Hellmut Lorenz / Anna Mader-Kratky (Hgg.): Die Wiener Hofburg 1705-1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Denkschriften; Bd. 445), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016, 628 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7001-7843-9, EUR 89,90
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Susanne Claudine Pils: Schreiben über Stadt. Das Wien der Johanna Theresia Harrach 1639-1716, Wien: Deuticke 2002
Die kaiserliche Hofburg in Wien diente über Jahrhunderte kontinuierlich als Zentrum der Hofhaltung und der Regierungspraxis. Einzelne Herrscher haben oftmals nur wenig Spuren hinterlassen, ihre Nutzung der Residenz als Ort ihrer Hofhaltung, ihrer Herrschaft und ihrer Repräsentationspraxis ist mit dem bloßen Augenschein nicht mehr wahrzunehmen. Das Großprojekt zur Rekonstruktion der Baugeschichte der Hofburg und ihrer Nutzung im Wandel der Zeiten von den mittelalterlichen Anfängen bis ins 20. Jahrhundert ist daher ein sehr verdienstvolles Unterfangen. Der dritte Band von insgesamt fünf Bänden befasst sich mit dem 18. und dem frühen 19. Jahrhundert - und rekonstruiert die Baugeschichte, die Ausstattung und die wechselvolle Nutzung der Hofburg von Kaiser Joseph I. bis zu Kaiser Franz I. von Österreich.
Zu Beginn dieses Zeitraums galt die kaiserliche Hofburg Besuchern der Residenzstadt als wenig attraktiv, als altes, unzusammenhängendes Gebäude, direkt an der Stadtbefestigung gelegen und ohne jeglichen barocken Glanz. Dieses Manko sollte in den kommenden Jahrzehnten zumindest partiell behoben werden. Der Band informiert über die nicht realisierten Pläne und Entwürfe, mit denen z.B. der Baumeister Johann Lucas von Hildebrandt der gesamten Hofburg eine einheitliche Fassade geben wollte, oder die Projektideen Balthasar Neumanns, die gleichfalls nicht umgesetzt wurden, sowie weitere Pläne von Jean Nicolas Jadot und Nikolaus Pacassi. Ausführlich werden die zahlreichen realisierten Neubauten dargestellt, die vor allem unter Karl VI. die weit entfernt liegenden einzelnen Bauteile der Hofburg miteinander verknüpften und im Stil der Zeit errichtet wurden: die Hofbibliothek, die Hofreitschule, der Reichskanzleitrakt. Besonders wertvoll sind dabei Rekonstruktionen von Gebäuden, die in dieser Zeit entstanden sind, heute aber nicht mehr existieren, wie das alte Burgtheater am Michaelerplatz. Und schließlich werden auch die kleineren Eingriffe in den Baukörper erwähnt, z.B. die Anlage neuer Treppenhäuser.
Weitere wichtige Themen des Bandes sind die Organisation des Bauwesens und deren Umstrukturierungen unter Maria Theresia, Joseph II. und Franz II., eine minutiöse Rekonstruktion des zeremoniellen Ordnungsrahmens zur Nutzung der Residenz sowie von dessen radikalem Wandel unter Maria Theresia und mehr noch unter Joseph II., sowie die Ausstattung der Räume der Hofburg, was angesichts einer sehr lückenhaften Quellenlage besonders verdienstvoll ist, ferner Informationen zu zeremoniellen Großereignissen in den Räumlichkeiten der Hofburg sowie regelmäßig veranstaltete höfische Festivitäten und schließlich Angaben zur Unterbringung der kaiserlichen Sammlungen.
Alle Beiträge geben den aktuellen Forschungsstand wieder und führen dabei historische und kunsthistorische Forschungen zusammen. Von besonderer Qualität sind schließlich die zahlreichen Abbildungen, die Raumpläne und 3D-Animationszeichnungen, die eine Orientierung im Gebäude ermöglichen. Am Ende des Bandes sind auf fünf Doppelseiten die Quartierpläne der Hofburg aus dem Jahr 1775 abgedruckt, mit einer Benennung sämtlicher Räume für sämtliche Geschosse.
Dieser Band wird fortan allen Kunsthistorikern und Historikern, die sich mit dem Kaiserhof in Wien beschäftigen werden, große Dienste leisten und deren Arbeit unendlich erleichtern. Mit den Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg hat die Hof-Forschung zum Wiener Kaiserhof einen weiteren großen Schritt nach vorne gemacht. Über wenige Residenzen kann man sich gegenwärtig so zuverlässig und so umfassend informieren wie über den Kaiserhof in Wien. Daran hat nun auch der von Hellmut Lorenz und Anna Mader-Kratky herausgegebene Prachtband einen großen Anteil.
Andreas Pečar