Volker Hunecke: Europäische Reitermonumente. Ein Ritt durch die Geschichte Europas von Dante bis Napoleon, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008, 342 S., ISBN 978-3-506-76552-9, EUR 49,90
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Reitermonumente üben nicht nur auf das breite Publikum, sondern auch auf professionelle Historiker - von den Kunsthistorikern einmal zu schweigen - eine frappierende Anziehungskraft aus. Reinhart Koselleck beispielsweise, der viel mehr an den Strukturen, den Begrifflichkeiten und der Metaphorik in der Geschichte denn an Persönlichkeiten (oder gar der Hippologie!) interessierte grand old man der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft, hat über viele Jahrzehnte hinweg entsprechendes Material gesammelt und (beinahe) jeden Umweg in Kauf genommen, um irgendwo auf der Welt ein Reiterdenkmal zu fotografieren. Seine große Synthese ist freilich ungeschrieben geblieben.
Dem Berliner Frühneuzeithistoriker und Italien- und Frankreichspezialisten Volker Hunecke ist es dagegen vergönnt worden, seine ebenfalls wohl jahrzehntelange Sammlertätigkeit in ein faszinierendes, zudem gut und geradezu üppig ausgestattetes Buch einmünden zu lassen. Und was ist das für ein Buch! Man liest diesen "Ritt durch die Geschichte Europas" vom ausgehenden Mittelalter bis in die Revolutionsepoche mit wachsender Begeisterung, weil Hunecke geradezu beneidenswert gut aus einer bestechenden Kenntnis der Quellen heraus zu erzählen versteht und die jeweilige Kunst- - oder sollte man besser sagen: Stilisierungs- - "Produktion" mit großer Souveränität in die jeweilige zeitgeschichtliche Situation einbettet und aus ihr heraus zu verstehen sucht.
Die Antike kannte eine Überfülle von Reitermonumenten - aus dem Rom des 4. nachchristlichen Jahrhunderts wird von 23 kolossalen Herrscherdenkmälern berichtet - aus verschiedenen Materialien, von denen aber, abgesehen von dem Marc-Aurel-Monument, kaum etwas auf uns gekommen ist. Damals in erster Linie ein politisches Instrument, um Kaiser auszuzeichnen, erlebte die Praxis der Errichtung von Reiterdenkmälern erst in der Dantezeit eine Wiederbelebung, und das nun just in den republikanisch verfassten Stadtstaaten Mittel- und Oberitaliens. Nach vielen Zwischenstufen aus Marmor, Stein und Holz, wagten sich erst im 15. Jahrhundert unter den besonderen florentinischen Rahmenbedingungen Künstler wieder an den Guss überlebensgroßer profaner Reiterstatuen. Aber auch dann war keineswegs Kontinuität gegeben - das 16. Jahrhundert sollte sich alles in allem als eher arm an Monumenten dieser Art erweisen, erst das "französische" 17. Jahrhundert sollte es dann zum großen "Boom" an Reitermonumenten bringen, als das Denkmal dann unwidersprochen zu einem "obligatorischen Demonstrationsobjekt absolutistischer Macht" (222) aufstieg. Im Gefolge der Französischen Revolution begann dann flächendeckend in Europa das große Auf- und Abräumen ("Die ehernen Reiter im Schmelzofen der Revolution"), dem sogar ein Denkmal wie das des "guten Königs" Heinrich IV. zum Opfer fiel. Diese damnatio memoriae war radikal, und es brauchte erst des Anbruchs einer neuen Zeit, um das Reitermonument unter anderen Rahmenbedingungen wieder fröhliche Urständ feiern zu lassen.
Hunecke analysiert die Beweggründe der Auftraggeber - neben "staatlichen" Stellen oft auch private Initiativen -, arbeitet die oft widersprüchlichen Charaktere der Geehrten und die Schwächen und Stärken der Künstler farbenfroh und plastisch heraus, fragt nach Filiationen und "Wellen", die sich aus räumlicher Nachbarschaft ergaben, differenziert nach den verschiedenen Gangarten der Pferde (schreitend, trabend, steigend) und nach der Entstehungszeit der Monumente (unmittelbar postmortal bzw. gar noch zu Lebzeiten oder mit einem erheblichen Zeitabstand zum Ableben des "Helden"), macht sich Gedanken über die Aufstellungsorte. Er interessiert sich - als guter Historiker - vor allem aber dafür, ob die so Ausgezeichneten diese Ehrung denn überhaupt verdient hatten. Von daher wird deutlich: ihn faszinierten mehr "die Reiter in ihrem wirklichen Leben als [...] ihr monumentales Nachleben", weshalb der eine oder andere Kunsthistoriker denn auch dies oder jenes vermissen wird - wiewohl die neuere kunstgeschichtliche Forschung den Reitermonumenten nur ausnahmsweise einen besonderen künstlerischen Rang beimisst.
Auf eine andere Beschränkung weist Hunecke ebenfalls bereits im Vorwort hin: darauf, dass er nicht über die Epochenschwelle +/- 1815 hinaus ausgreift, weil dann die Masse des Materials nicht mehr beherrschbar gewesen wäre, und darauf, dass Italien und Frankreich im Mittelpunkt seines Interesses stehen, er mit anderen Großregionen dagegen weniger vertraut ist. Aber auch diese Einschränkung ist eher cum grano salis zu verstehen. Nicht zufällig schließt das Buch mit dem - auch den Einband zierenden - von Falconet geschaffenen und 1782 eingeweihten Reitermonument Zar Peters I., und auch England, die iberischen und deutschen Staaten und Skandinavien werden durchaus adäquat berücksichtigt; allenfalls Ostmitteleuropa (Polen) kommt vielleicht ein wenig stiefmütterlich weg.
Huneckes "Ritt" durch die Jahrhunderte ist deswegen so eindrucksvoll, weil es ihm gelingt, die je spezifischen Rahmenbedingungen für das Entstehen von Reiterdenkmälern sichtbar zu machen, also die - oft fragliche - Idoneität des Darzustellenden, die Beziehungen und Vorlagen der Künstler, die Rezeption durch die Öffentlichkeit. Hunecke vermag Konjunkturen herauszuarbeiten, benennt Gründe, warum manche Dynastien - etwa die österreichischen Habsburger - sich in auffälliger Weise dieses Mediums der Herrscherstilisierung nicht bedienten - im Fall der Habsburger hatte das ganz gewiss tief reichende Gründe, die in einem von dem französischen sich grundlegend unterscheidenden Weltbild wurzelten (223f.).
Hunecke verfügt, um es zu wiederholen, über die Gabe des Erzählen-Könnens: plastisch, lebendig, wenn es sein muss ironisch, bilderreich. Die Charakterzeichnungen, die er vornimmt, sind blutvoll, atmen pralles Leben. Auch deswegen vermag das Buch so zu beeindrucken: weil es Feldherren, Monarchen von einer Seite beleuchtet, der ihrer kleinen und größeren Eitelkeiten, der ihres oft überzogenen Selbstverständnisses, der ihrer finanziellen Nöte, die sich sonst eher selten öffnet.
Angesichts des Lesevergnügens, das das Buch bereitet, scheut man sich als Rezensent eigentlich, überhaupt etwas auszustellen, weil man nicht in den Geruch der Beckmesserei geraten will. Immerhin will ich aber nicht unterdrücken, dass eine - sicher schwierige - konzise Zusammenfassung hilfreich gewesen wäre und dass das Absolutismus-Paradigma, dem Hunecke sich unverändert verpflichtet fühlt, von der modernen Forschung bekanntlich mehr und mehr kritisch hinterfragt wird. Aber das soll die Freude an diesem glänzenden Buch in keiner Weise trüben!
Heinz Duchhardt