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Rezension über:

Elizabeth Clegg: Art, Design and Architecture in Central Europe, 1890-1920, New Haven / London: Yale University Press 2006, x + 306 S., ISBN 978-0-300-11120-0, GBP 50,00
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Rezension von:
Katja Bernhardt
Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Katja Bernhardt: Rezension von: Elizabeth Clegg: Art, Design and Architecture in Central Europe, 1890-1920, New Haven / London: Yale University Press 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/13752.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Elizabeth Clegg: Art, Design and Architecture in Central Europe, 1890-1920

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Der Umschlag des Buches "Art, Design, and Architecture in Central Europe, 1890-1920" scheint wie eine Metapher dessen, wogegen die Autorin desselben, Elizabeth Clegg, mit ihrer Arbeit anschreiben möchte: Diffus verschwommen legt sich eine düstere Brücke über einen schaumigen Fluss und vor einem gelblichgrauen Himmel zeichnet sich die Silhouette einer Burg ab, deren Umrisse den Prager Hradschin zu erkennen geben. Jedes Detail wird von der Grobkörnigkeit der Fotografie aufgesogen; alle Farbigkeit hinter einem bräunlichen Film verborgen. Clegg holt den Leser dort ab, wo sie ihn - sicher mit Recht - vermutet: bei einem noch immer sehr rudimentären und nicht selten stereotyp rezipierten Wissen über die Kunst und Architektur des Teils von Europa, welchen Clegg mit "Central Europe" umschreibt. Umso reichhaltiger und bunter ist das Material, welches Clegg in ihrer Publikation nach jahrelangem Sammeln und Recherchieren präsentiert.

Für den in ihrer Darstellung behandelten Zeitabschnitt, 1890-1920, identifiziert Clegg den im englischsprachigen Raum etablierten Begriff "Central Europe" mit dem Gebiet, welches bis zum Ende des Ersten Weltkrieges vom Habsburger Reich umfasst wurde. Ihre als Überblickswerk konzipierte Arbeit richtet sie an eine/n allgemein interessierte/n Leser/in, wobei sie den in der Struktur des Buches angelegten Vergleich darüber hinaus als Angebot an den/die Spezialisti/en verstanden wissen will. Für diesen vergleichenden Zugriff gliedert Clegg ihr Material nach einer ausführlichen Einleitung ("'The most centrally positioned state in Europe'") in fünf Kapitel, die Abschnitte einer Chronologie bilden und innerhalb derer in einer festen Reihenfolge der Kunstbetrieb von vorrangig neun Städten des Habsburger Reiches vorgestellt wird. Die Reihenfolge der Städte erläutert Clegg dabei aus einer Verschränkung der politisch-administrativen Hierarchie und einer aus geografischen wie auch kulturhistorischen Parametern gewonnenen Abstufung vom Zentrum zur Peripherie (Wien, Prag / Praha, Brünn / Brno, Krakau / Kraków, Lemberg / L'viv, Budapest, Belgrad / Beograd, Zagreb, Laibach / Ljubljana). Mit dem Schnitt durch die jeweilige Gegenwart beabsichtigt Clegg, neben den zumeist im Fokus stehenden progressiven künstlerischen Tendenzen auch die Beharrungskräfte und retrospektive Lösungen kenntlich zu machen und so der Komplexität der Kunstgeschichte des Gebietes sowie der vielfältigen Interaktionen der besprochenen Orte gerecht zu werden. Bewusst grenzt sie sich hierin von Überblickswerken zur Kunstgeschichte des östlichen Europas ab, deren Darstellungen nach nationalen Begriffen geordnet seien.

Als Auftakt für ihre Chronologie wählt Clegg die Sezession ("The 1890s and the Spirit of Secession"), die sie als eine die Kunstszene des gesamten Reiches erfassende Erneuerungsbewegung vorstellt. In der Zeit um 1900 ("New Voices. Disruption and Innovation in the 1900s") träten die zunächst in der Sezession gebündelten innovativen Energien sodann in einen Differenzierungsprozess ein. Parallel dazu sei im Zusammenhang mit den Emanzipierungsbestrebungen der in den Grenzen des Reiches lebenden Volksgruppen ein Regionalismus und Vernacularismus entstanden, der seinerseits auf die visuelle Präsentation der politischen Zentren der Doppelmonarchie, Wien und Budapest, zurückgewirkt habe. Charakteristisch für die auf diese Phasen des Vorwärtsschreitens folgende Dekade sei eine neuerliche Wertschätzung älterer Kunst, die schließlich eingefügt in eine paneuropäische Entwicklung zu einer Nähe, gar Verflechtung von progressiven und retrospektiven Tendenzen geführt habe ("Imagined Empires. Retrospectivism / Progressivism around 1910"). Daneben sei in Reaktion auf die von Wien und Budapest ausgehende Politik die Idee des Panslawismus auch in der Kunst erneut erstarkt. Im Gegensatz zu dieser Koalition des Neuen mit dem Alten sei für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg die Wahrnehmung einer zunehmenden Radikalisierung der Kunst zu verzeichnen. Das spiegle sich in dem weitverbreiteten Gebrauch des Begriffes der "Ultramodernen", der zugleich als Projektion des Zeitempfindens auf die Kunst gewertet werden könne ("1912-1916. Austria -Hungary and the 'Ultra Modern'"). Kennzeichnend sei für diese Zeit eine zunehmende Internationalisierung der Kunstszene, wobei Prag mit seinen Kubisten dem sonst die Kunstbewegung des Reiches anführenden Wien in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen habe. Die sich etwa in Prag, Budapest, Krakau oder Zagreb formierende Avantgarde war es auch, so Clegg, die nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches die Region "Central Europe" in einer neuen Art und Weise repräsentiert habe ("1917 and Beyond. Reinventing Central Europe"). Ihrem Internationalismus stände zur gleichen Zeit jedoch ein forcierter, national orientierter Traditionalismus gegenüber. Einen nicht geringen Einfluss auf den Kunstbetrieb habe dabei die grundlegende Umformung der staatlichen Struktur des Gebietes und die damit einhergehende Neuformierung des Systems von Zentrum und Peripherie gehabt. In einem "Postscript" umreißt Clegg abschließend die für die Kunstentwicklung der 1920-30er-Jahre aus ihrem methodischen Zugriff heraus prägenden Strukturmerkmale: die unterschiedliche Wahrnehmung der Ergebnisse des Krieges, die schwierige Klärung der kulturellen Identität der neuen nachhabsburgischen Staaten und die positive Neubewertung der Identität der alten politischen Zentren Wien und Budapest.

Grundlage für die Beschreibung all dieser Prozesse ist für Clegg in erster Linie die Rekonstruktion der Tätigkeit von Institutionen, Vereinen, Künstlergruppen und Zeitschriften, der Konzepte und der Ausstrahlung von Museen, Galerien und temporären Ausstellungen, der Kunstkritik und der internationalen Vernetzung. Neben diesen Strukturen und Diskursen wird von ihr auch die innovative Wirkmacht einzelner, von ihr eingehender vorgestellter Künstlerpersönlichkeiten berücksichtigt. Wesentlich ist dabei für Clegg die Einbettung der künstlerischen Entwicklungen in den jeweiligen politischen Kontext und in die spezifische multiethnische bzw. multinationale Verfassung des Reiches einerseits und das Aufzeigen tatsächlicher Verflechtung von politischen Interessen und künstlerischen Aktivitäten andererseits. Problematisch erscheinen dabei ihre räumliche Bestimmung von "Central Europe" sowie die allzu starke Fokussierung auf Wien als Zentrum. Freilich versteht Clegg die von ihr darüber hinaus besprochenen Orte als periphere Zentren; in der strengen Eingrenzung des Untersuchungsgebietes auf das Habsburger Reich jedoch werden solche Phänomene wie beispielsweise die kulturell-künstlerisch zentrale Stellung Krakaus und Lembergs als Refugien der polnischen Nationalbewegung zwangsläufig in ihrer weit über die Grenzen des Reiches hinwegreichenden Bedeutung beschnitten. Dieses Problem erschöpft sich meines Erachtens jedoch nicht allein in seiner räumlichen Dimension, sondern bildet mit einem weiteren Grundverständnis, welches der Darstellung Cleggs zugrunde liegt, eine konzeptionelle Einheit: In der Gewichtung ihrer Darstellung, in der Argumentation wie auch in der Begriffsfindung ("progressive retrospectivism") wird deutlich, dass Clegg als Referenzrahmen für ihren Vergleich ein auf die Durchsetzung der Moderne zulaufendes Entwicklungsmodell westeuropäischer Kunst dient, dessen Paradigmen und Schlüsseldaten explizit nicht in Frage gestellt werden. Auf diese Weise wird das von Clegg vorgestellte Material in eine Meistererzählung der westlichen Moderne eingebunden und der Versuch unternommen, den Kanon des westeuropäischen kunstgeschichtlichen Wissens um die Kunst des ganzen Habsburger Reiches (für den betreffenden Zeitraum) zu erweitern. Clegg folgt hierin einem tradierten Weg, der in den letzen Jahren jedoch nicht nur in Bezug auf das Verständnis der europäischen Moderne, sondern auch hinsichtlich des westeuropazentristischen Blicks auf die Kunst des östlichen Europas von der Forschung in Frage gestellt wurde. [1]

Unabhängig von dieser Kritik wird der von Clegg vorgelegte Band, der von einer bemerkenswerten Kenntnis der Vorgänge des Kunstbetriebes im Habsburger Reich im besprochenen Zeitraum, aber auch von der Forschungsliteratur der betreffenden Länder zeugt, für die weitere Auseinandersetzung mit der Kunst dieses Gebietes ein nunmehr unabkömmliches Handbuch sein. Hierfür sorgen nicht zuletzt auch eine umfassende Bibliografie, ein Index wie auch die reiche Ausstattung der Publikation mit qualitätvollen, oft auch farbigen Abbildungen.


Anmerkung:

[1] Siehe etwa den kürzlich erschienen Beitrag von Piotr Piotrowski: On the Spatial Turn, or Horizontal Art History, in: Uměni 41 (2008), 378-383.

Katja Bernhardt