgen sein. Mit dem Schliefenplan ist ein militär strategischer Entwurf gemeint, der Anfang des 20. Jahrhunderts von Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schliefen (1833-1913) erarbeitet und zur Grundlage der deutschen Operationen im Ersten Weltkrieg wurde. Der Plan sollte Deutschland vor einem es aufreibenden Zweifrontenkrieg - mit Frankreich und Russland zugleich – schützen. Von Schliefens Nachfolger, Helmuth Johannes Ludwig von Moltke in die Tat umgesetzt, hatte dieser Plan jedoch verheerende militärische und politische Folgen. Trotzdem wurde der Plan zum Vorbild des sogenannten Blitzkrieges Adolf Hitlers, dessen Kampf schließlich auch für Deutschland vernichtend zu Ende ging. Mit dem Schliefenplan erinnert somit Eich an das Scheitern einer quasi zum Dogma gewordenen militärischen Strategie. Die Klingelanlage für Scheintote verweist auf eine andere zum Scheitern verurteilte, komische Idee einer Zeitgenossin des Grafen von Schliefen und zwar der Tochter eines jüdischen Pächters und Gutsbesitzers, Friederike Kempner (18361904). Friederike Kempner, die „schlesische Nachtigall“, die unter anderem auch eine epigonale, unbeholfene Dichtung „unfreiwilliger Komik“ schrieb, teilte eine zu der Zeit allgemein verbreitete Angst, bei lebendigem Leibe begraben zu werden. Sie engagierte sich daher für die Errichtung von Leichenhäusern und forderte ebenfalls die gesetzliche Einbauplicht von Klingelanlagen in Gräbern. Eichs „und“ verbindet somit zwei mehr oder weniger absurde Ideen der Jahrhundertwende, die einer verschieden orientierten Angst entsprungen sind: zum einen der Angst vor einem kriegerischen Angrif, dem Deutschland nicht gewachsen, zum anderen der Angst vor dem Scheintod, dem das Individuum machtlos ausgeliefert wäre. Beide „Pläne“ könnten daher als unmögliche bis skurrile Strategien der Bewältigung von Angst im Großen und im Kleinen zur Zeit der Jahrhundertwende interpretiert werden. Beide wären, mit Eich gesprochen, eklatante Beweise des Nichtvernüntigen, das auf der Welt bestimmend ist und das der Dichter in der Form lakonischer Karikaturen bloßstellt. Eine derartige hermeneutische Perspektive würde die bitter ironische Zuordnung der beiden militärisch-gesetzlichen Projekte zueinander erklären und neuen Sinn im Unsinn initiieren. Denn in diesem Kontext könnte die Kombination und Gleichstellung der ausgewählten historischen Fakten über das „und“ eventuell die groteske Dimension des Schliefenplans, wie auch den komischen Ernst der Forderung Friedericke Kempners begreibar machen. Verständlich würde das knapp umrissene Bild einer unvernüntigen Welt, beherrscht von Aggressivität und bizarren Werten. Doch diese semantische Ebene des Textes, auf der das „und“ sinnvoll ist, wird von der Lakonik der Form verdeckt, so dass der Leser meistens das Gedicht Und lediglich als eine komisch-absurde Deinition rezipiert, in der es darum geht, die verwirrende Leistung dieser Konjunktion (und eventuell der Sprache im Allgemeinen) zu beweisen. Arbeitet hier der Lakonismus gegen die Richtigkeit der „Deinition“, die Komprimierung gegen die Genauigkeit? Eich war, wie gesagt, ein schon seit den 40er Jahren konstanter Anhänger der Komprimierung und der Genauigkeit in der Dichtung, auch wenn das heißen sollte, 112 gegen den Leser zu schreiben, also gegen sein Vermögen, den Text zu verstehen. Er verwies damals darauf, dass nicht alles Unverständliche gleich Unsinn sein musste. Später wendete er sich gerade dem Unsinn in seinen Interviews und dichterischen „Deinitionen“ zu, um Wirkung beim Leser zu erzielen und ihm eine radikale Botschat, sein Nichteinverständnis mit der unvernüntigen Welt, in einer radikalen, scheinbar unvernüntigen Form mitzuteilen. Zur Radikalität dieser neuen Ausdrucksweise gehört auch der Lakonismus, durch den Eich in den 60er Jahren seinen eigenständigsten und unverwechselbaren Ton begründete. Mit gutem Grund, denn die lakonische Phrase hat, in ihrer extremen Konzision und Sachlichkeit eine, wie bereits erwähnt seit Jahrtausenden bewährte und auch vielfach gepriesene gewaltige rhetorische Krat. In ihrer scheinbar neutralen, unaufälligen Gelassenheit kann sie starke Wertungen provozieren316. Lakonik kann also sehr wohl zu einem Instrument subtiler Ironie werden. Der Lakonismus ist außerdem in einem hohen Grad relexionsbedürtig, nicht nur weil die lakonische Aussage wichtige Informationen verschweigt, sondern auch weil sie vielfältige Gedanken kondensieren kann317. Die lakonische Ausdrucksweise ist somit nicht nur eine aussparende, sondern auch eine Bedeutungen überlagernde, prägnant polysemantische, was einer Lyrik, die ihre Bildlichkeit, ihre „Dekoration“ reduzieren, zugleich aber ihre Semantik ausbauen möchte, zugute kommt. Sie konstituiert dadurch eine Alternative zur „dekorativen Lyrik“. So kann zwar die Verknappung der Form auf der Ebene einer oberlächlichen Lektüre des Textes dessen tiefgründigen Sinn verdecken, sie provoziert aber gleichzeitig den Leser, nach diesem zu suchen und sich einem lexibleren Denken in Alternativen, frei von „zementierten“ Einstellungen und Deutungen, zu öfnen. Eich war in den 60er Jahren explizit darum bemüht, die Sprache im Fluss, also in Bewegung zu halten, damit „sie nicht für reaktionäre Parolen verwendet werden“ 318, d.h. von der Macht für ihre Zwecke missbraucht werden kann. Das äußert Eich in demselben Interview, in dem er seine Entwicklung zum „Blödsinn“ hin erklärt. Eine scheinbar unsinnige Sprache soll die Sprache der Dichtung und implizit auch das Denken vor „Zemetierungen“ schützen. Mit Zementierungen meinte Eich in erster Linie die gefährlichen Klischees, die infolge der Einwirkung der Macht auf die dichterische Sprache entstehen und diese dadurch tödlich begrenzen könnten. Daher, glaubt Eich, muss die Sprache der Poesie auch absurde Wege gehen, um schließlich sinnvoll bleiben zu können. Im Gedicht Und hilt die Lakonik der quasi sinnlosen Deinition Sprache und Denken im Fluss zu halten, also für eine verborgene Dynamik der Bedeutung zu sorgen. Solche „Deinitionen“ können von der Macht nicht ohne weiteres instrumentalisiert werden, da sie im lakonischen Kurzschluss ihres Ausdrucks den Sinn im Unsinn verdunkeln. 316 Vgl. Meyer 2001. S. 72f. 317 Vgl. Müller 2003. S. 145f., 210f. 318 Eich: GW IV. 1973. S. 409. 113 Ein weiteres Beispiel einer derartigen „Deinition“ ist Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume, im Zyklus Lange Gedichte desselben Bandes, Anlässe und Steingärten. Akazien sind ohne Zeitbezug. Akazien sind soziologisch unerheblich. Akazien sind keine Akazien319. Sehr deutlich simuliert hier der poetische Ausdruck einerseits die allgemeine Form der Deinitionen, andererseits eine Form des logischen Schlusses, und zwar des Syllogismus. Allerdings werden diese Formen rationaler Logik erneut in knappster Weise ad absurdum geführt, was auf manche Leser höchst irritierend gewirkt hat. Unter anderen auf Susanne Müller-Hanpt, die dieses Gedicht als „sicher eines der schlechtesten, die der Band enthält“ bezeichnete, denn „es versucht mit Wortspielerei ein Problem zu entlarven, geht aber an diesem vorbei“ 320. Das Problem, an dem dieses Gedicht vorbeigehen soll, habe, glaubt Müller-Hanpt, schon Brecht deutlich in Gedichten wie An die Nachgeborenen oder Schlechte Zeit für Lyrik auf den Punkt gebracht. Gemeint ist das Problem der Naturlyrik, der man Eskapismus, die Verleugnung der sozialen Wirklichkeit vorgeworfen hat, „weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“, wie Brecht dichtete. Müller-Hanpt geht also in ihrem eindeutigen Urteil über dieses Gedicht Eichs davon aus, dass der Autor ebenfalls eine Kritik der Naturlyrik intendiert, diese aber durch bloße Wortspielerei verfehlt. Nun stimmt es schon, dass Eich Wortspiele mochte, z.B. Kalauer, für welche der Dichter der Maulwürfe sogar eine gewissermaßen ironischabsurde „Deinition“ verfasst hatte, indem er Kalauer als „eine Möglichkeit, die Welt zu begreifen, vielleicht die einzige, anspruchslos und lila“ 321 bezeichnete. Er liebte desgleichen den Unsinn, den er durch paradoxe Deinitionen konstruieren konnte. „Ordnung ist das halbe Leben, die andere Hälte auch“, heißt es im „Maulwurf “ Episode. Oder zu den Zusammenhängen im „Maulwurf “-Text Landauslug: „Die Zusammenhänge sind deutlich, wenn ich auch nicht weiß, welche Zusammenhänge“. Doch „bleiben wir bei den Bäumen, bei denen man nicht bleiben kann“, wie Eich selbst im „Maulwurf “ Vergeblicher Versuch über Bäume schlussfolgerte. Derartige Spiele mit Wörtern oder logischen Strukturen sind aber bei einem gegen die Unvernunt so engagierten Dichter weder reiner Unsinn noch bloße Wortspielerei. Keine Wortspielerei, sondern ein satirischer Beitrag Eichs zur Debatte um die Funktion der Literatur, den „politisch-emanzipatorischen“ Gebrauchswert des Ästhetischen in den 60er Jahren, meint Peter Horst Neumann zu diesem Gedicht in seinem Buch Die Rettung der Poesie im Unsinn. Der Anarchist Günter Eich322. Keine misslungene Kritik 319 Eich: GW I. S. 174. 320 Müller-Hanpt 1972. S. 165. 321 Eich: GW I. S. 322. Siehe auch Neumann 1981. S. 83f. Zunächst zur Interpretation des Verbs „lesen“ im Gedicht Nicht geführte Gespräche: „So entsteht die Nonsense-Gleichung: Lettern sind Körner. Auf solchen sprachlogischen Kurzschlüssen baut sich der Witz des Kalauers auf, den Eich in seiner demonstrativen Neigung zum Unsinn bald sehr ausgiebig verwenden sollte.“ S. 83. 322 Neumann 1981. S. 14. 114 demnach an der soziologisch unbedeutenden Naturdichtung, sondern eher eine ironische Antwort auf die Forderung nach der gesellschatlichen Relevanz von Naturlyrik. Christian Kohlroß ist in der neueren Eich-Forschung bestrebt zu beweisen, dass dieses Gedicht sogar von einem neuen Wahrheitsbegrif der Naturlyrik proitiert, den Eich allmählich in seiner späten Dichtung erschließt, hier indem er zeigt, wie die Logik der Natur der ‚Natur‘ der Logik, d.h. ihrem abstrakt-formalen Wesen, widerspricht: „Diese Sprache, das Dogmatische an ihr, parodiert die lyrische Rede“, meint Kohlroß323. Das kann auch in Anbetracht des weiteren Umfeldes dieses Textes, nämlich des Zyklus’, dem er angehört, stimmen, da Lyrik hier in den „langen“ Gedichten unter anderem auch konsekrierte lyrische Gattungen und deren Sprache, wie z.B. die Ode, eindeutig parodiert. Außerdem parodieren alle Texte des Zyklus’ mit ihrer knappen, zwei- bis sechszeiligen Form die Vorstellung und Erwartung vom in der Zeit viel diskutierten und umkämpten langen Gedicht. Man könnte das Gedicht Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume allerdings auch umgekehrt lesen, als Parodie der steifen, „zementierten“ Sprache der Wissenschat oder der Verwaltung und ihrer logischen Strukturen. „Akazien sind ohne Zeitbezug“ kann noch den Eindruck oder die Erwartung des Poetischen, Metaphorischen, in der Form einer geheimnisvollen, aphoristisch anmutenden „Deinition“ erwecken. Die folgende Verszeile jedoch scheint die nüchterne Schlussfolgerung einer Bestandsaufnahme zu sein: „Akazien sind soziologisch unerheblich“. Damit ahmt die poetische Sprache eine sachlich vorgehende Fachsprache der Wissenschat, z.B. der Soziologie, oder der Verwaltung nach, wenn man den Hinweis im Titel – Bescheid als behördliche Stellungnahme - mitbedenkt. Die Dogmatik derartiger Fachsprachen könnte im letzten Vers zur Karikatur stilisiert worden sein: „Akazien sind keine Akazien“. Das kleine Gedicht kann aber, in seinem skurrilen Dreisatz, eine tragende Form des Denkens überhaupt karikieren, nämlich jene des logischen Schlusses, des Syllogismus. Ein Syllogismus besteht, wie bekannt, aus jeweils zwei Prämissen oder Voraussetzungen, dem sogenannten Obersatz und dem Untersatz, die zu einer Konklusion (Schlussfolgerung) führen. Prämissen und Konklusion sind kategorische Urteile, d.h. Aussagen, in denen einem Begrif, dem Subjekt, ein anderer Begrif, das Objekt, zuoder abgesprochen wird. Damit aber ein Syllogismus gültig ist, dürfen nicht beide Prämissen dieses Syllogismus’ verneinte Aussagen sein. Außerdem werden innerhalb eines Syllogismus drei verschiedene Begrife verwendet: ein Prädikat (P), das auf der rechten Seite der Konklusion und im Obersatz vorkommt; ein Subjekt (S), das auf der linken Seite der Konklusion und im Untersatz vorkommt; ein Mittelbegrif (M), der im Obersatz und im Untersatz, nicht aber in der Konklusion vorkommt. Ein klassisches Beispiel wäre der Syllogismus: „Alle Menschen (M) sind sterblich (P).“ Prämisse 1 (Obersatz) „Alle Griechen (S) sind Menschen (M).“ Prämisse 2 (Untersatz) „Also sind alle Griechen (S) sterblich (P).“ Konklusion (Schlusssatz) 323 Kohlroß 2000. S. 188. 115 Im Falle des Gedichts Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume gibt es ebenfalls drei Sätze mit kategorischen Urteilen. Allerdings sind nicht alle drei für den Syllogismus typischen Begrife auszumachen. Subjekt und Mittelbegrif scheinen im Wort „Akazien“ zu verschmelzen. Dafür gibt es zwei verschiedene logische Prädikate: „ohne Zeitbezug“ und „soziologisch unerheblich“. Formwidrig erscheint dieses Gedicht als Syllogismus auch durch die beiden verneinten Aussagen in den Prämissen, die normalerweise eine Konklusion unmöglich machen. Und die Konklusion klingt auch tatsächlich unmöglich, weil sinnlos. Wir haben es allerdings mit intendiertem Unsinn zu tun, bei dem der Ausdruck, d.h. die deformierte Form des Syllogismus, einen gestischen Charakter entwickelt. Er verweist darauf, dass von der Struktur des Syllogismus lediglich der Automatismus eines Denkens und Deinierens von komplexen Phänomenen in drei Schritten geblieben ist, der, ad absurdum geführt, als unsinnig entlarvt wird. Außerdem könnte die Schlusszeile „Akazien sind keine Akazien“ eine parodische Interpretation der tautologischen Struktur von Deinitionen überhaupt darstellen. Doch im Unsinn könnte es wiederum mehr Sinn geben als angenommen. Akazien sind tatsächlich keine Akazien, wenn diese Baumart nicht als solche, sondern als ein abstrakter Begrif der Soziologie, Verwaltung oder auch einer gewissen Poetik nach naturfremden Prinzipien konstruiert wird. Akazien wären in diesen Fällen Abstraktionen, Erindungen eines klassiizierenden Denkens, das Natur z.B. den Beschreibungskriterien der Soziologie anzupassen versucht. Das verstellt schließlich den Blick auf Natur. Ein Maulwurf-Text, mit einem ähnlich ironisch-sachlichen Titel, Vergeblicher Versuch über Bäume, spricht auf ähnlich absurd-expressive Art und Weise von Bäumen, die unvoreingenommen quasi gar nicht mehr erkannt werden können, z.B. als Wald: „Ot stehen sie, die Bäume, in Gruppen zusammen, das ist bekannt, aber man wird hineingeboren, so dass man den Blick dafür verliert“ 324. Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, doch auch von den Bäumen selbst heißt es, dass „sie von Holzhändlern erfunden sind“ und „werfen auch weitere Erindungen ab, Zapfen, Früchte, Äste, und wieviel mans auch erklärt, es wird nicht besser davon“ 325. Der Versuch, Bäume zu erklären ist vergeblich, denn so werden sie zu Erindungen. In einem anderen Maulwurf heißt es: Ich kann Tannen und Fichten nicht unterscheiden. Fichten sind – Genug! Ich fühle mich wohl unter Bäumen, die ich nicht unterscheide. Robinien? Und Gingko biloba. Alles Koniferen. 324 Eich: GW I. S. 353. 325 Ebd. 116 Alles als Arznei verwendbar. Alles Liebessymbole. Jetzt weiß ich schon zuviel, wem soll ich noch unter die Augen treten? 326 In den ersten Zeilen wird die Erklärung oder das Deinieren von Bäumen explizit verworfen, da sich das lyrische Ich besser unter Bäumen fühlt, die keine Deinition brauchen. Trotzdem versucht es mehrere, wissenschatliche und symbolische Deinitionen, die bei ihm schließlich ein Gefühl des Unbehagens hinterlassen. Günter Eich scheint immer wieder darauf zu verweisen, dass eine Natur, die der Deinition bedarf, nicht mehr als natürlich empfunden werden kann, sondern als abstrakte Projektion eben einer Deinition, die den Blick für die konkret existierende Natur verstellt, so dass diese quasi unkenntlich und daher verneint wird. In diesem Kontext warnt der Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume, als eine lakonische Parodie des klassiizierenden Denkens, davor, Natur durch Deinition, d.h. durch ein Übermaß an Rationalisierung, unkenntlich zu machen. Akazien wären in diesem Fall keine Akazien, da sie zum einen der angenommenen Vorstellung oder der „Erindung“ von Akazien nicht entsprechen und zum anderen nicht außerhalb dieses Konstruktes wahrgenommen werden können. Das Spätwerk Günter Eichs zeigt, wie an den beiden Gedichten des Bandes Anlässe und Steingärten erläutert, dass der Autor auch in seinem Vertrauen zu „Deinitionen“ vom Ernst zum „Blödsinn“ gedritet ist. Je strenger und lakonischer seine lyrischen Texte wurden, wodurch sie die frühen Prinzipien von Genauigkeit und Komprimierung umsetzten und dadurch gewisse Eigenschaten der Deinitionen annahmen, desto unsinniger schienen ihre Inhalte zu werden. Doch die Radikalität dieses lakonischen Nonsense macht unterschwellig Sinn und provoziert das Denken, sich von vorgefassten, erwarteten Urteilen zu distanzieren und somit lexibler zu werden. Es ist ein Schreiben „gegen den Leser“, das eigentlich für die Denkfreiheit eben desselben Lesers arbeiten soll. Oder auch für den Mut, sich neu zu entwerfen, wie der dazu anspornende Schluss einer seiner „Maulwürfe“ klingt: „Ihr Freunde in den Aschenwolken, wir wollen uns neu entwerfen“ 327. Auch zu einem Neuentwurf sind Deinitionen notwendig, doch, wie der späte Eich zu glauben scheint, muss dieser Neuentwurf bei den Deinitionen selbst beginnen, denn diese werden absurd, um paradoxerweise sinnvoll bleiben zu können. 326 Ebd. S. 419. 327 Eich: GW I. S. 383. 117 2.3. Harte Naturlyrik. Die lakonische Ode an die Natur Zu den Dichtern, die Eich besonders in seiner frühen Lyrik beeinlusst haben, gehört Georg Trakl. Trakl gilt, vor allem in seiner mittleren und späteren Lyrik, als ein Meister dessen, was Norberth von Hellingrath am Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Dissertation zu Hölderlins Pindar-Übersetzungen „harte Fügung“ nannte328. Die harte Fügung erzeugt nach Hellingrath eine besondere Spannung, weil sie die Worte so verbindet, dass das einzelne Wort - durch eine verdrehte Syntax, die gegen die glatten, logischen Zusammenhänge bewegt wird, z.B. in der Form der Anakoluthe, der Ellipsen und aller möglichen überraschenden Inversionen - hervorgehoben und vom Hörer intensiver erlebt wird. Diese Dichtung der harten Fügung mag, laut Hellingrath, im Vergleich zu jener der glatten Fügung in der traditionellen Reimdichtung, dunkler sein, dafür aber expressiver, und das gerade in ihrer dissonanten, an Bruch, Pause und Kontrapunkt orientierten Logik und Lautgestalt. Zu einer hart gefügten Sprache fand aber die deutsche Dichtung zunächst mit Klopstocks „wiedererfundenen“ antiken Metren: dem Hexameter und dem elegischen Distichon, die auf starken Mittelzäsuren, auf kühnen Wortgefügen und einer einzigartig verschlungenen Syntax basieren. Durch Goethe, Schiller und vor allem Hölderlin wurden bekanntlich diese Metren zu Bausteinen und Merkmalen der sogenannten Hochstildichtung, einer Poesie der „harten Fügung“. Georg Trakl hatte in dieser Hinsicht, der Poetik der harten Fügung, von Hölderlin gelernt und vor allem in der mittleren und späten Lyrik mit dieser herben Sprache auf eigene Art gearbeitet. Und zwar nicht nur weil er das hohe expressive Potential der antiken Metren erkannte, sondern auch aus einem modernen synästhetischen Gefühl für die lyrische Sprache heraus. Was Letzteres bedeuten könnte, haben Alfred Doppler und Walter Methlagl anhand der Musik gezeigt, nämlich, dass Trakl Musik und Musikformen nicht nur thematisiert, sondern musikalische Strukturen, wie z.B. jene der Sonate, sprachlich rekonstruiert: „Synästhetisch ist bei Trakl neben einzelnen Metaphern in besonderer Weise die Struktur der Gedichte, wodurch der Sprache ihre Alltagsbedeutung dergestalt entzogen wird, dass Sprache gegen ihre pragmatische Intention in Sprachmusik sich wandelt“, bemerkt Alfred Doppler329. „Sprachmusik“ bedeutet nun nicht allein Sprachmagie, sondern die Orientierung der poetischen Sprache an musikalischen Strukturen, an der „Grammatik“ einer Sonate oder dem Konsonanz und Dissonanz gleichwertig nebeneinanderstellenden Baugesetz der Musik Schönbergs330. Synästhetisch ist bei Trakl die Struktur der Gedichte aber auch, weil körperliche Bewegungen 328 Norberth Hellingrath: Pindar-Übertragungen von Hölderlin. In: Norberth Hellingrath: HölderlinVermächtnis. 2. vermehrte Aulage. München 1944. S. 25f. 329 Alfred Doppler: Die Lyrik Georg Trakls. Beiträge zur poetischen Verfahrensweise und zur Wirkungsgeschichte. Wien/Köln/Weimar 1992. S. 20. 330 Alfred Doppler: Georg Trakls musikalische Sprache und die Diskussion über das Verhältnis von Ton und Wort im Wien der Jahrhundertwende. In: Eugen hurnher, Walter Weiss, János Szabó und Attila Tamás (Hrsg.): „Kakanien“. Aufsätze zur österreichischen und ungarischen Literatur, Kunst und Kultur um die Jahrhundertwende. Wien/Budapest 1991. S. 313-330. 118 auf den Rhythmus übertragen werden, z.B. das blinde Tasten, um so ein intensiveres Gefühl für die sprachliche Dynamik und Kontur zu gewinnen und als Voraussetzung, unter anderem, auch für das Schreiben einer härteren Lyrik331. Vor allem in seiner Spätlyrik verweist schon das Schritbild auf eine besondere Dichte und Härte von Bild und Rhythmus. Die Pausen werden steiler, langatmige Verse, die in der mittleren Zeit noch auseinanderbrechende, harte Stellen melodisch überspielen konnten, werden fragmentiert und manchmal durch gewaltige Umstellungen intensiv bewegt: Doch stille sammelt im Weidengrund Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt Das vergossne Blut sich, mondne Kühle; Alle Straßen münden in schwarze Verwesung332. In Grodek gibt es zwar keine dem antiken oder Hölderlinschen Muster entsprechenden regelmäßigen Versmaße, dafür gibt es aber die harte Fügung einer verschlungenen Syntax, die sehr wohl dem griechischen Hexameter oder den Distichen charakteristisch ist und die hier von Trakl zur Steigerung der Dramatik dieses (Kampf)Bildes eingearbeitet wird. Dadurch wird eine regelrechte Tektonik des Textes sichtbar, die ebenfalls ‚hart‘ durch einen vorläuigen sentenzartigen Schluss zur Ruhe kommt: „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ Spannung und somit Härte sind bei Trakl ebenfalls durch das rhythmische Widerspiel von syntaktischer Gliederung und Versgrenze zu inden. Vor allem in der Spätlyrik verstärkt, wie Dieter Breuer meint, der kurze Vers diesen Efekt „bis zur rhythmischen Hervorhebung jedes Ausdrucks“ 333, z.B. im Gedicht Der Schlaf: Fremdling! Dein verlorener Schatten Im Abendrot, Ein insterer Korsar Im salzigen Meer der Trübsal. Aulattern weiße Vögel am Nachtsaum Über stürzenden Städten Von Stahl334. Für den jungen Günter Eich, der sich selbst 1965 als einen „verspätete(n) Expressionist(en) und Naturlyriker“ bezeichnet hat, ist Trakls Dichtung in Bild und Ton bis ins kleinste Detail vorbildlich. Sehr deutlich lassen sich in den frühen Gedichten typische Trakl-Bilder 331 Detailierte Untersuchungen dazu siehe in Cheie 2004. S. 69-76. 332 Georg Trakl: Sämtliche Werke und Briefwechsel. Innsbrucker Ausgabe. Bd. IV2. Historisch-kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschritlichen Texte Trakls. Hrsg. v. Eberhard Sauermann und Hermann Zwerschina. Frankfurt am Main/Basel: Stroemfeld/Roter Stern 2000. S. 337. Im Folgenden Georg Trakl: HKA angeführt. 333 Dieter Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte. München 31994. S. 306. 334 Georg Trakl: HKA. Bd. IV1. S. 24. 119 erkennen: „der blaue Herbst, der nachmittags an die Scheiben klopt“, Nächte voll „öder Sterne“ (Verse an vielen Abenden) oder „Mond und bittere Sterne“, die „jemand“ aus der Flut ischt (Ägyptische Plastik) – eine Allegorie, die an Trakls bei weitem bildkrätigeres Gedicht Ruh und Schweigen erinnert, usw. Auch die dunkle Semantik der Konjunktion „oder“ scheint bei Eich in Verse an vielen Abenden Trakl nachempfunden zu sein (siehe Sebastian im Traum) und ganz deutlich auch der pathetische Ausruf der Klage: „O mein anderer Leib! Im Augenblick des Todes / versteinten alle Dinge.“ (Erinnerung an mich selbst). Sogar die „harte Fügung“, wie auch das Widerspiel von syntaktischer Gliederung und Versgrenze, wird z.B. in einem Gedicht versucht, dessen Titel, Verse an einen Toten, an Trakls An einen Frühverstorbenen erinnert: „Hingehalten das Ohr / in die Musik“. Dass auch Hölderlin in der ersten Schafensperiode Eichs stillschweigend mitgedacht wurde, zeigt allerdings ofen, doch nun auch ironisch, ein Gedicht des sogenannten Kahlschlags, mit dem herausfordernden Titel Latrine, aus dem Band Abgelegene Gehöte, 1948. In diesem Gedicht lässt Eich „Hölderlin“ auf „Urin“ reimen: „Irr mir im Ohre schallen / Verse von Hölderlin. / In schneeiger Reinheit spiegeln / Wolken sich im Urin.“ Implizit ist es dadurch ein Abschiedsgedicht, in dem sich Eich von einer Poesie zu trennen versucht, die vor allem nach den Gräueln des 2. Weltkrieges in ihrer realitätsfernen Erhabenheit als überholt, ja gefährlich, weil die Realität verkennend, empfunden wurde. Stattdessen sollte man eine von falscher Schönheit kahlgeschlagene Lyrik schreiben, wobei Eich allerdings das einsame Beispiel dafür wurde. Zu einem richtigen Kahlschlag reichen aber die neuen Inhalte nicht, wenn die Form nicht auch radikal verändert wird. Sogar das berühmte Gedicht Inventur hat noch einen klar erkennbaren alternierenden Rhythmus, wie in der tradierten liedartigen Reimdichtung, es hat Spuren von Reim und weist Harmonisierungsversuche durch Alliterationen und Assonanzen auf, wie in der von Kahlschlag-Anhängern hetig bekämpten Poesie. 1947 will Eich zwar keine Verschönerung des Daseins mehr in der Dichtung, keine Dekoration, sondern Genauigkeit, wird das aber erst in den 60er Jahren, in den Bänden Zu den Akten (1964) und Anlässe und Steingärten (1966) konsequent einlösen können und zwar nach der Hinwendung zur Kürze, zu einer ironischen Lakonik als auszeichnendes Stilmittel eines komplexeren Kahlschlags. Diese Art von Lakonik wird die deutsche Dichtung auf einen bis dahin, mit Ausnahme eventuell des späten Brecht, nie gekannten lyrischen Härtegrad bringen. Im Folgenden werde ich das am Gedicht Ode an die Natur eingehender untersuchen, das zum ironischen Gedichtzyklus Lange Gedichte im Band Anlässe und Steingärten gehört. Mit dem Zyklus intendierte Eich zugleich einen originellen Beitrag zu der bereits zitierten Debatte der 60er Jahre um das kurze vs. lange Gedicht. „Jedes Gedicht ist zu lang“ meinte Günter Eich lakonisch 1965 335, ein Jahr nach dem Erscheinen des Bandes Zu den Akten, der eine radikale Wende zum reduzierten Gedicht im Werk Günter Eichs markierte. Im selben Jahr plädierte Walter Höllerer gerade für lange Gedichte und gegen das kurze hermetische, dem Höllerer „erzwungene Preziosität“, „Kurzatmigkeit“, „Dekoration“, die Tendenz zum „Schweigen“ und „Verstummen“ auf die Gefahr des „Hinstarrens“ und „Starrwerdens“ hin vorgeworfen hatte. 335 Eich: GW IV. 1973. S. 307. 120 Dagegen sollte das lange Gedicht, das „schon seiner Form nach politisch“ sei, die „republikanische“, weltofene Gegentendenz konstituieren336. Günter Eich reagierte, wie erwähnt, auf diese Debatte mit einem ironischen Zyklus von kurzer und Kürzestlyrik, mit dem Titel Lange Gedichte, im eben zitierten Gedichtband Anlässe und Steingärten, erschienen 1966 337. Wieviel Energie und verborgenen Sprengstof seine ironische Lakonik in diesem Zyklus verbergen konnte, soll hier exemplarisch am Gedicht Ode an die Natur gezeigt werden. Der kurze Text der Endfassung lautet, befremdend lakonisch: Wir haben unseren Verdacht gegen Forelle, Winter und Fallgeschwindigkeit.338 In der ursprünglichen Fassung war das Gedicht länger und expliziter: Ich habe meinen Verdacht vor (Holunder und) Forelle (, vor Sommer) und Winter und vor der Fallgeschwindigkeit. (Ich will mit Menschen leben. Noch ihr schrecklichstes Wort ist besser als die Sprache der Schöpfung.) Ich will leben ohne Einverständnis.339 336 Walter Höllerer: hesen zum langen Gedicht. In: Ludwig Völker (Hrsg.): Lyriktheorie. Texte vom Barock bis zur Gegenwart. Stuttgart 1990. S. 402-404 passim. 337 In der Eich-Forschung wird zugleich, mit Rücksicht auf Eichs Interesse für die fernasiatische Kultur, die er 1962 auf einer Lesereise auch unmittelbar kennenlernte, auf die Beziehung dieses Zyklus’ zum ZenBuddhismus, zur Zen-Meditation und jene der Gedichtformen zum japanischen Haiku verwiesen. Siehe: Yamane Keiko: Asiatische Einlüsse auf Günter Eich. Frankfurt am Main 1983. passim; Sabine Alber: Der Ort im freien Fall. Günter Eichs Maulwürfe im Kontext des Gesamtwerkes. Frankfurt am Main u.a. 1992. S. 77-81. Wir stimmen teilweise dieser Interpretation der „Langen Gedichte“ zu. Schon zur Zeit des späten Expressionismus stellte die Entdeckung der japanischen Haiku-Dichtung einen Weg zur Lakonik im Gedicht dar und Eich bezeichnete sich selbst als einen „verspätete(n) Expressionist(en)“, dazu noch als einen der Sinologie studiert hatte. In Anbetracht aber der allgegenwärtigen, trotz des leisen Tons intensiven Ironie dieses Zyklus’ muss man auch von der Idee einer subtilen Auseinandersetzung mit den Gattungsdebatten dieser Zeit ausgehen. Wie viele andere Streitgespräche der 60er Jahre, die vorgefertigte Antworten, Normatives, ästhetische und politische Rezepte aufzustellen versuchten, müsste auch dieser Streit um das lange und kurze Gedicht den Eich nach der Büchner-Preis-Rede aus dem Jahr 1959 irritiert haben. Seine „Langen Gedichte“ könnten somit auch als eine ironische Antwort auf den Unsinn dieser Debatten, die dem Dichter vorschreiben wollen, wie er seine Gedichte zu verfassen habe, interpretiert werden. 338 Eich: GW I. S. 175. 339 Eich: GW I. S. 504. 121 Dem ursprünglichen Naturlyriker der Lehmann-Schule ist die Natur suspekt geworden. Allerdings ist in Anlässe und Steingärten der misstrauische Blick auf die Natur und die Verweigerung des Einverständnisses mit ihr das Ende einer Entwicklung, die schon in Botschaten des Regens ansetzt340. Natur birgt den Tod in sich, in der „Sprache der Schöpfung“ drückt sich eine absurde Zeitlichkeit aus, die der Autor auch in seiner frühen Lyrik beklagt. Nichts Neues also diesbezüglich, die ursprüngliche, mehr oder weniger leise Klage darüber erfährt aber durch die lakonische Verwandlung ihres Ausdruckes eine andere, zunächst be- und verfremdende Stringenz. Lakonisch bedeutet hier nicht nur eine extreme Verkürzung der Aussage auf einen Dreizeiler, dessen Inhalt in frappierendem Kontrast zu einem doppelten Titel, des Gedichts und des Zyklus’, steht, sondern auch eine drastische Veränderung des Tons. Nichts von dem schrofen, abrupten Ton und der sentenzhaten Alltäglichkeit der Wortwahl in der Eichschen „Ode“ lässt noch die von Goethe, Schiller oder Hölderlin tradierte Hochstildichtung erkennen. Hier wird kein Loblied auf die Natur, kein pathetischer Hymnus über die Ergrifenheit des Ichs angesichts natürlicher Phänomene mehr angestimmt. Kürze soll nicht mehr, wie etwa in Hölderlins „epigrammatischen Oden“ Kennzeichen für Erhabenheit sein, sondern, wie Knörrich meint, ein Ausdruck der Ernüchterung341. Eichs „Ode“ scheint demonstrativ kurz und ebenso demonstrativ trivial wie die unpersönliche Schlussfolgerung einer aufmerksam betriebenen Untersuchung zu sein, die auf möglichst überzeugende Objektivität aus ist. Präzision, das Gedicht als Präzisierung einer Erfahrung, soll nach Eich in der Lyrik angestrebt werden342, wie bereits weiter oben eingehender erläutert. Dichtung als „Deinition“ hat allerdings bei Eich eine gerade in den 60er Jahren besonders prägnant autretende ironische, ja absurde Form. Texte wie Und und Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume, die demselben Gedichtband wie Ode an die Natur angehören, setzen Genauigkeit ironisch ein, verwirren durch anscheinend absurden Gebrauch der Konjunktion, des logischen Schemas der Deduktion und der extrem konzentrierten Aussage. Kritisch und herausfordernd wird für Eich das Problem der Artikulationsmöglichkeiten des Denkens, wie auch jener der Sprache, so zum Beispiel die mehrfach 340 Vgl. Schafroth 1976. S. 48: „Dass Natur Feindseligkeit bedeutet und nicht mehr lockendes, manchmal irritierendes, aber meist tröstliches Geheimnis, ist die neue Erfahrung des Gedichtbandes Botschaten des Regens“. 341 Vgl. Otto Knörrich: Die Ode. In: Knörrich (Hrsg.) 21991. S. 278-279 zur Ode in der modernen Literatur: „Dabei geht es immer nur um die Parodierung oder Destruierung der Gattung, um den Widerruf ihrer ideologischen Implikate wie z.B. in der folgenden Ode an die Natur von Günter Eich […]. Die Verdächtigung der Natur, bei deren Anblick dem zeitgenössischen Skeptiker nicht immer geheuer ist, richtet sich gleichermaßen gegen ihre Geschöpfe (und seien sie so harmlos wie die Forelle) wie gegen ihre jahreszeitlichen Abläufe und ihre Gesetze. So kann sie nicht länger Gegenstand einer erhabenen Schreibweise werden, und Kürze ist nicht mehr deren ‚anerkanntes Kennzeichen‘, sondern die formale Alternative dazu: Reduktion, Lakonismus als Ernüchterung.“ Knörrich spricht auf S. 278 von der Aufassung Hölderlins: „Kürze ist ein anerkanntes Kennzeichen der Erhabenheit“. 342 Schon 1949 schreibt Eich: „Entscheidend scheint mir die Genauigkeit. Valéry ist genau und unverständlich, ähnlich wie ein Lehrbuch der Atomphysik.“ Eich: GW IV. 1973. S. 395. Diese Position nimmt jene der bekannteren Rede Der Schritsteller vor der Realität, aus dem Jahr 1956, vorweg. Dort spricht Eich von Gedichten als „trigonometrische Punkte“, „Bojen“, „Deinitionen“. 122 thematisierte Verbindung durch „und“. Unter diesen kontextuellen Voraussetzungen könnte auch das „Und“ in der Ode an die Natur lediglich ironisch die Welt begreibar machen, d.h. eigentlich dem Leser einen absurd wirkenden Denkautrag geben. Denn worin soll der verdächtigungswürdige gemeinsame Nenner von Forellen, Winter und Fallgeschwindigkeit liegen? Und das noch in einem Gedicht, das, laut Titel, die Natur zu loben vorgibt, in welchem stattdessen aber von einem unpersönlich-autoritären „wir“ ihre Tierwelt, Jahreszeiten und physikalischen Gesetze angezweifelt werden. Die Naturlyrik der Langen Gedichte wurde von einem Teil der Forschung in Beziehung zu Brechts Mahnungen und kritischen Vorbehalten aus den Gedichten An die Nachgeborenen und Schlechte Zeit für Lyrik gegenüber der Naturdichtung gesetzt.343 Andere sahen darin weniger Kritik als vielmehr einen paradoxen Ausdruck fernöstlicher Weisheit.344 Kritik oder Meditation? Bevor man aber auf externe Modelle zurückgreit, müsste man sich die zwei größeren Text-Einheiten, jene der Textgeschichte und jene des Zyklus’, zu dem dieses Gedicht gehört, eingehender vergegenwärtigen. Die ursprüngliche Fassung des Gedichts beinhaltet in der ersten Strophe schon die Endfassung sowie minimale Variationen: „Holunder“ zu „Forelle“ und „Sommer“ zu „Winter“. Die Variationen dehnen den Verdacht auch auf die Flora aus und lassen ihn schließlich als quasi allumfassend erscheinen, einen Verdacht gegen Tier- und Planzenwelt, den jahreszeitlichen Ablauf und die physikalischen Gesetze, nach denen die gesamte Schöpfung funktioniert. Die zweite Strophe bringt, nach der negativen, verweigernden Geste der ersten, eine entschieden positive, airmative: „Ich will mit Menschen leben“, die, im Unterschied zur ersten, dieses Mal begründet wird: „Noch ihr schrecklichstes Wort / ist besser als die Sprache der Schöpfung.“ Bekanntlich deinierte Eich 1956 Wirklichkeit als Sprache, so dass sich in der „Sprache der Schöpfung“ zugleich ihre Wirklichkeit ausdrückt.345 Das lässt nun den Rückschluss zu, dass die „Schöpfung“ suspekt geworden ist, da ihre „Sprache“ schrecklicher sei als jene des Menschen. Wobei Eich zu dieser Zeit auch die Sprache des Menschen als eine höchst kritisierbare ansah. In seiner Büchner-Preis-Rede 1959 hatte Eich gerade die schreckliche Sprache der Menschen als eine der Manipulation, der vorgefassten und aufgezwungenen Antworten bloßgestellt. Von der Dichtung erhote sich Eich eine Gegensprache zu jener der Macht. Sie müsse exakt sein, da das Vage nur zur Verharmlosung und Verdrängung dienen könne, meint der Dichter 1959. Sie, die Sprache der Dichtung, müsse ebenfalls überraschen, 343 Z.B. Susanne Müller-Hanpt, die ein Gedicht wie Vorsicht: „Die Kastanien blühn. / Ich nehme es zur Kenntnis, / äußere mich aber nicht dazu.“, in die Nähe von Brechts Versen: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“ und: „In mir streiten sich / Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum / Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers. / Aber nur das zweite / Drängt mich zum Schreibtisch.“ setzt. Müller-Hanpt 1972. S. 165-166. 344 Siehe Anm. 337. 345 Eich: GW IV. 1973. S. 441: „Ich bin Schritsteller, das ist nicht nur ein Beruf, sondern die Entscheidung, die Welt als Sprache zu sehen.“ Damit ist nicht nur die Welt der Natur, sondern auch jene des Menschen gemeint. 1959 wird er in seiner Büchner-Preis-Rede die zeitgenössische Wirklichkeit der Menschenwelt als eine der Sprachlenkung kritisieren. 123 erschrecken und zugleich unwiderleglich sein, die Krat haben, „Einverständnis zu erwecken“ 346, aber auch jene, Einverständnis zu kritisieren, in Frage zu stellen, wo es unrelektiert erscheint. 1962 zählt er in einer Aufzeichnung auch das Schweigen zu dieser neuen Sprache hinzu: „Ich muss also schreiben, dass die Worte das Schweigen einschließen, d.h. es muss zwischen den Zeilen ebensoviel geschehen wie in den Zeilen.“ 347 Das kann für einen kritischen, engagierten Diskurs befremdlich klingen. Doch in den späten 60er Jahren kommt Eich mehrmals erläuternd auf dieses Schweigen zurück. Die verschwiegenere Sprache sei zugleich eine karge, stenogrammartig verkürzte, die jedem rhetorischen Schmuck, wie malenden Adjektiven, entsagt348 und sich schließlich ins Nichtvernüntige, Anarchische hineinbewegt, um der Manipulation durch die Macht zu entkommen.349 Die lakonische Sprache der Dichtung kann somit zugleich eine absurde sein, um dadurch Kritik, Verneinung, Nichteinverständnis und Flexibilität zu signalisieren.350 Es ist eine harte, aber semantisch äußerst bewegliche Sprache, die vor „Zementierungen“, vor Klischees schützen soll. Zugleich ist es eine Sprache „gegen das Einverständnis mit der Welt, nicht nur mit dem Gesellschatlichen, sondern auch mit den Dingen der Schöpfung, die ich also ablehne“ 351, schreibt Eich 1967. Und begründet: „Ich bin in diesem Sinne auch gegen das Nichtänderbare“ 352. Zum Nichtänderbaren gehört für den späten Eich auch die Natur. 1971 schreibt der frühere Naturdichter: „Heute akzeptiere ich die Natur nicht mehr: wenn sie auch unabänderlich ist. Ich bin gegen das Einverständnis der Dinge in der Schöpfung“ 353 und das wohl wissend, dass die Opposition gegen das Establishment der Schöpfung wenig Sinn haben kann. Wenig Sinn für die Schöpfung selbst, nicht aber für den über sie meditierenden und sich durch diese Meditation verändernden Menschen. Denn das „Nichtmehreinverstandensein“, das auch in der Erstfassung der Ode an die Natur quasi als Schlussfolgerung erscheint, ist zwar eine Verneinung der natürlich-unabänderlichen, grausam-klischeehaten Ordnung der Schöpfung, der der Mensch machtlos ausgeliefert ist, zugleich aber eine feste, sogar aggressiv klingende Entscheidung354 für Flexibilität im Denken, für ein Denken in Alternativmodellen. Suspekt ist also die Sprache der Natur, weil sie als unabänderlich empfunden wird, ihr Establishment zementierter als die Sprache des Menschen. Sie wirkt dadurch „schrecklicher“, angsterregender als jene des menschlichen Geschlechts. Gegen ihre schreckliche Wirklichkeit setzt Eich seine neue Sprache ein: kurz, genau, überraschend und erschreckend. Unwiderleglich wird sie erst durch eine weitere Verkürzung auf die ursprüngliche erste Strophe. 346 347 348 349 350 351 352 353 354 124 Eich: GW IV. 1973. S. 447. Ebd. S. 306f. Ebd. S. 406f. Ebd. S. 408f. Ebd. S. 409: „Ich sehe meine politische Funktion in der Möglichkeit, eine Zementierung zu verhindern. Das scheint mir im politischen Sinne eine wichtige Sache zu sein, dass die Sprache im Fluß bleibt, dass sie nicht für reaktionäre Parolen verwendet werden kann.“ Ebd. S. 410. Ebd. S. 410. Ebd. S. 415. Ebd. S. 415: „Aggression ist mir sympathisch“, schreibt Eich 1971. Denn zum Einspruch fehlt dem Leser der Grund. Er wird schließlich nur mit einer apodiktisch angeführten Schlussfolgerung, einer sentenzhaten Antwort konfrontiert, die durch den starken Kontrast zum Titel Fragen aufwirt und auch starke Wertungen provoziert. In dem 1957 entstandenen Gedichtzyklus Fortsetzung des Gesprächs, demselben Band wie Ode an die Natur einverleibt, schreibt Eich „mit List / die Fragen aufspüren / hinter dem breiten Rücken der Antwort.“ Diese List kann sehr wohl in der demonstrativen Lakonik der Antwort selbst wirken. Das gehört aber auch allgemein zum Charakter des Lakonischen. In ihrer pointierten und abrupten Gelassenheit durchkreuzen lakonische Reden ot beim Hörer oder Leser dessen Erwartungen von Emphase und Ausführlichkeit, können Wertungsneutralität vortäuschen und dabei starke Wertungen provozieren355. Von Gelassenheit kann aber bei Eich eher als sprachliche Maske, die gerade durch die karge lakonische Form erzielt wird, gesprochen werden. Die dazu notwendige „Unterkühlung“ der Rede erreicht Eich erst in der Endfassung durch die Reduktion des Textes auf die erste Strophe der ursprünglichen Fassung und vor allem durch das Streichen der emotional geladenen Option für den Menschen und gegen die Natur. Lakonik gilt schon in der Antike als Ausdruck des verhaltenen Gefühls und somit des reifen Alters, wie schon bei Quintilian erwähnt wurde356. Geplegt in den philosophisch-literarischen Formen der Apophtegmata, Gnomen, Epigramme entwickelte sich der Lakonismus, wie bereits erläutert, zu einem würdevollen und weisen Stil des scharfsinnigen Intellekts bis ins 19. Jahrhundert. Im 19. und 20. Jahrhundert setzten sich vor allem die relexiven Gattungen des Aphorismus und des Haiku als Modelle für die Dichtung durch, was den unsentimentalen, abstrakten oder objektiven Charakter lakonischer Poesie noch mehr betonte. Die lakonische Dichtung wäre somit, in moderner Sicht, eine kühle, gelassene Gehirnlyrik. Doch ist sie das tatsächlich? Karl Krolow schon traute dieser Gelassenheit in der deutschen Lakonik nicht und dies mit gutem Grund. In seinem Essay Über das Lakonische in der modernen Lyrik betrachtet Krolow die deutsche Poesie als „ein Produkt der Strapaze, der überanstrengten Sensibilität“ 357, welche zum Verbrauch der Emotion und schließlich zu einer blassen Dichtung führt. Das lakonische deutsche Gedicht ist, nach Krolow, keine Ausnahme diesbezüglich, sondern „bei den Amerikanern zwangsläuig, bei uns aus einer Abwehr heraus und also in einer neuen Anstrengung geschafen, betont anti-poetisch in einem verbissenen Sinne“ 358. Es gehört also viel Gefühl dazu, eine Form zu schafen, „die in zunehmendem Maße Gefühle drosselt“ 359. Die Gelassenheit der trocken-lakonischen Form ist laut Krolow ein Produkt der Verbissenheit, der Reizung. Eichs Ode an die Natur bezeugt das in ihrer ersten Fassung. Sie ist jener unterdrückte Schrei, den Krolow z.B. beim französischen Dichter Michaux entdeckt360. 355 356 357 358 359 360 Vgl. Meyer 2001. S. 72f. Quintilianus 31995. S. 559. Krolow 1964. S. 86. Ebd. S. 99f. Ebd. S. 103. Ebd. S. 94. 125 Bei Eich ist es der unterdrückte Schrei der Verweigerung des Einverständnisses, den er in der Endfassung endgültig drosselt. Doch die Geschichte des Textes zeigt unmissverständlich, dass hinter der zur Schau gestellten kühlen Intellektualität dieser Gehirnlyrik eine ot vehemente, pathetische Sensibilität steht. Mit der Hetigkeit der Verweigerung in den letzten zwei Strophen der Ode bemüht sich Eich eigentlich um jene Unwiderleglichkeit der poetischen Rede, die er dann doch erst durch die Verkürzung oder Lakonisierung des Textes in der Endfassung erzielt. Damit scheint man aber erneut auf einen Widerspruch zu stoßen, denn Eich ist ja jener Dichter, der mit seiner Sprache gegen „zementierte“ – das bedeutet auch unwiderlegliche – Einstellungen, Antworten und (Natur)Prozesse kämpte. Wie kann man also eizient manipulative Erstarrung mit poetischer Unwiderleglichkeit auheben? Die Langen Gedichte weisen auf eine ironisch-absurde Travestie als Lösung hin, beginnend schon mit dem Titel des Zyklus’. Neuere, aber vor allem konsekrierte Formen der Literatur und Philosophie, wie Ode, Aphorismus oder Syllogismus werden von Eich in diesem Zyklus ironisch-absurd umgedeutet und dadurch neu belebt. So zum Beispiel in dem schon besprochenen Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume, in dem Eich deutlich genug die Form des logischen Schlusses, des Syllogismus und zugleich deduktive Sprachklischees der Wissenschat oder der Verwaltungssprache dekonstruiert361: Oder die Form des Aphorismus in den Formeln: „Was ich weiß, geht mich nichts an“ 362. In diesem allerdings ernsten Spiel mit den altbekannten und verehrten Gattungen des Denkens, die zugleich aber Wissen oder Erkenntnisse klischeehat ixieren können, liegt ein Teil des verborgenen Sprengstofs der ironischen Lakonik Eichs. Auch die Ode an die Natur kann, vor dem Hintergrund solcher Relativierungen des tradierten philosophisch-literarischen Establishments, als eine Travestie des antiken Lobliedes gelesen werden. Sie soll, in der ungewöhnlichen Härte ihres Ausdrucks und ihrer semantischen Bezüge, den Weg für ein neues, lexibleres und 361 Es mag sein, wie Kohlroß bestrebt ist zu beweisen, dass dieses Gedicht von einem neuen Wahrheitsbegrif der Naturlyrik proitiert, den Eich allmählich in seiner späten Dichtung erschließt, hier indem er zeigt wie die Logik der Natur der ‚Natur‘ der Logik, d.h. ihrem abstrakt-formalen Wesen, widerspricht. Doch die Annahme: „Diese Sprache, das Dogmatische an ihr, parodiert die lyrische Rede“ Kohlroß 2000. S. 188, lesen wir – aufgrund benachbarter Texte des Zyklus in denen die lyrische Rede zwar auch sich selbst parodiert aber auch die Rede der Philosophie, Wissenschat, Verwaltung - eher umgekehrt. 362 Eine interessante und in vielem trefende Interpretation der Formeln Eichs leistete in der neueren Forschung Sigurd Martin in: Die Auren des Wort-Bildes. Günter Eichs Maulwurf-Poetik und die heorie des versehenden Lesens. St. Ingbert 1995. Sie betrachtet die Formeln als Text-Monaden und Sammellinsen, die die späte Lyrik Eichs mit den Maulwürfen verbinden, „Textschnipsel, welche sich Texten jeder beliebigen Gattung einpassen lassen“ (S. 247) und mögliche Aphorismen laut der Deinition Frickes, d.h. Kürzesttexte, „welche Zerstückelung mit dem Anspruch der Exaktheit verknüpfen; sie sind präzise und ofen zugleich.“ S. 248. Für viele der Formeln in Eichs Spätwerk stimmt das zweifelsohne, doch gerade bei der hier angeführten Formel kann man eine ironische Auseinandersetzung mit dem Aphorismus nicht ausschließen. Die pointierte und paradoxe Struktur deutet, ebenfalls laut Fricke, darauf. (Siehe Art. Aphorismus in HWR. Bd. I (A-Bib). Darmstadt 1992. S. 773-790 passim). Doch gilt üblicherweise der Aphorismus als Gattung weiser Sprüche, so beinhaltet die Form hier, bei Eich, Unsinniges. 126 daher glaubwürdigeres „Einverständnis“ mit der Naturlyrik ebnen. Der ironische Lakonismus, der sich ab dem Band Zu den Akten durchsetzt und für die folgenden und letzten Gedichtbände Eichs, Anlässe und Steingärten und Nach Seumes Papieren charakteristisch bleibt, ist dafür, sogar wörtlich genommen, tonangebend aber auch stilprägend. In diesem Sinne kann man Schafroth sehr wohl recht geben in seiner Behauptung: „Die drei letzten Gedichtbände sind in der Tat Eichs eigenständigste und unverwechselbarste“ 363. Eichs späte Lyrik neigt dazu, wie an den bereits erwähnten Gedichten des Zyklus’ Lange Gedichte ersichtlich ist, das (metaphorische) Sprachbild, welches bei Trakl, seinem ehemaligen Vorbild, noch so präsent ist364, durch eine sentenzhate relexive Äußerung, eine „Deinition“ zu ersetzen, eine allerdings ironische. Bei beiden Dichtern erhärtet sich jedoch die Poesie auf dem Weg zu ihrem späteren und reifen Ton, für den beide Lyriker – wie quasi Blinde – ein neues Gefühl für die Sprache entwickelt haben. Bei beiden Dichtern geht dieser Weg über eine durch harte Fügungen und Lakonik strapazierte „Semantik der Form“ 365. So kommt es beim späten Trakl zu einer dramatisch-dichten Tektonik der Sprache, bei Eich zu geladenen Konzentraten, die beim Leser den Eindruck trockener Härte hinterlassen. Warum musste aber die der Musik vielleicht am nächsten stehende Kunst, die Lyrik hart werden? Betrachten wir es im Kontext der Epoche, aus demselben Grund aus dem die „schönen“ Künste Mitte des 19. Jahrhunderts „hässlich“ zu werden begannen, als die tradierte „Schönheit“ zunehmend als falsch, weil überlebt, nicht authentisch und realitätsgetreu, und schließlich auch als nicht expressiv empfunden wurde. So musste, mutatis mutandis, auch Trakl, dem die Welt entzweibrach, der „Wohllaut“ dissonant und hart werden. Um vieles mehr dann auch Eich, der es aufgegeben hatte, ja dagegen begehrte, die Schöpfung in dauernder und „zementierter“ Harmonie erfahren zu wollen. Allerdings kann die hart gewordene Poesie, so wie auch die „verhässlichte“, santen Wohllaut und lyrische Schönheit neu entwerfen, eine Schönheit die, auch rhetorisch ungeschminkt und reimlos, tiefgründig und aufwühlend sein kann, wie, z.B. jene einer „Einladung zum Jasmintee“ bei dem „stilleren“ Lakoniker Reiner Kunze: Treten Sie ein, legen Sie Ihre traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen366. 363 Schafroth 1976. S. 127. 364 Im Falle Trakls hat man diesbezüglich sogar erwogen, den Begrif „Bild“ statt „Chifre“ oder „Metapher“ einzuführen. Siehe Kathrin Pisterer-Burger: Zeichen und Sterne. Georg Trakls Evokationen lyrischen Daseins. Salzburg 1983. S. 28. 365 Ich gebrauche diesen Ausdruck in der Aufassung Dieter Lampings in: Lamping 32000. passim. 366 Reiner Kunze: Sensible Wege und frühe Gedichte. Frankfurt am Main: Fischer 1996. S. 105. Im folgenden Kunze: Sensible Wege abgekürzt. 127 3. „Es ist was es ist“. Erich Frieds Lakonik der Tautologie In einem kurzen Essay zum bekannten Liebesgedicht Frieds Was es ist beschreibt Ulla Hahn den Verfasser als „de(n) geborene(n) Erklärer. Jedes seiner Gedichte ist ein immer neuer Anlauf, sich und anderen die Welt zu erklären“ 367. Auch die Liebe, obwohl Liebe eigentlich nicht erklärt werden will, sondern nur erfahren, erlebt, worauf dieses Gedicht tautologisch, mit dem Scheitern des Deinierens also, zeige, so Hahn. Diese Interpretation baut auf den schlechten Ruf von Tautologien, dasselbe lediglich doppelt zu sagen und so der logische Ausdruck einer „leeren Wahrheit“ zu sein. Trotzdem scheint bei Fried gerade die Tautologie der personiizierten Liebe deren denkwürdigste und aufschlussreichste Deinition zu sein. Sie wird zum rätselhaten und nachdrücklichen Leitmotiv des Gedichts und gibt dadurch dem Leser einen subtil angedeuteten Denkautrag. Liebe ist, „was es ist“. Doch was? Zeigt die Wiederholung auf eine grundsätzliche Undeinierbarkeit der Liebe oder ist sie ein lakonischer Hinweis auf Verschwiegenes? Erfüllt die Tautologie die Funktion eines rainierten Superlativums? Das wiederum könnte auf eine biblische Hermetik der Tautologie verweisen, die Fried umfunktionierend zu einer redundanten, wie vielsagenden Selbstbeschreibung der Liebe einsetzt. Jedenfalls sind Tautologien in verschiedenen Formen für den österreichischen Dichter besonders attraktiv. Dieser impliziten Meinung ist vor allem Alexander von Bormann, der sich mit der Tautologie und ihrer befremdenden Funktion bei Fried in mehreren Aufsätzen auseinandersetzt. Prinzipiell gehört diese für Bormann zum rhetorischen Figurenrepertoire einer Dichtung, die sich von der Bildlichkeit zur „Wörtlichkeit“ entwickelt368. Ihre Funktion bei Fried, glaubt Bormann, besteht darin, auf einen gescheiterten Dialog des Subjekts mit einer als Text aufgefassten Wirklichkeit aufmerksam zu machen, denn „die Worte, die für eine Wirklichkeit stehen sollen, trügen; Fried hebt das als Misslingen des Wortvertrauens, ‚tautologisch‘, hervor“ 369. Außerdem gebe die Tautologie „auch die Grenzen des Wortemachens an“ in einer Sprache, die „nicht eitel werden“ will370. Die Tautologie wäre demnach, in Frieds Lyrik, Kennzeichen einer verlogenen, zugleich aber auch einer realistischen, nüchternen Sprache. Ihre denunziatorische 367 Ulla Hahn: Es ist möglich. In: Volker Kaukoreit (Hrsg.): Gedichte von Erich Fried. Stuttgart 1999. S. 12. 368 Vgl. Alexander von Bormann: „Ein Dichter, den Worte zusammenfügen“. Versöhnung von Rhetorik und Poesie bei Erich Fried. In: Text + Kritik. Het 91. Juli 1986, insbesondere S. 19-20. Explizit dazu auf S. 20: „Die Tautologie, die dasselbe mit demselben sagt, ist eine sehr spezielle Form von Wörtlichkeit.“ 369 Ebd. S. 19. 370 Ebd. S. 20. 129 Absicht entdeckt Bormann exemplarisch im Gedicht Die mit der Sprache, wo sie die Leere der Emphase, also des nachdrücklichen Sprechens von großen Gegenständen, aufzeigt371. „Von der Inhumanität der Tautologie“ berichtet Alexander von Bormann in Bezug auf das Gedicht Verschlechterung, wo der „Tautologismus der Verben“, d.h. ihr doppeltes Nennen am Ende und dann am Anfang der folgenden Verszeile, „die Weigerung anzeigt, ihrem Inhalt genauer nachzudenken. Es ist schematisierter Sprachgebrauch, die Worte werden Formeln“ 372. Tautologien degradieren hier somit die Sprache zu leeren Klischees. Die Kehrseite davon beschreibt der Kritiker aufgrund des Gedichts Was es ist. In dem durch seine Allegorien barock anmutenden Liebesgedicht wird die Tautologie, nach Bormann, hymnisch-pathetisch, ein Ausdruck, der „über alle Resignation erhaben ist, eher so etwas wie Triumph und Jubel verströmt, für ein unableitbares Recht steht“ 373, also eine die Liebe feiernde Sprachform und zugleich „eine Absage an übersetzendes Reden“ 374 bedeutet. In dieser letzten Funktion entwickelt sie sich, laut Bormann, zu einer Gegenrede, die „auf die Grenzen der Worte hin(weist), hat Wortmacht als Machtwort erkannt und weiß dem zu begegnen, ganz ,einfach‘, indem sie die Großwörter für sich stehen lässt“ 375. Zusammenfassend bemerkt Bormann in einem späteren Artikel über Erich Fried und die europäische Moderne376, behaupte sich die Tautologie bei Fried als „eine ambivalente, letztlich paradoxe (antidialektische) Figur“, die wie auch beim Paradoxon, durch das inhaltlich-formale Motiv eine „Krat zur Nicht-Versöhnung“ entwickle. Die Nähe der lakonischen Tautologie zum Paradoxon bei Fried ist bedeutend, denn sie verweist auf ein mehr oder minder unaufälliges Sprachverhalten der Ambivalenz, das in der Tat aus der subtil konservierten semantischen Spannung eine besondere Krat, eine Intensität, ja Autorität der Aussage entwickeln kann. Mit positivem oder negativem Vorzeichen, hymnisch oder formelhat, pathetisch oder kritisch, Tautologien gehören bei Fried zu einer Hermetik der „Wörtlichkeit“, die Sinnvolles in eine Extremform des Erklärens kleidet, um den Leser auf eine scheinbar zugänglichere Weise als jene der Chifren und absoluten Metaphern zum Nachdenken anzuregen. Wichtig erscheint mir dabei, vor dem Anpassen dieser Redeigur an verschiedene Inhalte, ihre Leistung „an sich“ sozusagen und ihre Anpassung an Frieds poetisches Denken. Was sind also Tautologien? Was könnte sie für dichterisches Denken attraktiv machen? Tautologien werden von der Logik als analytische Urteile deiniert, denn Analysen fügen dem beschriebenen Begrif keine neuen Informationen hinzu, sondern 371 Vgl. Alexander von Bormann: Dichtung zwischen Pathos und Kritik – die Bedeutung des Als-ob. In: Volker Kaukoreit (Hrsg.): Gedichte von Erich Fried. Stuttgart 1999. S. 31-40 passim. 372 Alexander von Bormann: Von der Inhumanität der Tautologie. In: Kaukoreit (Hrsg.) 1999. S. 41-49 passim, hier zit. Stellen auf S. 44 und 47. 373 Alexander von Bormann: Von der Humanität der Tautologie. In: Kaukoreit (Hrsg.) 1999. S. 51-60, zit. Stelle auf S. 52. 374 Ebd. S. 59. 375 Ebd. S. 60. 376 Alexander von Bormann: Erich Fried und die europäische Moderne. In: Austriaca. Cahiers Universitaires d’Information sur l’Autriche. Hrsg. v. Gerald Stieg u. Paul Pasteur. Octobre 2001. Université de Rouen. Centre d’Etudes et de Recherches Autriciennes. S. 9-21, hier 18. 130 zerteilen lediglich das Bestehende in feinere Unterschiede, wie es z.B. mathematische Gleichungen veranschaulichen: 4 = 2 + 2. Tautologische Urteile gelten in der Wissenschat daher nur als erläuternd, nicht aber als erkenntniserweiternd. Sie sind stets wahr, unabhängig von den Wahrheitswerten ihrer Bestandteile, haben somit einen axiomatischen Wert, was ihrer Form eine besondere Stringenz verleihen kann. Als Deinitionen repräsentieren sie einen Extremfall der Zirkularität, wenn Deiniendum, also das deinitorisch zu Bestimmende, und Deiniens, d.h. dem Bestimmenden, gleich sind, z.B. „Ein Kreis ist ein Kreis“. Allerdings werden sowohl für die Logik, wie auch für die Stilistik nur die scheinbaren Tautologien sinnvoll eingesetzt. Scheinbare Tautologien sind vorwiegend semantische Redeiguren, in deren Fall demselben wiederholten Wort eine unterschiedliche Bedeutung zugeordnet wird, was intensivierend und denkanregend wirkt. In seiner Deinition besteht Gero von Wilpert auf dem Unterschied zum Pleonasmus: Während die Tautologie eine „Bezeichnung desselben Begrifs, Gedankens oder Sachverhalts durch dasselbe oder besonders mehrere gleichbedeutende Worte zum Zweck stärkerer Eindringlichkeit“377 sei, füge der eingliedrige Pleonasmus nur Überlüssiges, weil Selbstverständliches hinzu. Im Unterschied also zum platten, hillosen Pleonasmus (z.B. „nasser Regen“; „hörbare Musik“), der eindeutig als Defekt empfunden wird und nur eventuell durch ironischen Gebrauch poetisch zu rehabilitieren wäre, kann die Tautologie sehr wohl als Ausdruck der Emphase, d.i. der Hervorhebung fungieren. Ihre nachdrückliche Redundanz ist gestisch, auf Verschwiegenes verweisend. Alexander von Bormann spricht von der Humanität und der Inhumanität der Tautologie bei Fried, obwohl die Tautologie eigentlich an sich weder als human, noch als inhuman gewertet werden dürte. Sie ist aber das wahrscheinlich lapidarste und gewaltigste Vehikel zur Hervorhebung eines Gedankens, denn Tautologien haben, wie bereits erwähnt, die Stringenz axiomatischer Setzungen. Bormanns Erwägungen zum Liebesgedicht Frieds ist daher entgegen zu halten, dass derartige tautologische Ausdrücke nicht nur andere „Großwörter“ als leere Machtwörter in die Schranken weisen. Sie haben selbst ein Machtwort zu reden, auch wenn dieses viel weniger explizit ist als andere. Sie versprachlichen durch ihre Nachdrücklichkeit den Gestus einer kategorisch gesetzten Wahrheit und provozieren so das Nachdenken. Die geheimnisvolle Autorität, die sie ausstrahlen, ihre subtile Überzeugungskrat muss für einen „geborenen Erklärer“ bestechend gewesen sein. Ebenso ihre ambivalente Qualität, als Deinitionen, wie auch als Gegendeinitionen zu fungieren, denn tautologische Zirkeldeinitionen führen schließlich das Deinieren ad absurdum und können in der Literatur Sinn gerade durch diesen Unsinn machen, worauf ja bei Fried die Rede der Liebe leitmotivisch anspielt. Im Unterschied zum Pleonasmus können Tautologien nicht nur eine semantisch intensivierende Funktion, sondern auch eine diskret komplexe Expressivität aufweisen, über die der dänische Philosoph Sören Kierkegaard folgendes sagt: 377 Wilpert 71989. S. 924. 131 „Die Tautologie ist und bleibt doch das höchste Prinzip, der höchste Denkgrundsatz. Was Wunder da, dass die meisten Menschen sich ihrer bedienen. Sie ist auch durchaus nicht so ärmlich und vermag ohne weiteres das ganze Leben auszufüllen. Sie hat eine scherzende, witzige, unterhaltsame Form, das sind die unendlichen Urteile. Diese Art der Tautologie ist die paradoxe und transzendente. Und sie hat die ernste, wissenschatliche und erbauliche Form. Die Formel hierfür ist folgende: Sind zwei Größen ein und derselben dritten gleich, so sind sie auch untereinander gleich. Dies ist ein quantitativer Schluss. Diese Art von Tautologie ist besonders auf Kathedern und Kanzeln brauchbar, wo man viel sagen soll.“ 378 Jenseits feiner Ironie bleibt eine für die Dichtung anregende Einschätzung der tautologischen Aussageform als eine möglicherweise ernste wie unterhaltsame, ja witzige Ausdrucksweise. Erich Fried scheint auch dieses ambivalente, spielerisch-ernste Potential der Tautologien erkannt zu haben, wie gezeigt werden soll. Tautologien sind außerdem Wiederholungsstrukturen, die eine reigenartige Bewegung der Sprache hervorrufen, mit zunächst verwirrender Wirkung auf den Leser. Sie verunsichern, indem sie quasi das Denken in schlichtester Form auf sich selbst zurückwerfen und trotzdem Diferenzen andeuten379. Friedemann Spicker sieht darin eine poetisch umgesetzte Strategie des Aphorismus. In diesem Zusammenhang betrachtet er Erich Fried als den Autor, der „das sprachrelexive Kurzgedicht an der Grenze zum Aphorismus wie kein anderer geplegt“ 380 hat. So z.B. in manchen „Warngedichte(n)“ der 60er Jahre, wie Ausweg: Es muss einen Ausweg geben aus jenem Aberglauben der immer meint es muss einen Ausweg geben381 Das Denken wird sich selbst ein Problem in diesem Gedicht, es scheint stur im Unmöglichen zu kreisen. Fried spielt so tautologisch mit der logischen Form einer Antinomie. Denn die Idee der ersten Verszeile, die eine entschiedene Suche „nach einem Ausweg“ ansagt, wird scheinbar durch die restlichen Zeilen und vor allem durch die Tautologie aufgehoben und somit ad absurdum geführt. Das kleine Gedicht 378 Sören Kierkegaard: Entweder-Oder. Teil I. Hrsg. v. Hermann Diem und Walter Rest. München 1988. S. 48f. 379 Nadja Luer betrachtet die Wiederkehr desselben bei Erich Fried als herausfordernd und dynamisierend: „Bei Fried soll die Wiederholung desselben zur Beunruhigung führen und durch ihre bedrückende Penetranz den Wunsch nach Gegensätzlichkeit wecken, mit einem Satz: Lebendigkeit erzielen.“ Vgl. Nadya Luer: Form und Engagement. Untersuchungen zur Dichtung und Ästhetik Erich Frieds. Wien 2004. S. 78. 380 Spicker 2000. S. 145. 381 Erich Fried: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Gedichte I. Berlin 1994. S. 338. Im folgenden Fried: GW zitiert. 132 erinnert in seiner semantischen Spannung an das Lügner-Paradoxon des Kreters Epimenides, der alle Kreter als Lügner bezeichnete. Hier wie dort birgt die Einfachheit der Aussage eine verwirrende Komplexität in ihrer Auslegung. Ist die Aussage wahr, dass, im Falle Frieds, der unbedingte Glaube an einen Ausweg immer bloß ein Aberglaube ist, so ist die ebenso unbedingte Suche nach einem Ausweg prinzipiell absurd und die Aussage ironisch. Bezieht sich jedoch die Bezeichnung „Aberglauben“ lediglich auf ein rechthaberisches Denken, das „immer meint / es muss einen Ausweg geben“ und nicht auf die Suche selbst nach einer Lösung, dann erscheint die Forderung, sich von dieser Denkart zu trennen, sinnvoll und ernst. Wie auch immer ausgelegt, ironisch oder ernst, warnt das Gedicht vor verbohrtem Denken, das schließlich hillos auf sich selbst zurückfällt und in ixen Ideen erstarren kann382. Ofensichtlich macht dies die Form durch das tautologische Wiederholen der ersten Zeile am Ende des Textes. Die Tautologie scheint hier auch graphisch, bildlich das Denken in pleonastisch wirkenden Grenzen gefangen zu halten und so die erste, ironisch-absurde Lesart zu stützen. Im Unterschied aber zu Pleonasmen meint dasselbe in Tautologien nicht immer auch wirklich dasselbe. In diesem Fall würde hier die tautologische Wiederholung auf eine subtilere Diferenz zwischen Einsicht und „Aberglauben“ zeigen und dadurch auf die zweite, ernste Lesart orientieren. Frieds Text will sich jedoch nur scheinbar festlegen383, er proitiert im Grunde von der Ambivalenz der tautologischen Aussage, die außerdem bei aller quasi didaktischen Stringenz und Intensität der Formulierung („Es muss einen Ausweg geben“) schließlich doch unentschieden bleibt. Er überlässt es vielmehr dem Leser, über deren Sinn zu entscheiden. Wichtig war für Fried in diesem Gedicht die Tautologie als Paradoxon zu verfremden und in lakonischer Zuspitzung semantisch so weit wie möglich zu spannen384. Verwirrender als die einfach wiederkehrende ist bei Fried die kreisende und permutierte Tautologie, wie sie in einem anderen „Warngedicht“ mit dem schon tautologisch klingenden Titel Angst vor der Angst erscheint: 382 Dem warnenden Gestus der Gedichte dieses Bandes ist sehr wohl eine auklärerische Absicht, allerdings keine dogmatische Festlegung inhärent. Dem Leser, so Volker Kaukoreit, werden bloß „Skepsis und Zweifel anempfohlen, die – nach Fried – auch in Glaubensfragen eine produktive Rolle spielen könnten“. Vgl. Volker Kaukoreit: Vom Exil bis zum Protest gegen den Krieg in Vietnam: Frühe Stationen des Lyrikers Erich Fried. Werk und Biographie 1938-1966. Darmstadt 1991. S. 291. Gewarnt wird selbst vor einer engstirnigen Auklärung. Kaukoreit empindet diesbezüglich das Gedicht Ausweg als exemplarisch für die Kritik „an einer ,unaufgeklärten Auklärung‘ “, die „einen rigiden Aufklärungsoptimismus als antiauklärerischen Aberglauben entlarvt.“ Ebd. S. 440. 383 Von einer gewissen aphoristischen Dialektik der Bedeutung spricht Friedemann Spicker in diesem Gedicht: „Der als Aberglaube bezeichnete Aberglaube wird auf sich selbst angewandt und dadurch gleichzeitig konterkariert und bestätigt, bestätigt dadurch, dass es einen Ausweg geben ,muss‘, konterkariert, indem gerade dies der nämliche Glaube an einen ständigen Ausweg ist. Die Rhythmisierung und die markante Wiederholung der Verse 1 und 4, das Gebetsmühlenartige des Spruches, möchte man sagen, stützen diese Aporie auf eigene: lyrische Weise.“ Spicker 2000. S. 146. 384 Walter Hinderer bemerkt in der minimalistischen Poesie Frieds seit den Warngedichten eine kennzeichnende Strategie des „progressiven Widerspruchs“. Darunter versteht Hinderer: „Er verwandelt alles Eindeutige in Antithesen, ohne freilich sich auf wohlfeile Synthesen einzulassen, und verweist kritisch auf die Kurzsichtigkeit der herkömmlichen Logik“. Walter Hinderer: Erich Frieds Sprachexerzitien. In: Stieg/Pasteur. 2001. S. 137. 133 Angst was kommt Denken vor Angst was kommt Angst vor dem Denken was kommt Angst vor dem Denken Wenn es kommt kommt es wegen der Angst wegen der Angst vor dem Denken die mir Angst macht385 Der Aubau des Gedichts erinnert an ein früheres, mit dem Titel Traum vom Tod. Traum Traum aus der Nacht Traum aus der Nacht vor dem Tod Traum aus der Nacht vor dem Tod einer Welt einer Welt aus Angst vor dem Traum Angst Angst vor dem Traum Angst einer Welt vor dem Traum Angst einer Welt vor dem Traum vom Tod vor dem Traum vom Tod aus der Nacht386 Volker Kaukoreit ist die strukturelle Ähnlichkeit der beiden Texte nicht entgangen. Er weist aber ebenfalls auf die Unterschiede in der Leistung der Form und Klarheit der Botschat hin: So arbeite die „barocke Rhetorik“ des früheren Textes, mit einer Reihungstechnik, welche die semantische Ebene von Zeile zu Zeile immer mehr verschiebt und von dem jeweils letzten Vers der Strophe formal durchbrochen und semantisch verdunkelt wird. „Eine ,richtige‘ Lesart dieser Zeilen lässt sich nicht erschließen, da das Gedicht die Bezüge zwischen Traum, Tod, Nacht, Angst und Welt vielfältig verwebt, d.h. in ein Spannungsverhältnis dialektischer Abhängigkeit bringt. […] Das Gedicht verharrt in einer ständigen Schwebe, die die Kausalität zwischen dem ,Traum‘, der ,Angst‘, dem ,Tod‘ etc. ofen lässt. Eine intensive Beschäftigung mit den angebotenen Zuordnungsmöglichkeiten zwingt den Leser zu einer Auseinandersetzung mit Grundproblemen menschlicher Existenz“ 387, schlussfolgert Kaukoreit. 385 Fried: GW I. S. 331. 386 Fried: GW I. S. 547. 387 Kaukoreit 1991. S. 360. 134 Im späteren Gedicht glaubt der Kritiker trotz der formalen Zirkelbewegung eine abgeklärtere, festgelegtere Semantik zu entdecken: „Das ,Ich‘ ist nämlich schon ein ,aufgeklärtes‘, aus dessen ,Angst‘ eine ,Furcht vor‘ geworden ist, und es kann dies mit Bewusstheit artikulieren. Die Transition, die hier in Bezug auf frühere Gedichte deutlich wird, ließe sich als die vom Träumen, Fühlen und Sagen zum Fühlen, Denken, Wissen und Sagen skizzieren.“ 388 Dem kann man sicherlich beiplichten, die Leistung der Form ist aber dadurch nicht hinreichend geklärt. Im Gedicht Traum vom Tod betont die additive und permutierende Verfahrensweise den eher spielerischen Charakter der Sprache bei aller möglichen Absicht eines bedeutungsschweren Textes. Mit den fünf Kernbegrifen – Traum, Nacht, Tod, Welt, Angst – konstruiert Fried eine Art nachromantische Hermetik in einem modernen, nonchalanten Gewand. Das spätere „Warngedicht“ Angst vor der Angst reduziert die Kernbegrife auf zwei und besinnt sich auf die lakonische Tugend der Tautologie, die dasselbe sagt ohne dasselbe zu meinen. Bereits der „Angst“ im Titel ordnet man zwei verschiedene Bedeutungen zu: Während ihre erste Nennung einen allgemeinen Zustand andeuten könnte, scheint sich die zweite Nennung auf eine bestimmte Angst zu beziehen. Die erste Strophe versucht im Ansatz, diese Angst zu deinieren: eine küntige Angst (1. Zeile), die das Denken beschätigt, ein Denken das die Angst bewältigen soll (2. Zeile). Doch auch das kommende Denken birgt Gefahren und führt nur zurück in den Angstzustand (3. Zeile), so dass schließlich die Angst als eine vor dem Denken identiiziert wird (4. Zeile). Sollte dieses Denken jedoch kommen, meint das sinnende Ich in der zweiten Strophe (1. Zeile), so würde es wegen der Angst kommen (2. Zeile), nämlich wegen einer bestimmten Angst und zwar jener vor dem Denken (3. Zeile). Die Angst vor dem Denken ist es aber, was dem Ich Angst macht (4. Zeile). Bei genauerem Lesen merkt man allerdings, dass der Autor sowohl in der ersten als auch in der zweiten Strophe einen unaufälligen semantischen Spielraum aubaut zwischen der „Angst vor dem Denken was kommt“, also Furcht vor einem bestimmten, küntigen Denken, möglicherweise einer gefährlichen Ideologie, und „Angst vor dem Denken“ an sich. Wovor warnt also dieses Gedicht mit seinem Angstbekenntnis? Vor einem küntigen falschen Denken oder vor der Angst zu denken überhaupt? Sieht man sich in der Nachbarschat dieses Textes um, so indet man ein anderes „Warngedicht“, das diesbezüglich relevant sein könnte, Die Abnehmer: Einer nimmt uns das Denken ab Es genügt seine Schriten zu lesen und manchmal dabei zu nicken 388 Ebd. S. 435. 135 Einer nimmt uns das Fühlen ab Seine Gedichte erhalten Preise und werden häuig zitiert Einer nimmt uns die großen Entscheidungen ab über Krieg und Frieden Wir wählen ihn immer wieder Wir müssen nur auf zehn bis zwölf Namen schwören Das ganze Leben nehmen sie uns dann ab389 Dieses Gedicht spricht einen bitter ironischen Klartext: Man könnte es sich sehr gemütlich machen, indem man das eigene Denken, Fühlen und die Entscheidungskrat an diese abnehmenden Denker, Dichter und Politiker überantwortet. Das allerdings geht wiederum auf Kosten des eigenen Lebens. Denkfaulheit oder auch Angst vor dem selbstständigen Denken liefert somit das Leben einer fremden Bestimmungskrat aus, warnt der Erklärer und Auklärer Erich Fried. In diesem Kontext hat das „Denken was kommt“ (oder das Denken der „Abnehmer“) nur dort die Möglichkeit sich durchzusetzen, wo es eine Angst zu denken gibt. In diesem Sinne lässt sich die Tautologie im Titel des Gedichts Angst vor der Angst als eine Furcht vor der Angst zu denken und sich dadurch der gefährlichen Fremdbestimmung auszuliefern interpretieren. Poetisch wichtig für diese auklärerische Botschat ist die besondere Struktur der sie tragenden Form, genauer die semantisch verdunkelnde Leistung der lakonischen Tautologie390. Der Text beginnt und endet mit dem Nennen der Angst und beschreibt so einen von den wenn nicht „tödlichen“, so doch furchterregenden Zirkeln, welche die Dynamik der 389 Fried: GW I. S. 320f. 390 Die von Nadja Luer unternommene Analyse dieses Gedichts (Vgl. Luer 2004. S. 241-244), scheint nach der schnellen Deutung des Titels - „Das Wortspiel Angst vor der Angst lässt sich aufschlüsseln als eine individuelle Angst vor dem Zustand einer allgemeinen Angsterfahrung, die gleich gesetzt werden kann mit einem allgemeinen Ohnmachtsgefühl. Der angstauslösende Faktor wäre folglich die Zeit, in der wir leben.“ (S. 241) – und über vielfältige, sicherlich anregende, knappe Verweise auf Brecht, Freud, Descartes, Frieds Liebesdichtung und die „Konkrete Poesie“ den eigentlichen Text des Gedichts Angst vor der Angst aus den Augen verloren zu haben. Das Spiel mit Permutation und Wiederholung hat immer ein verwirrendes Potential und übernimmt tatsächlich die moderne rhetorische Funktion „vorgegebene Deinitionen in der Sprache bis hin zu Regeln des sprachlichen Systems zu deautomatisieren“ (S. 225), allerdings, im Unterschied zur Konkreten Poesie „entsagt Fried einem Inhalt nicht ganz“ (S. 244), wie die Autorin prinzipiell und zu Recht bemerkt. Eine textnähere Untersuchung der Kernbegrife dieses Textes, bzw. „Angst“ und „Denken“ beweist, dass das „ernsthate Wortspiel“ bei Fried tatsächlich auf mehr inhaltliche Substanz bedacht ist. 136 „Warngedichte“ bestimmen391. Ein Konzentrat dieser Textbewegung ist die Tautologie im Titel. In der ersten Strophe kompliziert Fried tautologische Wiederholungen durch Reihung und Permutation: Die „Angst was kommt“ kehrt bedeutungsverschoben in der zweiten Zeile als „Denken vor Angst was kommt“ wieder. Fiel die Betonung in der ersten Zeile auf „Angst“, so wird nun das möglicherweise erlösende „Denken“ besonders hervorgehoben. Die dritte Zeile kehrt die Beziehung, die zwischen Denken und Angst von der zweiten Zeile konstruiert wurde, mit zunächst für den Leser verwirrenden Folgen um: „Denken vor Angst was kommt“ verwandelt sich in „Angst vor dem Denken was kommt“. Die nicht weiter kommentierte Umkehrung könnte aber schließlich klärend wirken, denn nun scheint die Angst einen erfassbaren Grund zu haben. Doch die tautologische Wiederkehr der „Angst vor dem Denken“, mit Verzicht auf die Bestimmung „was kommt“, in der letzten Zeile der ersten Strophe fordert zum erneuten Überdenken der semantischen Entwicklung in dieser Strophe auf. Stärkt hier die verknappte Wiederholung die vorhergehende Verszeile oder sagt sie etwas anderes aus? Den bisherigen Überlegungen zufolge ist eher die zweite Variante der Fall. Doch darauf verweist subtil erst die Variation des Tautologischen. So auch in der zweiten Strophe, in der man zunächst meinen könnte, das küntige Denken käme wegen der Angst vor ihm. Die dritte Verszeile relativiert jedoch diese Lesart durch die Variation „Angst vor dem Denken“ und eröfnet dadurch eine neue Deutungsperspektive. Variierte Tautologien setzen bei Fried nicht nur auf die Aufmerksamkeit des Lesers, sondern stellen vor allem seine Bereitschat für plötzliches Umdenken, seine implizite Reaktion auf Klischees auf die Probe. Das vielleicht beste Beispiel dafür ist der Text Gedichte lesen aus dem Band Es ist was es ist, wo die Tautologie durch eine minimale Änderung dialektisch wird: Wer von einem Gedicht seine Rettung erwartet der sollte lieber lernen Gedichte zu lesen Wer von einem Gedicht keine Rettung erwartet der sollte lieber lernen Gedichte zu lesen392 391 Vgl. Kaukoreit 1991. Kap. Tödliche Zirkel. S. 429-432 passim. 392 Fried: GW III. S. 69. 137 Das Gedicht, glaubt Nadya Luer, soll den Leser auf Genauigkeit in der Lektüre eines dichterischen Textes verweisen und trainieren: „Zwei Phoneme s und k verändern in derselben Stellung nicht nur die Bedeutung des Wortes (von seine zu keine), sondern die gesamte Aussage des Kontextes, in dem sie stehen. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, sie verhindern die Artikulation oder Verwendung von ‚ein‘ als unbestimmter Artikel oder als Zahlwort. Durch die Form der Sprache wird deutlich gemacht, worauf es beim Lesen von Gedichten ankommt: bis in die kleinsten lautlichen Einheiten hinein genau zu lesen.“ 393 Genaues Lesen ist vor allem bei semantisch subversiven Tautologien angesagt. Die Variation zeigt hier auf die tückische Form von Tautologien als scheinbare Automatismen. Dies erfolgt mit der eigentlichen unterschwelligen Absicht, das Denken zu deautomatisieren und, in diesem Fall, von der verfestigten Vorstellung abzubringen, dass die Dichtung nur in Bezug auf Erlösung zu deinieren sei. Ein spruchartiges Spiel mit der variierten Tautologie bringt das Gedicht Status quo aus dem Band Lebensschatten, in dem Fried vor den Konsequenzen gefährlicher Denkstarrheit „zur Zeit des Wettrüstens“ warnt: Wer will dass die Welt so bleibt wie sie ist der will nicht dass sie bleibt394 Fried spricht hier Klartext mit lakonischer Nachdrücklichkeit. Konstruiert aber seine Aussage aufgrund eines ähnlich rainierten Sprachgestus’ wie in Gedichte lesen, nämlich indem er mit fast gleichen Worten Verschiedenes, ja Gegensätzliches sagt. Dies wird in einem späteren poetologischen Text, Ein Vers mit seinem Widerspruch, aus dem Band Beunruhigungen explizit vorgeführt: Es gibt Gedichte die zwar Gedichte sind aber die einen langweilen Das sind keine Gedichte Es gibt auch Gedichte die keine Gedichte sind 393 Luer 2004. S. 215. 394 Fried: GW II. S. 523. 138 aber die interessieren Auch das sind keine Gedichte aber schon bessere Dann gibt es Gedichte die zwar Gedichte sind die einen aber immer noch interessieren Das sind vielleicht Gedichte doch sie sind selten Und es gibt Aussagen über solche Gedichte die keine Aussagen sind aber möglicherweise Gedichte weil sie keine sind wie etwa dieses hier395 Es mag nicht einer der gelungensten Texte Frieds sein, es zeigt aber mit hinreichender Deutlichkeit wie attraktiv tautologisch anmutende Aussagen für seine dichterischen Deinitionen sind, auch wenn es um die Deinition der Dichtung selbst geht. „Es gibt Gedichte / die zwar Gedichte sind“, die einleitenden zwei Verse des Textes wiederholt Fried mit minimalen Variationen auch am Anfang der dritten Strophe, mit allerdings entgegensetzter Absicht: Während die ersten sich auf langweilige Gedichte beziehen, denen deswegen schließlich der Wert von Dichtung aberkannt wird, meint die Wiederholung der Aussage interessant bleibende Lyrik, welche als die möglicherweise echte Poesie empfohlen wird. Es gibt außerdem „Gedichte / die keine Gedichte sind“, wie auch Aussagen „die keine Aussagen sind“, eine Tautologie der Struktur also, aufgrund derer diese widersprüchlichen Deinitionen von Gedicht und Aussage in der letzten Strophe grenzaulösend verwoben werden. Ob dieses Gedicht zu den interessant bleibenden zu zählen wäre, soll hier dahingestellt sein. Für die Konstruktion von Deinitionen, die sehr wohl zu einer Poetik der Wörtlichkeit beim „Sprachlogiker“ 396 Erich Fried gehören, hat es aber auf jeden Fall seine besondere Relevanz. Die wohl bekannteste Deinition Frieds ist das kleine „Warngedicht“, das diese als Titel führt: 395 Fried: GW III. S. 139. 396 Vgl. Herbert Heckmann: Darf man den unbequem nennen, der den Wahnsinn anprangert? Rede anlässlich der Verleihung des Bremer Literaturpreises an Erich Fried (1983). In: Rudolf Wolf (Hrsg.): Erich Fried. Gespräche und Kritiken. Bonn 1986. S. 13. 139 Deinition Ein Hund der stirbt und der weiß dass er stirbt wie ein Hund und der sagen kann dass er weiß dass er stirbt wie ein Hund ist ein Mensch397 Wie ot bei Fried handelt es sich auch hier um eine Eindeutigkeit vortäuschende Einfachheit: Der Text ist schnell gelesen und scheint eine philosophische Binsenwahrheit auszudrücken, und zwar jene, die schon Pascal in einem kolossalen Vergleich des Menschen mit dem Universum formuliert hat, nämlich dass der Mensch als einziger sich seines Sterbens bewusst und dadurch dem unwissenden Universum überlegen sei. Frieds „Deinition“ deiniert den Menschen im Vergleich mit dem Hund, der schon sprichwörtlich (beispielsweise in Redewendungen wie „jemanden wie einen Hund behandeln“, „wie ein Hund leben“, „auf den Hund kommen“, „vor die Hunde gehen“ oder „jemanden auf den Hund bringen“) zur Metapher elender Kreatürlichkeit geprägt wurde. Wenn beide, sowohl der Hund wie auch der Mensch, schließlich gleich elendig zugrunde gehen, so liegt der bedeutende Unterschied zwischen diesen beiden in der Bewusstheit des Menschen von seinem Tod und der Fähigkeit, es auszudrücken, so die transparente Botschat, die man beim schnellen Lesen des kleinen Textes identiizieren könnte. Einfachheit in der Lyrik des 20. Jahrhunderts, vor allem bei einem versierten Sprachmeister wie Fried, ist aber immer suspekt, auch wenn es um klarstellende „Deinitionen“ geht, wie Volker Kaukoreit zu Recht bemerkt: „Das Problem dieses Gedichtes könnte sein, dass man es zu schnell zur Seite legt, weil es ,irgendwie‘ sehr verständlich ist. Aber zwischen ,Verstehen‘ und ,Verstehen‘ besteht bekanntlich ein Unterschied, nämlich insofern ,Verstehen‘ nicht allein erfasst, ,was‘ ein Text sagt, sondern auch ,wie‘ er es sagt, und auf dieser Folie wird wieder einmal die Kunstanstrengung deutlich, die sich bei Fried ot hinter den scheinbar einfachsten Gedichten verbirgt.“398 397 Fried: GW I. S. 337. 398 Kaukoreit 1991. S. 411. Kaukoreit verweist vor allem auf die Beziehung der Dichtung Frieds zu jener Rilkes, genauer von einer „Verabschiedung“ von Rilke in der klaren, nicht beschönigenden hematisierung des Todes. 140 Dem „wie“ gebührt bei diesem Text tatsächlich mehr Aufmerksamkeit, nicht nur um das Gedicht, sondern auch das poetische Denken des „Erklärers“ Erich Fried besser verstehen zu können. Auch dieser Text arbeitet mit der sinnvollen lakonischen Tautologie, die dem Gedicht jene Zirkularität verleiht, welche seinen „Warngedichten“ so typisch ist. Kehren wir diese Deinition um, so heißt dies zunächst: Ein Mensch ist „Ein Hund / der stirbt … wie ein Hund“ und der, trotzdem er es weiß und sagen kann, immer noch wie ein Hund stirbt. Die zitierte tautologische Aussage nähert den Menschen jenem Tier an, das ein elendes, menschenunwürdiges Dasein symbolisiert, und ihr Nachhall in der zweiten Strophe gibt diesem dramatischen Gedanken einen besonderen Nachdruck. Sicherlich zeigt das Gedicht ebenfalls auf die Nobilitierung des Hundes zum Menschen durch seine Fähigkeit, über sein Sterben nachzudenken und dieses auszudrücken, sich so also von der reinen Kreatürlichkeit zu distanzieren. Die lakonische Pointe verstärkt diese Lesart. Mit gleichem Nachdruck aber unterstützt die Tautologie vom Hund die weniger schmeichelnde Perspektive vom menschlichen Dasein, das, bei aller Bewusstheit und Aussagekrat, mit einem hundeähnlichen Tod endet. Sie rechtfertigt auch die Eingliederung dieses Textes in die „Warngedichte“, denn dieser plädiert nicht nur für den sein Schicksal verstehenden Menschen, sondern er warnt zugleich mit wiederholtem Verweis auf den „Hund“, also das Elende, das zu diesem menschlichen Dasein gehört, vor den Grenzen seines Wissens und Sagens. Die einfache „Deinition“ vom Menschen erweist sich in dieser Weise als eine komplexe, die Licht- und Schattenseiten vermischt und von einem dialektischen Denken zeugt, das Tautologien kreativ einbezieht. Zum besonderen Warngestus der Deinition gehört auch ihre harte Lakonik399. Die Lakonie der Warngedichte insgesamt wurde schon kurz nach dem Erscheinen des Bandes vielfach gelobt. Eberhard Horst, eine der preisenden Stimmen, schrieb 1964: „Stärker als in früheren Gedichten ist nun die Sprache entschlackt, wenn man will entpoetisiert. Sie gewinnt durch die Reduzierung auf einfache Grundwörter, auf fast skelettierte Formen“ 400. Eine von diesen „fast skelettierte(n) Formen“, die „Deinition“ vom Menschen, zeigt, was die Sprache durch eine Reduzierung auf einfache Grundwörter gewinnen kann. Das Gedicht simuliert den stringenten Duktus und die schnörkellose Konzision einer Begrifsbestimmung, bei der aber die Fragmentierung der Rede in Verszeilen die Kernwörter jeder Zeile, seien sie Substantive (Hund – Hund – Hund - Mensch) oder Verben (stirbt – weiß – stirbt – sagen – weiß – stirbt), betont und so dieser „Deinition“ eine in jeder Sequenz spürbare Nachdrücklichkeit verleiht. 399 Lakonik ist bei Fried eine Grundtendenz der „mittleren Werkphase“, die nach Kaukoreit die Gedichte entstanden zwischen 1946-1964, also auch die „Warngedichte“, umfasst. Er bemerkt auch, dass sich Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre die immer betontere Verknappung der Sprache beim österreichischen Dichter mit einer größeren Verständlichkeit verbindet. Vor allem ab Anfang der sechziger Jahre indet ein Wandel „zu einer weniger verschlüsselten und ,ausgedünnten‘ Sprache“ statt. Vgl. Kaukoreit 1991. S. 445f., 449. Diese Entwicklung entspricht außerdem einer allgemeinen Tendenz zum Lakonismus in der Lyrik der sechziger Jahre, in welchen dieser sogar – insbesondere mit Karl Krolow und Walter Höllerer - zum literarischen Streitthema wurde. 400 Apud Kaukoreit 1991. S. 444. 141 Alle Kernwörter jeder Verszeile werden auf diese Weise zu deutlich hervorgehobenen Grundwörtern, die das kleine Gedicht als sprachmächtige Quintessenz einer komplexen Anschauung ausweisen. Sie konstruieren die „skelettierte“, jedoch gleichzeitig hart geprägte und hart prägende Form eines gewaltigen hemas. Eine der nachdrücklichsten und komplexesten „Deinitionen“ Frieds ist jene der Liebe im bekannten Gedicht Was es ist: Es ist Unsinn sagt die Vernunt Es ist was es ist sagt die Liebe Es ist Unglück Sagt die Berechnung Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst Es ist aussichtslos sagt die Einsicht Es ist was es ist sagt die Liebe Es ist lächerlich sagt der Stolz Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe401 Wie Alexander von Bormann bemerkt, kleidet hier Fried seine „Deinition“ in ein barockes Gewand von zu Allegorien erhöhten Begrifen, die eine Art Disput führen, „der keiner wird“. Denn die Redeform der Liebe, die Tautologie also, weise stets „auf die Grenze der Worte hin, hat Wortmacht als Machtwort erkannt und weiß dem zu begegnen, ganz ,einfach‘, indem sie die Großwörter für sich stehen lässt“ 402. Liebe signalisiert demnach mit ihrer tautologischen Ausdrucksweise, dass sie sich auf den Diskurs der Vernunt nicht einlassen will. Ulla Hahn spricht sogar von einer „subversive(n) Grandiosität“ dieser tautologischen „Kapitulation“: 401 Fried: GW III. S. 35. 402 Alexander von Bormann: Von der Humanität der Tautologie. In: Kaukoreit (Hrsg.) 1999. passim, zit. Stellen auf S. 52, 60. 142 „,Es ist was es ist‘. Das ist tautologisch, erklärt nichts, ist Kapitulation. Wäre da nicht die nächste Zeile, die wiederum den Sprechenden benennt: ,die Liebe‘. Womit die Einfältigkeit der dritten Zeile ihre subversive Grandiosität erhält. In dieser Kapitulation vor jedem Erklärungsversuch liegt zugleich der höchste Triumph. ,ICH bin der ICH bin‘ Sagt Gott. ,Es ist was es ist / sagt die Liebe‘“ 403. Es ist natürlich naheliegend, das tautologische Selbstdeinieren der Liebe beim jüdischen Autor Erich Fried auf die bekannte alttestamentliche Selbstdeinition Gottes zu beziehen. Zwar war Fried, wie er sich selbst einschätzte, und die Forschung beiplichtete und nuancierte404, kein orthodoxer Jude, doch hatten bestimmte biblische Ereignisse und Figuren langfristig eine emblematische Funktion für ihn. So z.B. die Gestalt Moses’, dem sich Gott in der Wüste ofenbart und deiniert und der das jüdische Volk ins Exil führt. Im frühen Gedichtband Österreich zeugen Gedichte wie Moses in der Wüste oder Josua zu Moses von der besonderen Ausstrahlungskrat dieser Gestalt für Fried. Jörg hunecke meint sogar anhand der Entwicklung dieser Leitigur bei Fried - von der Identiikationsgestalt eines exilierten Juden in der frühen Dichtung zu seinem Anprangern „als Ausgangspunkt und letzte Konsequenz von Faschismus und Stalinismus“ 405 Ende der 60er Jahre und in den 70er Jahren - die intensive und zugleich kontroverse Beziehung des österreichischen Dichters zum Judentum erklären zu können. Bereits im Zusammenhang mit dem Rollengedicht Josua zu Moses verweist hunecke auf eine christlich-jüdische Perspektivenverschmelzung in der Ermahnung Moses’ durch Josua an die Liebe. Ab diesem Zeitpunkt, glaubt der Kritiker, ließe sich in der Lyrik Frieds „eine positivere Aufassung vom Umgang mit Feinden zeigen, geprägt einerseits von kritischer Distanz zum Judentum, andererseits von starker ethischer Ainität zum Christentum […] und Identiikation mit der (v.a. jüdisch verstandenen) Jesus-Figur“ 406. Den jüdisch verstandenen Jesus von Nazareth, also die Verkörperung der Nächstenliebe und Güte, die Fried zu fundamentalen Inhalten jüdischen Glaubens erklärt, stilisiert er schließlich, so hunecke, zur Gegenigur des negativen Moses-Bildes in 403 Ulla Hahn: Es ist möglich. In: Kaukoreit (Hrsg.) 1999. S. 13. 404 Katrin Schäfer meint synthetisierend dazu: „Zwar war Fried kein gläubiger Jude, hat sich als westlich assimilierter Jude nie zum orthodoxen Judentum bekannt; und doch verweisen Motive, Stofe und Schreibtraditionen darauf, dass er sich, zwar nicht vom orthodoxen, so doch vom kulturellen Judentum, von Sprach- und Denktraditionen angezogen fühlte.“ Katrin Schäfer: Zwischen Engagement und jüdischer Sprachgläubigkeit. In: Kaukoreit (Hrsg.) 1999. S. 66. Vgl. auch Michael Zeller: Im Zeichen des ewigen Juden. Zur Konkretion des politischen Engagements in der Lyrik Erich Frieds. In: Wolf (Hrsg.) 1986. S. 94-148 passim. 405 Jörg hunecke: Erich Fried. In: Andreas Kilcher (Hrsg.): Deutsch – jüdische Literatur. 120 Porträts, Stutttgart/Weimar 2006. S. 67. 406 Ebd. S. 66. 143 der späteren Lyrik. Frieds Einstellung zum Judentum, fasst der Kritiker zusammen, sei daher „nur unter Berücksichtigung einer im neutestamentlichen Humanismus verankerten Ethik“ 407 zu verstehen. Dies könnte für die Tautologie der Liebe im Gedicht Was es ist insoweit relevant sein, als es in gewisser Weise eine umfunktionierte jüdisch-christlich beeinlusste Denkspur Frieds transparent macht. „Es ist was es ist“ kann auch als Abwandlung der jedem Juden und Christen wohlbekannten und daher leicht erkennbaren Selbstdeinierung Gottes vor Moses: „Ich bin der Ich bin“ betrachtet werden. Die besondere Autorität dieser tautologischen Selbstvorstellung Gottes stützt sich auf implizite Prädikate, im logischen Sinne, die nun auf die Liebe übertragen werden können. Der Bibeltheologe Erich Zenger unterscheidet vier Aspekte dieser Vorstellung Gottes in der Dornbuschszene: 1. Zuverlässigkeit (Ihr könnt euch darauf verlassen, dass ich da bin, wenn Not ist), 2. Unverfügbarkeit (Ich bin so da, wie ich es will, und nicht, wie ihr es gerne hättet), 3. Ausschließlichkeit (Ich bin ich und kein anderer; damit müsst ihr fest rechnen), 4. Unbegrenztheit (Ihr könnt mir keine Schranken setzen, auch nicht die des Todes)408. Drei davon legt auch der scheinbare Disput mit der Liebe (übrigens auch ein Grundwert christlicher Ethik) nahe, und zwar Unverfügbarkeit: Die Liebe ist nicht das und nicht so, was und wie sie Vernunt, Berechnung, Angst, Einsicht, Stolz, Vorsicht, Erfahrung gerne hätten; Ausschließlichkeit: Liebe ist was sie ist und nichts anderes, und Unbegrenztheit: Die Liebe versuchen zwar Vernunt, Berechnung, Angst, Einsicht, Stolz, Vorsicht und Erfahrung auf bestimmte Aspekte zu beschränken und dadurch zu diskreditieren, doch die Liebe selbst entzieht sich tautologisch jedweder Einschränkung und genießt so eine absolute, unwiderlegbare Autorität. Aus dieser Perspektive meint die Tautologie der Liebe bei Fried keine Kapitulation vor einem Erklärungsversuch, sondern vielmehr einen lakonischen Verweis auf die Kurzsichtigkeit jeder Erklärung. Und weiß dadurch nicht nur Machtwörter in die Schranken zu weisen, sondern wird selbst zum Machtwort, das auf sich bezogen keine Schranken zulässt. Bormann hat aber recht, diesen Disput um die Deinition der Liebe als einen zu betrachten, der keiner wird, denn die Tautologie fordert zugleich eine differenzierte Perspektive von der Liebe, also auch das Interpretieren heraus, blockiert aber gleichzeitig eine eindeutige Festlegung und erhält so eine subtile semantische Spannung um die Erfassbarkeit der Liebe. Die Tautologie und die Tendenz zur Deinition geben außerdem das vermeintliche Liebesgedicht als eigentliche Gedankenlyrik zu erkennen, beherrscht nicht von Sinnlichkeit und Emotion, sondern vom abstrakten Problematisieren und in diesem Sinne Gedichten wie Deinition ähnlich409. 407 Ebd. S. 68. 408 ULR: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_brennende_Dornbusch 409 In diesem Sinne muss ich der neueren Deutung von Nadja Luer (Vgl. Luer 2004. S. 268-269) zum Teil widersprechen. Denn obwohl das berühmte Gedicht „in der scheinbaren Tautologie … die Weigerung der Deinition dessen ‚was es ist‘ “, inhaltlich betrachtet, implizit artikuliert, bewegt es sich durch den ambivalenten rhetorischen Gestus der Tautologie immer wieder in die Nähe der Deinition, die gerade dadurch wiederholt angedeutet und zurückgenommen wird. Und schließlich vermittelt es eine subversive Deinition durch den leitmotivischen Verweis auf die Unbeschreiblichkeit der Liebe. 144 Scheinbare Tautologien und mehrdeutige Deinitionen sind für Fried kreative Elemente einer Poetik der „Wörtlichkeit“, die der Forderung Walter Höllerers aus dem Jahre 1966 entgegenkommt, nämlich eine Poesie zu entwickeln, die sich nicht auf das indirekte (Sinn-)Bild, auf die Metapher stützt, sondern „auf Abwandlungen syntaktischer Wendungen […], auf Redeweisen, auf den Tonfall des gesprochenen Wortes“ 410. Damit hatte allerdings schon Brecht einen wegweisenden und einlussreichen Anfang gemacht. Fried, der „Sprachlogiker“, stellt das (auch) von Brecht geerbte dialektische Denken auf die harte Probe, sich in tautologischen Deinitionen subversiv zu bewähren und eine Dichtung entstehen zu lassen, die trotz auklärerischem Pathos aktuelle wie altbekannte hemen wieder glaubwürdig auf den lyrisch-lakonischen Punkt bringen kann. 410 Walter Höllerer: Gedichte in den sechziger Jahren. Antwort auf Karl Krolows Essay. In: Akzente 1966. S. 378. 145 4. Lakonische Gegenrhythmen und Gegenworte in der Lyrik Reiner Kunzes In der DDR hatte man einen zusätzlichen Grund zur Lakonik, denn „Gedichte sind missbrauchbar. Wie die macht“ 411, schrieb Reiner Kunze als abschließende Bemerkung in seinem 1972 herausgegebenen Gedichtband Zimmerlautstärke. Im leisen Ton das Wesentliche sagen, ist laut Gerard Raulet, Kunzes Lyrik einen „dritten Weg“ gegangen: „weder ideologische Treue gegenüber der Parteilinie noch politisch zum Ausdruck gebrachtes Dissidententum, sondern Bekrätigung des Rechts auf individuelle Autonomie, die auch eine Form des Engagements ist“ 412. Das Recht auf individuelle Autonomie ist, unter anderem, das Recht auf Schweigen, auf „Ablehnung jeder engagierten Dichtung, die deklamatorisch und propagandistisch ist“ 413. Wie Paul Celan in der Meridian-Rede, deiniert auch Reiner Kunze in den Nachbemerkungen des schon zitierten Bandes das Gedicht als Möglichkeit der Befreiung, „als akt der gewinnung von freiheitsgraden nach innen und außen“ und als dialogischen Ort der Begegnung oder mindestens der Annäherung: „Das gedicht als äußerster punkt möglichen entgegengehens des dichters, als der punkt, in dem auf seiner seite die innere entfernung auf ein nichts zusammenschrumpt. Das gedicht als bemühung, die erde um die winzigkeit dieser annäherung bewohnbarer zu machen.“ 414 411 Reiner Kunze: Zimmerlautstärke. Frankfurt am Main 1991. S. 67. Es ist zwar Heiner Feldkamp zuzustimmen, dass es „unzutrefend (sei), seine Verse der Verknappung und Zuspitzung allein auf die bedrängende und von Zensur und Überwachung bestimmte Lebenssituation in der ehemaligen DDR zurückzuführen“, da man sonst die ästhetische Tradition der konzentrierten und pointierten Lyrik, des politischen Epigramms bei Brecht beispielsweise verkennt, auf die Kunze ofensichtlich zurückgreit und an der er „unabhängig von äußeren Lebensumständen oder thematischen und motivlichen Veränderungen“ festhält (Heiner Feldkamp: Poesie als Dialog. Grundlinien im Werk Reiner Kunzes. Regensburg 1994. S. 376.). Trotzdem ist auch mit Brechts „Epigrammatik“ das ofensive, aber auch das bewältigende Potential lakonischer Konzision gegeben, das Kunze in seiner DDR-Dichtung, wie jener der Sensiblen Wege oder der Zimmerlautstärke, quasi zum Schutz gegen Missbrauch durch die Macht, wie auch zur „gewinnung von freiheitsgraden“ verwertet. Lakonik, vor allem die harte, sentenzhate, ist ein extremer ästhetischer Ausdruck, mit dem eben auf eine extreme Realität reagiert werden kann, nicht nur um dem poetischen Sagen eine besondere Expressivität und Intensität zu verleihen, sondern auch um ihm durch Stringenz in die Ofensive zu verhelfen. 412 Gerard Raulet: Problematische Einfachheit. Hermetik und Kommunikation in der Lyrik Reiner Kunzes. In: Heiner Feldkamp (Hrsg.): Reiner Kunze. Materialien zu Leben und Werk. Frankfurt am Main 1987. S. 106. 413 Ebd. S. 104. 414 Kunze 1991. S. 65, 66. 147 Wie aber bei Brecht, seinem Vorbild, ist, trotz leiserem Ton und didaktisch unaufälligerer Haltung, jedes Gedicht ein mehr oder weniger ofensichtlich politisches415. Seit seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik wurde Kunze des Öteren in seiner neuen Wahlheimat und im engen Zusammenhang mit seiner Biographie, neben anderen dissidenten Autoren der gewesenen DDR, als „der Widerständler schlechthin, die Gegen-Regierung“ 416 rezipiert, obwohl sich der Dichter immer wieder gegen vereinnahmende und reduktionistische Etikettierungen wie „politischer Lyriker“ oder „oppositioneller Schritsteller“ gewehrt hat. Denn obwohl seine Dichtung grundsätzlich auch politisch engagiert ist, will sie in erster Linie als Poesie wahrgenommen werden. Daher die Bemühung um eine lapidar-komplexe Form, die sowohl in der Tradition der Brechtschen späten Lakonik, wie auch in jener der surrealen Bildlichkeit steht und sich in ihrer subtil chifrierten Spannung zwischen Reduktion und Kommunikation an manchen Orten der Lyrik Celans zu nähern scheint. Die Forschung entdeckte in der Poetik Kunzes mehrere vermittelnde und aussöhnende Bewegungen zwischen verhärteten Fronten, die das eigentümliche Proil dieser Lyrik ausmachen. So verbindet Kunze die Esoterik lakonischer Lyrik mit der Brechtschen Einfachheit, die komplizierte Bildlichkeit moderner Chifren mit dem Rückgrif auf die familiäre Sprache417. Sein Lakonismus stellt, nach Otto Knörrich, auch das Gleichgewicht zwischen dem individuellen Ausdruck und dem Öfentlichkeitscharakter des Gedichts wieder her418. Wir wollen die synthetisierende Krat dieser Lyrik im Zusammenspiel von Gegenrhythmen und Gegenworten an einigen Texten der frühen Dichtungen und der Gedichtbände Sensible Wege und Zimmerlautstärke beweisen. Darin bekundet sich, u. E., eine für Kunze typische Art kritischer Intensität der Lakonik. Unter den frühen Dichtungen Kunzes beindet sich das poetologisch wirkende Gedicht Kinderzeichnung: 415 In einer Interpretation des Gedichts Auf dich im blauen Mantel von Kunze stellt Otto Knörrich z.B. das de facto Politische dieses Liebesgedichts fest: „Nur Kunzes Gedicht ist ein Liebesgedicht, und das heißt, dass sich die sinnstitende Krat der mitmenschlichen Begegnung in ihm von dem einzelnen, einmaligen Individuum herleitet, dem das Gedicht huldigt. Darin liegt natürlich – ob bewusst gewollt oder nicht – zugleich ein politisches Bekenntnis, insofern sich unter den gesellschatlichen Bedingungen des Lebens in der DDR das einzelne Ich gegenüber den Ansprüchen des Kollektivs in der Defensive beindet.“ Otto Knörrich: „Auf dich im blauen Mantel“. Zu einem Liebesgedicht Reiner Kunzes. In: Feldkamp (Hrsg.) 1987. S. 303. Reiner Kunze stimmt explizit dieser Interpretation zu: „Knörrichs Interpretation trit meine Weltsicht. […] Das nenne ich erhellend interpretieren.“ Reiner Kunze: Das weiße Gedicht. Essays. Frankfurt am Main 1989. S. 172, 173. 416 Werner Ross: Laudatio auf Reiner Kunze, den Geschwister-Scholl-Preisträger. In: Feldkamp (Hrsg.) 1987. S. 196. 417 Gerard Raulet. In: Feldkamp (Hrsg.) 1987. passim. Heiner Feldkamp verweist jedoch zu Recht auf den bei weitem größeren Verständlichkeitsgrad der poetischen Bilder Kunzes im Vergleich zu jenen Huchels, Bobrowskis, Arendts oder auch Celans: „Die Kommunikativität der Sprache und Bilder wird nur äußerst selten durch Paradoxa, Oxymora oder durch assoziative Bildfolgen entscheidend erschwert.“ Feldkamp 1994. S. 385. 418 Knörrich. In: Feldkamp (Hrsg.) 1987. S. 298f. 148 Du hattest ein viereck gemalt, darüber ein dreieck, darauf (an die seite) zwei striche mit rauch – fertig war DAS HAUS Man glaubt gar nicht, was man alles nicht braucht419 Das zweistrophige Gedicht in ungereimten Versen unterschiedlicher Länge beschreibt in nüchterner, einfacher Sprache den Prozess des Zeichnens eines Hauses von der Hand eines Kindes. Der Skizze des Hauses folgt die Skizze einer Überlegung, die trivial klingen muss, wenn man nicht den diskreten Verweis auf einen bekannten Brecht-Text der Buckower Elegien bedenkt. Gemeint ist das Gedicht Der Rauch, mit dem Kunzes Kinderzeichnung in einem spannenden intertextuellen Verhältnis u.E. steht: Das kleine Haus unter Bäumen am See. Vom Dach steigt Rauch. Fehlte er Wie trostlos dann wären Haus, Bäume und See.420 In einem Kommentar zum kleinen Gedicht von Brecht schreibt Gabriele Wohmann: „Fünf Zeilen beschwören das kleine schmucklose Bild herauf, anschaulich und komplett. Ich muss an die Häuser mit Landschatszugabe denken, die ich gemalt habe, als ich ein Kind war. Auch bei mir hat nie der Rauch aus dem Schornstein gefehlt. Ging es mir dabei um den letzten Schlif und, wie im Gedicht, um Trost? […] Ein Kindervertrauen äußert sich im Bedürfnis, mit dem qualmenden Schornstein das Bild zu vervollständigen und gleichzeitig zu signalisieren. Das Haus ist nicht verlassen, es steht nicht nutzlos herum.“ 421 Brechts poetische Hausskizze hat, wie Gabriele Wohmann zu Recht bemerkt, etwas vom Aussparend-Wesentlichen einer Kinderzeichnung „mit Landschatszugabe“, die ebenfalls auf zwei Grundelemente idyllischer Szenerie reduziert ist. In äußerster Knappheit wird hier ein Naturbild umrissen, das aber nicht an sich schön zu sein 419 Reiner Kunze: Sensible Wege und frühe Gedichte. Frankfurt am Main: Fischer 1996. S. 27. 420 Bertolt Brecht: Die Gedichte in einem Band. Hrsg. v. Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann. Frankfurt am Main 2003. S. 1012. Im folgenden Brecht: Gedichte abgekürzt. 421 Gabriele Wohmann: Trost. In: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Bertolt Brecht. Der Mond über Soho. 66 Gedichte mit Interpretationen. Frankfurt am Main 2002. S. 228. 149 hat, sondern erst durch das Zeichen menschlichen Daseins interessant wird. Warum menschliches Dasein erst Haus und Umgebung für den Betrachtenden sinnvoll macht, erklärt vielleicht ein Exil-Gedicht Brechts, Heimkehr des Odysseus, in dem „das Haus“ in mythischem Kontext vorgezeichnet ist: Dies ist das Dach. Die erste Sorge weicht. Denn aus dem Haus steigt Rauch: es ist bewohnt. Sie dachten auf dem Schife schon: vielleicht Ist unverändert hier nur mehr der Mond.422 Brecht verbindet hier in mythischem Gewand die „Sorge“ des heimkehrenden Exilierten, nichts mehr vom Vertrauten in einer womöglich menschenleeren Heimatlandschat vorzuinden, mit der aufatmenden Feststellung menschlicher Anwesenheit. Dies mag für den Exil-Dichter Brecht ein besonders afektbesetztes Bild gewesen sein, das durch die verknappte und gestisch fragmentierte Sprache, wie auch durch die mythische Maskierung jene Distanz gewinnt, die später auch dem Gedicht Der Rauch zugute kommen sollte. Im späteren Text der Buckower Elegien ist zwar von keiner Heimkehr mehr die Rede, doch kann beim rekurrenten Bild des Hauses mit Rauch die latente Erinnerung an eine lakonisch bewältigte Angst nicht ausgeschlossen werden423. Trostlos empindet der virtuelle Betrachtende 1953 eine menschenleere Landschat. Erst jene vom Menschen bewohnte, nützlich gemachte Natur erscheint dem Autor als sinnvoll oder, mit Gabriele Wohmann gesprochen, als Trost spendend. Das könnte, wie gesagt, ein älteres Gefühl der Verunsicherung stillschweigend verarbeiten, trit zugleich Brechts Weltsicht und seine Einstellung gegenüber der überlieferten Naturpoesie. Seine Naturlyrik ist zugleich eine integrierte Gedankenlyrik, mit einem im Naturbild lakonisch gestellten Denkautrag an den Leser. Die implizite Relexionsauforderung Brechtscher Naturlyrik in der Form sachlicher Lapidarität, rechnete unter anderem mit einer jahrhundertelangen Tradition rein kontemplativer, emotional aufgeladener Naturdichtung. Der Titel Der Rauch macht schon auf das Wesentliche aufmerksam, den Rauch als Zeichen der Anwesenheit des Menschen in der andernfalls trostlosen Naturlandschat. Die fünf Gedichtzeilen folgen einer lyrisch-aphoristischen Grundstruktur, die Bild und Relexion über die Lakonik der Parataxe und das gestisch orientierte Enjambement neu zusammenbringt. In den ersten zwei Zeilen werden punktuelle 422 Brecht: Gedichte. S. 563. 423 Jan Knopf, der berechtigterweise die Meinung vertritt, dass „Brechts Lyrik, auch die späte, […] ganz ofenbar von Gesehenem, Erfahrenem aus(geht), nicht abbildend, aber darauf verweisend“, denn „es legt nichts in die Dinge hinein, es versucht, den Dingen auf die Spur zu kommen, ihnen ihre Bedeutungen und Zusammenhänge abzulesen“ (S. 196), schließt nicht aus, dass die kleine Villa mit Gärtnerhaus, die Brecht im Sommer 1952 in Buckow bezogen hatte, möglicherweise einer früheren (Exil-) Wohnung ähnlich war: „Möglich, dass Brecht gerade diesen Ort wählte, weil er ihn an die frühere Ammerseelandschat und das Landhaus in Utting oder auch an die Svendborger Zuluchtsstätte erinnerte.“ Knopf 1996. S. 191. 150 wertfreie Beobachtungen in teilweise elliptischer Formulierung - „Das kleine Haus unter Bäumen am See. / Vom Dach steigt Rauch“ – auf den wertenden Punkt der folgenden drei Zeilen gebracht - „Fehlte er / Wie trostlos dann wären / Haus, Bäume und See“, wobei die Achsenstellung des verkürzten Konditionalsatzes und die Versbrechung bei „wären“, die auf ein neu überdachtes Naturbild verweisen, tatsächlich ausschlaggebend sind424. Bis auf die Auteilung der poetischen Aussage in allerdings unregelmäßige und ungereimte Verse scheint das kleine Gedicht Brechts nichts formal Gedichthates zu haben. Der Duktus des Textes scheint demjenigen der gewöhnlichen Sprache zu folgen. Das Gedicht spricht die „grauere“ Sprache der neuen lakonischen Dichtung. Aber schon bei einem ungezwungenen lauten Lesen zerfällt der Text in zwei verschieden rhythmisierte Einheiten. Wenn die ersten zwei und die letzten zwei Zeilen jambisch-anapästisch ausgerichtet sind, so wird diese rhythmische Linie in der dritten Zeile durch den Trochäus durchbrochen. Der Gegenrhythmus des dritten Verses hebt diesen hervor, zeigt so auf sein veränderndes Potential. Und tatsächlich signalisiert die mittlere und kürzeste Verszeile des Gedichts, wie eine alles wendende Zäsur, – „Fehlte er“ – eine semantische Umkehrung der Perspektive. Damit beginnt eine Neubewertung natürlicher Idyllik425. Der mittlere Vers kann auch auf eine andere Art strukturbestimmend für dieses kleine Gedicht wirken, indem er, bei aller rhythmischen und bildlichen Redundanz der ersten zwei und der letzten zwei Zeilen, den Text in drei Sequenzen auteilt: sachlich-lakonische Beobachtung oder Beschreibung des Beobachteten in den ersten zwei Verszeilen, konjunktivisch ausgedrückte Bedingung einer alternativen Erfahrung in der mittleren Zeile und deren „trostlose“ Folge für „Haus, Bäume und See“ in den zwei letzten Zeilen. Dieser lapidare lyrische Dreischritt könnte, wie Spicker andernorts meint, auf eine Überführung aphoristischer Strukturen ins Poetische verweisen, vor allem da Brecht selbst, neben Gedichten, Dramen und Essays, auch Aphorismen geschrieben und das relexive, leseraktivierende Potential aphoristischer Rhetorik daher sehr wohl erkannt hatte426. Es wäre somit alles andere als befremdlich, dass Brecht zur Unterstützung der lyrischen Geste seiner mehr oder weniger verkappten Gedankenlyrik aphoristische Strategien herangezogen hat. Die Ordnung des poetischen Diskurses nach aphoristischem Dreischritt, mit aphoristischer Pointierung, überraschenden Wortspielen und Umkehrungen kann übrigens bei mehreren Gedichten Brechts nachgewiesen werden427. 424 Spicker 2000. S. 140. 425 Brecht bezeichnete in einer privaten Korrespondenz mit Peter Suhrkamp die „Buckower Elegien“ als „Buckowliche Elegien“ in wortspielerischer Manier, wie Knopf behauptet: „insofern er nicht nur den Ortsnamen meint, sondern auch an ‚Bukolik‘ anklingt“. Knopf 1996. S. 191. 426 Spicker 2000. S. 137. In seiner Beschreibung des Aphorismus betont auch H. Fricke die extrem leseraktivierende Krat des Aphorismus: „Die Textsorte Aphorismus hat somit ihre ganz eigene Rhetorik – nicht die vielzitierte ‚Rhetorik des Schweigens‘, wohl aber eine ausgebildete ‚Rhetorik des Verschweigens‘, eine diferenzierte Rhetorik des Andeutens, die die Ausführung dem denkenden Leser überlässt und seine Gedanken dennoch auf subtile Weise in bestimmte Richtungen zu lenken versteht. Der Aphorismus ist also einerseits extrem kontextfrei, andererseits extrem leseraktivierend“ Fricke: Aphorismus. In: HWR. Bd. I (A-Bib). Darmstadt 1992. S. 774. 427 Spicker 2000. S. 133-141 passim. 151 In Kunzes „Kinderzeichnung“ fehlt jede Landschatszugabe. Dafür steht das Haus „mit rauch“ im Mittelpunkt. Das kleine Gedicht scheint jedoch, in diskretem Kontrapunkt zu Brecht, mit der Betonung dessen „was man alles / nicht braucht“ zu enden. Trotz der schon erwähnten Unregelmäßigkeit hat auch dieses kleine Gedicht, wie bei Brecht, eine gegenrhythmisch regulierte Struktur. Auf die unterschiedlich langen drei, jambischanapästisch rhythmisierten Verszeilen folgt, nach dem längsten Vers des Gedichts, der darüber hinaus noch durch den Gedankenstrich an Ausdehnung gewinnt, der trochäische Gegenrhythmus in einer der kürzesten Verszeilen des Textes. Die plötzliche Wendung im Rhythmus ist prägend für die Lakonik Brechtscher Art und soll hier das zentrale Bild zusätzlich zu seiner Großschreibung hervorheben: das Haus oder das auf seine Grundlinien reduzierte Gebilde. Es ist dieses Mal nichts Trostspendendes, sondern die vom Kind essenziell erfasste und dargestellte Idee des Hauses. Das reife Auge entdeckt im bildlichen Lakonismus dieser Kinderzeichnung einen genuinen Ausdruck von grundlegender Einfachheit. Dieses wird in der zweiten Strophe explizit ausgedrückt und durch die sich fortsetzende gegenrhythmische Regulierung unterstrichen. Der jambische Rhythmus der ersten Verszeile wird durch den trochäischen der folgenden zur Hervorhebung der Menge dessen, was man nicht braucht, durchbrochen. Beim einfachen Lesen des Textes klingt allerdings, trotz Fehlens einer tradierten Reim- und Rhythmusstruktur - man könnte lediglich von einem verschobenen Reim und einem Gegenrhythmus sprechen -, eine erkennbare, durch Assonanzen und Alliterationen rainiert konstruierte Musikalität nach: z.B. „darüber ein dreieck, / darauf (an die seite) zwei striche mit rauch“ 428. Diese Musik der Assonanzen und Alliterationen, die den ganzen Text durchzieht, hat einen gestischen Charakter in ihrer Konsonanz. So reimt fast perfekt über mehrere Zeilen hinweg, auch über die drastischere Pause zwischen den Strophen, „rauch“ mit dem Endwort des Gedichts „braucht“. Eine zustimmende Anspielung auf Brecht? Oder ein Gegenwort zu demselben, da ja, im Gegensatz zu Brecht, nicht mehr auf das, was nicht fehlen darf, verwiesen wird, sondern gerade auf all das, was man nicht braucht? Mit Kunze spricht eben eine Generation, die das Brechtsche gestische Sagen nicht mehr in den Dienst einer Ideologie stellt, sondern es vielmehr gegen jede ideologischdogmatische Vereinnahmung einzusetzen versucht. Hierin liegt auch die dialektische Schlagkrat des lakonischen Gegenwortes bei Kunze. Stellung nehmen dürte das Wesen der Dinge nicht verkennen und ihrem Da-Sein ein fremdes Ziel aufzwingen. Diesbezüglich interessant ist ein Text des Gedichtbandes Auf eigene Hofnung, mit dem Titel Tagebuchblatt 80, der subtil das in der Lyrik nach 1945 umstrittene hema „Natur“ problematisiert: 428 Kunze selbst bekannte in seinem Essay über die Messen Mozarts „dem Melodischen in der Musik ofenbar hofnungslos verfallen“ zu sein (Vgl. Kunze 1989. S. 163.). Die Musikalität seiner eigenen Gedichte machte, laut Heiner Feldkamp, eine grundlegende Entwicklung durch von den „volksliedhaten und melodisch-eingängigen Versen des Frühwerks“ zu den von Variation, Wiederholung, Alliterationen und Assonanzen bestimmten späteren Texten. „Die Bedeutung der Alliteration in den Gedichten Kunzes, insbesondere seit dem Band Sensible Wege, kann kaum überschätzt werden“, betont Feldkamp. Feldkamp 1994. S. 388. 152 Die kletterrosen blühn, als verblute die landschat Als habe sie sich die adern geöfnet Als wisse sie, was kommt Auch die landschat, werden sie behaupten, dürfe nicht mehr nur sein, auch sie müsse dafür sein oder dagegen Der quasi selbstmörderischen Landschat wird eine „engagierte“ Absicht übertragen, die der Dichter nicht hundertprozentig zu teilen scheint, denn die Behauptung der letzten Strophe, Natur dürfe nicht bloß existieren, sondern müsse auch Stellung nehmen oder, mit einem Seitenblick auf die Verurteilung der Naturlyrik durch Brecht als eskapistisch, Natur sei nur als eine sozusagen mitstreitende Realität zu berücksichtigen, diese Behauptung also überlässt Kunze einem nicht weiter bestimmten „sie“. Der Wechsel der Perspektive von der subjektiven Wahrnehmung eines verzweifelt-schönen Blühens der Landschat zu einer gesellschatlichen Klischees angepassten Auswertung dieser naturhaten Entwicklung durch das „sie“ will unterschwellig Distanz zu verfestigten Positionen schafen, ohne jedoch deren grundsätzliche Rechtfertigung abzulehnen. In Kinderzeichnung stellt sich die Frage, ob die klangliche Abstimmung von „nicht braucht“ auf „rauch“ eine tiefgreifendere Gegenposition zu Brechts kategorischer Didaktik des Naturbildes artikulieren soll. Dies ist, wie wir glauben, weder eindeutig zu bestimmen, noch auszuschließen, wenn man, wie bereits erwähnt, den enormen Einluss der Brechtschen Spätlyrik auf die Nachkriegslyrik der DDR im Allgemeinen und auf Kunze im Besonderen bedenkt. Die Schlusszeile der Kinderzeichnung macht außerdem die Pointe des Gedichts aus und nimmt jene Stelle ein, die in anderen Gedichten Kunzes dem Gegenwort reserviert ist. So im Gedicht Einladung zu einer Tasse Jasmintee aus dem Band Sensible Wege, wo, zur Überraschung des Lesers, nicht zur Konversation, sondern zum Schweigen – wobei dieses Schweigen vielmehr politisch als mystisch zu interpretieren ist – eingeladen wird: Treten Sie ein, legen Sie Ihre traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen.429 429 Kunze: Sensible Wege. S. 105. 153 Oder im Gedicht Pfarrhaus aus dem Band Zimmerlautstärke: Wer da bedrängt ist indet mauern, ein dach und muss nicht beten430 Beide Texte sind lakonisch formulierte Einladungen zu Schutz und Befreiung von Zwang. Im Unterschied zum Gedicht Kinderzeichnung, dessen Schluss unerwartet bloß im dialogisch-intertextuellen Verhältnis zu Brecht ist, zielen die letzten Zeilen der Gedichte Einladung zu einer Tasse Jasmintee und Pfarrhaus auf eine deutlichere Pointierung im expliziten Gegenwort. Die Einladung zum Jasmintee entpuppt sich als Einladung zum Schweigen, wobei das Modalverb nicht auf ein sich natürlich einstellendes, sondern auf ein „hier“ erlaubtes Schweigen hindeutet, nachdem sich der Besucher seiner „traurigkeit“ entkleidet hat. Es handelt sich somit um eine sonderbare Art des Schweigens, genauer um eine Form der Befreiung vom unterstellten Zwang des Redens. Mit der Beschränkung des Schweigens auf einen wahrscheinlich stillen und privaten Ort bekommt dieses Schweigen die zusätzliche Charakteristik des Verheimlichten. Was dieser kleine Text in seiner paradoxen Lakonik bietet, ist also eine Auforderung zur mindestens klandestinen Abstinenz von der Sprache als Zwang. Sprache als Zwang konnte in einem totalitären Weltsystem, wie jenem in welchem diese Gedichte entstanden sind, in der alltäglichen und allgegenwärtigen Form der aufgezwungenen Propagandasprache oder in der dramatischeren Variante des Verhörs erfahren werden. In beiden Fällen war Schweigen ein Ausdruck der Befreiung und des stillen Engagements gegen politischen Missbrauch und für individuelle Autonomie. Schweigen wäre in diesem Kontext das Gegenwort zum erzwungenen Reden und zu einer destruktiven künstlichen Sprache. Die prägnante Kürze dieses Gedichts läßt allerdings auch andere Deutungsmöglichkeiten der Einladung zum Schweigen, jenseits des Politischen, zu. So könnte die „traurigkeit“ auch auf den komplizierten emotionalen Zustand eines Depressiven, der im Schweigen eine beruhigende Befreiung vom Reden erfahren kann, anspielen. Auch in diesem Sinn bleibt die Einladung paradox, denn sie widerspricht der gängigen Erwartung von beispielsweise therapeutischem Dialog. Sie kommt aber dem Betrofenen entgegen, indem sie introspektiv dem geheimen Wunsch des Eingeladenen folgt und Reden implizit als Druck deutet. Der Rückzug in diesen defensiven aber notwendigen Raum der Wortlosigkeit erweitert die Semantik des kleinen Textes um eine für die Lyrik stets bedeutende persönlich-private Dimension. Das Gedicht Pfarrhaus, das einem Pfarrer gewidmet ist, verbindet lakonisch die Skizze des (Pfarr)Hauses mit der Möglichkeit zwangfreien Verhaltens. „Wer da bedrängt ist“ indet das Wesentliche an körperlichem Schutz und geistiger Befreiung, 430 Reiner Kunze: Zimmerlautstärke. Gedichte. Frankfurt am Main: Fischer 1991. S. 41. 154 einen Fluchtort also, ohne jede belastende Bedingung. Die isolierte letzte Verszeile bringt als Pointe erneut ein Gegenwort, dieses Mal gegen jede Art der Einschränkung menschlicher Freiheit durch Konditionierung gerichtet. Dieses Pfarrhaus ist wesentlich nicht nur durch seine Einfachheit und Trost spendend, nicht nur weil es vom Menschen bewohnt ist, sondern weil es bedingungslos Schutz vor Bedrängung bietet. Das Gegenwort gehört bei Kunze zur Kunst lakonischer Pointierung und wird durch die „Semantik der Form“ 431 des gesamten Gedichts hervorgehoben und gestützt. Für Dieter Lamping ist vor allem die einfache Versgliederung, abgesehen von Reim und metrisch reguliertem Rhythmus, die tragende Struktur dieser Semantik der Form. Sie grenzt auch das Gedicht in freien Versen von Prosatexten ab oder die aphoristische lakonische Lyrik vom philosophischen Aphorismus432 und hat die Funktion poetische Bezüge zwischen verschiedenen sprachlichen Zeichen herzustellen und einzelne sprachliche Zeichen aus ihren grammatischen und syntaktischen Zusammenhängen zu lösen, um diesen ein Maximum an Aufmerksamkeit zu sichern. Das heißt, die Art und Weise der Segmentierung eines Textes in Verszeilen hat eine semantische Dimension an sich. Bei Brecht gehört sie, wie jede andere Brechung und synkopierende Spannung zwischen Syntax und Vers, zur Rhetorik des gestischen Sagens. Die Pause am Versende hat, wie Lamping zu Recht bemerkt, ein größeres Gewicht als ein Punkt am Ende eines Satzes, da sie eine größere und komplexere semantische Akzentuierung des dadurch vom übrigen Text isolierten Wortes bewirken kann. Umgekehrt kann die Platzierung bestimmter Wörter an exponierten Stellen, wie z.B. am Ende einer Verszeile oder am Ende des Gedichts, semantische Beziehungen stiten, die nicht grammatisch oder syntaktisch vermittelt sind. Kunzes lakonische Lyrik proitiert ebenfalls von dieser Semantik der Form. In Kinderzeichnung haben wir bereits auf die rainierte klangliche Abstimmung von „rauch“ und „nicht braucht“ als einen möglichen unterschwelligen Kontrapunkt zu Brecht, wie auch auf „gestische“ Brechungen im Rhythmus durch gegenrhythmische Regulierung verwiesen. Die Einladung zu einer Tasse Jasmintee bevorzugt eine andere textliche „Gestik“, die Zäsuren im Inneren der Verszeile mit einer eigenartigen Versgliederung kombiniert. Solche Kombinationen von Stauungen des Rhythmus und Brechungen der Rede haben die Funktion, jene überraschenden Wendungen vorzubereiten, die denkanregend wirken sollen. Starke Mittelzäsuren waren außerdem schon für antike gnomische Texte typisch, im epigrammatischen Pentameter zum Beispiel. In Kunzes Gedicht stoßen in der Choriambusstruktur der ersten Verszeile zwei betonte Stellen aufeinander, wobei die dadurch entstehende Pause zusätzlich durch Interpunktion markiert ist: „Treten Sie ein, legen Sie Ihre“. Die Zeile ist metrisch, wie auch syntaktisch und damit semantisch unvollständig. Metrisch ist der Vers bei zwei Choriamben und einer überzähligen betonten Silbe hyperkatalektisch konstruiert. Syntaktisch fehlt ein Akkusativobjekt, von dem der Leser erwartet, dass es gegenständlicher Natur ist. Zu seiner Überraschung beginnt die folgende Verszeile zwar mit der vermissten 431 Lamping 32000. passim. 432 Spicker 2000. S. 119f. 155 syntaktischen aber nicht mit der semantisch erwarteten Ergänzung, die durch die ungewöhnliche Brechung der ersten Zeile und der Positionierung des Wortes an erster Stelle der zweiten Zeile auch formal hervorgehoben wird. So tritt „traurigkeit“ plötzlich in den Mittelpunkt der wahrscheinlich irritierten Aufmerksamkeit des Lesers. Dies ist aber, mit Celan gesprochen, nur ein Schritt oder, mit Brecht, der erste Verfremdungsefekt auf dem kurzen und intensiven Weg des Gedichts zu seiner Pointe, zum Gegenwort. Metrisch wiederholt die zweite Zeile dieselbe choriambische Struktur der ersten bis zum Zusammenstoß der beiden Tonstellen, was dem überraschten Leser willkommen, weil kohärenzstitend erscheinen könnte. Doch den jähen Bruch muss er schließlich um vier Silben früher verkraten und den Atem sozusagen nach einer dieses Mal betonten Stelle anhalten, welche in spannungsvoller Weise dem „hier“ ein Maximum an Aufmerksamkeit sichert. „Hier“ steht nicht nur an betonter Stelle, sondern erfährt eine Überbetonung durch die Kombination von Zäsur im Vers und Versbrechung. Diese deutet schon auf „hier“ als Signal für die letzte Wendung zur Pointe. Die Funktion des „hier“ hat im Gedicht Pfarrhaus das „und“433. Doch in diesem kleinen Gedicht kombiniert Kunze den Schrumpfungsprozess des Textkörpers mit einer noch drastischeren Pause zwischen der dritten, kürzesten und der letzten Zeile, in der sich das lakonische Sagen nicht zufällig zuspitzt. Auch in diesem Fall hat die Semantik der Form eine stützende Krat. Synkopen, gewaltige Brechungen, spannungsvolle Ellipsen, rainierte Gegenrhythmen und subtil konstruierte Gegenworte gehören zur herben Lakonik der Nachkriegslyrik, die auch in „Zimmerlautstärke“ unüberhörbar einen neuen lyrischen Ton geprägt hat, den wohl aufallendsten der zeitgenössischen Lyrik. 433 Heiner Feldkamp hebt ebenfalls, berechtigerweise, die Bedeutung der Funktionswörter bei Kunze hervor: „Den Funktionswörtern kommt im Kontext der Gedichte und Prosatexte ein besonderes Gewicht zu. Wörter wie ,doch‘, ,auch‘, ,nun‘, ,noch‘, ,jetzt‘, ,hier‘, ,fast‘, ,schon‘ und ,aber‘ können durch Inversion, Topikalisierung und Ein-Wort-Zeilen zu Schlüsselstellen eines Textes werden.“ Feldkamp 1994. S. 384. Eine Möglichkeit rhythmische Akzente zu setzen entdeckt Feldkamp bei Kunze „in der häuigen Verwendung der unspeziischen Konjunktion ,und‘ “ (S. 382). 156 5. Lakonische Zyklen Eines der u.E. spannendsten textkörperlichen und –dynamischen Phänomene bei lakonischen Lyrikern ist das Fassen von Kurz- und Kürzestgedichten in eine Großform der Dichtung, den Gedichtzyklus. Sowohl Günter Eich als auch Erich Fried und Reiner Kunze greifen auf diese immer wieder faszinierende und, durch die Suggestion und/oder Verwirklichung des Wiederkehrenden und Variierenden musikalische Kompositionsstruktur zurück. Gedichtzyklen bauen auf ein paradoxes, meistens virtuos harmonisiertes Kräteverhältnis zwischen Einzeltext und dem „gerundeten“ Ganzen des Zyklus, Wiederkehr des Gleichen, aber nach dem Prinzip der Variation, Entwicklung und Regression. Laut der klassisch gewordenen Deinition Joachim Müllers aus dem Jahre 1932 kreist jeder Gedichtzyklus, von einem thematischen Apriori ausgelöst, um ein Grundmotiv oder Grunderlebnis in einer sich spiralenförmig entwickelnden Bewegung zu einem Höhe- und Schlusspunkt hin, auf dem das „thematische Apriori […] auf einer höheren Stufe zu sich selbst“ kommt434. Dadurch wird ein starker, kohärenzstitender Bauwille an den Tag gelegt, zugleich aber eine ausgesprochen artistische Form, die der symbolischen (und symbolistischen) Vorstellung eines sich allmählich rundenden, geschlossenen Kunstwerks entspricht. Diese Aufassung dient grundsätzlich noch der neueren Forschung zur Analyse von Gedichtzyklen. So kennzeichnet Cordula Gerhard Zyklen aufgrund der auf Wechselwirkungen beruhenden Interdependenz zwischen den Einzelgedichten, die durch innere Verknüpfung „über bestimmte Bilder, Metaphern und Symbole, die alle (leit)motivischen Charakter haben und in bestimmter Weise organisiert sind“, also durch eine Motivstruktur, „die zur Kernaussage, zum motivischen Apriori führt und einen bestimmten lyrischen Ablauf festlegt“ anschaulich gegeben ist435. Expressionistische Gedichtzyklen beschreibt Cordula Gerhart grundsätzlich als radikalisierte Variationen symbolistischer Zyklusmodelle, die nicht mehr am Mimetisch-Narrativen, sondern am Weltanschaulichen interessiert sind. Auf die auseinanderfallende moderne Wirklichkeit reagieren Symbolisten und Expressionisten, laut Gerhard, mit einer bindenden Form. Nicht immer ist aber ein „thematisches Apriori“ oder eine kunstvolle Anordnung der Gedichte um eine 434 Joachim Müller: Das zyklische Prinzip in der Lyrik. In: Germanisch-Romanische Monatsschrit. XX. Jahrgang, Heidelberg. 1932. S. 1-20. 435 Cordula Gerhard: Das Erbe der „Großen Form“. Untersuchungen zur Zyklus-Bildung in der expressionistischen Lyrik. Frankfurt am Main, Bern, New York (Europäische Hochschulschriten R.I.: Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 910) 1986. S. 216f. 157 innere Mitte, wie bei Stefan George oder Rainer Maria Rilke auszumachen436. Trotzdem reizt das Integrieren von Einzeltexten in einen umfassenderen Überbau gerade auch jene, die von solchen artistischen Prinzipien abzusehen scheinen und mit der abruptesten Form von Konzision arbeiten. Wird so der Härte dieser „zerhackten“, spröden und extrem verdichteten Kurzlyrik harmonisierend, Brechungen überspielend, entgegengearbeitet oder wird die Form des Zyklus’ als strukturelle Kontrastfolie eingesetzt, um die gestische Lakonik der Einzeltexte zusätzlich hervorzuheben? Die wohl skurrilsten Zyklen unter den behandelten Autoren bietet Günter Eich in den Bänden Zu den Akten und Anlässe und Steingärten. Die Gedichtgruppe 17 Formeln im ersten erwähnten Band, die mit anderen 8 im nächsten Band fortgesetzt werden, konfrontieren den Leser mit einzelnen Zeilen, die selten Satzcharakter haben. Vielmehr dominieren Ellipse und Aposiopese: „Hofnung, alte Wolfsfährte“; „Mein Versteck in der Dreiteilung des Winkels“; „Dir, Scott, der zu spät kam!“; „Fromm durch Indianersprachen“; „Den kambrischen Freunden“, „Vergessen und vertrunken“ usw. Von einem thematisch-motivlichen Apriori oder von einer wie auch immer gestalteten „inneren Mitte“ kann hier nicht die Rede sein. Berechtigt wäre auch die Frage, mit welchen Textsorten man es hier überhaupt zu tun hat, denn diese entsprechen auch der Minimaldeinition Lampings vom Gedicht als einer Rede in Versen nicht. Es seien „Textschnipsel, welche sich Texten jeder beliebigen Gattung einpassen lassen“ und die Eichs Lyrik mit der Prosa der Maulwürfe verbinden, meint in der neueren Forschung Sigurd Martin437. Eine semantische Konstante ist nicht auszumachen, vielmehr etablieren die Formeln eine Art disruptive Lakonik in verschiedenen Tonlagen der Emphase und des Artikulierens von Gedanken. Ein aulösender Lakonismus scheint in seiner quasi absurden Diskontinuität manches auf diese Art zurückzunehmen. Abgebrochen wird so z.B. die Tendenz zu erklären und zu deinieren: „Mein Versteck in der Dreiteilung des Winkels“, jene der klaren, kohärenten Antwort und somit auch des Dialogs: „Als Antwort Insektenschwärme“, die Tendenz zu beschreiben: „Kandierte Chinesen“, „Erleuchtet durch hölzerne Verschläge“ usw. In Ermanglung einer semantischen „Mitte“, die vom Zyklus variierend aufgenommen und weiterentwickelt wird, verspricht sich der Leser vom bündelnden Oberbegrif „Formeln“ Aufschluss über den Sinn dieser „Textschnipsel“. Den gängigen Gebrauch dieses Begrifs synthetisiert der Duden unter vier Bedeutungen folgendermaßen: 1. „fester, sprachlicher Ausdruck, feste Formulierung für etw. Bestimmtes“, z.B. eine stereotype Formel 436 Siehe z.B. zu Trakls Zyklendichtung: Iris Denneler: Textbegehrlichkeiten oder Was fasziniert am Zyklus. In: Karoly Csúry (Hrsg.): Zyklische Kompositionsformen in Georg Trakls Dichtung. Tübingen. 1996. S. 29-47; Sieglinde Klettenhammer: Zyklusbildung - (K)ein Kompositionsprinzip der Dichtungen Georg Trakls? „Gesang des Abgeschiedenen“ im Kontext der Sammlung „Sebastian im Traum“. In: Hans Weichselbaum, Walter Methlagl (Hrsg.): Deutungsmuster. Salzburger Trefen der Trakl-Forscher 1995. Salzburg 1996. S. 151-190. 437 Martin 1995. S. 247. 158 2. „Folge von Buchstaben, Zahlen od. Worten zur verkürzten Bezeichnung eines mathematischen, chemischen od. physikalischen Sachverhalts“ 3. „kurz gefasster Satz od. Ausdruck, in dem sich ein gedanklicher Zusammenhang erhellend fassen lässt“ 4. „Rennformel“ im Motorsport438 Günter Eich strebte, wie bereits weiter oben besprochen, Präzision und Kürze in seiner Lyrik an, doch ot in absurder oder ironischer Verfremdung, um das Plakative des kurzen und präzisen Ausdrucks und des dahinter steckenden Gedankens zu vermeiden, ja sogar zu bekämpfen. Daher entsprechen Formeln, als Ausdruck von Exaktheit und Konzision zunächst seiner älteren Wunschvorstellung von Dichtung, die sich seit den 60er Jahren (auch) in Richtung Nonsense-Hermetik allmählich radikalisierte. Wie im Falle seiner „Deinitionen“ sind aber auch die „Formeln“ keine einfach gedankliche Zusammenhänge erhellenden Ausdrücke. Ganz im Gegenteil bieten sie befremdende Wortzusammensetzungen, wie „Hortisilur“, „Fischbeinschwäche“, „Baumwollust“, „Fernsehstrumpf “ quasi als Begrife eines surreal anmutenden Sachverhalts. Formeln repräsentieren aber, unter anderem, Gedankenkonzentrate, die zu „feste(n) Formulierung(en) für etwas Bestimmtes“ werden können. Bei Eich haben sie den Stichwort- und Denkimpuls-Charakter der früheren Notizen über Signum und Metapher und veranschaulichen so die Dynamik eines kreativen Denkens, eines Denkens im Entstehen. Die mehrfach zerstückelte, torsoartige Poesie der Eichschen „Formeln“ kennt aber sogar Varianten. Denn es gibt bei Eich auch eine Reihe von verworfenen „Formeln“ oder Erstfassungen (Vgl. Bd. I, S. 286-287). So z.B. klingt die Erstfassung der 4. Formel des Bandes Zu den Akten: „Erleuchtet durch hölzerne Verschläge“ wie eine abgebrochene Erklärung oder Feststellung: „Der Sinn hölzerner Verschläge / und der Kartofelkeimlinge“, die dann quasi zur lakonischen Metapher eines profunden geistigen Zustandes verdichtet wurde. Eine andere Abwandlung der 6. Formel desselben Bandes: „Katzenschatten, stille Feiung gegen das Glück!“ verdrängt einen ursprünglich religiösen Deutungsvorschlag, der von der Erstfassung: „Katzenschatten, stille Feiung gegen das Kreuz“ nahegelegt wird und erzielt so eine für die lakonische Rede bedeutende Mehrdeutigkeit des Gesagten. Oder das wahrscheinliche Stilisieren eines Gedankensplitters wie: „Zwei Jahre ausgetrunken mit einem Schluck.“ zu einer semantisch noch ofeneren und zusätzlich alliterierenden „Formel“, wie „Vergessen und vertrunken“ im Band Anlässe und Steingärten. Derartige Entwicklungen lassen ebenfalls die Vermutung zu, dass Eichs Textschnipsel einen durchaus wohlüberlegten Fragmentcharakter besitzen, der einen möglicherweise ironischen Umgang mit der in Mode gekommenen Gattung des Aphorismus andeuten könnte. Dass Eich die Form des Aphorismus in seinen „Formeln“ dekonstruiert, wurde bereits weiter oben erwähnt. Aphorismen haben sehr wohl den Dichter Günter Eich beschätigt. Er thematisiert sie in einem seiner unveröfentlichten und undatierten 438 Duden 31996. S. 526. 159 Gedichte aus dem Nachlass folgendermaßen: „Die Aphorismen / mit Laubgrün schmücken, / nein, / aus dem Nabel denken.“ (Bd. I, S. 287). Aphorismen klischeehat als Ausdrücke des Denkens zu feiern weist Günter Eich zurück. Seine Empfehlung ist die Authentizität des aphoristischen Ausdrucks durch die Rückbindung an eine existenzielle Erfahrung zu gewinnen439. Einige seiner „Formeln“ scheinen zu einem Formulieren dieser semantisch schwergewichtigen „Gedankenblitze“ anzusetzen, doch der Gestus wird plötzlich abgebrochen und die Absicht scheint ebenfalls auf diese Weise zurückgenommen. Im Unterschied zu den verworfenen „Formeln“ gibt es außerdem in den aufgenommenen eine erkennbare verstärkte Suche nach surrealen Komposita, nach „ein(em) Wort, länger als zehn“, nach Satzkonzentraten. Dies beginnt schon in der verworfenen Fassung der Formeln mit „Scheurebe“ und setzt sich fort mit „Fischbeinschwäche“ und „Hortisilur“ in Zu den Akten oder mit „Baumwollust“ und „Fernsehstrumpf “ in Anlässe und Steingärten. Die Satzstruktur wird progressiv auf elliptische Syntagma und Komposita reduziert, was auf eine subtile Weise einen von Eich in den 60er Jahren quasi programmatisch vertretenen Aspekt dieser Texte nahezulegen scheint: den eines Denkens in Bewegung, einer nicht „zementierten“ Relexion, was letztendlich der Natur der Formel widerstrebt, ja diese als verfestigte Formulierung, als Resultat eines abgeschlossenen Denkvorgangs widerlegt. Denn die neuen, semantisch hart gefügten Komposita beispielsweise, weisen in ihrer skurrilen Lakonik ein eigenartiges Irritationspotential auf, das die Gemütlichkeit des Lesens auf eine harte Probe stellt und das Denken in Schwebe zu halten meint. Stimmt das, dann ist die bündelnde Bezeichnung der Zyklen, Formeln, lediglich als ironisch und die Texte wären als heimliche Gegen-Formeln zu begreifen. Diese Interpretation könnte im Band Anlässe und Steingärten von der unmittelbaren Nähe der Formeln zum ebenfalls gattungsironischen Zyklus Lange Gedichte gestützt werden. Beim Zyklus Lange Gedichte kann man jedoch eine Art „thematische Mitte“ oder ein „Apriori“ erkennen, nämlich die Auseinandersetzung mit der Literatur in der Form der literarischen Gattung, mit (literarischen) hemen oder Autoren. Der Titel des Zyklus’ thematisiert aber eine bestimmte Form von Lyrik, die eine Erwartungshaltung beim Leser hervorrut, welcher allerdings schon beim ersten Blick auf die in diesem Zyklus enthaltenen Texte widersprochen wird. Denn Eich bietet unter „langen Gedichten“ Kurz-, ja sogar Kürzestlyrik – vom Zweizeiler Stille Post für jedes Jahr bis zum Sechszeiler Beitrag zum Dantejahr – in dem durchgehend spröden, abrupten Ton lakonischer Poesie. Die Lakonik dieser Texte wird in diesem Fall durch den kontrastierenden und bündelnden Titel deutlich hervorgehoben. Umgekehrt entlarvt der Lakonismus der Gedichte die ironische Natur dieses Zyklus’, beginnend mit seinem Titel. 439 Friedemann Spicker bemerkt, Eichs Lyrik, obwohl „von äußerster Knappheit, ist kaum einmal von aphoristischem Gepräge“. Seine Formeln allerdings stünden „als überraschend-assoziative Prägungen dann doch wieder auch in einer aphoristischen Tradition“. Das Gedicht Die Aphorismen beweise jedoch, dass Eich sich der „Schere, die sich in ihr (der Gattung Aphorismus, L.C.) zwischen spielerisch-oberlächlichem Putz und existenziellem Denken autut“, durchaus bewusst war und diese hier auch bildlich zu gestalten versuchte. Vgl. Spicker 2004. S. 758. 160 Wie auch bei den „Formeln“ kann der Titel, wie auch die Gliederung der Texte zu einem Zyklus, die Erwartung einer verborgenen sinnstitenden Kohärenz ironisch manipulieren. Im Unterschied jedoch zu den „Formeln“ lassen die vermeintlichen „langen Gedichte“ einige nachvollziehbare semantische Querverbindungen unter den jeweiligen Texten zu. So spielen z.B. Gedichte wie Vorsicht, Zwischenbescheid für bedauernswerte Bäume und Ode an die Natur unter anderem auch auf die negative Betrachtung von Naturlyrik als eine möglicherweise eskapistische Art von Poesie an. Außerdem könnte der bizarre Zyklus ebenfalls als eine verdichtete Sammlung von mehr oder weniger verfremdeten lyrischen Stellungnahmen gelesen werden, die „Vorsicht“, „Zuversicht“, „Verdacht“, „Bedauern“ oder auch „Überzeugung“ zu einem meist ironisch gefärbten Ausdruck bringen. Immer wieder etablieren sich aber die Texte als eine karikierende Antwort auf den Titel des Zyklus und somit auf die diesem üblicherweise unterstellte strukturierende Absicht. Trotzdem hat die Lakonik hier nicht dieselbe disruptive Krat wie in den Formeln, denn die Kürze der „langen Gedichte“ artikuliert noch wahrnehmbare semantische Brücken, Verweise, subtile Verbindungen zwischen den kleinen Texten, die die Idee eines Zyklus’ transparent werden lassen. Allerdings ist der Umgang mit dieser Idee ambivalent. Denn der Lakonismus der Texte widerspricht, wie bereits erwähnt, der im Obertitel angekündigten Absicht eines Zyklus’ von langen Gedichten. Im Unterschied zu Eich ist Erich Fried ein ausgesprochener Freund von Kreisund Wiederholungsstrukturen, sei es beispielsweise in der rhetorischen Kleinform der Tautologie oder in der Großform der Lyrik, dem Zyklus. Zyklen erweitern bei Fried den lyrischen Entfaltungsraum des dialektisch-paradoxen Denkens und das ist wahrscheinlich bei lakonischen Zyklen, wie jenen der Sprüche und Widersprüche aus dem Band Warngedichte am sichtbarsten. Die Vorstellung des Zyklus’, im Sinne einer kreisenden Entwicklung, ist, so Johann Holzner, dem Friedschen „Warngedicht“ immanent und daher auch deinitorisch, wie er in seiner Interpretation des Textes Auf freiem Markt feststellt: „Die poetische Welt des Warngedichts stellt einen denkbaren historischen Ablauf als tödlichen Kreislauf dar, der nicht durchbrochen wird. Der scheinbar unvermeidliche Prozess wird nicht aufgehalten, weil keine Generation bereit ist, aus den Erfahrungen der Vorfahren zu lernen.“ 440 Volker Kaukoreit übernimmt die Idee der „tödliche(n) Zirkel“ und veriiziert diese unter anderem anhand des Gedichts Totschlagen aus den Sprüche(n) und Widersprüche(n), verweist jedoch darauf, dass es allerdings keine feste poetische Welt des Warngedichts bei Fried gibt, da nicht jedes Gedicht dieses Bandes eine Warngeste artikuliert441. Prägnante kreisende Denk- und Textbewegungen durchziehen jedenfalls die lakonische Dichtung der Sprüche und Widersprüche, wie in den bereits 440 Holzner 1981. S. 52. 441 Kaukoreit 1991. S. 429-441 passim. 161 weiter oben analysierten Gedichten Angst vor der Angst, Deinition oder Ausweg, die im Prinzip nicht nur das Spiel mit der Tautologie variieren, sondern auch jenes mit Spruch und Widerspruch. Auf den Geschmack des Lakonischen im Zyklus könnte Erich Fried sehr wohl durch fernöstliche Lyrikmodelle gekommen sein. Mitte der 70er Jahre bestand Erich Fried diesbezüglich in einem Gespräch mit Dick van Stekelenburg auf der Bedeutung altjapanischer Dichtung für seine Lyrik beginnend mit den Warngedichten: „Was […] bei mir als Neigung zur Verkürzung aufgefallen sein mag, könnte zusammenhängen mit meiner Beschätigung mit altjapanischen Gedichtformen, allerdings weniger mit dem dreizeiligen ‚Haiku‘ als mit der fünfzeiligen Strophe, der ‚Tanka‘, und sogar mit noch längeren, komplexeren, welche die Japaner ‚Naga-uta‘ (= Langgedicht) nannten. Ihr Einluss zeigt sich in allen meinen Gedichtbänden seit den Warngedichten.“ 442 Das Tanka, das altjapanische Kurzgedicht aus dem später das Haiku entstanden ist, war unter anderem eine dialogisch-gesellige Kurzdichtung, die sich zu einem kollektiven Langgedicht entwickeln konnte. Schon sehr früh konnte ein Tanka von zwei Autoren verfasst werden, einem für die erste, dreizeilige Strophe, Hokku, von 17 Silben (5 + 7 + 5), und einem für die zweizeilige „Schlussstrophe“ oder Matsuku, von 14 Silben (7 + 7). Ein solches Tanka wurde als Tanrenga – „Kurzkettengedicht“ oder, öter, als Waka – „Antwortgedicht“ bezeichnet. Die Verfassung eines Hokku plegte, in geselligem Beisammensein, als Einladung und scherzhate Provokation zum Weiterdichten durch einen anderen Anwesenden zu dienen, der das Hokku durch ein Matsuku ergänzte und somit ein Waka entstehen ließ. In spielerischer Aufmunterung konnte so ein Waka die ähnliche Verfassung eines anderen inspirieren und das Spiel vom Dichten beliebig weitertreiben. Die Verknüpfung in dieser Weise von mehreren Waka nannte man Haikai-renga oder „Scherz-Kettengedicht“443. Die rigorose und doch, aufgrund ihrer spielerisch-dialogischen Disposition, elastische Struktur dieser Dichtung muss dem Mitteilungskünstler Erich Fried, für den das Gedicht explizit eine Form der Kommunikation war444, besonders zugesagt haben. 442 Apud Kaukoreit 1991. S. 248. 443 Vgl. Jan Ulenbrook: Nachwort. In: Haiku. Japanische Dreizeiler. Ausgewählt und aus dem Urtext übersetzt von Jan Ulenbrook. Stuttgart 2002. S. 238-239. 444 In einem Gespräch mit Hanjo Kesting im Jahre 1980 antwortet Fried auf die Frage, ob das Gedicht ein Mittel der Kommunikation und kein zweckfreies ästhetisches Gebilde sei, folgenderweise: „Auch wenn es ganz einsam entstünde, wäre es noch kein Spiel, sondern eine sehr ernste Mitteilung an sich selbst, eine Gedächnisnotitz. Denn die eigenen Gedanken und die Gefühle, von denen Gedanken begleitet werden, vergisst man. Außerdem beginnt ein Gedicht zu entstehen, lange bevor es einem einfällt oder bevor man sich hinsetzt, um es aufzuschreiben. Alle Gedanken, die man bewusst erlebt und die einigermaßen kompliziert sind, formuliert man ansatzweise in Worten – in Worten, die sehr ot an nahstehende Menschen gerichtet sind, auch wenn man sie dann gar nicht zu ihnen sagt. Unser ganzes Denken ist von der Erfahrung der Kommunikation und von der Hofnung auf weitere Kommunikation nicht zu trennen.“ Hanjo Kesting: Anläufe und Anfechtungen. Gespräch mit Erich Fried (1980). In: Wolf (Hrsg.) 1986. S. 22-39, hier 38f. 162 Wahrscheinlich auch die Ähnlichkeit im Aubau mit dem Sonett445, einer europäischen Form lyrischer Strenge, in der komplexe Gedanken und Empindungen ot zu einem Zyklus weiterverarbeitet wurden446. Ein Krätemessen der langen vs. kurzen Dichtung versucht Fried explizit in einem Brief aus dem Jahre 1984 an Anne Duden, anlässlich der Neuaulage des Bandes Reich der Steine. Zyklische Gedichte, zu relativieren. Auf folgende Bemerkung eines Rezensenten: „Vor allem beeindruckt der lange, ruhige Atem dieser zyklischen Gedichte, die zwischen fünf und fünfzehn Seiten lang sind. Im Vergleich dazu erscheinen mir viele der aktuellen Kurzgedichte (eigene und die vieler Kollegen) wie eiliges Hüsteln“ reagiert Fried mit einem symptomatischen Zweifel: „Ich weiß nicht, ob auch meine ganz kurzen Gedichte zum Hüsteln gehören. Ich weiß auch nicht, ob die Zyklen immer einen langen oder gar ruhigen Atem hatten. Eine von ihm besonders gelobte Stelle: ‚Dass du dem Kopf nicht das Herz abschlägst / denn sonst schlägst du / dem Herzen den Kopf ab / Und das herzlose Kopf / rollt auf dem rechten Weg / und hat recht und hat recht und hat recht / und nach der linken Seite / hüpt das koplose Herz / linkisch davon‘ war, wenn ich mich recht erinnere, mit dem kurzen Atem der Verzweilung und des Kämpfens mit den Tränen geschrieben, daher auch die kurzen Zeilen. Übrigens endet ja Reich der Steine mit ganz kurzen Gedichten.“ 447 Nicht der ausschließende Gegensatz, sondern das Zusammenführen von Kurz- und Langgedicht vermag für Fried den eigentlichen Rhythmus seiner poetischen Welt auszudrücken. Die „ofene Dialektik“ 448 der Gedanken und Gefühle spiegelt sich somit auch in der Struktur des Ausdrucks wider, die langatmige, narrative Länge mit der intensiven, dramatischen Kürze expressiv verbinden kann. Doch war die Dominante der „zyklischen Gedichte“ die weitere Kreise ziehende Gestik der Texte, so etabliert sich, mit den Warngedichten im Großen und den Sprüchen und Widersprüchen im Besonderen, die Tendenz, das zyklische Langgedicht mit dem Lakonischen zu verbinden. Der fünte Teil der Warngedichte versammelt zwanzig reimlose, freirhythmische, meistens kurze Gedichttexte unter dem unlyrischen Titel Sprüche und Widersprüche. Kein Widerspruch allerdings zu der neuen Art von Lyrik, die von Fried beginnend mit den fünfziger und verstärkt in den sechziger Jahren geschrieben wurde, und die 445 Vgl. Gero von Wilpert: Tanka. In: Wilpert 71989. S. 921. 446 Zu den von Fried bewunderten Dichtern gehören, nicht zufällig, herausragende Meister lyrischer Zyklendichtung, wie Rainer Maria Rilke, Oskar Loerke, Georg Trakl, Bertolt Brecht oder Paul Celan. 447 Fried: GW I. S. 644. 448 Vgl. Luer 2004. S. 181-202. Die Autorin übernimmt den Begrif von Ouaknin, mit der Bedeutung einer Denkbewegung, die keine Synthese, „keine Versöhnung zwischen kontroversen Denkrichtungen anstrebt“ (S. 186) und beschreibt damit das Wortspiel bei Fried. 163 immer deutlicher in die Nähe des Aphorismus tendierte449, so dass man des Öteren erwogen hatte, Frieds Dichtung als neue Spruch- oder Gedankenlyrik zu betrachten. Die Nähe zum Spruch, einer Gattung traditioneller lyrisch-didaktischer Texte450, suggeriert der Dichter selbst, indem er bereits in einem seiner frühesten Gedichte diese Form thematisiert. 1945/46 erscheint zum ersten Mal das mittlerweile fast zum Kanon-Text avancierte Gedicht Spruch: Ich bin der Sieg Mein Vater war der Krieg Der Friede ist mein lieber Sohn Der gleicht meinem Vater schon451 Der Text erscheint 1946 im Manuskript des Romans Ein Soldat und ein Mädchen und 1968 als Gegengedicht zu Im Hofe der Hofnung im Band Befreiung von der Flucht452. Es präiguriert bereits, in allerdings noch melodisch-gereimten Versen, die „tödlichen Zirkel“ späterer Dichtungen Frieds, wie auch jenen aus dem „Warngedicht“ Totschlagen453: Totschlagen Erst die Zeit dann eine Fliege vielleicht eine Maus dann möglichst viele Menschen dann wieder die Zeit454 Die Wiederkehr des Gleichen ist im ersten wie auch im zweiten Gedicht geladen von der plötzlichen Erkenntnis der leichten Umkehrbarkeit des Positiven, Friedvollen, ja Harmlosen in Tod und Schrecken. Wenn aber im frühen Gedicht die spielerisch- 449 Friedemann Spicker identiiziert gerade mit Sprüche und Widersprüche den Anfang der Annäherung des Gedichts an den Aphorismus bei Erich Fried: „Keine andere begriliche Möglichkeit fällt Erich Fried in den Warngedichten 1964 ein; wenn er Sprüche und Widersprüche zusammenstellt, greit er darüber hinaus auf ein wohlfeiles Wortspiel zurück, das schon für Kraus titelgebend war. In den vielen Gedichtbänden seither hat er das sprachrelexive Kurzgedicht an der Grenze zum Aphorismus wie kein anderer geplegt.“ Spicker 2000. S. 145. Er bestätigt dadurch eine bereits 1986 von Alexander von Bormann geprägte Bezeichnung der Kurzlyrik Frieds, „dem ,aphoristischen Gedicht‘ “, einer Gattung, „die Fried sehr bedeutsam weiterentwickelt hat.“ Vgl. Bormann 1986. S. 6. 450 Vgl. Bernhard Sowinski: Der Spruch. In: Knörrich (Hrsg.) 21991. S. 378-384. 451 Fried: GW I. S. 564. 452 Eine ausführliche Analyse, einschließlich Rezeption des Textes, macht Kaukoreit. Vgl. Kaukoreit 1991. S. 228-238. 453 Vgl. Holzner 1981. S. 52f.; Kaukoreit 1991. S. 429f. 454 Fried: GW I. S. 334. 164 musikalische Form des „Spruchs“ 455 den drohenden Ernst der Warngeste im Inhalt abschwächt, verweist das spätere Gedicht, mit lakonischer Nachdrücklichkeit im trocken-ironischen Ton und auf den ersten Blick Nicht-Zusammmengehöriges auf denselben Nenner bringend, auf die latente Aggressivität der Sprache, durch die sich aggressives Denken schnell in mörderisches Handeln verwandeln kann. Denn Fried aktualisiert überraschend das verschüttete Sinnpotential des Gewalttätigen in der lexikalisierten Metapher der Redewendung „die Zeit totschlagen“, indem er diese beim Wort nimmt und damit jeden Unterschied zwischen einem harmlosen Zeitvertreib, einer gelangweilten Geste der Irritation und dem Massenmord auslöscht. Der konzentrierte und bewusst phlegmatische Ausdruck dieser Steigerung, wie auch der Antiklimax in der letzten Verszeile, die quasi nonchalant zur ersten zurückkehrt, hat gerade dank der lakonischen Gestaltung in Umfang, Semantik und Ton des Gesagten eine besondere Glaubwürdigkeit, nicht jene des „erhobenen Zeigeingers“, sondern der „nicht genau lokalisierbare(n) Beklemmung“ angesichts des unverhoten Erfassens von unerwarteten Zusammenhängen456. Das Gedicht klingt wie ein ironischunterkühltes Understatement zum hema Gewalt, beginnend mit der von Aggressivität bewohnten Sprache. Es vermittelt dem Leser zudem jenes rapide Bild auf das er nicht vorbereitet ist und das ihn, mit Yvan Goll gesprochen, wie „ein direkter Uppercut auf die linke Schläfe […] oder ein blitzschneller Schlag in die Herzgegend“ 457 trefen kann. Die moderne lakonische Lyrik attackiert tatsächlich den Leser mit überraschenden Bildern, mit denen dieser plötzlich konfrontiert und von welchen er irritiert oder verwirrt wird. Die Voraussetzungen dazu liegen nicht nur in der Konzentration des Textes und seiner spannungsreichen Semantik, sondern auch im unaufälligen, trockenen und, des Öteren, gleichmäßigen Ton, der dramatische Stimmungsschwankungen beim Autor meisterhat verdeckt, jedoch eine afektive Reaktion beim Leser provozieren soll. Das „rapide Bild“ ist somit eine Ausdrucksform der Härte lakonischer Lyrik, ihres anund ergreifenden Potentials. Beim Lesen des Gedichts Totschlagen lässt sich die Eizienz des rapiden Bildes besonders gut wahrnehmen. Der Text ist möglichst einfach gebaut: elliptisch, ohne schmückende Beiwörter und mit einem gelassen-gleichmäßigen Duktus. Dadurch werden Konzentration, Wertungs- und Gefühlsneutralität signalisiert. Die einzig deutlich markierte Betonung fällt auf den harten Titel. Doch danach variieren die ersten Verszeilen mehr oder weniger harmloses Treiben des Alltags. In demselben verhaltenen Ton 455 Siehe auch den Verweis auf die Ähnlichkeit zum „Maikäferlied“ aus der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn bei Kaukoreit 1991. S. 230. 456 Erich Fried deiniert seine „Warngedichte“ in diesem Sinne im Klappentext der Erstausgabe dieses Bandes: „Warngedichte? – Lyrik mit erhobenem Zeigeinger wäre mir ein abschreckender Gedanke, und 112 Warnungen in Versen würden zum Widerspruch reizen oder langweilen. Nicht der erhobene Zeigeinger stand bei diesen Gedichten Pate, sondern das dumpfe Gefühl beim Erwachen und beim Nichteinschlafenkönnen, die nicht genau lokalisierbare Beklemmung, das Kopfschütteln, die Furcht und das Mitleid oder die Erbitterung beim plötzlichen Erfassen der Zusammenhänge zwischen verschiedenen Zeitungsmeldungen.“ Fried: GW I. S. 645. 457 Yvan Goll: Hai-Kai. In: Kaes (Hrsg.) 1983. Dok. 151. S. 440. 165 geht die Aufzählung der Aktivitäten, die etwas mit dem Totschlagen zu tun haben, zum extremen Bild des Massenmordes in der vierten Zeile weiter, um mit dem letzten Vers zum Anfang zurückzukehren. Bei dieser Entwicklung wirkt zunächst die Disproportion der Bilder vom Totschlagen verstörend auf den Leser, doch mindestens genauso nachhaltig beeindrucken die neutralen Übergänge vom Erschlagen einer Maus zu jenem „möglichst vieler Menschen“ und schließlich zum Totschlagen der Zeit. Die unmöglichen Nachbarschaten des Bildes vom Massenmord, die diesen als „Normalfall“ auszuweisen scheinen, sind jedoch wohlkalkuliert, wie auch der durchwegs trocken-verhaltene Ton. Sie befremden und reizen zum Widerspruch. Die Schnelligkeit und Stärke, mit der sich der Widerspruch im Leser und später die Einsicht in die verborgene Botschat des Textes einstellen, drücken unterschwellig die Geschwindigkeit und Tiefe aus, mit der sich das extreme Bild dem Rezipienten einprägt und ihn zu beschätigen beginnt. Derartige rapide Bilder, deren Wirkung auf den Leser vom Dichter allerdings präzise berechnet wird, legen zugleich ein Zeugnis von der subversiven Energie der Form lakonischer Lyrik ab. Erich Fried mag allerdings trotz scheinbarem Klartext keine eindeutigen Festlegungen, sondern arbeitet mit semantisch ofenen Strukturen, lautlichen Ambivalenzen oder gratwandernden Gattungen. Eine derartige gratwandernde Gattung ist, unter anderen, der Spruch, welcher, so Spicker, „als solcher wie geschafen ist für Texte im Grenzraum von Lyrik oder Gedicht und Aphorismus“ 458. Zu solchen „Sprüchen“ und „Wider-Sprüchen“ des Grenzraums zwischen Lyrik und Aphorismus gehören Kurzgedichte wie Die Überlebenden, Ausweg oder Unrecht. Sehr nah am Aphorismus dichtet Fried vor allem Unrecht: Wer immer weiß zu welchem Gott er betet wird nie erhört459 Hier macht die „Semantik der Form“, genauer die lakonische „Rede in Versen“ 460, den wesentlichen Unterschied zum (Prosa-)Aphorismus461. Die Fragmentierung der Rede in drei kurze Verszeilen verleiht der inhaltlichen Warngeste einen besonderen Nachdruck. Denn jede vershat isolierte Sequenz dieses Spruchs wird auf diese Weise hervorgehoben und dadurch zusätzlich betont, was das Ganze schließlich gewichtiger erscheinen lässt. Der Text ist, wie ot bei Fried, als eine Herausforderung des Lesers gedacht, indem er diesen mit einem unerwarteten, typisch aphoristisch pointierten 458 459 460 461 166 Spicker 2000. S. 115. Fried: GW I. S. 338. Vgl. Lamping 32000. S. 23, 40f. Friedemann Spicker geht in seiner Unterscheidung von Lyrik und Aphorismus gerade beim aphoristischen Gedicht von Lampings Annahme aus, dass derselbe Text in prosaisch-aphoristischer und in vershat-lyrischer Gestaltung wegen der durch die Form modiizierte Semantik nicht genau dieselbe Bedeutung hat, und veriiziert das auch an Gedichten Erich Frieds. Vgl. Spicker 2000. S. 110-187 passim. Paradox konfrontiert: derjenige, der keine Zweifel darüber hat, an wen oder was er sich richtet, mit dem verschwiegenen Anspruch, in seinen Bitten unbedingt wahrgenommen zu werden, wird nicht erhört. Wobei die letzte Verszeile zusätzlich von der Ambivalenz des „erhört-Werdens“ proitiert, denn es bleibt ofen, ob der Betende einfach nicht gehört oder ob er sehr wohl wahrgenommen wird aber seine Bitten nicht erfüllt werden. Das Paradox dieses Spruchs soll den Leser zum Nachdenken über die Unfehlbarkeit, ja Selbstverständlichkeit von konstruierten und unverrückbaren Vorstellungen und Erwartungen provozieren. In diesem Sinne leistet die nachdrückliche Lakonik des Ausdrucks einen stützenden Beitrag, indem sie den sentenzhaten Ton verstärkt und der angedeuteten Warngeste ein größeres Gewicht verleiht. Verglichen jedoch mit dem Gedicht Totschlagen handelt es sich hier, trotz des Widerspruchs des Autors, sehr wohl um eine Lyrik des erhobenen Zeigeingers. Sie wird ein bekannteres und durch seine spruchhate Lakonik gleichfalls einprägsames „Warngedicht“ Frieds über den, der keinen Zweifel kennt, im Gedicht Angst und Zweifel, vorwegnehmen. Gratwandernd zwischen Poesie und Relexion sind ebenfalls seine lyrischen „Deinitionen“, wie Deinition aber auch Texte, die das Deinieren poetisch umschreiben, wie Besichtigung: Man muß das Unglück von allen Seiten betrachten denn von rechts sieht es aus wie Recht und von links wie Gelingen und rückwärts wie Rücksicht und vorne wie Vorteil und Fortschritt und von oben und unten scheints er hat Kopf und Fuß Man muß das Unglück von allen Seiten betrachten wenn man dann Glück hat merkt man es ist das Unglück462 Die ingierte Besichtigung des Unglücks nimmt eine Beschreibungsrhetorik vorweg, die Fried später im bekannten Gedicht Was es ist – mit Verzicht allerdings auf das Spiel mit Alliteration, Assonanz und Antonymen - verwenden wird. In diesem reimlosen spruchartigen Text sind noch die Verweise auf die Erscheinungsformen des 462 Fried: GW I. S. 332. 167 Unglücks klanglich mit der jeweiligen Betrachtungsperspektive aufeinander abgestimmt: „von rechts sieht es aus wie Recht / und von links wie Gelingen // und rückwärts wie Rücksicht / und vorne wie Vorteil und Fortschritt // und von oben und unten scheints / es hat Kopf und Fuß“. Spielerisch endet das Gedicht mit den Antonymen: Glück – Unglück. Die Konfrontation von Gegensätzen bereits im Titel – Sprüche und Widersprüche – durchzieht tatsächlich den gesamten Zyklus. Im verkappten Rollengedicht Heimweg von Delphi konstruiert das Spiel mit den Gegensätzen und den sokratischen Worten den eigenartigen Rhythmus des Textes: Wie groß ich war meine Kleinheit zu erkennen Wie stark ich war meine Schwäche zu gestehen Wie klug ich bin nun wieder schnell zu vergessen wie klein und schwach und dumm und vergeßlich ich bin463 Die erste Strophe artikuliert ein Lob der Klugheit durch die Erkenntnis der Tugend im Mangel, wobei die gleichmäßige Verteilung der Kardinalwerte: Größe – Kleinheit; Stärke – Schwäche in den parallel gebauten Verszeilen den gleichmäßigen Rhythmus dieser Strophe prägt. Dies im Gegensatz zur zweiten Strophe, die in der ersten Verszeile eine inhaltliche und rhythmische Fortsetzung zu sein scheint, mit der ironischbitteren zweiten Verszeile jedoch eine drastische Umkehrung der Perspektive einleitet und durch die schnelle Aufzählung der Mängel in den folgenden Versen dem Text einen neuen, hektischen Rhythmus aufzwingt. Die Anhäufung der Mängel am Ende verändert allerdings nicht nur die rhythmische Linie des Gedichts, sondern auch die semantische Gewichtung der Strophen, denn nun wird die Kritik lauter als das Lob, die Entlarvung der Klugheit als selbstgefällig deutlicher als das Preisen der Weisheit. In keinem anderen Gedicht dieses Zyklus, ist die Konfrontation der Kontraste so dramatisch inszeniert wie in Antwort: Zu den Steinen hat einer gesagt: seid menschlich Die Steine haben gesagt: wir sind noch nicht hart genug464 463 Ebd. S. 333. 464 Fried: GW I. S. 338. 168 Das Gedicht scheint prinzipiell an ein Waka, das kurze japanische „Antwortgedicht“, zu erinnern, allerdings bei unterschiedlicher Strophenstruktur und Anzahl der Silben in der ersten Strophe. Es entspricht jedoch grundsätzlich der ältesten europäischen Aufassung von lakonischer Rhetorik, nämlich der Annahme, dass die kurze und prägnante Rede sich vor allem als Reaktion, als schlagfertige, ot ambivalente oder geradewegs paradoxe Antwort bewährt. Schon in der Antike hatte man der lakonischen Rhetorik ein hohes Überraschungs- und Irritationspotential beigemessen. Fried verwandelt sie in harte Lyrik der Allegorie und Relexion über die erschütternde Härte im Menschen. Auch hier stützt die Strophenstruktur die nachdrückliche Lakonik. Deutlich fällt die Betonung zunächst auf die an Humanität appellierende, hier ad absurdum geführte Forderung an die Steine - „seid menschlich“ -, am Ende der ersten Strophe, dann, mit entscheidendem Nachdruck auf die lakonische Pointe am Ende der zweiten Strophe, in der die Antwort der „Steine“ prompt auf die inhumane, auch den Stein übertrefende Gefühllosigkeit des Menschen deutet. Das Kurzgedicht Antwort lässt „Spruch“ auf „Widerspruch“ trefen und hinterfragt auf diese Weise kategorische Imperative, die häuig schneller gesprochen als überlegt sind. Antwort passt in diesem Sinne zum vorherigen Text im Zyklus, Ausweg, und zum folgenden Text, Unrecht, indem sie, wie diese, eine Erscheinungsform starren, unrelektierten Denkens in wenigen Worten identiiziert und kritisch bloßlegt. Im Unterschied jedoch zu den beiden benachbarten Texten wird das Aphoristische durch die Allegorie deutlicher ins Poetische überführt. Der Zyklus endet, nicht überraschend bei Fried, mit einem langen Gedicht von den Gedichten: In meinen ersten Gedichten gehen sie schlafen die Männer und Mädchen die schlafengegangen sind. In meinen ersten Gedichten wachen sie auf die aufgewacht sind oder nicht mehr erwachen In meinen zweiten Gedichten gehen ihre Gedanken ihrem Schlafen und Wachen nach und sind wach oder schläfrig. In meinen zweiten Gedichten gehen ihre Gedanken ihrem Wachen und Schlafen voraus und sind wachsam im Schlaf 169 In meinen dritten Gedichten gehen meine Gedanken ihren Gedanken voraus und treten als erste ans Bett. In meinen dritten Gedichten gehen ihre Gedanken meinen Gedanken nach und kommen zuletzt zu mir In meinen letzten Gedichten geh ich zum ersten Mal schlafen in meinen letzten Gedichten erwach ich zum ersten Mal. Mit den Männern und Mädchen und mit ihren Gedanken sind meine Gedanken vergangen in meinen letzten Gedichten465 Wie ot arbeitet hier Fried mit der Variation des Gleichen, einer musikalischen Bewegung der Sprache, die mit denselben Sequenzen immer neue Partituren komponieren kann, nicht selten mit verwirrender Wirkung auf den Leser und in einer allzu sehr dem Spiel verfallenen Manier. Das Gedicht kontrastiert in seiner ungewöhnlichen Länge mit fast allen Gedichten des Zyklus. Es ähnelt darin jedoch dem anderen poetologischen Gedicht der Sprüche und Widersprüche mit dem klassischen Titel Genius der Zeit: Motto: „Mit rechten Leuten wird man was. Komm, fasse meinen Zipfel! Der Blocksberg, wie der deutsche Parnaß, Hat gar einen breiten Gipfel.“ Schweißtriefende Beschwingtheit geplegte Verzweilung wohlüberlegte Einfalt verklüngelte Nächstenliebe gediegene Härte zeitnahe Endzeitlichkeit geschmeidige Transzendenz geschlifenes Stammeln 465 Fried: GW I. S. 339. 170 sorgfältiger Urlaut stilecht montierte Mystik gekonntes Dunkel konkretisiertes Zeichen tremolierender Materialismus verschlüsselte Antihermetik So reich an Spielarten ist heute die deutsche Dichtung466 Goethes Faust ist nicht nur der (halbe) Titel, sondern auch der entsprechende Text als Motto entnommen, um auf ein „klassisches“ Problem deutscher Dichtung zu zeigen, nämlich die zweifelhate Vielfalt ihrer Erscheinungsformen. Deutlich wird dabei vor allem Frieds Kritik an ihrer Gefühle vortäuschenden Künstlichkeit. Er verwendet dafür mit Ausnahme der letzten zwei Verszeilen eine konsequente Stichwortrhetorik. Aber trotz des fast durchgehend elliptischen Ausdrucks, des Lakonismus’ also der Syntax, ist Genius der Zeit u. E. kein ausgesprochen lakonisches Gedicht. Denn der gesamte Katalog der hier aufgezählten Merkmale ist detailliert, umfassend, ja in gewisser Weise sogar redundant (z.B. „geplegte Verzweilung“ – „geschlifenes Stammeln“ – „sorgfältiger Urlaut“ oder „stilecht montierte Mystik“ – „gekonntes Dunkel“ u.a.). Der Text zeugt vielmehr von Frieds Lust am Kombinieren der lakonischen Kürze mit der langatmigeren Poesie, sowie von seiner ausgeprägten Vorliebe für ofene, gratwandernde Strukturen. Frieds lakonischer Zyklus insgesamt legt in diesem Sinne ein relevantes Zeugnis ab. Auch Reiner Kunze, ein Meister der „stilleren“ Lakonik, komponiert gerne lyrische Zyklen. Heiner Feldkamp verweist auf die musikalische Inspiration dieser poetischen Gebilde, die das Werk Kunzes konstant durchziehen467. Eine „musikalische“ Gestaltung der Zyklen durch das Umsetzen kompositorischer Prinzipien wie jener der Variation und Wiederholung hätte eine die lakonische Abruptheit mildernde Wirkung. Reiner Kunze ist aber auch ein lyrischer „Zeichner“ und dieser Zug ist vor allem aufgrund seiner Lakonik aufallend geworden. Zu seinem jüngsten Gedichtband, lindennacht schreibt diesbezüglich Jürgen P. Wallmann: „Kunze malt seine Bilder nicht breit aus, er ist lyrischer Tuschzeichner, nicht Ölmaler, er ist ein Meister 466 Ebd. S. 335. 467 Feldkamp 1994. S. 364–365: „Reiner Kunzes Präferenz für die Gruppenbildung von Texten ist in all seinen Gedichtbänden und selbst im Prosaband Die wunderbaren Jahre zu erkennen. / … / Kunzes Studium der Musikgeschichte und seine ungebrochen intensive Musikrezeption haben ihn dazu veranlasst, Begrife aus der Musik in seine literarischen Werke zu integrieren. Die kompositorischen Prinzipien der Variation und Wiederholung werden von ihm zur Grundlage vieler seiner Texte gemacht, insbesondere bei der Bildung von Zyklen. Aber auch Kunzes Aussparungs- und Reduktionstechniken im Einzeltext, die dazu führen, dass ein Text auf einem einzigen Aspekt, einem Gedanken oder nur ein poetisches Bild beschränkt bleibt, sind ein wichtiges Motiv für die Gruppenbildung einzelner Texte, die einem gemeinsamen hema gelten.“ 171 iligraner lyrischer Konzentrate“ 468. Derselbe Band regt auch Jörg Magenau zu einem ähnlichen Vergleich an: „In seinen besten Gedichten braucht Kunze nur wenige Zeilen, wie ein Zeichner, der mit ein paar exakt gesetzten Strichen die Kenntlichkeit der Dinge schärt“ 469. Seine „zeichnerische“ Begabung in der Poesie wurde sowohl vom japanischen Haiku geschult, wie auch, wie bereits erwähnt, vom Brechtschen Lakonismus. Sie proitiert außerdem von dem Arbeiten im kreativen Modus des Obsessiven, einem künstlerischen Zustand, der es dem Künstler ermöglicht, durch ein intensives und kontrolliertes Erleben von Bildern, Vorstellungen zu bewahren, zu intensivieren und durch eine speziische künstlerische Handhabung zu verändern, genauer eine Entwicklung von verschiedenen Bildern durch die Variation einer oder mehrer kombinierter Matrix-Vorstellungen zu erzielen470. Als besonders interessant diesbezüglich erweist sich der kleine lakonische Gedichtzyklus, entstanden im Jahre 1982, der den Band Eines jeden einziges leben eröfnet und auf das Matrix-Bild des Gedichts Kinderzeichnung – das Haus – rekurriert. Die „Zeichnung“ wird schon im ersten Gedicht des Zyklus’ zum „Entwurf “ eines surrealistisch anmutenden Hauses: Entwurf unseres Hauses Frei nach Alfred Kubin Das fenster deines zimmers soll wimpern haben Die schwelle ins haus eine züngelnde schlange (keines menschen tod noch wunde, nur erinnerung an eines jeden einziges leben)471 Das Bild dieses Hauses ist keine naive Kinderzeichnung, sondern der (alp)traumhaten Vorstellungswelt des Zeichners, Illustrators und Schritstellers Alfred Kubin nachempfunden. Es ist kein fremdes Gebäude – der Titel verweist schon auf einen Entwurf „unseres Hauses“ -, sondern vielmehr ein afektives Konstrukt. Das Haus dürte für einen Exilautor wie Kunze zu einer zentralen und gefühlsbetonten, obsessiv variierten 468 Jürgen P. Wallmann: Reiner Kunzes neuer Lyrikband. Filigrane Konzentrate. ULR: http://www.borkenerzeitung.de/wna/aktuelles/kultur/buch/?em_cnt=137094&em_loc=70 469 Jörg Magenau: In der Schönheit der Schöpfung ist der Mensch das störende Element. Fünf Silben Wehmut und sieben Silben Einsamkeit: Reiner Kunzes neuer Gedichtband lindennacht. ULR: http:// www.buecher.de/shop/Buecher/Lindennacht/KunzeReiner/products_products/content/prod_ id/22793296/ 470 Siehe bezüglich der Poetik des Obsessiven meine Ausführungen in Cheie 2004. 471 Reiner Kunze: auf eigene hofnung & eines jeden einziges leben. gedichte. Frankfurt am Main 1999. S. 115. Im folgenden abgekürzt als Kunze: Eines jeden … 172 Chifre für die verlorene, verbotene, vermisste, ersehnte oder erträumte Heimat geworden sein, für den Verlust der heimatlichen Geborgenheit und die mehr oder weniger gebrochene Sehnsucht nach ihr. In wenigen „Zügen“ skizziert Reiner Kunze das Antlitz einer „erinnerung an eines jeden / einziges leben“, mit quasi femininen („wimpern“) und abschreckend - bestialischen („Die schwelle ins haus / eine züngelnde schlange“) Attributen. Doch sogleich wird beschwichtigt mit dem Verweis auf „keines menschen / tod noch wunde, nur // erinnerung“. In diesem Haus rut, mit Gaston Bachelard gesprochen, „der Traum eine ganze Vergangenheit ins Leben“ 472, es spiegelt und chifriert vielmehr einen inneren Raum der Angst und Nostalgie, eine Chimäre des Ich, die in dieser lakonischen Darstellung scharfe Konturen annimmt. Der „Entwurf “ leitet über zur Baustelle und zu den möglichen Erbauern des Hauses in den folgenden zwei Gedichten des Zyklus’, Baustellenwochenende und Maurer, in der Tür der Bauhütte lehnend, durch die anthropomorphe Metapher, die gleich in der ersten Verszeile von Baustellenwochenende erscheint: Die leiter erhängt am kran Auf der erde die richtschnurspindel, sie stach freitagmittag, ein uhr Nur den bauherrn kümmert’s dass auch der herbst ziegelrot ist Demütig klaubt er aus der stille leere bierlaschen473 Die „erhängte“ Leiter am Kran führt das afektive Konstrukt des „Entwurfs“ in seiner leise angedeuteten Dramatik weiter. Dieser Tendenz scheint metaphorisch die orientierungsverheißende „richtschnurspindel“ entgegenzuarbeiten, das Gebäude vor einem Sturz zu bewahren und damit möglicherweise eine gesamte Welt. Denn das Haus ist eine der ältesten Raummetaphern einer imago mundi474, aber auch jene eines privaten Kosmos, „unser(es) Winkel(s) der Welt / … / unser(es) erste(n) All(s)“475, komplexer sogar, wie der Phänomenologe Bachelard zu erklären weiß: „Es ist Körper und Seele. Es ist die erste Welt des menschlichen Seins. Bevor er ‚in die Welt geworfen‘ wird, wie die eiligen Metaphysiker lehren, wird der Mensch in die Wiege des Hauses gelegt“476. Die hier metonymisch durch das Haus angedeutete (innere) Welt 472 Gaston Bachelard: Poetik des Raumes. Aus dem Französischen von Kurt Leonhard. Frankfurt am Main: 82008. S. 32. 473 Kunze: Eines jeden … S. 116. 474 Vgl. Jean Chevalier, Alain Gheerbrant : Dicţionar de simboluri, Bd. I (A-D). Bucureşti 1994. S. 256258 passim. 475 Bachelard 82008. S 31. 476 Ebd. S. 33. 173 des Individuums soll stimmen. Doch schon das folgende Gedicht, Maurer, in der Tür der Bauhütte lehnend, schließt mit einem ironischen Paradox: Nach der wasserwaage ihrer bierlaschen stehn sie im rechten winkel zum regen Das sonnige wochenende ist ihr geheimnis ohne abzüge Der regen zog auf über nacht und die welt ist im lot: Heut wird nichts477 Dass die Welt eben nicht „im lot“, also in der erwarteten Ordnung ist, suggeriert das folgende Gedicht Die Handwerker sind gegangen: Unumgänglich viel zu viel dachten wir an dinge Laß uns das haus abtragen in uns Damit der tod nicht macht gewinne über uns im leben478 Das Haus ofenbart sich nun als eine Konstruktion von düsteren Gedanken, beherrscht von jenem an den Tod. Dieses innere Gebilde verheißt keine häusliche Geborgenheit, sondern wirkt bedrohlich, weil es dem Tod geweiht zu sein scheint, und soll daher auch zerstört werden. Kunze greit hier grundsätzlich auf eine Vorstellung vom Tode zurück, die Rainer Maria Rilke bereits in seiner Lyrik und Prosa verarbeitete, genauer auf den im Leben wohnenden Tod. Doch in dem Schlussstück, das Rilke dieser dunklen Erkenntnis widmet, stimmt der österreichische Dichter der Jahrhundertwende eine kleine, melodische Ode an den mächtigen Tod an: 477 Kunze: Eines jeden … S. 117. 478 Kunze: Eines jeden … S. 118. 174 Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.479 Jahrzehnte später ist der Gedanke an den Tod weniger erträglich. Die dissonante Lakonik der Poesie Kunzes mit ihrer sinnvollen Pointierung bringt die neue, ofensive Haltung gegenüber dieser extremen Erfahrung sehr prägnant zum Ausdruck. In dem vorletzten Gedicht des Zyklus’, mit dem generischen Titel Das Haus, baut Kunze weiter an der Allegorie des Hausherren Tod: Nun vermietet an uns der tod Wir wissen nicht, wann er uns kündigen wird und wem zuerst Wir wissen nur: Alle klagen sind abgewiesen480 Der Tod als Herr des Hauses legt wiederum die Vermutung nahe, dass es sich hier um ein Haus als „Körper und Seele“ handelt, einen privaten Kosmos, beherrscht von der Angst um ein ungewisses und nicht abwendbares Ende. Im Unterschied zum vorigen Text schließt dieser jedoch nicht mehr ofensiv, sondern resignativ. Der das Haus Erdenkende spricht nicht mehr aus der aktiven Perspektive eines Bauherrn, sondern aus der passiven eines Mieters, dessen innere „Behausung“ dem Tode ausgeliefert ist. Dadurch kombiniert Kunze innerhalb des Zyklus’ die Variation mit dem Kontrapunkt, da die grundsätzliche Matrix-Vorstellung des vom Tode bewohnten Lebens in den beiden letzten Gedichten zwei gegenläuige Haltungen generiert, die in beiden Fällen in der Gestalt eines lapidaren „Dreisatzes“ präsentiert werden. Der Feststellung, dass „wir“ an gewisse „dinge“ „viel zu viel“ dachten, im Gedicht Die Handwerker sind gegangen, folgt, in der zweiten Strophe, der Entschluss, das „haus“ abzutragen „in uns“ mit dem Ziel, ausgesprochen in der dritten Strophe, die Macht des Todes über unser Leben zu brechen. Der Feststellung, dass nun der Tod zum Vermieter des Lebens geworden ist, im Gedicht Das Haus, folgt, in der zweiten Strophe, die Erkenntnis über die Ungewissheit einer „Kündigung“, die allerdings unvermeidbar sei, und die bittere Einsicht, in der letzten Strophe, dass das Ende unabwendbar sei. Die Struktur der lakonischen Dreiteilung mit diskreter Schlusspointierung und 479 Rainer Maria Rilke: Gedichte und Prosa. Köln: Parkland Verlag 2002. S. 717. 480 Kunze: Eines jeden … S. 119. 175 insgesamt mit einem bildlich-relexiven Inhalt erinnert an Haiku und Aphorismus. Eine noch stärker reduzierte Variation dieser Struktur bietet das letzte Gedicht des Zyklus’, Heimat trotz wenn und aber: Das dach zwei kupferne lügel, angewinkelt, ein haus das abhebt In den fängen mein land481 Der Titel scheint, wie ot im Falle lakonischer Lyrik, einen Schlüssel zum Verständnis des kleinen Textes zu bieten: Es geht um Heimat und dazu würde das Bild des Hauses vortrelich passen. Es geht um Heimat jenseits aller möglichen Einwendungen, Vorhaltungen, Vorbehalte, es geht also um etwas, das trotz allem einen bleibenden, unzerstörbaren Wert für das Ich hat. Vom Ende her gelesen entpuppt sich das liegende Haus als ein Raubvogel, der im Wegliegen „mein land“ mitträgt. Unschwer erkennt man in dem allegorischen Bild die Anspielung auf den unfreiwilligen Emigranten, der sein Land verlassen musste, die Heimat jedoch in seinem Inneren fest eingeschlossen mit sich genommen hat. Kunzes lakonischer Zyklus entwickelt ein afektives Konstrukt. Die poetischen Miniaturen arbeiten auf ein Bild hin, auf eine Metapher, deren Semantik mit jedem Text angereichert, erweitert, neu entworfen wird. Seine lyrischen „Momentaufnahmen“ verlieren an Härte und Abruptheit durch das Integrieren in einen Zyklus. Bei Kunze fehlt eine bündelnde Überschrit des Zyklus’, doch das hema „Haus“ ist in allen sechs Gedichten zu identiizieren. Fast durchgehend ist auch die strophische Dreiteilung der Gedichte. Der Zyklus beginnt außerdem mit einem vorwiegend von der Auslassung geprägten Text und endet mit einem noch knapper formulierten elliptischen Gedicht, die beide unmissverständlich von einem allegorischen, surrealistisch „gezeichneten“ Haus sprechen. Auf dem textlichen Weg vom ersten Gedicht zum letzten des Zyklus’ versucht der Autor nicht nur ein afektives Konstrukt mehrfach zu „entwerfen“, indem er verschiedene semantische Spielarten dieses Konstrukts entwickelt, sondern auch, last but not least, die lakonische Gestaltung der poetischen Allegorie zu perfektionieren. Denn das letzte Gedicht ist in seiner extrem reduzierten Form zugleich die eigentliche lakonische „Filigranzeichnung“ dieser dominanten Metapher. Kunze versucht somit die abgehakte, äußerst konzentrierte und kondensierte lakonische Kürze mit dem Runden und Flüssigen der zyklischen Form zu harmonisieren. Zusammenfassend kann man feststellen, dass Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze mit der Ambivalenz der Form lakonischer Zyklen unterschiedlich umgehen. Für Günter Eich ist Lakonik im Zyklus ein Ausdruck der (ironischen) Verfremdung, 481 Kunze: Eines jeden … S. 120. 176 die ofensiv gegen erstarrte, verlogene, falsch- und überbewertete Denk- und Textformen eingesetzt wird. Die Schärfe, der gestische Charakter und die Wirksamkeit des Lakonismus werden bei Eich im Zyklus stärker hervorgehoben und bis an den Rand des Absurden getrieben. Kürze und Länge, Lakonismus und Zyklus bleiben bei Eich zwei gegensätzliche Größen, die jedoch vielfältig aufeinander verweisen. Erich Fried hingegen versucht den Gegensatz zwischen Kurz- und Langdichtung explizit zu relativieren und Länge und Kürze in „ofener Dialektik“ miteinander zu verbinden. Lakonische Zyklen werden für ihn somit zum poetischen Ausdruck dialektischen Denkens und sollen zugleich den komplexen Rhythmus seiner Poesie spiegeln. Für Reiner Kunze ist der poetische Raum des Zyklus’ besonders stark integrierend und harmonisierend. Punktuell und konzentriert ausgearbeitete „Filigranzeichnungen“ erfahren im Zyklus eine zusätzliche semantische Kohärenz, die lakonische Form wird ebenfalls durch mehrfachen Entwurf desselben Motivs perfektioniert. Trotz unterschiedlicher Aufassung besitzen jedoch lakonische Zyklen für alle drei behandelten Autoren einen eigenartigen Reiz als gratwandernde Strukturen, die eine zunächst kreative Spannung der Form entwickeln. 177 Abschließende Bemerkungen „Das Gedicht ist die riskanteste, die schamloseste aller literarischen Formen“, so Marcel Reich-Ranicki in einem Plädoyer in Sachen Lyrik482. Warum? Weil Lyriker eben „professionelle Exhibitionisten“ seien. Ein solch kategorisches Urteil gilt jedoch nur bedingt für die lakonische Lyrik, deren typische Gestaltungsform unterschwellig auch als Maske für problematische Gefühle oder als poetisches Instrument der Gefühlsverwaltung eingesetzt wird. Eine eingehende Analyse beispielsweise von Texten Günter Eichs aber auch Kurt Tucholskys oder Bertolt Brechts ofenbart die gefühlsregulierende Funktion der vor allem ironischen Lakonik. Der reduzierte Ausdruck, die verhaltene Rede verdeckt problematische Emotionen oder eine vehemente oder geradezu pathetische Sensibilität. Somit wird die lyrische Lakonik zu einer nachdrücklichen Rhetorik der Vernunt, die jedoch just in ihrer Nachdrücklichkeit, in ihrer gelassenen Strenge oder unterkühlten Nüchternheit und Stringenz der Aussage die disziplinierten Afekte durchschimmern lässt. Man könnte sagen, dass die Härte, in manchen Fällen, bereits mit diesem psychologischen Moment der Selbstüberwindung, der Option für die Maske einer kalten persona beginnt. Wenn nicht die schamloseste aller lyrischen Formen, so ist die lakonische Dichtung doch ein extremer Ausdruck, nicht selten ein halsbrecherischer, wenn die wenigen Worte nicht efektvoll getrofen werden. Ihre Nähe zu Aphorismus, Epigramm, Haiku und Prosa, zu Sentenzen, Deinitionen und, mit Günter Eich gesprochen, zu „Meditationen“ weist sie gleichzeitig als eine moderne „Gehirnlyrik“ aus, mit einem ot beträchtlichen Machtanspruch, auch wenn sie lediglich in „Zimmerlautstärke“ artikuliert wird. In ihrer abrupten oder pointierten Verhaltenheit entwickelt diese zur gleichen Zeit fragile, torsoartige wie auch harte Lyrik ein ofensives Potential. Nicht selten entsteht ihre Härte aus dem paradox wirkenden Mut des lakonisch dichtenden Autors gegen den Leser zu schreiben, bis in den Unsinn hinein, ihn durch eine sperrige Bildlichkeit oder eine verwirrende „Poetik der Wörtlichkeit“ zu irritieren und zu provozieren, in der Hofnung, an der erstarrten Ordnung seines Denkens zu rütteln oder sie im Idealfall neu bestellen zu können. Lakoniker sind in einem besonderen Sinn Ordnungsfanatiker, auf der Suche nach einem neuen rechten Maß des minimalen Ausdrucks und der maximalen semantischen Dichte. Im Unterschied jedoch zum klassischen Ideal der Ordnung ist jene moderner lakonischer Lyriker paradox und daher auch exzessiv. Denn sie versucht, wie bei den analysierten Dichtern, eine auch in ihrer Lapidarität strenge, engmaschig 482 Marcel Reich-Ranicki: Ein Plädoyer in Sachen Lyrik. In: Marcel Reich-Ranicki: Ein Jüngling liebt ein Mädchen. Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Frankfurt am Main 2002. S. 120. 179 erarbeitete Form mit der größtmöglichen Bedeutungsintensität in ein mehr oder weniger explosives Gleichgewicht zu bringen, stringente „Formeln“, gestische „Deinitionen“, sprachliche Konzentrate mit einer spannungsreichen Semantik und einer subversiven Wirkung auf den Leser zu entwerfen. In der wohlkalkulierten Reduktion und Konzentration der Sprachmaterie versucht der lakonische Dichter eigentlich mehr Raum für die Entfaltung der Bedeutung zu schafen. Seine epigrammatischen Kurzschlüsse, die gegenrhythmisch gesteuerten Worte, Wort- und Satzfetzen, ironisch gebrochene oder auch absurd anmutende Aphorismen, die unerwarteten „rapiden Bilder“, der spröde Ton und die steilen Brechungen im Duktus, die ofensichtlichen Gesten der Aussparung und Verweigerung erweitern den impliziten semantischen Raum. Lakoniker schreiben dicht am Schweigen vorbei, allerdings gemessen dicht. In der nicht selten beträchtlichen semantischen Dichte dieser Poesie gibt sie sich wohl am deutlichsten als eine harte Lyrik zu erkennen. Die Ordnung des poetischen Lakonismus beansprucht Genauigkeit und Intensität, sie testet die Grenzen der Sprache und legt gleichzeitig einen unerwartet festen Glauben an deren expressive Macht bis zu den einzelnen Wörtern und Wortpartikeln an den Tag. Doch, um zu den Worten Ranickis zurückzukehren, ist die lakonische Dichtung zugleich eine der riskantesten Formen der Lyrik. Denn sie muss sich auf engstem Raum beweisen oder scheitern. Auch ihre ofene Grenze zum Epigramm, Aphorismus, Spruch oder Haiku bewahrt sie nicht vor einem Leerlauf der Form oder plakativen Botschaten. Gerade in einer schnelllebigen Zeit und einer unübersichtlich gewordenen Erfahrungswelt bietet sich eine derartige Lyrik als mögliche Spenderin von spielerischen Gedankenkonzentraten und attraktiven Lebensweisheiten an und läut Gefahr, vielmehr ein handwerklich gekonntes Lakonisieren, dem, mit Walter Helmut Fritz gesprochen, seine „innere Richtigkeit“ abhanden gekommen ist, an den Tag zu legen. Zur inneren Richtigkeit mahnt auch Reiner Kunze in seiner lakonischen Deinition der Sprache und implizit der Dichtung, mit dem suggestiven Titel Münze in allen Sprachen: „Wort ist währung // Je wahrer, / desto härter.“ Es ist der letzte und anspruchsvollste Härtegrad der Poesie überhaupt, den es zu erreichen gilt, jener der Wahrheit im weiteren Sinne, der Gültigkeit der Aussage. Ob hermetisch verschlossen oder in einem vermeintlichen, im Grunde immer ambivalenten Klartext sprechend ist der lakonischen Lyrik stets ein Mitteilungswunsch inhärent. Prägnant ist er besonders in jenen Formen lakonischer Dichtung, die dem Spruch, Sprichwort, Aphorismus nahe stehen und mehr oder weniger ofen didaktisch wirken können, wie im Falle von Bertolt Brecht oder Erich Fried. Deutlich präsent ist er aber auch in den dialogischen „monologe(n) mit der toten tochter“ oder im wiederholten hematisieren des Briefes bei Reiner Kunze und seltsam anwesend sogar am Rande des Absurden, in den „Formeln“ Günter Eichs, wo noch dialogische Gesten, gebrochen und verfremdet, skizziert werden. Paradoxerweise erweist sich somit diese dem Ausdruck nach lapidare Lyrik als eine den Leser besonders, ja nachdrücklich an-sprechende. Dafür ist sie allerdings bereit, auch befremdliche Wege zu gehen, weder das kühle Pathos, noch den Nonsense zu scheuen, um den Leser zu erreichen und sich selbst zu erneuern, bis heute. 180 Literaturverzeichnis ALBER, Sabine (1992): Der Ort im freien Fall. Günter Eichs Maulwürfe im Kontext des Gesamtwerkes. Europäische Hochschulschriten: Reihe I. Deutsche Sprache und Literatur. 1329. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang. ANZ, homas/STARK, Michael (Hrsg.) (1982): Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920. Stuttgart: Metzler. BAACKE, Dieter (2001): Spiele jenseits der Grenze. Zur Phänomenologie und heorie des Nonsense. In: Deutsche Unsinnspoesie. Hrsg. v. Klaus Peter Dencker. Stuttgart: Reclam. S. 355-377. BACHELARD, Gaston (82008): Poetik des Raumes. Aus dem Französischen von Kurt Leonhard. Frankfurt am Main: Fischer. BARK, Joachim u.a. (Hrsg.) (81997): Epochen der deutschen Literatur. Stuttgart u.a.: Klett. BARNER, Wilfried u.a. (Hrsg.) 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