Karin Bartl / Abd al-Razzaq Moaz (Hgg.): Residenzen, Befestigungen, Siedlungen. Transformationsprozesse von der Spätantike bis in frühislamische Zeit in Bilad as-Sham. Beiträge des Internationalen Kolloquiums in Damaskus vom 5.-9. November 2006 (= Orient-Archäologie; Bd. 24), Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2008, XVI + 541 S., ISBN 978-3-89646-654-9, EUR 89,80
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Der Sammelband präsentiert die Vorträge der gleichnamigen Tagung, die im November 2006 in Damaskus abgehalten wurde. Das Augenmerk gilt einer der spannendsten Epochen in der Geschichte des Mittelmeerraumes: dem Übergang von der Spätantike zur Herrschaft der ersten islamischen Dynastie der Umayyaden (661-750). Geografisch konzentrieren sich die insgesamt 34 Beiträge auf den Großraum Syrien, wobei aktuelle Forschungsprojekte im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die thematische Bandbreite reicht von archäologischen Ausgrabungen und Bauaufnahmen über Architekturdekor bis zu Paläografie und Numismatik. Somit bietet die Publikation Einblick in den Stand der wissenschaftlichen Diskussionen in diesem Fachgebiet.
Mit dem einleitenden Beitrag von Oleg Grabar über Kunst und Kunstschaffen im umayyadischen Staat werden wichtige Fragen über die methodologischen Grenzen der islamischen Kunstgeschichte aufgeworfen und am Ende polemisch zugespitzt. Die beispiellose Eroberung des Vorderen Orients und Nordafrikas wurde von neuen Stadtgründungen begleitet, die auf eine Bevölkerungsbewegung und wirtschaftliche Blüte hinweisen. Das Fehlen von Zerstörungshorizonten in Städten und an Denkmälern in den eroberten Gebieten deutet darauf hin, dass die islamische Eroberung keine nennenswerten Veränderungen der Lebensweise mit sich brachte. Die handwerklichen Tätigkeiten aus der Spätantike in den mannigfaltigen Regionen des riesigen umayyadischen Reiches wurden fortgesetzt. Eine Folge davon waren regionale stilistische Unterschiede in der Kunst. Gleichzeitig sind Modifikationen oder Modernisierungen zu erkennen, die als Resultat der neuen politischen und religiösen Gegebenheiten zu interpretieren sind. Dazu gehören das Schreiben in Arabisch oder die Errichtung von Pfeilerhallenmoscheen in allen Winkeln des Reiches. Oleg Grabar stellt die Vorgehensweise der Islamischen Kunsthistoriker in Frage, die von einer als "Stil" bezeichneten Kategorie ausgehen (eine Kombination von Merkmalen, die innerhalb einer Region oder Periode klar definierbar und identifizierbar sei), mit deren Hilfe sie sich der Kunst der Umayyaden annäherten. In einem geografischen Gebiet vom heutigen Tunesien bis nach China aber habe die Kunst der Umayyaden zwangsläufig reich an Formen sein müssen. Dieser Formenreichtum werde erst dann verständlich, wenn man ihn als Kunst der Unterschiede und nicht als einheitliche, programmatische Sicht auffasse.
Im Gegenzug bleibt Nasser Rabbat einen Beweis für seine These schuldig, die islamische Architektur sei von einigen Auftraggebern 'erschaffen' worden, darunter die Kalifen Abd al-Malik b. Marwan (685-705), al-Walid b. Abd al-Malik (705-715) und Hisham b. Abd al-Malik (724-743), denen zweifelsohne eine führende Rolle in der baulichen Tätigkeit der Umayyaden zukommt.
An diesen Beitrag schließen sich weitere Artikel über die Architektur der Umayyaden, über die Siedlungsgeschichte von Städten am Vorabend der islamischen Eroberung und unter den Umayyaden an. Einige Beispiele seien hier herausgegriffen. So steht im Mittelpunkt der Studie von Michal Gawlikowski die bedeutende Karawanenstadt Palmyra. Obwohl 634 relativ früh in das Kalifat eingegliedert, war lange Zeit über die Erscheinung der Stadt in der islamischen Epoche nichts bekannt. So lässt sich am Beispiel von Palmyra eindrucksvoll veranschaulichen, welche Bedeutung archäologische Ausgrabungen für unsere Kenntnis von Siedlungen haben, die in Chroniken späterer Zeit wenig Erwähnung finden.
Ab dem 6. Jahrhundert setzten tief greifende soziale Veränderungen in den syrischen Städten der Spätantike ein. Als Hinweis auf diese Umwälzungen, die in Palmyra erst in umayyadischer Zeit sichtbar werden, interpretiert der Autor die Umgestaltung eines weiträumigen Wohnsitzes zu mehreren Wohneinheiten. Auch die Veränderungen in der Bebauung der ausgegrabenen Kolonnadenstraße sind gut ablesbar und liefern einen weiteren Anhaltspunkt für den postulierten Übergang "from polis to madina". Somit gesellt sich Palmyra zu Baysan und Jarash (vgl. den Beitrag von Ian Simpson) als Paradebeispiel für diesen Transformationsprozess. Die rege Bautätigkeit und wirtschaftliche Blüte in der Stadt hielten bis ins frühe 9. Jahrhundert an, wie an den Kleinfunden abzulesen ist. Mehrere Neugründungen wie Qasr al-Hayr al-Gharbi und Qasr al-Hayr al-Sharqi im Einflussbereich der nomadischen Banu Kalb verweisen - neben der Bautätigkeit in Rusafa und Tayba - auf die Sorge um die wirtschaftliche Prosperität der Region und folglich auf die Fortführung von regionalen, spätantiken Entwicklungen. Damit zeigt sich, dass die Herrschaft eines nomadischen Stammes keineswegs zu wirtschaftlichem Niedergang und Traditionsbruch führen muss.
Der Bautätigkeit der Umayyaden im heutigen Jordanien sind zwei Artikel von Ignacio Arce gewidmet. Das Wüstenschloss (qasr) von Hallabat hatte demzufolge unter den Ghassaniden rein repräsentative Funktion, die unter den Umayyaden unverändert beibehalten wurde. Als Gegenstück zur Bautätigkeit der Umayyaden in der Steppe wird die städtische Anlage der Zitadelle von Amman vorgestellt. Neben der Baugeschichte dieses Komplexes geht der Autor ausführlich auf Fragen der herrscherlichen Repräsentation und möglicher sassanidischer Einflüsse ein.
Auch der Beitrag von Denis Gènequand über Qasr al-Hayr al-Sharqi veranschaulicht, dass das Thema der Wüstenschlösser in der Forschung noch nicht erschöpfend bearbeitet wurde und dass Anlagen, die als gut erforscht gelten, Neues zu bieten haben. In einem bislang nicht untersuchten Bereich des qasr werden anhand der Keramik Fragen über die Funktion und das Aussehen des Komplexes geklärt. Ähnlichen Fragen geht der Artikel von Franziska Bloch über Jabal Says nach. Obwohl die Paläste meist an der Stelle von vorislamischen Bauten errichtet wurden, werden die Reste dieser Strukturen (vorwiegend Klöster) häufig ignoriert. Mit der Untersuchung der Vorgängerbauten der Ghassaniden und Wüstenschlösser der Umayyaden stellt Franziska Bloch die Frage nach den Gründen der auffälligen Baupolitik. Gestützt auf Vergleiche zwischen den Anlagen in Jabal Says, Qasr Burqu, Qasr al-Hayr al-Gharbi und Khirbat al-Bayda kann sie sie überzeugend beantworten. Zwar orientierten sich die Umayyaden an vorislamischen Bauten, doch sind deutliche Unterschiede im Bauprogramm festzustellen. So treten an Stelle der voll verteidigungsfähigen Anlagen der Ghassaniden reich dekorierte Empfangshallen, die als Treffpunkt für Familienangehörige des Herrschergeschlechts und Stammesfürsten verschiedener Nomadenstämme dienten. Nur die Missionsfunktion der ghassanidischen Anlagen wurde teilweise beibehalten. In diesem Beitrag wird damit die alte These von der Multifunktionalität der Wüstenschlösser neu aufgegriffen und um zusätzliche Gesichtspunkte erweitert.
Neues über die Architektur der Wüstenschlosser bietet auch der Artikel von Thomas Leisten. Die unterschiedlichen Bauphasen und die Nutzung der ausgegrabenen Palastanlage in Balis werden ausführlich vorgestellt und eine Gründung in der Umayyadenzeit vorgeschlagen. Anhand zeitgenössischer Quellen wird Maslama b. Abd al-Malik als Auftraggeber identifiziert. Die Palastanlage diente im Laufe des 8. Jahrhunderts als Sitz der Marwaniden-Familie. Diese Datierung wird durch Untersuchungen an Holzfragmenten aus der Grabung bestätigt. Das herrschaftliche Wohnhaus wurde dann zu Beginn der Abbasidenzeit zerstört, was im starken Gegensatz zu der Gründung von zahlreichen kleinen und mittleren Städten in der Jazira in derselben Epoche steht.
Der Erforschung einer dieser Städte, Kharab Sayyar, widmet sich der Beitrag von Jan-Waalke Meyer, der die Ergebnisse aus den letzten fünf Grabungskampagnen zusammenfasst. Zwar ist über die abbasidische Herrschaft und Architektur in Syrien durch die Grabungen in al-Raqqa einiges bekannt, doch trägt Kharab Sayyar entscheidend dazu bei, unser Wissen über nicht-herrscherliche Gründungen der Abbasidenzeit in Syrien zu erweitern.
Im Mittelpunkt der Studie von Stefan Heidemann steht die Numismatik als verlässlichste Quelle über die Geschichte von Siedlungen in der Jazira. Nach einer nützlichen Übersicht über Probleme der islamischen Münzkunde verweist der Autor darauf, dass für die Epoche vor dem Anfang des 9. Jahrhunderts islamische Münzen die einzigen genauen Datierungshinweise liefern, zumal Keramiksequenzen unzureichend erforscht und publiziert sind. Dazu noch lassen die Münzfunde wichtige Rückschlüsse über Wirtschaftverhältnisse und Handelsbeziehungen zu, die in zeitgenössischen Quellen keine Erwähnung finden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in einem Sammelband die Thematik natürlich nicht flächendeckend und vollständig behandelt werden kann. Zur Homogenität des Werkes führten in erster Linie die streng gehaltenen Rahmen der einzelnen Beiträge, die selten zehn Seiten überschreiten. Kritisch ist die einseitige Schwerpunktsetzung auf Architektur zu bewerten, die allerdings die Forschungslage widerspiegelt. Merkwürdig erscheint das wiederholte Zitieren von eigenen Arbeiten. Teilweise kann dies aus der unzureichenden Vernetzung in diesem Teil der Archäologie und aus der noch jungen Forschungsgeschichte erklärt werden, was den Bedarf an weiteren Arbeiten in diesem Gebiet verdeutlicht. Trotzdem tragen die einzelnen Beiträge Wesentliches zur Klärung von diversen Problemfeldern bei und dienen als weiterleitende und zusammenfassende Artikel über aktuelle Projekte in der Region. Letzteres ist vor allem der schnellen Publikation des Bandes (knapp zwei Jahre nach der Tagung) zu verdanken.
Mustafa Tupev