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Rezension über:

Józef Zelkowicz: In jenen albtraumhaften Tagen. Tagebuchaufzeichnungen aus dem Getto Lodz/Litzmannstadt, September 1942, Göttingen: Wallstein 2015, 151 S., ISBN 978-3-8353-1116-9, EUR 19,90
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Rezension von:
Friedrich Cain
Universität Konstanz
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Cain: Rezension von: Józef Zelkowicz: In jenen albtraumhaften Tagen. Tagebuchaufzeichnungen aus dem Getto Lodz/Litzmannstadt, September 1942, Göttingen: Wallstein 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 11 [15.11.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/11/31033.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Józef Zelkowicz: In jenen albtraumhaften Tagen

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Mit der Übersetzung der Aufzeichnungen des Józef Zelkowicz ist ein beindruckendes Dokument aus dem Getto Lodz/Litzmannstadt nun vollständig in deutscher Sprache zugänglich. Der Autor, der als Mitarbeiter im Archiv des Ältestenrats auch an der Gettochronik und einer Enzyklopädie der Gettosprache mitarbeitete, berichtet in sechs Abschnitten über die Tage zwischen dem 1. und 6. September 1942, in denen 15 685 Menschen aus dem Getto nach Kulmhof deportiert wurden. Der Text bewegt sich in verschiedenen Genres, scheint teils Chronik, Reportage oder privates Tagebuch zu sein. Er ergänzt die Editionen zum Lodzer Getto und ist zugleich ein Lehrstück über die diskursive Verortung von Texten.

Wie die Herausgebenden in drei kommentierenden Texten betonen, war Zelkowicz schon vor 1939 als Journalist und Autor kurzer Prosa- und Theaterstücke in Erscheinung getreten. Das lässt sie einerseits auf eine "literarische Qualität" (8) des Textes verweisen und wirft andererseits die Frage nach dem Verhältnis dokumentarischer und textueller Praktiken auf. Wie die Herausgebenden zudem betonen, lässt sich aus den nachgelassenen Materialien Zelkowiczs, dessen Spur sich 1944 in Auschwitz-Birkenau verliert, nicht nachvollziehen, welches konkrete Ziel er mit dem Text verfolgt haben könnte. Dieser scheint weder nüchtern Zeugnis abzulegen noch als ganz privates Tagebuch angelegt worden zu sein. Gelegentlich ändert sich die Erzählperspektive, statt allgemein zu berichten - "Was man sich erzählt" (15) -, wendet sich der Text mit einem kollektiven "Du" an die Gefangenen des Gettos und damit auch an den Erzähler selbst (23, 71f., 116). Die chronologische Gliederung wird mehrfach durchbrochen. Neben thematischen und temporalen Sprüngen finden sich längere Porträts persönlicher Schicksale oder Beschreibungen einzelner Szenen. Zentral ist hier die Verkündung der Deportation durch die Vertreter des Ältestenrats um den Vorsitzenden Chaim Rumkowski (33-41). Zelkowicz referiert die Reden nicht nur, sondern - so scheint es - zitiert sie im Wortlaut, um das Gesagte schließlich zu kommentieren. Dabei sucht er Gemeintes von Gesagtem und Verstandenem zu unterscheiden; er beschreibt die Gestik und Mimik der Redner, die Zusammensetzung und Reaktionen der Zuhörerschaft und baut durch diese rhetorische Vergegenwärtigung der Szene eine geradezu literarische Spannung auf.

Besonders interessant ist Zelkowiczs Sprache. Immer wieder finden sich Lemmata der nie abgeschlossenen Getto-Enzyklopädie, für die wichtige Begriffe der Sprache im Getto gesammelt wurden. Als "Ruhe-Pass" bezeichnete man die Arbeitserlaubnis, die Schutz vor Deportationen versprach (28), als "Klepsidres" Personen, deren äußere Erscheinung auf baldigen Tod hindeutete (40, Anmerkung 39). Die Menschen im Getto waren für den "shmelts" bestimmt, was bedeutete, dass sie "auf den Schrott, in den Müll oder Ofen" geworfen würden (22, Anmerkung 5). Der Text ist stark von Körpermetaphern durchzogen. Die beiden letztgenannten Begriffe aus der Gettosprache kennzeichnen eine dehumanisierende Darstellung, in der menschliche Körper immer wieder - ironisch bis zynisch - zu Material erklärt werden. Gleichzeitig wird das Getto selbst als Körper metaphorisiert (27), der einen Puls hat (44), angespannt ist, krampft oder zerschnitten wird (57ff., 88). Damit wird das Bild des Volkskörpers umgekehrt, das die Nationalsozialisten gegen die Juden in Stellung gebracht hatten.

Es ist von großem Wert, dass die Herausgebenden in ihren Kommentaren unterschiedliche Expertisen vertreten (Literaturwissenschaft, Geschichte, Pädagogik), denn der Text ist anspruchsvoll. Er scheint künstlerisch gestaltet, stark durchgearbeitet und kaum als schnelle Tagebuchskizze entstanden zu sein. Bestimmte Motive und Stilelemente wie Alliterationen, Parallelismen und Anaphern verstärken den Eindruck des Artifiziellen (vergleiche 79-88, 55ff., 60ff.). Dass in den Kommentaren lediglich auf die Möglichkeit kombinierter literatur-, sprach- und geschichtswissenschaftlicher Analysen hingewiesen wird, gereicht dem Band nicht zum Nachteil. Vielmehr deutet es auf sein Potenzial für Forschung und Lehre hin.

Friedrich Cain