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Das Sondergericht Darmstadt – NS-Schnelljustiz im Sinne des „Führers“. Exemplarisches Beispiel eines Prozesses gegen einen Zeugen Jehovas.

Da Sondergerichte „eine neue Form der politischen Schnelljustiz“ waren, zeichneten sie sich besonders durch ein gekürztes und straffes Verfahren aus. Die Sondergerichte waren, nach damaliger Darstellung „mit höchster Kompetenz ausgestattete Gebietskörper“, die im Interesse der „Staatssicherheit und der öffentlichen Ordnung“ in Verbindung mit einer „auserlesenen Richterelite den Angriffen von Staatsfeinden die Spitze schnell abbrechen“ sollten. Adolf Hitler selbst drückte es mit den Worten aus: „Oft handelt es sich darum, ein Flämmchen, das eine Flamme zu werden droht, beizeiten rücksichtslos auszutreten“.

Das Sondergericht Darmstadt – NS-Schnelljustiz im Sinne des „Führers“. Exemplarisches Beispiel eines Prozesses gegen einen Zeugen Jehovas. Schon am 21. März 1933, somit nur wenige Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, wurden Sondergerichte etabliert, die zu einer dauerhaften Einrichtung der deutschen Rechtspflege im Dritten Reich wurden. Unter dem Schein der Legalität waren Gerichte tätig, deren Aufgabe es war, nicht nur Unruhestifter zur Ordnung zu rufen und zu bestrafen, sondern hauptsächlich politische Gegner auszuschalten und sie vollständig auszurotten. 1 Da Sondergerichte „eine neue Form der politischen Schnelljustiz“2 waren, zeichneten sie sich besonders durch ein gekürztes und straffes Verfahren aus. Die Sondergerichte waren, nach damaliger Darstellung „mit höchster Kompetenz ausgestattete Gebietskörper“, die im Interesse der „Staatssicherheit und der öffentlichen Ordnung“ in Verbindung mit einer „auserlesenen Richterelite den Angriffen von Staatsfeinden die Spitze schnell abbrechen“ sollten.3 Adolf Hitler selbst drückte es mit den Worten aus: „Oft handelt es sich darum, ein Flämmchen, das eine Flamme zu werden droht, beizeiten rücksichtslos auszutreten“4. Die Zahl dieser Gerichte war zunächst gemäß der Zahl der Oberlandesgerichtsbezirke auf 26 festgelegt worden. Das Sondergericht Darmstadt war für den gesamten Volksstaat Hessen zuständig. Dieser bestand aus den Provinzen Oberhessen, Rheinhessen und Starkenburg. Das Sondergericht bestand aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern mit je einem Vertreter. Das Sondergericht Darmstadt setzte sich zu Beginn seiner Tätigkeit aus folgenden Richtern zusammen: dem als Vorsitzenden amtenden Landgerichtsdirektor Gustav Weiss, seinem Stellvertreter Landgerichtsdirektor Ernst Schmidt, dem Beisitzer Landgerichtsrat Dr. Mickel, seinem Vertreter Landgerichtsrat Paul Stimmel, dem Beisitzer Amtsgerichtsrat Karl Heckler seinem Vertreter Amtsgerichtsrat Ludwig Lutz.5 Idel, W., Die Sondergerichte in politischen Strafsachen, Diss., Freiburg, 1935, S. 39. Hüttenberger, P., Heimtückefälle vor dem Sondergericht München, München 1933-1933, in : Broszat, Fröhlich, Grossmann (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. 4, München 1981, S. 435. 3 Fleuchaus, B., Die Sondergerichte im Strafprozeß, Diss., Phillipsburg 1936, S. 16. 4 Gruchmann, L., Hitler über die Justiz, in: VFZG 1964, S.95. 5 Hirch, W., Untersuchung der NS-Sondergerichtsbarkeit anhand der Heimtückefälle im Kreis Darmstadt, Magisterarbeit an der TH Darmstadt 1988, S. 40. 1 2 Wir können davon ausgehen, dass etwa 2.000 Prozesse vor dem Sondergericht Darmstadt geführt wurden, wobei sich die genaue Zahl infolge der Kriegseinwirkungen nicht mehr ermitteln lässt.6 Vor diesem Gericht wurde, gemäß den noch vorhandenen Akten, gegen 102 Zeugen Jehovas verhandelt. Die Namen der Angeklagten sind weiter unten aufgeführt. Zunächst hatte der Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen am 19. April 1933 alle Versammlungen der Zeugen Jehovas und alle ihre Tätigkeiten, insbesondere die Verteilung von Druckschriften verboten. Am 18. Oktober 1933 wurde die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Hessen schließlich vom Hessischen Staatsministerium auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat, vom 28. Februar 1933, verboten und aufgelöst. Exemplarisch soll hier ein Fallbeispiel betrachtet werden. Wie stichhaltig und begründet war die Urteilsfindung, wenn es um Mitglieder der Religionsgemeinschaft ging? Worauf beruhte die Urteilsfindung? Anhand der Anzeige7 der Geheimen Staatspolizei Darmstadt gegen den damaligen Bezirksleiter Konrad Franke aus Mainz-Weisenau vom Dezember 19368 und dem am 05. Januar 1937 gesprochenen Urteil des Sondergerichts unter dem Landgerichtsdirektor Karl Heckler soll dies genauer herausarbeitet werden. Der Anzeige vorausgegangen war, dass Konrad Franke bereits seit dem 31. August 1936 in Darmstadt in Schutzhaft war. Die sogenannte Schutzhaft war das wichtigste Instrument der Gestapo, um politische Gegner des Nationalsozialismus zu bekämpfen. War die Schutzhaft vor 1933 nur für eine kurzfristigen Verwahrung von Personen gedacht, wurden durch die Notverordnung nach dem Reichstagsbrand Befristungen wie die richterliche Überprüfung aufgehoben. Für die Geheime Staatspolizei wurde damit eine Möglichkeit der polizeilichen Willkür geschaffen. Gerichtlicher Schutz stand den Inhaftierten nicht zu. Willkürliche Misshandlungen und Schikanen waren alltäglich. Die Verhörmethoden der Gestapo waren äußerst brutal und es kam immer wieder zu schweren Misshandlungen. Beschimpfungen, Drohungen, Pingel-Rollmann, H., Widerstand und Verfolgung in Darmstadt und der Provinz Starkenburg 1933-1945, Diss., Darmstadt und Marburg 1985, S. 85 6 Geheime Staatspolizei Darmstadt, Anzeige gegen den Vertreter Max Konrad Franke in Mainz wegen Betätigung für die verbotene Internationale Bibelforscher-Vereinigung, vom 15.12.1936, Staatsarchiv Darmstadt, Abteilung G 27, 582. 7 Der genaue Tag ist auf der Anzeige nicht enthalten. Da aber der Abschlussbericht der Gestapo über Franke der die Vorlage für die Anzeige an das Sondergericht bildet, am 15. Dezember 1936 erstellt worden ist, muss die Anzeige kurz darauf erstellt worden sein. 8 Ohrfeigen, Fußtritte, Faustschläge, schmerzhafte Fesselungen, Misshandlungen durch Gummischläuche, Peitschen, Schlagringe und Ochsenziemern waren nur einige der gängigen Foltermethoden, um die Schutzhäftlinge zum Reden zu bringen. In manchmal täglich stattfindenden Verhören versuchte die Gestapo alle Informationen aus den Beschuldigten herauszubekommen. Diese Vernehmungen konnten sich über mehrere Monate hinziehen. Allen diesen Maßnahmen war gemeinsam, dass sie ohne Überprüfung durch Gerichte oder andere Verwaltungsbehörden angeordnet und im rechtsfreien Raum durchgeführt wurden. Wer war Konrad Franke? Geboren am 22. Dezember 1909, ließ er sich im Alter von 14 Jahren als Zeuge Jehovas taufen. Wie er in seinem Lebensbericht9 schrieb, hatte „der erste Weltkrieg, der im Namen Gottes geführt“ worden war, in seiner Familie „tief Spuren hinterlassen“. In der Zeugen Jehovas Gemeinde ( Bezeichnung bis zum Jahre 1931: ernste Bibelforscher) fanden sein Vater und auch er Antwort auf die Frage, „warum so viel Not und Elend über die Menschheit gekommen war“. Im Alter von 21 Jahren wurde er Vollzeitprediger und hatte im Jahre 1936 die verantwortliche Stellung eines Bezirksleiters (heutige Bezeichnung: Bezirksaufseher) inne. Insgesamt wurde er fünfmal wegen seiner Tätigkeit als Zeuge Jehovas verhaftet. Am 26. September 1935 wurde Franke vom Sondergericht Sachsen zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt, da er bei einer Hochzeit von Verwandten Publikationen der Zeugen Jehovas ausgegeben hatte.10 Franke wurde im Jahre 1936 erneut verhaftet und für 9 Jahre eingesperrt; die letzten 4 Jahre davon verbrachte er im Konzentrationslager Sachsenhausen. Er gehörte zu der Gruppe von 230 Zeugen Jehovas, die im April 1945 gemeinsam den Todesmarsch von Sachsenhausen nach Schwerin überlebten. Von 1955 bis zum Jahre 1969 war Konrad Franke verantwortlich für den gesamten deutschen Zweig der Religionsgemeinschaft. Er starb am 31. Juli 1983. In dem schon wenige Tage nach Erhalt der Gestapo-Anzeige gefällten Urteil vom 05. Januar 1937 bestätigt und wiederholt das Sondergericht in großen Teilen die Anführungen der Geheimen Staatspolizei.11 Dem Gericht war völlig Konrad Franke, „Jehova ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“, erschienen im der Ausgabe vom 1. Juni 1963 in der Zeitschrift „Der Wachtturm“, hrsg. von Wachttum- Bibel- und Traktatgesellschaft, deutscher Zweig Wiesbaden. 9 Im Namen des Deutschen Volkes! Strafsache gegen Vertreter Max Konrad Franke…, Sitzung vom 05. Januar 1937, Vorsitzender Landgerichtsdirektor Heckler, Amtsgerichtsrat Lutz, Landgerichtsrat Dr. Schmidt als beisitzende Richter, Staatsanwalt Dr. Weinheimer als Beamter der Staatsanwaltschaft, Justizinspektor Weiner als Urkundsbeamter d. Geschäftsstelle, Staatsarchiv Darmstadt, Abteilung G 27, 582. Offenbar war hier die Gesamtzeit der Haft jedoch drei Wochen. Dies schreibt Franke in seinem Lebensbericht 1963, ebd. S. 342. Jedoch berichtet er dort auch von 2 Monaten Haft im Konzentrationslager im Jahre 1934. 10 Im Namen des Deutschen Volkes! Strafsache gegen Vertreter Max Konrad Franke…,Sitzung vom 11. Januar 1937, Vorsitzender Landgerichtsdirektor Heckler, Amtsgerichtsrat Lutz, Landgerichtsrat Dr. Schmidt als beisitzende Richter, Staatsanwalt Dr. Weinheimer als Beamter der Staatsanwaltschaft, Justizinspektor Weiner als Urkundsbeamter d. Geschäftsstelle, ebd. 11 bewusst wie die Zeugenaussagen zustande kamen. Da es aber nicht darum ging Recht im Sinne eines ordentlichen Gerichts zu sprechen, sondern um politische Gegner auszuschalten, war die Art der Beweisaufnahme für das Gericht nebensächlich. In der Anzeige wurde festgehalten, dass es sich „bei den Bibelforschern [frühere Bezeichnung für Jehovas Zeugen, d. A.] um eine religiös getarnte jüdisch-marxistische Organisation handelt, deren Hauptziel die Vernichtung aller bestehenden Staatsformen und Regierungen und die Errichtung des Reiches Jehovas ist, in dem die Juden als das auserwählte Volk die Herrscher sein sollen. Die Anhänger der Bibelforscher dürfen nach ihrer Lehre die Gesetze des Staates nur insoweit befolgen, als sie den Geboten Jehovas, die sie aus der Bibel lesen, nicht widersprechen.“12 Im Alltag würde sich diese Lehre negativ auf den „deutschen Volkskörper“ auswirken, denn im Alltag hätte die Lehre folgende Konsequenzen: „1) Da in der Bibel steht: ´Du sollst nicht töten` lehnen die Bibelforscher jeden Wehrdienst ab, leisten der Aufforderung zur Musterung keine Folge und versuchen andere Wehrpflichtige zur Verweigerung des Wehrdienstes zu veranlassen.13 Es sind sogar Fälle bekannt, in denen sie sich weigerten, am Die beiden Großkirchen haben hier ein anderes Bibelverständnis und waren schnell bereit dem NS-Staat Folge zu leisten, unterstützend zu wirken, später sogar Waffen zu segnen und um den Sieg des Deutschen Reiches zu beten. Vgl. Ernst Klee, Die SA Jesu Christi. Die Kirche im Banne Hitlers, Frankfurt/M., 1989. Der „Kirchenkampf“ von dem immer wieder berichtet wird, bezog sich eher auf einen Richtungskampf innerhalb der evangelischen Kirche selbst. Der national-sozialistische Obrigkeitsstaat wurde nicht in Frage gestellt. Die katholische Kirche hatte mit den Nazis ohnehin einen Partner im Kampf gegen den Bolschewismus gefunden und war insgesamt nicht bereit sich gegen ihn zu wenden. Im Gegenteil unterstützte sie ihn nach Kräften. 12 Dagegen verweisen Jehovas Zeugen auf die Aussagen des Apostels Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom. Hier ist besonders das Kapitel 13 und die Verse 1 ff ausschlaggebend. Sie kennzeichnen das Verhaltensmuster der Zeugen Jehovas gegenüber dem Staat. Der Gehorsam, der dem Staat (der weltlichen Obrigkeit) geschuldet wird, ist nie absolut, sondern immer auf die Gesetze Gottes hin zu überprüfen. Der Staat ist somit nicht die einzige Autorität, der sich ein Christ zu fügen hat. Sollten die Anweisungen eines Staates mit den Anweisungen Gottes, die in der Bibel niedergeschrieben wurden, kollidieren, tritt der Loyalitätsanspruch des Staates hinter die Gesetze Gottes zurück. Die Autorität Gottes ist der des Staates übergeordnet. Nähere Angaben hierzu siehe unter anderem unter: W. Hirch, Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SEDDiktatur unter besonderer Berücksichtigung ihrer Observierung und Unterdrückung durch das Ministerium für Staatssicherheit, Kapitel: „Grenzen des Gehorsams oder ist die Staatsloyalität grenzenlos?“, S. 49 ff., Frankfurt/M. 2003. Siehe hierzu: „Jehovas Zeugen verweigern sich Hitlers 1939-1945“, Rede von Priv.-Doz. Dr. Wolfram Wette, Universität Freiburg, anläßlich der Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung - Jehovas Zeugen unter dem NSRegime“ vom 25. April 1998 in Freiburg i.Br. „Denn jene Männer, die als Zeugen Jehovas den Kriegsdienst verweigerten, konnten immerhin sicher sein, dass ihre Religionsgemeinschaft voll hinter ihnen stand und sie in jeder Phase ihres schweren Weges moralisch unterstützte. Verweigerer aus den Reihen der beiden Großkirchen dagegen mussten auf eine solche Rückendeckung verzichten. So erklärt es sich, dass es in der NS-Zeit generell nur ganz wenige evangelische und katholische Kriegsdienstverweigerer gegeben hat. Bekannt sind lediglich 12 katholische und 4 evangelische Verweigerer.“ Sein Gesamtvortrag ist hier nachzulesen: http://www.standhaft.org/forschung/index.html 13 Da sich die Kirchen dem Staat untergeordnet hatten leisteten die Gemeindeglieder wie auch die nationalsozialistischen, bzw. national orientierten Pfarrer selbstverständlich Kriegsdienst. In der Zeitschrift der Bau von Kasernen mitzuarbeiten, da dieses dazu bestimmt seien, Soldaten Unterkunft zu geben, und diese Soldaten später einmal gegen den Feind kämpfen und also töten müßten.14 2) Die Bibelforscher beteiligen sich nicht am Luftschutz, da sie nach der Bibel in Gottes Hand stehen und deshalb nicht verhindern dürfen, daß eine Bombe einschlägt, wenn Gott es will.15 3) Die Bibelforscher beteiligen sich nicht an der Wahl, da sie bereits ihren Gott Jehova gewählt haben und ´nicht zwei Herren dienen können`.16 4) Die Bibelforscher verweigern die Mitgliedschaft bei der NSDAP und ihren Formationen, da es sich bei diesen um rein irdische Organisationen handele.17 Bekennenden Kirche, der „Jungen Kirche“ konnte man deshalb auch immer wieder Todesanzeigen von gefallen Pfarrern und Pfarrerssöhnen lesen. Todesanzeige Beispiel 1: „Der Herr über Leben und Tod nahm im Kampfe für Volk und Vaterland unsren lieben Amtsbruder TheodorMaaß, Pastor der Bekennenden Kirche in Podejuch (in Pommern, d.A.) im Alter von 28 Jahren von uns in das Reich seines Friedens. Klar und entschieden ging er den Weg freudigen Bekennens im Licht des Evangeliums. Der Herr lasse ihn schauen, was er geglaubt und verkündet hat. Der Bruderrat der Evangelischen Kirche in Pommern“. Todesanzeige Beispiel 2: „Unser lieber jüngster Sohn Franz Dibelius Gefreiter in einem MG-Bataillon ist am 28. Mai im Alter von 20 Jahren für das Vaterland gefallen. Wir preisen Gott, daß seinem jungen Leben ein fester Glaube geschenkt war. Hebr. 10,39 war sein Konfirmationsspruch. Berlin-Lichterfelde-West, im Juni 1940. Zugleich im Namen der Geschwister Generalsuperintendent Dibelius und Frau Irmgard, geb. Wilmanns.“ In: Ernst Klee, Die SA Jesu Christi. Ebd., S. 142. Hervorhebung durch den Verfasser. Zum Thema Kriegsdienstverweigerung durch Zeugen Jehovas siehe auch: Antje Zeiger, Zeugen Jehovas im Konzentrationslager Sachsenhausen, in: Hans Hesse (Hrsg.), „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas“, Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, S. 76-101, hier S. 76 ff., Bremen 2000. Jehovas Zeugen verweigerten ihre Beteiligung an allen Arbeiten und Maßnahmen die dazu dienen sollten auf den Kriegsfall vorzubereiten, bzw. für den Krieg von Nutzen zu sein. Neben der Verweigerung am Kasernenbau mitzuhelfen, wurde selbstverständlich auch die Beteiligung an irgendwelcher Waffenproduktion konsequent verweigert. Aus dem KZ Ravensbrück wird davon berichtet, dass über 80 Zeuginnen Jehovas sich weigerten Strohschuhe für Soldaten an der Ostfront herzustellen. Als Strafe wurden Ihnen die ohnehin schon kargen Essenrationen zunächst um die Hälfte gekürzt und sie erhielten 25 Stockschläge. An dieser Misshandlung starben zunächst zwei der Frauen. Als diese und weitere Schikanen und Strafen keine „Einsicht“ brachten wurden die Essenrationen weiter gekürzt und ärztliche Hilfe verweigert: „Jehova solle sie heilen“. Dreizehn der Glaubensschwestern, die man für die „die Führer der Gruppe“ hielt, wurden durch Erhängen ermordet. Entnommen aus: Tineke Piersna, Ihrem Glauben treu. Die Verfolgung von Jehovas Zeugen in den Niederlanden während des zweiten Weltkriegs“ S. 480f, unter dem Kapitel: Jehovas Zeugen in den Lagern: ihre Stellung, Haltung und Bedeutung. In: , Gerhard Besier, Katarzyna Stoklosa (Hgg.), Jehovas Zeugen in Europa. Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, Berlin 2013. 14 Auch der Bau von kriegswichtigen Luftschutzbunkern wurde abgelehnt. Die Aussage, dass JZ nicht verhindern wollen, „das eine Bombe einschlägt, wenn Gott es will“ ist falsch. Jehovas Zeugen machen nicht Gott für Kriege verantwortlich und insofern „will“ er auch nicht, dass Kriege geführt werden und Menschen durch Bomben oder durch andere Waffen umkommen. Jehovas Zeugen haben noch nie gelehrt, dass Gott Bomben einschlagen lässt. 15 16 Vgl. W. Hirch, Die Glaubensgemeinschaft der …, S. 49 ff. Wenn sich Jehovas Zeugen diesen national-sozialistischen Gruppierungen angeschlossen hätten, käme dies einem Zugeständnis und einer Unterordnung unter die NS-Ideologie gleich. Sie hätten sich damit selbst ad absurdum geführt. Auch hier haben sie sich gravierend von den Kirchen unterschieden. 17 Ferner verweigern sie die Teilnahme an Betriebsapellen und am Winterhilfswerk.18 5) Der Eid auf den Führer wird von ihnen nicht geleistet, da sie bereits Jehova verschworen sind und diesem gegenüber nicht wortbrüchig werden wollen. 6) Der Gruß ´Heil Hitler` wird von den Bibelforschern abgelehnt, weil nach der Bibel ´das Heil` allein von Jehova kommt und der Gruß ´Heil Hitler` somit eine Menschenverherrlichung und eine Gotteslästerung sei. 7) Da nach der Lehre der Bibelforscher alles, was Menschenantlitz trägt, gleich ist, lehnen sie die Rassegesetzgebung des national-sozialistischen Staates ab.“ Besonders hervorgehoben wurde, dass sie „im Auslande gegen das Dritte Reich einen wahren Greuelpropagandafeldzug entfesselt“ hätten. Das hierfür genutzte Material sie ihnen „von im Reich lebenden Glaubensbrüdern und – schwestern geliefert“ worden. In der Anzeige wurden die vielfältigen Aktivitäten Konrad Frankes auf mehreren Seiten näher erläutert. Er wurde als „der Hauptverantwortliche für die während der letzten Jahre in ganz Südwestdeutschland betriebene illegalen Arbeit der ´Internationalen Bibelforscher-Vereinigung`“ bezeichnet. Er habe „tatkräftig an der Vervielfältigung und Verbreitung von aus der Schweiz eingeschmuggelten Bibelforscherschriften mitgewirkt, die Greuelnachrichten über Deutschland enthielten und bestimmt waren, zersetzend innerhalb der Bevölkerung im Reiche zu wirken. Er selbst hat das Material zur Aufstellung dieser Greuelnachrichten dem Beauftragten Ruban19 geliefert. Die NSV ( Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) gliederte sich als angeschlossener Verband der NSDAP in Gau-, Kreis- und Ortsgruppenverwaltungen, Zellen und Blöcke. Gelenkt wurde sie vom Hauptamt für Volkswohlfahrt in der Reichsleitung der NSDAP. Das Winterhilfswerk war ein unentbehrlicher Finanzier der NSVolkswohlfahrt, die ihrerseits eine nationalsozialistisch rassisch-erbbiologische Volkspflege betrieb. Vgl. Herwart Vorländer, Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Boppard am Rhein, 1988. 18 Falsche Schreibweise im Urteil des SG. Es handelt sich um Wilhelm Ruhnau, der völkerrechtswidrig am 25. September 1936 in der Freien Stadt Danzig von der Gestapo entführt und verhaftet worden ist. Ruhnau blieb seitdem verschollen und es war eindeutig, dass er in Haft ermordet wurde. Vgl. Franz Zürcher, Kreuzzug gegen das Christentum. Moderne Christenverfolgung. Eine Dokumentensammlung, Zürich, 1938. Jehovas Zeugen hatten sich wegen W. Ruhnau auch an den Generalsekretär des Völkerbundes gewandt, da die autonome Freie Stadt Danzig und die Verfassung dieser Stadt unter dem Schutz des Völkerbundes, das durch einen Kommissar vertreten war, stand. Jedoch lebten in der Stadt fast ausschließlich Deutsche und die NSDAP regierte mit absoluter Mehrheit seit 1933 im Volkstag. Die Verfassung der Freien Stadt Danzig war das Papier nicht wert auf das es gedruckt war. Art. 74 lautete, dass die Freiheit der Person unverletzlich sein. Nur aufgrund von Gesetzen dürfe die persönliche Freiheit eingeschränkt werden. Art. 76: Abs. 2: Dem Auslande gegenüber haben alle Staatsangehörigen inner- und außerhalb des Staatsgebietes Anspruch auf den Schutz des Staates. Abs. 3: Kein Staatsangehöriger darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden. Art. 96: Es besteht volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung wird gewährleistet und steht unter staatlichem Schutze. Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Verfassung der Freien Stadt Danzig, vom 17.11.1920 n der Fassung vom 14.06.1922. 19 Wenn man außerdem berücksichtigt, daß das Programm der Bibelforscher die Vernichtung der Regierungen aller Länder und somit auch Deutschlands vorsieht, so sei seine Handlungsweise einer Vorbereitung zum Hochverrat gleichzustellen.“ Das Gericht verurteilte Franke „wegen Vergehens gegen das Verbot der Internationalen Bibelforschervereinigung“ zu 5 Jahren Gefängnisstrafe und zur Bezahlung der Verfahrenskosten. Das Gericht sah es als erwiesen an, das Franke, wie Zeugen Jehovas insgesamt, das staatliche Verbot nicht anerkannt habe und sich danach ausrichteten „Gott mehr gehorchen“ zu müssen als den staatlichen Anordnungen. Franke selbst habe eine „ausserordentlich rührige Tätigkeit entwickelt“ und „einen großen persönlichen Einfluss ausgeübt“, um die Organisation voranzubringen. Als weitere Begründung wird aufgeführt: „Das Verbot der IBV gründet sich auf die Feststellung der Staatsgefährlichkeit dieser Organisation die insbesondere darauf beruht, dass von den Anhängern der IVB jeglichen Autorität des Staates verneint und bekämpft wird.20 Es werden nicht nur staatlichen Anordnungen missachtet und durch passive Resistenz sabotiert, vielmehr wird durch die Bestrebungen der ZJ auch die außenpolitische Stellung des Reiches dadurch geschwächt, dass die ZJ auch nach Wiedereinführung der allgemeinen Dienstpflicht sich als Gegner dieser Massnahmen betätigen und damit die Grundlagen für den Bestand eines freien und geachteten Deutschen Reiches anzutasten und zu erschüttern versuchen. … Neben dieser Staatsgefährlichkeit der IVB im allgemeinen musste auch das jahrelange, ausserordentlich intensive Mass der Betätigung des Angeklagten straferschwerend berücksichtigt werden. Der Staat muss im Interesse der Selbsterhaltung gegen derartige staatsfeindliche Elemente mit schärfsten Mitteln vorgehen und dafür sorgen, dass dieses ihren unheilvollen Einfluss auf andere, leicht zu verführende Volksgenossen ausüben können. Aus den angegebenen Gründen hielt es das Gericht in vorliegendem Falle daher für angebracht, auf die gesetzlich zulässige Höchststrafe von5 Jahren Gefängnis zu erkennen.“ Der Vorsitzende des Sondergerichts Darmstadt wusste nur einen Weg, wie mit Zeugen Jehovas umzugehen sei. In einer 22seitigen Abhandlung21, datiert vom 26. Februar 1937, über die „Internationale Bibelforschervereinigung“, wie man Jehovas Zeugen zur damaligen Zeit Das entsprach nicht der Wahrheit. Jehovas Zeugen lehnen den Staat nicht ab, aber lassen sich auch nicht vom Staat ihren Glauben diktieren und die Bibelinterpretation vorschreiben. Gesetzte des Staates und der Staat selbst werden grundsätzlich respektiert, jedoch auf eine mögliche Diskrepanz zur Bibellehre hin überprüft. 20 21 Heckler, Karl, „Äusserung des Herrn Vorsitzenden des Sondergerichts Darmstadt über `die Internationale Bibelforschervereinigung´“, Staatsarchiv Darmstadt, Abteilung G 24, 1345, S. 22. häufig noch bezeichnete, wurde er konkret. Für den Staat könne es nur ein Mittel geben, gegen Jehovas Zeugen vorzugehen. Der Staat müsse „diese Schädlinge solange es geht festsetzen und während dieser Zeit unschädlich machen“. Er ging mit dieser Auffassung mit der nationalsozialistischen Auffassung völlig konform, die ja ohnehin keinerlei Widerspruch duldete. Gleichschaltung war die Devise. In einer deutschen Tageszeitung wurde im Mai 1935 über ein anderes Verfahren vor dem Sondergericht berichtet und das Verbot von Jehovas Zeugen damit begründet, dass die Lehre der Zeugen Jehovas „dem deutschen Empfinden widerspricht und in keiner Weise mit den Anschauungen des nationalsozialistischen Staates von Sitte und Moral in Einklang zu bringen ist“. Die Freiheit der Religionsausübung bestehe weiterhin, da ja auch der „Führer“ immer wieder erklärt habe, dass die Religionsausübung frei sein. Aufgehoben sei die Religionsausübung aber für Jehovas Zeugen, da sie „den Gesetzen und dem Geist des neuen Staates“ nicht entsprechen würde. Im Umkehrschluss gedacht heißt das, dass die Kirchen dem Geist und der Sitte und der Moral des neuen Staates sehr wohl entsprochen haben.22 Doch schon in diesem Jahr spielte das Strafmaß der Gerichte für die Verurteilten nur noch eine untergeordnete Rolle, da laut Gestapo-Erlass vom 22. April 1937 sämtliche Zeugen Jehovas, nach Beendigung der Strafhaft aus den Gefängnissen entlassen wurden, unverzüglich in Schutzhaft zu nehmen waren und bei Festhalten an ihrer religiösen Überzeugung grundsätzlich ihre Überführung in ein Konzentrationslager erfolgen sollte. Wozu diese Haltung der Kirchen letztendlich geführt hat ist eindrucksvoll nachzulesen in: „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945,, Ernst Klee und Willi Dreßen (Hrsg.), Frankfurt/M. 1989. 22